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Zur Beurteilung der Situation

14. Juni 1954
Informationsdienst Nr. 2234 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen steht die Volksbefragung.1 Der Umfang der Diskussionen hat etwas zugenommen, ist jedoch weiterhin gering. Die Meinungen stammen meist2 von Arbeitern und Angestellten und sind überwiegend positiv. Teilweise wurden Verpflichtungen übernommen, bereits am 1. Tage zur Volksbefragung zu gehen. So verpflichteten sich z. B. die Kollegen des Thälmann-Werkes Brandenburg,3 [Bezirk] Potsdam, mit ihren Angehörigen am 27.6.[1954] bis 10.00 Uhr ihre Stimme abzugeben. Desgleichen verpflichteten sich die Kumpel der Abteilung Hauptmechanik der Großkokerei Lauchhammer, [Bezirk] Cottbus, in den Vormittagsstunden des 27.6.[1954] ihre Stimme abzugeben.

Verschiedentlich ist man der Meinung, dass die Volksbefragung nicht durchgeführt werden braucht hat, da sowieso alle Menschen für den Frieden sind. Hierbei handelt es sich meistens um unaufgeklärte Werktätige. Im VEB Wälzlagerfabrik in Berlin wurde in einer Versammlung der Schleiferei von einigen Kollegen geäußert: »Die Volksbefragung ist doch unnötig, da doch alle für den Frieden sind. Außerdem wird sie nur bei uns und nicht im Westen durchgeführt.«4 Ein Schlosser vom VEB Kranbau Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Es ist unnötig, eine Volksbefragung durchzuführen. Wir kennen alle Schrecken des Krieges. Deshalb sind wir für den Frieden.« Ähnliche Meinungen werden in mehreren Betrieben des Bezirkes Frankfurt/Oder vertreten.

Ganz vereinzelt wurden feindliche Äußerungen bekannt, deren Argumente gegen die Volksbefragung unterschiedlich sind. Eine Reichsbahnangestellte aus Gehrsdorf,5 [Bezirk] Erfurt: »Man sollte lieber auf die Wahlzettel schreiben, entweder für den Amerikaner oder für den Russen.« Ein Schießmeister aus dem Wismut-Schacht XIII in Aue:6 »Durch die Volksbefragung will man ja nur eine Bestätigung der Volkskammer haben. Sonst könnte man nicht sagen, die Volkskammer sei gewählt worden.«

Anlässlich des ersten Jahrestages der Verkündung des Neuen Kurses7 wurden in einigen Betrieben Versammlungen und Diskussionen geführt, wo meist der Neue Kurs als eine für die Werktätigen vorteilhafte Politik angesehen wurde. Des Öfteren kritisierte man dabei jedoch die zeitweiligen oder örtlichen Mängel in der Versorgung der Bevölkerung sowie die der Materialversorgung. Im Karl-Marx-Werk Magdeburg wurde starke Kritik geübt und zwar an der mangelhaften Versorgung der Stadt mit Bedarfsgütern und Textilien und an dem Versagen des Ministeriums bei der Bereitstellung von Materialkontingenten zum Bau der Fahrradmotoren.

In einer Belegschaftsversammlung im Schlacht- und Viehhof Magdeburg bemängelten die Kollegen eine schlechte Warenverteilung und besonders das Fehlen von Bohnenkaffee und Südfrüchten. Im Dimitroff-Werk [Magdeburg] gab es keinerlei Diskussionen.

Ganz vereinzelt wurden negative Stimmen bekannt, in denen zum Ausdruck kommt, dass der neue Kurs nicht viel Neues gebracht hätte. Ein parteiloser Schlosser aus dem Industriewerk Ludwigsfelde, [Bezirk] Potsdam, äußerte: »Über die Massenbedarfsgüterproduktion wird viel gesprochen, aber ich habe noch nicht viel gesehen. Der Westen baut Sachen, die für jeden Arbeiter erschwinglich sind.« In diesem Zusammenhang, ebenfalls vereinzelt, wird gleichzeitig über die Preisherabsetzung gesprochen,8 die meist begrüßt wird.

Negative Elemente versuchen die Preissenkung ins Lächerliche zu ziehen, wofür folgendes Beispiel charakteristisch ist. Ein Kollege vom VEB AUFA Eisenach (SED) sagte: »Da hat man nun eine kurze Preisherabsetzung gehabt, was vielleicht ein Fangmittel zur Volksbefragung ist, denn was hat man groß gesenkt, all das, was jahrelang irgendwo liegt und schimmelt. Aber anderen Sachen, die senkt man nicht. Die alten Zigarren mit Papier, die sollen die Herren da oben selber rauchen und nicht uns anbieten und denken, was man damit geleistet hat.«

Über den 17. Juni [1953] wurden uns folgende Stimmen bekannt: Im VEB Abus Gispersleben,9 [Stadt] Erfurt, äußerte ein Kollege während der Frühstückspause: »Wenn es diesmal klappt, dann klappt es richtig!« Damit meinte er den 17. Juni.

Ein Angestellter aus dem VEB Schachtbau Nordhausen: »Am 17.6.[1954] wird im Westen gefeiert.10 Wir müssen mal überlegen, was wir nun hier machen, denn wenn wir krankfeiern oder Urlaub nehmen, wissen die doch gleich Bescheid.«

Ein Schlosser aus dem IFA-Schlepperwerk Nordhausen äußerte sich zu einem Bohrer, der im gleichen Werk beschäftigt ist: »Dass Du am 17.6.1954 [sic!] ein Gewehr getragen hast, dafür wirst Du Dich verantworten müssen.«

Im VEB Kraftfahrzeugwerk Phänomen in Zittau, [Bezirk] Dresden, wurde in einer Zeitungsschau über den 17. Juni und über die Volksbefragung diskutiert. Eine Angestellte sagte danach: »Die Kollegen schimpften tüchtig auf die hiesigen Verhältnisse. Ich fürchte, dass am 17.6.[1954] etwas geschieht und möchte deshalb am liebsten Urlaub machen.«

Im VEB Kaliwerk »Ernst Thälmann« in Merkers, [Bezirk] Suhl, werden in letzter Zeit negative Diskussionen zum 17.6.[1953] von einzelnen Kollegen geführt, die über den gesamten Betrieb verteilt sind.

Wie erst jetzt bekannt wurde, hat man in der Abteilung 108 im Kabelwerk Köpenick, Berlin, eine Geldsammlung für einen wegen seiner negativen Haltung am 17.6.1953 festgenommenen Kollegen des Betriebes durchgeführt. Man war der Meinung, dass dieser Kollege unschuldig inhaftiert war, da er wieder freigesprochen wurde und man ihm jetzt helfen müsse. Aufgrund dessen wurde eine Versammlung durchgeführt und den Kollegen das Geld zurückgegeben.

Missstimmungen wurden aus verschiedenen Betrieben bekannt, die ihre Ursachen meist in Lohn- und Normenfragen sowie Versetzungen haben. Im Steinkohlenwerk »Martin Hoop« in Zittau11 besteht eine starke Fluktuation von Facharbeitern des Übertagebetriebes. Circa 80 Prozent der Belegschaft verlangen eine Lohnerhöhung, da »andere Betriebe ihre Facharbeiter ebenfalls besser bezahlen«. Ein großer Teil der Werkstättenarbeiter will nach dem Tag des Bergmanns12 sich eine neue Arbeitsstelle suchen.

Bauarbeiter der Bau-Union Halle äußerten: »Unser Lohn ist der schlechteste von allen Berufen. Deshalb geben viele Maurer und Bauarbeiter ihren Beruf auf und gehen als Ungelernte in die Produktion.« (Sie arbeiten zzt. in der Farbenfabrik Wolfen.)

Im Kraftwerk Weißenfels will man die Erschwerniszulagen den bei der Asche und Kohle beschäftigten Kollegen entziehen. Die betroffenen Kollegen sind darüber sehr verärgert.

Unzufriedenheit besteht unter den Betriebsschutzangehörigen des VEB Kjellberg Finsterwalde,13 [Bezirk] Cottbus, da das Grundgehalt neu festgesetzt wird. Ein großer Teil der BS-Angehörigen14 will deshalb in die Produktion zurückkehren. Ähnlich verhält es sich unter den BS-Angehörigen des VEB Schraubenfabrik und VEB Fimag15 [in] Finsterwalde. In der Abteilung Dreherei des gleichen Betriebes werden negative Diskussionen über die Normfestsetzung geführt. Ein Dreher, Mitglied der AGL, äußerte: »Die TAN-Bearbeiter16 sollen endlich damit aufhören, dort neue Normen festzulegen, wo 3,50 DM in der Stunde verdient werden. Dadurch stiften sie nur Unruhe unter den Arbeitern.«

Im VEB AUFA Eisenach17 sind die Kollegen in der Stanzerei über die Normen unzufrieden und fordern, dass eine Überprüfung durchgeführt wird.

Im Wismut-Schacht 269 sowie im Schacht Kombinat I – und II Gittersee [bei] Freital18 besteht eine negative Stimmung unter den Kumpels wegen der noch immer anhaltenden Versetzungen nach anderen Objekten. Im Schacht Niederpöbel und Bärenhecke feiern infolge der Versetzungen von den noch vorhandenen Arbeitern 20 bis 30 Prozent krank.

Im [Wismut-]Schacht 66 in Oberschlema19 wurde am 25.5.[1954] zur Abschlagszahlung nur die Hälfte der normalen Abschlagsumme ausgezahlt, wodurch neu übernommene Kumpel zum Teil keinen oder 20,00 bis 40,00 DM Abschlag erhielten. Wenn bis zum 12.6.[1954] die rückständigen Schichten nicht nachgezahlt werden, wollen die Kollegen sich ans ZK wenden.

Produktionsschwierigkeiten

Ab sofort sollen in der gesamten Bauindustrie Berlin Rechenschaftslegungen über den Betriebs-Kollektiv-Vertrag durchgeführt werden. Da eine Reihe Verpflichtungen vonseiten der Betriebsleitungen nicht erfüllt werden konnten, sind diese der Ansicht, dass der Zeitpunkt der Rechenschaftslegung äußerst ungünstig ist, da eine negative Stimmung entstehen kann.

Auf der Baustelle VEB Industriebau, VP Inspektion Friedrichshain, soll am 14.6.1954 das Richtfest gefeiert werden, woran die Kollegen der umliegenden Baustellen teilnehmen werden. Unter den Bauarbeitern wird darüber gesprochen, dass das Richtfest auf zwei oder drei Tage später verlegt werden soll.

Handel und Versorgung

Die Schwierigkeiten in der Versorgung mit HO-Fleisch sind in den Bezirken Halle, Rostock, Neubrandenburg noch nicht ganz behoben. Im Bezirk Gera besteht in einigen Kreisen noch ein Mangel an Rindfleisch. Verschiedentlich herrscht Unzufriedenheit über eine ungenügende Warenzuteilung. Im Bezirk Karl-Marx-Stadt fehlen Eimer, Emaille-Waren, Herren- und Damensommermäntel. Bezirk Potsdam fehlen Zitronen, Bohnenkaffee, Obst und Gemüse. Apolda, [Bezirk] Erfurt, HO-Fisch, Teigwaren, Haferflocken, Schokoladenerzeugnisse und Verpackungsmaterial. In Eisenberg, [Bezirk] Gera, ist die Margarine knapp. Im Bezirk Suhl Bohnenkaffee, Ölsardinen. In Halle Hülsenfrüchte, Graupen, Sommermäntel und -anzüge. MIFA Sangerhausen20 Arbeitskleidung.

In Bad-Frankenhausen, [Bezirk] Halle, diskutiert man in der Konsumgenossenschaft über 35 Entlassungen, die ausgerechnet am 17.6.1954 erfolgen sollen.

In mehreren Kreisen im Bezirk Potsdam klagen Hausfrauen über die Butter in den Konsumverkaufsstellen. Die Butter wird in kurzer Zeit ungenießbar.

Landwirtschaft

Zu den politischen Tagesfragen nimmt die Landbevölkerung nach wie vor nur wenig Stellung. Eine stärkere Beteiligung ist im sozialistischen Sektor wie MTS, LPG, wo auch meist positiv diskutiert wird. Zurzeit steht die Volksbefragung im Vordergrund mit überwiegend positiven Stimmen. Die Traktoristen der MTS Götz, [Bezirk] Potsdam, verpflichteten sich, bereits am 27.6.1954 ihre Stimme abzugeben und ihre Traktoren jetzt schon mit entsprechenden Losungen zu versehen.

Ein Teil ist nicht interessiert, was mitunter auf die ungenügende Aufklärung zurückzuführen ist, wie z. B. ein Bauer aus Hohenebra, [Bezirk] Erfurt. Er sagte: »Was nützt uns die Politik, wir können doch nichts ändern. Ich mache meine Arbeit so gut ich kann und die Hauptsache ist, ich kann so einigermaßen leben.«

Vereinzelt werden negative bzw. feindliche Äußerungen gemacht, wie folgendes Beispiel es zeigt: Ein Großbauer aus Sukow, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Volksbefragung ist nur eine Papierverschwendung und dazu angetan, dass sich das jetzige Regime länger hält.«

Die Versammlungen und Vorbereitungen verlaufen bis auf wenige Einzelfälle gut. Verschiedentlich wurden von Traktoristen und Einzelbauern Verpflichtungen aus Anlass der Volksbefragung übernommen.

Über die Verurteilung Dertingers21 wird vereinzelt diskutiert und im Allgemeinen die Strafe als zu milde beurteilt. Ein parteiloser Agronom aus Mühlhausen z. B. sagte: »Es muss gar nicht so viel Federlesens gemacht werden mit solchen Banditen. Bei diesen Brüdern müsste man gleich die Rübe runter, denn das wäre die richtige Strafe.«

Vorwiegend befasst sich die Landbevölkerung mit wirtschaftlichen Fragen. In verschiedenen bäuerlichen Wirtschaften des Bezirkes Cottbus, vor allem im Kreis Herzberg, macht sich ein Strohmangel bemerkbar, der dazu beiträgt, dass die Bauern Waldstreu einfahren und dadurch der Verbreitung der Schweinepest Vorschub leisten.

Im Bezirk Magdeburg macht man sich Sorgen um die Futtergrundlage.

In der LPG Donath,22 [Bezirk] Dresden, wurden über 60 Ztr. Heu von der VEAB zugestellt, das zum großen Teil schon verschimmelt war.

Im Bezirk Gera wird verschiedentlich über den Futtermangel geklagt und die Belieferung mit schlechtem Rapsschrot für Ferkel beanstandet. Besonders großer Futtermangel besteht in der BHG Dorndorf, Kreis Jena.

In Größnitz, [Bezirk] Halle, bestehen Schwierigkeiten beim Verziehen der Rüben, die durch den Regen zu schnell gewachsen sind. Verschiedene Patenbetriebe23 sollen heute und morgen im Großeinsatz eingesetzt werden.

In der MTS Bornhagen, [Bezirk] Erfurt, besteht ein Mangel an Ersatzteilen für landwirtschaftliche Geräte. So hat die MTS in diesem Jahr z. B. noch keinen Stabstahl für Reparaturzwecke erhalten. Des Weiteren mangelt es an Kugellagern für bestimmte Maschinen, worüber große Unzufriedenheit herrscht.

In der Gemeinde Weilar, [Bezirk] Suhl, klagen die Bauern über die große Wildschweinplage, worunter sie sehr zu leiden haben und beschweren sich darüber, dass vom Jagdkommando24 überhaupt nichts zu sehen ist.

Im Zusammenhang mit der mangelhaften Versorgung an HO-Frischfleisch äußerte eine Angestellte der Konsumgenossenschaft Karl-Marx-Stadt: »Die Lage ist jetzt wieder wie vor dem 17. Juni des vergangenen Jahres, aber der neue 17. Juni ist ja nicht mehr weit und dann haben wir hoffentlich mal wieder mehr anzubieten.«

Übrige Bevölkerung

Über politische Tagesfragen wird unter der übrigen Bevölkerung nur wenig diskutiert. Im Mittelpunkt der wenigen Diskussionen steht die Volksbefragung. Die bekannt gewordenen Stimmen sind überwiegend positiv, darin bringt man zum Ausdruck, dass es in der DDR doch keinen Menschen geben kann, der nicht für den Frieden ist. Der Umfang der Diskussionen zur Volksbefragung ist jedoch gering. Vereinzelt treten negative bzw. feindliche Diskussionen auf. Eine Angehörige der Sekte »Zeugen Jehovas«25 aus Malchow, [Bezirk] Neubrandenburg, äußerte gegenüber Einwohnern der Gemeinde, dass niemand den breiten Weg mit unserer Regierung gehen soll, da das der Weg zum Untergang ist. Niemand solle zur Volksbefragung gehen, da dies eine Handlung gegen Gott sei.

Ein Pfarrer aus Alt Meteln bei Schwerin: »Ich bin mir noch gar nicht im Klaren, ob ich mich an der Volksbefragung beteiligen werde, mein Ansehen könnte beim Bischof zurückgehen.«

Über das Urteil der Verschwörergruppe Dertinger wird wenig gesprochen. Die Strafe wird im Allgemeinen als zu mild angesehen.

Über den 17.6.[1953] wurden uns nachstehende Stimmen aus den Kreisen der übrigen Bevölkerung bekannt. In der Gemeinde Tautenburg, [Bezirk] Gera, hat die Ehefrau des verhafteten [Vorname Name] (Provokateur des 17.6.1953) entbunden. In der Gemeinde werden Diskussionen geführt, in denen man die Freilassung des Verhafteten verlangt. Es ist auch eine Geldsammlung für die Ehefrau geplant.

In einer Gastwirtschaft in Mühlhausen wurde folgendes Gespräch geführt: »In spätestens einem Jahr würde sich der ›Tag X‹26 wiederholen, es bestände heute schon eine Untergrundbewegung in Hollenbach und anderen Orten. Ab und zu werde man sich in den Gästestätten ›Puppenstube‹ und ›Gambrinus‹ in Mühlhausen treffen.«27 Ein Gast äußerte sich weiter: »Ich würde nochmals zum Gewehr greifen. In der SA hätte er eine hohe Funktion gehabt und heute hätte er sie in der DBD, denn er wäre ein angesehener Mensch.«

Am 17.6.[1954] organisiert die »Junge Gemeinde« in Burg (Spreewald) ein Treffen unter dem Deckmantel Fronleichnamstag.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD:28 Cottbus 4 800, Karl-Marx-Stadt 788, Halle 180, Potsdam 3, Dresden 8.

UFJ:29 Potsdam 802 (gefälschte Betriebszeitungen des »LEW«30).

KgU:31 Karl-Marx-Stadt 918, Potsdam 30.

»Freie Junge Welt«:32 Potsdam 11.

NTS:33 Halle 3, Erfurt 11, Dresden 1.

In tschechischer Sprache: Karl-Marx-Stadt 137, Dresden 155, Cottbus kleinere Mengen an versch[iedenen] Stellen.

FDP: Karl-Marx-Stadt 1 303.

Versch[iedener] Art mit der Unterschrift »Die Deutschen der Bundesrepublik«. Inhalt richtet sich gegen 17.6.1954 [sic!], Magdeburg 45 000 (Pakete), Frankfurt/Oder 8 000, Gera 236, Potsdam 251, Wismutgebiet größere Mengen.

»Berliner Monatsecho«:34 Neubrandenburg 15.

Der größte Teil der Hetzschriften wurde in [sic!] Ballons eingeschleust und sichergestellt. In zwei Bezirken traten wiederholt die bereits gemeldeten Hetzschriften des »Streikkomitees der Arbeiter Mitteldeutschlands«35 auf. Durch die Post wurden folgende Hetzschriften versandt: 4 KgU, 11 UFJ, 1 »Freie Junge Welt«.

Der Vorsitzende der CDU Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, erhielt zwei Hetzschriften des CDU-Ostbüros. Er bemerkte dazu, dass viele Teilnehmer des letzten Parteitages der CDU diese Hetzschriften erhielten.

Ein Umsiedler erhielt einen Hetzbrief der KgU mit der Aufforderung, sich zum »Tag der Befreiung der Ostzone« bereitzuhalten.

Ein aus München zugezogener Arbeiter des VEB Holz- und Möbelbau Eisenberg,36 [Bezirk] Gera, erhielt einen Drohbrief der KgU, wonach er eines Tages für die in der Presse veröffentlichten Artikel über Westdeutschland zur Rechenschaft gezogen werden würde.

Im Werk Pels Erfurt37 führten drei Schmiede des Öfteren provokatorische Reden. Während einer Übertragung warf ein Schmied einen Stein in den Lautsprecher.

In der Nacht vom 10. zum 11.6.1954 forderte ein Einwohner aus Forst, [Bezirk] Cottbus, Einlass in die FDGB-Schule, wo eine französische Delegation übernachtete. Dabei äußerte er: »dass in diesem Jahr der 17. Juni schlimmer als im vorigen Jahr« wird.

In Adorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde eine Gruppe von neun Personen verhaftet, die am 17.6.1953 [sic!] beabsichtigten, die politische Macht in Adorf zu übernehmen. Sie wollten das Gemeindeamt besetzen, die Zufahrtsstraßen abriegeln und die Funktionen der Gemeinde mit Personen aus ihren Reihen besetzen.

Diversion: Auf der Baustelle Ribnitz der Bau-Union Rostock wurden in der Nacht vom 11. zum 12.6.1954 der Motor der automatischen Kiessiebanlage und der Motor eines Förderbandes gestohlen. Der Bolzen eines Siebes wurde gelöst.

Antidemokratische Tätigkeit: In der Nacht vom 11. zum 12.6.1954 wurde an die Wandzeitung des VEB Deko Plauen,38 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ein Blatt mit der Aufschrift »Am 17. Juni wird gestreikt – ja« angebracht.

Im Bahnwerk Erfurt wurde an einer unbrauchbaren Lok die Parole »Nieder mit Pieck,39 Grotewohl,40 Ulbricht41 und Konsorten« sowie »Nieder mit der Polizei! Wählt am 27.6.1954 den EVG-Vertrag,42 dann geht’s euch besser« festgestellt.

In Kleinmachnow, [Bezirk] Potsdam, wurden die Plakate zur Volksbefragung heruntergerissen (Täter unbekannt).

In Kundorf,43 Kreis Eisenberg, [Bezirk] Gera, wurde ein Porträt des Genossen Walter Ulbricht mit einer Hetzlosung folgenden Inhalts überschmiert: »Der wahre Teufel der Revolution – und das ist der Krieg«.

In der Gemeinde Wolfersdorf, Kreis Greiz, [Bezirk] Gera, wurden zwei Plakate zur Volksbefragung abgerissen. Im gleichen Kreis wurden mehrere Schmierereien an Zügen festgestellt: »Wo bleibt die Auszeichnung der Abwäscher – nicht ärgern – nur wundern.«

In der Gemeinde Schöten, [Bezirk] Erfurt, wurde die Hetzlosung »Wir wählen Amis« angebracht.

Im VEB EMW Eisenach, [Bezirk] Erfurt, wurde die Hetzlosung »17. Juni – Den Toten die Ehre, sie fielen für uns« festgestellt.

Im Stahlwerk Gröditz, [Bezirk] Dresden, wurde eine Losung zum 2. Deutschlandtreffen44 wie folgt ergänzt: »Auf nach Berlin – zum Leichen holen«.

In Meißen, [Bezirk] Dresden, wurden vier Hetzzettel angebracht, die aufforderten, der Volksbefragung fernzubleiben.

Im Wachbuch des Sprengstoffwerkes Gnaschwitz, [Bezirk] Dresden, wurde ein Hakenkreuz festgestellt.

Vermutliche Feindtätigkeit

In der LPG Wallrode, Kreis Worbis, [Bezirk] Erfurt, wurde eine Kuh, die am Morgen gesund auf die Weide getrieben wurde, am Abend verendet aufgefunden. Es wird Vergiftung vermutet.

Am 11./12.6.1954 brach im Keller des Nordflügels des neuen Palais im Park Sanssouci in Potsdam ein Brand aus. In dem Keller werden Wachskerzen und Scheuertücher der HO gelagert. Vor dem Brand befanden sich mit Genehmigung des stellvertretenden Lagerleiters fremde Personen in dem Keller.

Am 11.6.1954, gegen 20.00 Uhr explodierten bei Einfahrt des Personenzuges auf dem Bahnhof Kummersdorf[-Gut], [Bezirk] Potsdam, neun Gewehrpatronen. Die Patronen waren mit Draht an die Schienen gebunden. Schaden entstand keiner.

Am 11.6.1954, gegen 23.00 Uhr brach in der Gemeinde Schmatzfeld, Kreis Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg, bei einem Mittelbauern ein Scheunenbrand aus. Schaden ca. 50 000 DM. Ermittlungen laufen noch.

Durch HO Lebensmittel in Eisleben, [Bezirk] Halle, wurde festgestellt, dass in Gläsern mit Halberstädter Würstchen Reißzwecken enthalten waren.

Am 12./13.6.1954 geriet die Scheune der LPG Hülsebeck, Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, in Brand. Es wurden neuwertige Maschinen im Gesamtwert von ca. 18 000 DM vernichtet. Ursache: vermutlich Brandstiftung.

Vom Feld der LPG Golm, [Kreis] Potsdam, wurden 1 ha Kohlpflanzen von bisher unbekannten Tätern herausgerissen.

In Schrepkow, [Bezirk] Potsdam, wollen alle ehemaligen Großbauern, die vor dem 9.6.1953 wegen Nichterfüllung ihres Solls zu Gefängnisstrafen verurteilt waren und wieder entlassen wurden, den 17.6.1954 in der Gastwirtschaft der Gemeinde feiern (wird noch überprüft).

Westberlin

Am 2.6.1954 wurden in einer SPD-Versammlung in Siemensstadt nach einem Referat über das neue Wahlgesetz45 die Fragen gestellt: »Wo sind denn unsere Arbeitervertreter? Wir sind doch eine Arbeiterpartei! Wo sind denn unsere Gewerkschaftsfunktionäre? Warum stellen sie sich nicht zur Wahl?« Die Versammlungsleitung erklärte, dass keine geeigneten Genossen für solch einen Abgeordnetenposten vorhanden sind.

Berichtigung zum Bericht vom 12.6.195446

Betr.: Fund von amerikanischen Ölkäfern im Bezirk Potsdam. Die Untersuchungen im Institut Kleinmachnow47 haben ergeben, dass es sich um einen deutschen Ölkäfer handelt, der aber bis jetzt nicht auf Kartoffelpflanzen festgestellt wurde.

Anlage vom 14. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2234

[ohne Titel]

Über den Einfluss der Kirche und über das feindliche Auftreten einiger Pfarrer in der Öffentlichkeit wird aus den Bezirken Potsdam, Cottbus und Dresden berichtet. In Ebersbach, [Bezirk] Dresden, z. B. fand eine Versammlung (öffentlich) der evangelischen Kirche statt, in der vom Pfarrer u. a. folgende Äußerung gemacht wurde: »Die vorschulische Erziehung der Kinder in Kindergärten, in denen sie schon politisch erzogen werden, erschwert der Kirche, die Kinder zu gläubigen Christen zu erziehen. Die Kirche müsste dem Dialektischen Materialismus den Kampf ansagen. Die Kinder sind viel weiter, als die Kirche angenommen hat und kommen dem Pfarrer mit Argumenten, auf die er keine Antwort geben kann. Es ist bedauerlich, dass die Kirche keine Zwangsmittel anwenden kann, um die Kinder zur Teilnahme am christlichen Unterricht zu zwingen.«

Der Pfarrer der Gemeinde Klöden, [Bezirk] Cottbus, hat Briefe an den Lehrer und an die Eltern mit folgendem Inhalt verschickt: »Es ist Pflicht eines jeden Konfirmanden, den sonntäglichen Gottesdienst zu besuchen. Während der Konfirmandenzeit sind die Kinder von schädlicher Zerstreuung fernzuhalten. An Veranstaltungen, die während des Gottesdienstes angesetzt sind, auch Kartoffelkäfersuchaktionen, kann sich der Konfirmand nicht beteiligen. Die völlige Beseitigung des Wortes Gottes aus dem öffentlichen Leben hat eine zunehmende Zucht- und Ehrfurchtslosigkeit unserer Jugend zur Folge.«

Am 3.6.1954 sollte im Kulturraum Hohen Neuendorf, [Bezirk] Potsdam, eine Sonderberatung mit allen Pfarrern aller Konfessionen stattfinden. Zu diesem Zweck wurden vom Kreisfriedenskomitee Oranienburg Einladungen an 51 Pfarrer und Prediger verschickt, worin darauf hingewiesen wurde, dass der Präsident der Volkskammer, Dr. Johannes Dieckmann,48 mit den Pfarrern beraten möchte, welcher gemeinsame Weg zur Erhaltung des Friedens von allen eingeschlagen werden könne. Zu der angesetzten Besprechung erschien kein einziger Pfarrer oder Prediger.

Der Bezirk Neubrandenburg berichtet, dass einige führende Geistliche der Volksbefragung ablehnend gegenüberstehen. So erklärte zum Beispiel ein Pastor aus Neubrandenburg, dass er seine Stimme zur Volksbefragung nicht geben wird.

In Schirgiswalde, [Bezirk] Dresden, wird unter der Bevölkerung, vor allem in den CDU-Kreisen, darüber diskutiert, dass der katholische Feiertag, Fronleichnam, um sieben Tage weiterverlegt wird, weil sich am 17.6.[1954] der Tag jährt, wo der Fall in Berlin stattfand.49

Aus Schweinitz, [Bezirk] Cottbus, kommt die Meldung, dass am 24.6.1954 in Rosenberg/Sachsen50 ein Treffen der Katholiken stattfindet. Die Anfahrt dorthin wird mit Omnibussen erfolgen.

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