Zur Beurteilung der Situation
11. Juni 1954
Informationsdienst Nr. 2232 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen steht weiterhin die Volksbefragung.1 Der überwiegende Teil der Stimmen ist positiv. Darin bringt man zum Ausdruck, dass die Volksbefragung ein voller Erfolg der Friedenskräfte sein wird. Es tritt oft die Meinung auf, dass die Volksbefragung zwecklos sei bzw. nicht durchgeführt werden braucht, da doch alle ehrlichen Patrioten für den Frieden sind. Ein Kontrolleur aus der Maschinenfabrik Wurzen, [Bezirk] Leipzig: »Die Volksbefragung wird ein voller Erfolg für die ganzen Friedenskräfte werden. Wenn wir die Entwicklung der Friedensbewegung verfolgen, so steht fest, dass sie bis jetzt einen Krieg verhinderte. Damit uns das weiter gelingt, wird die Volksbefragung durchgeführt.«
In den Frauenabteilungen des Kunstseidenwerkes Premnitz, [Bezirk] Potsdam, verpflichteten sich mehrere Kolleginnen, aus Anlass der Volksbefragung der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft und dem DFD beizutreten. Ebenfalls wurden Verpflichtungen nach dem Beispiel der Hockaufbewegung2 eingegangen.
Vereinzelt wurden uns negative bzw. feindliche Stimmen bekannt. Ein Arbeiter aus dem Mitteldeutschen Maiswerk [Zerbst], [Bezirk] Magdeburg: »Ich bin für den Frieden, aber nicht für den Frieden, wie die Bolschewisten ihn wollen. Wenn ich meinen Stimmzettel abgebe, da können sie was erleben, was ich noch darunterschreibe.«
Unter den Jugendlichen, die am II. Deutschlandtreffen der FDJ in Berlin teilgenommen haben,3 ist eine gute Stimmung zu verzeichnen. Ein Arbeiter aus Stalinstadt, [Bezirk] Frankfurt: »Unsere Jungens sind völlig durcheinander. Sie möchten alle nocheinmal hinfahren. Man muss sich wundern, dass diesmal alles geklappt hat und niemand nach Westberlin gegangen ist.«
Anlässlich des II. Deutschlandtreffens wurden von den sieben Jugendbrigaden in der Schmierfabrik Brandenburg,4 [Bezirk] Potsdam, Sonderschichten durchgeführt, um die versäumte Arbeitszeit nachzuholen. In der Abteilung Expedition5 und Transport des gleichen Betriebes haben die Kollegen ihre Norm um 23 Prozent erhöht, wodurch für den Betrieb jährlich 8 000 DM eingespart werden.
Zur Aburteilung der Verschwörergruppe Dertinger6 wurden bis jetzt nur vereinzelt Stimmen bekannt. Diese bringen zum Ausdruck, dass das Urteil zu mild ist. Ein Kollege aus dem Glaswerk Schmiedefeld, [Bezirk] Suhl: »Das Urteil über die Verschwörergruppe Dertinger ist meines Erachtens viel zu gering. Solchen Verbrechern gehört der Kopf ab.«
Folgende verschiedenartige Diskussionen wurden uns über den 17. Juni bekannt: Bei einem Betriebsvergnügen im Stahlbau Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, soll sich ein Schweißer wie folgt geäußert haben: »In diesen Tagen wird es losgehen, denn bei Euch hier gibt es ja nicht einmal Bier« (wird noch überprüft).
Ein Brigadier aus dem »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg äußerte: »Es herrscht die gleiche Stimmung wie vor dem 17.6.1953.«
Ein Arbeiter vom RAW Jena, [Bezirk] Gera: »Die Angestellten in der Planungs- und Wirtschaftsführung haben keine Ahnung. Wir kommen dadurch genau wieder auf den Stand wie am 17.6.1953. Daran ist meiner Meinung nach, die Gewerkschaft schuld.«
Im Kraftwerk Plessa, [Bezirk] Cottbus, äußerte ein Arbeiter: »Wenn der 17. Juni [1953] nicht gekommen wäre, könnten wir heute kein Bier trinken, denn dann wären die Normen so hoch, dass wir nichts verdienen würden.«
Im VEB Kreide Saßnitz,7 [Bezirk] Rostock, äußerten sich einige Arbeiter wie folgt: »Die Regierung erlässt wieder einige Preissenkungen,8 weil sie glaubt, es käme wieder ein 17. Juni zustande. Die Regierung hat Angst vor dem 17. Juni.«
Missstimmungen wurden uns aus verschiedenen Betrieben bekannt, die ihre Ursachen in Lohn- und Normenfragen sowie Materialschwierigkeiten haben.
Im Zellstoffwerk Gröditz, [Bezirk] Dresden, bestehen verschiedene Ortsklassen.9 Viele Arbeiter bezeichnen dies als Sabotage des FDGB, da noch keine Regelung erfolgte. Ein Arbeiter sagte: »Es ist alles Schwindel. Wo bleiben denn unsere Vertreter vom FDGB. Keinen Pfennig Beitrag müssten wir mehr zahlen.«
Ein Zugabfertiger vom Bahnhof Weißenfels, [Bezirk] Gera, warnte vor einem neuen 17.6.[1953] und äußerte: »Ich selbst muss wie ein Hund leben, weil ich nur 256 DM verdiene und dies reicht nicht zum Leben für meine Familie.«
Seit April wurden im VEB Steingutwerk Torgau, [Bezirk] Leipzig, die Erfahrungsnormen in technisch begründete Arbeitsnormen10 umgewandelt. Obwohl die Kollegen erst alle einverstanden waren, beschwerte sich jetzt ein Kollege beim Präsidenten Wilhelm Pieck.11 Es besteht die Gefahr, dass eine gesamte Abteilung noch vor dem 17.6.[1954] ihre alten Normen zurückfordert.
Im VEB Braunkohlenwerk Profen, [Bezirk] Halle, ist eine Verärgerung unter den Kippern zu verzeichnen. Die Ursache dafür ist, dass zum Bergmannsfest12 nur 2 Prozent des Jahreseinkommens zur Auszahlung gelangen, wogegen es im vergangenen Jahr 4 Prozent waren.
Produktionsschwierigkeiten
Im VEB Waggonbau Görlitz fehlt es an Beschlagteilen, welche aus Rohguss bestehen. Diese werden von Hennigsdorf13 und anderen Werken in nur geringem Umfang geliefert.
Im VEB Leuchtenwerk Görlitz, [Bezirk] Dresden, bestehen Schwierigkeiten in der Belieferung von Fassungen. Trotz Rücksprache beim Ministerium für Maschinenbau erfolgte keine Lieferung. Der Halbjahresplan konnte dadurch nicht erfüllt werden.
Im VEB Druckguss Heidenau, [Bezirk] Dresden, musste am 10.6.1954 die Produktion von Erzeugnissen für Foto, Kino und optische Industrie eingestellt werden, da die benötigten Legierungsmaterialien fehlen. Das Lieferwerk ist das Elektrochemische Kombinat Bitterfeld, [Bezirk] Halle.
Im Funkwerk Dabendorf, [Bezirk] Potsdam, fehlt es an Einsatzwinkeln für den Bau der Loggerstation14 und den 25-Wattsender. Des Weiteren fehlen Spulen, Stöpsel und Schrauben.
Im VEB Feintuch [Finsterwalde], [Bezirk] Cottbus, ist zurzeit eine mangelhafte Belieferung mit Wolle zu verzeichnen. Die Betriebsleitung griff zur Selbsthilfe und verarbeitet Material, welches für das III. Quartal bestimmt ist. Eine Auflage für das IV. Quartal ist überhaupt nicht vorhanden.
Im VEB Schlepperwerk Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, kommt eine Unzufriedenheit der Arbeiter darin zum Ausdruck, weil sie nicht verstehen können, dass fertiggebaute Traktoren wegen eines fehlenden Teiles nicht verkauft werden können. Es sollen dort zzt. für 7 Millionen DM Traktoren bereitstehen, an denen nur ein Teil fehlt.
Im E-Werk Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, besteht die Gefahr, dass in der Stromerzeugung in nächster Zeit pro Stunde 1 500 kW verloren gehen, wenn der Betrieb nicht sofort eine neue Wanderkette geliefert bekommt.
Der Materialmangel auf der »Mathias-Thesen«-Werft [Wismar] hat sich erheblich verbessert, da fünf Waggons Walzmaterial eingetroffen sind. Trotz allem gibt es auf den Werften noch Missstimmungen, sodass es zu Äußerungen wie folgt kommt: »Ich siedle bald zu Adenauer15 über, es ist ja doch keine Aussicht mehr auf Arbeit.«
Produktionsstörungen
Im VEB Keramische Werke in Hermsdorf, [Bezirk] Gera, entstand eine Explosion, dabei erlitt ein Arbeiter Rippenbrüche und Gesichtsverletzungen. Die Ursachen werden noch untersucht.
Im VEB Beleuchtungsglaswerk Bischofswerda brach ein Ofen zusammen; dieser hätte bereits im November 1953 repariert werden müssen. Es fehlte aber an Schamottsteinen. Dadurch geht die Produktion um 40 Prozent zurück. Die Reparatur dauert voraussichtlich sechs bis sieben Wochen. Deshalb müssen 170 Arbeiter jetzt ihren gesetzlichen Urlaub nehmen.
Handel und Versorgung
In einigen Kreisen der Bezirke Halle, Erfurt, Dresden, Schwerin ist die Bereitstellung von HO-Fleischwaren noch immer ungenügend.
Am 4.12.1953 wurde Schmalz (aus Amerikaimporten) und ab Dezember 1953 bis Februar 1954 Schmalz (aus Chinaimporten) im Kühlhaus Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg, für die Staatsreserve eingelagert. (Lt. Untersuchungsbefund des Hygieneinstitutes Greifswald sind diese Mengen verdorben.)
Im Bezirk Neubrandenburg lagern in den Schlachthöfen insgesamt 150 t Fette. Da der Absatz sehr schleppend ist, besteht Verderbgefahr. Im Kreis Strasburg, [Bezirk] Neubrandenburg, lagern in den einzelnen Schlächtereibetrieben 4 t Schmalz – die 3-monatige Lagerungsfähigkeit ist bereits abgelaufen.
Bei der Molkerei »Naschkatz[e]« in Waren, [Bezirk] Neubrandenburg, lagern 25 t gezuckerte, kondensierte Vollmilch. (Dafür ist kein Absatz vorhanden.)
In der HO-Verkaufsstelle Gadebusch, [Bezirk] Schwerin, lagern ca. 800 Karton Pralinen, die verderbgefährdet sind. (Keine Stelle fühlt sich dafür verantwortlich.)
Die DHZ Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erhielt einen Waggon Kohlrabi aus Ungarn, der nicht in Kisten verpackt war und völlig verdorben ist.
Landwirtschaft
Gegenüber dem Vortage hat sich in der Stimmung der Landbevölkerung keine Veränderung ergeben. Die gering bekannt gewordenen Stimmen zur Volksbefragung sind überwiegend positiv und stammen meist aus den Kreisen des sozialistischen Sektors. Größtenteils wird in den Äußerungen zum Ausdruck gebracht, dass sie die Volksbefragung begrüßen und gern ihre Stimme für den Frieden gaben, da sie nicht wollen, dass es nochmals zu einem Kriege kommt. Ein Schmied der MTS Marksuhl, [Bezirk] Erfurt: »Es ist ja keiner für den Krieg, aber es [ist] doch richtig, eine Volksbefragung durchzuführen, damit zeigen wir, dass wir gegen EVG bzw. einen Krieg sind.«16
Teilweise wird die Bedeutung der Volksbefragung nicht erkannt, was aus folgender Äußerung hervorgeht. Ein Agronom aus Plennin,17 [Bezirk] Rostock: »Die ganze Befragung hat ja doch keinen Sinn, weil die Westmächte sich nicht danach richten und ihren Kopf durchsetzen.«
Vereinzelt wurden negative bzw. feindliche Stimmen bekannt. Ein Neubauer aus Hausdorf,18 [Bezirk] Erfurt: »Frieden wollen wir, aber nicht so einen, wie sie ihn hier wollen. Wir werden belogen und betrogen, wir Bauern werden doch immer nur die Dummen bleiben.«
Ein Neubauer aus Binnewitz, [Bezirk] Dresden: »Durch die Abstimmung werden wir Umsiedler niemals mehr unsere Heimat sehen. Die Volksbefragung kostet dem deutschen Volk nur einen Haufen Geld. Die da oben sollen nur einmal uns reden lassen. Die Partei macht wieder mal einen neuen Kurs.«19
Das geringe Interesse der Landbevölkerung gegenüber politischen Problemen zeigt verschiedentlich der Besuch von Versammlungen. Im Kreis Stadtroda, [Bezirk] Gera, wurden für den 9.6.1954 in allen Gemeinden Versammlungen angesetzt mit dem Thema: »Ein Jahr neuer Kurs«. Das Ergebnis war sehr schlecht. In einigen Ortschaften konnte die Versammlung überhaupt nicht durchgeführt werden, da keine Einwohner erschienen. In der Gemeinde Tröbnitz waren nur sechs Personen erschienen.
Zur Aburteilung der Verschwörergruppe Dertinger wurden nur ganz vereinzelt Stimmen bekannt, die meist zum Ausdruck brachten, dass die Bestrafung viel zu milde ist. Zum Beispiel erklärten die Kollegen vom VEG Perleberg, [Bezirk] Schwerin: »Diese Strafe ist viel zu gering. Diese Leute verdienen die Todesstrafe, wenn sie das deutsche Volk und die Regierung verraten.«
Im Mittelpunkt des Interesses stehen nach wie vor wirtschaftliche Belange, deshalb wird mehr über diese Fragen gesprochen. Bei einer Aussprache zwischen einem Neubauer aus Schleiz, [Bezirk] Gera, und einem Angestellten des Rates des Kreises brachte dieser Folgendes zum Ausdruck: »Ich kann nicht mehr existieren. Es geht immer mehr abwärts mit meiner Wirtschaft. Ich werde einen Bericht nach Berlin schreiben, wie es uns Bauern in der Klasse 5 bis 10 ha Land geht. Freie Spitzen20 kann ich nicht liefern und was wir zum Leben brauchen, müssen wir in der HO kaufen. Ich gehe lieber arbeiten, da habe ich nicht soviel Sorgen.«
Des Öfteren klagen im Bezirk Rostock Bauern, dass bei Ablieferung die Handelskontore die Gelder schlecht bezahlen [sic!]. So sagte z. B. ein Bauer aus Grammendorf: »Forderungen, die die Regierung an uns stellt, müssen sofort erfüllt werden. Aber die Forderungen, die wir an die Handelskontore stellen, und die schon seit Monaten zurückliegen, werden uns nicht gezahlt.«
Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt. Über die Preisherabsetzung äußerte eine Bäuerin aus Neuhof, [Bezirk] Schwerin: »Die Preisherabsetzung ist ja doch nur ein Lockmittel, damit die Bevölkerung bei der Volksbefragung ihre Stimme für den Frieden gibt.« Ein Bauer aus Plothen,21 [Bezirk] Gera: »… erst werden die Großbauern fertiggemacht, dann kommen die Kleinen dran.«
Kartoffelkäfer wurden in der Gemeinde Schleife, [Bezirk] Cottbus, auf den Feldern von zwei Wirtschaften, insgesamt 756 Stück, aufgefunden.
Übrige Bevölkerung
Nach wie vor ist die Bevölkerung an den politischen Tagesfragen wenig interessiert. Im Mittelpunkt dieser wenigen Diskussionen steht zurzeit die Volksbefragung, zu der in den meisten Fällen positiv Stellung genommen wird. Ein Kollege vom Forstwirtschaftsbetrieb Belzig diskutierte in einer Versammlung: »Wer für den Generalkriegsvertrag stimmt, muss doch ein Idiot sein, der keine Augen im Kopf hat und unsere Arbeit nach 1945 nicht sieht, oder nicht sehen will. Wir werden für die Vorschläge der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik stimmen.«
Ein Kreistagsabgeordneter, Mitglied der LDP, Lehrer, Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich erkenne die Volksbefragung als notwendig an. Sie ist deshalb notwendig, um der Bundesregierung den einheitlichen Willen unseres Volkes zu dokumentieren und besonders Adenauer zu zeigen, dass das ganze Volk die Bemühungen unserer Regierung unterstützt.«
Teilweise wurde festgestellt, dass die Aufklärung, wie z. B. in einigen Gemeinden der Bezirke Magdeburg und Frankfurt[/O.], mangelhaft ist und die Bevölkerung keine richtige Vorstellung von der Bedeutung der Volksbefragung hat. Dort sind die Diskussionen sehr gering oder meist negativ.
In den bürgerlichen Kreisen, insbesondere unter den selbstständigen Handwerkern und Geschäftsleuten, steht man der Volksbefragung oft ablehnend bzw. feindlich gegenüber wie folgende Beispiele es zeigen. Ein Fischer aus Thießow, [Bezirk] Rostock: »Die ganzen Diskussionen über die Volksbefragung kommen nur daher, weil es heißt, wer offen wählen will, soll es auch tun. Ich bin der Meinung, dass es eine geheime Wahl werden muss, oder hat die Regierung Angst davor?«
Ein Zahnarzt aus Stralsund sagte: »Die Arbeiter sowie die Intelligenz sind unzufrieden mit der Regierung. Sie wird nicht nur von den Arbeitern, sondern auch von der Intelligenz gehasst. Das beweist schon allein die Zahl der Republikflüchtigen. Die Volksbefragung gibt nie ein klares Bild, da ja keiner wagt, seine ehrliche Meinung zum Ausdruck zu bringen.«
Ein Schuhmachermeister und ein Schmiedemeister, beide Mitglieder der NDPD aus Lichte, [Bezirk] Suhl, äußerten sich zur Volksbefragung: »Die Regierung wird nach der Volksbefragung Maßnahmen einleiten, um sie als Volkswahlen hinzustellen.«
Vereinzelt wird festgestellt, dass Angehörige der Kirche bzw. Sekten die Bevölkerung zur Volksbefragung negativ beeinflussen. Eine Angehörige der Sekte »Zeugen Jehovas«22 aus der Gemeinde Malchow, Kreis Prenzlau, äußerte gegenüber Einwohnern der Gemeinde, dass niemand den breiten Weg mit unserer Regierung gehen solle, da dies der Weg zum Untergang ist. Niemand soll zur Volksbefragung gehen, da es eine Handlung gegen Gott ist.
Zur Verurteilung Dertingers wird in den bis jetzt bekannten Stimmen die Strafe im Allgemeinen als zu gering und dem Verbrechen nicht entsprechend aufgefasst, wie folgende Beispiele es zeigen. Ein Einwohner aus Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, erklärte: »Danach, was diese Clique für ein Ziel hatte, ist meiner Ansicht nach, das Urteil viel zu wenig. Dem Dertinger gehörte die Rübe runter. Unsere Regierung ist in diesem Falle zu human.«
Größere Teile der Belegschaft des VEB Nähmaschinenwerkes Altenburg, [Bezirk] Leipzig, bringen Folgendes zum Ausdruck: »Wenn der in der SU gewesen wäre, wäre er erschossen worden. Was sind schon 15 Jahre für den, das ist viel zu niedrig.«
Die Kollegen des Hauptpostamtes C 2 in Halle sprechen sich in der Diskussion entschieden gegen die niedrige Bestrafung Dertingers und seiner Handlanger aus. Sie sind der Meinung, dass dieses Urteil nicht zu vereinbaren ist mit den hohen Zuchthausstrafen bei geringen Vergehen anderer Personen: »… Das Urteil trägt nicht dazu bei, das Vertrauen der Bevölkerung zu unserer Justiz zu festigen.«
Ein Angestellter vom Rat des Kreises Liebenwerda,23 [Bezirk] Cottbus: »Man hat einen, der in seinem Suff eine Flasche Wein aus einem HO-Geschäft gestohlen hat, mit drei Jahren Gefängnis bestraft. Dertinger, der den ganzen Staatsapparat sabotierte, bestraft man nur mit 15 Jahren Zuchthaus. Hier sollte man sich ein Beispiel an der SU, an der Aburteilung Berijas24 nehmen.«
Über die Preisherabsetzung diskutierten im Bezirk Magdeburg in einigen Geschäften Hausfrauen, dass die Waren billiger werden sollten, die der Arbeiter für den täglichen Gebrauch benötigt, wie Butter Fleisch, Wurst und Textilien.
In der Stadt Apolda, [Bezirk] Erfurt, kursiert zzt. das Gerücht, dass in der HO sowjetischer Frischfisch lagert, der aus den östlichen Gewässern komme und nicht verkauft werden könne, weil er radioaktiv sei.25
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:26 Karl-Marx-Stadt 1 918, Neubrandenburg 1 500, Suhl 460, Wismutgebiet27 113, Dresden und Potsdam einige.
In tschechischer Schrift: Karl-Marx-Stadt 1 731, Dresden 325, Wismutgebiet 38.
NTS:28 Karl-Marx-Stadt, Dresden und Potsdam einige.
KgU:29 Karl-Marx-Stadt 36, Dresden und Gera einige.
UFJ:30 Potsdam einige.
»Freie Junge Welt«:31 Dresden einige.
Der größte Teil der Hetzschriften wurde mit Ballons eingeschleust und sichergestellt.
Im Bezirk Erfurt wurde ein Ballon mit der Aufschrift »Lindemanns Bauernstolz – Supermargarine« aufgefunden.32 In dem beiliegenden Flugblatt wird aufgefordert, das Unterteil des Flugblattes abzuschneiden und der Firma zuzusenden, die dann einen Würfel Margarine schicken will.
Antidemokratische Schmierereien und Handlungen
Im Stahl- und Walzwerk Riesa wurde im Rohrwerk eine Hetzparole gegen die Sowjetunion und gegen die DDR angeschmiert.
Im Kulturraum der Stadtverwaltung Templin, [Bezirk] Neubrandenburg, wurde auf zwei Tische geschmiert: »Hitler lebt«.
In der Nacht vom 9. zum 10.6.1954 wurden in Meißen, [Bezirk] Dresden, Plakate, die die Wahlbezirke und Abstimmungslokale zur Volksbefragung veröffentlichen, abgerissen bzw. mit Farbe durchkreuzt.
Im VEG Zella,33 [Bezirk] Dresden, wurde ein Schwein mit Giftweizen getötet. Weiterhin sind zwei Ferkel verendet, die anderen weisen Krankheitserscheinungen auf (Täter festgenommen).
Am 8.6.1954 wurden auf der MTS Radensleben, [Bezirk] Potsdam, in die Kühlschutzverkleidung eines Mähdreschers Löcher eingeschlagen. Der Kühler wurde nicht beschädigt.
Im Kreis Zittau, [Bezirk] Dresden, wird das Gerücht verbreitet, dass bis Ende Juni sämtliche Versammlungen außer denen der Nationalen Front verboten seien.
Postsendungen der KgU mit dem bekannten Inhalt über den 17. Juni [1953] wurden heute in drei Bezirken festgestellt.
Vermutliche Feindtätigkeit
In der Nacht vom 8. zum 9.6.1954 drangen unbekannte Täter in die städtischen Gewächshäuser in Magdeburg ein und schnitten fast sämtliche Gurkenpflanzen ab. Gurken wurden nicht entwendet. Schaden ca. 1 000 DM.
In Liebstadt, Ortsteil Hennersbach,34 [Bezirk] Dresden, wurden acht Kühe vermutlich durch Kalkarsen vergiftet. Nähere Ursachen unbekannt.
Der Trawler 20435 vom Fischkombinat Rostock verlor auf der Heimreise nach Warnemünde die Schiffsschraube. Da er erst aus der Reparatur kam, wird Feindtätigkeit vermutet.
In Wilthen, [Bezirk] Dresden, soll am 13.6.1954 im Anschluss an den Gottesdienst der »Friedhofsteil für Heimatlose« der Gemeinde übergeben werden; insbesondere sollen Umsiedler dazu erscheinen. Hierzu hat der Pfarrer aufgerufen.
Vom Schlachthof Görlitz wird mitgeteilt, dass seit ca. drei Wochen ein venolartiger36 Geruch im Kühlhaus sich bemerkbar macht, welcher sich auf das Fleisch überträgt und dieses nach dem Kochen ungenießbar macht. Es mussten schon mehrere Mengen Fleisch zurückgenommen werden.
In Westdeutschland, längs der Grenze plant der Gegner, am 16.6.1954 um 20.00 Uhr »Mahnfeuer und Sprechchöre« durchzuführen. Dies wird aus Eisenach gemeldet.37
Anlage 1 vom 11. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2232
Anhang über Missstimmung wegen Lohnfragen und Produktionsschwierigkeiten
Missstimmungen wurden uns aus verschiedenen Betrieben bekannt, die ihre Ursachen in Lohnfragen, Material- und Auftragsmangel sowie in schlechtem Material haben. Verärgerung herrscht unter den Kumpels des Schachtes 147 in Johanngeorgenstadt, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, weil zu wenige Ferienplätze vorhanden sind.
Von den Steigern des Thomas-Müntzer-Schachtes Sangerhausen wird zum Ausdruck gebracht, dass es schwierig ist, die Kumpels für die Arbeiten in der Förderung zu gewinnen. Man begründet die Ablehnung damit, dass sie mit der Bezahlung nach Lohngruppe 3 bei dieser Arbeit nicht einverstanden sind bzw. benachteiligt werden.
Im Bezirk Neubrandenburg treten bei den Eisenbahnern in fast jeder Versammlung Diskussionen über die Bezahlung auf. Man vertritt die Meinung, dass die Arbeiter in den VEB besser bezahlt werden. Diese Diskussion tritt hauptsächlich bei den Schrankenwärtern, Ladeschaffnern und Zugabfertigern auf. So lehnen z. B. mehrere Genossen des Lokbahnhofes Friedland ab, einen höheren Parteibeitrag als DM 1,50 zu zahlen. Sie äußerten weiter: »Ihr könnt das Parteibuch haben, wir wollen ja gar nicht mehr Mitglied der Partei sein.«
Materialschwierigkeiten
In der Schuhfabrik »Banner des Friedens« Weißenfels, [Bezirk] Halle, ergeben sich durch nicht terminmäßiges Liefern von Rindboxleder, weißem Schweinsleder sowie Ösen Stockungen im Produktionsablauf.
Im Industriewerk Ludwigsfelde, [Bezirk] Potsdam, bestehen Materialschwierigkeiten; besonders fehlen Ersatzteile für die Fertigung von Motorrollern sowie Spezialschrauben.
Beim Kreisbauhof Potsdam mangelt es an Kalk, da das Kalkwerk Rüdersdorf wegen Generalüberholung einiger Maschinen keinen Kalk liefert. Dadurch können die Maurerarbeiten in Pritzwalk nicht beendet werden.
Das Industriewerk Ludwigsfelde, [Bezirk] Potsdam, erhielt vom Stahlwerk Hennigsdorf Material für die Anfertigung von Kolben, wovon bei der Verarbeitung über 50 Prozent unbrauchbar war, da es falsch gehärtet war. Dadurch treten Stockungen in der Produktion auf.
Im VEB IKA Sonneberg,38 [Bezirk] Suhl, mangelt es an Automatenstahl, Messingblechen und Kartonagen. Weiterhin lehnen die VEB Porzellanwerke39 als Zubringerbetriebe Aufträge ab, da sie voll ausgelastet seien.
Die Volkswerft Stralsund hat noch immer einen Planrückstand von sieben Loggern,40 da es an Material mangelt. In der Peene-Werft Wolgast fehlen Produktionsgrundarbeiter. Dadurch kann die Werft den Planrückstand nicht aufholen.
Beim VEB Gubener Möbel, [Bezirk] Cottbus, bestehen Mängel bei der Produktion von Möbeln, und zwar werden bei der Lackierung Fehler in der Form von »Kraterbildungen« festgestellt. Dadurch musste der Betrieb bisher DM 2 000 Strafe bezahlen. Eine Nachbearbeitung der Möbel ergab regelmäßig dieselben Fehler. Es ist daher anzunehmen, dass die Möbel vor oder während der Streichung und Lackierung mit irgendwelchen Mitteln bespritzt werden. (Ein großer Teil der Belegschaft ist negativ eingestellt.)
Im Mercedes-Werk Zella-Mehlis,41 [Kreis] Suhl, bestehen finanzielle Schwierigkeiten. Das Werk soll bis zum 10.6.[1954] ca. 40 000 DM Steuerrückstände bezahlen, außerdem hat die Notenbank einen Kredit von 1 260 000 DM gekündigt. Dadurch besteht die Gefahr, dass kein Lohn gezahlt werden kann. Die gleiche Situation trat in diesem Betrieb im Vorjahre auf.
Anlage 2 vom 11. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2232
Landwirtschaft
Nachfolgend einige Beispiele über Mängel und Schwierigkeiten, die verschiedentlich im sozialistischen Sektor der Landwirtschaft in Erscheinung treten.
Von den MTS
Im Bezirk Leipzig treten bei einzelnen MTS Schwierigkeiten bei der Belieferung von Traktoren und Geräten auf. Zum Beispiel sah der Betriebsplan der MTS Zschölkau42 für das zweite Quartal eine Lieferung von fünf landwirtschaftlichen Maschinen vor und bis jetzt wurde erst eine geliefert. Dadurch ist die Einhaltung der abgeschlossenen Verträge nicht möglich.
In der MTS Nienburg, [Bezirk] Halle, stehen die Traktoristen auf dem Standpunkt, dass während der Reparaturkampagne Überstunden erforderlich sind, um alle Maschinen einsatzbereit zu machen, während der FDGB versucht, diese auf ein Mindestmaß zu beschränken.
Die MTS Panschwitz, [Bezirk] Dresden, forderte beim Bezirkskontor Material an und bekam den Bescheid, dass keins vorrätig ist. Nach persönlicher Überprüfung stellte der technische Leiter der MTS fest, dass doch welches vorhanden war.
In der MTS Holzendorf, [Bezirk] Schwerin, herrscht eine Gleichgültigkeit vor. Es werden gefasste Beschlüsse nicht realisiert. Das Reparaturprogramm wurde erst zu 50 Prozent erfüllt. Das Halbjahressoll in der Ackerwirtschaft wurde bei Weitem nicht erfüllt.
Von den LPG
Die LPG Gülitz, [Bezirk] Schwerin, erhält vom Rat des Kreises keine Unterstützung beim Bau von Schweinehütten (Lieferung von Bauholz).
In der LPG Göhren43 treten Zerfallerscheinungen auf. Es haben sich zwei Gruppen gebildet, die gegeneinander arbeiten (Unstimmigkeiten zwischen den Vorsitzenden und dem Parteisekretär).
In der LPG Frehne, [Bezirk] Potsdam, beklagt sich der Vorsitzende, dass sich die Kollegen der Abteilung IG Transport (FDGB) Berlin (haben die Patenschaft über die LPG) nicht mit ihm unterhalten, sondern immer an ein Mitglied halten (Sohn eines Großbauern), der negativ in Erscheinung tritt.
In der LPG Kuhlowitz,44 [Bezirk] Potsdam, haben am 9.6.1954 vier männliche Jugendliche ihre Arbeit nicht aufgenommen mit der Begründung, dass sie bei den jetzigen Zuständen in der LPG nicht mehr arbeiten werden. Sie gaben an, dass der Brigadier ihnen öfters gedroht hat, sie zu schlagen. (Sie nahmen später im angetrunkenen Zustand die Arbeit wieder auf.)
Die LPG Stieten, [Bezirk] Schwerin (vor drei Monaten gegründet) erhält keine Unterstützung vom Rat des Kreises. Es bestehen vor allem Schwierigkeiten bei der Durchführung der Buchführung und im Rechnungswesen. (Der verantwortliche Abteilungsleiter ist darüber informiert, unternimmt aber nichts.)
Die LPG Spornitz, [Bezirk] Schwerin, ist zum Typ III45 übergegangen. Damit sind Mitglieder der SED nicht einverstanden und wollen daraufhin austreten aus der LPG.
In der LPG Herrnburg (Grenzpolizei-Bereich Schönberg) gibt es finanzielle Schwierigkeiten. Voriges Jahr bestand die LPG aus zwölf Mitgliedern und es wurde ein Kredit von 5 000 DM aufgenommen. Jetzt zählt die LPG nur noch vier Mitglieder, diese sollen für die Vergleichung [sic!] dieser Summe verantwortlich sein. (Bisher hat sich noch niemand um diese Angelegenheit gekümmert, trotzdem der Rat des Kreises Grevesmühlen davon Kenntnis hat.)
In der LPG Mühlberg, [Bezirk] Cottbus, mangelt es an Futter. Die Tiere stehen in Sägespänen und fressen diese, sodass schon Tiere erkrankt sind.
Die Mitglieder der LPG Gulow,46 [Bezirk] Schwerin, beklagen sich über die mangelhafte Belieferung von Futter- und Düngemitteln sowie Gebrauchsgegenständen durch die BHG Putlitz.
Die LPG Diedrichshof, [Bezirk] Schwerin, benötigt Stickstoff, ebenfalls das VEG Wöten, Kreis Parchim.