Zur Beurteilung der Situation
7. September 1954
Informationsdienst Nr. 2307 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Mittelpunkt der Diskussion steht die neue Preissenkung vom 6.9.1954.1 Der größte Teil der Werktätigen diskutiert positiv darüber. Dabei wird der Beschluss der Regierung freudig begrüßt und hervorgehoben, dass die Regierung ihr Wort gehalten hat. Oft übernehmen Arbeiter aus Anlass der Preissenkung Produktionsverpflichtungen. Auch wird in den zahlreichen Diskussionen immer wieder betont, dass sich wieder einmal zeigt, dass die Politik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik richtig ist und die Preissenkung ein erneuter Beweis der Stärke und Entwicklung unserer sozialistischen Wirtschaft ist. Verschiedentlich ist man erfreut und erstaunt darüber, dass die Preissenkung bei Fett und Öl wie auch bei Lederwaren so umfassend ist. Vereinzelt diskutiert man in der Form, indem man sagt, dass es schön gewesen wäre, wenn auch die Preise für Butter und Fleisch gesenkt worden wären. Die Stimmen stammen meist von Arbeitern, weniger von Angestellten.
Die Kumpels des Reviers Kaital, [Wismut-]Schacht 241,2 Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, verpflichteten sich, anlässlich dieser neuen großen Preissenkung drei Stoßschichten zu fahren.
Ein Arbeiter, beschäftigt in der NEGEMA in Aue,3 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Diese Preissenkung kam überraschend. Viele Arbeiter haben schon lange nicht mehr geglaubt, dass wieder einmal so etwas kommt. Aber unsere Regierung hält Wort. Mehr arbeiten – besser leben. Trotzdem wird von vielen Arbeitern die Preissenkung als eine Selbstverständlichkeit betrachtet.«
Ein Meister vom VEB Blechwarenfabrik Schleiz, [Bezirk] Gera: »Ich bin sehr erfreut über die von der Regierung beschlossene Preissenkung. Diese ist ein erneuter Beweis für die Stärke und Festigung unserer sozialistischen Wirtschaft.«
Eine Arbeiterin (parteilos) aus dem VEB Feinprüf Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Ich als Parteilose begrüße die neue Preissenkung und sehe hieraus, dass unsere Regierung nur auf das Wohl der Werktätigen bedacht ist. Dadurch hat sich unser Lebensstandard wiederum gebessert und ich sehe hieraus, dass wir den Frieden nur erhalten können, wenn die Arbeiter und Bauern mit unserer Regierung zusammenarbeiten.«
Ein Arbeiter vom Zentrallager der Wismut aus Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Dass die Preise für Genuss- und Lebensmittel wieder ganz schön gesenkt wurden und dass der Arbeiter in der DDR wieder besser leben kann, ist wieder ein großes Verdienst unserer Arbeiter- und Bauernregierung.«
Ein Sprengmeister aus dem EKS,4 [Bezirk] Frankfurt/Oder: »In der Preissenkung sieht man wieder einmal die richtige Politik unserer Regierung, während in Westdeutschland die Adenauer-Clique5 durch ihre amerikanische Politik die werktätige Bevölkerung immer mehr ins Elend stürzt.«
Eine Arbeiterin aus dem VEB Fernmeldewerk Arnstadt, [Bezirk] Erfurt: »Ich freue mich sehr, denn ich sehe doch erneut, dass hier bei uns in der Deutschen Demokratischen Republik das Leben langsam aber sicher besser wird. Gerade ich mit meinen beiden Kindern kann es richtig schätzen, wenn mein Geld wieder mehr Wert bekommt. Auch wenn diesmal die Butter und das Fleisch nicht mit dabei sind bei der Senkung, so weiß ich doch, wenn es die Lage erlaubt, werden auch diese Lebensmittel gesenkt.«
Ein parteiloser Kollege vom VEB Volltuchwerk Pößneck, [Bezirk] Gera: »Durch die Preissenkung sehen wir immer wieder von Neuem, dass es der Regierung der Arbeiter- und Bauernmacht ernst ist, die Lebenslage der Werktätigen zu verbessern. Jedoch ist es uns unverständlich, dass gerade Butter und Zucker von der Preissenkung nicht betroffen sind. Trotzdem machen wir es uns zur Pflicht, die Produktion weiter zu steigern und die Qualität zu verbessern, um dadurch unserer Regierung die Mittel zu geben, bei der nächsten Preissenkung auch die Artikel zu verbilligen, welche jetzt nicht berücksichtigt wurden.«
Vor dem Schaufenster eines Schuhkonsums in Pößneck diskutierten etwa 10 bis 15 Arbeiter über die neue Preissenkung. Einer von ihnen sagte unter der Zustimmung der anderen Folgendes: »Donnerwetter, die Senkung der Preise macht sich ja kolossal bemerkbar. Es macht immerhin bei verschiedenen Artikeln DM 20,00 bis DM 25,00 aus, wofür man sich wieder etwas anderes kaufen kann. Man merkt doch, dass es immer besser wird. Es wird auch bestimmt nicht mehr lange dauern, wo sich jeder Arbeiter kaufen kann, was ihm gefällt.«
Ein Brigadier vom VEB Blechwarenfabrik Schleiz, [Bezirk] Gera: »Ich freue mich, dass wiederum eine Preissenkung durchgeführt wurde. Ich habe mir sofort nach Bekanntwerden ausgerechnet, wieviel ich dadurch durchschnittlich im Monat sparen kann. Es ist so, dass ich durch die Preissenkung beim Kauf von Lebensmitteln und anderen Gegenständen monatlich etwa DM 20,00 einspare.«
Ein Zimmermann von der Bau-Union Wismar, [Bezirk] Rostock: »Diese Preissenkung ist wieder ein gewaltiger Schritt vorwärts. Meine Frau freut sich am meisten über die Verbilligung der Fettwaren.«
In den negativen Diskussionen treten neben dem Argument, »die Preissenkung ist nur ein Täuschungs- und Propagandamanöver zur Volkswahl«,6 noch andere Meinungen gegen die Preissenkung auf. Häufig bemängelt man, dass die Preise für Fleisch und Butter nicht gesenkt wurden. Ein Kollege aus der Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal, [Bezirk] Gera: »Die Preissenkung, jetzt vor der Volkswahl, ist nur ein Propaganda- und Täuschungsmanöver. Die Preise werden nach der Wahl sowieso wieder steigen.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Holzindustrie Gera: »Warum erfolgt denn immer nur vor der Wahl eine Preissenkung? Ich bin der Meinung, dass es auch jetzt den Arbeitern hier nicht besonders gut geht. In Westdeutschland kann man sich viel mehr leisten.«
Ein Kraftfahrer vom [Wismut-]Objekt 6 Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Preissenkung, das sind ja nur Pfennige und darum machen sie solch einen Tamtam,7 aber alles nur wegen der Wahl.«
Einige Arbeiter von der Bau-Union Jena, [Bezirk] Gera: »Die Preissenkung ist ganz schön und gut, jedoch hat wahrscheinlich die Regierung vergessen, die Hauptprodukte wie Fleisch, Wurst und Butter zu senken. Obwohl man hiermit eine große Reklame macht, müssen wir doch noch 16 Preissenkungen durchführen, um den Lebensstandard, wie er in Westdeutschland ist, zu erreichen.«
Ein Kraftfahrer aus Rudolstadt, [Bezirk] Gera: »Was wirklich gebraucht wird, ist nicht gesenkt worden. Butter, Wurst und Fleisch sind weiterhin so teuer wie zuvor.«
Ein Arbeiter aus der Reparaturkolonne des Kraftwerkes Dresden: »Die Preise werden nur dort gesenkt, wo es viel davon gibt. Mir nützt es nichts, wenn der Rotwein oder die Brasilzigarren billiger werden. Für mich ist die Preissenkung für Butter und Fleisch wichtiger.«
Ein Angestellter aus dem VEB Gaselan Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Die Preissenkung ist nur ein kaufmännischer Schachzug; da unter den Arbeitern und kleinen Angestellten nicht genug Geld vorhanden ist, bleibt die HO auf ihren Waren sitzen und wirft nicht genug Profite ab, deswegen werden die Preise von der Regierung dann gesenkt.«
Ein Arbeiter von der Bau-Union Jena, [Bezirk] Gera: »Viel besser wäre es gewesen, den alten Rentnern, die zurzeit zugeteilten Karten um das Doppelte zu erhöhen, damit diese Menschen ebenfalls einigermaßen leben können.«
Vereinzelt wird noch über die Ablehnung des EVG-Vertrages durch die Nationalversammlung in Frankreich diskutiert,8 meist positiv. Darin bringt man zum Ausdruck, dass dies ein gewaltiger Sieg der Friedenskräfte ist.
Produktionsstörungen
Am 4.9.1954 war im Stahlwerk Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, ein Stromausfall zu verzeichnen, wodurch es nicht möglich war, die Vorsatzrinnen abzuziehen. Die Vorsatzrinnen haben die Aufgabe, den flüssigen Stahl in die Pfannen zu leiten. Durch den Stromausfall liefen die Pfannen über, wodurch 50 t Stahl verloren gingen. Zurückzuführen war der Stromausfall auf einen Bruch des Isolators an der Katzschleifleitung.
Durch schlechte Wasserverhältnisse und salzhaltige Kohle und entstandene Rohrreißer wurde die ganze Sodafabrik »Karl Marx« in Bernburg, [Bezirk] Halle, stillgelegt. Es entsteht dadurch ein Ausfall von 5 000 bis 6 000 t und somit kann der Jahresplan nicht erfüllt werden.
In der Konstruktionsabteilung des VEB TRO »Karl Liebknecht« Berlin9 kommen jetzt häufig Fehler vor. Nach Meinung der Arbeiter ist der Grund darin zu suchen, dass in der Konstruktionsabteilung kein leitender Ingenieur vorhanden ist. Der eingesetzte Leiter ist schon seit einem halben Jahr krank und soll darüber hinaus auch nicht die notwendigen Fachkenntnisse besitzen. Ebenso wirkt sich das Fehlen guter Gruppenleiter ungünstig aus. Die vorhandenen Jungingenieure sind noch völlig unerfahren, da kann es z. B. vorkommen, dass Schalterkontakte von ihnen anstatt aus Kupfer aus Eisen konstruiert werden. Verschiedene Kollegen aus diesem Betrieb sind weiter verärgert darüber, dass sie ihre Norm nicht erfüllen können, da sie oft nur wenige Stücke zur Bearbeitung erhalten, obwohl die Norm für 100 Stück berechnet ist. Dadurch haben sie viel mehr Zeitverbrauch für Ein- und Umspannen, als bei der Berechnung der Norm zugrunde gelegt worden ist.
Im Kollektivvertrag des VEB SANAR Berlin-Köpenick ist festgelegt, dass bei Urlaubsreisen der Kollegen durch den FDGB ein Zuschuss aus dem Direktorenfonds gewährt wird. Zwei Arbeiter haben jetzt einen Zuschuss beantragt, der nicht mehr bewilligt wird, da die Gelder bereits aufgebraucht sind. Die Belegschaft des Betriebes ist verärgert, dass die Angehörigen der Werkleitung diesen Zuschuss für sich gefordert haben, obwohl ihr Gehalt weitaus höher ist als das der Arbeiter. Vollkommen unverständlich erscheint es aber den Kollegen, dass der Betriebsleiter, der bisher diesen Zuschuss nicht erhalten hat, auf die Auszahlung besteht, obwohl bekannt ist, dass der dazu bestimmte Fonds aufgebraucht ist.
Handel und Versorgung
Im VE Kontor für Import und Lagerung Potsdam, Menzelstraße 11 lagert seit längerer Zeit Ingwer im Werte von DM 200 000. Außerdem lagert dort Weizenkleber, für den niemand zuständig sein will und Triosan,10 für das die Absatzmöglichkeiten schlecht sind. Die Gründe dafür sind, dass keine Kaufverträge abgeschlossen wurden und verschiedene organisatorische und fachliche Fehler bestehen.
Seit Sonnabend, den 4.9.1954, steht in Eisleben ein Waggon mit Frischfleisch (9 t), der für Eisleben bestimmt war, aber in Artern abgegeben wurde. Die Reichsbahn teilt mit, dass sie den Waggon nicht weiterleiten kann, und Artern ist nicht in der Lage, ein Fahrzeug für die 9 t Fleisch zu erhalten.11
Über eine schlechte Warenbereitstellung der Konsumgenossenschaften fast aller Kreise des Bezirkes Potsdam beschweren sich die dortigen Verkaufsstellenleiter und führen das auf die unverantwortliche Arbeit der oberen Stellen zurück. Die Belieferung der Privatgeschäfte mit Nährmitteln, Fischkonserven, Margarine, Genussmitteln und Textilien ist besser. Die KG erhalten die Butter in Packpapier geliefert. Wegen dem Mangel an Pergamentpapier, der in den Privatgeschäften nicht zu verzeichnen ist, muss die Butter an die Kundschaft ebenfalls in Packpapier verabfolgt werden. Wegen der schlechten Warenbereitstellung kann der Umsatzplan z. B. im Kreis Königs Wusterhausen nicht erfüllt werden.
Durch die Unterbilanz der Konsumgenossenschaft Bützow, [Bezirk] Schwerin, können in diesem Jahr keine Rückvergütungen ausgezahlt werden,12 ein Teil der Mitglieder hat daraufhin ihren [sic!] Austritt erklärt. Durch diese Austrittserklärungen besteht die Gefahr der Auflösung der dortigen Konsumgenossenschaft.
Mängel in der Verteilung
Am 3.9.1954 gab es in der Konsumgenossenschaft des Kreises Teterow, [Bezirk] Neubrandenburg, keine Butter, worüber sich das Verkaufspersonal äußerte, das sie schon lange auf Butter und Margarine warten.
Im Bezirk Schwerin sind Mängel in der Versorgung mit Nährmitteln, Fischkonserven, Käse und Massenbedarfsartikeln aufgetreten. Eine große Nachfrage nach Motorrädern ist im Bezirk Cottbus zu verzeichnen.
Die Preissenkung wird von den Angestellten der Verkaufsstellen allgemein begrüßt. Im Konsum Sternberg, [Bezirk] Schwerin, wurde anlässlich der Preissenkung die Verpflichtung übernommen, die Wahlpflicht am 17.10.1954 bereits bis 10.00 Uhr zu erfüllen.
Enttäuschungen und negative Äußerungen über die Preissenkung sind nur vereinzelt und bringen zum Ausdruck, dass sie eine Preissenkung für Butter und Fleisch vermissen, teilweise auch für Zigaretten und Zucker.
Landwirtschaft
Auch weiterhin sind die Diskussionen über politische Tagesfragen nur gering. Im Vordergrund aller Diskussionen jedoch steht die Preissenkung, die sich wie ein roter Faden durch alle Gespräche zieht. Im Allgemeinen wird die Preissenkung von der breiten Masse der Landbevölkerung begrüßt und es sind aus diesem Anlass eine ganze Reihe Selbstverpflichtungen übernommen worden, die das Vertrauen zu unserer Regierung zum Ausdruck bringen.
Ein Landarbeiter aus Neu Pansow, [Bezirk] Rostock, erklärte in einer Versammlung: »Die Arbeiter Westdeutschlands können wieder einmal sehen, dass die Arbeiter in der DDR wissen, wofür sie arbeiten.«
Die Mitglieder der örtlichen landwirtschaftlichen Betriebe Bussin, Kreis Stralsund, [Bezirk] Rostock, nahmen in einer Versammlung die Entschließung an, ihre Arbeit als Dank an die Regierung wesentlich zu verbessern und ihre Stimmen am 17.10.[1954] gemeinsam abzugeben.
Eine Landarbeiterfrau aus Kalbe/Milde, [Bezirk] Magdeburg, rechnete aus, dass sie durch die Preissenkung im Monat für DM 13,00 mehr einkaufen kann.
Ein Genossenschaftsbauer aus Ilmenau, [Bezirk] Suhl, sagte: »Früher habe ich DM 100 verdient und die Semmel kostete fünf Pfennige. Jetzt verdiene ich DM 270 und das Brötchen kostet auch nur fünf Pfennig. Ich begrüße daher die Preissenkung. Sie zeigt uns ein ständiges Ansteigen des Lebensstandards.«
Im Bezirk Magdeburg z. B. verpflichteten sich zwei LPG zusätzlich als freie Spitzen13 28 000 Liter Milch, 8 000 Eier, 110 Zentner Schweinefleisch, 45 Zentner Rindfleisch, und vier Kleinbauern wollen 12 000 Liter Milch und 3 000 Eier sowie ein Schwein abliefern.
Vielfach wird jedoch die Preissenkung für Butter und Fleisch, teilweise auch für Zigaretten und Zucker vermisst. So äußerte sich ein Genossenschaftsbauer der LPG Haufeld, Kreis Rudolstadt, [Bezirk] Gera: »Es wäre sehr notwendig gewesen, auch Butter, Wurst, Fleisch und Zigaretten zu senken.«
Eine werktätige Bäuerin aus Dobareuth, Kreis Schleiz, [Bezirk] Gera: »Was nützt uns die Preissenkung, wenn der Zucker nicht billiger geworden ist. Ich bekomme nur 700 Gramm Zucker im Monat und muss den Rest in der HO kaufen. Ebenfalls ist noch ein Mangel an Bettwäsche und auch der Preis ist hier noch zu hoch.«
Ein Teil der Bauern, besonders im Bezirk Dresden, befürchtet durch die Preissenkung eine gleichzeitige Senkung der Preise für freie Spitzen. In einzelnen Kreisen des Bezirkes Dresden sind es besonders Großbauern, die diese Befürchtung aussprechen. Ein DBD-Vorsitzender aus dem Bezirk Dresden hat schon ausgerechnet, dass die Milch auf freie Spitzen um 25 Prozent gesenkt wird.
Ein geringer Teil der Landbevölkerung, insbesondere aus den bürgerlichen Schichten, spricht negativ bzw. feindlich über die Preissenkung. Ein Bauer aus Gröbern, Kreis Meißen, [Bezirk] Dresden: »Weil die Wahl heranrückt, da wird der Bevölkerung schnell noch was vorgesetzt, damit die Wahl günstiger ausfällt.«
Einige Bauern aus Werder, [Bezirk] Schwerin: »Alle Maßnahmen der Regierung sind Luft.« Ein ehemaliger Hauptmann der Naziarmee aus Werder, [Bezirk] Schwerin, der jetzt Viehaufkäufer der VEAB ist, sagte in diesem Zusammenhang: »Es ist alles Schwindel, was unsere Regierung erzählt. Ich gehe deshalb nur zur Wahl, weil ich meine Arbeit nicht verlieren will.«
In Anklam, [Bezirk] Neubrandenburg, hat die Preissenkung zu Hamstereinkäufen geführt. Es gibt dort Hausfrauen, die Margarine und Schmalz in großen Mengen einkaufen, da sie Angst haben, dass die Waren zu schnell verkauft werden.
Bei den Rechenschaftslegungen14 im Bezirk Potsdam treten insbesondere die Großbauern mit ihren negativen Äußerungen in den Vordergrund. Sie fordern eine Sollherabsetzung, die »Freie Wirtschaft« und die Durchführung des Drusches samt Ablieferung in den Wintermonaten. Oft bedienen sie sich der Kleinbauern als Mittler ihrer Forderungen bzw. werden sie von diesen dabei unterstützt.15 So forderte bei einer Rechenschaftslegung in Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, ein Kleinbauer ebenfalls die »Freie Wirtschaft«, wie sie in Westdeutschland ist. Er wurde aber von den übrigen Versammlungsteilnehmern dabei nicht unterstützt, die im Gegenteil gegen dieses Argument Stellung nahmen.
Mehrere Großbauern aus Zechlin, Kreis Neuruppin, äußerten sich, dass es in keinem Gesetz steht, bis zum 10.9.1954 abzuliefern.
In Großmutz, Kreis Gransee, argumentieren die Großbauern, dass das Ablieferungssoll zu hoch ist, und sagen: »Das Getreide holen sie uns alles weg, aber wählen sollen wir für sie. Wenn sie das Getreide nehmen, können sie auch gleich das Vieh mitnehmen.« Dieselben Argumente wurden auch bereits im vergangenen Jahr vorgetragen.
Bei der Rechenschaftslegung in der Gemeinde Altthymen, [Bezirk] Potsdam, wurde insbesondere auf die Wildschweinschäden eingegangen und zum Ausdruck gebracht, dass man zwar zur Regierung Vertrauen hat, aber nicht zu den Funktionären im Kreismaßstab, da diese viel versprechen, aber nichts halten, wie z. B. bei der Bekämpfung der Wildschweinplage.
Wie notwendig eine gründliche Aufklärung auf dem Lande ist, zeigt die Tatsache, dass selbst Mitglieder der SED sich als Sprecher für Westdeutschland hergeben. Ein Landarbeiter aus Buckow, Kreis Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, sagte: »Man muss erst mal sehen, wie es im Westen ist. Wir waren alle noch nicht da, es gibt dort drüben auch schöne Wohnungen und Leute, denen es gut geht.« (Er ist Mitglied der SED.)
Ein Genosse aus Liepe, Kreis Luckenwalde, äußerte sich: »In Westdeutschland sind alle Parteien vertreten und man spricht nicht von Aktionseinheit.16 Wenn ein Besucher aus der DDR nach Westdeutschland fährt und dort über Aktionseinheit spricht, braucht er sich nicht zu wundern, wenn er verhaftet wird, denn das ist deren Angelegenheit.«
Zur Arbeitsniederlegung kam es am 31.8.1954 in der LPG Nemerow, [Bezirk] Neubrandenburg. 13 Mädchen, Erntehelfer aus Sachsen, legten die Arbeit nieder, da sie am 29.8.1954 kein Geld erhalten haben. Die Bank berücksichtigte nicht die Zahlungsanweisung des Kreisrates, da angeblich kein Geld für die LPG vorhanden war. Dieses Geld sollte erst im nächsten Monat ausgezahlt werden. Nachdem die Bank angewiesen wurde, sofort das Geld auszuzahlen, wurde die Arbeit von den 13 Erntehelferinnen wieder aufgenommen.
Übrige Bevölkerung
Im Mittelpunkt der Diskussionen, die unter der übrigen Bevölkerung geführt werden, steht die Preissenkung. Größtenteils stammen die Äußerungen von Rentnern und Hausfrauen. In der Mehrzahl sind die Diskussionen positiv, nur vereinzelt wurden negative Stimmungen bekannt. In den positiven Stellungnahmen wird zum Ausdruck gebracht, dass die neue große Preissenkung wieder ein Beweis ist, dass die Regierung ernsthaft bemüht ist, den Lebensstandard laufend zu verbessern und dass die Verkündung des neuen Kurses kein leeres Versprechen war.17 Einige erklären, dass sie aus Dankbarkeit und als Beweis ihres Vertrauens zur Regierung freudig ihre Stimme am 17. Oktober [1954] den Kandidaten der Nationalen Front18 geben werden.
Eine Rentnerin (parteilos) aus Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Nun kann ich öfters einmal Bratkartoffeln essen, denn das Öl ist ja um die Hälfte billiger geworden. Dass gerade die lebenswichtigsten Lebensmittel gesenkt wurden, bedeutet für mich, dass ich mir mehr kaufen kann. Aus Dankbarkeit werde ich am 17.10.[1954] die Kandidaten unseres Arbeiter- und Bauernstaates wählen.«
Ein Rentner aus Hermsdorf, [Bezirk] Gera: »Als Rentner begrüße ich die Preissenkung sehr. Unsere Regierung hat schon vieles für die Bevölkerung getan und einen sehr guten Weg beschritten. Das müssen wir bei den Volkswahlen berücksichtigen.«
Ein Rentner (parteilos) aus Dresden: »Die erneute Preissenkung ist ein Beweis dafür, dass die Regierung ihre Versprechen hält. Sie ist weiterhin ein Beweis, dass der neue Kurs nicht nur zur Beruhigung der Gemüter, sondern der feste Wille unserer Regierung, den Wohlstand unserer Werktätigen zu heben, ist.«
Eine Hausfrau aus Stralsund: »Wir wissen, was wir am 17. Oktober [1954] zu tun haben und wem wir unsere Stimme zu geben haben. Es hat sich gezeigt, dass wir in Frieden und Wohlstand leben können, wenn wir eine Regierung haben, die bemüht ist, den Lebensstandard laufend zu verbessern.«
Ein Angestellter der HO aus Malchow, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Preissenkung zeigt, dass das ganze Gerede des Westens, dass unsere Wirtschaft nicht stabil ist, nicht zutreffend ist. Unsere Brieftasche ist wieder dadurch voller, weil der Reallohn dadurch steigt.«
Im demokratischen Sektor von Berlin wurde von den freiwilligen Aufbauhelfern mit großer Freude die Verkündung der Preissenkung aufgenommen. Dabei brachten sie zum Ausdruck, dass sie durch ihre Arbeit, indem sie Tausende von Steinen für den Wiederaufbau gewonnen haben und der Staat dadurch Geld eingespart hat, mitgeholfen haben, dass diese Preissenkung durchgeführt werden konnte.
Von den Kollegen des Straßenbahnhofes Lichtenberg wurde die Preissenkung ebenfalls freudig begrüßt und sie erklärten, dass sie durch gute Arbeit Wagenausfälle vermeiden und somit dazu beitragen wollen, dass noch weitere Preissenkungen vorgenommen werden können.
Teilweise wird von Hausfrauen und Rentnern geäußert, dass sie sich zwar über die Preissenkung freuen, dass aber ihre Freude noch größer gewesen wäre, wenn auch die Preise für HO-Butter und HO-Fleischwaren gesenkt worden wären. Zum Beispiel sagte eine Hausfrau aus Freital, [Bezirk] Dresden: »Es ist erfreulich, dass die Fettigkeiten im Preis bedeutend herabgesetzt wurden, es wäre aber noch erfreulicher gewesen, wenn die Butter billiger geworden wäre.«
Eine Hausfrau aus Dresden: »Die Preissenkung ist eine wirklich feine Sache. Besonders die Verbilligung von Öl und Margarine ist zu begrüßen. Auch die Preisherabsetzung für Lederschuhe ist prima. Man sieht, dass es laufend bei uns besser wird. Wenn auch die Butter gesenkt worden wäre, hätte ich das sehr begrüßt.«
Auch in bürgerlichen Kreisen spricht man sich anerkennend über die neue Maßnahme der Regierung aus. Es wird erklärt, dass die Preissenkung ein erneuter Beweis unserer Aufwärtsentwicklung ist. Ein Ingenieur (Verwalter mehrerer Grundstücke) aus Dresden: »Ich begrüße die Preissenkung und bewundere, dass bei all den Unkosten, die der Aufbau unserer zerstörten Städte fordert, noch so viel Geld vorhanden ist, dass man den Lebensstandard unserer Bevölkerung um 600 Millionen heben kann.«19
Ein Kohlenhändler (CDU) aus Saalfeld, [Bezirk] Gera: »Die Preissenkung ist wieder ein Schritt vorwärts. Man merkt doch, dass es bei uns aufwärtsgeht, während in Westdeutschland ständig Preiserhöhungen zu verzeichnen sind.«
Ein Intelligenzler (parteilos) aus Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Ich begrüße die neue Preissenkung. Besonders erfreut bin ich über die Senkung von Textilien. Jetzt ist es für die Rentner leichter, sich etwas zusätzlich Fett zu kaufen. Ich bin der Meinung, dass in kürzeren Zeitabständen als bisher weitere Preissenkungen folgen werden.«
Bei den negativen bzw. feindlichen Äußerungen zeigt sich, dass die Feinde unserer demokratischen Ordnung durch verschiedene Argumente wie z. B.: »Was nützt die Senkung der Preise für Margarine und Öl, wir wollen Butter essen« oder »die Preissenkung ist nur ein Bluff, wer die Preise im Kopf hat, kann feststellen, dass die Preise so nach und nach den alten Stand wieder erreichen«, versuchen, die Bedeutung und das Ausmaß der Preissenkung herabzumindern.
Eine Konsumverkäuferin aus Rathenow, [Bezirk] Potsdam: »Was haben sie denn gesenkt? Die Margarine! Wer soll denn die essen. Wir wollen doch heute keine Margarine mehr essen, sondern Butter. Die haben sie natürlich nicht gesenkt. Genauso ist es mit dem Schmalz. Ich esse keins und kann es auch gar nicht vertragen.«
Eine Hausfrau aus Prützke, [Bezirk] Potsdam: »Schmalz haben sie billiger gemacht. Das haben wir allein, wir brauchen Butter.«
Eine Hausfrau aus Potsdam fragte beim Einkauf, ob der Bienenhonig auch billiger geworden sei. Als dies verneint wurde, erklärte sie: »Das nennt der Mensch nun Preissenkung. Die Waren, die man täglich im Haushalt braucht, sind nicht gesenkt worden, alles nur Angabe.«
Eine Hausfrau aus Pößneck, [Bezirk] Gera: »Es wurde ja wieder einmal Zeit, dass sie die Preise senken. Nur nicht das Wichtigste, das haben sie vergessen. Sie sollten lieber Fleisch und Butter senken, aber das können sie ja nicht, da sie ja nichts haben.« Eine Hausfrau, ebenfalls aus Pößneck: »Na, warten wir 14 Tage, da kosten die Semmeln wieder den alten Preis. Die ganze Preissenkung ist ja alles Schwindel.«
Ein Angestellter aus Berlin: »Die Preissenkung ist ja nur für diejenigen, die sich die teuren Sorten leisten können, zum Vorteil. Wir können ja für das minderwertige Zeug (gemeint sind Zigarren) die alten Preise weiter zahlen.«
Es ist zu verzeichnen, dass aufgrund der Preissenkung die Diskussionen über die aktuellen politischen Probleme in den Hintergrund getreten sind und dass aber weiterhin darüber in der Mehrzahl positiv gesprochen wird.
Besondere Vorkommnisse
Am 5.9.1954 herrschte im Bezirk Magdeburg ein schweres Gewitter. Durch Blitzschlag wurden in den Kreisen Gardelegen, Burg, Osterburg, Stendal, Halberstadt und Wanzleben insgesamt acht Brände, davon fünf Großbrände, mit einer Schadensumme von ca. 180 000 DM hervorgerufen. Von den Großbränden wurde unter anderen die Produktionsgenossenschaft des Holzverarbeitenden Handwerks Gardelegen betroffen.
Durch Wolkenbrüche standen verschiedene Gemeinden unter Wasser, wie zum Beispiel die Gemeinde Bottmersdorf, [Kreis] Wanzleben, wo die Straßen und Höfe 1 m unter Wasser standen. Die Gebäude der LPG wurden besonders betroffen. Das Vieh konnte fast restlos geborgen werden.
Der Schaden in den von Wolkenbruch betroffenen Gemeinden im Kreis Meiningen, [Bezirk] Suhl, wird auf ca. 1 Million DM geschätzt. Die Hauptschäden traten an den Wegen und Straßen auf. Der Ernteschaden beträgt ca. ¼ Million DM.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:20 Erfurt 2 000, Leipzig 1 000, Halle 633, Gera 516, Neubrandenburg 310, Schwerin 70, Potsdam 35, Rostock 22. Inhalt: Meist gegen Neuen Kurs.
NTS:21 Halle 300, Neubrandenburg 17, Rostock, Dresden und Potsdam einige.
In tschechischer Spr[ache]: Dresden 56.
»Aktionsgem[einschaft] d[er] FDJ«: Potsdam 29.
»Der Tag«:22 Potsdam 2 000.
Der größte Teil der Hetzschriften wurde sichergestellt und gelangte nicht in die Hände der Bevölkerung.
Antidemokratische Tätigkeit: Im VEB LOWA Bautzen wurde in einer Toilette die Hetzparole angeschmiert: »Streikt auch in der Ostzone«.
An einer Toilettentür der Neptun-Werft Rostock wurde angeschmiert: »Ohne uns bei der Wahl, Ihr Lumpenpack. Freiheit. Raus mit den Iwans und unserer Regierung.«
Rundfunkstörungen während der Rede des Ministerpräsidenten am 4.9.[1954]23 ergaben sich im Kreis Worbis, [Bezirk] Erfurt. Ein Störsender sagte laufend sinngemäß: »Bevölkerung der Ostzone, lasst Euch nicht verdummen, das sind nur Fangmittel für die Wahl, das wird Euch dann wieder abgezogen.« Im Kreis Heiligenstadt mussten wegen Empfangsstörungen teilweise die Radioapparate abgeschaltet werden.24
Einschätzung der Situation
Die Preissenkung steht im Vordergrund und wird von allen Schichten der Bevölkerung freudig begrüßt. Das Vertrauen zu unserer Regierung wurde dadurch wesentlich gefestigt. Werktätige der Industrie und Landwirtschaft unterstützen die Politik der Regierung durch neue Verpflichtungen.
In vielen Fällen wünscht die Bevölkerung auch die Senkung der HO-Preise für Butter und Fleisch.
Der Gegner versucht, die große Bedeutung der Preissenkung als Erfolg unserer Friedenswirtschaft in den Augen der Bevölkerung herabzusetzen und als »Wahlpropaganda« hinzustellen.
Die Diskussionen zu den aktuellen politischen Fragen sind in der Mehrzahl positiv. Der Gegner konzentriert sich dabei weiterhin auf die Propaganda gegen die Volkswahlen.
Die Schwierigkeiten und Mängel in der Industrie, Landwirtschaft und [im] Handel, welche oft Unzufriedenheit verursachen, treten im Augenblick durch die Preissenkung weniger in Erscheinung.
Auf dem Lande ist der Gegner weiterhin bestrebt, Drusch und Ablieferung zu verzögern sowie die Senkung des Ablieferungssolls zu erreichen.
Die feindliche Flugblattverbreitung ist weiterhin noch verhältnismäßig gering.