Zur Beurteilung der Situation
23. Juni 1954
Informationsdienst Nr. 2242 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Zu den politischen Tagesfragen wird von den Werktätigen allgemein in geringem Umfang gesprochen. Dabei steht im Vordergrund weiterhin die Volksbefragung,1 worüber im Anhang berichtet wird.
Unter den Kollegen der Optischen Werke Rathenow,2 [Bezirk] Potsdam, wird besonders über den Prozess gegen den ehemaligen Werkleiter und ehemalige Mitglieder des Werkes gesprochen. Die Kollegen, die an der Verhandlung teilnahmen, erklärten, dass der Verlauf sehr sachlich war.3 Ein Brigadier sagte: »Es wäre noch besser gewesen, wenn der Prozess im ROW stattgefunden hätte, dann hätten noch mehr Betriebsangehörige dabei sein können.«
Missstimmungen entstanden in einzelnen Betrieben.
In dem VEB Süßwarenfabrik Zeitz werden aufgrund der gekürzten Planauflagen für das II. Quartal 40 Belegschaftsmitglieder entlassen. Unter den Belegschaftsmitgliedern herrscht keine besonders gute Stimmung, weil keiner den Arbeitsplatz verlieren will.
Im RAW Malchin, [Bezirk] Schwerin,4 soll laut Kollektivvertrag der Leistungsfaktor der einzelnen Arbeiter laufend alle drei Monate überprüft werden, wofür die Lohnkommission zuständig ist. Dies ist jahrelang versäumt worden und am 17.6.1954 begann man nun damit und stellte fest, dass der Leistungsfaktor der einzelnen [Arbeiter] schon einige Jahre zu hoch eingestuft ist. Wenn der Leistungslohn jetzt herabgesetzt wird, wird der Verdienst der Arbeiter geringer.
Im Kraftwerk Peenemünde, [Bezirk] Rostock, soll laut Kollektivvertrag 1954 im Maschinenhaus eine Entlüftungsanlage eingebaut werden (bis 1.5.1954). Bis jetzt wurde hierfür noch nichts unternommen. Die Temperatur im Maschinenhaus beträgt durchschnittlich 45 Grad.
Auf der Peene-Werft [Wolgast, Bezirk] Rostock, in der Konsumtionsgüterabteilung herrscht eine schlechte Stimmung. Der Produktionsleiter und der Abteilungsleiter haben den Arbeitern versprochen, weiterhin den Durchschnittslohn zu zahlen. Bei erfolgter Lohnzahlung stellte sich aber heraus, dass dies nicht der Fall war. Es werden 50 Arbeiter davon betroffen. Im Schiffbau der Peene-Werft Wolgast herrscht schlechte Stimmung darüber, dass die Erprobungen der Eimerbagger schon zum dritten Male verschoben werden mussten, weil die Schiffswerft Roßlau und die VEM Elektrik mit ihren Arbeiten nicht fertig werden.
Unter den Kollegen der Porzellanfabrik Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, besteht eine Unzufriedenheit wegen zu niedrigem Lohn. Bei einer Betriebsversammlung waren deshalb trotz guter Vorbereitung von 200 Belegschaftsmitgliedern nur ca. 30 anwesend.
Produktionsstörungen
Im EHW Thale,5 [Bezirk] Halle, ist das Lager im Motor des Kaltwalzwerkes heißgelaufen. Produktionsausfall: täglich 40 t Walzbleche. Am 21.6.1954 mussten die beiden Elektroöfen im EHW abgestellt werden, da der Blitz in die Hochspannungsleitung eingeschlagen war. Produktionsausfall 10 t.
Im Kraftwerk Zschornewitz fiel durch Explosion die Maschine 9 aus. Die Lebensdauer des Kabels war überschritten und der Endverschluss der Maschine kam zur Explosion, Reparaturzeit sieben Tage. Produktionsausfall ca. 20 000 DM.
Am 23.6.1954 brannte in der Tuchfabrik Großenhain, [Bezirk] Dresden, ein Generator durch, der den Betrieb mit 2/3 des Stromverbrauches versorgte. Der Betrieb wird vorläufig vom Ortsnetz gespeist, um keinen Produktionsausfall zu haben. Ursache wird noch festgestellt.
Produktionsschwierigkeiten traten verschiedentlich auf, meist wegen Mangel an Materialien.
Im IFA-Horch in Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fehlt es noch immer an Anlassern und Achsenwellen. Dadurch stehen Fahrzeuge der Typen H3a6 auf dem Hof und können nicht ausgeliefert werden. Sie leiden unter den Witterungsverhältnissen und können nicht ausgeliefert werden. Dadurch machen sich umfangreiche Nacharbeiten erforderlich.
In den Betrieben des Kraftverkehrs im Bezirk Gera mangelt es an Treibstoff.
In der Abteilung Montage der Optischen Werke Rathenow, [Bezirk] Potsdam, müssen an den Mikroskopen zusätzliche Nacharbeiten durchgeführt werden, weil sehr schlechtes Aluminium vom Walzwerk Hettstedt geliefert wurde.
Auf der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock, fehlen noch ca. 30 Schiffsbauer, 50 Schweißer und 30 Rohrleger.
Die Serienproduktion der Ge[frier]schiffe7 auf der Schiffswerft Stralsund, [Bezirk] Rostock, geht nur schleppend voran. Dieses liegt an der schlechten Vorarbeit der Werft Boizenburg. Vor allem fehlen Ruderanlagen, Drehkräne, Ankerwinden und Isoliermittel.
Im VEB Turbowerk Meißen, [Bezirk] Dresden, gibt es große Schwierigkeiten in der Belieferung mit Gussteilen vom VEB Mannesmann Leipzig.8
Im Gummiwerk Heidenau, [Bezirk] Dresden, macht die Umstellung der Produktion auf Fahrraddecken Schwierigkeiten. Durch die Mehrverwendung von Naturkautschuk kann nicht so schnell gearbeitet werden und die Arbeiter haben dadurch einen geringen Lohn.
In der Wagenabteilung des Bahnwerkes Schwerin fehlen Ersatzteile. Vor allem Radsätze und Hülsenpuffer.
Der Kreisbauhof Hagenow, [Bezirk] Schwerin, benötigt dringend Deckenhohlsteine.
Handel und Versorgung
In der Versorgung mit HO-Fleischwaren ist im Bezirk Erfurt eine wesentliche Besserung eingetreten. Im Bezirk Schwerin und Rostock sind die Schwierigkeiten noch nicht ganz behoben. Verschiedentlich wird über eine ungenügende Warenbereitstellung geklagt. Zum Beispiel fehlt es im Bezirk Erfurt an Textilien, vor allem an Bettwäsche und Berufskleidung. Im Bezirk Suhl mangelt es ebenfalls an Bettwäsche, des Weiteren an Fischkonserven, Tee und Kaffee.
Im Kreis Malchin, [Bezirk] Schwerin,9 ist die Versorgung mit Margarine unzureichend.
Wiederholt wird aus den Bezirken wie z. B. Cottbus, Schwerin und Potsdam über eine unzureichende Versorgung mit Getränken berichtet.
Im Kreis Bad Salzungen besteht ein Mangel an Ersatzteilen für Omnibusse des Kraftverkehrs und der VEAB.
Bei der DHZ Sonneberg, [Bezirk] Suhl, lagern 6 t Schokoladenerzeugnisse, die dem Verderb ausgesetzt sind.
Die HO Lebensmittel Ilmenau, [Bezirk] Suhl, erhielt laut Vertrag 2 t Schweine- und Rindfleischkonserven in Weißblech und 6 t in Schwarzblech. Die Konserven wurden im Dezember 1952 hergestellt und haben eine Haltbarkeit von sechs Monaten. Eine Hygiene-Kontrolle ergab, dass die Konserven für den menschlichen Genuss nicht mehr verwendbar sind.
Landwirtschaft
Nach wie vor herrscht unter der Landbevölkerung ein geringes Interesse an politischen Tagesfragen. Im Mittelpunkt stehen wirtschaftliche Probleme, deshalb wird mehr über diese Fragen gesprochen. So sagte z. B. zur Volksabstimmung ein Bauer aus Nauendorf,10 [Kreis] Herzberg, [Bezirk] Cottbus: »Die Volksbefragung ist für mich nicht das Wichtigste, sondern wichtig ist, wie kann ich bei den schlechten Futterverhältnissen mein Vieh füttern.«
Im Kreis Neuhaus, [Bezirk] Suhl, beklagen sich die LPG-Bauern über die schlechte Zuteilung an Kraftfutter.
Von MTS, LPG und VEG
In der MTS Schulzendorf, [Bezirk] Potsdam, sind nicht alle Maschinen einsatzbereit, was auf den Mangel an Ersatzteilen zurückzuführen ist.
In der LPG Ötteln,11 [Bezirk] Schwerin, herrschen Streitigkeiten, die von acht Landhelfern aus Sachsen entfacht werden, hauptsächlich von einem Jugendlichen, der ein ehemaliger Fremdenlegionär ist.
Das VEG Wansdorf, [Bezirk] Potsdam, hat mit der VEAB einen Vertrag über die Lieferung von 45 000 Stück Kohlrabi, 3 000 Ztr. Weißkohl abgeschlossen und jetzt weigert sich die VEAB, die 45 000 Kohlrabi abzunehmen. (Im vergangenen Jahr war das Gleiche zu verzeichnen und es mussten 100 Ztr. Kohlrabi verfüttert werden.)
In der Gemeinde Deutschenbora, [Bezirk] Dresden, ist in den Rübenbeständen ein starker Anfall von Blattläusen zu verzeichnen. Nach Ansicht der Bauern fehlt es an einem guten Bekämpfungsmittel, wie z. B. an »Wofatox«, das bei uns nicht erhältlich ist.
Kartoffelkäfer wurden bei einer Suchaktion am 18.6.[1954] in der Gemeinde Neulögow, [Bezirk] Potsdam, 1 800 Stück aufgefunden.
Die Schweinepest ist unter dem Schweinebestand des VEB Baumwollspinnerei Zschopautal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ausgebrochen (23 Schweine notgeschlachtet).
Übrige Bevölkerung
Weiterhin wird im geringen Maße über politische aktuelle Probleme gesprochen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen wirtschaftliche Fragen. Im Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, werden unter der Bevölkerung Diskussionen geführt, dass die Buttermilch im Verkauf zu teuer ist (Der Liter kostet 0,50 DM). Es werden täglich von der Molkerei ca. 40 bis 50 000 l an die Bauern zurückgeschickt, zwecks Verfütterung. Dafür bekommt die Molkerei pro Liter 0,04 DM.
In der Oberschule Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, äußerte ein Geschichtslehrer gegenüber einer westdeutschen Delegation: »Ich habe mit meinem Gehalt von monatlich 600 DM keine Existenzmöglichkeit, zumal ich alle Dinge, die ich hier nicht bekomme, in Westdeutschland holen muss.« Weiter äußerte er, dass die Weiterbildung der Jugendlichen und die Unterstützung durch Staatsstipendien nur FDJ- und SED-Mitgliedern zugutekommen. »Bei uns ist es leider nicht so, dass jeder Jugendliche sich weiterbilden kann.«
Ganz vereinzelt werden feindliche Stimmen bekannt, die eine Wiederholung des Putschversuches vom 17. Juni 1953 voraussagen. Ein Angestellter des Rates des Kreises Greevesmühlen, [Bezirk] Rostock, forderte einen Kollegen auf, am 16.6.[1954] um 19.00 Uhr eine Sendung des Westfunk zu hören, in der über den 17. Juni [1953] gesprochen wurde. Des Weiteren führte er aus, dass noch im Sommer oder Anfang Herbst ein neuer ›Tag X‹ stattfinden soll,12 der noch schlimmer als der letzte sein wird.
Aus den Kreisen der Kirche wurde Folgendes bekannt: Im Kreis Nauen, [Bezirk] Potsdam, verspricht ein Pfarrer, für den Besuch des Gottesdienstes und der Konfirmandenstunde Butter zu verteilen. (In einigen Fällen ist schon Butter verteilt worden.)
In Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, erklärte ein Pfarrer anlässlich der Feierlichkeiten zum Fronleichnam in seiner Predigt: »Es ist zu verzeichnen, dass die Menschen heutzutage jedes Geschwätz glauben, was im Radio und in den Zeitungen gebracht wird. Sie merken dabei nicht, dass sie immer mehr dem Unglauben verfallen. Viele Eltern sehen zu, wie ihre Kinder vom Gift der Welt zersetzt werden.«
Zum Prozess gegen die Rädelsführer des 17. Juni 1953:13 Einige Personen, die diesem Prozess beiwohnten, erklärten, dass durch die Aussagen der Angeklagten der Bevölkerung die Augen geöffnet wurden über die Hintermänner des faschistischen Putsches vom 17. Juni 1953. Des Weiteren wurde vorgeschlagen, dass viel mehr Menschen Gelegenheit haben müssten, solche Prozesse mitzuerleben, da aber der Verhandlungsraum des Obersten Gerichtes zu klein sei, müsste man dafür die Sporthalle nehmen. In Betrieben sollten Versammlungen durchgeführt werden, in denen über den Prozess berichtet wird.
Bemängelt wurde, dass die Berichterstattung der Presse und des Rundfunks über den Prozess ungenügend sei und dass besonders die Entlarvung des Ostbüros der SPD und des DGB nicht genügend zum Ausdruck gebracht wird.14
Starke Diskussionen gab es über die Urteile, die von einer Reihe von Zuhörern als zu niedrig bezeichnet wurden. In diesem Zusammenhang wurden ebenfalls die niedrigen Strafen der Angeklagten im Dertinger-Prozess15 erwähnt.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD[-Ostbüro]: Schwerin 9 100, Erfurt 2 550, Karl-Marx-Stadt 2 540, Gera einige Tausend.
»Deutsche in der Bundesrepublik«:16 Frankfurt/Oder 8 000, Rostock 7 565, Potsdam 4.63 [sic!].
NTS:17 Gera 2 000.
»Der Tag«:18 Rostock 170.
»Freie Junge Welt«:19 Halle 60.
In tschechischer Schrift: Dresden 26.
In Lobenstein, [Bezirk] Gera, wurden einige mit Schreibmaschine hergestellte Flugblätter aufgefunden. Inhalt: Für die EVG am 27. [Juni 1954] zu stimmen.20
Der größte Teil der Flugblätter wurde mit Ballons eingeschleust und gelangte nicht in die Hände der Bevölkerung.
In Ribnitz, [Bezirk] Rostock, wurde ein Transparent zur Volksbefragung mit Tinte übergossen. In Scheiten,21 [Bezirk] Dresden, und im VEB Görlitzer Maschinenbau wurden Plakate zur Volksbefragung abgerissen.
In Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, und in der MTS Boddin, [Bezirk] Rostock,22 werden Hakenkreuze23 angeschmiert.
Terror
Am 21.6.1954 wurden beim Vorsitzenden der LPG in Golm, [Kreis] Potsdam, drei Fensterscheiben durch unbekannte Täter eingeworfen.
Im Ausbildungswerk des VEB Zeiss-Ikon Dresden wurde am 17.6.1954 von Lehrlingen eine Schweigeminute anlässlich der Provokation am 17.6.1953 durchgeführt.
Vermutliche Feindtätigkeit
Am 21.6.1954 wurden auf der Landstraße zwischen Hinrichshagen und Moeckow Berg,24 [Bezirk] Rostock, Nägel aufgefunden. Ermittlungen darüber werden noch geführt.
Am 20.6.[1954] brach in der Staatlichen Forst Annaburg, [Bezirk] Cottbus, ein Waldbrand aus, der gleichzeitig an vier Stellen entstand. Es verbrannten ca. 45 ha Wald- und Wiesenflächen. An einem Brandherd wurden Sprengkapseln gefunden.
An der Sektorengrenze in [Groß] Glienicke, [Kreis] Potsdam, werden laufend durch Lautsprecherwagen, die auf der westlichen Seite sich befinden, die »Heimatvertriebenen« aufgefordert, am 27. und 28.6.[1954] in Westberlin an einem Heimattreffen teilzunehmen.
Anlage 1 vom 23. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2242
»Über die Vorbereitung der Volksbefragung«
Im Bezirk Neubrandenburg haben bisher 60 Prozent der Wähler in die Wählerlisten Einsicht genommen, im Bezirk Magdeburg 65,7 Prozent und im Bezirk Schwerin 75 Prozent. Im Bezirk Suhl wurden in 21 ländlichen Gemeinden die Wählerlisten 100 Prozent eingesehen.
In Berlin geht die Einsichtnahme in die Wählerlisten noch sehr schleppend vor sich. Bisher haben nur 30,3 Prozent der Personen über 18 Jahre und 27,8 Prozent von 16 bis 18 Jahren in die Wählerlisten Einsicht genommen.
Die Diskussionen zur Volksbefragung stehen im Mittelpunkt der politischen Tagesfragen. Die bekannt gewordenen Stimmen sind meist positiv und bringen teilweise zum Ausdruck, dass man die Schrecken des letzten Krieges noch nicht vergessen hat und man deshalb für den Frieden stimmen wird. Unter der Land- und übrigen Bevölkerung sind die Diskussionen geringer als in den VEB Betrieben. Die bekannt gewordenen Diskussionen aus der Landbevölkerung stammen meist von LPG-Bauern und Angehörigen der MTS.
Ein Kumpel aus dem Steinkohlenwerk »Karl Liebknecht« Oelsnitz,25 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Interesse am Krieg haben nur diejenigen, die an ihm verdienen, und wenn es dennoch Arbeiter geben sollte, die für den EVG-Vertrag sind, dann können es nur Idioten sein. Wir haben jetzt zu entscheiden über Leben oder Tod.«
Eine Angestellte aus der Betriebspoliklinik der Volkswerft Stralsund, [Bezirk] Rostock, brachte zum Ausdruck, dass es für sie eine Selbstverständlichkeit sei, ihre Stimme gegen EVG und für den Friedensvertrag abgibt [sic!]. »Außerdem werde ich gerade zur Volksbefragung meinen Antrag für die Aufnahme in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands abgeben.«
Eine Arbeiterin des MTS-Lehrkombinates Malchin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Mein Mann kehrte schon 1918 als Kriegsbeschädigter zurück, mein Sohn als Beinamputierter. Ich kenne die Sorgen und Leiden eines Krieges. Damit dies nicht mehr vorkommt, stimme ich bei der Volksbefragung für einen Friedensvertrag.«
Ein Mittelbauer aus Ebersbrunn, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Für mich und meine Frau gibt es nur eine Wahl, und das ist diese, dass wird beide uns für einen Friedensvertrag am 27.6.1954 entscheiden.«
In der MTS Quastenberg, [Kreis] Neubrandenburg, war eine Versammlung zur Vorbereitung der Volksbefragung geplant. Zu dieser Versammlung waren auch die Bauern aus den Gemeinden Marienhof, Dewitz, Lietz,26 Teschendorf und Burg Stargard erschienen. Der Referent, der in dieser Versammlung sprechen sollte, erschien nicht. Die Versammlung musste ausfallen, worüber die Bauern natürlich empört waren.
Teilweise verpflichteten sich Arbeiter aus den Produktionsbetrieben am 1. Tag der Volksbefragung ihre Stimme für den Frieden abzugeben. Im Schmelzwerk Edderitz,27 [Bezirk] Halle, äußerten sich die Kollegen der Ofenbaubrigade, dass sie sich verpflichteten, am 1. Wahltag ihre Stimmen für den Friedensvertrag und gegen den EVG-Kriegsvertrag abzugeben. Die Kollegen der Schuhfabrik »Roter Stern« in Burg, [Bezirk] Magdeburg, haben beschlossen, bereits am 27.6.1954 ihre Wahlpflicht zu erfüllen.
In geringem Maße treten Diskussionen auf, die zum Ausdruck bringen, dass die Volksbefragung zwecklos [sei] bzw. keinen Sinn habe. Ein Kollege aus dem Wismut-Schacht 356 in Gera:28 »Die Volksbefragung wird höchstwahrscheinlich ein 100-prozentiges Resultat zeigen, dies hat aber keinen großen Wert, da sich Westdeutschland nicht nach diesem Resultat richten wird.«
Ein Hauer aus dem [Wismut-]Schacht 6b Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Arbeiter haben doch sowieso nichts zu sagen, die da oben machen doch was sie wollen, meiner Meinung nach ist die Volksbefragung nur ein Papierkrieg.«
Feindliche Elemente bringen gegen die Volksbefragung die verschiedenartigsten Argumente. Ein Großbauer aus Güritz, [Bezirk] Schwerin: »Bleibt mir mit dem Quatsch vom Halse, denn ich möchte nichts davon wissen.« In einer Haus- und Hofgemeinschaft äußerte er: »Am 17.6.1953 hätte die Regierung gestürzt werden müssen.«
Ein Klempner, beschäftigt bei der Reichsbahn aus Gera, äußerte: »Bei den letzten Wahlen waren sämtliche Kabinen so gestellt, dass sie keinem zugängig waren. Zum Beispiel standen sie in der Ecke oder waren mit Blumen verbaut. Hoffentlich haben wir wieder solch eine ›Freie Wahl‹.«
Ein jugendlicher Arbeiter aus Finow, [Bezirk] Frankfurt: »Wir haben schon oft abgestimmt und unsere Unterschrift gegeben, aber trotzdem gibt es noch kriegführende Staaten. Wenn wir Jugendlichen jetzt mitstimmen sollen, so bedeutet das ja nur einen Stimmenbetrug, denn bei den Wahlen geht es doch auch nicht.«29
Ein parteiloser Arbeiter aus dem Dampfhammerwerk Großenhain, [Bezirk] Dresden: »Für den Mist, den die SED-Bonzen machen, habe ich nichts übrig.«
Eine Großbäuerin aus Möst, [Bezirk] Halle: »Ich habe überhaupt keine Lust mehr, am besten ist, wenn man seine Sachen packt und nach drüben geht. Ein Mitglied der LPG sagte mir, dass die Großbauern sowieso liquidiert werden.«
Ein Großbauer aus Späningen, [Bezirk] Magdeburg: »Man will bei der Volksbefragung am 27.6.1954 erst vorfühlen, ob man sich überhaupt noch Wahlen erlauben kann.«
Vereinzelt tritt im Zusammenhang mit der Volksbefragung wieder die Hetze gegen die Oder-Neiße-Friedensgrenze auf. Ein Former aus dem VEB Hans-Ammon-Werk Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt: »Für den Frieden sind wir doch alle. Der Westen ist auch in jedem Falle für den Frieden. Warum lässt man uns nicht eine freie Regierung wählen. Adenauer30 wäre der richtige Mann dafür, denn er verspricht den Deutschen die Gebiete hinter der Oder zurück, ›die unsere Kornkammer waren‹.«
Ein Bauer aus der Gemeinde Bantin, [Bezirk] Schwerin: »Wenn über Ostpreußen abgestimmt wird, dass diese Gebiete zur DDR kommen, so stimmen alle Leute dafür.«
Anlage 2 vom 22. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2242
Hetze der Westpresse gegen die Volksbefragung
In den letzten Tagen nahm die Hetze in der Westpresse gegen die Volksbefragung etwas zu. Hauptgegenstand der Verleumdung und Hetze sind:
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»Bevölkerung wird durch Aufklärer belästigt«,
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»falsche Fragestellung«,
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Aufforderung zur Teilnahme an der Abstimmung, »um sich keiner Gefahr auszusetzen«,
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Verleumdung unserer Regierung, dass das »Ergebnis gefälscht wird«.
In einem Interview mit Robert Bialek31 durch den Londoner Rundfunk32 verbreitet dieser Lügen über die Ermittlung der Wahlergebnisse. Er führt dazu als Beispiele vorangegangene Abstimmungen an, wo nach 1946 in den Kreiswahlkommissionen die Ergebnisse gefälscht worden wären.33 Bialek unterstellt unserer Partei, dass die Volksbefragung zwei Aufgaben zu erfüllen habe, nämlich »Feststellung der Methoden für die Wahlen im Herbst 1954«34 und »Ausnutzung der Ergebnisse der Volksbefragung als agitatorisches Instrument in der Weltöffentlichkeit«.
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Verherrlichung der EVG und Verwirrung der Bevölkerung über den Charakter derselben.
RIAS hetzt, dass das Abstimmungsergebnis erst drei Tage nach der Abstimmung bekannt gegeben würde.
Zur Ausfüllung der Stimmzettel werden folgende Vorschläge mit dem Ziel gemacht, die Abstimmung zu sabotieren:
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Vorschlag eines Hörers, kein Kreuz einzuzeichnen, sondern den Stimmzettel wieder leer abzugeben, kommentiert der Londoner Rundfunk mit der Hetze, »dass es andere Leute geben könnte, die das Kreuz einzeichnen«.
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Beide Kreise ankreuzen, dadurch würde der Zettel ungültig.
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Für EVG stimmen, »nur wenn man unbeobachtet ist«.
RIAS verbreitete am 22.6.1954 die Meldung, dass der 1. Kreissekretär der SED in Görlitz auf einer Versammlung die offene Stimmenabgabe gefordert hätte.