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Zur Beurteilung der Situation

21. Februar 1954
Informationsdienst Nr. 2135 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Neben den sehr zahlreichen Werktätigen, die ihre Hoffnungen enttäuscht sehen und kaum noch Notiz von den Problemen der Viererkonferenz1 nehmen … das führt zuweilen soweit, wie im VEB Gubener Wolle Guben, [Bezirk] Cottbus, wo sich die Werktätigen überhaupt nicht mehr in Diskussionen einlassen und Aufklärern direkt ausweichen … diskutieren fortschrittliche Kräfte, dass die Konferenz trotz allem ein Erfolg für uns war. Der Teil, der so spricht, ist nicht gering und umfasst vor allem Arbeiter, weniger Angestellte und Intellektuelle. Allerdings nur vereinzelt wird die Möglichkeit erwogen, dass es jetzt zu einem Krieg kommen könne. Im Walzwerk Burg, [Bezirk] Magdeburg, diskutieren einige Arbeiter so: »Die Viererkonferenz ist zu Ende. Keiner von den Außenministern hat nachgegeben. Nun wird es wohl zu einem Krieg kommen.«

Einige Arbeiter aus dem Elektrokraftmaschinenwerk Finow,2 [Bezirk] Frankfurt/Oder, meinen: »Wie es scheint, ist es unausbleiblich, dass wir in Deutschland ein zweites Korea erleben.3 Die Regierung soll sich Mühe geben, dass keine Unruhen zustande kommen.«

Die negativen bzw. feindlichen Diskussionen sind nicht umfangreicher geworden. Oft kommt darin zum Ausdruck »wir haben es ja vorher schon gewusst, dass nichts dabei herauskommt«, wobei sich die Wortführer oft auf die Westsender stützen. Ferner wird gegen die SU und die Regierung der DDR gehetzt und der westlichen Parole nach »freien Wahlen«4 gehuldigt. Ein technischer Zeichner aus dem VEB Sanar Bischofswerda,5 [Bezirk] Dresden: »Nun haben sich die Außenminister wieder einmal getroffen. Und was haben sie erreicht? Da gibt doch keiner nach. Der Schweizer Sender6 brachte in den Nachrichten, dass man schon von vornherein gewusst hat, dass man sich nicht einigt, wenn Molotow7 kommt.«

Ein Angestellter der Wismut AG:8 »Der Sender Hamburg9 hat gebracht, die Viererkonferenz ist aufgeflogen. Meiner Meinung nach auch. Das war ja auch vorauszusehen, dass da nicht viel herauskommt.« Ein Wismut-Kumpel: »Entweder der Russe fügt sich den Dreien, oder es geht los.«

Ein Angestellter vom VEB Baustoffindustrie Karl-Marx-Stadt: »Wenn drei das Gleiche wollen und der Vierte nicht nachgibt, muss es ja auseinandergehen.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Elektrostahlguss Leipzig: »Ich habe vor einigen Tagen in unserer Zeitung gelesen, dass Dulles10 die DDR beleidigt haben soll, und Walter Ulbricht11 hätte ihm Kontra gegeben.12 Was kann denn schon das kleine Rindvieh gegen den amerikanischen Außenminister machen. Natürlich will der Ami seine Stützpunkte behalten.13 Es geht ja auch nicht anders, als dass der Russe Dresche bekommt; dann gibt es Ruhe auf der ganzen Welt, denn nur die Kommunisten machen überall die Unruhe.«

Ein Brigadier aus dem Karl-Marx-Werk Magdeburg:14 »Man müsste Grotewohl15 den Schädel einschlagen und dann den anderen auch. Man müsste eine freie Wahl zwischen Adenauer16 und Grotewohl durchführen. Ich würde dann für Adenauer sein.«

Im VEB Holzindustrie Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg, wird noch oft die Forderung nach »freien Wahlen« in westlichem Sinne erhoben. Ein Tischler sagte: »Wenn es zu freien Wahlen kommt, dann wird die alte SPD wieder dominieren; denn es sind noch genug hier, die ihr die Stimmen geben werden.«

Eine Arbeiterin aus dem VEB Baumwollveredlungswerk Plauen,17 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Sie sollen doch eine freie Wahl machen. Es ist doch egal, ob Adenauer dran ist oder ein anderer. Wenn die Russen rankommen, dann müssen wir schuften wie die Verrückten und haben nichts mehr zu lachen und zu sagen. Die Kommunisten wähle ich nicht.«

Ein Arbeiter aus dem Elektrokraftmaschinenwerk Finow,18 [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Die Besatzungstruppen sollen ruhig abziehen; denn sie nehmen uns nur unsere Verpflegung fort. Hätten wir eine freie Wirtschaft wie im Westen, dann hätten wir mehr zu essen und müssten nicht so teuer in der HO einkaufen.«

Im VEB LOWA Görlitz,19 [Bezirk] Dresden, sagte ein Arbeiter: »Die Außenministerkonferenz ist nun zu Ende. Für uns hat sie einen Dreck gebracht. Dulles ist sofort nach Köln gefahren und hat sich dort mit Adenauer getroffen. Adenauer wendet sich dann mit einer Botschaft an das deutsche Volk, die ja bestimmt auch im Rundfunk übertragen wird.«20 In ähnlicher Form diskutieren mehrere Arbeiter des Betriebes, besonders in der Abteilung Holzspritzerei.

Landwirtschaft

Hier ist die Tendenz, dass von der Konferenz nur noch wenig Notiz genommen wird, stärker verbreitet als in der Industrie. Neben wenigen umfangreichen Stimmungen, die den Erfolg der Konferenz richtig einschätzen, tauchen nach wie vor negative Meinungen auf (allerdings nicht zunehmend), die besonders von großbäuerlichen und von ihnen beeinflussten Elementen geschürt, jetzt aber mehr und mehr auf wirtschaftliches Gebiet gelenkt werden. Stimmen von Umsiedlern gegen die Oder-Neiße-Grenze tauchen weiterhin in geringem Umfang auf (besonders in den Bezirken Frankfurt/Oder und Potsdam).

Ein Kleinbauer aus Droßdorf, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig: »Nur an dem sturen Verhalten und den Vorschlägen der SU auf der Außenministerkonferenz hat es gelegen, dass keine Einigung erzielt wurde.«

Ein Bauer aus Mobendorf,21 [Kreis] Hainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die da oben sind sich alle schon einig. Es war früher schon so und es wird auch immer so bleiben. Es kann ja nichts herauskommen.«

Der Dorfnachtwächter aus Schwaneberg, [Kreis] Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg: »Solange das Abgabesoll besteht, werden die Bauern unterdrückt. Die Außenminister haben sich in Berlin nur gute Tage bereitet, gut gegessen und getrunken. An einer Wiedervereinigung Deutschlands sind alle vier nicht interessiert gewesen.«

Zwei Großbauern aus Droßdorf, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig: »Die Regierung soll erst einmal unser Soll herabsetzen und uns mehr Dünger und Futter für unser Vieh geben, dann werden wir auch über Politik reden können.«

Ein Bauer aus Triglitz, [Kreis] Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam: »Wir wollen die freie Wirtschaft und keinen Zwang. Dann wird sich auch jeder in der DDR wohlfühlen.«

Ein Bauer aus Gaumnitz,22 [Kreis] Döbeln, [Bezirk] Leipzig: »Die LPG bekommen viel mehr Düngemittel und brauchen weniger abzuliefern. Der Großbauer dagegen hat ein viel höheres Soll und wird weniger unterstützt. Meiner Ansicht nach ist das ungerecht, und das kann niemand für richtig heißen.«

Eine Landarbeiterin vom VEG Barsikow, [Kreis] Kyritz, [Bezirk] Potsdam: »Acht Jahre sind vergangen, und ich kann noch nicht in meine Heimat zurück. Hier kann ich mich nicht wohlfühlen, und was ist denn auch schon viel geschaffen worden.«

In einer Versammlung in Sternebeck,23 [Kreis] Bad Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, wurde zum Ausdruck gebracht, dass den Umsiedlern, wenn sie schon nicht in ihre alte Heimat zurückkönnten, zumindest eine Entschädigung gezahlt werden müsse.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Neben dem Teil der Stimmen, der die Außenministerkonferenz richtig einschätzt und auch klar die Aufgaben für uns Deutsche erkennt, steht der größte Teil der Bevölkerung enttäuscht und ratlos dem Ergebnis der Konferenz gegenüber. Diese Enttäuschung zeigt sich auch in dem starken Rückgang des Interesses am politischen Geschehen. Ein Teil, besonders die Mittelschichten, äußert die Meinung, dass schon von vornherein feststand, dass es zu keiner Einigung kommen wird, da alle vier Außenminister als Ziel nur die Ausbeutung Deutschlands hätten. Auch wird die Möglichkeit eines Krieges erwogen. Ein Tischlermeister aus Tannenbergsthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Alle vier Außenminister haben kein Interesse am deutschen Volk, sie hatten alle nur ein gemeinsames Ziel, die Ausbeutung Deutschlands.«

Ein Schuhmachermeister aus Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Es ginge doch nicht um uns Deutsche auf der Viererkonferenz, sondern darum, wer Deutschland bekommt, ob Amerika oder Russland.«

Ein Einwohner aus Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Vielleicht stehen wir vor einer Wende, denn jeder behauptet seine Position. Ein Krieg zwischen Ost- und Westeuropa kommt früher oder später.«

Ein Einwohner aus Wölkau, [Kreis] Delitzsch, [Bezirk] Leipzig: »Die Viererkonferenz ist nun zu Ende. Sie sind sich nicht einig geworden. Was soll denn nun noch werden? Es geht bestimmt einem neuen Kriege zu, dass sieht man doch.«

Weitere negative und feindliche Stimmen, welche in der übrigen Bevölkerung stärker als in der Industrie hervortreten, bringen die westlichen Argumente über »freie Wahlen« und »Pressefreiheit«. Ein CDU-Stadtrat aus Hohenstein-Ernstthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich würde gerne an Wahlen teilnehmen, wenn wieder eine Liste der verschiedenen Parteien aufgestellt wird. Ich halte Wahlen, wie sie bisher bei uns durchgeführt wurden nicht für demokratisch.«24

Ein Arzt aus Cottbus: »In Westdeutschland wird keine Kriegspropaganda geführt. Man spricht, dass die Adenauer-Wahlen unter Ami-Bajonetten stattgefunden haben.25 Aber man sagt nicht, dass die Volkswahlen im Oktober 1950 unter den Bajonetten der Russen stattfanden.«

Ein Angestellter aus Angermünde, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Ich kann wenig als eigene Meinung zur Außenministerkonferenz sagen, da ich nicht selbst dort gewesen bin. Unsere Zeitungen haben ja nur die Reden Molotows gebracht, aber nicht die Entgegnungen der westlichen Außenminister.«

Ein Angestellter – SED – bei der Stadtverwaltung Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich habe ja gleich zu Anfang der Konferenz gesagt, dass es zu keiner Einigung kommen würde. Nun sind sie genauso auseinandergegangen, wie sie gekommen sind. Man kann sich ja kein richtiges Bild machen, da wir einseitig informiert wurden. Man setzt uns nur vor, was Molotow gesagt hat.«

Organisierte Feindtätigkeit

Flugblattfunde in geringer Anzahl meldet der Bezirk Potsdam. Briefe mit Hetzschriften des »Streikkomitees der Arbeiter Mitteldeutschlands« wurden an einzelne Personen der Bezirke Potsdam, Cottbus, Dresden, Gera und Erfurt gesandt.

In Ribnitz, [Bezirk] Rostock, wurde ein Stalin-Bild von unbekannten Tätern mit Messerstichen beschädigt. In Rostock wurde eine an einem Balkon angebrachte Fahne heruntergerissen und gestohlen.

Unter Magdeburger Hausfrauen kursiert das Gerücht über eine bevorstehende Preissenkung.

In Heringsdorf, [Bezirk] Rostock, wird von den katholischen Schwestern des katholischen Schwesternhauses das Gerücht verbreitet, dass es in diesem Jahr noch einen Krieg gebe. Man habe beim Abriss einer Kirche in Ribnitz oder Umgebung die Weissage eines Mönches mit folgendem Wortlaut gefunden: »Wenn der Heilige Vater im Sterben liegt, bricht der Krieg aus und die katholische Kirche wird gewinnen.«26

In dem VEB Brauerei Waldschlösschen in Dresden fiel ein Kessel infolge nicht genügender Wasserzufuhr aus. Der Gesamtschaden beträgt 25 000 DM.

In der MTS Wiederoda, [Bezirk] Leipzig, wurden schon des Öfteren Diversionsakte festgestellt. So wurden z. B. zersetzende Gegenstände im Benzin vorgefunden oder altes Abwaschöl als Motorenöl bei Traktoren verwendet, sodass dadurch Ausfälle bei Traktoren entstanden.

In dem ehemaligen Schloss der Gemeinde Dannenwalde, [Bezirk] Potsdam, in welchem jetzt zehn werktätige Bauern mit ihren Familien wohnen, brach ein Brand aus, wobei der Dachstuhl völlig zerstört wurde.

Ein Auszug aus »Der neuen Zeitung«27 vom 20.2.1954, unter der Überschrift: »SSD beugt neuen Unruhen vor.« »Die Ostberliner SED bereitet seit gestern Maßnahmen vor, um Unruhen unter der Bevölkerung wegen des erfolglosen Verlaufes der Viermächtekonferenz sofort niederschlagen zu können …«28

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    22. Februar 1954]
    Analyse vom 1. bis 15. Februar 1954 [Nr. 3/54]

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    Informationsdienst Nr. 2134 zur Beurteilung der Situation