Zur Beurteilung der Situation
13. April 1954
Informationsdienst Nr. 2181 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Allgemein ist ein Nachlassen der Diskussionen über den IV. Parteitag festzustellen.1 In den gering bekannt gewordenen Stimmen wird meist Zustimmung zur Beibehaltung der Lebensmittelkarten geäußert.2 Zu politischen Fragen wird nur sehr wenig, in der Mehrzahl von Mitgliedern unserer Partei und politisch aufgeklärten Menschen, Stellung genommen. Am stärksten tritt eine politische Uninteressiertheit unter der Intelligenz in Erscheinung. In der Filmfabrik Agfa-Wolfen, [Bezirk] Halle, brachten z. B. die Werktätigen zum Ausdruck, dass sie mit der Beibehaltung der Lebensmittelkarten einverstanden sind. Man sollte aber die Preise senken und so die Voraussetzung zur Aufhebung der Rationierung schaffen.
Ein Tischler aus dem VEB RFT Bad Blankenburg,3 [Bezirk] Gera: »Mit dem Inhalt der Rede des Genossen Grotewohl4 bin ich einverstanden.5 Die Funktionäre führen jedoch die Beschlüsse nicht richtig durch, was auch bei den Betriebsfunktionären der Fall ist. Die Partei und Regierung meint es gut, aber was nützt es, wenn es nicht richtig durchgeführt wird.«
Von einem kleinen Teil der Werktätigen wird Enttäuschung über die Ergebnisse des IV. Parteitages geäußert, da man eine Preissenkung, Erhöhung oder Abschaffung der Lebensmittelkarten erwartet hatte. So äußerte z. B. ein Reichsbahnangestellter aus Frankfurt/Oder: »Ich habe vom IV. Parteitag zumindest eine Preissenkung bzw. die Abschaffung der Lebensmittelkarten erwartet. Aber es ist ja kein Wunder, dass unsere Regierung dazu nicht in der Lage ist, wenn nicht einmal die Kartoffelversorgung gewährleistet ist.« Ein Schlosser aus dem VEB Pumpen- und Gebläsewerk Leipzig: »Bei uns in der DDR ist noch alles viel zu teuer. Nach acht Jahren Aufbau hatte ich tatsächlich vom IV. Parteitag eine Preissenkung erwartet.«
Negative und feindliche Stimmen zum IV. Parteitag wurden nur sehr wenige bekannt. Ein Arbeiter aus der Ziegelei Neuhof, [Bezirk] Rostock, äußerte: »Wenn auf dem IV. Parteitag der SED gesagt wird, dass die Werktätigen die Beibehaltung der Lebensmittelkarten fordern, so dürfte das wohl nicht ganz stimmen. Das glauben die ja selbst nicht. Das ist alles nur Verdummung.«
Im VEB Lowa Görlitz,6 [Bezirk] Dresden, traten in einzelnen Abteilungen negative Diskussionen auf. Ein Holzspritzer äußerte zum Beispiel: »Die sollen uns nichts vormachen, von wegen Waren über eine Milliarde über den Plan produzieren, um eine Preissenkung durchführen zu können.7 Ich dachte unsere Reparationen sind gestrichen, davon ließe sich etwas mehr machen, als so eine lumpige Preisherabsetzung zustande zu bringen.«8
Ein Genosse aus dem Bahnbetriebswerk Zittau, [Bezirk] Dresden (ehemaliges KPD-Mitglied): »Ich kann mich mit diesem Beschluss nicht einverstanden erklären. Die Regierung verspricht seit 1948 schon die Aufhebung der Lebensmittelkarten.9 Jetzt hat man aber wieder eine andere Stellung bezogen.«
Ein Ingenieur aus der Kalkproduktion der Chemischen Werke Buna: »Die SPD-Führer Braun,10 Severing,11 Ebert12 usw. waren begabte Menschen. Der größte Teil unserer Bevölkerung darbt heute immer noch. Ich bin der Meinung, dass man die Karten abschaffen und die Preise auf das Konsumniveau senken müsste. Das wäre dann Sozialismus. Auch mit dem Prinzip, jedem nach seinen Leistungen, bin ich nicht einverstanden. Jeder Mensch hat einen Anspruch, nach seinen Bedürfnissen zu leben.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Glashütte Schönborn, [Bezirk] Cottbus: »Die Wahlen, die bis jetzt stattgefunden haben, waren doch nicht geheim. Bei der letzten Wahl, hier im Ort, sollen sogar die Stimmzettel gekennzeichnet gewesen sein.«13
Diskussionen über die Note der Sowjetunion vom 31.5.1954 an die Westmächte werden weiterhin in nur geringem Umfang von Arbeitern geführt.14 Die meisten Stimmen sind positiv. Ein Arbeiter aus dem Kraftwerk Zschornewitz, [Bezirk] Halle: »Die Note ist nur zu begrüßen. Die Sowjetunion will in Deutschland das vermeiden, was die Amerikaner in Japan mit den Atombomben getan haben.«
Negative Stimmen wurden einzelne bekannt. Ein Schichtführer aus dem VEB Jena-Pharm, [Bezirk] Gera: »Das ist ein gerissener Schachzug der Sowjetunion, der aber viel zu durchsichtig ist.« Ein Angestellter aus dem VEB Energie-West Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg: »Was nützt es, wenn die Sowjetunion mit den imperialistischen Staaten wieder einen Pakt abschließt. Das ist doch keine Garantie zur Erhaltung des Friedens. Wir haben es schon bei dem Nicht-Angriffspakt der SU mit Hitlerdeutschland gesehen.«15
Persönliche, wirtschaftliche und betriebliche Fragen stehen weiterhin im Mittelpunkt der Diskussionen. Im Kesselhaus des VEB Kaliwerkes »Ernst Thälmann« in Merkers, [Bezirk] Suhl, wird z. B. über die Republikflucht des Chefingenieurs [Name 1] diskutiert. Die Kumpel vertraten die Meinung, dass man den Intelligenzlern nicht so viel Geld geben sollte, da diese gar nicht zur DDR stehen.
Unter den Eisenbahnern des Bahnhofes Züssow, [Bezirk] Rostock, wird stark darüber diskutiert, dass sich seit April 1953 kein Funktionär der IG Eisenbahn hat sehen lassen.
Im RAW Jena, [Bezirk] Gera, wird in der Dreherei von einzelnen Arbeitern darüber diskutiert, dass die Löhne zu niedrig und die Preise zu hoch wären. Ein Dreher sagte im Zusammenhang damit: »Die Stimmung ist genauso, wie vor dem 17. Juni [1953]. Der Werkdirektor traut sich auch nicht mehr in die Dreherei.«
Im VEB Zeiss Jena, [Bezirk] Gera, ist ein Teil der Kollegen darüber missgestimmt, dass zu wenige Ferienplätze vorhanden sind. Ein Konstrukteur sagte dazu: »Die Ferienplätze werden nur an die BGL-Mitglieder ausgegeben.«
Produktionsschwierigkeiten traten in mehreren Betrieben wegen Rohstoff- und Verpackungsmaterialmangel auf. Im VEB Thüringer Teppichwerk Olympia Münchenbernsdorf, [Kreis] Gera, arbeitet wegen Rohstoffmangel seit dem 5.4.1954 die Spinnerei (70 Arbeiter) nicht mehr und sind dadurch 80 Webstühle (160 Arbeiter) ausgefallen. Es besteht die Gefahr, dass der gesamte Betrieb (1 200 Beschäftigte) stillgelegt werden muss (lt. VP-Meldung).
Im VEB IKA Sonneberg II,16 [Bezirk] Suhl, mangelt es an Buntmetall, besonders Messingblechen, dadurch müssen die Arbeiter verschiedener Abteilungen mit nebensächlichen Arbeiten beschäftigt werden.
Im VEB Möbeltischlerei Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, fehlt Buchenholz. Dadurch können zzt. für ca. 18 000 DM halbfertige Möbel nicht fertiggestellt werden.
Materialknappheit besteht in einigen Textilbetrieben des Bezirkes Cottbus. Das wirkt sich besonders im VEB Gubener Wolle aus, wo dadurch die Voraussetzungen für einen reibungslosen Produktionslauf im 3. Quartal nicht geschaffen werden können.
Im VEB Ogema Grüneberg,17 [Bezirk] Potsdam, fehlen leere Flaschen sowie Verpackungsmaterial.
Im VEB Fischverarbeitungswerk Lauterbach, [Bezirk] Rostock, fehlen Konservenbüchsen. In diesem Jahr wurden noch keine geliefert. Hierüber wird unter den Kollegen heftig diskutiert.
Produktionsstörungen: Im VEB Blechwalzwerk Olbernhau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, musste die Produktion für zwölf Stunden eingestellt werden, da die alte Starkstromleitung zerrissen war. Schaden ca. 12 800 DM.
Im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld, [Bezirk] Halle, zerbrach durch inneren Überdruck die Chlorgasleitung. Dadurch wird die Produktion in der Zersetzung für mehrere Tage ausfallen (Tagesproduktion 125 Tonnen Ätznatron). Außerdem wirkt sich diese Störung auf die Produktion der Filmfabrik Wolfen hemmend aus.
Im Mineralölwerk Lützkendorf, [Bezirk] Halle, fiel eine Turbine der Kraftzentrale aus. Die Ursache war ein Gussfehler in der Hauptwelle. Produktionsausfall: ca. 15 Mio. Watt.
Handel und Versorgung
In mehreren Bezirken ergeben sich Schwierigkeiten in der Belieferung mit HO-Fleischwaren, da eine erhebliche Kürzung des Kontingents erfolgte. So z. B. sind in einzelnen Kreisen der Bezirke Frankfurt und Cottbus für den Monat April die HO-Fleischbestände aufgebraucht.
Landwirtschaft
Nach wie vor wird unter der Landbevölkerung wenig über politische Tagesfragen gesprochen, meist nur in den Kreisen der LPG, MTS und VEG. Über den IV. Parteitag wurden nur noch vereinzelt Stimmen bekannt, meist positiv. Vorwiegend wird über wirtschaftliche Belange gesprochen, die im Zusammenhang mit dem IV. Parteitag stehen. Ein Arbeiter der MTS Baruth, [Bezirk] Potsdam: »Vor dem Parteitag war ich der Meinung, dass die Lebensmittelkarten abgeschafft werden. Als der Genosse Walter Ulbricht18 aber in seinem Referat darauf hinwies und die Lage erklärte, wurde mir verständlich, dass die Karten noch nicht abgeschafft werden können.«
Der Brigadeleiter der MTS Ebersdorf, [Bezirk] Gera: »Die Beibehaltung der Lebensmittelkarten ist richtig, für die Werktätigen kein Nachteil, sondern bezüglich der Preise nur ein Vorteil.«
Noch immer steht im Mittelpunkt des Interesses die Frühjahrsbestellung, deshalb wird vorwiegend über wirtschaftliche Fragen gesprochen. Besonders wird über die unzureichende Düngemittelzuteilung geklagt. Der Vorsitzende der BHG in Großwig, [Bezirk] Leipzig: »Es ist alles Sch… hier, was in der Zeitung steht stimmt sowieso nicht. Es wird immer geschrieben von der Vorbereitung zur Frühjahrsbestellung, aber Düngemittel und Saatgut bringen sie nicht. Am besten man schmeißt alles weg und geht als Traktorist, da hat man keine Verantwortung.«
Eine Bäuerin aus Dommitzsch, [Bezirk] Leipzig: »Wir wollen die freie Marktwirtschaft, unsere Produkte frei verkaufen und diese anständig bezahlt haben. Warum steckt man der LPG den ganzen Kunstdünger zu und uns fehlt er, bloß damit die anderen Bauern kaputtgehen.«
In der Gemeinde Glaubnitz, [Bezirk] Dresden, fehlen 432 dz Saatkartoffeln, diese Mengen können nicht aus Ortsreserven aufgebracht werden.
Der BHG Sebnitz, [Bezirk] Dresden, wurden nur 40 Prozent Rotklee und 50 Prozent Weißklee geliefert, Grasarten und Runkelrübensamen fehlen ganz, sodass Schwierigkeiten bei der Zuteilung an die Bauern bestehen.
An Ersatzteilen mangelt es bei der MTS Stadtlengsfeld, [Bezirk] Suhl (Federstahl und Ersatzteile für Pflüge) und bei der MTS Sangerhausen, [Bezirk] Halle (Kurbelwellen und Kolben).
Die Volkswerft Stralsund, [Bezirk] Rostock, wirbt auf dem Lande verschiedentlich Arbeitskräfte, darüber sind die Bauern verärgert, weil ein Mangel an Arbeitskräften besteht. Dazu äußerte ein Großbauer aus Grimmen, [Bezirk] Rostock: »Die holen uns bewusst die Arbeitskräfte auf dem Lande weg, damit wir nicht mehr weiterkönnen und so gezwungen werden, die Betriebe aufzugeben. Dann bleibt uns entweder die LPG oder der Weg nach dem Westen.«
Negative bzw. feindliche Stimmen zu politischen Problemen wurden nur vereinzelt bekannt. Ein Mittelbauer aus Heinersbrück,19 [Bezirk] Cottbus: »Ich bin der Meinung, dass wir das Markensystem nicht mehr nötig haben und dass wir bei einer freien Wirtschaft, wie es im Westen ist, besser leben.«
Ein Großbauer aus Reuth, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es ist alles schön und gut, aber wenn, wie durch den RIAS kam, die freien Spitzen wegfallen sollen,20 dann muss man sich jetzt dazu halten um sich etwas Geld zu machen, denn dann ist es vorbei.«
Ein Arbeiter der MTS Behrendorf, [Bezirk] Magdeburg: »Es macht doch heutzutage niemand mehr etwas, denn der neue Kurs ist ja nur eine Verblendung der Arbeiter.21 Der erhöhte Preis der Marmelade wurde wohl durch den neuen Kurs wieder herabgesetzt, aber durch angebliche Verbesserung der Qualität wieder erhöht.«
Übrige Bevölkerung
Im Mittelpunkt der Diskussion stehen wirtschaftliche Fragen (Preissenkung). Die Beibehaltung der Lebensmittelkarten wird größtenteils von der übrigen Bevölkerung begrüßt. Jedoch erwartet ein Teil [da]mit Erhöhung der Rationen. Es wurden auch von einem geringen Teil der übrigen Bevölkerung Stimmen bekannt, die eine Enttäuschung zum Ausdruck brachten. Eine Hausfrau aus Neustrelitz, [Bezirk] Neubrandenburg, äußerte: »Es ist besser, die Lebensmittelkarten vorläufig beizubehalten, da die Preise der HO noch zu hoch sind, um sich alles in der HO kaufen zu können.«
Ein Einwohner aus Sonneberg, [Bezirk] Suhl, äußerte: »Wir haben nicht erwartet, dass die Lebensmittelkarten wegfallen, jedoch rechneten wir mit einer Erhöhung der Rationen. Die Bevölkerung ist der Meinung, wenn die Lebensmittelkarten wegfallen, müssten die Preise erhöht werden. Das wäre ein Nachteil und sie könnten nicht mehr so viel kaufen, wie sie auf Karten erhalten.«
Eine Hausfrau aus Sebnitz, [Bezirk] Dresden: »Die Freude, eine HO-Preissenkung, können wir uns nun aus dem Kopf schlagen. Feiertage machen sich nur wieder die besser Bezahlten.« Eine Hausfrau aus Zossen, [Bezirk] Potsdam: »Ich hatte vom Parteitag mindestens eine Preissenkung erwartet sowie die Abschaffung der Lebensmittelkarten im Herbst dieses Jahres. Leider bin ich in diesem Fall enttäuscht worden, vom Jahr der großen Initiative ist nach meiner Meinung nach nicht viel zu merken.«22
Die Diskussionen über politische Probleme des IV. Parteitages sind nach wie vor gering. Die uns bekannt gewordenen Stimmen sind positiv. Ein Angestellter beim Rat der Stadt Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte: »Der Parteitag zeigte wieder Wege auf, die der Entspannung, Verständigung und Zusammenarbeit dienen werden. Aber der Westen lehnt doch nur wieder ab. Ich finde den Vorschlag des Austausches von Arbeiterdelegationen gut, denn ich habe bei meinem Aufenthalt immer wieder festgestellt, dass hier nur eigene Überzeugung wirken kann. Die Arbeiter sind gegen die Politik Adenauers,23 aber auch nicht für die Lebensweise des Ostens. Eine Begründung können sie nicht geben, aber die Lügen und Verleumdungen des RIAS spielen dabei eine Rolle. Daher hier an Ort und Stelle überzeugt und die Wahrheit selbst mit nach drüben nehmen.«
Zur Note der Sowjetunion vom 31.3.1954 an die Westmächte wird wenig diskutiert, bekannt gewordene Stimmen sind positiv. Eine Hausfrau aus Leipzig äußerte: »Zu dieser Note müssen entweder die Imperialisten zusagen oder sie entlarven sich vor der ganzen Welt aufs Neue.« Ein Angestellter (Mitglied der CDU) aus Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Die Stellungnahme der Sowjetunion zum Nord-Atlantik-Pakt24 ist ein sehr kluger politischer Schachzug, der entweder die Westmächte zwingt, von ihrer Politik abzugehen oder sie stellen sich vor der gesamten Öffentlichkeit als Kriegstreiber bloß.«
Negative und feindliche Stimmen wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Oberbuchhalter aus Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg, äußerte in einer Diskussion zum 8. Mai25 wie folgt: »Ja, die haben uns schon befreit, aber von Speck und Butter.« Ein ehemaliger Umsiedler aus Beeskow, [Bezirk] Frankfurt: »Es wäre besser gewesen, sie hätten am IV. Parteitag beschlossen, dass wir wieder heim können. Dann käme es wenigstens zu keinem Krieg wegen dieser Sache.«
Einzelbeispiele
Aus dem Bezirk Potsdam wird berichtet, dass in Neuruppin eine gewisse Unzufriedenheit über die Rundfunkstörungen besteht, da im Kreis Neuruppin nur beim Deutschlandsender ein guter Empfang besteht, denn Berlin I kann nicht empfangen werden und bei Berlin bestehen Störungen.26 Dazu sagt ein Einwohner aus Neuruppin Folgendes: »Ein Störsender nützt ja doch nichts. Wer den RIAS hören will, hört ihn ja doch.27 Wir haben früher auch Moskau gehört,28 obwohl es verboten war.«
Im Bezirk Halle bekam der ehemalige Bürgermeister aus dem Kreis Hohenmölsen einen Brief von einem vier Jahre arbeitslosen Republikflüchtigen. Dieser bat ihn, eine Bescheinigung auszustellen, die beinhalten sollte, dass er aus politischen Gründen die DDR verlassen hat. Dann würde er Arbeit bekommen.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriften des SPD-Ostbüros:29 Halle 150, Potsdam 2 150, Magdeburg 7 100, Gera 2 500, Dresden 25. Inhalt: Hetze gegen Regierung der DDR, »freie Wahlen«.
Hetzschriften der NTS:30 Halle 106, Potsdam 1 075, Cottbus 5 500, Karl-Marx-Stadt 5 112, Dresden 32. Inhalt: Hetze gegen die SU und DDR, Aufforderung zum Desertieren.
Hetzschriften der KgU:31 Halle 52, Potsdam 360, Dresden 10 000, Cottbus 3 000, Karl-Marx-Stadt einige. Inhalt: Hetze gegen die Regierung der DDR und gegen die SED.
Hetzschriften des CDU-Ostbüros: Potsdam 4 075. Inhalt: »Pankows Terrorregime wird stürzen!«32
Hetzschriften des Zentralkomitees antibolschewistischer Soldaten in der KVP: Potsdam 70.
Im Bezirk Halle wurden Drohbriefe an Mitarbeiter des SfS gesandt. Überschrift: »Deine Zugehörigkeit zum SfS ist bekannt.«
Hetzbriefe wurden im Bezirk Erfurt mehrere sichergestellt. Inhalt: Hetze gegen Konsum und gegen Genossen Molotow.33
Vermutliche Feindtätigkeit
In der Tagebaubergstadt Streckau,34 [Bezirk] Halle, wurde zwischen zwei Dieselloks eine Eierhandgranate gefunden.
In Treuenbrietzen, [Bezirk] Potsdam, wurden vier Minuten vor Durchfahrt der Friedensfahrt Leipzig – Berlin,35 auf der Straße zwei Reifentöter und eine neue Reißzwecke gefunden.
Am 12.4.1954 brach in dem VEB Zuckerwarenfabrik Görlitz36 an der Kakaomahlmaschine ein Brand aus. Der Schaden beträgt etwa 5 000 DM.
In der MTS Panschwitz, [Bezirk] Dresden, wurde beim Auffüllen von Kraftstoff festgestellt, dass sich im Kraftstoffbehälter der MTS ca. 150 Liter Wasser befanden.
Einschätzung der Situation
Die Verbreitung feindlicher Flugblätter wurde verstärkt fortgesetzt. Sonst sind keine wesentlichen Veränderungen festzustellen.
Anlage 1 vom 13. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2181
Internationaler Befreiungstag 1954 – Buchenwaldtreffen Weimar37
Die Gesamtorganisation anlässlich des Treffens der Widerstandskämpfer in Weimar – Buchwald war im Allgemeinen bis auf einige kleinere Mängel als gut zu bezeichnen. Die Gestaltung der Feierstunde auf dem Appellplatz des Lagers Buchenwald entsprach der Bedeutung dieses Treffens.
Der Beginn der Feierstunde, welche am 11.4.1954 auf 11.00 Uhr festgesetzt war, konnte erst 11.45 Uhr beginnen, da eine Reihe von Delegationen nicht pünktlich erschienen. Dadurch entstand bei einem kleinen Teil Unzufriedenheit, die sich jedoch wieder legte, als die Feierstunde begann.
Während der Feierstunde entstand eine Störung der Lautsprecheranlage, als die Ansprachen der Delegationen erfolgten. Die gesamte Lautsprecheranlage setzte insgesamt dreimal aus, sodass nur die in unmittelbarer Nähe Stehenden den Ausführungen folgen konnten. Die Stimmung der Versammelten wurde dadurch nicht beeinträchtigt.
Der An- und Abmarsch verlief im Großen und Ganzen geordnet und planmäßig. Bis auf ein am Schluss entstehendes Durcheinander, welches auf die zu zeitige Aufhebung der Absperrmaßnahmen zurückzuführen war.
Die Stimmung der Bevölkerung und der Delegierten war im Allgemeinen gut. Besonders die Delegierten aus den kapitalistischen Ländern waren erstaunt über die guten Verhältnisse, die sie in der DDR vorfanden. An Vergleichen mit der Lage in ihren Heimatländern zeigten sie auf, dass ihre Presse, außer der der Kommunistischen Partei sowie der Rundfunk die Wahrheit über die DDR entstellen.
Eine Delegierte aus Kolding, Dänemark: »Die Zeitungen in Dänemark berichten, dass die Bevölkerung in der DDR keine Zeit zu Vergnügungen hat und dass sie in Arbeitslagern zusammengefasst würden und sie von russischen Soldaten mit Gewehren zur Arbeit angetrieben werden. Ich wundere mich darüber, dass es in der DDR, außer der SED, noch andere Parteien gibt, da man uns sagt, es gibt nur die SED und jeder Bürger wird gezwungen, dieser Partei beizutreten. Ebenso bin ich erstaunt über die Reichhaltigkeit der Speisen und Getränke und über dessen [sic!] gute Qualität. In unseren Zeitungen steht, dass die Bevölkerung der DDR schrecklich viel Hunger hat und sich niemals sattessen kann.«
Ein Delegierter aus Österreich: »Ich war in der Landesparteischule der CDU in Weimar, um mich von der Freiheit des Glaubens hier zu überzeugen. Dabei habe ich erkannt, dass die Propaganda in den österreichischen Zeitungen nicht der Wahrheit entspricht. Ich wünschte, es könnte jeder meiner Landsleute sich von dieser Freiheit hier überzeugen.«
Ein Delegierter aus Holland: »Ich habe einen guten Eindruck von der DDR erhalten. Meine Regierung hat nur für drei Tage die Ausreise genehmigt und 60 Delegierte sind für Holland zu wenig, es hätten mindestens müssen 1 000 sein [sic!], damit sie sich von dem genialen Aufbau in der DDR überzeugen konnten.«
Ein Delegierter aus Kopenhagen, Dänemark, welcher Wachtmeister der Ordnungspolizei ist und zzt. an einem Polizeistudium teilnimmt und mit der dänischen Delegation an dem Internationalen Befreiungskampf teilnahm, ohne dass seine vorgesetzte Dienststelle davon Kenntnis hatte, zeigt großes Interesse für unsere Volkspolizei. Im Allgemeinen stellte er jedoch keine Fragen in Bezug auf Stärke usw. Desgleichen interessierte er sich stark für die Mietpreise in der DDR. Er äußerte dazu: »Ich muss ein Viertel meines Monatsgehaltes aufbringen. Ebenfalls bekomme ich im Krankheitsfalle von den Krankenkassen keine Familienunterstützung. Die sozialen Einrichtungen in der DDR jedoch sind dagegen sehr gut und die DDR hat seit 1951 eine günstige Entwicklung durchgemacht. Dies ist eine gute Propaganda für die DDR.«
Ein Delegierter aus Frankreich: »Die Deutschen haben sich, soweit ich sie hier kennengelernt habe, sehr geändert (gegenüber der Zeit des Faschismus). Nur kann ich der Entwicklung in der DDR nicht ganz zustimmen. Wir kommen aus einem fortschrittlichen kapitalistischen Lande und unsere Bevölkerung ist revolutionärer. Meiner Meinung nach setzen sich hier die Menschen nicht mit dem Feuer der Begeisterung für ihre Idee ein, sondern sind zurückhaltend. Hoffentlich werden endlich Handelsbeziehungen zwischen Frankreich und der DDR aufgenommen, da käme eine engere Verbindung zustande.«
Ein Delegierter aus Frankfurt/a. M.: »Ich verdiene nur 168 DM brutto. Davon erhalte ich 158 DM ausgezahlt und muss 86,00 DM für eine Zweieinhalbzimmerwohnung bezahlen. Fleisch gibt es nur in der Woche einmal ein Stückchen. Bei uns wird immer gesagt, dass in der Ostzone alle Hunger haben und an der Grenze sei alles verwildert. Ich habe mich jedoch davon überzeugt, dass alles nicht stimmt. Heute hat mein 13-jähriger Sohn zu mir gesagt, dass er heute zum ersten Mal richtig Wurst gegessen hat und dass er es morgen an den Lehrer und seine Freunde in der Schule schreiben will, wie die Menschen in der DDR leben und dass bei uns alles Schwindel ist.«
Fünf Delegierte aus Düsseldorf freuten sich über die herzliche Begrüßung und Aufnahme in der DDR. Sie äußerten, dass sie den Auftrag haben, sich alles genau anzusehen, damit sie drüben berichten könnten davon [sic!]. Ihre Feststellung sei, dass die Lebensmittel in der DDR billiger sind als drüben.
Zum Besuch des Filmes »Begegnung an der Elbe«38 in den Stern-Lichtspielen Weimar äußerten westdeutsche Freunde, dass sie endlich einmal einen ordentlichen Film gesehen hätten, ohne nackte Weiber, wie es drüben bei ihnen an der Tagesordnung wäre. Dieser Film fand bei ihnen großen Anklang und am Abschluss des Filmes wurde Beifall gespendet.
Am 9.4.1954 gegen Mittag, als eine Gruppe von 80 Volkspolizisten feldmarschmäßig zu einer Übung aus der Zentralschule ausmarschierte, die in unmittelbarer Nähe des Org.-büros des Internationalen Befreiungstages in Weimar liegt, äußerten sich Mitglieder einer westlichen Delegation, die sich dort befanden: »Seht doch hin, dass ist genauso wie bei uns. Bei uns ist es die Wehrmacht und hier ist es die Polizei.«
Feindtätigkeit
In einer provisorisch errichteten Fernsprechzelle wurde ein Flugblatt »Das Pankow-Regime stürzt« aufgefunden.
Vermutliche Feindtätigkeit
Ein Kellner der HO-Gaststätte »Zentra« in Weimar äußerte zu westdeutschen Delegationsteilnehmern: »Die machen hier wieder einmal einen Rummel, das ist gar nicht feierlich. Das viele Geld, welches hier wieder draufgeht, obwohl die arme Ostzone Geldmangel hat. Für so etwas ist Geld da. Euch Delegierten gibt man das Gute, während die Arbeiter ohne Butter in den meisten Tagen der Woche sind. Gebt mir bitte Eure nicht aufgebrauchten eigenen Lebensmittel, weil ich zu Hause drei Kinder habe, die ich kaum satt bekomme.«
Ein Kellner des FDGB-Hauses in Weimar: »In der DDR hungert die Bevölkerung. Gebt mir bitte Pakete für meine hungernden Kinder.«
Besondere Vorkommnisse
Am Südhang des Ettersberges brach ein größerer Grasnarbenbrand aus. Er wurde jedoch in kurzer Zeit gelöscht.
Am 4. Tag des Buchenwaldtreffens 1954 in Weimar ist es in der Stadt schon wesentlich ruhiger geworden, weil nun bereits eine Anzahl Delegationen, insbesondere die westdeutschen Freunde, abgereist sind. Im Laufe des heutigen Nachmittages und abends werden die restlichen ausländischen Delegationen ihre Heimreise antreten. Sie werden in den Städten Erfurt, Weimar und Jena von den Oberbürgermeistern verabschiedet.
Während des Verlaufes des Internationalen Treffens ist es zu keinerlei Störungen und Zwischenfällen gekommen. Von einigen kleineren Mängeln, die hier und da auftreten, abgesehen, brachten alle ausländischen Delegationen ihren Dank und ihre volle Anerkennung über die gesamte Betreuung zum Ausdruck.
Einen gewissen Höhepunkt der Veranstaltungen stellten die Darbietungen eines sowjetischen Ensembles in der Weimarhalle am gestrigen Abend dar. Der Saal war restlos gefüllt mit deutschen und ausländischen Delegationsteilnehmern. Ein reichhaltiges39 Programm wurde den Besuchern geboten. Die Begeisterung wuchs von Darbietung zu Darbietung und als zum Schluss das Weltjugendlied40 gemeinsam von allen Besuchern in allen Sprachen gesungen wurde und man sich die Hände reichte, wollte der Applaus kein Ende nehmen. In anschließenden Diskussionen kam zum Ausdruck, dass man gegen diese Menschen (gemeint sind die sowjetischen Freunde), die die reine Kultur vertreten und keine Hetzkultur kennen, die bewiesen hatten, dass sie die wirklichen Freunde sind, niemals eine Waffe erheben wird.
Immer wieder wurde festgestellt, dass die Freunde aus Westdeutschland ständig Vergleiche ziehen, zwischen dem Leben der Arbeiter in der Deutschen Demokratischen Republik und den Arbeitern in Westdeutschland. Sie wundern und freuen sich durchweg über die Fortschritte bei uns und können nicht verstehen, dass es in der DDR noch Arbeiter gibt, die das nicht sehen wollen. In unzähligen Fällen treten sie negativen Diskussionen, die Arbeiter aus der DDR führen, energisch entgegen und beschämen oft diese negativen Elemente. Die ausländischen Delegationsmitglieder traten negativen Elementen aus unserer Bevölkerung ebenso entgegen wie die westdeutschen Freunde. Dafür ein charakteristisches Beispiel: Eine HO-Verkäuferin aus der HO-Verkaufsstelle des Hotels »Elephant« in Weimar äußerte sich dänischen und westdeutschen Freunden gegenüber folgendermaßen: »Ich hatte eine Wohnung, musste sie aber für die VP räumen. Ihr habt schöne Kleider an, so etwas gibt es bei uns hier nicht.« Darauf antwortete ihr ein Däne, dass sie eine schlechte Verkäuferin der HO wäre.
Eine ehemalige Schauspielerin vom Nationaltheater Weimar sagte während einer Unterhaltung zu dem Dänen [Vorname Name 2], dass es ein Verbrechen wäre, dass man Dänen für 100 dänische Kronen nur 32,00 DM (Ost) gibt, während sie in Westdeutschland 60,00 DM (West) dafür bekommen. Auf Einwände des dänischen Delegierten, in der er ihre Argumente widerlegte, erklärte sie, dass er aufgrund seiner Ideologie sehr beeinflusst sei und es schade wäre, mit ihm darüber zu diskutieren. Einen weiteren dänischen Delegierten, der am gegenüberliegenden Tisch saß, bezeichnete sie als Spitzel.
Dass aus Westdeutschland aber auch Personen zur Buchenwaldfeier nach Weimar gekommen sind, die entweder die Entwicklung bei uns nicht richtig erkennen bzw. von der westlichen Propaganda stark beeinflusst sind, bewiesen die Äußerungen eines Schriftstellers. Er äußerte sich sinngemäß über den 17.6.1953 wie folgt: »Der 17. Juni hat zwar für die Ostzonenbewohner sehr viel Gutes eingebracht, aber demgegenüber hat es die außenpolitische Lage vor allem in Westdeutschland gegenüber sehr viel geschadet. Glaubt mir, wir als Schriftsteller müssen die Dinge immer so sehen, wie sie in Wirklichkeit sind und wenn die Westpressen schreiben, die Ostzone hat sich ihren Unterdrückungen gegenüber erhoben, so war es auch am 17.6.1953 der Fall.« Zu den Fragen der VP ist er folgender Meinung: »Wir wollen keinen Militarismus, wir wollen eine freie Welt. Aber wenn ich sehe, wie viel VP es hier gibt, dann kann ich auch verstehen, wenn sich der Westen auch eine Armee aufbaut.«
Wohl alle westdeutschen wie auch ausländischen Delegationsmitglieder brachten zum Ausdruck, dass das, was ihnen in ihrer Heimat über die Deutsche Demokratischen Republik in Presse und Rundfunk mitgeteilt würde, nur Schwindel und Hetze wäre. Davon haben sie sich jetzt persönlich überzeugt und sie gelobten, in ihrer Heimat diesem Schwindel und der Hetze entgegenzutreten und ihren Menschen die wahren Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik auf[zu]zeigen.
Anlage 2 (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2181
Hetzschriften der KgU an die Einwohner von Stralsund
Die KgU verschickt Briefe an die Bevölkerung in Stralsund, in denen sie versucht, durch »Vergleiche« über den scheinbaren »Wohlstand« in Westdeutschland mit den Stromsperren, der 60-Watt-Bewegung41 und der Rationierung einiger Lebensmittel in der DDR die Bevölkerung auf den kapitalistischen Westen zu orientieren. Damit will die KgU erreichen, dass die Bevölkerung für die feindliche Propaganda reif gemacht wird, ihr Glauben schenkt und letzten Endes selbst dazu beiträgt, die Feinde der DDR zu unterstützen.
Durch Verleumdung des Staatssekretariates für Staatssicherheit, welches mit der Gestapo verglichen wird und durch Bedrohung fortschrittlicher Bürger, über die es heißt: »dass das vereinte Deutschland von ihnen Rechenschaft fordern wird und dass ihre Untaten laufend registriert werden«, will die KgU verhindern, dass die Werktätigen weiterhin die Sicherheitsorgane der DDR in ihrem Kampf gegen die von den imperialistischen Zentralen organisierten Verbrecher unterstützen.
Der Hetzschrift ist ein Auszug aus dem Bonner »Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit« vom 14.6.1951, § 1 Ziffer 1–5 beigefügt,42 womit die fortschrittlichen Kräfte, welche die Sicherheitsorgane unterstützen, eingeschüchtert werden sollen.