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Zur Beurteilung der Situation

8. September 1954
Informationsdienst Nr. 2308 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Mittelpunkt der Diskussionen unter den Werktätigen steht die neue Preissenkung vom 6.9.1954.1 Oft übernehmen die Werktätigen der volkseigenen Betriebe aus Anlass der Preissenkung Produktionsverpflichtungen. Die Diskussionen sind größtenteils positiv und stammen meist von Arbeitern, weniger von Angestellten. In den Diskussionen bringt man die Freude über die Preissenkung zum Ausdruck und hebt hervor, dass die Regierung Wort gehalten hat und ständig bemüht ist, die Lebenslage der Werktätigen in der DDR zu verbessern. In den Diskussionen wird auch oft die Verpflichtung abgegeben, am 17.10.[1954] für die Kandidaten der Nationalen Front zu stimmen.2 Verschiedentlich ist man erfreut, dass die Preissenkung bei Fett- und Lederwaren so umfassend ist.

Im Kraftwerk Finow, [Bezirk] Frankfurt, verpflichtete sich das Maschinenreparaturkollektiv bei Eintreffen des Induktors, diesen sechs Stunden vorfristig einzubauen, um dadurch 150 000 kW dem Netz früher zur Verfügung zu stellen. Ein Schweißer des Kraftwerkes Finow verpflichtete sich, eine Sonderschicht durchzuführen, um die undichten Kondensatbehälter zu reparieren. Dadurch hat der Betrieb täglich eine Einsparung von 12 t Kohle.

Im VEB Energieverteilung Calau, [Bezirk] Cottbus, Abteilung Massenbedarfsproduktion, verpflichteten sich die Kollegen, zu Ehren der Volkswahlen noch bis zum 17.10.[1954] 7 500 Sprungfedern zu produzieren.

Eine Handwerkerbrigade aus dem VEB Pappenfabrik Ziegenrück, [Bezirk] Gera, äußerte: »Am 4.9.[1954] gab die Regierung der DDR durch ihren Ministerpräsidenten Otto Grotewohl3 eine Preissenkung bekannt. Alle werktätigen Menschen haben ihre Freude und Anerkennung zum Ausdruck gebracht. Es ist aus dieser Tatsache zu ersehen, dass unsere Regierung bestrebt ist, das von ihr abgegebene Versprechen Zug um Zug einzulösen und der Bevölkerung ein besseres und angenehmeres Leben zu schaffen. Wir Kollegen der Handwerkerbrigade danken der Regierung und geben die Verpflichtung ab, bei den Volkskammerwahlen am 17.10.1954 unsere Stimme den Kandidaten der Nationalen Front zu geben.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Röhrenwerk Neuhaus, [Bezirk] Suhl: »Ich freue mich, dass wieder eine Preissenkung erfolgt ist. Daran erkennt man, dass es in unserer DDR ständig vorwärtsgeht. Mir ist klar, dass noch nicht alles billiger werden kann und wir alle in Zukunft noch besser und billiger arbeiten müssen, damit unsere Regierung weiterhin solche Senkungen vornehmen kann. Besonders freue ich mich, dass die Margarine, Öl, Schmalz und andere Dinge, die man sich gern kauft, billiger geworden sind. Diese Preissenkung ist ein neuer Schlag gegen die Adenauer-Clique4 und für uns ein weiterer Schritt zur Erreichung eines Friedensvertrages.«

Eine Arbeiterin aus dem VEB Pappenfabrik Ziegenrück, [Bezirk] Gera: »Ich als werktätige Frau und Mutter von sechs Kindern begrüße die am 4.9.[1954] bekannt gewordene Preissenkung und spreche unseren Dank der Regierung dafür aus. Deswegen gebe ich auch meine Stimme den Kandidaten zu den Volkskammerwahlen am 17.10.1954 ab.«

Ein Arbeiter vom VEB Baumwollwerk »Clara-Zetkin« in Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt: »Die neue Preissenkung, ist wieder ein Schlag dem Adenauer ins Gesicht. Jetzt können wir uns mehr leisten. Vor allem die Senkung der Margarine-, Fett- und Ölpreise haben wir sehr begrüßt. Wir haben ausgerechnet, wenn wir auf unsere Karte 14 Tage lang leben und die anderen 14 Tage in der HO kaufen, so ist der Durchschnitt von Fleisch und Wurst 20 Pfennig höher als in Westdeutschland, dafür haben wir aber jeden Tag Fleisch und Wurst, was sich in Westdeutschland nicht jeder Arbeiter leisten kann. So etwas ist nur in einem Arbeiter- und Bauernstaat möglich.«

Ein Angestellter des VEB Hartmetall Immelborn, [Bezirk] Suhl: »Ich freue mich über die neue Senkung der HO-Preise, jetzt sind auch die Rentner in der Lage, in der HO wichtige Lebensmittel einzukaufen, denn gerade diese sind in der Hauptsache gesenkt worden.«

In den negativen Diskussionen treten neben dem Argument, »Die Preissenkung sei ein Wahlmanöver«, noch andere Meinungen gegen die Preissenkung auf. Oft bemängelt man, dass die Preise für Fleisch und Butter nicht gesenkt wurden. Ein Arbeiter aus den Zeiss-Werken in Jena, [Bezirk] Gera: »Jetzt will man uns mit Margarine vollfüttern, doch man sollte lieber an die Senkung der Butter- und Fleischpreise denken. Nun hat man wieder einige Sachen gesenkt und schmiert damit die ganze Zeitung voll. Die gesamte Preissenkung ist ja nur ein Propagandamittel für die bevorstehende Wahl.«

Ein Arbeiter aus der Maxhütte in Unterwellenborn, [Bezirk] Gera: »Diese Maßnahme der Regierung ist ja nur ein Wahlmanöver und eine Mache für die Ausländer, welche jetzt die Messe5 besuchen.«

Ein Teil der Jugendlichen von der Lehrwerkstatt des VEB Bergmann-Borsig Berlin verhöhnten die Preissenkung und stellten fest, dass diese nur ein Propagandarummel zur Vorbereitung der Wahl sei. Nach der Wahl würden die Sachen sowieso wieder teurer werden.

Ein Arbeiter aus Gersdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Für mich ist diese Preissenkung ›Wahlspeck‹. So haben es auch früher die Nazis gemacht.«

Ein Schlosser (parteilos) vom VEB Schlachthof Dresden: »Die Preissenkung ist ja nur Wahlpropaganda. Es war die höchste Zeit, dass wieder eine gemacht wurde, damit die Leute beim Glauben bleiben, dass keine Schulden mehr zu bezahlen sind.«

Ein Schlosser aus dem VEB Möbelwerk Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Die Preissenkung macht ja nur Pfennige aus und sie wurde eben durchgeführt, damit die Arbeiter wieder etwas ruhiger werden.«

Im demokratischen Rundfunk wurde am 5.9.[1954] aus Anlass der Preissenkung die Meldung durchgegeben, wonach die Maxhütte bis zu den Oktoberwahlen noch 1 000 t Rohstahl über den Plan produzieren will. Dies entspricht nicht den Tatsachen und unter den Kumpels der Maxhütte wurde dadurch das Vertrauen gegenüber dem demokratischen Rundfunk untergraben. Der Parteisekretär äußerte: »Wenn ich solche Nachrichten im Radio höre, dann wird es mir immer heiß.«

Vereinzelt wird noch über die Ablehnung des EVG-Vertrages durch die Nationalversammlung in Frankreich diskutiert,6 meist positiv. Darin bringt man zum Ausdruck, dass dies ein gewaltiger Sieg der Friedenskräfte ist.

Eine schlechte Stimmung wegen Materialmangel besteht im Clement-Werk Schwerin.7 Ein Teil der Betriebsangehörigen bekommt Wartezeit bezahlt. Dadurch ist auch die gesellschaftliche Tätigkeit zurückgegangen. So musste z. B. ein Vortrag eines Vertreters des SfS wegen Mangel an Beteiligung ausfallen.8

Eine mangelhafte Arbeitsmoral besteht in den vereinigten Ueckermünder Gießereien, [Bezirk] Neubrandenburg. So sind z. B. im Monat August im Werk 4 von 220 Beschäftigten täglich 42 Arbeiter der Arbeitsstelle ferngeblieben. Als Ursache wird von der Kreisverwaltung Ueckermünde Folgendes angegeben. Es gibt Former, die am Tage 30,00 bis 40,00 DM verdienen und dadurch kein Interesse mehr haben, die ganze Woche zu arbeiten. Zweitens ungenügende Agitationsarbeit der BGL.

Unter den Reichsbahnarbeitern, besonders im Bezirk Gera, wird immer wieder über die Bezahlung der Arbeiter und Angestellten in den unteren Gehaltsgruppen negativ diskutiert. So äußerte z. B. ein Zugschaffner aus Weißenfels, welcher im Westen zu Besuch war: »Im Westen verdient ein Zugschaffner DM 450, während er in der DDR nur DM 250 erhält. Auch sind die Preise in Westdeutschland bedeutend niedriger. Die Margarine kostet das Kilo DM 2,00 und eine Packung Ölsardinen nur 70 Pfennig. Jeder Arbeiter kann sich kaufen, was ihm beliebt.«

Handel und Versorgung

Der Kreis Ueckermünde, [Bezirk] Neubrandenburg, wird überplanmäßig mit Kartoffeln beliefert, sodass durch den hohen Feuchtigkeitsgrad bereits ca. 60 t Kartoffeln verdorben und nur noch als Futterkartoffeln verwendet werden können. Dadurch ist der Volkswirtschaft ein Schaden von 2 098,80 DM9 zugefügt worden, wofür der Kartoffeldisponent der VEAB Ueckermünde verantwortlich ist.10 Im Gegensatz dazu fehlt es in den Bezirken Erfurt und Karl-Marx-Stadt teilweise an Kartoffeln und aus dem Bezirk Cottbus kommen Klagen, dass die Kartoffeln zu teuer sind.

Die Kollegen des VEB Generatorenwerkes Calau, [Bezirk] Cottbus, diskutieren anlässlich einer Belegschaftsversammlung über die Kartoffelpreise. Sie sind der Meinung, dass im vergangenen Jahr zur gleichen Zeit 50 kg Kartoffeln DM 5,80 gekostet hätten, während der jetzige Preis noch DM 9,00 betragen würde.

Im Kreis Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, wird über die Konsumverkaufsstellen geklagt, besonders über die Konsumverkaufsstelle in Scharfenbrück, wo z. B. Zucker durch lange, schlechte Lagerung nass zum Verkauf gebracht wurde. Einen Antrag beim Konsumbeauftragten, [Name], den nassen Zucker aus dem Handel zurückzuziehen, beantwortete dieser: »Die Bevölkerung könne froh sein, wenn sie überhaupt etwas bekommt« und ordnete an, den nassen Zucker weiter zu verkaufen. Außerdem kommen aus diesem Kreis Klagen über verdorbene Lebensmittel in den Konsumverkaufsstellen, die durch Schließung der Verkaufsstellen wegen längerer Krankheit oder Urlaub hervorgerufen werden, da die verderblichen Lebensmittel während dieser Zeit in den geschlossenen Verkaufsstellen verbleiben.11

Dem Verderb ausgesetzte Fleischkonserven lagern in der Wurstfabrik Kraftsdorf, [Kreis] Gera, in 800-Gramm-Dosen, die in dieser Gewichtsmenge nur wenig gekauft werden.12 Außerdem hat die oben genannte Wurstfabrik Schwierigkeiten in der Beschäftigung ihrer Belegschaft. So werden z. B. hochbezahlte Schlächter mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt, da nur zehn Schweine täglich geliefert werden und dadurch die Produktion von Bockwürsten eingeschränkt werden muss, infolgedessen auch der Plan nicht erfüllt werden kann, zumal es auch an geeigneten Därmen fehlt.

Mängel in der Versorgung mit Zigaretten, billige Sorten (8–10 Pf.) sind in den Bezirken Cottbus, Schwerin, Kreis Worbis, [Bezirk] Erfurt, Karl-Marx-Stadt, Gera und Frankfurt.

Fleisch und Gemüse fehlt im Geiseltal, [Bezirk] Halle. Außerdem ist die gesamte Warenbereitstellung in diesem Gebiet sehr schlecht, da der Kreis Merseburg an dritter Stelle in der Warenaufteilung steht und auch diese Zuteilung von den Vertragsfirmen nicht eingehalten wird.

Nährmittel fehlen in den ländlichen Kreisen des Bezirkes Schwerin. Fett, Öl und Weizenmehl teilweise im Bezirk Frankfurt. Im Kreis Seelow dieses Bezirkes besonders Fett. In Ladeburg bei Bernau ist die Belieferung mit Butter schlecht und außerdem im schlechten Zustand.

Hamstereinkäufe an Margarine werden in Eisleben, [Bezirk] Halle, festgestellt. Dort kauften Hausfrauen bis zu vier Pfund Margarine, weil angeblich »die Preissenkung nur acht Tage anhält«.

Landwirtschaft

Durch die Preissenkung hat sich nicht nur die Stimmung wesentlich gebessert, sondern sie bildet zurzeit auch den Hauptgesprächsstoff. Der weit überwiegende Teil begrüßt die Preissenkung und bringt seine Freude durch positive Diskussionen zum Ausdruck. Ebenso wurde das Vertrauen zu unserer Regierung um ein Wesentliches gestärkt und kommt in einer Reihe weiterer Selbstverpflichtungen als Dank und zur weiteren Verbesserung des Lebensstandards zum Ausdruck. In Werder, [Bezirk] Schwerin, z. B. hat ein Elektriker einen Großlautsprecher für das Dorf angebracht, um so dieses Ergebnis allen Dorfbewohnern zu übermitteln. Des Weiteren hat der Frauenausschuss der Gemeinde Lübstorf beschlossen, ab sofort während der Mittagspause auf der dortigen MTS Aussprachen zur Vorbereitung der Volkswahl durchzuführen.

Die LPG Glasin verpflichtete sich, bis zur Wahl 7 000 Liter Milch und 7 000 kg Rindfleisch sowie das gesamte Soll an Schweinefleisch abzugeben. Ähnliche Verpflichtungen werden auch in anderen Bezirken übernommen, wie Cottbus und Rostock.

Eine Landarbeiterin aus Börtewitz, [Kreis] Döbeln, [Bezirk] Leipzig, sagte: »Ich weiß, dass die Regierung besonders zur Ernteeinbringung hohe Anforderungen an uns Landarbeiter stellt. Sie beweist aber auch, dass sie ständig bemüht ist, den Lebensstandard der Bevölkerung ständig zu heben. Ich will meine ganze Kraft mit einsetzen, um unser Leben noch reicher und schöner zu gestalten.«

Ein Genossenschaftsbauer aus Fahren, [Kreis] Wismar, [Bezirk] Rostock, erklärte: »Ohne uns Arbeiter kann die Regierung keine Preissenkung durchführen, das hängt alles von uns ab. Ich werde mich in jeder freien Zeit für ein besseres Leben einsetzen und werde noch mehr und besser arbeiten. Das soll mein Dank an die Regierung sein.«

Ein werktätiger Bauer aus Grüntal,13 Kreis Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt: »Ich habe nicht gedacht, dass aufgrund des großen Hochwasserschadens in diesem Jahr noch eine Preissenkung stattfinden wird.«14

Ein Genossenschaftsbauer aus Kirchengel, [Kreis] Sonderhausen, [Bezirk] Erfurt: »Die Ablehnung des EVG durch Frankreich und die neue Preissenkung in unserer DDR werden Adenauer schon schwere Kopfschmerzen bereiten.«

Verschiedentlich wird die Preissenkung für Butter, Fleisch und Wurst, teilweise auch für Zucker vermisst. Ein Brigadier (parteilos) von der MTS Kleeth, [Bezirk] Neubrandenburg, brachte zum Ausdruck, dass man die Preise für gute Butter hätte senken müssen, da ja die Preise für Milch herabgesetzt wurden, denn die Butter ist lebenswichtiger als die Margarine.

Eine Bäuerin aus Grünberg, [Bezirk] Erfurt,15 brachte zum Ausdruck, dass man auch den Preis für den Zucker hätte senken können, da dieser für die Landbevölkerung eine noch größere Hilfe gewesen wäre.

Im Zusammenhang mit der Preissenkung wird verschiedentlich von Bauern befürchtet, dass gleichzeitig die Preise für freie Spitzen16 fallen werden.

Vereinzelt nur wurden negative bzw. feindliche Äußerungen vorwiegend von Großbauern gemacht, die teilweise auf die RIAS-Hetzsendungen zurückzuführen sind. So äußerte sich der Sohn eines Großbauern aus Gersdorf, [Bezirk] Frankfurt, dessen Vater republikflüchtig ist: »Die Preissenkung ist gut, aber jetzt ist doch schon kein Fleisch da, ob später welches da sein wird, ist fraglich.«

Eine Forstarbeiterin aus Weißkolm, [Bezirk] Cottbus: »Diese Preissenkung wurde nur anlässlich der Wahl vorgenommen. Nach dieser Wahl wird alles wieder teurer werden.« Ein Bauer aus Orlishausen, [Bezirk] Erfurt, forderte im Zusammenhang mit der Preissenkung auch die »Freie Wirtschaft«.

Übrige Bevölkerung

Im Mittelpunkt der Gespräche, die unter der übrigen Bevölkerung geführt werden, steht die Preissenkung. Vorwiegend äußern sich dazu Hausfrauen und Rentner. Der überwiegende Teil der Stimmen ist positiv. Übereinstimmend wird erklärt, dass es sehr erfreulich ist, dass gerade die Lebensmittel wie Öl, Schmalz und Margarine, die vorwiegend im Haushalt benötigt werden, im Preis gesenkt wurden. Die Rentner erklären, dass sich ihre materielle Lage dadurch wieder bessern wird und dass sie sich nun auch etwas mehr leisten können. Es werden Vergleiche mit der Lebenslage in Westdeutschland gezogen und geäußert, dass drüben laufend die Preise steigen und dass bei uns dagegen das Leben der Werktätigen immer besser wird. Zum Beispiel sagte eine Hausfrau aus Sonneberg, [Bezirk] Suhl: »Die Preissenkung ist für uns eine große Hilfe, denn es wurden gerade die Lebensmittel billiger, die täglich im Haushalt benötigt werden. Als alleinstehende Frau mit zwei Kindern kommt mir die Preissenkung besonders gelegen und ich bin sehr froh darüber.«

Eine Rentnerin aus Calau, [Bezirk] Cottbus: »Jetzt können wir uns auch wieder etwas mehr leisten und man sieht, dass es bei uns ständig vorwärtsgeht, das kann niemand mehr leugnen.«

Ein Angestellter aus Gera: »Im Gegensatz zu Westdeutschland, wo die Arbeiter gezwungen sind, Streikkämpfe zu führen, um einige Pfennige Stundenlohn, die sie unbedingt zu ihren Lebensunterhalt benötigen,17 wird bei uns eine Preissenkung durchgeführt. Die gerade in den täglich lebensnotwendigen Artikeln, wie Margarine, Fett und Öl eine erhebliche Herabsetzung mit sich bringt, was besonders gut für die älteren Leute ist.«

Teilweise wird bemängelt, dass die Preise für Fleisch und Butter nicht gesenkt wurden oder dass die Kinderfahrräder billiger geworden sind, anstatt die Fahrräder für Erwachsene, die nötiger gebraucht werden, aber für viele noch zu teuer sind. Zum anderen werden auch von einigen Bedenken geäußert, dass die Waren, die jetzt billiger geworden sind, in der Qualität eventuell schlechter werden.

Eine Rentnerin aus Dahlen, [Bezirk] Leipzig: »Bei der Preissenkung vermisse ich, dass man die Butter und das Fleisch nicht gesenkt hat. Ich habe monatlich DM 65,00 und möchte mir auch gern einmal ein Stück Butter in der HO kaufen, aber jetzt ist es immer noch zu teuer.«

Eine Hausfrau aus Neuruppin, [Bezirk] Potsdam: »Die Preissenkung ist nicht schlecht, aber man hätte doch auch die Preise für Butter und Fleisch senken können. Diese Produkte sind doch für die arbeitenden Menschen sehr wichtig.«

Eine Angestellte aus Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam: »Es ist wirklich sehr schön, dass die Preise gesenkt wurden, auch beim Fett. Aber warum senkt man nicht auch für Butter den Preis.«

Ein Einwohner aus Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Dass man die Kinderfahrräder gesenkt hat, ist nicht richtig. Man hätte die großen Fahrräder senken sollen. Die Kinderfahrräder sind als Luxus zu betrachten, aber die Fahrräder für Erwachsene werden von unseren Arbeitern dringend benötigt, um ihre Arbeitsstellen schneller aufsuchen zu können. Aber diese sind für einen Arbeiter immer noch zu teuer.«

Ein Angestellter aus Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam: »Die Preissenkung ist ja ganz schön, aber bei den Industriewaren wird es wieder so kommen, dass, wenn die vorhandene Ware verkauft ist, die neu hereingekommene Ware wieder teurer ist. Es wird dann in den meisten Fällen heißen, dass die Qualität sich verbessert hat.«

In bürgerlichen Kreisen wird die Preissenkung ebenfalls begrüßt und als ein Zeichen einer gesunden Wirtschaftsbasis gewertet. Ein Fuhrunternehmer aus Hildburghausen, [Bezirk] Suhl: »Es ist eine Tatsache, dass es den Arbeitern und Bauern noch nie so gut gegangen ist wie jetzt in der DDR. Ich begrüße, dass die Regierung bemüht ist, den Lebensstandard weiterhin zu verbessern.«

Eine Oberin aus dem Kreiskrankenhaus Meiningen, [Bezirk] Suhl: »Besonders ist die Fettpreisermäßigung zu begrüßen, weil eine gute Versorgung mit Fettigkeiten den Kranken bei der Genesung helfen wird.«

Ein Geschäftsmann aus Geithain, [Bezirk] Leipzig: »Die Preissenkung hat unter den Kunden eine große Freude hervorgerufen. Ich selbst bin der Meinung, dass es die Arbeiter noch nie so gut gehabt haben. Denn so, wie sie jetzt arbeiten, können sie leben. Hoffentlich danken sie es bei der Wahl der Regierung.«

In den negativen bzw. feindlichen Äußerungen wird die Preissenkung verschiedentlich als ein »Wahlmanöver« hingestellt oder insofern herabgewürdigt, dass man sagt, dass es ja nur einzelne Waren sind, die im Preis gesenkt wurden, die anderen Preise sind alle noch viel zu hoch. Ein Kraftfahrer aus Apolda, [Bezirk] Erfurt: »Die Preissenkung ist nichts anderes als Sand in die Augen der Menschen gestreut. Auf dem Gebiete der Industriewaren wurden nur Dinge gesenkt, die sich der Arbeiter nicht kauft und außerdem, was hat eine Preissenkung für einen Zweck, wenn die Waren nicht zu haben sind, die gesenkt wurden. Die Leute sollen nur für die Wahl gut gesinnt werden, weiter ist es nichts. Aber die Bevölkerung merkt die Absicht und fällt nicht mehr darauf rein.«

Ein Einwohner aus Gotha, [Bezirk] Erfurt: »Warum haben sie die Butter nicht gesenkt und nur die Margarine und andere Fette. Wer viel Geld verdient, kann gute Butter kaufen. Für die Arbeiter ist die Margarine gut genug. Man merkt, dass die Wahl vor der Tür steht.«

Eine Hausfrau aus Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Preissenkung ist gar nicht viel wert, denn es sind ja nur kleine Dinge, die gesenkt wurden, das andere bleibt alles beim Alten.«

Eine Hausfrau aus Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Mit der Preissenkung ist es gar nicht so toll. Was ist es denn schon, wenn sie das bissel Margarine billiger machen. Die Wagenschmiere kann man sowieso nicht essen.«

Ein Angestellter aus dem demokratischen Sektor von Berlin: »Sie senken nur die Preise für die Sachen, die sie nicht loswerden. Die Butter und die Wurst müssen billiger werden. Naja, die Wahlen stehen vor der Tür, da mussten sie schon eine Preissenkung vornehmen.«

Bei den Diskussionen über die Volkswahlen steht noch immer die Aufstellung einer gemeinsamen Kandidatenliste im Mittelpunkt und wird auch weiterhin größtenteils begrüßt. Die Forderung nach Parteiwahlen kommt nach wie vor meist aus den Reihen der bürgerlichen Parteien sowie von kleinbürgerlichen Elementen. In einer Mitgliederversammlung der LDP18 in Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte ein Mitglied: »Ich betrachte die Volksbefragung aufgrund der Auszählung der Stimmen, so wie sie vorgenommen wurde, als einen regulären Volksbetrug.19 Ich lehne deshalb die Mitarbeit an den Vorbereitungen zur Volkskammerwahl ab, weil ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren kann.«

Ein LDP-Mitglied aus Dresden: »Wir wollen Wahlen, wie sie die Bevölkerung wünscht, nämlich Parteiwahlen. Die Machtergreifung Hitlers hat nicht an dem Wahlgesetz gelegen. Es braucht doch kein Wahlkampf stattzufinden, sondern die Parteien können genau wie in der Weimarer Zeit einen Burgfrieden schließen.«

Aus dem Bezirk Schwerin wurde berichtet, dass in letzter Zeit in stärkerem Maße von Pfarrern Pakete verteilt werden und dass auch häufiger Kirchenschriften aus Westdeutschland an einzelne Personen zugesandt werden, die inhaltlich gegen die DDR gerichtet sind.20

Aus dem Bezirk Potsdam wurde bekannt, dass in Brandenburg-Kirchmöser und Premnitz Wohnungsbauten sowie der Bau eines Krankenhauses aufgrund eines Ministerratsbeschlusses eingestellt wurden, weil dafür kein Investkonto eingerichtet wurde. Darüber diskutiert die Bevölkerung wie folgt: »Da heißt es immer, dass es besser werden soll, dass mehr Wohnungen gebaut werden sollen und hier werden die Bauten wieder eingestellt.«

Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:21 Erfurt 3 000, Rostock 900, Karl-Marx-Stadt 800, Gera 350, Potsdam 62, Schwerin einige.

KgU:22 Schwerin 1 500.

NTS:23 Dresden 4.

In tschechischer Spr[ache]: Dresden 26.

»Freie Junge Welt«:24 Potsdam 29.

Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt.

Verschiedene Grundeinheiten der FDJ im Kreis Weißensee, Berlin, erhielten am 6.9.[1954] gefälschte Telegramme, wonach sie bei der Kreisleitung erscheinen sollten, um Berichte über ihre Arbeit abzugeben.

Antidemokratische Tätigkeit: Vor einer Kirche in Bautzen wurde ein Bild des Genossen Grotewohl mit der Aufschrift gefunden: »Schinder der freien Bauern – gib Schlesien den Schlesiern zurück.«

Auf dem Objekt »Sow. Sojus«25 der Warnow-Werft Warnemünde wurden in einem Schrank einer Kabine mit Teerfarbe zwei Hakenkreuze angemalt.

Am 4.9.1954 erhielt der Wächter der Stadtverwaltung Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, einen gefälschten telefonischen Anruf, wonach der Stadtfunk, der die Rede des Genossen Grotewohl übertrug, ab sofort abzuschalten sei. Der Teilnehmer meldete sich mit »Volkspolizei«. Der Wächter kam ohne Rückfrage dieser Aufforderung nach.

Am 6.9.1954 wurden bei einem Großbauern in Pretschwitz, [Bezirk] Gera, der in der Ablieferung an der Spitze steht, vier Herdbuchkälber26 durch ungekannte Täter getötet.

Anlage vom 7. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2308

Auswertung von Hetzschriften

Zur Beunruhigung der Eisenbahner und um die Eisenbahner gegen das Dispatcher-System27 aufzuhetzen wird in einem gefälschten Schreiben mit dem gedruckten Kopf der Reichsbahndirektion Berlin an das Reichsbahnamt Zwickau dem Amtsvorsteher »vertraulich« mitgeteilt, dass »die Reichsbahnämter den Dispatcherbezirken angepasst und nach Streckenbezirken neu eingeteilt werden sollen«. Dadurch würde sich die Zahl der Reichsbahnämter um zehn verringern und die Amtsvorstände sowie das Personal wären ohne Arbeit. Man führt weiter an, dass in den Kreisen der Dispatcher »die Schuldigen« hierfür zu suchen seien. Der Amtsvorstand wird aufgefordert, »bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf das Unsinnige dieser Änderung hinzuweisen«. Man versichert ihn der Unterstützung der RBD Berlin.

Um den Einsatz jugendlicher Erntehelfer, besonders Mädchen, zu stören, wendet man sich in Hetzbriefen mit der Unterschrift F »an die Thüringer und Mecklenburger«. Es wird darin angeführt, dass 14- bis 16-jährige Mädchen aus Thüringen, die im Kreis Grimmen zur Landhilfe eingesetzt sind, sexuell missbraucht werden. Ferner bezichtigt man den Leiter der Örtlichen Landwirtschaftlichen Betriebe Grammendorf, Kreis Grimmen (SED), der für diese Mädchen verantwortlich sei, Sittlichkeitsverbrechen an Jugendliche begangen zu haben. Diese Zustände seien von Parteifunktionären überprüft worden, jedoch wolle man sie vertuschen. Ebenso verhalte sich die Kriminalpolizei. Hieraus resultierend beschimpft man die SED-Funktionäre in gemeiner Weise. In diesem Zusammenhang beschimpft man ebenfalls den Genossen Walter Ulbricht.28

In einem ähnlichen Hetzbrief unter der Überschrift »Nacktkultur am Sowjetstrand« werden schmutzige Verleumdungen gegen die Partei verbreitet. Besonders richtet man sich hierbei gegen den Minister der Justiz, Hilde Benjamin.29

Zur Untergrabung des Vertrauens der Landbevölkerung zu den volkseigenen Gütern werden Hetzbriefe an die Einwohner des Kreises Gransee, [Bezirk] Potsdam, mit der Unterschrift »F« verbreitet. Darin werden Traktoristen des Schulgutes Liebenberg, Kreis Gransee, der Grabschändung beschuldigt. Gleichzeitig will man die Kriminalpolizei diskriminieren und behauptet, dass diese nur »eine kurze Vernehmung durchführte und sofort die Schuldigen zur Arbeit entließ«.

Um die Wachsamkeit der Bevölkerung einzuschläfern und die Arbeit des Staatssekretariats für Staatssicherheit zu diskriminieren und seine Erfolge zu vermindern, stellt man in einem anderen Hetzschreiben mit der gleichen Unterschrift »F« Meldungen über Agententätigkeit in der DDR als unwahr hin. Solche Meldungen seien nur Propaganda. Unter anderem wird dazu folgendes Beispiel angeführt: »Noch besser … trat der Agentenunsinn zutage, als in Eggesin drei VP durch Schlägereien getötet wurden. Die Bevölkerung selbst kennt aber die wirklichen Begebenheiten. Bei den Soldaten handelt es sich um üble Schläger und Säufer, die oft genug Verhältnisse und Weibergeschichten als Erfolg ihrer Tätigkeit verbuchten.« Abschließend hetzt man wiederum gegen die SED.

Gegen den steigenden Lebensstandard der Bevölkerung der DDR schreibt die Hetzschrift »Der Tag« Nr. 34,30 dass bei einer Preissenkung »eine fast 50-prozentige Preissenkung für alle Gebrauchsartikel und die meisten HO-Lebensmittel« erfolgen müsste. Die Mittel hierfür seien bereits »tausendfach bezahlt« durch bisherige »Einsparungskampagnen, Normenheraufsetzungen, Verteuerung gewisser Lebensmittel und Gebrauchsgüter sowie durch freiwillige Sonderschichten«. Jedoch würde die SED die Bevölkerung betrügen. Dazu heißt es: »Ab 1. Oktober 1954 werden 40 Prozent der Produktion der VEB als Qualitätsware verkauft, zu einem um 20 bis 35 Prozent erhöhten Preis. Bei solcher Sachlage bleibt eine Preissenkung glatter Betrug.« Andererseits würde die Regierung die vorhandenen Finanzmittel »vergeuden«. Als Beispiel hierfür führt man die Unterstützung der streikenden westdeutschen Arbeiter an.31

Um Facharbeiter zur DDR-Flucht zu veranlassen, werden Hetzbriefe an Betriebe im ehemaligen Land Mecklenburg32 versandt, unterzeichnet mit »ein ehemaliger Facharbeiter«. Darin versucht man die Facharbeiter einzuschüchtern, indem man unter anderem schreibt: »Vielleicht wird Euch auch noch irgendeine Sabotage angehängt und ein nettes Prozesschen.« Man hetzt ferner gegen die SED und die SU und fordert daraufhin auf: »Rettet Euch und Eure Familie! Gute Facharbeiter werden überall im Westen gebraucht. Geht in den Westen!«

Mit dem gleichen Zweck werden Hetzbriefe verbreitet, bisher an Personen im Bezirk Schwerin, worin unter der Überschrift »Facharbeiter gesucht« die Übersendung von Anschriftenlisten guter Facharbeiter alle Branchen gefordert wird. Diese Listen sollen an die Adresse gerichtet werden: Postamt Berlin-Steglitz I, Postlagerkarte Nr. 049.

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