Zur Beurteilung der Situation
15. September 1954
Informationsdienst Nr. 2314 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Vordergrund der Diskussionen steht weiterhin die Preissenkung vom 6.9.1954.1 Der Umfang der Diskussionen nimmt weiterhin ab. Im Inhalt haben sich gegenüber den Vortagen keine Veränderungen ergeben. Nachfolgend einige Beispiele zu negativen Äußerungen.
Ein Kollege aus dem VEB Baumwollspinnerei Karl-Marx-Stadt: »Das ist nur ein Wahlmanöver zum Stimmenfang.2 Aber viele werden nicht darauf reinfallen. Die Preissenkung bedeutet doch nur, dass wir Arbeiter mehr Margarine essen können als bisher. Ich war vor Kurzem im Westen. Ein Vergleich mit uns ist gar nicht möglich. Ein Arbeitsloser lebt dort besser als wir in der DDR.«
Zwei Kollegen aus dem Kaliwerk »Glückauf« in Sondershausen, [Bezirk] Erfurt: »Was nützt uns schon das bisschen, was sie gesenkt haben, während sie morgen auf der anderen Seite wieder die Preise erhöhen. Sie haben ja nur das gesenkt, was keiner kauft. Zum Beispiel die Karussellschmiere (Margarine).«
In der Abteilung mechanische Hauptwerkstatt des VEB Schlossfabrik »TEWA« Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, diskutierten einige parteilose Arbeiter und Angestellte, dass in einiger Zeit die Preise aufgrund der Verbesserung der Qualität wieder erhöht werden. Ähnliche Diskussionen werden auch von einigen Arbeitern der Elbewerft Boizenburg vertreten sowie vom VEB Dachpappewerk Coswig, [Bezirk] Dresden.
Ein Arbeiter aus dem Gummiwerk Riesa, [Bezirk] Dresden: »Trotz der Preissenkung ist der Lebensstandard noch viel zu niedrig. Es wäre angebracht gewesen, die Renten zu erhöhen.«
Im Walzwerk Brandenburg-Kirchmöser, [Bezirk] Potsdam, wurde in zwei Abteilungen von einem Teil der Arbeiter gesagt, dass die Preissenkung illusorisch sei, da man die Normen wieder heraufsetzen wird. Außerdem vertritt man die Meinung, dass vor allem Butter hätte gesenkt werden müssen. Solche Meinungen werden vor allem von Jugendlichen dieser Abteilungen vertreten, die über ihren Einsatz als Transportarbeiter verärgert sind, obwohl sie einen Beruf erlernt haben.
Ein Ladeschaffner von der Reichsbahn, wohnhaft in Berlin, äußerte: »Wenn die Preissenkungen weiterhin so langsam durchgeführt werden, dauert es 50 Jahre, bis wir auf dem richtigen Stand sind. Es ist lächerlich, von der letzten Preissenkung viel zu erzählen, wo doch nicht viel herausgesprungen ist.«
Zu den Volkswahlen sind die Gespräche weiterhin gering, meist positiv. Dabei wird die einheitliche Kandidatenliste begrüßt und der Regierung das Vertrauen ausgesprochen.3 Teilweise wurden von Arbeitern Produktionsverpflichtungen zu Ehren der Volkswahl übernommen. In den negativen Diskussionen wird besonders gegen die einheitliche Kandidatenliste Stellung genommen, da sie undemokratisch sei. Teilweise stammen solche Diskussionen von unaufgeklärten Menschen,4 teilweise von feindlichen Elementen.
Ein parteiloser Arbeiter vom Privatbetrieb Rössel in Glauchau,5 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Bei der kommenden Wahl geht es nicht demokratisch zu, denn sonst müsste es doch etwas geben, womit unsere Regierung weggewählt werden könnte.«6
Ein LDPD-Mitglied, beschäftigt in der Böttcherei der Farbenfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle: »Es ist nicht richtig, dass man bei den Volkswahlen keine Listen mit parteilosen Kandidaten aufstellt, denn über 40 Prozent der Bevölkerung sind parteilos und müssen unter allen Umständen auch ihre Vertreter haben.«
Ein Angestellter von der Abteilung Einkauf der Großkokerei Lauchhammer, [Bezirk] Cottbus: »Bei dieser Wahl gibt es nur eins zu machen, und zwar auf den Wahlschein zweimal einen großen Strich, damit der ungültig wird. Wenn man nur einen Strich macht, wird es noch als gültig gezählt.« Ähnliche Diskussionen wurden auch in der Hauptbuchhaltung des Betriebes geführt.7
Mehrere Arbeiter aus dem VEB (K) Bau Penzlin, [Bezirk] Neubrandenburg, äußerten, dass durch diese Wahl keine Besserung in der Lebenslage der Bevölkerung eintreten wird. Sie fordern deshalb »freie Wahlen wie früher«. Weiterhin äußerten sie, dass die Menschen im Westen viel besser und freier leben würden als in der DDR.8
Zwei Brigadiere vom Apparatebau der Volkswerft Stralsund äußerten, dass die Versammlungen zur Vorbereitung der Volkswahlen nicht notwendig seien. Davon würde man jeden Tag im Rundfunk hören und dasselbe auch in der Presse lesen. Ferner äußerten sie sich negativ zum Leistungslohn und bezeichneten ihn als »ausbeuterisch«.
Über die Erklärung des Außenministeriums der UdSSR vom 10.9.19549 wird nur ganz vereinzelt, meistens zustimmend, gesprochen. Verschiedentlich zweifelt man jedoch an einem Erfolg der Bemühungen der UdSSR, da der Westen nicht bereit wäre zu verhandeln. Es äußern sich fast nur politisch organisierte Arbeiter und Angestellte.
Der Personalleiter des VEB Eisenmanganerzbergbau Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Der Sturz des EVG-Vertrages beweist,10 dass die Bonner Regierung immer mehr isoliert wird. Die Streiks11 und andere Dinge im Westen zeigen, dass sich dort bald etwas tun müsste. Die Note der Sowjetunion ist deshalb sehr wichtig.«
Ein Kollege aus der Farbenfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle: »Ich begrüße den Vorschlag der Sowjetunion über die Wiederaufnahme der Deutschlandverhandlungen. Zeigt er uns doch erneut die Bereitschaft der Sowjetunion, Deutschland so schnell wie möglich zu vereinigen. Ich habe jedoch wenig Hoffnung, dass die Westmächte diesem Vorschlag zustimmen, denn dann müssten sie aus Deutschland heraus und das wollen sie verhindern.«
In einer Versammlung des VEB Pyrotechnik Silberhütte,12 [Bezirk] Halle, äußerten mehrere Kollegen, dass sie die Erklärung der UdSSR begrüßen, aber der Westen auf diese Vorschläge nicht reagieren wird. Einige Kollegen brachten zum Ausdruck: »Was nützen die vielen Vorschläge, hier muss gehandelt werden. Das Weltfriedenslager ist stark genug, um diese Kriegstreiber zu verjagen.«
Verschiedentlich besteht Missstimmung unter den Arbeitern über die Entlohnung, was teilweise Anlass zur Fluktuation von Arbeitskräften ist.
Im Tagebau Böhlen, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig, herrscht unter den E-Lokfahrern eine Missstimmung über den Lohn. Sie fordern eine höhere Lohngruppe, da sie eine größere Verantwortung hätten als die Gleisarbeiter, jedoch weniger verdienen als diese. Besonders negativ trat ein E-Lokfahrer auf und äußerte: »Wenn die unseren Forderungen nicht nachkommen, werden wir eines schönen Tages nicht mehr fahren. Dagegen können sie gar nichts machen.«
Im VEB Zellstoffwerk Trebsen, [Bezirk] Leipzig, sind die Kollegen des Hofplatzes mit ihrem Lohn unzufrieden. Dies liegt zum Teil daran, weil zu viele Arbeiter auf dem Hof beschäftigt sind und dadurch sich der Leistungslohn verringert.
Im Braunkohlenwerk Golpa, [Bezirk] Halle, steht eine schlechte Stimmung, da wegen mangelhafter Planerfüllung der Leistungslohn wesentlich geringer ist. Dies wirkt sich besonders bei dem Neuaufschluss Muldenstein aus.
Im VEB Kaliwerk »Karl Marx« in Sollstedt, [Bezirk] Erfurt, Grube Craja,13 kündigen viele Kumpels Unter Tage ihr Arbeitsverhältnis, weil sie zu wenig verdienen würden und außerdem viele Schießunfälle vorkamen. Viele nehmen Arbeit in den Textilbetrieben des Eichsfeldes auf, wo sie den gleichen Verdienst haben wie in der Grube. Andere gehen zu Bau- und Montagefirmen, wo sie teilweise bis DM 100 mehr im Monat verdienen.
Im VEB Bau Dresden ist in letzter Zeit ein starkes Abwandern von Maurern und Bauhilfsarbeitern zu verzeichnen. Es scheiden sogar ganze Brigaden aus. Es wird vermutet, dass Privatunternehmer die Arbeiter dazu veranlassen.
In der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock, beginnen die Facharbeiter aus der Rohrschlosserei und Malerei ihr Arbeitsverhältnis zu kündigen, weil sie angeblich zu wenig verdienen. Ein Maler äußerte: »Ich gehe zur Bau-Union, da bekomme ich viel mehr Geld.«
Unter den Kollegen des Walzwerkes Brandenburg-Kirchmöser besteht Verärgerung, da bei der Verteilung von Teilnehmerkarten für die Leipziger Messe14 nur wenige Produktionsarbeiter bedacht wurden. Unter den Arbeitern wird diskutiert: »Die Herren der BPO, BGL und von der Abteilung Arbeit und Kultur müssen ja ihre Frauen mitnehmen, aber für uns Proleten hat man keine Karten übrig.«
Bei der Baustelle Drewitz, [Bezirk] Cottbus, wurde nach der Preissenkung der Preis des Mittagessens für die Betriebsangehörigen um 20 Pfennig erhöht. Dies hat unter den Kollegen Verärgerung hervorgerufen.
Im VEB IKA Berlin-Weißensee15 erschienen in der Abteilung Kleberei vor einigen Tagen einige TAN-Sachbearbeiter.16 Von den dort beschäftigten Frauen war dies der Anlass zu folgender Diskussion: »Jetzt hat man die Preise gesenkt, da müsst ihr auch gleich die Löhne drücken. Eure Gehälter, die stoppt ihr nicht ab, da kommt höchstens noch mehr hinzu. Wenn die TAN-Bearbeiter stoppen sollten, werden wir nicht mehr arbeiten.«17
Produktionsschwierigkeiten wegen Materialmangel
Der VEB Lederfabrik Hirschberg, [Bezirk] Gera, hat Produktionsschwierigkeiten wegen Mangel an Chemikalien, insbesondere an Peluzit.18 In drei bis vier Tagen müssen deshalb 50 Kollegen einer Abteilung entlassen werden.
Im VEB Blusenfabrik (K) in Lobenstein,19 [Bezirk] Gera, bestehen Schwierigkeiten, da die DHZ Kunstseide in Karl-Marx-Stadt ihren Lieferverpflichtungen nicht nachkommt.
Im IKA-Werk Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, fehlt es immer noch an Schrauben. Außerdem ist ein Heizkessel Anfang dieses Jahres zwecks Umbaus auf Rohbraunkohle abgerissen worden, ohne dass bisher die neuen Arbeiten begonnen wurden. Dadurch ist die ganze Heizungsanlage außer Betrieb gesetzt.
Im Waggonbau Görlitz können 22 fertige Wagenkästen infolge fehlender Heizungsteile nicht eingebaut werden. Außerdem fehlen Metallfenster für Doppelstockwagen. Bei der Herstellung von Massenbedarfsgütern fehlen Feinbleche, wodurch die Eimerproduktion stockt.
Handel und Versorgung
Die Seifenfabrik Zeulenroda, [Bezirk] Gera, erhielt 17 t verdorbenes Fett aus den Fleischereien der Stadt Greiz, [Bezirk] Gera. Dazu sagt man im VEB Textilwerk Greiz: »Es wäre besser gewesen, wenn die Rationen der Fettigkeiten auf Marken erhöht worden wären, dann wäre es nicht vorgekommen, dass in den meisten Fleischereien der Stadt Greiz größere Mengen an Fettigkeit verderben, die dann in eine Seifenfabrik nach Zeulenroda gebracht werden mussten, da diese schon stark verdorben waren.« Im Kreis Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, dagegen mangelt es an Schmalz, Margarine und Öl.
Im Bezirk Potsdam lagern beim kommunalen Großhandel insgesamt 350 bis 400 t Frühkartoffeln, die zzt. schlechten Absatz finden, wovon in der VEAB Warnsdorf, Kreis Nauen,20 [Bezirk] Potsdam, 12 t für den menschlichen Genuss bereits unbrauchbar geworden sind.
In der VEAB Weißenfels, [Bezirk] Halle, lagern 250 t mittelfrühe Kartoffeln, mit denen die VEAB nichts anzufangen weiß, weil der dortige Konsum trotz Vertrag über die Lieferung von 500 t diese nicht abnimmt und die Kartoffeln aus anderen Kreisen bezieht. Dagegen bestehen weiterhin Schwierigkeiten in der Kartoffelversorgung im Bezirk Karl-Marx-Stadt, was vielfach in den Kreisen der Bevölkerung heftige Diskussionen auslöst. Die Anlieferung von Kartoffeln aus anderen Bezirken ist die Hauptursache. Größere Mengen der angelieferten Kartoffeln müssen zur Viehfütterung abgegeben werden. Verschiedentlich sind auch Lieferungen angekommen, die vollkommen unverwertbar waren. Eine Aufstellung des kommunalen Großhandelsbetriebes Karl-Marx-Stadt besagt, dass in der Zeit vom 21.8. bis 5.9.1954 von 1 194 t angelieferten Kartoffeln 708 t nur zur Viehfütterung verwendet werden konnten. Weitere 30 t waren vollkommen unverwertbar. Die schlechtesten Anlieferungskreise bzw. Bezirke sind Cottbus, Kreis Luckau, Neubrandenburg, Pasewalk und Waren, Schwerin, Ludwigslust, Güstrow, Perleberg und Hagenow sowie Potsdam – Pritzwalk. Bei den in Karl-Marx-Stadt eintreffenden Waggons konnte auch vielfach festgestellt werden, dass diese nicht vom Gütekontrolleur abgezeichnet wurden. Dies trifft hauptsächlich bei den Transporten aus den Bezirken Cottbus, Neubrandenburg und Leipzig zu.
Zigarettenmangel besteht nach wie vor im Kreis Weimar, [Bezirk] Erfurt, und in der Stadt Eisleben, [Bezirk] Halle.
Fleischwaren teilweise im Bezirk Cottbus.
Kindernährmittel und Fischwaren teilweise im Bezirk Schwerin, Speck seit mehreren Tagen in verschiedenen Verkaufsstellen des Landkreises Brandenburg, [Bezirk] Potsdam.
Schlämmkreide und Gips fehlt im Bezirk Karl-Marx-Stadt, worüber besonders die Handwerker negativ diskutieren.
Eine HO-Verkäuferin aus Potsdam erklärte, dass sie und ihre Kolleginnen aus Angst vor einem Manko, das dadurch entsteht, dass ihnen verdorbenes Obst und Gemüse nicht gutgeschrieben wird, einen Aufschlag bei anderen Waren vornehmen. Sie verlangen z. B. für 100 Gramm Käse, der eigentlich DM 1,02 kostet, DM 1,12.
Die Befürchtung, dass in den Verkaufsstellen der HO und des Konsums Waren verderben könnten und die Kollegen dann diese selber bezahlen müssen, besteht in Potsdam unter dem Verkaufspersonal. Dadurch sind die Verkaufsstellenleiter oft übervorsichtig und geben nur kleine Bestellungen auf, sodass oft Waren, die von der Bevölkerung nicht ständig verlangt werden, bei einer Nachfrage nicht vorhanden sind.
Landwirtschaft
Über die Volkskammerwahl wird weiterhin nur wenig diskutiert. Die Stellungnahmen zur Preissenkung haben stark nachgelassen, sie sind jedoch überwiegend positiv und es wurden aus diesem Anlass vereinzelt weitere Selbstverpflichtungen übernommen.
Bei den Rechenschaftslegungen21 kam es verschiedentlich zu negativen bzw. feindlichen Äußerungen, wie z. B. in den Gemeinden Haaren, Wüstemark, Woosmor,22 Samsdorf,23 Hinzenhagen, [Bezirk] Potsdam,24 wo teils die EVG verteidigt und teils die »freie Wirtschaft« und die Listenwahl gefordert wurde. Die Auffassung der »freien Wirtschaft« vertritt auch der Sekretär der SED aus Gerdshagen, [Bezirk] Schwerin.25 Die treibenden Kräfte zur Listenwahl sind die Großbauern aus Samsdorf und Hinzenhagen. In Wüstemark vertritt außer einigen Bauern auch ein Mitglied der SED den Standpunkt, dass der Sozialismus »Ausbeutung« ist, die durch die Wettbewerbsbewegung unterstützt wird. Ferner, »dass die Wahlen in Westdeutschland gezeigt hätten, was wahre demokratische Wahlen sind.26 Die Regierung der DDR dagegen würde nur von den Sowjets gehalten. Deswegen müssen diese aus Deutschland abziehen.«
Im Kreis Sternberg, [Bezirk] Schwerin, ist die Arbeit der Nationalen Front zur Vorbereitung der Volkskammerwahl mangelhaft.27 Von insgesamt 61 Aufklärungslokalen wurden nur 25 eröffnet und diese sind nur einmal in der Woche für Ausspracheabende geöffnet.28
In einer Versammlung in Ehmkenhagen, [Bezirk] Neubrandenburg,29 wo 74 Personen anwesend waren, wurde von Einzelpersonen die »freie Wirtschaft« gefordert sowie die Unterstützung der Einzelbauern statt der LPG und die Bereitstellung von Futtermitteln, wobei ein Zwischenruf fiel: »Der Staat betrügt die Bauern.«
Ein Mittelbauer, Mitglied der CDU, aus Kummerow, [Bezirk] Frankfurt, versuchte mit folgender Äußerung die Versammlung zu stören: »Der Bauer wird immer gedrückt, hat er die Ernte eingebracht, dann soll er sofort abliefern.«
Sollablieferung
Ein Teil der Bauern im Bezirk Schwerin liefert das Getreide mit der Begründung nicht ab, um es in der Zwischenzeit ausschwitzen30 und vortrocknen zu lassen. Dieses Argument benutzt besonders ein Großbauer aus Dabel, [Bezirk] Schwerin.
In Haaren, [Bezirk] Schwerin, treten ähnliche Tendenzen auf, wo besonders ein Bauer (SED) die Meinung vertritt, dass er mit der Ablieferung bis zum Jahresende Zeit hätte. Er trete für die »freie Wirtschaft« ein und liefere ab, wenn er wolle. Zum LPG-Vorsitzenden äußerte er sich in diesem Zusammenhang: »Wenn es anders kommt – und es kommt sowieso anders, bist Du der Erste, der totgeschlagen wird.«
Im Bezirk Leipzig treten in den letzten Tagen unter sämtlichen Schichten der Bauern, besonders aber unter Großbauern, Diskussionen über die Sollablieferung stärker in den Vordergrund. Man argumentiert, dass es noch Zeit mit der Ablieferung hätte. Ein Großbauer aus Beckwitz, [Kreis] Torgau, sagte hierzu: »Wenn ihr alles wegnehmt, dann lasst wenigstens die Apfelbäume stehen, damit wir diejenigen aufhängen können, die Schuld haben.«
Ein Mittelbauer aus Fuchshain, [Kreis] Grimma: »Ich habe bis Ende Oktober Zeit mit der Ablieferung von Getreide. Für mich kommt kein Nachtdrusch infrage.31 Wir haben schon früher den 8-Stunden-Tag angestrebt und jetzt wird verlangt, dass wir Bauern 14 Stunden und noch mehr am Tage arbeiten sollen.«
Ein schlechtes Beispiel in der Arbeit zur Erfassung wurde von einem landwirtschaftlichen Instrukteur vom Kreisrat Wurzen, [Bezirk] Leipzig, in einer Bauernversammlung mit folgender Äußerung gegeben: »Wenn bis zum 15.9.1954 nicht sämtliche Bauern ihr Soll abgeliefert haben, werden sie eingesperrt.«
Mängel und Missstände
Der Leiter des VEG Velgast, [Kreis] Stralsund, [Bezirk] Rostock, klagt über das Fehlen von Gabeln für die Getreide-, Kartoffel- und Rübenernte.
Die Bauern aus dem Kreis Spremberg klagen, dass sie für ihre abgelieferten Waren keine termingemäße Bezahlung erhalten. So z. B. steht die Verrechnung für abgelieferte Milch an die Molkerei vom Vormonat noch offen.
Die VdgB (BHG) in Webau und Muschwitz, [Bezirk] Halle, erhielten von der DHZ Salzwedel, [Bezirk] Magdeburg, 90 dz Saatkartoffeln, die von Braunfäule befallen sind.
Im Kreis Greiz, [Bezirk] Gera machen sich Anzeichen von Auflösungserscheinungen der LPG bemerkbar, wie z. B. in der LPG Zickra-Dittersdorf. Es werden dafür die verschiedensten Gründe, wie Fehlen von Arbeitskräften und zu viel Arbeit angeführt. Man weigert sich dort, die Felder zusammenzulegen, sodass jeder für sich geerntet hat und in Zukunft auch will.32
Übrige Bevölkerung
Die Diskussionen über die Preissenkung sind zurückgegangen. Größenteils sind es Hausfrauen und Rentner, die sich dazu äußern. Der überwiegende Teil der Äußerungen ist positiv. Immer wieder wird erklärt, dass es eine große Hilfe ist, dass gerade die Fettigkeiten so billig geworden sind. Das bedeutet für die Rentner, dass sie sich dadurch auch etwas mehr zusätzliche Fettigkeiten kaufen können. Einige erklären, dass sie als Beweis ihres Vertrauens und ihrer Dankbarkeit gegenüber unserer Regierung am 17. Oktober [1954] ihre Stimme den Kandidaten der Nationalen Front geben werden.
Von einigen, besonders von Rentnern, wird die Preissenkung als nicht bedeutend hingestellt und erklärt, dass die Preise für HO-Butter und -Fleischwaren geblieben sind und dass es notwendiger gewesen wäre, gerade diese Waren im Preis zu senken. Eine Rentnerin aus Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich bekomme DM 95,00 Rente im Monat. Wenn ich damit allein meinen Haushalt bestreiten müsste, könnte ich verhungern. Die Preissenkung ist doch nichts für uns kleinen Leute, sondern nur für die, die genug verdienen.« Eine Hausfrau aus Angermünde, [Bezirk] Frankfurt: »Es ist ja einiges billiger geworden, aber die Butter hat man nicht im Preis gesenkt. Ich kann es mir nicht leisten, in der HO zusätzlich Butter zu kaufen.«
Die Diskussion über die Volkswahlen hat nur geringen Umfang. Der überwiegende Teil der Äußerungen ist positiv. Vorwiegend wird zur Aufstellung der gemeinsamen Kandidatenliste Stellung genommen. Dabei zeigt sich immer wieder, dass Mitglieder und Funktionäre der bürgerlichen Parteien nicht damit einverstanden sind. So sagte z. B. ein CDU-Mitglied aus Gera: »In unseren Reihen taucht immer wieder die Frage auf, warum gemeinsame Listen? Am schwersten sind die älteren Unionsfreunde zu überzeugen von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Listenwahl.«
Ein NDPD-Mitglied aus dem Kreis Seehausen, [Bezirk] Magdeburg: »Ich kann es nicht als ›freie Wahlen‹ bezeichnen, wenn gemeinsame Kandidatenlisten aufgestellt werden. Die SED wird ja doch bestimmen.«33
Bei einem Handwerkerausspracheabend in Sonneberg, [Bezirk] Suhl, wurde über die Volkswahl gesprochen. Dabei wurde von einigen zum Ausdruck gebracht, dass bei vergangenen Wahlen nicht immer das Wahlgeheimnis eingehalten worden wäre, was in Zukunft nicht mehr vorkommen dürfte. Des Weiteren wurde erklärt, dass immer nur von einem Arbeiter- und Bauernstaat die Rede sei und die Handwerker kaum erwähnt würden. Ein Malermeister aus Banz,34 [Bezirk] Schwerin, sagte: »Ich gehe nicht zur Wahl, weil die Regierung ständig Fehler macht, z. B. hat sie uns das Lehrlingszüchtungsrecht genommen.35 Das führt zum Starrsinn der Lehrlinge und deshalb haben 95 Prozent meiner Lehrlinge die Prüfung nicht bestanden.«
Bei einer Rechenschaftslegung in der Gemeinde Bülzig, Kreis Wittenberg, [Bezirk] Halle, wurde u. a. über die Volksbefragung gesprochen.36 Dazu erklärten einige Anwesende Neubürger,37 dass sie bei der Volksbefragung nicht für den Frieden stimmen konnten, weil sie sonst mitgeholfen hätten, die Oder-Neiße-Grenze zu verewigen.
In dem Dienst- und Leistungsbetrieb (Müllabfuhr) in Suhl zahlen die Beschäftigten seit Februar 1954 keinen FDGB-Beitrag mehr. Sie begründen es damit, dass sich niemand um ihre Nöte kümmert, wie z. B. Mittagessen, Berufskleidung, Ferienplätze usw. (Es ist nicht geklärt, ob sie zur VBV oder zur IG Transport gehören.)
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
NTS:38 Halle 230.
KgU:39 Halle 650.
SPD-Ostbüro:40 Halle 700.
EVG- oder sowjetischer Friedensvertrag: Halle 120.
»Tarantel«:41 Halle 150.
»Sozialdemokrat«:42 Karl-Marx-Stadt 74.
»Tribüne«:43 Erfurt 2 000, Gera 75, Karl-Marx-Stadt 21.
»Neuer Kurs«:44 Karl-Marx-Stadt und Erfurt einige.
In tschechischer Spr[ache]: Dresden einige.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Diversion
Am 14.9.1954 wurde in einem Tank des Motorrades des 1. Kreissekretärs der FDJ in Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, eine Handvoll Salz geworfen.
Ein VP-Angehöriger aus Gumtow, [Kreis] Kyritz, [Bezirk] Potsdam, wurde von einem Arbeiter tätlich angegriffen und niedergeschlagen.
In der Gemeinde Fichtenberg, [Kreis] Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus, wurde auf drei sowjetische Soldaten ein Überfall verübt, wobei man zwei sowjetische Soldaten mit Zaunlatten schlug, diese mussten ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.
In Saalfeld, [Bezirk] Gera, häufen sich in letzter Zeit die Fälle, in denen Angehörige von gefallenen Soldaten des letzten Weltkrieges Briefe erhalten, dass ihre Verwandten noch leben, dass sie selbst mit diesen in Lagern zusammen gewesen wären und ihnen nun Nachricht zukommen ließen. Die Absender dieser Briefe wohnen in Westdeutschland.
Anlage 1 vom 14. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2314
Landwirtschaft
In Bezug auf die Sollablieferung machen sich bei Großbauern, besonders im Bezirk Potsdam, die gleichen Tendenzen bemerkbar wie im vorigen Jahr. Sie zeigen sich in den Forderungen der Sollstreichung, der Sollherabsetzung und in dem Verlangen nach der »freien Wirtschaft«, die immer wieder bei Diskussionen in den Versammlungen gestellt werden. Einige Bürgermeister und Gemeindevertreter unterstützen diese Forderungen. Oft machen sich auch werktätige Bauern zu Fürsprechern dieser Forderungen. In der Gemeinde Hohenwerbig, [Kreis] Belzig, [Bezirk] Potsdam, z. B. ergriff der Bürgermeister (Mitglied der SED) das Wort für die Großbauern und sagte in der Diskussion: »Die Großbauern können das Soll nicht erfüllen, es wäre angebracht, für sie das Soll herabzusetzen.« Ein werktätiger Bauer (Mitglied der DBD) sagte in der gleichen Versammlung: »Man muss den Anbauplan abschaffen und die ›freie Wirtschaft‹ einführen.«
Bei einem Großbauern in Hohenseefeld, Kreis Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, sollte ein Ernteeinsatz vonseiten der KVP45 durchführt werden, da der Großbauer bisher nur 3 Prozent seines Getreidesolls erfüllt hat. Der Großbauer lehnte diesen Einsatz ab, damit die KVP keinen Einblick über die wirkliche Menge seines Getreides bekommt. Er versuchte die Ablehnung damit zu begründen, dass die KVP ihm den Dreschkasten demoliert. Als sich die KVP jedoch von der Arbeit nicht abhalten ließ, schaltete der Großbauer die Starkstromleitung ab.
In fast allen Gemeinden des Kreises Nebra, [Bezirk] Halle, vertritt man den Standpunkt, dass man das Soll an Getreide in diesem Jahr nur zu 70 bis 80 Prozent erfüllen kann. Eine Bäuerin aus Dorndorf, [Kreis] Nebra, äußerte sich hierzu auf einer Bauernsammlung: »Wenn ich 100-prozentig abliefern muss, dann verreckt das Vieh im Stall und ihr könnt die Wirtschaft gleich mit übernehmen.«
Über bestehende Mängel in LPG und VEG
Der Vorstand der LPG Toddin-Hagenow, [Bezirk] Schwerin, setzt sich aus ehemaligen SS- und NSDAP-Mitgliedern zusammen. Der Vorsitzende dieser LPG war früher Gutsinspektor in Röcknitz/Niederlausitz.46 In einer Gemeindevertretersitzung äußerte er: »Der Bürgermeister muss diktatorischer werden, was heißt denn hier schon Demokratie.« Die MTS bezeichnete er als einen »Lauseverein«.
Die Bautätigkeit auf den LPG und überhaupt auf dem Lande geht nur schleppend voran. Ein Genossenschaftsbauer (parteilos) aus Darz, [Kreis] Putbus, [Bezirk] Rostock, erklärte hierzu Folgendes: »Seit zwei Jahren kommen von überall Personen von den Verwaltungen und sehen sich unsere Wirtschaftsgebäude an, sie notieren sich alles und versprechen, Abhilfe zu schaffen, aber getan ist bis heute noch nichts. Die Dächer sind vollkommen undicht und die Balken morsch, sodass wir kein Getreide lagern können. Es soll einmal einer aus Berlin kommen und sich das ansehen, wie es bei uns und auch auf anderen Dörfern aussieht.«
Das VEG Biesdorf hat Schwierigkeiten in der Unterbringung des Jungviehs, da der Stall vom Magistrat an einen Fuhrunternehmer verpachtet ist und dieser den Stall erst dann räumen wird, wenn das ihm zugewiesene Gehöft Alt-Biesdorf 62 instand gesetzt ist.
In der MTS Zittau, [Bezirk] Dresden, bestehen große Schwierigkeiten in der Materialbeschaffung. Es fehlen besonders 8-, 10- und 12-mm-Schrauben. Weiter fehlen Kugellager für den Lkw Framo,47 Type 30 × 31. Desgleichen werden Gruppenschare48 nur im geringen Maße geliefert.
Der an die MTS Neckanitz, Kreis Meißen, [Bezirk] Dresden, gelieferte Krautenschläger mit Keilriemenantrieb ist laufend defekt, da die Riemen die hohe Tourenzahl nicht aushalten.
Anlage 2 vom 15. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2314
Stimmung zur Leipziger Messe
Die Stellungnahmen zur Leipziger Messe tragen überwiegend positiven Charakter. Immer wieder wird hervorgehoben, dass durch die starke Beteiligung des kapitalistischen Auslandes die diesjährige Messe internationalen Charakter trägt. Auch wird viel über den hohen Leistungsstand der DDR-Industrie [gesprochen] und besonders lobend äußert man sich immer wieder über die Erzeugnisse der Sowjetunion sowie der Volksdemokratien. Zum Beispiel erklärten Intelligenzler aus dem Kunstseidenwerk in Premnitz, [Bezirk] Potsdam, dass sie gestaunt haben über den hohen Stand der Elektrotechnik und weiter sind sie der Meinung, dass die diesjährige Messe internationalen Charakter trägt. Enttäuscht waren sie aber, dass keine Motorroller ausgestellt waren und sie erklärten, dass man vordem nicht so eine Reklame machen sollte.
Ein Angestellter aus dem Zentrallabor in Ilmenau, [Bezirk] Suhl: »Was mir besonders aufgefallen ist, dass in diesem Jahr so viele Ausländer ausgestellt haben und dass so viele westdeutsche Firmen vertreten sind. Ich glaube, die kapitalistischen Länder brauchen immer mehr die Länder des Ostens zum Handel treiben, sonst bleiben sie auf ihren Waren sitzen.«
Ein Inhaber einer Schuhfabrik aus Eisenberg, [Bezirk] Gera: »Aufgrund der Vertragsabschlüsse mit dem westdeutschen Schuhfabrikanten wird die Auflage für die privaten Firmen bei uns im nächsten Jahr um 38 Prozent gesenkt werden.«
Zu negativen Äußerungen kommt es nur vereinzelt. Darin wird die Messe meist als Propaganda hingestellt und erklärt, dass damit nur dem Ausland etwas vorgetäuscht würde. So sagte zum Beispiel ein Arbeiter aus Bad Düben, [Bezirk] Leipzig: »In Leipzig wird zur Messe den Ausländern wieder ein falsches Bild vorgetäuscht. Alles gibt es dort zu kaufen und in Wirklichkeit kann sich der Arbeiter doch so wenig kaufen, dass er bald verhungern muss.«
Ein Arbeiter aus Nobitz, [Bezirk] Leipzig: »Die im Westen haben doch eine ganz andere Qualitätsware. An den Maschinen aus der DDR standen höchstens 20 bis 30 Menschen und an den Maschinen aus Westdeutschland konnte man kaum vor Menschen an den Stand heran.«
In vielen Gesprächen ausländischer und westdeutscher Aussteller und Besucher kommt zum Ausdruck, dass sie großes Interesse an dem Handel mit dem Osten und der DDR haben. Verschiedentlich wird in diesen Kreisen zur Entwicklung in der DDR Stellung genommen und erklärt, dass sie ein ganz anderes Bild von den Verhältnissen bei uns gehabt haben und dass sie erstaunt sind über den Leistungsstand unserer Industrie. Zum Beispiel äußerte ein Diplomingenieur aus Hannover: »Was ich in der DDR an Werkzeugmaschinen gesehen habe, hat mich überrascht. Mit solchen Erzeugnissen könnten in Westdeutschland unbedingt Geschäfte gemacht werden. Allerdings ist es notwendig, dass die Vertreter für die Erzeugnisse, der ›DIA‹, die bürokratischen Hemmnisse aus der Welt schafft.«
Ein Pforzheimer Uhrenfabrikant: »Ich bedaure, dass mir vonseiten der Bundesrepublik keine besondere Unterstützung für die Aufträge mit der DDR erteilt wird. Bei jedem anderen Auslandsgeschäft werden mir von den westdeutschen Banken Kredite gewährt. Für die Geschäfte mit der DDR muss ich eigene Finanzmittel verwenden.«
Ein Einkäufer aus Stockholm: »Wir hatten erwartet, Potemkinsche Dörfer vorgesetzt zu bekommen, wir sind mit offenen Augen durch die Messeausstellung und die Wohnviertel Leipzigs gegangen und konnten gut aussehende und gut gekleidete Menschen sehen. Ebenso hat die Industrie in der DDR einen gewaltigen Aufschwung zu verzeichnen. Man muss den bisher auf Westdeutschland bezogenen Ausdruck ›das deutsche Wunder‹ mit viel mehr Berechtigung auf die DDR anwenden.«
Eine Pariserin erklärte: »Frankreich kann nur dann ohne Furcht vor Deutschland leben, wenn die in der DDR tätigen Politiker die Politik Gesamtdeutschlands bestimmen werden.«
Anlage 3 vom 15. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2314
Auswertung von Hetzschriften
Unter dem Titel »Mitteldeutsche Arbeiterzeitung«, Sitz Berlin-Charlottenburg 9, Postschließfach 41, wird eine neue Hetzschrift in Zeitungsform herausgegeben, die als »Sprachrohr der unverfälschten Gewerkschaftsidee gegen staatsgewerkschaftliche Bevormundung« bezeichnet wird.
Hierin wird unter anderem unter der Überschrift »Bei sich spricht Warnke49 anders – wo sitzen die Arbeiterfeinde« gegen die Leitung des FDGB gehetzt. Zum Beispiel spricht man von einem »Forderungsprogramm« des Zentralvorstandes der IG Bau-Holz, veröffentlicht am 9. Juli 1953 in der »Tribüne«, was unter anderem »Angleichung der Lohnsätze in der Bauindustrie an die Lohnsätze der Grundstoffindustrie, Abänderung der Ortsklasseneinteilung,50 Angleichung der Löhne, die in der Privatindustrie bezahlt werden, an die Löhne in der volkseigenen Bauindustrie« enthielt.
Der Vorsitzende der IG Bau-Holz, Jahn,51 sowie andere FDGB-Funktionäre, die sich für dieses »Programm« einsetzten, seien deshalb abgesetzt und gemaßregelt worden. Hieraus ergebe sich: »Wer konsequent für Forderungen der Arbeiter eintritt, wird aus dem FDGB ausgeschlossen, eventuell sogar verhaftet und als Agent und Saboteur verurteilt.« Außerdem wird in diesem Artikel versucht, die Arbeiter in der DDR für Streiks zu gewinnen.
In einem anderen Artikel unter der Überschrift »Information ist keine Spionage« berichtet man über die Tätigkeit des »Instituts zur Erforschung von Geschichte und Kultur der Sowjetunion«, das seinen Sitz in München, Augustenstraße hat.52 Hiermit beabsichtigt man, die Skrupel über die Spionage für Westdeutschland zu beseitigen und somit Einwohner der DDR für die Spionagetätigkeit zu gewinnen.
Anlage 4 vom 15. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2314
Auswertung der westlichen Rundfunksendunge
Hauptsächlich richtet sich die Propaganda gegen die Volkswahl, ohne neue Argumente zu bringen.
Im Zusammenhang mit der Preissenkung versucht der RIAS nachzuweisen, dass der Lebensstandard in Westdeutschland höher sei als in der DDR. Dabei behauptet er, dass es in der DDR nicht genug Obst, Gemüse, Fett, Fleisch und Kartoffeln geben würde und die Kleider, Anzugstoffe, Hemden, Schuhe usw. »nichts wert« sind.
RIAS »errechnet Durchschnittspreise« aus HO- und Markenpreisen für Fett, Fleisch und Zucker, die höher liegen wie in Westdeutschland.
RIAS argumentiert: »Wenn der Gesamtverbrauch (bei Fett, Fleisch und Zucker) wirklich nur um 15 bis 38 Prozent höher ist als der Markenverbrauch, dann platzt die Illusion von der reichlichen Versorgung der Zone.«
Um die christlichen Kreise gegen die Partei und Regierung zu beeinflussen, spricht der Londoner Rundfunk53 vom »Kampf gegen die Kirche« in der DDR. Er argumentiert mit der Kürzung der staatlichen Zuschüsse an die Religionsgemeinschaften von jährlich 18 bis 20 Millionen Mark auf 13,4 Millionen 1954.54 Dabei beruft er sich auf »verfassungsmäßig gesicherte Pflichtleistungen« und spricht von »unrechtmäßigen Kürzungen«, FDJ-Schulung über antireligiöse Themen, Aufsuchen der Pfarrer zur Unterzeichnung »kompromittierender« politischer Erklärungen und Überwachung der Gottesdienste durch Funktionäre und Agitatoren.