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Zur Beurteilung der Situation

14. April 1954
Informationsdienst Nr. 2182 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

IV. Parteitag:1 In den Betrieben ist weiterhin ein Nachlassen der Diskussionen über den IV. Parteitag festzustellen. Meist wird in den gering bekannt gewordenen Stimmen Zustimmung zur Beibehaltung der Lebensmittelkarten geäußert.2 Zu politischen Fragen wird nur sehr gering, fast ausschließlich von Mitgliedern unserer Partei, Stellung genommen. Unter der Intelligenz ist eine gewisse abwartende Haltung und politische Uninteressiertheit zu verzeichnen. Ein Kumpel vom [Wismut-]Schacht 250 in Aue3 brachte zum Ausdruck: »Dass die Marken nicht wegfallen, ist zu begrüßen. Dadurch ist wenigstens eine reibungslose Versorgung mit dem Mindesten gesichert, besonders für die Leute, die nicht viel verdienen oder nur ihre Rente haben.«

Von einem kleinen Teil wird Enttäuschung über die Ergebnisse des IV. Parteitages geäußert, da man eine Preissenkung, Erhöhung oder Abschaffung der Lebensmittelkarten erwartet hatte. Ein Arbeiter aus dem Albert-Kuntz-Kombinat Wurzen,4 [Bezirk] Leipzig: »Dieser Parteitag hat in Bezug auf die Arbeiterklasse nicht viel in Erwägung gezogen. Die Preise in der HO sind noch zu hoch. Die Arbeiter können sich nur wenig in der HO kaufen. Wir hatten zumindest mit einer Preissenkung gerechnet.«

Negative und feindliche Stimmen zum IV. Parteitag wurden nur vereinzelt bekannt. Ein Buchhalter vom VEB Nährmittelwerke Gadebusch, [Bezirk] Schwerin: »Was auf dem IV. Parteitag besprochen wurde, bekommen wir doch nicht richtig zu wissen, weil am letzten Tag die westlichen Journalisten ausgeschlossen wurden.5 Hätte man auf der Außenministerkonferenz6 auf den Amerikaner gehört,7 wäre es anders gekommen, dann würde sich der Wohlstand des deutschen Volkes auch bessern.«

Ein Arbeiter vom VEB Drehmaschinenwerk Zeulenroda,8 [Bezirk] Gera: »Hier in der DDR wird immer so viel über die Sozialdemokratie geschimpft. In Wirklichkeit sind die Sozialdemokraten gar nicht so schlecht wie sie hingestellt werden. Sie wollen auch nur das Beste. Ich erinnere mich noch an die 1920er-Jahre, als SPD-Minister in der Regierung waren. Da bestanden mit allen Völkern gute freundschaftliche Beziehungen. Dem Geschäftsmann und dem Bauern ging es gut und der Arbeiter konnte auch leben.« Dazu äußerte ein anderer: »In Westdeutschland vertritt die SPD die freie Marktwirtschaft und das hat seine Vorteile. Würde man bei uns der Privatinitiative mehr Raum lassen, würde in der Versorgung manches besser klappen.«

Über die Note der Sowjetunion an die Westmächte vom 31.3.1954 wird in nur geringem Umfang von den Arbeitern diskutiert.9 Der größte Teil der Stimmen ist positiv. Ein Arbeiter aus der Destillation des Teerverarbeitungswerkes Rositz, [Bezirk] Leipzig: »Dieser Schritt der Sowjetunion ist ein weiterer Beweis der Friedenspolitik der SU. Ich bin allerdings gespannt, wie die westliche Seite darauf reagieren wird. Eine Ablehnung dieses Vorschlages werden sie bestimmt versuchen, doch dann entlarven sie sich und zeigen der ganzen Welt ihr Kriegsgesicht.«

Ein Ingenieur aus dem »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg:10 »Es ist ein genialer Schachzug von der Sowjetunion. Die Regierungen der Westmächte werden dadurch immer mehr eingeengt und müssen Farbe bekennen.«

Ein Arbeiter aus dem Vorrichtungsbau des »Karl-Liebknecht«-Werkes Magdeburg: »Ich wundere mich, dass die Sowjetunion einem aggressiven Pakt11 beitreten will. Es ist eine Wendung um 180 Grad. Durch die EVG wächst die Stärke der westlichen Staaten und die Sowjetunion muss daher Zugeständnisse machen.«12

Aus den Bezirken Halle und Gera wird berichtet, dass in den letzten Tagen vielfach über die amerikanischen Atombombenexperimente diskutiert wird.13 Übereinstimmend spricht man sich gegen diese Vernichtungswaffe und gegen die USA aus. Im VEB Zeiss Jena, [Bezirk] Gera, wurden diese Experimente von einem großen Teil der Belegschaft abgelehnt. Ein Fahrdienstleiter äußerte z. B.: »Solche Experimente, wie sie von den Amerikanern durchgeführt wurden, bezeichne ich als Verbrechen. Die Amerikaner haben mit ihren Abwürfen von Atombomben ihr wahres Gesicht gezeigt. Die Atombombe kann man nicht mehr als Mittel zur Verteidigung betrachten, sondern als eine Waffe, die endloses Leid über die Menschen bringen würde.«

Mehrere Arbeiter des Hydrierwerkes Zeitz, [Bezirk] Halle, sprachen sich in einer Diskussion für ein sofortiges Verbot der Herstellung von Atom- und Wasserstoffbomben aus. Die Arbeiter des Kraftwerkes des Elektrochemischen Kombinates Bitterfeld verurteilen die verbrecherischen Wasserstoffbombenversuche der Amerikaner und begrüßen die Massenproteste gegen die Atom- und Wasserstoffverbrechen der Amerikaner.14

Wirtschaftliche, betriebliche und persönliche Fragen stehen weiterhin im Mittelpunkt der Diskussion der Werktätigen. In der Bau-Union Halle wird über Mangel an Arbeitskräften geklagt. Da die Löhne zu niedrig seien, ist die Fluktuation der Arbeiter ziemlich groß. Außerdem fehlen Ersatzteile für Bagger. Die Arbeiter sind darüber missgestimmt und ein Teil erklärt, dass diese Frage viel schneller gelöst wurde, als das Werk noch SAG-Betrieb war.15

Im Rohrwerk des Stahl- und Walzwerkes Riesa, [Bezirk] Dresden, sind die Arbeiter über die Verzögerung der Auszahlung der Prämien für den gewonnenen Wettbewerb im ersten Quartal missgestimmt. Auf Anfrage beim Parteisekretär wurde ihnen mitgeteilt, dass man sich noch nicht klar sei, ob es überhaupt Prämien gebe. Ein Arbeiter äußerte dazu: »Ich glaube, da müssen wir wieder einmal ordentlich aufräumen.«

Im Fischkombinat Saßnitz, [Bezirk] Rostock, sind die Arbeiter der Eisfabrik über die Festnahme eines Arbeiters durch das SfS empört. Ein Parteisekretär sagte dazu: »Es ist schlecht, einfach einen Menschen wegzuholen, ohne die Familie zu benachrichtigen.« Ferner wird über Schwierigkeiten beim Versand der Fertigwaren negativ diskutiert, die durch Waggon- und Fahrzeugmangel entstehen.

Im VEB Nagema in Lohmen,16 [Bezirk] Dresden, fehlen Gussteile und Elektromotoren, wodurch die Produktion stockt. Die Belegschaft ist darüber verärgert. Ein Schlosser sagte: »Wenn wir nicht bald auf vollen Touren arbeiten können, verliert man die Lust. Man spricht viel von Erhöhung der Arbeitsproduktivität, dabei fehlen die Grundvoraussetzungen – nämlich Material.«

Im VEB Likörfabrik Neustadt,17 [Bezirk] Potsdam, wurde in einer Versammlung der Werkleiter als Aktivist vom BGL-Vorsitzenden vorgeschlagen, was von der Versammlung angenommen wurde. Nach der Versammlung wurde heftig darüber diskutiert. Eine Arbeiterin sagte: »Die Arbeit wird größtenteils von Frauen ausgeführt. Warum werden nicht die Frauen vorgeschlagen, die es verdient haben.«

In der Abteilung 85 des Buna-Werkes,18 [Bezirk] Halle, wurde bei der Auswahl der Aktivisten zum 1. Mai ein Kollege vorgeschlagen, der am 17.6.1954 [sic!] sehr negativ auftrat und sonst politisch uninteressiert ist. Dagegen wurde ein Genosse, der fünf verwendbare Verbesserungsvorschläge machte, abgelehnt.

Im Hydrierwerk Zeitz äußerten mehrere Kollegen über die Aktivistenauszeichnung zum 1. Mai: »Man sollte allen etwas geben. Nicht nur ein oder zwei Mann. Da ja alle am Aufbau mithelfen.«

In der Stärkefabrik Kyritz, [Bezirk] Potsdam, liegen einige Tonnen Triosan zum Verkauf bereit. Nach sechswöchigen Verhandlungen mit dem Ministerium für Gesundheitswesen über den Verkauf wurde am 5.4.[1954] mitgeteilt, dass das Produkt aus gesundheitsschädlichen Gründen nicht verkauft werden darf. Die Produktion muss deshalb eingestellt werden. Der Betriebsleitung ist unverständlich, dass vom Ministerium für Gesundheitswesen keine weitere Erklärung darüber abgegeben wurde.

Handel und Versorgung

Innerhalb des Konsumgenossenschaftsverbandes in Dresden werden Diskussionen geführt über die Neuregelung des Eieraufkaufs nach Gewicht, weil sich das ungünstig auswirkt. Die Eier werden von den Aufkaufstellen der Konsumgenossenschaft zu den Sammelstellen der VEAB transportiert und von dort wieder zu den Verkaufsstellen des Konsums. Dadurch kommen die Eier nie frisch in die Hände des Verbrauchers. In den Kreisen Nordhausen und Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, sollen die anfallenden Eier in das Kühlhaus nach Leipzig zur Einlagerung gebracht werden. Darüber herrscht unter der Bevölkerung Empörung, weil dadurch im Vorjahr Millionen von Eiern verdarben.

Landwirtschaft

Über politische Tagesfragen wird wenig diskutiert, meist nur in den Kreisen der MTS, VEG und LPG. Zum IV. Parteitag wird nur noch vereinzelt Stellung genommen, meist positiv. Die Beibehaltung der Lebensmittelkarten wird größtenteils von der Landbevölkerung begrüßt. Ein Neubauer aus Gehren, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich begrüße, dass der Vorschlag auf dem IV. Parteitag gemacht wurde, die Karten noch nicht abzuschaffen, denn bei Abschaffung wären die Kartenpreise erhöht worden. Wir wären dann nicht in der Lage gewesen, uns das zu kaufen, was wir uns jetzt auf die Lebensmittelkarten kaufen können.«

Durch die Frühjahrsbestellung und die dabei auftretenden Mängel wird vorwiegend über wirtschaftliche Belange gesprochen. Über die unzureichende Düngemittelzuteilung äußerte ein Bauer aus Sondershausen, [Bezirk] Erfurt: »Wir brauchen jetzt dringend den Dünger, denn die Fruchtarten gedeihen nur, wenn genügend Dünger im Boden ist.«

Im Kreis Rochlitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, müssen die Bauern für Saatkartoffeln an die VEAB Speisekartoffeln liefern, darüber herrscht Verärgerung. Ein Bauer aus Fischheim, [Kreis] Rochlitz: »Nehmt nur alles hin, dann kann man sich gleich aufhängen, aber das eine will ich euch sagen, setzt das dann auch in unsere Presse, dass sich auch die Bauern aus der Ostzone aufhängen, nicht nur die aus dem Westen.«

Über die Krähenplage, die sich teilweise sehr nachteilig bei der Frühjahrsbestellung auswirkt, sagte ein Bauer aus Ebersbach, [Bezirk] Dresden: »Ich bin der Meinung, dass die Regierung bewusst nichts gegen die Krähenplage unternimmt, nur um die Bauern zu schädigen.«

Bei einer Diskussion über die Frühjahrsbestellung äußerte ein Bauer aus Ruttersdorf, [Bezirk] Gera: »Früher war es so, da hat jeder Bauer bestellt, wenn er wollte und er ist auch fertiggeworden. Heute dreht es sich am meisten darum, dass die Herren vom Kreisamt ihre Prämien bekommen.«

An Futter mangelt es in den örtlichen landwirtschaftlichen Betrieben Lübbersdorf, [Bezirk] Neubrandenburg (für 200 Schweine und 15 Pferde nur bis 14.4.1954 Futter vorrätig).

Negative bzw. feindliche Stimmen zu politischen Problemen wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Bauer aus der Gemeinde Wahl, [Bezirk] Magdeburg: »Wir interessieren uns für keine Politik. Für die Einheit Deutschlands sollen sich die Siegermächte den Kopf einrennen. Die kollektive Landwirtschaft in der SU habe ich kennengelernt. Unsere Heimat war Bessarabien. Solche Bewirtschaftung wollen wir nicht erleben.«

Ein Bauer aus Friedland, [Bezirk] Neubrandenburg, äußerte gegenüber einem FDGB-Funktionär, dass er alle Bauern aufhetzen wird, dass sich keiner mehr für eine Funktion hergeben soll. Wörtlich sagte er: »Der Zaun wird nicht hoch genug sein, wo die Funktionäre drüber müssen, wenn es einmal anders kommt.«

Ein Großbauer aus Zschäschütz, [Bezirk] Leipzig: »Ich bin gegen die LPG, die für acht Stunden Arbeit einen Haufen Geld bekommen. Ich muss täglich 14 Stunden arbeiten und habe außerdem ein höheres Soll. Aber was verstehen schon Pieck,19 der Tischler, Grotewohl,20 der Buchdrucker, und Ulbricht,21 von dem man nicht weiß wo er her ist,22 von der Landwirtschaft. Die sollen uns nach unserem Ermessen wirtschaften lassen.«

Übrige Bevölkerung

Im Mittelpunkt der Diskussion stehen wirtschaftliche Belange. Die Beibehaltung der Lebensmittelkarten wird größtenteils von der übrigen Bevölkerung begrüßt; teilweise wurden Stimmen bekannt, die eine Enttäuschung zum Ausdruck brachten. Eine Hausfrau aus Leipzig äußerte: »Wenn in Westdeutschland behauptet wird, dass wir in der DDR hungern müssten, so ist das die gemeinste Lüge, bei uns gibt es doch alles zu kaufen. Wenn wir auch noch die Lebensmittelkarten haben, so kann sich jedoch bestimmt jeder etwas aus der HO leisten. Unsere Verhältnisse sind doch besser als in Westdeutschland.«

Eine Rentnerin aus Karl-Marx-Stadt äußerte: »Ich begrüße, dass die Lebensmittelkarten noch nicht abgeschafft werden. Die HO-Preise, vor allem die Butterpreise, müssten nur noch etwas gesenkt werden. Wir Rentner können diese Ware fast nicht in der HO kaufen.«

Ein Einwohner aus Merseburg, [Bezirk] Halle: »Wir hatten gehofft, dass der IV. Parteitag erstens eine Preissenkung, zweitens die Aufhebung der Lebensmittelkarten bringen würde. Das Erste mag vielleicht ein frommer Wunsch vieler Menschen gewesen sein, aber das Zweite hatte man erhofft. Weil maßgebende Männer der SED nach Verkündung des neuen Kurses23 auch die Abschaffung der Lebensmittelkarten im Sommer 1954 in Aussicht gestellt hatten. Die Zusage wurde aber nicht gehalten.«24

Ein Geschäftsmann aus Leipzig äußerte sich negativ zur Lebenslage in der DDR: »Was ist denn bei uns schon das Geld wert. In Westdeutschland kostet ein Pfund gute Margarine DM 1,20. Und ein viertel Pfund Kaffee kostet DM 3,00 und bei uns kostet die Margarine DM 3,50 dabei kann man sie noch nicht einmal essen. Das Pfund Kaffee kostet 40,00 DM

Über politische Probleme des IV. Parteitages wird nur noch vereinzelt diskutiert; teilweise kommt in Diskussionen eine Interesselosigkeit zum Ausdruck. Ein Angestellter (parteilos) aus Malchin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Unsere Regierung und die Partei der Arbeiterklasse sind ständig bemüht, die Lebenslage der Bevölkerung zu heben, ebenso den Kampf um die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes weiterzuführen. Die Anwesenheit der ausländischen Delegationen auf dem IV. Parteitag haben mich stark beeindruckt.25 Zeugen sie doch von der Verbundenheit der Arbeiter der ganzen Welt.«

Ein Baumeister aus Großzöbern, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Was wollen wir kleinen Würmer machen, wenn die Regierung etwas beschließt. Die Hauptsache ist, dass wir leben können, wie anständige Menschen und unser Brot verdienen. Der Westen soll sich endlich einmal bereiterklären, auf Friedensverhandlungen einzugehen, denn es hängt einem langsam zum Halse raus.«

Zur Note der Sowjetunion vom 31.3.1954 wurden uns nur ganz vereinzelt Stimmen bekannt. Bekannt gewordene Stimmen sind positiv. Ein Mitglied der LDPD aus Karl-Marx-Stadt: »Man kann heute zur Politik stehen wie man will, die sowjetischen Vorschläge muss eigentlich jeder Arbeiter und Angestellte für gut und richtig halten. Ich bin mit den Kommunisten nicht in allen Punkten einverstanden, jedoch muss der Friede unter allen Umständen erhalten bleiben.«

Eine Lehrerin aus Bützow, [Bezirk] Schwerin, äußerte: »Durch die erneute Friedensinitiative der Sowjetunion bezüglich ihrer Bereitschaft, in den Nord-Atlantik-Pakt einzutreten, wird erreicht, dass aus dem aggressiven Kriegspakt ein Pakt der kollektiven Sicherheit in Europa entsteht.«

Negative und feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt. Aus Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wird berichtet, dass die Schüler der 7. Klasse ablehnten, das Gedicht »Die Weber«26 von Heinrich Heine27 zu lernen, da der Pfarrer sie dagegen aufgehetzt hatte.

Aus dem Bezirk Halle wird berichtet, dass neben den Straßensammlungen für christliche Erziehung auch christliche Bilder in der Schule verkauft werden.

Als die Jungen Pioniere von Halle zum Karnevalfest gingen und nicht zum Religionsunterricht, ließen sie sich vom Pionierleiter eine Entschuldigung schreiben. Der Pfarrer erkannte diese nicht an und sagte, die Pionierleiter sollten einen richtigen Beruf erlernen und den Beruf als Pionierleiter aufgeben. Vom Pionierleiter aus Kötzschau, [Bezirk] Halle, wird berichtet, dass die Kinder in den Religionsstunden so viel Hausarbeiten erhalten, dass sie die schulischen Aufgaben und die Arbeiten der Jungen Pioniere vernachlässigen.

Ein Oberbuchhalter aus Staven, [Bezirk] Neubrandenburg: »Der ganze Wettbewerb ist nichts weiter als Antreiberei. Der Wettbewerb ist noch schlimmer als Akkord.«

Aus dem Bezirk Rostock wird berichtet, dass die skandinavischen Delegierten zum Buchenwaldtreffen28 mit gemischten Gefühlen in die DDR eingereist seien, weil sie annahmen, sich nicht frei bewegen zu können, sondern nur unter Aufsicht der Sowjetsoldaten; sie seien aber angenehm überrascht.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften des SED-Ostbüros:29 Berlin 320, Halle 220, Frankfurt 35, Gera einige, Karl-Marx-Stadt 45, Potsdam 5 300 und Dresden 12. Inhalt: Hetze gegen IV. Parteitag und Regierung der DDR.

Hetzschriften der NTS:30 Karl-Marx-Stadt 1 860, Potsdam 2 950, Cottbus einige Hundert, Dresden 18. Inhalt: Hetze gegen die SU und DDR, Aufforderung zum Desertieren.

Hetzschriften der KgU:31 Halle 5 000, Karl-Marx-Stadt 5 030, Potsdam 4 530, Dresden 40. Inhalt: Hetze gegen die VP-Werbung, Hetze gegen die Regierung der DDR und gegen die SED.

Hetzschriften des CDU-Ostbüros: Frankfurt 2 000, Potsdam 6 300. Inhalt: Hetze gegen Viermächtekonferenz32 und gegen Genossen Molotow.33

Hetzbriefe: Im Bezirk Dresden wurden Hetzbriefe des SPD-Ostbüros (Inhalt: Hetze gegen den IV. Parteitag) sowie des »Streikkomitees der Arbeiter Mitteldeutschlands« (Inhalt: Aufforderung zum Langsamarbeiten) sichergestellt.

Antidemokratische Schmierereien: In der Neptun-Werft Rostock wurde ein Porträt von Walter Ulbricht mit Hörnern versehen vorgefunden. Im Bahnwerk Gera wurden Hetzlosungen angeschmiert.

Antidemokratische Handlungen: Im Bezirk Potsdam wurde ein Bild vom Genossen Wilhelm Pieck sowie Embleme des IV. Parteitages beschädigt. Weiter wurden einige Plakate und Losungen heruntergerissen.

Versuchte Diversion: In Göschwitz, [Bezirk] Gera, wurde eine Schraube in dem Luftschlauch eines Güterwagens festgestellt. Durch das Einstecken dieser Schraube sollte eine ordnungsgemäße Bremsung des Zuges verhindert werden. Es handelt sich um einen mit Zement beladenen Zug, der für die Volksdemokratie Polen bestimmt war.

Am 11.4.1954 wurde nachts aus dem Pferdestall der LPG Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, ein Pferd herausgeholt. Circa 100 m vom Stall [entfernt] wurde festgestellt, dass sich dort Blutspuren befanden. Dem Pferd wurden mehrere Messerstiche in der Bauchgegend beigebracht. Das Pferd lief blutüberströmt zum Stall zurück.

Seit einiger Zeit erhalten Mitarbeiter der Deutschen Akademie der Wissenschaften, die in Westberlin wohnen, von einer »Forschungsstelle für Sozial-Statistik« in München Zuschriften.34 In dem jeweiligen Schreiben wird darauf hingewiesen, dass der Empfänger bei einer Dienststelle in Ostberlin arbeitet und sicher noch einen finanziellen Zuschuss benötige. Ein Nebenverdienst wäre ohne große Schwierigkeiten möglich, wenn sich der Empfänger in einer Rücksprache in einem angegebenen Zimmer im Flughafengebäude Tempelhof einfinden würde. Ein Professor (anerkannter Kältefachmann) wurde bei einem Besuch bei seiner Schwiegermutter in Berlin-Dahlem aufgefordert, oben genannte Dienststelle anzurufen (Telef. Nr. 93 42 81).

Vermutliche Feindtätigkeit

Am 12.4.1954 brach in dem Bereich der Gemeinde Kossa, [Kreis] Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, im Bauern- und Staatsforst ein Brand aus, der ca. 50 ha Schonung und Hochwald vernichtete. Der Schaden beträgt nach vorläufigen Schätzungen ca. 26 000 DM.

In Hinrichshagen, [Bezirk] Rostock, erhielten LPG-Bauern gefälschte Vorladungen zur VP für den 9.4.1954.

Am 10.4.1954 wurde bei einem Bäckermeister in Rhinow, [Bezirk] Potsdam, festgestellt, dass ein Stück Backware in Form eines Hakenkreuzes35 gebacken war.

Westberlin

Am 31.3.1954 fand im Rathaus Schöneberg eine Betriebsrätekonferenz des DGB statt. Anwesend waren 35 DGB-Funktionäre. Scharnowski36 führte in seinem Referat aus, dass es keine politische Bewegung mehr geben dürfe, man müsse auf gewerkschaftlicher Basis kämpfen, man könne auch keinen Generalstreik machen, wenn z. B. 250 Arbeiter entlassen werden. Die Kampfentschlossenheit der Westberliner Arbeiter gegen Lohnabbau, für höhere Löhne, bezeichnete er als kommunistische Propaganda.

Am 1. Mai [1954] käme es darauf an, für die »Freiheit« und gegen den »Osten« zu demonstrieren. Wörtlich sagte er: »Der 1. Mai ist nicht mehr so wichtig, der 17.6.[1953] ist der Tag, wo wir unsere Freiheit dokumentieren.« Auf die Frage – nicht mit den Unternehmern zu demonstrieren – äußerte er, dass es besser sei, mit dem Unternehmer als mit dem »Osten« zu gehen. Im »Osten« (DDR) müsse man einen Generalstreik organisieren, vor allem aber gegen das Pfingsttreffen der FDJ arbeiten.37

Einschätzung der Situation

Die Diskussionen über den IV. Parteitag haben weiterhin nachgelassen und es wird nur noch sehr wenig, hauptsächlich über Preissenkung und Lebensmittelkarten, gesprochen.

Verschiedentlich zeigt sich jetzt eine stärkere Ablehnung der Atomwaffen.

Im Allgemeinen wird sehr wenig über politische Fragen gesprochen.

Auf dem Lande steht die Frühjahrsbestellung im Vordergrund, da hier wegen dem Mangel an Saatgut und Düngemitteln die größten Schwierigkeiten überwunden werden müssen.

Negative und feindliche Diskussionen zu den verschiedenen Fragen haben weiterhin einen geringen Umfang.

Anlage 1 vom 14. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2182

Flugblätter zur Zersetzung der KVP38

In einem Flugblatt, das in der Form eines Aufrufes eines sogenannten Zentralkomitees antibolschewistischer Soldaten in der KVP gehalten ist, versucht der Klassenfeind, die Reihen der KVP zu zersetzen. Sie gegen die Sowjetunion und gegen unsere DDR aufzuhetzen, indem man den Angehörigen der KVP klarmachen will, dass sie für eine »ungerechte« Sache, die nicht im Interesse des deutschen Volkes liegt, missbraucht werden.

Des Weiteren werden sie zum Kampf gegen unsere demokratische Ordnung aufgefordert, um dadurch die schmutzigen Pläne des Klassenfeindes erleichtern zu helfen. Wörtlich heißt es: »Wir haben die Pflicht und Schuldigkeit, ganz gleich ob Mann oder Offizier, mit der Macht, die man uns in die Hände gab, das schwere Schicksal unserer Heimat ordnen zu helfen.«

Aus dieser Absicht heraus, innerhalb der KVP Menschen für ihre verbrecherischen Ziele zu gewinnen, fordern sie nicht zum Absetzen nach dem Westen auf, sondern dazu, innerhalb der KVP zu verbleiben. Das geht aus Folgendem hervor: »Die Stäbe der Roten Armee wissen, wie es unter uns aussieht, deshalb, Kameraden, bleibt erst recht auf Eurem Posten. Grundlos nach dem Westen gehen, heißt desertieren.«

Um schwankenden Elementen innerhalb der KVP Mut zur Zersetzungsarbeit zu machen, versucht man, ihnen vorzutäuschen, dass sie bei diesem »Widerstand« nicht alleinstehen. Wörtlich heißt es: »Die Untergrundbewegung in der sogenannten Volksarmee wird immer stärker. Sämtliche Waffengattungen haben ihre Kader, die nicht bolschewistisch denken.«

Den treu ergebenen Kadern der KVP droht man mit der Stärke der feindlichen Kräfte und versucht sie damit von der Erfüllung ihrer nationalen Aufgaben abzuschrecken.

Anlage 2 vom 14. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2182

Die Tätigkeit der Westsender

Die Sender RIAS und Hamburg39 versuchen, immer wieder durch Lügen und Falschmeldungen über angebliche Zwischenfälle, Proteste und Streikdrohungen in Betrieben der DDR, die feindlichen Elemente oder auch unzufriedene Menschen aufzumuntern, um solche vom Gegner gewünschten Aktionen zu organisieren. Dabei geht es besonders um solche Aktionen, die sich gegen die Erhöhung der Produktion richten. So brachte der Sender Hamburg am 12.4.1954 Folgendes: »Zu Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Propagandisten des kommunistischen Freien Gewerkschaftsbundes der Sowjetzone ist es in den volkseigenen NED-Werken in Eisenach40 gekommen. Als die Kommunistischen Funktionäre im Auftrage des FDGB neue Normenerhöhungen verlangten, wurden sie von der Belegschaft am Weiterreden gehindert. Die Versammlung musste abgebrochen werden. Zu ähnlichen Zwischenfällen kam es in der Maschinenfabrik Wolf Buckau41 in Magdeburg.«

Der RIAS brachte am 10.4.1954 das folgende erlogene »Beispiel«, mit der Absicht, dass es nachgeahmt wird: Im Kraftwerk Auma im Kreis Zeulenroda in Thüringen wurde vor einiger Zeit ein Monteur vom Staatssicherheitsdienst verhaftet. Der Verhaftete hatte sich auf einer Betriebsversammlung für freie Wahlen ausgesprochen. Die Belegschaft des Kraftwerkes Auma protestierte gegen die Verhaftung und drohte mit Streik. Die Proteste der Belegschaft hatten Erfolg. Der verhaftete Monteur wurde freigelassen.

Entsprechend der Feindparole: »Keine Beteiligung an Wettbewerben« bringt RIAS am gleichen Tag folgende Falschmeldung über angebliche Ablehnung der Wettbewerbe: »Die SED-Betriebsparteiorganisation der volkseigenen Schuhfabrik in Radebeul forderte die Belegschaft – anlässlich des IV. SED-Parteitages – auf, Wettbewerbe durchzuführen. Etwa 75 Prozent der Brigaden und sogar die Werkleitung lehnten diese Wettbewerbe ab.[«] Durch die Sendung solcher »Meldungen« versucht der RIAS, genau wie die anderen Feindzentralen42 in den Betrieben, eine Bewegung gegen die Erhöhung der Produktion zu entfachen.

Wegen der verbesserten Ausweis- und Gepäckkontrolle auf einigen Grenzbahnhöfen der S-Bahn »empfiehlt« RIAS seinen Hörern besondere »Vorsicht und Umsicht« auf den S-Bahnhöfen Hoppegarten, Falkensee und Königs Wusterhausen.

Anlage 3 vom 14. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2182

Information für das Haus

Auszug aus der Zeitung »Telegraf«43 vom 14. April 1954

Spitzel bei der Polizei44

Berlin (Eigenbericht). Für den SSD hat der 39-jährige Schutzpolizeimeister Wilhelm Steller45 aus Lichterfelde als Spitzel gearbeitet. Steller, der als Wachhabender auf einem Zehlendorfer Revier tätig war, wurde am Montag festgenommen. Der Vernehmungsrichter erließ gestern wegen dringenden Verdachts schwerer passiver Bestechung des staatsgefährdenden Nachrichtendienstes und des Geheimnisverrats Haftbefehl.

Steller hat ein Geständnis abgelegt. Er gibt zu, seit 1952 dem SSD Angaben über die Zusammensetzung der Zehlendorfer Schutzpolizei gemacht zu haben. Nach seinen Aussagen hat er kein Geld für seine Tätigkeit erhalten. Er bekam jedoch monatlich Bescheinigungen, die ihn zum Einkauf im Ostsektor berechtigten.

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