Zur Beurteilung der Situation
9. Juni 1954
Informationsdienst Nr. 2230 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Aufgrund dessen, dass die Teilnehmer des II. Deutschlandtreffens erst gestern abgefahren sind,1 konnten uns die Bezirke noch keine Einschätzung über die Stimmung geben.
Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen steht die Volksbefragung.2 Die uns bekannt gewordenen Stimmen sind überwiegend positiv und stammen meist von Arbeitern und Angestellten. Darin wird teilweise zum Ausdruck gebracht, dass es für jeden Deutschen eine Selbstverständlichkeit sein müsste, seine Stimme für den Frieden und gegen EVG3 abzugeben. Jedoch wird verschiedentlich zum Ausdruck gebracht, dass die Volksbefragung nutzlos sei, da sowieso alle für den Frieden sind.
Vereinzelt treten negative Diskussionen auf. Einige Kollegen aus der Volkswerft »Ernst Thälmann« in Brandenburg, [Bezirk] Potsdam: »Für uns kann es gar nichts anderes geben, als Friedensvertrag und Abzug der Besatzungsmächte.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Sporttuch, [Bezirk] Cottbus: »Die sollen mal lieber fragen, ob wir die Russen wollen, oder ob wir zu Westdeutschland wollen, da brauchen sie nicht erst Propaganda zu machen, ich glaube das würde dann ein voller Erfolg, natürlich nicht für die Kommunisten.«
Über die HO-Preissenkung4 wurden uns folgende positiven Stimmen bekannt: (Eine genaue Einschätzung kann noch nicht erfolgen, da darüber noch zu wenige Äußerungen vorliegen.) Ein Bergarbeiter im Thomas-Müntzer-Schacht Sangerhausen,5 [Bezirk] Halle: »Diese Preissenkung hat uns wieder große Vorteile gebracht. Ich wollte mir schon lange ein Paar Straßenschuhe kaufen. Für den heutigen Preis kann ich mir zwei Paar kaufen. Ich verstehe nur nicht, warum unsere BPO und BGL es wiederum nicht verstanden haben, die Preissenkung mit der bevorstehenden Volksbefragung in Verbindung zu bringen und richtig auszuwerten.«
Eine parteilose Arbeiterin aus Wipperdorf, [Bezirk] Erfurt: »Daran merkt man doch, dass die Regierung bemüht ist, den Lebensunterhalt der Bevölkerung immer wieder zu verbessern.«
Ganz vereinzelt treten negative Diskussionen in den Betrieben auf, die sich zu einer erneuten Provokation zum 17.6.[1954] äußern. Diese Diskussionen werden teilweise durch den zzt. bestehenden Material- und Arbeitsmangel ausgelöst. In der Mathias-Thesen-Werft in Wismar, [Bezirk] Rostock, diskutierten die Arbeiter folgendermaßen: »Im Betrieb haut überhaupt nichts mehr hin. Die Fahrt nach Berlin war ja auch nur unnütze Zeitvergeudung.« Aufgrund des Arbeitsmangels diskutieren sie: »Es wäre an der Zeit, dass wieder mal ein neuer Tag ›X‹6 kommt, damit wir wieder mal richtig auf die Pauke hauen können.«
In der Waggonfabrik Ammendorf, [Stadt] Halle, fand eine Besprechung der leitenden Funktionäre statt, die durch den 1. Sekretär der BPO geleitet wurde. Er erklärte vor den Funktionären Folgendes: »Ab 14.6., bis 19.6.1954 dürfen keine Gruppenversammlungen der Partei- und Massenorganisationen durchgeführt werden, da die BPO-Leitung dann über die Zeit des 17.6.[1954] keine Kontrolle über die Versammlungen und die eventuell auftretenden feindlichen Tendenzen hat.«
Missstimmungen bzw. negative Diskussionen über Lohn- und Gehaltsfragen sowie über Materialschwierigkeiten wurden uns aus verschiedenen Betrieben bekannt. Unter den Kraftfahrern der Garage des [Wismut-]Objektes 4 in Aue,7 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, besteht betreffs Qualifizierung der Kraftfahrer eine Unstimmigkeit. In Zukunft soll nach dem Beruf der Kraftfahrer die Gehaltseinstufung vorgenommen werden. So wird z. B. ein gelernter Autoschlosser mehr Lohn bekommen als ein ungelernter. Damit sind die übrigen Kraftfahrer (die nicht Autoschlosser von Beruf sind) nicht einverstanden.
Ein Reichsbahnarbeiter vom Bahnhof Weißenfels, [Bezirk] Gera, äußerte sich: »Über Gehalts- und Lohnfragen wurde schon viel gesprochen und diskutiert. Geändert hat sich aber noch nichts. Die Leute suchen sich andere Arbeit und das ist eine ernste Gefahr, deshalb bedarf es einer Überprüfung bzw. gründlicher Überholung des Lohngefüges bei der Deutschen Reichsbahn.«
Auf dem Bahnhof Ferdinandshof, [Bezirk] Rostock,8 diskutieren die Angestellten über schlechte Entlohnung bei der Reichsbahn. So sagte ein Bahnunterhaltungsarbeiter (parteilos): »Ich möchte gern Geld sparen, um mir etwas anzuschaffen, aber bei diesem Lohn kann ich das nicht, deshalb möchte ich gern zum Bauzug. Sollte ich nicht dahinkommen, werde ich bei der Bahn kündigen.«
Entlassungen: Laut Anordnung des Staatssekretariates für Energie soll ab 1.7.1954 eine Zusammenlegung der Betriebe Kraftwerk Dresden, Energieverteilung Dresden und Energieverteilung Großröhrsdorf durchgeführt werden,9 weil sich dadurch Einsparungen von 276 000 DM ergeben. Das bedeutet aber, dass eine ganze Reihe Entlassungen von Angestellten, die bereits 30 Jahre im Werk tätig sind, vorgenommen werden müssten. Dies würde große Verärgerungen mit sich bringen. Der Parteisekretär dieses Betriebes wies darauf hin, dass der Zeitpunkt dieser Aktion aufgrund der Volksbefragung sehr ungünstig ist.
Materialschwierigkeiten: Im VEB IKA in Zehdenick,10 [Bezirk] Potsdam, ist die Anlieferung von Rohmaterial so schlecht, dass die Verpflichtungen, Massenbedarfsgüter herzustellen, nur ungenügend erfüllt werden kann.
Produktionsstörungen: Am 7.6.1954 kam es im Eisenhüttenwerk Thale, [Bezirk] Halle, zu einer Betriebsstörung, indem von der Nassluftpumpe Schrauben abgerissen wurden. Der Produktionsausfall beträgt 600 t. Das Walzwerk, welches von der Blockstraße nicht mit Platinen beliefert werden konnte, ist ebenfalls von der Produktionsstörung betroffen worden.
Handel und Versorgung
Ein Mangel an HO-Fleischwaren besteht weiterhin im Bezirk Neubrandenburg und in mehreren Kreisen des Bezirkes Halle. Im Bezirk Cottbus ist eine Besserung eingetreten in der Belieferung mit Schweinefleisch, die Versorgung mit Rindfleisch ist noch ungenügend. Im Bezirk Schwerin ist ebenfalls eine Besserung eingetreten.
Verschiedentlich wird über eine ungenügende Warenbereitstellung geklagt. Zum Beispiel fehlt es an Fischwaren im Kreis Schleiz, [Bezirk] Gera, an Frischfisch, Gemüse und Bohnenkaffee im Bezirk Neubrandenburg, an Fischwaren, Zitronen und Bohnenkaffee in mehreren Kreisen des Bezirkes Halle, an Fischwaren im Bezirk Suhl, an Getränken, wie Limonade, Selter und Bier, in mehreren Kreisen des Bezirkes Potsdam, an Zitronen und Bohnenkaffee im Bezirk Magdeburg und an Bohnenkaffee, Bier und Limonade im Bezirk Rostock.
Im Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, lagern ca. 10 t Schmalz und Schlachtfette (überplanmäßige Bestände), die nicht abgesetzt werden können. Um einen Verderb zu verhindern, wandte sich die Abteilung Handel und Versorgung mehrmals an den Rat des Bezirkes, bisher wurde aber noch keine Regelung getroffen.
Aus dem Hauptlager für Staatsreserven in Heidenau, [Bezirk] Dresden, wurden 44 000 verdorbene Fischkonserven nach der Knochenmehlfabrik Pirna,11 [Bezirk] Dresden, gebracht.
In der Uhrenabteilung eines HO-Kaufhauses in Dresden wurden in der letzten Zeit 600 Thiel-Armbanduhren12 zurückgenommen und dem Herstellungsbetrieb zugesandt.
Landwirtschaft
Weiterhin ist zu verzeichnen, dass unter der Landbevölkerung das Interesse an politischen aktuellen Problemen gering ist, meist wird dazu nur in den Kreisen des sozialistischen Sektors Stellung genommen. Die im geringen Maße bekannt gewordenen Äußerungen sind überwiegend positiv. Ein Schweinemäster von der Schweinemästerei Marlow, [Bezirk] Rostock: »Ich habe von zwei Weltkriegen die Schnautze [sic!] voll und will keinen dritten mehr mitmachen. Deshalb stimme ich bei der Volksbefragung für den Frieden.«
Vereinzelt wurden negative bzw. feindliche Stimmen bekannt, meist von Einzelbauern. Ein Bauer aus Arnsnesta, [Bezirk] Cottbus: »Heute ist alles Mist. Zu Hitlers Zeiten haben wir besser gelebt. Zur Volksbefragung gebe ich meine Stimme Adenauer,13 denn er ist der Hitler von heute.«
Ein Altbauer aus Reuthen, [Bezirk] Cottbus: »Was brauchen wir eine Volksbefragung. Man soll die Menschen das machen lassen, was sie wollen. Man soll endlich die ›Freie Wirtschaft‹ wieder einführen, damit es den Bauern besser geht.«
Ein Bauer aus Schladitz, [Bezirk] Halle, beeinflusst die Bauern, indem er sagt: »Gebt nicht zu viel Soll ab vor der Volksbefragung, wartet erst die Volksbefragung ab, dann brauchen wir nichts mehr abzuliefern.«
Im Mittelpunkt des Interesses stehen wirtschaftliche und persönliche Belange, deshalb wird mehr über diese Fragen gesprochen. Zum Beispiel ist die Futterknappheit und die ungenügende Düngemittelzuteilung des Öfteren Gegenstand der Diskussionen. Ein Neubauer (SED) aus Putbus, [Bezirk] Rostock: »Jedes Jahr ist es dieselbe Schweinerei, dass die BHG keinen Dünger heranbekommt. Jetzt brauchen wir ihn unbedingt für das Sommergetreide, immer bekommen wir ihn erst, wenn es zu spät ist. Abliefern sollen wir und keiner fragt uns, woher wir das Getreide nehmen sollen, wenn die Ernte dadurch schlecht ausfällt.«
Im Kreis Sonneberg, [Bezirk] Suhl, wird ebenfalls die mangelhafte und unregelmäßige Zuteilung an Düngemittel kritisiert.
Über den Mangel an Futtermittel äußerte ein Mittelbauer aus Mieste, [Bezirk] Magdeburg: »Da oben wird immer geplant, aber gelernt haben sie noch nichts. Man müsste sie zum Teufel jagen. Das ist nicht nur mit dem Fleisch [so], sondern auch mit den Futtermitteln. Sie haben für uns nicht einmal Kleie und wenn sie welche haben, dann kommt sie in die LPG.«
In der LPG Jahna, Kreis Meißen, sollten die Kuh- und Schweinestallbauten bereits 1953 abgeschlossen werden, jedoch sind sie bis heute noch nicht fertiggestellt. (Das Gleiche gilt für Wohnungsbauten.) Das Geld dafür sollte vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft dem Rat des Kreises überwiesen werden. Da es nicht erfolgte, wurden die Arbeitskräfte vom Kreisbauamt abgezogen.
Übrige Bevölkerung
Im Mittelpunkt der wenigen Diskussionen steht die Volksbefragung, zu der meist positiv Stellung genommen wird. Hierzu ein Beispiel: Eine Hausfrau aus Neundorf erklärte: »Es wird Zeit, dass die Grenzen fallen und ein Friedensvertrag herbeigeführt wird. Durch die Volksbefragung werden wir der Einheit Deutschlands einen Schritt näherkommen, denn jeder ehrliche Deutsche gibt seine Stimme für den Frieden.«
In einem Teil der Bevölkerung wird die Meinung vertreten, dass die Volksbefragung keinen Zweck hat, wenn sie nicht gleichzeitig in Westdeutschland durchgeführt wird.14 Mehrere Kollegen aus der DHZ Textil in Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, äußerten: »Ich habe unter der Bevölkerung mehrfach die Meinung gehört, dass die Volksbefragung nicht notwendig wäre, da ja jeder Mensch für den Frieden sein wird. Hoffentlich hat die Volksbefragung auch einen Zweck, wenn sie nur bei uns in der DDR durchgeführt wird. Die Volksbefragung müsste in ganz Deutschland durchgeführt werden.«
Ein parteiloser Arbeiter vom Straßenbau Putbus, [Bezirk] Rostock: »Für einen Krieg sind wir alle nicht. Aber was nützt eine Volksbefragung gegen den Krieg? Die Volksbefragung wird auch nichts nutzen und Adenauer lässt sich dadurch auch nicht abschrecken.«
In bürgerlichen Kreisen lehnt man die Volksbefragung teilweise mit feindlichen Argumenten ab. »Die Wahlen für Krieg oder Frieden sind zwecklos. Krieg wollen wir alle nicht. Bei einer Wahl für die Einheit Deutschlands müssten auf der Liste Pieck15 und Adenauer stehen. Dann wollen wir mal sehen, wer die meisten Stimmen hat. Ich gehe nicht zur Wahl, weil man mir meine Heimat genommen hat und ich hier als Mensch 2. Klasse angesehen werde.«
Ein Pastor aus Boddin, Kreis Teterow, [Bezirk] Neubrandenburg: »An der Volksbefragung beteilige ich mich nicht. Ich werde nicht zur Abstimmung gehen, denn ich habe die Regierung der DDR nicht gewählt. All dies ist ja nur ein Trick und soll zur Ausbreitung des Kommunismus führen.«
Über die Preisherabsetzungen wird, soweit bis jetzt die Meinungen bekannt geworden sind, in der Mehrzahl positiv gesprochen. Besonders wird dabei die Herabsetzung der Preise für Schlachtfette begrüßt. Teilweise, wie im Bezirk Potsdam, wird dies auch als Selbstverständlichkeit betrachtet. Feindliche Elemente benutzen diese Maßnahme auch zu weiterer Hetze wie z. B. ein Gastwirt aus Neubrandenburg: »Die Preissenkung soll nur eine Beeinflussung der Bevölkerung zur Volksbefragung sein. Nach der Volksbefragung werden diese Waren wieder genauso teuer sein, wie sie es waren.«
Zur Versorgung mit HO-Fleischwaren berichtet der Bezirk Dresden weiterhin Unzufriedenheit in der Bevölkerung, wie folgendes Beispiel zeigt: Angestellte des HO-Warenhauses, Dresden, Wilsdruffer-Straße16 stellten die Frage: »Warum gibt es in den HO-Verkaufsstellen keine Wurst und kein Fleisch mehr? Die Presse hat doch vor einigen Monaten noch berichtet, dass im Zuge des neuen Kurses die Erzeugung von Wurst auf 102 verschiedenen Sorten gesteigert werden sollte«.17 Sie fragten weiterhin, wo die Lieferungen von Fleisch aus der Sowjetunion blieben und sie sind der Meinung, dass die Presse uns beschwindelt18 und fordern Rechenschaft über diese Angelegenheiten.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
NTS:19 Schwerin 4 000, Halle 3 000, Potsdam 54, Dresden 29, Frankfurt/Oder einige. Inhalt: Der größte Teil ist in russischer Schrift, ein kleiner Teil gegen das II. Deutschlandtreffen.
SPD-Ostbüro:20 Potsdam 4 000, Karl-Marx-Stadt 215, Erfurt 94, Gera 73. Inhalt: Meist Hetze gegen den IV. Parteitag.
KgU:21 Potsdam 1 120. Inhalt: Hetze zum 17. Juni [1954].
In tschechischer Schrift: Dresden 28, Karl-Marx-Stadt einige.
»Freie Junge Welt«:22 Potsdam 1 000. Inhalt: Hetze gegen das II. Deutschlandtreffen.
Gefälschte »Tribüne«:23 Karl-Marx-Stadt 200.
Der größte Teil der Hetzschriften wurde mit Ballons eingeschleust und gelangte nicht in die Hände der Bevölkerung.
In Potsdam wurden in der S-Bahn 49 gefälschte VP-Zeitschriften sichergestellt.
In neun Bezirken wurden Hetzschriften auf dem Postwege an VEB, MTS, LPG, Verwaltungsstellen, SED-Kreisleitungen, Fachschulen sowie an einzelne Einwohner verbreitet, die von der KgU stammen und den bereits bekannten Inhalt zum 17.6.[1954] haben. (Nicht unüberlegt handeln, kleine Aktionen durchführen.)24 Die Hetzschriften tragen das25 Siegel DDR-Streikkomitee Mitteldeutschlands.
Einen Hetz- und Drohbrief erhielt eine Bibliothekarin aus Rudolstadt, [Bezirk] Gera, von der KgU.
Antidemokratische Schmierereien. Im RAW Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, in der Wagenabteilung wurde ein Plakat zur Schrottsammlung mit einem Zeitungsabschnitt beklebt, in dem gegen erhöhte Produktionsleistungen gehetzt wird.
In der Elbewerft Boizenburg, [Bezirk] Schwerin, Abteilung Brennerei wurde auf eine Tafel folgende Hetzlosung geschrieben: »[Name], der Normenbrecher, Du Menschenschinder« (Täter ermittelt).
Im Landmaschinenwerk Barth, [Bezirk] Rostock, wurde im Verwaltungsgebäude die Hetzparole »Heil mein Führer, der ›Tag X‹ kommt wieder« angeschmiert.
Im VEB Zeiss Jena, Bau 29, wurde die Hetzparole angeschmiert: »7. Juni [sic!],26 Kampftag aller Werktätigen für Freiheit!«
In der Deutschen Post in Weimar, [Bezirk] Erfurt, wurde in der Toilette, die vom Bautrupp des Fernmeldeamtes benutzt wird, eine Hetzparole gegen den Präsidenten angeschmiert.
Antidemokratische Tätigkeit
In der Nacht vom 6. zum 7.6.[1954] wurde auf dem Schulhof der Gemeinde großen-Kalau, [Bezirk] Kottbus,27 die DDR-Fahne heruntergerissen unter Absingen faschistischer Lieder (ein Täter festgenommen).
In Arnstadt, [Bezirk] Erfurt, wurde ein Schaukasten des DFD [z]erbrochen und ein Plakat über die Volksbefragung herausgerissen.
Ein Gerücht wird unter der Bevölkerung in Leipzig verbreitet, wonach Geldscheine im Werte von 5,00 bis 50,00 Mark zur Sicherung gegen Fälschungen kleine Nummern tragen. Dieses Geld hätte keinen Wert und würde deshalb auch in den Westberliner Wechselstuben und Geschäften nicht angenommen werden.
Zwölf Teilnehmern aus Halle, die vom II. Deutschlandtreffen aus Berlin zurückgekehrt sind, wurden Hetzschriften des DGB-Ostbüros28 und der KgU abgenommen.
Vermutliche Feindtätigkeit
In der Elbewerft Boizenburg brach am 8.6.[1954] in einer Barake, in der sich die Betriebstischlerei, das Lager und Werkzeugmagazin befinden, durch vorsätzliche Brandstiftung ein Brand aus. Schaden ca. 40 000 DM.
In der LPG Kayna,29 [Bezirk] Halle, brach ein Scheunenbrand aus. Ursache wird noch ermittelt, Schaden 20 000 [DM].
Am 7.6.1954 wurden in der Nähe von zwei LPG im Kreise Altentreptow, [Bezirk] Neubrandenburg, zwei unbekannte Täter mit einem Benzinkanister gesichtet, die bei Anruf flüchteten. Es wird vermutet, dass sie in den LPG-Objekten einen Brand anlegen wollten.
Durch Giftweizen verendeten in der letzten Zeit in der LPG Kirschau, [Bezirk] Dresden, zwölf Hühner. Wahrscheinlich wurde er durch unbekannte Täter ausgestreut.
Einschätzung der Situation
Über die Volksbefragung wird teilweise in zunehmendem Maße in der Mehrzahl positiv diskutiert. Verbreitet ist aber auch die Meinung, dass die Volksbefragung »zwecklos« sei. Sonst sind keine wesentlichen Veränderungen in der Lage festzustellen.
Anlage 1 vom 9. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2230
Zur Lage in der Landwirtschaft
Nachfolgend einige Stimmen von Bauern und der übrigen Landbevölkerung zur Lage in der Landwirtschaft.
Ein Siedler aus Salow, [Bezirk] Potsdam:30 »Wir haben zu tun, dass wir das Soll schaffen. Zum Beispiel müssen wir für unsere eine Kuh 1 000 l Milch aufbringen. Wir hätten es aufgebracht, wenn das Futter nicht fehlen würde. Im Herbst wollen wir das Land abgeben und die Kuh wird verkauft. Jetzt sollen die Siedler das Land und den Bau abzahlen. Das wird kein Mensch tun. Kein Wunder, wenn immer mehr abrücken. Es wird ja auch immer mehr aufgedrückt.«
Ein Bauer aus Kränzlin, [Bezirk] Potsdam: »Mit unseren Schweinen haben wir wieder Pech gehabt. Eins ist bereits hopsgegangen, es war auch noch das größte. Man lebt in ständiger Angst, denn die Schweinepest wütet immer noch. Auch wurde gestern bei einem Siedler die Hühnerpest festgestellt. So geht es den Bauern, immer Kummer und Sorgen.«
Ein Bauer aus Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg: »Es wird statt besser immer schlechter. Viele Bauern gehen nach dem Westen aus Angst, ihr Soll nicht erfüllen zu können. Es ist aber auch schlimm jetzt. Zum Schlachten kommen wir vorerst nicht. Viele Bauern haben nichts für ihr Vieh zu fressen.«
Ein Bauer aus Hohenbollentin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Wir hatten keine Kartoffeln zum Pflanzen, da haben wir welche bekommen, die wir im Herbst wieder abgeben müssen. Kaufen kann man keine, denn die kosten 12,00 bis 15,00 DM pro Ztr. Die Saat steht gut, es wird Arbeit geben in Hülle und Fülle, bloß wir haben nichts davon. Für uns wird es nie besser werden.«
Ein Bauer aus Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wir hoffen, dass es für uns jetzt besser wird, denn wir haben unsere Wirtschaft aufgegeben. Das hat Kämpfe und Nerven gekostet und wir haben tüchtig Haare dabei lassen müssen, aber wir pfeifen darauf und sind froh, das Wort ›Soll‹ nicht mehr zu hören.«
Eine Rentnerin aus Gimritz, [Bezirk] Halle: »Die Zeiten sind so ernst geworden. Meine Verwandten mussten sich auch absetzen, ihr Gut ist zum Gemeindegut geworden. Es war eine fleißige Bauernfamilie und hat immer gut gewirtschaftet.«
Nachfolgend einige Beispiele über Mängel und Schwierigkeiten in den LPG und MTS im Bezirk Schwerin.
- –
Im Kreis Parchim klagen die MTS über eine schlechte Belieferung an Ersatzteilen. Vor allem fehlt es an Rollen- und Kugellager und Ersatzteilen für Traktoren.
- –
In der MTS Karstädt, Kreis Perleberg, ist die Arbeitsorganisation schlecht und zwar leiten die Brigadiere und Agronomen die Traktoristen mangelhaft an.
- –
In der MTS Roggendorf, Kreis Gadebusch, haben der technische Leiter und der Oberagronom gekündigt. Der technische Leiter erklärte dazu, dass er sich nicht frei und ständig beobachtet fühlt.
- –
Unter den Mitgliedern der LPG Parkow, Kreis Bützow, bestehen Unstimmigkeiten, da der Vorstand keine ordnungsgemäße Berechnung der Arbeitseinheiten vorgenommen hat.
- –
Der Vorsitzende der LPG Mankmuß,31 Kreis Perleberg, ist nicht in der Lage, die LPG richtig zu leiten. Außerdem wendet er sich gegen Neuerermethoden.
- –
In der LPG und örtlichen landwirtschaftlichen Betrieben des Kreises Parchim fehlt elektrischer Draht für die Umspannung der Koppel. (Dieser Mangel besteht in mehren Kreisen des Bezirkes.)
- –
Eine Überprüfung durch den Rat des Kreises Bützow ergab, dass auf 17 LPG ca. 600 Ferkel für die Aufzucht fehlen.
- –
Ein Traktorist der MTS Wiebendorf, Kreis Hagenow, drohte im angetrunkenen Zustand dem Bürgermeister mit dem 17. Juni.
Anlage 2 vom 8. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2230
II. Deutschlandtreffen der FDJ
Aufsuchen des Westsektors
Von der VP wurde festgestellt, dass in der Zeit vom 3.6. bis 7.6.1954 insgesamt 2 350 Teilnehmer den Westsektor aufsuchten bzw. aufsuchen wollten. Zum Beispiel gingen drei FDJler nach Westberlin und wurden von der Stummpolizei32 aufgegriffen und bewirtet. Nach ihrer Rückkehr in den demokratischen Sektor wurden sie in ihre Heimatstadt Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, zurückgeschickt. Sie sind beschäftigt in der Schraubenfabrik THEWA.33 Dort diskutieren sie jetzt negativ über das II. Deutschlandtreffen.
Vereinzelt war zu verzeichnen, dass Jugendliche von unbekannten Personen im demokratischen Sektor aufgefordert wurden, mit in den Westsektor zu gehen. Zum Beispiel erschien eine männliche Person in der Gleimschule, Prenzlauer Berg (Unterkunft des Bezirkes Magdeburg) und versuchte FDJler zum Sportschießen nach Westberlin einzuladen.
Am 7.6.[1954] in der Zeit von 15.10 bis 15.30 Uhr befand sich an der Brücke Bornholmerstraße (Westsektor) ein Lautsprecherwagen des DGB, welcher die FDJler laufend aufforderte, sich die »Freie Welt« anzusehen. Sie sollten sich beim DGB in der Schlünterstraße34 melden, dort sollten sie beschenkt werden.
Im Bezirk Wilmersdorf wurden Plakate an den Litfaßsäulen geklebt, auf denen die FDJler aufgefordert wurden, das Jugendheim in der Uhlandstraße zu besuchen, wo sie sich mit Persönlichkeiten, wie z. B. Ollenhauer35 frei aussprechen können.
Es wurde festgestellt, dass am 7.6.1954 in der Zeit von 11.00 bis 14.00 Uhr ca. 80 bis 100 FDJler den Berliner Zoo besuchten und am gleichen Tag in der Zeit von 13.00 bis 15.00 Uhr ca. 20 bis 30 FDJler den Sommergarten am Funkturm.
Über Erkrankungen
Insgesamt erkrankten während des II. Deutschlandtreffens 428 Teilnehmer. Davon besteht bei 15 der Verdacht auf ernste Erkrankung und bei den übrigen handelt es sich nur um leichte Erkrankungen (laut Bericht der HVDVP).
Über den Abtransport der Teilnehmer
Unter anderen traten am 7.6.[1954] um 22.00 Uhr 2 620 Teilnehmer der Wismut ihre Heimreise an. Am 8.6.1954 bis 1.00 Uhr haben 14 Sonderzüge mit insgesamt 20 595 Teilnehmern Berlin verlassen. Bei der Abfahrt ergab sich, dass viele Jugendliche nicht erschienen sind. Zum Beispiel fehlten in dem Zug nach Cottbus 418 Jugendliche.
In einem Sonderzug nach Rathenow, [Bezirk] Potsdam, befanden sich nur ca. 150 Jugendfreunde und ein Sonderzug nach Potsdam musste ausfallen, weil die Teilnehmer nicht rechtzeitig zur Abfahrt erschienen sind (laut Bericht der HVDVP).
Hetzschriftenverbreitung
Am 7.6.1954 wurden in den Bezirken Lichtenberg, Friedrichshain und Berlin-Mitte einige Hetzschriften und gefälschte Karten aufgefunden. Es handelt sich um »SPD ruft die Jugend«, »Freie Junge Welt« und um gefälschte Teilnehmer und Essenkarten zum II. Deutschlandtreffen. Diese Hetzschriften wurden teilweise mittels Ballons, teilweise durch Personen und teilweise durch Ankleben in der Bahn eingeschleust.
Im Bericht der S-Bahn wurden auf den Strecken Wilmersdorf/Grünau – Neukölln – Nordring und Richtung Sonnenallee36 Flugblätter und Hetzschriften, u. a. die »Tarantel«,37 im Wagen verstreut oder an den Decken und Fenstern angeklebt vorgefunden.
Über der Strecke Treptow – Schöneweide wurde beobachtet, wie aus einem unbekannten Flugzeug Flugblätter in deutscher und russischer Schrift abgeworfen wurden.
Über dem Treptower Park wurden mittels Ballons die Hetzschriften »Junge Welt« und »Die SPD ruft« eingeschleust und davon 300 Stück sichergestellt. Auf dem Bahnhof Gesundbrunnen wurden die Hetzschriften »Colloquium«38 und »Freie Junge Welt« ohne Stupo Schutz verteilt.
Am Potsdamer Platz wurde beobachtet, wie mehrere Personen zu Fuß und per Fahrrad aus dem Weinlokal »Hut«,39 Potsdamer Platz (Westsektor) mit Paketen Hetzschriften »Freie Junge Welt« und »Der Tag«40 sich in Richtung des demokratischen Sektors begaben.
In der Nähe des Objektes Pinnow41 platzte ein Luftballon mit 16 großen Broschüren »Es lebe die FDJ« und 30 Broschüren der »NTS«.