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Zur Beurteilung der Situation

2. August 1954
Informationsdienst Nr. 2276 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Tagesfragen wird im Allgemeinen wenig diskutiert. Bei diesen wenigen Diskussionen spricht man über die Genfer Konferenz,1 neue Note der SU vom 24.7.19542 und über die Handlungsweise von Dr. John.3 Im Bezirk Gera haben die Diskussionen über die politischen Tagesfragen etwas zugenommen. Diese Diskussionen sind größtenteils positiv. In den Gesprächen zur Genfer Konferenz äußert man, dass der erfolgreiche Abschluss ein Sieg des Weltfriedenslagers ist.4 In diesem Zusammenhang spricht man davon, dass es doch möglich sei, auch in der Deutschlandfrage eine Einigung zu erzielen.

Ein Arbeiter vom VEB Schwerarmaturenwerk »Erich Weinert« Magdeburg: »Die völlig veränderte Situation zeigt ganz deutlich die Stärke des Weltfriedenslagers und besonders die Stärke der Arbeiterklasse der ganzen Welt. Die fortschrittlichen Kräfte der Welt zerschlugen den Begriff der Politik der Stärke5 und zerrten die USA-Machthaber von einer Konferenz in die andere, wo sie sich in aller Erbärmlichkeit entlarvten.«

Ein Angestellter des VEB Zuckerfabrik Genthin, [Bezirk] Magdeburg: »Die Verhandlungen auf der Genfer Konferenz haben uns doch gezeigt, dass es möglich sein müsste, betreffs Deutschlandfrage eine zufriedenstellende Lösung, die zur Vereinigung führt, zu finden.«

Eine Arbeiterin aus dem VEB Baumwollspinnerei Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Nun ist den Frauen und Müttern in Vietnam eine große Sorge genommen. Wir wissen, was es heißt, den Ehegatten und Vater der Kinder zu verlieren. Es ist ein großer Erfolg der Friedenskräfte, es müssten sich alle Menschen für den Frieden einsetzen und kämpfen, dann wird es den aggressiven Mächten nicht mehr gelingen, einen neuen Krieg vom Zaune zu brechen.«

Ganz vereinzelt wurden uns negative Diskussionen zur Genfer Konferenz bekannt. Ein Waldarbeiter von Rittersgrün, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Was geht uns denn Asien an, wir als Deutsche wohnen doch in Europa und Vietnam ist weit weg von uns.«

Zum Schritt des Leiters des Bundesamtes für Verfassungsschutz Dr. John wurden nur wenig Stimmen bekannt. Darin bringt man zum Ausdruck, dass der Adenauer-Clique6 durch die Handlungsweise von Dr. John einen schweren Schlag erhalten hat.

Ein Arbeiter vom »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg äußerte: »Hoffentlich kommen noch viele führende Persönlichkeiten von drüben nach hier, damit der ganze westliche Schwindel bald in die Luft fliegt und wir die Einheit Deutschlands kriegen.«

Ein technischer Leiter vom VEB Buch- und Prägedruckerei Greiz,7 [Bezirk] Gera: »Dieser Fall zeigt uns, dass es in Westdeutschland zur Krise drängt.«

Ein Arbeiter aus Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Es ist ganz schön, dass ein solcher hoher Regierungsbeamter Schutz und Aufnahme in der DDR gefunden hat. Einige andere werden sich vielleicht ein Beispiel daran nehmen.«

Negative Diskussionen zum Fall Dr. John wurden nur selten bekannt. Ein Arbeiter aus Finow, [Bezirk] Frankfurt: »Das Ganze ist ein abgekartetes Spiel. So ein hohes Vieh wird er gewiss nicht gewesen sein, sonst hätte er sich nicht kaufen lassen.«

Produktionsschwierigkeiten bestehen in einigen Betrieben wegen Material- und Auftragsmangel.

Im VEB Feinmechanik Sonneberg, [Bezirk] Suhl, werden negative Diskussionen über die Materialschwierigkeiten geführt. So äußerte z. B. ein Arbeiter aus diesem Betrieb: »Erst werden die Zeitungen und Broschüren vollgeschmiert von der hohen Planerfüllung und dass die Pläne mit 120 Prozent und noch mehr erfüllt werden. Was ist jetzt, jetzt ist alles aus, denn nun ist überhaupt kein Material mehr da. Ich bin nur gespannt, wie das weitergehen soll.«

Bei den Wohnungsneubauten in Magdeburg sind in verschiedenen Baublöcken Terminverzögerungen aufgetreten, welche auf das zu spät eintreffende Material zurückzuführen sind. Nicht unwesentlich dabei ist jedoch auch der Arbeitskräftemangel. Es fehlt an Maurern und Zimmerleuten.

Im VEB Autoreparaturwerk III in Karl-Marx-Stadt stehen zurzeit circa 200 Motorräder der Typen BMW, EMW und AWO, die wegen Ersatzteilmangel nicht repariert werden können. Dies löst Unzufriedenheit bei den Besitzern dieser Maschinen aus.

Im VEB Plattenwerk Meißen, [Bezirk] Dresden, besteht ein großer Mangel an Arbeitskräften. Dies macht sich besonders jetzt zur Urlaubszeit stark bemerkbar. Es werden im Betrieb Diskussionen geführt, wo man zum Ausdruck bringt, einige Produktionsabteilungen stillzulegen.

Im VEB Kelterei Weicha, [Bezirk] Dresden, fehlt es an Filterpapier. Da die DHZ Zellstoff und Papier in Karl-Marx-Stadt zzt. betreffs der Hochwasserschäden8 nicht lieferfähig ist. Das hat zur Folge, dass dem Betrieb täglich 40 bis 50 l Saftverlust entstehen.

In den chemischen Leuna-Werken »Walter Ulbricht« fehlt es an Ersatz für defekte Treibgasflaschen.

Der VEB Baubetrieb Zerbst, [Bezirk] Magdeburg, hat besondere Schwierigkeiten in der Planerfüllung, hervorgerufen durch die Reorganisierung der Baubetriebe.9 Der Baubetrieb Zerbst, der zusammen mit den Zweigstellen Roßlau und Coswig einen Betrieb bildete, ist selbstständig geworden und hat dadurch die großen Objekte im Bezirk Halle verloren. Da in Zerbst keine größeren Bauobjekte bestehen, besteht die Gefahr, dass der Kreisbaubetrieb Zerbst bis Oktober ohne Arbeit ist.

Der VEB Peniger Maschinenfabrik,10 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, hat in den letzten drei Monaten seinen Produktionsplan nur mit 60 Prozent erfüllt. Die gesamte Arbeitsorganisation in diesem Betrieb ist planlos und desorganisiert. Der Direktor besitzt keinen Überblick, Zubringerbetriebe, welche nach dem Vertragssystem ihre Lieferungen nicht einhalten, werden nicht mit Vertragsstrafen belegt. Exportaufträge können vielfach aus diesem Grunde nicht eingehalten werden.

Von den Arbeitern des VEB Bau Berlin wird beanstandet, dass das Abfallholz ungerecht verteilt wird. In der Hauptsache wird das Holz an die leitenden Funktionäre verteilt und die Arbeiter werden erst an zweiter Stelle bei der Verteilung berücksichtigt.

Unter den Kollegen der Abteilung Materialversorgung im VEB EAW Stalin11 herrscht gegenwärtig schlechte Stimmung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die benötigten Materialien kurzfristig und zum Teil sogar ohne Vornotierung beschafft werden müssen. Diese Arbeit wird zum anderen noch dadurch erschwert, dass die Kollegen aufgrund der personellen Unterbesetzung der Abteilungen überlastet sind. Bemängelt wird noch, dass den Kollegen für ihre Arbeit kein Wagen zur Verfügung steht.

Handel und Versorgung

Missstimmung herrscht unter den Werktätigen in Blankenburg, [Bezirk] Gera, insbesondere unter den Arbeitern der Maxhütte wegen der mangelhaften Belieferung mit Kartoffeln. Sie müssen z. B. zwei bis drei Stunden nach 2 kg Kartoffeln anstehen und es kam dabei schon zu Schlägereien. Besucher aus Westdeutschland, die zugegen waren, schüttelten darüber mit den Köpfen.

Große Verärgerung herrscht unter den Traktoristen der MTS Kauern, [Kreis] Gera, über die schlechte Versorgung durch den Konsum. Ein Traktorist, der Sieger im Wettbewerb wurde, erhielt ein Fahrrad mit defekter Lenkstange als Prämie. Die Lenkstange ist an die KG Gera zurückgeliefert und bis jetzt, nach fünf Monaten, noch nicht ersetzt worden.

Die Bevölkerung in Berlin-Köpenick klagt darüber, dass es keinen Tapetenleim zu kaufen gibt, obwohl Tapeten in der HO zum Kauf angeboten werden.

Mängel in der Verteilung

An Frühkartoffeln mangelt es in den Bezirken Leipzig, Gera und Halle, was zum Teil an dem minimalen Eigenaufkommen liegt, wie z. B. im Kreis Schmölln. Dort konnten infolge des schlechten Wetters von 297 ha angebauten Kartoffeln erst 26 ha gerodet werden.

An Gemüse fehlt es teilweise in den Bezirken Halle und Gera. In Gera z. B. im Bereich Blankenburg.

An Fischwaren in den Landgemeinden der meisten Kreise des Bezirkes Halle z. B. Salz- und Delikatessheringe und Fische in Blankenburg, [Bezirk] Gera.

Stärkeerzeugnisse und Hülsenfrüchte fehlen in einigen Kreisen des Bezirkes Suhl und im Bezirk Magdeburg, z. B. Haferflocken, Graupen, Maizena12 und auch Futtermittel.

An Zigaretten, besonders »Turf«, fehlt es in einigen Kreisen des Bezirkes Suhl.

An Frischfleisch fehlt es im Bezirk Leipzig. Gefrierfleisch dagegen ist dort ausreichend vorhanden.

Benzin und Reifen fehlen in einigen Kreisen des Bezirkes Suhl, besonders im Kreis Bad Salzungen und Dieselkraftstoff fehlt in den Kreisen Hohenmölsen, Weißenfels und Zeitz, [Bezirk] Halle, schon seit einigen Monaten, wodurch die Einbringung der Ernte sehr leidet.

Überplanbestände an Industriewaren im Werte von 14 500 000 DM vorwiegend in Schuhen aller Art, besonders Arbeits- und Schweinslederschuhen, lagern in der HO Leipzig. An Textilien und Bekleidung im Werte von DM 15 000 vor allem in Meterware, Mantelstoffe und andere HO Leipzig. An Kultur- und Luxuswaren in Höhe von DM 1 232 000. Besonders Streich- und Zupfinstrumente, Spielwaren und Festartikel HO Leipzig.

Landwirtschaft

Politische Tagesfragen werden von der Landbevölkerung nur in geringem Umfang diskutiert, besonders jetzt während der Ernte, da die Bauern mit der Ernte intensiv beschäftigt sind. Zur Sowjetnote und zur Genfer Konferenz wurde somit nur vereinzelt hauptsächlich im sozialistischen Sektor der Landwirtschaft, jedoch meist positiv, Stellung genommen. So sagte zur Genfer Konferenz ein LPG-Bauer: »Es zeigt sich, dass die Friedenskräfte immer stärker werden und die Kriegstreiber nichts mehr machen können, denn sie mussten den schmutzigen Krieg in Vietnam beenden.«

Vorwiegend befasst sich die Landbevölkerung mit wirtschaftlichen Fragen bzw. mit den Schwierigkeiten auf dem Lande, wie z. B. jetzt bei der Ernte.

Verschiedene MTS im Bezirk Karl-Marx-Stadt klagen über das Fehlen der Rechtsschneidebinder, die sich seit Beginn der Mahd bemerkbar machen. Das zuständige Ministerium hat versprochen, in diesem Jahr 50 Prozent davon zu liefern. Stattdessen erhalten die MTS aus der Neuproduktion fast ausschließlich Linksschneider.

Die MTS Ödern,13 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, klagt über die gelieferten Mähbinder der Fa. Pethkus Wutha,14 [Kreis] Eisenach, [Bezirk] Erfurt, die vor Kurzem geliefert wurden und deren Mechanismus auf Sabotage schließen lässt. So sind beim Einsatz dieser Mähbinder sämtliche Hebel zur Tiefeneinstellung abgebrochen. Die Hebel bestehen aus morschem Holz und sind mit Blech verkleidet.

Die MTS Franzburg, [Kreis] Stralsund, [Bezirk] Rostock, erhielt im September 1953 von dem VEB Landmaschinen Falkensee einen Höhenförderer. Bei der Probefahrt im Leerlauf brachen bereits einige Zähne aus den Zahnrädern. Sämtliche Schreiben an die oben genannte Fa. blieben ohne Erfolg. Dadurch kann der Höhenförderer jetzt bei der Ernte nicht eingesetzt werden.

Im Kreis Haldensleben, [Bezirk] Magdeburg, beschweren sich die Bauern, dass die VEAB sich weigert, Gemüse aufzukaufen. Sie will nur Güteklasse A abnehmen, was jedoch aufgrund der schlechten Witterung nicht möglich ist. Aufgrund dessen sagen die Bauern, dass sie im nächsten Jahr überhaupt kein Gemüse anbauen werden. (In Haldesleben liegen 100 t Weißkohl auf Lager, die keinen Absatz finden.)

Im Bezirkskontor für landwirtschaftliche Gebrauchsgüter Dresden wird darüber geklagt, dass seit längerer Zeit keine Lieferzuweisungen vonseiten des Ministeriums erfolgten. Dagegen erhält der Großhandel ständig Zuweisungen vom Ministerium. Da aber der Großhandel nur private Läden und das Bezirkskontor nur BHG beliefert, kommt die gesamte Ware, wie Zinkeimer, Stacheldraht usw., nicht aufs Land, sondern in die Städte.

Übrige Bevölkerung

Über politische Tagesfragen wird weiterhin nur im geringen Umfang gesprochen. Nur ganz vereinzelt wurde zum erfolgreichen Abschluss der Genfer Konferenz Stellung genommen. Darin wird weiterhin der Waffenstillstand in Indochina begrüßt und erhofft, dass jetzt über Deutschland auf dem Wege von Verhandlungen eine Einigung erzielt wird.

Ein fortschrittlicher Rentner aus Jarmen, [Bezirk] Neubrandenburg: »Dass die Genfer Konferenz einen so guten Ausgang genommen hat, ist ja prima. Da werden sich die Soldaten freuen. Jetzt kann man wieder hoffnungsvoller in die Zukunft sehen, auch für Deutschland.«

Über den Schritt des Leiters des Bundesverfassungsschutzamtes Dr. John wird nur ganz gering diskutiert. Meist äußern sich fortschrittlich eingestellte Menschen und bringen zum Ausdruck, dass dieser Schritt die Schwäche des Adenauer-Regimes kennzeichnet und sich für uns positiv auswirken wird. So äußerte z. B. ein Angestellter aus Köthen, [Bezirk] Halle: »Für das Adenauer-Regime ist dieser Schritt sehr peinlich und man wird jetzt verzweifelt nach einer Ausrede suchen, um diese Angelegenheit vor der westdeutschen Bevölkerung zu vertuschen, aber für unsere Volkswahlen im Oktober15 ist dieser Schritt von großer Bedeutung, denn man wollte doch bestimmt wieder versuchen, die Wahlen durch Hetze und Diversionsakte zu untergraben.«

Hausbewohner aus Berlin sagten: »Durch die Flucht Dr. Johns haben wir jetzt die Bestätigung dafür bekommen, dass Westdeutdschland so einen großen Spionageapparat unterhält.« Bemängelt wurde aber, dass unsere Presse so wenig über diese Angelegenheit berichtet. Man versteht nicht, dass diese Angelegenheit nicht dementsprechend ausgewertet wird. Während die Westpresse nun schon tagelang die ersten Seiten damit füllt, herrscht bei uns ziemliches Schweigen. Das würde dazu führen, dass die Bevölkerung mehr denn je den Westsender hört und sich Westzeitungen beschafft.

Folgende negative Stimmen wurden bekannt:

Eine Hausfrau aus Rudolstadt, [Bezirk] Gera: »Was sagen sie von Dr. John, stand der denn noch nicht über Adenauer, oder wie ist das? Jetzt wurde einer von Amerika geschickt, der die Sache überprüfen soll. Der John ist verschleppt worden, hier wurde er an den Rundfunk gestellt und da musste er sprechen,16 sonst wäre er totgeschlagen worden.«

Im Kreis Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, kursiert ein Gerücht, dass die Regierung der DDR Notgeldscheine von DM 50,00 herausgegeben hat. Diese Scheine wären durch eine dreistellige Zahl an der linken unteren Ecke zu erkennen. In Altdöbern wurde darüber gesprochen, dass solche Scheine in Westberlin nicht eingewechselt würden, da sie in Kürze wieder eingezogen werden.

In der Gemeinde Haina, Kreis Meiningen, [Bezirk] Suhl, besteht unter der Bevölkerung eine große Missstimmung, da ein Antrag auf Bau eines Clubhauses vom Rat des Kreises bürokratisch bearbeitet wird. Die Bauern des Ortes haben unentgeltlich das notwendige Bauholz und die Mauersteine dazu bereitgestellt sowie 4 000 DM gespendet. Vom Rat des Kreises wurde jedoch der Bescheid gegeben, dass man sich einen anderen Bauplatz suchen solle, ohne dass eine gründliche Prüfung vorher stattfand.

Organisatorische Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:17 Halle 3 000, Neubrandenburg 6 000, Frankfurt 5 000, Leipzig ein Paket.

KgU:18 Dresden 685.

UFJ:19 Potsdam 320.

NTS:20 Dresden 3 000, Suhl 1 500, Cottbus 2 000.

Verschiedener Art: Frankfurt 3 000.

Antidemokratische Tätigkeit

In Stralsund, [Bezirk] Rostock, wurde unter einem Hakenkreuz eine faschistische Losung angebracht. In Leipzig W3321 wurde ein Jugendlicher beim Schmieren von Hakenkreuzen festgestellt.

Im Mai 1954 fertigte ein in der Maschinenfabrik Niederwürschnitz, Kreis Stollberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, beschäftigter Modelltischler einen Sowjetstern für einen Betrieb an. Die Glasscheiben waren mit roter Farbe zu bestreichen und der Tischler schrieb unter dieselben die Buchstaben »EVG«.22 Jetzt wurde festgestellt, dass bei Beleuchtung des Sternes die Buchstaben »EVG« deutlich zu sehen sind.

Lage in Westberlin

Über Stimmen zum Fall Dr. John wird im Anhang berichtet.

Im Kreis Eilenburg mehren sich die Anträge von Kirchanhängern und Pfarrern um Aufenthaltsgenehmigungen nach Remscheid. Es wird vermutet, dass dort ein Kirchentreffen stattfinden soll.

Von einem Einwohner aus Bielefeld werden an ehemalige Angehörige der III. Kompanie einer Wehrmachtseinheit, die in Babenhausen bei Bielefeld stationiert war, Einladungen zum 15-jährigen Gründungstag der Kompanie am 28.8.[1954] versandt.

An westdeutsche Kinder, welche in Ferienlager der DDR reisen, wurden in Ludwigsstadt Fleisch-, Wurst- und Fettkonserven amerikanischer Herkunft ausgegeben.

Anlage 1 vom 2. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2276

Westdeutsche und Westberliner Stimmen zum Fall Dr. John

Die Diskussionen über den Fall Dr. John beschäftigten weiterhin viele Menschen in Westberlin und Westdeutschland. Ein Besucher aus der DDR, der kurze Zeit in Westberlin weilte, schilderte die Lage wie folgt: »Es gibt kein Ereignis, das in der Westberliner Bevölkerung so intensiv diskutiert wird, wie zzt. der Fall John. Man kann fast schon von einer Psychose sprechen. Während sich die Zeitungen überschlagen, alle möglichen Sensationen und Varianten darüber verbreiten, bilden sich vor allen Zeitungsständen und Kiosken Diskussionsgruppen von Menschen aller Bevölkerungsschichten. Mehrfach habe ich in den letzten Tagen die Meinung gehört, dass man aufgrund des Falles John jegliches Vertrauen zu der Regierung verlieren muss und dass man nicht mehr weiß, woran man mit der Regierung und den verantwortlichen Leuten ist. Es wurde sogar die Ansicht vertreten, dass die Regierung eigentlich zurücktreten müsste oder sich zur Neuwahl stellen muss.«

Die Diskussionen drücken in vielen Fällen Unglauben an den Presseveröffentlichungen aus. Viele Personen bejahen das Verhalten Dr. Jonhs und es wurden bisher nur Einzelfälle bekannt, wo Personen sich darüber äußerten, dass Dr. John Geheimnisse verraten und damit Agenten in der DDR entlarven könne.

Am Bahnhof Wittenau, wo Arbeitslose und Notstandsarbeiter diskutierten, wurde zum Ausdruck gebracht: »Wenn noch mehr nach dem Osten türmen, haben wir ja Aussicht, bald eins zu werden und dann anständige Arbeit zu bekommen«.

Im Bezirksamt Tiergarten brachte man zum Ausdruck, dass man der Westberliner Presse in dieser Hinsicht keinen Glauben schenke. Wer wird der Nächste sein, der sich absetzt, heißt es immer wieder. Keiner hat mehr Vertrauen zu dieser Demokratie. Man merkt klar und deutlich, dass der Thron Adenauers wackelt. Wenn der Adenauer jetzt durch die Aufregung einen Herzschlag bekommt, rechnen alle mit einem großen Umsturz und dass dann die SPD die kommende Staatspartei sein wird.

Eine Hausfrau aus Stuttgart äußerte sich: »Dieses Amt (Verfassungsschutzamt) soll dasselbe sein, was bei den Nazis die Gestapo war. Das haben wir bisher nicht gewusst. Dieses Amt wurde in letzter Zeit sehr angefeindet. Ja, auch hier ist nicht alles nach dem Wunsche des Volkes. Deshalb kann man auch an dem ernsthaften Willen unserer Regierung zweifeln, ob sie die Vereinigung wirklich will«.

Ein Angestellter aus Hamburg: »Die Affäre John ist ja gerade zum Lachen. Einige Leute haben jetzt starke Kopfschmerzen, andere Nervenzusammenbrüche. Ich gönne es denen. Aber die Sache ist die, jetzt kommt ein neuer Chef des Verfassungsschutzamtes und neue Besen, man kennt das Sprichwort, wer weiß, was kommt. Ich glaube, dass sich die Lage in Westdeutschland durch diese Affäre eher verschlimmert als verbessert. Interessant ist nur die Schlussfolgerung in manchen sonst unbelehrbaren Kreisen hier: Wenn der Sicherheitschef, der so vieles wusste, durchbrennt, dann muss es mies aussehen. Meine Vermutung geht dahin, dass jetzt die ganze Sache von den Amerikanern in Regie genommen wird, das aber könnte recht übel verlaufen. Die Ernennung des Leiters des Bundeskriminalamtes zum kommissarischen Leiter des Verfassungsschutzamtes halte ich mehr für eine Formsache.«23

An einem Zeitungskiosk äußerte die Verkäuferin: »Der John wusste zuviel. Die armen Menschen, die jetzt im Osten über die Klinge springen müssen.«

Anlage 2 vom 2. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2276

Stimmung über die Note der Sowjetregierung an die Westmächte vom 24.7.1954

Ganz vereinzelt wird zur Note der Sowjetregierung Stellung genommen. Überwiegend wird darin die Note begrüßt als ein neuer Beweis der Bemühungen der SU zur Erhaltung des Friedens. Die kapitalistischen Regierungen werden jetzt gezwungen, sich zu entscheiden, ob sie für den Krieg oder für den Frieden sind und damit bloßgestellt. In Verbindung mit dem erfolgreichen Ausgang der Konferenz hofft man, dass auch erfolgreiche Verhandlungen über Deutschland geführt werden. Meist äußerten sich Arbeiter der volkseigenen Betriebe, weniger Angestellte. Unter der Landbevölkerung waren es einzelne Traktoristen und LPG-Bauern und unter der übrigen Bevölkerung einzelne Menschen aus verschiedenen Stellungen.

Ein Kumpel aus dem Steinkohlenwerk Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Diese Note wird die kapitalistischen Länder zwingen, Farbe zu bekennen. Die Kriegstreiber werden durch die neue Note der Sowjetunion immer mehr in die Enge getrieben. Es ist ein erneuter klarer Beweis der Friedenspolitik der Sowjetunion.«

Ein Malermeister aus Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die neue Note der Sowjetunion müsste von allen Menschen begrüßt werden, ob bei uns in der DDR oder in Westdeutschland, denn dass auf dem Wege der Verständigung viel erreicht werden kann, hat Genf gezeigt. Ich bin schon alt, aber ich werde überall für die Note sprechen, denn ich möchte es gerne noch erleben, dass Deutschland wieder eins wird.«

Pessimistisch äußerte sich ein Schuhmachermeister aus Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam: »Die tauschen Noten und Noten aus und schreiben noch, wir hätten große Erwartungen. Was ist aber jedes Mal herausgekommen, diesmal wird auch nicht mehr werden.«

Folgende negative Stimmen wurden bekannt: Ein Kollege aus dem Tagebau Kleinleipisch,24 [Bezirk] Cottbus, äußerte, dass wir uns erst Achtung verschaffen müssen. »Wenn unser Rundfunk die westliche Regierung beleidigt und auch das Wort ›Verbrecher‹ gebraucht, so ist meines Erachtens nach eine Zusammenarbeit unmöglich.«

Ein Handwerker aus Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt: »Der kollektive Friedenspakt, den Russland jetzt bilden will, würde bedeuten, dass entweder zwei Deutschlands daran teilnehmen oder ein einheitliches Deutschland, aber mit dem einen ist der Russe nicht einverstanden und mit dem Anderen der Amerikaner nicht. Adenauer, die Amerikaner und England sind stark genug, um die Franzosen zu überstimmen. Das ist alles nur ein Schlag in die Luft.«

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