Zur Beurteilung der Situation
25. August 1954
Informationsdienst Nr. 2296 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Vordergrund der an Umfang geringen Diskussionen zu politischen Tagesfragen steht weiterhin die Streikbewegung in Westdeutschland.1 Größtenteils wird von den Arbeitern die Streikbewegung unterstützt. Ein geringerer Teil der Werktätigen ist sich über die Bedeutung der Streiks nicht im Klaren und vertritt die Meinung, dass die Arbeiter in Westdeutschland besser leben würden als die Arbeiter in der DDR und deshalb eine Unterstützung nicht notwendig sei.2 In Verbindung hiermit wird mehrfach gesagt, dass in der DDR nicht gestreikt werden darf.3
Im VEB Glühlampenwerk Oberweißbach, [Bezirk] Suhl, haben die Kollegen nur 20 bis 50 Pfennige gespendet. Sie sind der Meinung, dass sie durch ihren FDGB-Beitrag schon zur Unterstützung des Streikes beitragen.
Einige Kolleginnen vom Mercedes-Werk in Zella-Mehlis äußerten: »Warum sollen wir für die Streikenden auch noch arbeiten. Die leben doch besser als wir hier.«
Einige Jugendliche aus den Leuna-Werken »Walter Ulbricht«, Bau 698: »In Westdeutschland haben sie wenigstens das Recht zu streiken, da sagt keiner was, aber bei uns ist das verboten.«
Ganz gering werden solche negativen Meinungen von feindlichen Elementen vertreten.
Auf dem Bahnhof Magdeburg-Buckau wird von Eisenbahnern, die nach Westdeutschland fahren, die Meinung verbreitet, dass die Streikbewegung in Westdeutschland nicht so groß sei wie in unseren Zeitungen geschrieben wird.
Eine parteilose Arbeiterin aus dem VEB Textilveredlung Zittau, [Bezirk] Dresden: »Die Streikenden in Westdeutschland werden von uns unterstützt. In der DDR werden die Streikenden erschossen.«
Ein parteiloser Arbeiter aus dem Sächsischen Kunstseidenwerk Pirna, [Bezirk] Dresden: »Die finanzielle Unterstützung genügt nicht. Wir müssen uns solidarisch erklären und ebenfalls streiken.«
Zum Interview von Dr. John4 und zum Übertritt des CDU-Bundestagsabgeordneten Schmidt-Wittmack in die DDR5 hat der Umfang der Diskussionen etwas zugenommen, ist jedoch noch gering. Die Diskussionen zur Volkskammerwahl6 sind weiterhin ganz vereinzelt. Der Inhalt und Umfang haben sich gegenüber den Vortagen nicht verändert.
In einigen Betrieben besteht eine schlechte Stimmung wegen verschiedener betrieblicher Fragen.
Aus der Maschinenfabrik Wurzen, [Bezirk] Leipzig, haben verschiedene Kollegen gekündigt, da sie über ihren Verdienst unzufrieden sind. Im Kraftwerk »Ernst Thälmann« Leipzig haben aus dem gleichen Grunde in der letzten Zeit 36 Kollegen gekündigt.
Im VEB Papierwarenfabrik Grimma,7 [Bezirk] Leipzig, sind die Arbeiter sehr verärgert, weil sie bei der Planerfüllung keine Prämien erhalten. Diese werden nur an Wirtschaftsfunktionäre verteilt.
Die Kollegen des VEB Blankschraubenwerkes Elsterwerda, [Bezirk] Cottbus, sind darüber unzufrieden, dass sie auf Anweisung des Ministeriums die Automaten für die Kugellagerfertigung an einen Berliner Betrieb abgeben sollen, weil dieses Werk schon Kugellager anfertigt.
Im VEB THEWA in Neuhaus,8 [Bezirk] Suhl, besteht ein Auftragsmangel, wodurch unter den Kollegen schlechte Stimmung besteht.
Über den Mangel an Ersatzteilen sind besonders die Arbeiter von der VVB Kraftverkehr Aue und Auerbach verärgert. Sie diskutieren negativ. So sagte ein Arbeiter aus Auerbach: »Die DDR soll einpacken. Wir haben ja nichts. Im Westen fahren nur neue Wagen und hier gibt es nur diesen alten Mist, sodass man seine Freizeit einbüßt und abends immer sehr spät nach Hause kommt.«
Aus »stillem Protest« gegen die Festnahme eines Rangierers vom Bahnhof Stralsund, [Bezirk] Rostock, der einen Rangierunfall (Schaden von DM 25 000) verschuldete, wurde von der ablösenden Nachtschicht langsam gearbeitet. Dadurch entstanden in dieser Nacht bei den Güterzügen Verspätungen.
Im VEB Lederfabrik Hirschberg, [Bezirk] Gera, ist die Arbeitsmoral gesunken. Viele Arbeiter verlassen vor Ablauf ihrer Arbeitszeit den Betrieb ohne Abmeldung. Ein Kollege, der von einer BS-Angehörigen darauf aufmerksam gemacht wurde, äußerte: »Was wollt denn ihr Faulenzer, ihr sitzt hier und wir müssen für euch das Geld verdienen.«
In der Schiffswerft Oderberg, [Bezirk] Frankfurt/Oder, wollen die Arbeiter keinen neuen Wettbewerb eingehen. Die Rohrleger sagen, dass dafür kein Material vorhanden sei. Unter den Tischlern besteht die Ansicht, dass dadurch ihre Normen gedrückt werden, während die Prämien nur unter der Intelligenz aufgeteilt werden.
Ein großer Mangel an Glühlampen (40, 60 und 75 Watt) besteht im VEB Buntweberei Seifhennersdorf, [Bezirk] Dresden. Dies wirkt sich hinderlich in den Nachtschichten aus.
Ein Mangel an Kurbelwellen und Reifen besteht im Verkehrsbetrieb Potsdam-Babelsberg, wodurch die Fahrzeuge oft wochenlang in den Werkstätten stehen müssen.
Auf dem Bahnhof Wustermark, [Bezirk] Potsdam, wurden in der letzten Zeit fast täglich brennende Wagen festgestellt, die mit Kohle beladen von Großräschen kamen. Die Brandursache ist noch nicht bekannt.
Handel und Versorgung
Überplanbestände bzw. verdorbene Lebensmittel
Der Bezirk Potsdam hat einen Überschuss an Frühkartoffeln. Auf den Bahnhöfen Dahme und Hohenseefeld lagern z. B. 500 t Frühkartoffeln im Freien, für die kein Absatz vorhanden ist. Es werden noch laufend neue Fuhren angefahren. Die VEAB empfiehlt den Bauern, die Kartoffeln noch nicht zu roden, weil sie nicht weiß, wo sie damit hin soll.
Die HO Wismut Annaberg,9 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erhielt im Monat August 30 000 kg Kartoffeln, die mit Braunfäule befallen waren und infolgedessen an die Schweinemästereien abgegeben wurden, da sie für die menschliche Ernährung nicht verwendet werden können.
Im Kreis Köthen, Bezirk Halle, ist die Nachfrage nach Hammelfleisch so gering, dass 30 Tonnen davon nicht abgesetzt werden können. Widerstände gegen die Abnahme von 46 Tonnen Schmalz aus Staatsreserven sind bei den Handelsorganen in Köthen zu verzeichnen, da sie befürchten, dass ihre Fettbestände aus eigener Produktion dem Verderb ausgesetzt werden.
Örtliche Mängel in der Warenbereitstellung
Mangel an HO-Fleisch- und -Wurstwaren besteht in allen Kreisen des Bezirkes Frankfurt und insbesondere im Kreis Seelow. Im Bezirk Magdeburg ist der Fleischmangel noch nicht behoben. Desgleichen ist auch im Bezirk Rostock noch ein Mangel an Fleischwaren, besonders in den Kreisen Wolgast und Greifswald, zu verzeichnen. Die HO-Gaststätten im Kreis Wolgast können keine Fleischgerichte mehr herstellen und im Kreis Greifwald haben einige Verkaufsstellen ihr Personal zum Ernteeinsatz geschickt, um sie infolge des Fleischmangels anderweitig auszulasten.
Zigarettenmangel haben die Kreise Eisenach, [Bezirk] Gera,10 und Bergen, [Bezirk] Rostock. Im Klubhaus des VEB Stahlwerkes Silberg,11 [Bezirk] Gera, diskutieren die Arbeiter, dass sie schon seit 14 Tagen gezwungen sind, Zigaretten zu 16 und 20 Pfennig zu kaufen.
Nährmittel fehlen in einigen Kreisen der Bezirke Magdeburg und Frankfurt. Besonders im HO und Konsum des Kreises Strausberg. Außerdem fehlt es dort auch an Fischkonserven und Süßwaren.
Schlemmkreide und Kalk fehlen in verschiedenen Genossenschaften des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, worüber besonders die Malermeister klagen.
Landwirtschaft
Über politische Tagesfragen diskutiert die Landbevölkerung nach wie vor noch wenig. Eine etwas stärkere Beteiligung ist gegenwärtig im Bezirk Frankfurt zu verzeichnen. Die Gespräche über Dr. John, Schmidt-Wittmack und die Volkskammerwahl sind überwiegend positiv und stammen hauptsächlich aus dem sozialistischen Sektor der Landwirtschaft. Vereinzelt wurde durch Selbstverpflichtungen anlässlich der Volkskammerwahl die Verbundenheit mit unseren Volksvertretern zum Ausdruck gebracht. So verpflichteten sich die Genossenschaftsbauern der LPG Harnekop, [Bezirk] Frankfurt, am 17.10.1954 bis 11.00 Uhr ihre Stimme geschlossen abzugeben.
Bei der Rechenschaftslegung12 in Hakeborn, Kreis Staßfurt, [Bezirk] Magdeburg, gewann der Abgeordnete Schnitzler13 Vertrauen und Zustimmung, weil er die örtlichen Belange behandelte und die Beschönigungen einzelner verantwortlicher Funktionäre verurteilte. Die Versammlung war von 250 Personen besucht.
Negative bzw. feindliche Meinungen wurden nur vereinzelt festgestellt, die hauptsächlich unter Großbauern vertreten werden, wie z. B. im Kreis Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt. Dort sagen Großbauern: »Wahlen sind überhaupt überflüssig. Es kostet nur viel Geld und in Wirklichkeit ist doch alles vorher fertig.«
In einer Gaststätte in Schönwerder, [Bezirk] Neubrandenburg, äußerten sich sechs selbstständige Handwerker und ein Großbauer: »Dass, was Walter Ulbricht14 auf Westdeutschland sagt, dass ein Volk sich auf die Dauer nicht unterdrücken und terrorisieren lässt, trifft auf jeden Fall für die DDR zu.« Ein anderer Handwerker aus diesem Kreis äußerte: »Die Wahl am 17. Oktober [1954] wird schon zeigen, dass wir diese Strolche nicht mehr wählen.«
Im Bezirk Frankfurt kommt das Solidaritätsgefühl für die Streikenden in Westdeutschland teilweise in Geldspenden zum Ausdruck. Daran beteiligen sich insbesondere die Genossenschaftsbauern. Die Jugendfreunde der LPG Beiersdorf, [Bezirk] Frankfurt, stellen den Erlös von 25 dz Getreide zur Verfügung.
Vorwiegend befasst sich die Landbevölkerung mit wirtschaftlichen Fragen.
Die Landarbeiter des Universitätsgutes Radegast, [Bezirk] Halle, sind empört darüber, dass ihnen der Morgen Kartoffelacker und das Deputat laut Kollektivvertrag gestrichen wurde. Sie haben DM 0,85 Stundenlohn und 5 Prozent Zukaufsrecht von Getreide, aber nur dann, wenn im Betrieb etwas vorhanden ist. Die LPG-Mitglieder dagegen haben zwei Morgen Acker zur individuellen Nutzung und erhalten ca. 30 Ztr. zusätzliches Getreide. Aufgrund dessen ist zu verzeichnen, dass die Landarbeiter der volkseigenen Güter nicht mehr arbeiten wollen.
Im Bezirk Leipzig wird in Diskussionen über den Anbauplan 1955 die Verringerung der Getreideanbauflächen scharf kritisiert.15 Von den Bauern wird die Befürchtung ausgesprochen, dass eine Knappheit in Stroh eintreten wird. Die gleiche Ansicht vertritt der Bürgermeister aus Weidenhain,16 [Kreis] Torgau, [Bezirk] Leipzig: »Die Bauern meiner Gemeinde sind nicht mit dem Anbauplan für 1955 einverstanden. In diesem Plan soll der Anbau von Getreide herab- und der Anbau von Kartoffeln und Gemüse heraufgesetzt werden. Die Bauern sind der Ansicht, dass sie vor allem Stroh und Körner brauchen.«
In einer Bauernversammlung in Eliasbrunn, [Bezirk] Gera, wurde die Wildschweinplage stark diskutiert und gefordert, endlich bestimmten Personen ein paar Gewehre für die Wildschweinplage zur Verfügung zu stellen.17 In diesem Zusammenhang wurde zum Ausdruck gebracht, dass es doch keinen Zweck hat, etwas zu sagen, da doch darauf nicht reagiert wird. Des Weiteren wurde über die versprochenen Prämien für die Bedeckung der Mutterschweine kritisiert [sic!]. Kein Bauer hat sie erhalten und sie glauben deshalb an gar nichts mehr, weil man sie beschwindelt.
In der Gemeinde Dollgow, [Bezirk] Potsdam, sind die Bauern mit der Ablieferung des Getreides sehr zurückhaltend und warten darauf, dass später eine Austauschlieferung tierischer Produkte anstatt des Getreides vorgenommen wird.
Übrige Bevölkerung
Weiterhin wird zu aktuellen politischen Tagesfragen verhältnismäßig wenig Stellung genommen, jedoch überwiegend positiv. In den Diskussionen über die Volkswahlen wird unter anderem die Aufstellung der gemeinsamen Kandidatenliste größtenteils begrüßt. Es wird dabei herausgestellt, dass nur durch ein gemeinsames Handeln unsere großen Aufgaben zu lösen sind.
In den negativen Stellungnahmen zu dieser Frage, die meist von Mitgliedern und Funktionären der bürgerlichen Parteien sowie von kleinbürgerlichen Elementen stammen, kommt zum Ausdruck, dass es ihnen nur darum geht, die führende Rolle der SED zu beseitigen. In diesem Zusammenhang wurden vereinzelt Stimmen bekannt, die sich in verleumderischer Weise gegen die Volkswahlen und gegen unsere Regierung aussprechen.
Ein Rentner aus Beeskow, [Bezirk] Frankfurt: »… Na, lasst man, es dauert höchstens noch ein halbes Jahr, dann ist alles anders.«
Ein Kreisjugendpfarrer aus dem Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam: »Schon die Volksbefragung war ein großer Blödsinn,18 ich habe meine Stimme nicht abgegeben. Ich werde auch bei der sogenannten Volkswahl nicht stimmen, ich weiß nicht, wofür. Die SED kann ich nicht wählen und etwas anderes ist ja nicht möglich. Warum geht denn der Osten nicht auf die Vorschläge des Westens betreffend der ›freien Wahlen‹ ein?19 Doch nur deshalb, weil die Kommunisten genau wissen, dass sie eine Niederlage erleiden würden und als Regierungspartei abtreten müssten.«
Einige Mitglieder der »Zeugen Jehova«20 aus Brandenburg: »In unserer letzten Bezirksversammlung in Berlin wurde uns gesagt, dass wir uns der Wahlpflicht entziehen sollten, indem wir an diesem Tag einfach verreisen. Sollte man trotzdem zur Wahl aufgefordert werden, dann sollten wir sagen, wir haben schon gewählt und zwar Jehova.«
In Frankfurt wird unter der Bevölkerung häufig negativ über das Problem Wohnungsbau diskutiert. Zum Beispiel sagte ein Angestellter der Reichsbahn: »Es werden so viel Wohnungen in Frankfurt gebaut, aber für wen werden sie errichtet? Nur für Aktivisten und für Leute, die Funktionen innehaben. Die Arbeiter und Rentner, die eine Kellerwohnung haben, bekommen nicht so eine Wohnung.«
Im Kreis Saalfeld, [Bezirk] Gera, wurde im Zusammenhang mit der Schlechtwetterperiode folgende Äußerung bekannt: »Die Schlechtwetterperiode ist nur auf die Uranschürfungen21 zurückzuführen und nicht auf die Wasserstoffbombenexperimente der USA.«22
Aus dem Krankenhaus Saßnitz, [Bezirk] Rostock, wurde bekannt, dass vor ca. drei Wochen zehn Mitglieder der »Deutsch-Sowjetischen Freundschaft«23 aus der Betriebsgruppe ausgetreten sind. Es wurden folgende Gründe angeführt: »Wir sind nicht mit der Oder-Neiße-Grenze einverstanden« oder »Ich habe mit Sowjetsoldaten schlechte Erfahrungen gemacht und kann deshalb mit solchen Menschen keine Freundschaft pflegen.« Auf die Frage, weshalb sie überhaupt eingetreten sind, wurde von 50 Prozent der Ausgetretenen erklärt: »Wir sind unter Druck eingetreten, um unsere Schwesternprüfung ablegen zu können.«
In Gotha, [Bezirk] Erfurt, haben sich die Fälle von spinaler Kinderlähmung von 36 auf 41 erhöht. Die Bevölkerung diskutiert darüber, dass auf der einen Seite alle Veranstaltungen abgesagt werden und zum anderen sämtliche Schulbücher nur in der Lessingbuchhandlung zum Verkauf kommen, wodurch sich die Menschen und darunter viele Kinder stauen.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:24 Karl-Marx-Stadt 122, Dresden 44, Halle 10 250, Erfurt 210, Frankfurt 3 000.
NTS:25 Dresden 53, Halle 22, Erfurt 10 000.
Versch[iedener] Art: Karl-Marx-Stadt 500, Dresden 143, Groß-Berlin 10 000.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Antidemokratische Tätigkeit: Im Aufklärungslokal der Nationalen Front26 in Warlin, Kreis Neubrandenburg, wurde folgende provokatorische Hetzlosung angebracht: »Suup di vull und freet die dick, hal dien Mul von Politik«.27
Im VEB Bautzener Lederwaren, [Bezirk] Dresden, wurde ein Plakat mit dem Bild des Genossen Ernst Thälmann28 beschmiert.
Am 22.8.1954 wurde auf dem Fernbahnsteig des Bahnhofes Teltow, [Bezirk] Potsdam, ein Plakat mit dem Bild des Genossen Ernst Thälmann mit einer Hetzlosung gegen die Genossen Pieck29 und Ulbricht beschmiert.
Diversionen: In der LPG Wusterwitz, Kreis Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, wurden von einem neuen Ackerwagen vier Gummiräder gestohlen.
In Eichhorst, [Bezirk] Neubrandenburg, wurden dreimal nachts zwei Mähbinder verstellt, wodurch jedes Mal einige Stunden verwandt werden mussten, die Mähbinder wieder richtig einzustellen. In gleicher Gemeinde wurde ein Schälpflug beschädigt.
In den ÖLB Kotelow,30 [Bezirk] Neubrandenburg, wurde ein kleiner Stein in die Brennstoffleitung des Traktors geworfen, wodurch dieser während des Drusches ausfiel.
In Pabstorf, Kreis Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg, wurde bei einem vor einer Gastwirtschaft für ca. eine Stunde abgestellten Traktor der MTS Vogelsdorf der Benzinhahn abgestellt, der Keilriemen abgenommen und der rechte Hinterradreifen mit einem scharfen Gegenstand angestochen.
Terror
Auf der Straße Gröditz-Stolzenhain, Kreis Riesa, [Bezirk] Dresden, wurde ein KVP-Angehöriger31 von drei unbekannten Personen mit Knüppeln niedergeschlagen. Der KVP-Angehörige befindet sich im Krankenhaus.
Im Kirchenaushangkasten in Elsterberg, Kreis Greiz, [Bezirk] Gera, befindet sich folgender Aushang: »Zur Verbesserung der kirchlichen Jugendarbeit wird ab 1. September an Kinder, die an der Singestunde der evangelischen Kirche teilnehmen, pro Singestunde 20 Pfg. und je Gottesdienst 30 Pfg. ausgegeben.«
Anlage vom 25. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2296
Stimmen zum Übertritt des CDU-Abgeordneten Schmidt-Wittmack in die DDR
In allen Kreisen der Bevölkerung wird in geringem Maße über den Fall Schmidt-Wittmack gesprochen, jedoch überwiegend positiv. In den Betrieben bringen Arbeiter und Angestellte in den Diskussionen zum Ausdruck, dass der Übertritt des CDU-Abgeordneten ein Beweis mehr ist, dass nicht nur die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch führende Politiker Westdeutschlands gegen die Kriegspolitik Adenauers32 sind. So sagte z. B. ein Arbeiter im VEB Gummistrickwerk Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Da in letzter Zeit verantwortliche Funktionäre der Adenauer-Regierung in die DDR kamen, kann man sehen, dass viele mit der Adenauer-Politik nicht einverstanden sind. Wenn führende Persönlichkeiten in die DDR kommen, so beweist das, dass sie gegen die Kriegsvorbereitungen in Westdeutschland sind. Wenn der Westen seine Politik nicht ändert, dann werden noch mehrere den Weg zu uns in die DDR finden.«
Eine Kollegin vom [Wismut-]Schacht 6 Oberschlema: »Wie weit die Politik der Bonner Regierung ins Wanken geraten ist, das beweist der neue Schlag gegen Conny33 und Konsorten, der Übertritt des CDU-Abgeordneten zu uns in die DDR. Ihm wurde das Asyl gewährt und außerdem noch, dass er völlig frei seine politische Tätigkeit ausüben kann. Das wird hoffentlich noch andere ermutigen.«
In den positiven Äußerungen, die aus Kreisen der übrigen Bevölkerung sowie von der Landbevölkerung bekannt wurden, wird herausgestellt, dass immer offensichtlicher wird, dass im Adenauer-Staat etwas faul ist und dass der Schritt Dr. Johns und von Schmidt-Wittmack ein Beweis für die Richtigkeit der Politik der DDR ist.
Ein Einwohner aus Rodewisch, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der Übertritt dieses Mannes wird besonders in den CDU-Kreisen große Beachtung finden. Außerdem dürfte dieser Fall weitere Auswirkungen für die Adenauer-Regierung haben.«
Eine Hausfrau aus Seelow, [Bezirk] Frankfurt: »Der Übertritt der beiden führenden Politiker ist nur zu begrüßen. Hoffentlich kommen noch mehr von dieser Sorte in die DDR, damit Adenauer eine Niederlage nach der anderen erlebt.«
Ein LPG-Mitglied aus Halle: »Der Übertritt Dr. Johns und von Schmidt-Wittmack ist ein Beweis für die Richtigkeit der Politik unserer Regierung. Weiter ist daraus zu erkennen, dass die Politik Adenauers zum Scheitern verurteilt ist.«
Ein parteiloser Einzelbauer aus Kreuzebra, [Bezirk] Erfurt: »Dass diese Menschen in die DDR gekommen sind, muss schon aus Überzeugung geschehen sein, denn sie hatten drüben ein schönes Auskommen. Es ist gut, wenn solche Menschen kommen, die sich drüben materiell gut gestanden haben. Dadurch werden manchem die Augen aufgehen, wohin der Weg in Westdeutschland führt.«
Vereinzelt wurden Stimmen von Mitgliedern der bürgerlichen Parteien bekannt. Sie nehmen überwiegend positiv Stellung und betonen, dass doch etwas an der Politik Adenauers nicht stimmen kann, wenn in so kurzer Zeit zwei Persönlichkeiten wie Dr. John und der CDU-Abgeordnete Schmidt-Wittmack in der DDR Zuflucht suchen.
Der stellvertretende Kreisvorsitzende der LDP von Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Der Fall Dr. John und Schmidt-Wittmack zeigt, dass in Westdeutschland der Faschismus wieder zur Macht drängt. Diese beiden Politiker hatten großen Einblick in die Verträge der EVG34 und wussten daher, welchen Weg die Bundesrepublik gehen wird.«
Ein CDU-Mitglied aus Frankfurt: »Der Übertritt des Abgeordneten Schmidt-Wittmack hat wiederum wie bei Dr. John den Beweis erbracht, dass in der Bundesrepublik alles faul und morsch ist und der Zerfall beginnt.«
Ein Mitglied der NDPD aus Warnemünde, [Stadt] Rostock: »In der Bundesrepublik muss etwas faul sein, wenn schon die engsten Mitarbeiter von Adenauer in die DDR flüchten und um Asyl bitten, zumal noch Mitglieder des EVG-Ausschusses.«35
Ein geringer Teil der bekannt gewordenen Stimmen drückt Zweifel aus und es wird erklärt, dass es durchaus möglich ist, dass diese westdeutschen Politiker mit einem Auftrag zu uns geschickt worden sind. Wenn man verhindern will, dass sie der DDR Schaden zufügen, muss man sie gut beobachten.
Ein Angestellter aus Grauwinkel, [Bezirk] Erfurt: »Dr. John und der CDU-Abgeordnete sind wahrscheinlich nur in die DDR gekommen, um in unseren Staatsapparat Einsicht zu bekommen und sie wollen das später wieder für die Bundesrepublik auswerten.«
Ein Kollege aus dem Zentrallager Annaberg der Wismut AG: »Wenn noch mehr derartige Übertritte von politischen Staatsmännern aus Westdeutschland in nächster Zeit erfolgen, dann ist es angebracht, sehr vorsichtig mit diesen Leuten umzugehen, denn man kann nicht in sie hineinsehen und weiß nicht, was sie für einen Auftrag haben.«
Negative Äußerungen liegen nur in einer ganz geringen Zahl vor. Ein Schlosser in einer Privatfirma in Gotha, [Bezirk] Erfurt: »Wenn ich einer Sache mehrere Jahre gedient habe und ihr dann den Rücken kehre, so mach ich das nicht nur einmal, sondern auch ein zweites Mal. In meinen Augen sind diese beiden Politiker nicht ehrlich, denn sie kennen unser Regime nur aus der Theorie.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Waggonbau Niesky, [Bezirk] Dresden: »Meiner Meinung nach haben diejenigen, die jetzt in die DDR kommen, wie z. B. Dr. John und der Bundestagsabgeordnete Schmidt-Wittmack, in Westdeutschland sowieso nicht viel getaugt. Diese Ereignisse haben gar keine Bedeutung für uns.«