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Zur Beurteilung der Situation

12. April 1954
Informationsdienst Nr. 2180 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Die betrieblichen und wirtschaftlichen Fragen stehen weiterhin im Mittelpunkt der Diskussionen bei den Werktätigen. Die Diskussionen über politische Fragen des IV. Parteitages sind verhältnismäßig gering.1 Im Allgemeinen zeigt sich ein Rückgang der Stimmen. Die politischen Diskussionen werden in der Mehrzahl von Genossen unserer Partei bzw. von fortschrittlichen Kräften geführt. Bei einem Teil der Arbeiter, besonders bei Angestellten und Intelligenzlern, besteht eine abwartende Haltung gegenüber politischen Problemen, bzw. man zeigt sich uninteressiert und gleichgültig. Ein Arbeiter aus dem VEB Perlonzwirnerei Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (SED): »Was will man sich schon über Politik unterhalten, es ist ja sowieso zwecklos, was da so ausgekäst wird.« Ein Bauarbeiter aus Frankfurt/Oder: »Warum so viel reden, man macht mit uns ja doch, was die da oben wollen. Mir ist egal, unter welcher Regierung ich lebe. Mir ist es gleich, ob der Staat oder [ein] einzelner Kapitalist uns ausbeutet.«

Ein Teil der Arbeiter in den Betrieben spricht über wirtschaftliche Fragen, die in Verbindung mit dem IV. Parteitag stehen: Die Mehrzahl der bekannt gewordenen Stimmen befassen sich mit dem Rechenschaftsbericht2 des Genossen W. Ulbricht.3 Sie sind überwiegend positiv und es wird darin zum größten Teil die vorläufige Beibehaltung der Lebensmittelkarten für richtig befunden. Vereinzelt werden Diskussionen über die Rede des Genossen Otto Buchwitz,4 über den Bericht des Genossen Matern,5 über die Volkskammerwahlen im Herbst 19546 sowie über das Parteistatut geführt.7 Eine Arbeiterin vom VEB Waggonbau Görlitz, [Bezirk] Dresden (parteilos): »Es ist gut und richtig, dass die Lebensmittelkarten noch nicht wegfallen. Es wäre aber auch von Vorteil, wenn die Fleischmarken voll beliefert würden.« Ein Arbeiter vom VEB Nema in Netzschkau,8 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Rede von Otto Buchwitz hat mir am besten gefallen, da er in einer einfachen und volkstümlichen Art über die Vereinigung Deutschlands gesprochen hat. Die meisten Arbeiter wissen mit wissenschaftlichen Ausdrücken nichts anzufangen, deshalb haben die Worte des Genossen Buchwitz auch besonderen Anklang gefunden.«

Ein Arbeiter von der DHZ Kohle Karl-Marx-Stadt: »Ich habe das Referat des Genossen Matern gelesen, kann aber nicht verstehen, dass in Betrieben Konzentrationen von Offizieren der ehemaligen Wehrmacht bestanden haben, die sich in die Partei einschleichen und hohe wichtige Funktionen bekleiden konnten.9 So frage ich mich nur, wie es möglich war, dass solche Leute in verantwortliche Funktionen in unseren volkseigenen Betrieben eingestellt werden konnten.«

Eine Arbeiterin aus dem VEB Papierfabrik Grimma,10 [Bezirk] Leipzig: »Wir begrüßen, dass im Herbst Wahlen durchgeführt werden, dadurch wird bestimmt erreicht, dass den Kriegstreibern in Deutschland noch mehr Boden entzogen wird.«

Ein Arbeiter vom VEB Teerverarbeitungswerk Rositz, [Kreis] Altenburg, [Bezirk] Leipzig: »Der IV. Parteitag und das neue Statut unserer Partei wird jetzt manchen Genossen aufzeigen, was es heißt, Genosse unserer Partei zu sein. Da wird sich mancher am Riemen reißen müssen, vor allem die, die bisher nur daneben hergelaufen sind.«

Von einem kleineren Teil der Werktätigen wird über die Ergebnisse des IV. Parteitages der SED Enttäuschung zum Ausdruck gebracht, besonders da noch keine Preissenkung erfolgte, bzw. die Lebensmittelkarten weiter bestehen bleiben. Ein Arbeiter vom VEB Halbzeugwerk Auerhammer, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Walter Ulbricht hat schon zwei Mal gesagt, dass die Marken wegfallen und jetzt zum IV. Parteitag sagt er es wieder.11 Darüber bin ich etwas enttäuscht. Das Kartensystem wird wohl noch dieses Jahr bestehen bleiben.« Unter den Belegschaftsangehörigen im VEB Westglas Großbreitenbach, [Bezirk] Suhl, ist eine allgemeine Enttäuschung festzustellen, da man vom IV. Parteitag eine Preissenkung und Wegfall der Lebensmittelkarten erhoffte.

Negative und feindliche Stimmen zum IV. Parteitag wurden nur sehr wenige bekannt. Bei den feindlichen Elementen zeigt sich besonders der Einfluss der westlichen Propaganda. Ein Arbeiter vom VEB Feintuch in Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus: »Unser Getreide geht von Frankfurt zur Sowjetunion und kommt von dort wieder zu uns zurück.«

Ein Glasbläser vom VEB Persil-Werk Genthin, [Bezirk] Magdeburg: »Ich glaube nicht, dass im Westen die Preise höher sind wie bei uns. Die Arbeitslosen leben drüben besser, als wir hier auf Karten.«

Ein Bauarbeiter vom Baubüro Berlin, Rastenburger Straße: »Auf dem IV. Parteitag kommt sowieso nicht viel heraus, höchstens eine Gehaltserhöhung für die Bonzen. Sie machen ja nur Volksverdummung. Setzen sich Arbeitermützen auf und fahren in kapitalistischen Wagen. Früher haben sie auf die Leute geschimpft, die in diesen Autos saßen. Ich bin jedenfalls stolz darauf, dass in meiner Kolonne keiner politisch organisiert ist.«

Über die Note der Sowjetunion vom 31.3.1954 wird unter den Arbeitern in geringem Umfange diskutiert.12 Der überwiegende Teil der Stimmen ist positiv. Ein Arbeiter aus dem Stahlwerk Riesa, [Bezirk] Dresden: »Die Note bringt den Friedenswillen der SU zum Ausdruck. Wenn sie dem Nord-Atlantik-Pakt13 beitritt, wird diesem der aggressive Charakter genommen. Ich bin sehr neugierig, was die Amerikaner dazu sagen werden.«

Negative Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt. Einige Intelligenzler aus den Chemischen Werken Buna, [Bezirk] Halle, äußerten: »Bei dieser Note handelt es sich um eine Wolfspolitik im Schafspelz. Die Sowjetunion will nur eine Atmosphäre der Verschleppung schaffen. Jedoch wird der Tag »Y«14 die große Überraschung bringen. Eher als wir denken.«

Ein Kollege aus dem LOWA-Waggonbau Dessau, [Bezirk] Halle: »Ob Souveränität oder nicht, das ist genau dasselbe, als ob ich im Gefängnis bin und man sagt mir, du bist vollkommen frei, kannst tun und lassen was du willst, aber du bleibst im Gefängnis.«15

Unzufriedenheit besteht in verschiedenen Betrieben wegen Lohn-, Prämien- und Normenfragen.

Im VEB Schering Adlershof und VEB Berliner Großküchen sind die Angestellten empört, dass die Gehaltszahlung erst am 20.4.1954 und nicht vor Ostern erfolgt.16

In der Peene-Werft in Wolgast, [Bezirk] Rostock, sind die Wirtschaftsfunktionäre darüber missgestimmt, dass die Jahresprämie für 1953 noch nicht ausgezahlt wurde.

Im VEB Textima Forst,17 [Bezirk] Cottbus, wurde in einer Sitzung der IG Metall des Bezirksvorstandes des FDGB dem 1. Sekretär zum Ausdruck gebracht, dass eine freiwillige Normenerhöhung sofort abzustoppen ist. Das wird von einem Teil der Arbeiter nicht verstanden.

In dem VEB Dachpappenfabrik Brüel,18 [Bezirk] Schwerin, war zum 8.4.1954 vom FDGB eine Betriebstagung einberufen worden. Der Referent vom FDGB in Schwerin erschien jedoch nicht, da er dies »einfach vergessen« hätte. Die Arbeiter sind darüber verärgert.

Produktionsschwierigkeiten: Im VEB Glaswerk Haselbach, [Bezirk] Suhl, und in der pharmazeutischen Glasindustrie im Kreis Neuhaus entstehen Produktionsschäden durch die schlechte Gasbelieferung vom Ferngaswerk Böhlen.

Bei der Reichsbahn im Bezirk Halle ist die Betriebsabwicklung sehr stockend, sodass z. B. zzt. 1 800 beladene Waggons gebunden sind. Als Ursache wird angegeben: Unzureichende Bergleistungen19 und Überfüllung der Bahnhöfe Halle, Bitterfeld und Roßlau.

Handel und Versorgung

Im Kreis Saalfeld, [Bezirk] Gera, wurde die Eierlieferung für das zweite Quartal um 50 Prozent gekürzt. Aufgrund des bevorstehenden Osterfestes kann sich das ungünstig auf die Stimmung der Bevölkerung auswirken.

Landwirtschaft

Nach wie vor wird unter der Landbevölkerung wenig über politische Tagesfragen diskutiert, meist nur in den Kreisen der LPG, MTS und VEG. Über den IV. Parteitag wurden nur noch vereinzelt Stimmen bekannt, meist positiv. Ein Brigadier des VEG Söllerndorf,20 [Bezirk] Cottbus: »Sehr aufmerksam habe ich den IV. Parteitag verfolgt. Ich freue mich ganz besonders über die neuen Beschlüsse, die für uns alle einen sehr großen Wert haben.« Ein Arbeiter der MTS Radegast, [Bezirk] Rostock: »Ich begrüße es, dass die Lebensmittelkarten noch nicht abgeschafft werden, denn man kann nicht die Karten wegfallen lassen, wenn die Sicherheit der Versorgung nicht gewährleistet ist.«

Negative bzw. feindliche Stimmen zum IV. Parteitag wurden nur in ganz geringem Maße bekannt. Ein Großbauer aus Priemern, [Bezirk] Magdeburg: »Ich hatte mir von dem Parteitag der ›Kommunisten‹ mehr versprochen. Ich habe erwartet, dass man das Soll herabsetzt und nicht, dass man die Hektarerträge erhöht. Auch eine Preissenkung wäre mir lieb gewesen.«

Immer noch steht die Frühjahrsbestellung im Mittelpunkt des Interesses, deshalb stehen wirtschaftliche Belange im Vordergrund. In der Schweinemästerei Kleinaga, [Bezirk] Gera, ist für 1 600 Schweine nur noch bis zum 12.4.1954 Futter vorrätig. Im Kreis Gera sind Bauern verärgert, weil sie schon vier Monate keinen Sojaschrot für abgelieferte Milch bekommen haben.

Im MTS-Bereich Belleben, [Bezirk] Halle, sind Genossenschaftsbauern ungehalten über die mangelhafte Belieferung von Kopfdünger.

Im Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, sprachen sich Bauern (die wahrscheinlich keine Kartoffeln mehr zum Verkaufen haben) dagegen aus, dass jetzt Kartoffeln pro Zentner für 10,00 DM verkauft werden können. So z. B. äußerte ein Siedler aus Dahlhausen, [Bezirk] Potsdam: »Immer wieder wird den wirtschaftlich stärkeren Bauern geholfen. Durch solche Methoden wird erreicht, dass diese Bauern ihre Kartoffeln jedes Jahr bis vor der Ernte horten werden, da die Preise dann um 200 Prozent höher liegen.«

Von den LPG und MTS: Im VEG Horst, [Bezirk] Potsdam, tragen sich die Melker mit dem Gedanken, in eine LPG überzuwechseln, da sie dort besser bezahlt werden. (Ein Melker,21 der in [der] LPG Schönermark, [Bezirk] Potsdam, beschäftigt ist, erzählte ihnen, dass er 1 800 DM verdient und die Melker in der LPG bekommen 700 DM.)22

In der MTS Breitungen, [Bezirk] Suhl, fehlt es an Ersatzteilen sowie an Bereifungen für Traktoren und in der MTS Renzow, [Bezirk] Schwerin, stehen einige IFA-Traktoren still, da die Einspritzpumpen von der Spezialwerkstatt in Schwerin nicht repariert werden können (der betreffenden Werkstatt wurden falsche Pumpenelemente geliefert).

Negative bzw. feindliche Stimmen über wirtschaftliche und politische Fragen wurden nur vereinzelt bekannt. Ein Großbauer aus Großbahren, [Bezirk] Cottbus, äußerte gegenüber einem Angestellten einer MTS: »Ihr in der MTS steckt bloß immer Geld ein, aber wartet nur, nächstes Jahr liegt Euer Kommunismus sowieso am Boden und dann werde ich auch eine eurer Maschinen erhalten und wir werden dann die Lachenden sein.«

Ein Mittelbauer aus Greiz, [Bezirk] Gera: »Ich fordere freie Wahlen und eine freie Marktwirtschaft. Planwirtschaft ist Zwangswirtschaft und die Düngemittel, die man braucht, bekommt man nicht. Auch muss man, um beide Seiten kennenzulernen, den RIAS hören.«

Ein Mittelbauer aus Beseritz, [Bezirk] Neubrandenburg: »Bei uns wird viel von der Demokratie gesprochen, aber wir werden hier sehr gepiesackt. Der 17. Juni [1953] ist doch aus der Bevölkerung der DDR entstanden. Wenn es nicht besser bei uns wird, muss ein zweiter 17.6.[1953] kommen.«

Übrige Bevölkerung

Die Diskussionen über den IV. Parteitag sind nach wie vor gering. Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen wirtschaftliche Belange. Die Beibehaltung der Lebensmittelkarten wird größtenteils von der übrigen Bevölkerung begrüßt. Nur ein ganz geringer Teil ist enttäuscht. Eine Hausfrau aus Leipzig äußerte: »Obwohl die Preise bei uns in der HO noch zu hoch sind, haben wir schon wesentliche Verbesserungen in der Lebenslage erfahren. Die Überzeugung, dass unser Weg in der DDR der richtige ist, wenn auch schwer, gibt uns immer die Hoffnung, dass es bald noch besser wird. Von Westdeutschland kommt nichts Gutes. Dort trügt doch sowieso nur der Schein.«

Eine Verkäuferin aus Malow,23 [Bezirk] Neubrandenburg (parteilos): »Dass die Lebensmittelkarten vorläufig bleiben, finde ich für richtig, denn wenn sie wegfallen würden, würden die Konsumpreise steigen.«

Ein Einwohner aus Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Erst hat es im vergangenen Jahr geheißen, die Marken fallen 1954 weg und jetzt bleiben sie weiter bestehen. Nun sie haben es eben noch nicht.«

Über politische Probleme des IV. Parteitages wird nur ganz wenig diskutiert. Die uns bekannt gewordenen Stimmen sind positiv. Ein Friseurmeister (ehemaliges Mitglied der NSDAP) aus Königsee, [Bezirk] Gera, äußerte: »Die Partei der SED wird uns allen helfen, denn so offen, wie uns Walter Ulbricht den Weg aufzeigt, den wir gehen müssen, hat es bisher noch niemand getan. Die Maßnahmen und Verordnungen, die getroffen werden, sind gut und tragbar für das ganze Volk und wir müssen alle zusammenstehen, um die Machenschaften der Westmächte zunichtezumachen.«

Zur Note der Sowjetunion vom 31.3.1954 an die Westmächte wurden nur wenig Stimmen bekannt, diese waren positiv. Ein Rentner aus Frankfurt äußerte: »Es wäre sehr zu begrüßen, wenn die Sowjetunion aufgrund ihrer neuesten Note in den Atlantik-Pakt aufgenommen würde, denn dann hätte dieser Pakt seine Aggressivität verloren. Ich denke aber, dass die Aufnahme von den Westmächten abgelehnt wird. Bei der bevorstehenden Zusammenkunft in Genf24 werden wohl die Westmächte in den einzelnen Punkten klein beigeben müssen. Aber ich glaube, dass wir nicht zu großen Erfolgen kommen.« Ein Hausmeister aus Rostock äußerte: »Jetzt werden die Westmächte wieder einmal gezwungen, Farbe zu bekennen, wenn sie den erneuten Vorschlag der Sowjetunion ablehnen, dann geben sie sich wieder eine Blöße mehr.«

Negative Stimmen wurden vereinzelt bekannt. Teilweise lassen diese erkennen, dass es RIAS-Hetze ist. Ein jüngerer Angestellter vom Kreisentwurfsbüro Frankfurt äußerte: »Es sah bald so aus, als ob der Parteitag die Wehrpflicht beschließen wollte, denn Ulbricht sagte doch, wenn die westdeutsche Söldnerarmee aufgestellt würde, dann wird es auch bei uns bald so weit sein.25 Er bekam viel Beifall. Aber von denen, die im Ernstfall nicht mitzumachen haben, Goebbels26 hat auch viel Beifall bekommen, als er sagte, Kanonen statt Butter.27 Ich jedenfalls nehme keine Waffe in die Hand. Das kann man mir nicht verbieten.«

Eine Hausfrau aus Bad Doberan, [Bezirk] Rostock, äußerte: »Es wird immer so viel Rummel gemacht, dass alle Leute hier so gut leben, dass alle so gut wohnen und drüben werden die Leute rausgeschmissen aus ihren Wohnungen und liegen auf der Straße. In Wirklichkeit leben die Leute hier viel schlechter als drüben. Wenn man auch sagt, bei uns wird viel gebaut.«

Erkrankungen: Aus dem Bezirk Magdeburg wird berichtet, dass in Gommern, [Kreis] Burg, bisher 37 Personen an Fleischvergiftung erkrankt sind. Diese betreffenden Personen haben bei dem Fleischermeister aus Gommern Wurstwaren gekauft. Festgestellt wurde, dass die Wurst nicht genussfähig war (Maßnahmen sind eingeleitet).

Einzelbeispiel: Aus dem Bezirk [Berlin-]Lichtenberg wird berichtet, dass die Stimmung in den VP-Revieren zzt. nicht als gut bezeichnet werden kann. Die Inspektionsleitung würde sich sehr wenig um die Genossen kümmern. So wurde z. B. vom Rat des Stadtbezirkes der VPI zugesagt, diesen jeden Monat eine Wohnung zuzuteilen. Seit Dezember 1953 hat jedoch die Inspektion keine Wohnung erhalten und die Genossen werden immer von Neuem vertröstet.

Weiter macht sich der Mangel an Kindergärten, besonders bei der VP, bemerkbar. Bei Einsätzen mussten des Öfteren Funkwagen eingesetzt werden, welche zu Verwandten zu VP-Angehörigen fuhren, um dort die Kinder der einzelnen Genossen unterzubringen. Alle Beschwerden seitens der VPI Lichtenberg an das Präsidium der VP blieben bisher ohne Erfolg.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften des SPD-Ostbüros:28 Rostock einige, Dresden 15, Potsdam 5 000, Karl-Marx-Stadt 50, Halle 150, Neubrandenburg 1 050, Magdeburg 900. Inhalt: Hetze gegen die Regierung der DDR, »freie Wahlen«.

Hetzschriften der NTS:29 Potsdam 12 350, Dresden 35, Cottbus 250. Inhalt: Hetze gegen SU und DDR, Aufforderung zum Desertieren.

Hetzschriften der KgU:30 Potsdam 4 035, Karl-Marx-Stadt 14, Halle 150, Cottbus 250. Inhalt: Hetze gegen die Regierung der DDR und gegen die SED.

Hetzschriften des CDU-Ostbüros: Potsdam 1 500. Inhalt: »Pankows Terrorregime wird stürzen«.31

In Berlin wurden 15 000 Flugblätter mit folgendem Inhalt sichergestellt: Hetze gegen SU, »freie Wahlen«, Drohungen gegen Funktionäre der SED und Hetze gegen die SED.

In Stralsund, [Bezirk] Rostock, wurden 98 Drohbriefe der KgU sichergestellt, die an Einwohner adressiert waren.

Hetzbriefe: Der UFJ32 schickte an LPG-Bauern im Bezirk Neubrandenburg Hetzbriefe. Inhalt: Hetze gegen LPG, Aufforderung zum Austritt aus der LPG.

In der Nacht zum 9.4.1954 wurde in der LPG »Friedrich Engels« in Mahlis, [Kreis] Oschatz, [Bezirk] Leipzig, von unbekanntem Täter ein Stromkabel mit einem Beil durchgehackt.

Westberlin

Auf einer Tagung der IG Metall des DGB am 7.4.1954 (anwesend 60 Personen) wurden die versammelten Kollegen aufgefordert, in ihren Betrieben dafür zu sorgen, dass die Arbeiter am 1. Mai [1954] mitdemonstrieren. Verschiedene Kollegen protestierten dagegen mit der Bemerkung, dass sie niemals gemeinsam mit Kaiser33 oder Manteuffel34 demonstrieren würden. Lieber werde man gar nicht demonstrieren. Nach ihrer Ansicht vertreten viele Arbeiter Westberlins diese Meinung.

Einschätzung der Situation

In den geringer werdenden Diskussionen zum IV. Parteitag stehen weiterhin die wirtschaftlichen Fragen im Vordergrund. Sonst hat sich die Lage nicht verändert.

Anlage vom 10. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2180

Stimmen aus Westberlin zur Regierungserklärung vom 25.3.195435

In einzelnen bekannt gewordenen Stimmen wird von einem Teil die Regierungserklärung begrüßt. Andere Westberliner bezweifeln die Ehrlichkeit der Sowjetunion und wollen abwarten, ob die Souveränitätserklärung wirklich ernst gemeint ist. Sie sind nicht davon überzeugt, so lange sowjetische Truppen in der DDR sind.

Ein Straßenreiniger (DGB) aus Westberlin: »Die Note der Russen ist gut, das müssten die Amerikaner auch machen, aber sie nützen die Bevölkerung aus und treiben zum Krieg. Ich habe aber vom Krieg die Schnauze voll.«

Ein Westberliner Arbeiter: »Das war ein guter und kluger Akt von den Sowjets. Damit gehen sie vielem Ärger aus dem Wege. Außerdem beweisen sie ihre Einstellung zu den Deutschen.«

Ein Einwohner aus Westberlin: »Der Schritt der Sowjetregierung ist zu begrüßen. Nur die Anwesenheit der starken Truppenkontingente in Ostberlin gibt mir Zweifel, ob diese Erklärung ernst gemeint ist.«

Ein Geschäftsmann aus Westberlin: »Die Souveränitätserklärung ist zu begrüßen. Solange jedoch noch Besatzungsmächte in Deutschland sind, gibt es keine grundlegenden Veränderungen für uns alle.«

In negativen Stimmen werden verschiedenartige Argumente dargelegt. Ein Einwohner aus Berlin-Neukölln: »Das ist nur ein geschickter Schachzug der Russen, um die diplomatische Anerkennung der Ostregierung bei den Westmächten durchzusetzen.«

Ein Angestellter aus Westberlin: »Ob Souveränität oder nicht. Es ist dasselbe. Die DDR-Regierung ist nicht frei vom Volk gewählt worden, denn alle Parteien sind in der Nationalen Front36 vereinigt und müssen tun, was die SED bestimmt.«

Ein Informationsabend der FDP fand am 2.4.1954 in Westberlin statt. Es sprach Schwennicke.37 Er führte u. a. aus, dass die Krise der FDP überwunden sei. Die CDU bezeichnete er als Gefahrenquelle für die Entwicklung des Volkes in kultureller Hinsicht. Der Katholizismus schränke die Freiheit ein.

Anschließend sprach Dr. Hagemann38 über den Sender »Freies Berlin«39 und forderte, dass die FDP in dem Rundfunkausschuss stärker in Erscheinung treten müsse. Zurzeit seien nur die CDU und SPD vertreten. »Ferner wurde angekündigt, dass in Kürze im Westberliner Senat eine Immunitätsdebatte über Franz Neumann40 stattfinden soll.«

Stimmung in der Stupo41

In einem staatspolitischen Unterricht der Stupo wurde eine Reihe von moralischen Verfehlungen angeführt, die sich Angehörige der Stupo zuschulden kommen ließen. Die Teilnehmer mokierten sich darüber, dass das Vergehen leitender Personen der Stupo nicht mit angeführt wird, so z. B. Stumm42 (Oberjat43), [Name 1], [Name 2] usw.

Über die neue Steuerreform herrscht in den Kreisen der Stupo, vor allem unter den Wachtmeistern, eine gewisse Empörung. Man bringt zum Ausdruck, dass nur wieder die »Kleinen« dabei betrogen werden und die Großverdiener kräftig gewinnen.

Auswertung von Hetzschriften

In der Hetzschrift der FDP: »Volkspolizist aktiv […]44 auch Du den Friedenskampf« wird versucht, die VP und KVP45 zu zersetzen. Neben einer wüsten Hetze gegen die SU und DDR versucht man die Aufstellung der westdeutschen Söldnerarmee dahingehend zu begründen, dass in der DDR schon seit 1948 eine Armee aufgebaut wird. Wörtlich heißt es am Ende dieser Hetzschrift: »Bedenke, dass Du ein Deutscher bist. Werde zu einem Vorposten der freien demokratischen Welt.«

In der Hetzschrift: »Frisch auf mein Volk, die Flammenzeichen rauchen« von der »Aktionsgemeinschaft der FDJ«46 werden neben einer wüsten Hetze gegen die DDR und SU Jugendliche aufgefordert, die Beitragszahlung für FDJ und andere Massenorganisationen zu verweigern, Versammlungen und Demonstrationen zu boykottieren und sich standhaft zu weigern, der KVP beizutreten.

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