Zur Beurteilung der Situation
9. September 1954
Informationsdienst Nr. 2309 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Preissenkung vom 6.9.1954 steht im Mittelpunkt der Diskussionen unter den Werktätigen.1 Veränderungen gegenüber dem Vortage sind nicht zu verzeichnen. Größtenteils sind die Diskussionen positiv. Meist äußern sich Arbeiter, weniger Angestellte und nur ganz vereinzelt die Intelligenz. Dabei bringt man zum Ausdruck, dass die Regierung der DDR alles daransetzt, um die Lebenslage der Werktätigen zu verbessern. Besonders erfreut ist man darüber, dass die Preissenkung bei Fett und Schmalz so umfassend ist. Es werden noch immer zahlreiche Selbstverpflichtungen von den Werktätigen übernommen. Im VEB SANAR Blankenburg, [Bezirk] Magdeburg, verpflichtete sich die Brigade »Frieden«, monatlich zwei Hochleistungsschichten zu fahren und den Ausschuss auf 0,02 Prozent zu senken.
Ein Kumpel aus dem Wismutgebiet2 äußerte: »Nun glaube ich, dass unsere Regierung alles daransetzt, uns ein besseres Leben zu gestalten.« Einige Kumpel des Schachtes 31 von Johanngeorgenstadt, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wie wichtig es ist, den Männern unserer Regierung, die den Frieden bisher gewahrt haben und auch ständig für den Frieden sich einsetzen und vor allem auch für ein besseres Leben der Arbeiter, ihr Vertrauen bei den kommenden Wahlen zu schenken.«3
Ein Ingenieur vom VEB Neuhaus-Schierschnitz,4 [Bezirk] Suhl: »Während meines Aufenthaltes in Westdeutschland hatte ich Gelegenheit, die Stimmung der westdeutschen Bevölkerung gegen die EVG kennenzulernen.5 Während im Westen die Werktätigen zur Erringung ihrer Rechte die Kampfmittel des Streiks in Anwendung bringen müssen,6 wird bei uns eine allgemeine Preissenkung durchgeführt. Dies beweist, dass die Adenauer-Clique7 den Weg der Kriegsvorbereitung beschreitet, dagegen unsere Regierung für die Erhaltung des Friedens alles tut.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Elektromotorenwerk Frankfurt/Oder: »Die Preissenkung ist sehr schön. Besonders Fett und Milch sind gesenkt worden. Jetzt können wir uns noch mehr leisten.«
Teilweise wird bemängelt, dass die Preise für Fleisch, Butter und Zigaretten nicht gesenkt wurden. Zum anderen werden von Arbeitern Bedenken geäußert, dass die verbilligten Waren wieder teurer werden und dies dann damit entschuldigt wird, dass die Qualität sich verbessert hat. Andere äußern Bedenken darüber, dass die Löhne gesenkt und Normerhöhungen durchgeführt werden. Ein Schlosser vom Kranbau Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt, zurzeit Seehafen Warnemünde, [Stadt] Rostock: »Zigarren, die wir Arbeiter uns nicht leisten können, sind billiger geworden, aber Zigaretten, die die Arbeiter rauchen, behielten die alten Preise. Die Preissenkung ist also wieder nichts für den Arbeiter.«
Ein Arbeiter aus dem VEB in Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt: »Es ist zu begrüßen, dass unsere Regierung die Preise verschiedener Waren gesenkt hat, aber wir stehen der Sache skeptisch gegenüber. Wie lange werden die Preise so bleiben, wie sie jetzt sind. Entweder man bekommt die Waren demnächst nicht mehr zu kaufen oder die Preise steigen wieder an.«
Ein Arbeiter vom VEB Kunstblume Sebnitz, [Bezirk] Dresden: »Die Preissenkung hat uns nicht viel gebracht. Es hätten in erster Linie Butter und Fleisch gesenkt werden müssen. So macht es für mich in der Woche gerade DM 1,50 aus – darauf kann ich verzichten.«
Ein parteiloser Mechaniker aus dem VEB Porzellanwerk Kahla, [Bezirk] Gera: »Die Preissenkung hat erst eine Wirkung, wenn Fleischwaren und Textilien im Preis gesenkt werden.«
Eine Arbeiterin aus Jena äußerte: »Was nützt uns die Preissenkung, wenn in einem halben Jahr die Preise wieder oben sind.«
Ein Arbeiter aus dem Kunstseidenwerk Premnitz, [Bezirk] Potsdam: »Hoffentlich sind jetzt auch genügend Waren vorhanden. Die Preissenkung ist gut, aber werden jetzt nicht auch die Löhne gesenkt bzw. in Normen erhöht?«
In negativen Diskussionen tritt oft das Argument auf, dass die Preissenkung ein Wahlmanöver sei. Ein Gütekontrolleur vom Schiffbau- und Reparaturenwerk Stralsund, [Bezirk] Rostock: »Die Preissenkung soll nur als Wahlpropaganda ausgenutzt werden.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Möbelwerk Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Es sind zu wenig Artikel gesenkt worden, aber das Geschrei darum ist größer denn je. Was kann sich der Arbeiter außer Margarine, Öl und Fett schon kaufen? So etwas sind doch keine Fortschritte, vielmehr Verlockungen, zur Wahl zu gehen. So ist es bisher immer gewesen.«
Eine Arbeiterin (parteilos) aus dem VEB RFT Dorfhain, [Bezirk] Dresden: »Die Preissenkung ist nur wegen der bevorstehenden Volkswahl im Oktober durchgeführt worden.«
Aus Anlass der Preissenkung wurde im VEB Stahlwerk Silbitz, [Bezirk] Gera, eine Kurzversammlung durchgeführt, dort brachten die Stahlwerker zum Ausdruck, dass sie sich schämen müssten, als Stahlwerker nicht intensiver zu der großen Preissenkung beigetragen zu haben. Seitdem der Betrieb in Volkseigentum übergangen ist,8 entstanden 1½ Millionen [DM] Schulden. Die Kollegen forderten in der Versammlung eine Rechenschaftslegung von folgenden Punkten: Wie gedenkt die gesamte Leitung des Werkes ihre Arbeit zum Nutzen aller Werktätigen zu verbessern? Weiter wurde zum Ausdruck gebracht, falls keine Verbesserung der Arbeitsweise im Werk eintritt, sich die Arbeiter verantwortlich fühlen, bei der Regierung selbst vorstellig zu werden.
Materialschwierigkeiten
Im VEB Bauhof Belzig, [Bezirk] Potsdam, fehlt es an Zement. Dadurch ist die Fertigstellung der Bauvorhaben gefährdet.9
In der Volkswerft Stralsund, [Bezirk] Rostock, fehlt es an Sauerstoff und Schweißdraht, außerdem fehlen Rohre (57 mm).10
Im Walzwerk »Willy Becker« Kirchmöser, [Bezirk] Potsdam, sind die Arbeiter unzufrieden über die Werkküchenverpflegung. Sie beschweren sich, dass die Fleischportionen in letzter Zeit sehr klein sind und auch Gemüsesuppen zu wenig Fleischgehalt haben.
Arbeitskräftemangel besteht bei der Reichsbahn Bautzen und zwar fehlen 15 Rangierer. Ein großer Teil der Rangierer versucht in anderen Abteilungen der Reichsbahn oder in VEB unterzukommen. Als Begründung hierfür wird angegeben, dass die Bezahlung der Rangierer äußerst schlecht ist.
Ein Stanzer im AUFA-Werk Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Wenn man weiterhin nicht auf die Arbeiter hört, wird es bald wieder einen 17. Juni geben. Man gibt wiederum falsche Meldungen ab. Vieles geht mit etwas Verständnis zu machen, aber es ruht eben. Die Verordnungen sind wohl gut, aber ob sie eingehalten werden, ist fraglich. Immer wieder treibt man Keile in die Arbeiter hinein, um sie unzufrieden zu machen. Aus diesem Grunde erzählt man Schauermärchen von verschiedenen Sachen und steht man selbst dabei, sieht es ganz anders aus. Wenn heute niemand mehr Zeitung, Literatur usw. kauft, keine Versammlungen besucht, dann zeigt es doch, wie viel Lust der schaffende Mensch hat. Der größte Ausbeuter ist heute noch der Staat, dem zur Seite stehen die volkseigenen Betriebe, die uns Arbeiter mehr ausbeuten, als uns die Kapitalisten ausgebeutet haben. In der Verwaltung sitzen zu viele Faulenzer, die ihre Stellung halten wollen, deshalb beuten sie die kleinen Arbeiter aus.«
Produktionsstörung
Im VEB Teerverarbeitungswerk Webau, [Bezirk] Halle, war am 8.9.1954 durch Explosion in der Leichtöldestillation ein Großbrand ausgebrochen. Infolge Verbrennungen mussten fünf Personen ins Krankenhaus transportiert werden. Entstandener Schaden: DM 300 000.
Handel und Versorgung
In Teuchern, [Bezirk] Halle, lagern 1 400 kg Hammelfleisch und 4 t Importfett, die schwer abzusetzen sind.11 Im Konsum Wolkramshausen, [Bezirk] Erfurt, dagegen mangelt es an Fett und Speck, im Kreis Zeitz, [Bezirk] Halle, an HO-Frischfleisch und im Konsum, Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, an Schweinefleisch.
In mehreren Konsumverkaufsstellen in Friesack, Kreis Nauen, [Bezirk] Potsdam, lagern seit längerer Zeit aufgekaufte Eier. In der Gemeinde Senzke z. B. 1 800 Stück und im Krankenhaus Falkensee fehlen Eier für die Patienten.
Schwierigkeiten in der Versorgung mit Kartoffeln haben teilweise die Bezirke Gera, Karl-Marx-Stadt und verschiedene Orte im Wismutgebiet. Mit billigen Zigaretten teilweise die Bezirke Potsdam, Karl-Marx-Stadt und Schwerin. Mit Nährmitteln und Textilwaren der Bezirk Halle, mit Fisch, Margarine und Gemüse der Bezirk Schwerin. In Cottbus mit Leinöl.
Eine schlechte Versorgung mit Hausbrand ist im Kreis Bautzen, [Bezirk] Dresden, zu verzeichnen. Nach dem Plan müsste die Auslieferung bereits mit 80 Prozent erfüllt sein, sie beträgt jedoch zzt. nur 54 Prozent.
Der Konsum Bützow, [Bezirk] Rostock,12 will für 1953 keine Rückvergütung auszahlen,13 weil er angeblich wegen zu hoher Reparaturkosten kein Geld zur Verfügung hat. Die Mitglieder sind sehr erregt und verlangen eine Finanzkontrolle, da ihrer Meinung nach die KG-Funktionäre zu hohe Spesen und Reisegelder verbraucht haben.
Landwirtschaft
Die Preissenkung ist weiterhin das Hauptthema der Gespräche. Sie wird von der überwiegenden Mehrheit der Landbevölkerung begrüßt und dient ihnen teilweise als Ansporn für größere Anstrengungen zur weiteren Verbesserung des Lebensstandards, was durch folgende Beispiele zum Ausdruck kommt.
Ein werktätiger Bauer aus Schmargendorf, [Kreis] Angermünde, [Bezirk] Frankfurt: »Durch die Preissenkung wird unser Volk um 600 Millionen [DM] reicher.14 Ich kann es nicht verstehen, dass es noch Menschen gibt, die meckern. Freuen würden wir uns, wenn Hufeisen und Nägel ebenfalls billiger würden. Ich weiß aber, dass wir durch die erhöhten Leistungen auch dieses eines Tages erreichen werden.«
Ein Traktorist von der MTS Seelow, [Bezirk] Frankfurt: »Bei dieser Preissenkung freut mich besonders, dass die wichtigen Lebensmittel, wie Weizenmehl, Margarine, Schmalz, Öl und Milch, bedeutend im Preise gesenkt wurden. Auch wir von der MTS müssen uns jetzt bemühen, mehr und bessere Qualitätsarbeit zu leisten.«
Ein Bauer aus Bartelshagen, [Bezirk] Rostock: »Die Preissenkung, das sind Erfolge aller schaffenden Menschen, die ehrlich arbeiten und für den Frieden sind. Wenn wir Bauern unsere Viehhaltepläne erfüllen, dann wird heute oder morgen auch die Butter im Preis gesenkt werden können.«
Ein Genossenschaftsbauer aus Muschwitz, [Kreis] Hohenmölsen, [Bezirk] Halle: »Die jetzige Preissenkung zeigt uns, mit welchem großen Friedenswillen unsere Regierung an ihre Arbeit geht. Wir Bauern werden bemüht sein, unsere Hektarerträge zu steigern, um somit einen Teil für weitere Preissenkungen beizutragen.«
Eine Genossenschaftsbäuerin aus Freudenberg, [Kreis] Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Mit der Preissenkung hat es wieder einmal hingehauen. Wir müssen uns aber beeilen, dass wir unser Soll erfüllen.«
Ein Jung-Traktorist der MTS Labenz, [Bezirk] Schwerin: »Ich verpflichtete mich, bis zur Volkswahl 80 ha Saatfurche, 60 ha Winterfurche zu pflügen und das Jahres-Soll mit 130 Prozent zu erfüllen.«
Die Rechenschaftslegungen15 im Bezirk Potsdam werden wenig besucht, da dort die Ernte im Vordergrund steht. Dort stellen auch besonders die Groß- und Mittelbauern immer wieder die Forderung nach Parteiwahlen. So sagte ein Mittelbauer aus Kränzlin, Kreis Neuruppin, [Bezirk] Potsdam: »Bei der Volkswahl müsste man Listenwahlen durchführen, damit klar zum Ausdruck kommt, welche Partei die meisten Sympathien unter der Bevölkerung bzw. das Vertrauen besitzt. Diese Partei müsste dann die Politik in der DDR bestimmen.« Dieselbe Ansicht vertritt auch ein Großbauer aus Dabergotz, [Kreis] Neuruppin, [Bezirk] Potsdam.
Ein Teil der Bewohner aus der Gemeinde Reppinichen, [Kreis] Belzig, [Bezirk] Potsdam, stellt zwar die Forderung nach Parteiwahlen nicht offen, aber sinngemäß fordert er sie auch, was aus folgenden Worten ersichtlich wird: »Was können wir schon machen. Die Wahlscheine sind schon fertig, auf denen alles draufsteht. Wir schmeißen die Dinger in die Wahlurne und fertig ist es.«
Bei der Rechenschaftslegung in Putgarten, [Kreis] Bergen, [Bezirk] Rostock, wurde die Frage aufgeworfen, warum der Abgeordnete für Putgarten nicht erschienen ist. Er habe sich bereits seit vier Jahren nicht sehen lassen und der Landrat sei in acht Jahren nur einmal in dieser Gemeinde aufgetaucht. Daraus muss man schließen, dass die Gemeinde schon am Ende der Welt liegt, und deswegen auch keinerlei Unterstützung erhält. Dadurch ist aber zu verzeichnen, dass das Vertrauen zur Regierung ständig sinkt.
Ernte
In den Gebirgskreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt ist das Getreide erst in den letzten Tagen ausgereift und man ist dort jetzt erst mal mit der Ernte stark beschäftigt. In den Höhenlagen des Kreises Worbis, [Bezirk] Erfurt, ist die Frucht teilweise noch bis zur Ähre grün, wodurch die Ernte verzögert wird. Ein weiterer Grund für die teilweise schlechte Ablieferung ist dort das Fehlen von Druschgemeinschaften, wo die Bauern infolgedessen das Getreide in die Scheune einfahren und den Drusch erst nach der restlosen Einbringung der Ernte durchführen wollen.
Die Hilfe der KVP16 und VP wird allgemein begrüßt und teilweise auch von Bauern, die sonst Erntehelfer ablehnten, stark in Anspruch genommen, wie z. B. im Bezirk Erfurt. Im VEG Klein Kranz,17 [Bezirk] Potsdam, erklärte ein Sachbearbeiter hierzu, dass durch den Einsatz der VP die Verbundenheit zwischen der Landbevölkerung und VP gefestigt wurde.
Schwierigkeiten bei der Erfassung des Getreides hat die VEAB im Kreis Parchim, [Bezirk] Schwerin, da die Trockenräume nicht ausreichen und Bauern deswegen mit Getreide wieder zurückgeschickt werden. Dieses Verhalten der VEAB verärgert die Bauern und steht im Widerspruch zur schnellen Ablieferung des Getreides.
Die MTS Flechtingen, Kreis Haldensleben, [Bezirk] Magdeburg, klagt darüber, dass die PickUp-Presse18 schon seit längerer Zeit stillsteht, weil die Ersatzteile fehlen. Die Herstellerfirma ist das Fortschrittwerk Neustadt, [Bezirk] Dresden. Der Monteur vom Fortschritt-Werk befindet sich schon seit 6.9.1954 auf der MTS und wartet auf die Ersatzteile.19
Im Kreis Bautzen ist ein Fehlbestand von ca. 10 000 Schweinen zu verzeichnen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass ein großer Teil der Großbauern den Viehhalteplan nicht eingehalten hat.
Im Bezirk Potsdam beträgt der Erfassungsstand 58 Prozent. Die weitere Erfüllung des Drusches und Ablieferungssolls geht schleppender vonstatten, da eine ganze Reihe Bauern, besonders Groß- und Mittelbauern, damit argumentiert, dass der Getreidedrusch noch bis zum Winter Zeit hätte und außerdem wegen der Witterungseinflüsse nur 50 Prozent abgeliefert werden braucht.
Aufgrund dessen, dass in der Gemeinde Rethwisch, [Kreis] Doberan, [Bezirk] Rostock, ein Großbauer verhaftet wurde, weil er kein Korn eingefahren hat und die ihm gestellten Arbeitskräfte zurückwies, mit der Begründung, dass er sich nicht hetzen lasse, sind die anderen Bauern dieser Gemeinde äußerst gedrückt und äußern sich dahingehend, dass man schon wieder wie vor dem 17. Juni [1953] anfange, die Bauern anzutreiben. Es wäre besser, wenn man nach dem Westen ginge.
Im Bezirk Rostock wird verschiedentlich von Bauern über die Wildschweinplage geklagt und wie folgt begründet: »Der Russe gibt unseren Förstern keine Gewehre, weil er Angst hat, dass sie damit Unfug treiben und somit lieber den Bauern die Ernte zerstören lässt.«20
Übrige Bevölkerung
Unter der übrigen Bevölkerung herrscht eine gute Stimmung über die Preissenkung. Größtenteils nehmen dazu die Hausfrauen sowie Rentner Stellung. Sie bringen zum Ausdruck, dass es eine große Hilfe für sie ist, dass gerade die Fettigkeiten im Preis so erheblich gesenkt wurden, nun bleibt ihnen wieder mehr Geld für andere zusätzliche Dinge. Einige führen aus, dass sie der Regierung dafür am 17.10.[1954] danken wollen, indem sie für die Kandidaten der Nationalen Front abstimmen werden.21
Negativ und feindlich wird nur im geringen Maße argumentiert.
Ein Rentner (parteilos) aus Meiningen, [Bezirk] Suhl: »Die Preissenkung wird von uns Rentnern freudig begrüßt, wir können uns nun manches Pfund Speck zusätzlich kaufen, was wir uns bisher nicht leisten konnten. Es gibt natürlich einige Rentner, die auch jetzt noch nicht zufrieden sind, das sind meistens die, welche bis heute sehr gut gelebt haben.«
Eine Rentnerin aus Barleben, [Bezirk] Magdeburg: »Es ist sehr gut, dass die Preise besonders für Fette gesenkt wurden, da man nun auch uns Rentnern die Möglichkeit gibt, unseren Lebensunterhalt besser zu bestreiten. Darum werde ich am 17.10.[1954] meine Stimme den Kandidaten der Nationalen Front geben.«
Eine Hausfrau aus Magdeburg: »Die Regierung unserer DDR ist doch ständig bemüht, das Leben der Bevölkerung weiterhin zu verbessern. Die neue umfangreiche Preissenkung beweist uns, dass die Regierung ihre Versprechungen hält und wir werktätigen Menschen infolgedessen großes Vertrauen zur Regierung haben können.«
In bürgerlichen Kreisen überwiegen ebenfalls die positiven Stimmen und in den meisten Stellungnahmen wird erklärt, dass es eine Tatsache ist, dass bei uns sehr viel für die Werktätigen getan wird und dass die jetzige Preissenkung ein erneuter Beweis der ständigen Verbesserung unserer Lebenslage ist.
Ein Geschäftsmann aus Oschatz, [Bezirk] Leipzig: »Das kam ja wie ein Blitz aus heiterem Himmel, diese Preissenkung. Ich habe angenommen, dass vor Weihnachten nicht damit zu rechnen ist. Man sieht wieder, dass unsere Regierung für die Arbeiter was übrig hat. Zur Volkswahl gebe ich meine Stimme den Vertretern der Regierung.«
Ein Malermeister (parteilos) aus Lobenstein, [Bezirk] Gera: »Unsere Regierung ist schon richtig, denn die Preissenkung ist wieder ein großer Erfolg. Die Bevölkerung kann jetzt zufrieden sein. Vor allen Dingen, dass das Fett billiger geworden ist.«
In den negativen bzw. feindlichen Stimmen wird verschiedentlich zum Ausdruck gebracht, dass die Preissenkung nur erfolgte aufgrund der bevorstehenden Wahl oder andere äußern, dass es ja so wenig Waren sind, die im Preis herabgesetzt wurden, dass andere, z. B. wie Fleischwaren und Butter, was viel wichtiger wäre, ist so teuer geblieben [sic!]. Deshalb brauche man nicht so viel Geschrei um die Preissenkung zu machen.
Ein Einwohner aus Niederschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Jetzt vor der Wahl benötigt man wieder einmal ein [Theater]22 und senkt die Preise. Nach der Wahl wird an diese Preise hier wieder mal eine Mark und dort wieder mal ein Groschen angehängt und die Preise klettern wieder hoch, ohne dass man es merkt. Wenn sie es dann wieder einmal nötig haben, kommt wieder eine Preissenkung.«
Eine Geschäftsfrau aus Guben, [Bezirk] Cottbus: »Diese Maßnahme erfolgte nur, um das Volk vor der Wahl noch etwas aufzumuntern.«
Ein Einwohner aus Doberlug-Kirchhain, [Bezirk] Cottbus: »Die Preissenkungen sind Quatsch, denn jedes Mal danach steigen kaum merklich die Preise wieder an.«
In einer Konsumverkaufsstelle im demokratischen Sektor von Berlin äußerten sich ein paar Arbeiter: »Die Sachen, die wir Arbeiter viel kaufen, werden nicht billiger. Diejenigen, die eine Zigarre für eine Mark gekauft haben, haben das Geld dazu auch übrig, denen macht es nichts aus, wenn sie statt 80 Pfennige weiterhin eine Mark dafür bezahlen.«
Aufgrund dessen, dass die Preissenkung im Mittelpunkt der Gespräche steht, wird noch weniger als sonst zu den politischen, aktuellen Tagesfragen Stellung genommen. In der Stimmung zur Volkswahl hat sich keine wesentliche Änderung ergeben. Nach wie vor wird vorwiegend in bürgerlichen Kreisen die Forderung nach Parteiwahlen erhoben.
Ein Mitglied der NDPD aus Potsdam: »Das Resultat der Volkswahl steht doch jetzt schon fest, daran kann auch unsere Partei nichts ändern. Bestimmen will doch nur die SED. Wir sind zwar die stärkste Partei, aber wir haben nichts zu sagen. Ich denke bloß daran, als die ›Deutsche Woche‹,23 die am meisten gelesen wurde, wegen Papiermangel eingestellt werden musste. Später erschien dann eine neue Zeitung von der SED gedruckt ›Die Wochenpost‹24 mit noch mehr Seiten. Das ist doch ein Beweis dafür, dass wir nichts zu sagen haben.«
Im Bezirk Karl-Marx-Stadt herrscht Unzufriedenheit wegen der schlechten Kartoffelversorgung. Der Gegner benutzt dieses zur Hetze. Zum Beispiel äußerte eine Hausfrau in Hohenstein-Ernstthal25 in einem Geschäft: »Was, Kartoffeln gibt es noch keine? Na, die Hauptsache ist, dass die Zeitungen von der Wahl vollgeschmiert sind, um andere Sachen kümmert man sich nicht, da sind sie viel zu dusslig dazu.«
Aus dem demokratischen Sektor von Berlin wurde Folgendes bekannt: »Unter dem Fahrpersonal des Omnibushofs Treptow herrscht eine schlechte Stimmung, weil die Wagen sehr oft nicht rechtzeitig zur Abfahrt bereitstehen und Verspätungen bis zu einer Stunde oder völliger Ausfall an der Tagesordnung sind. Die notwendigen Reparaturen können nicht rechtzeitig durchgeführt werden, weil es an Material fehlt.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:26 Schwerin 760, Frankfurt/Oder 100, Potsdam 49, Rostock und Halle einige.
NTS:27 Karl-Marx-Stadt 2 000, Halle und Dresden einige.
In tschechischer Sprache: Dresden und Karl-Marx-Stadt einige.
»Freiheitskomitee Bismarck«: Frankfurt/Oder 1 300, Potsdam 15.
Die Mehrzahl der Hetzschriften wurde sichergestellt und gelangte nicht in die Hände der Bevölkerung.
Hetzbriefe vom »UFJ«28 wurden an Aussteller der Leipziger Messe29 geschickt mit Hetzbroschüren zur Leipziger Messe 1954. Die gleiche Broschüre wird in französischer Sprache an französische Aussteller gesandt.
Antidemokratische Tätigkeit: In Köthen, [Bezirk] Halle, wurden zwei Hetzlosungen gegen die Volkswahlen angeschmiert.
In einer Toilette der Neptun-Werft Rostock wurde eine Hetzlosung gegen die Volkswahlen angeschmiert.
Diversion: An einen Mähbinder der MTS Rodewisch, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurden von unbekannten Tätern drei Haspeln durchgesägt.
Bei einem Traktor der LPG Pätz, [Bezirk] Potsdam, wurden durch unbekannte Täter die Lichtmaschinenkeilriemen durchschnitten.
Im [Wismut-]Schacht 21 in Annaberg war am 4.9.1954 in 2. Revier, Gesenk 1001, bei der ersten Schicht ein Stromkabel abgeschalten. Am 7.9.1954 wurde bei Schichtwechsel im gleichen Revier die Pressluftregulierung fast eingestellt. Außerdem war das Wasserventil abgedreht. Bei der Nachtschicht war wiederum das Luftventil angedreht.
Anlage vom 9. September 1954 zum Informationsdienst Nr. 2309
Stimmung zur Leipziger Messe
Die Mehrheit der Messebesucher und Aussteller äußern sich besonders lobend und anerkennend über den diesjährigen Stand und Umfang der Messe. Der organisatorische Ablauf findet gleichfalls Zustimmung bei den in- und ausländischen Messegästen.
Von Ausstellern der vergangenen Jahre wird zum Ausdruck gebracht, dass diese Messe wirklich einen internationalen Charakter trägt und unsere volkseigene Industrie wesentliche Fortschritte und Erfolge in der Produktion zu verzeichnen hat.
Der Anziehungspunkt bildet wiederum der Pavillon der Sowjetunion sowie die Ausstellungshallen der volksdemokratischen Länder. Vonseiten der Aussteller der kapitalistischen Länder ist man besonders darauf bedacht, Messeabschlüsse mit der Sowjetunion und den Volksdemokraten zu erzielen.
In einzelnen Äußerungen wird klar zum Ausdruck gebracht, wie notwendig für einzelne Firmen des kapitalistischen Auslandes der Handel mit dem Osten geworden ist. Dazu äußerten zum Beispiel zwei Vertreter einer Westdeutschen Firma: »Wir sind zur Messe gekommen, um recht viele und große Aufträge zu tätigen. Bei uns in Bayern wird es mit der Arbeit immer weniger. Wir haben bereits schon am Montag gute Abschlüsse mit der DDR, ČSR und Ungarn getätigt.«
Einige Messebesucher aus Sonneberg, [Bezirk] Suhl, erklärten: »Die diesjährige Messe ist ein gewaltiger Erfolg. Sie übertrifft in ihrem Ausmaß alle bisherigen Messen in Leipzig. Besonders die Ausstellungshallen der Sowjetunion und der Volksdemokratien haben einen großen Eindruck auf uns gemacht. Sie geben ein klares Bild von der Leistungsfähigkeit der Industrie in diesen Ländern.«
Ein Holländer äußerte: »Mit der Messe bin ich sehr zufrieden und habe bereits schon gute Geschäftsabschlüsse getätigt. Die Messe wird jedes Jahr besser. Diesmal sind schon wieder bedeutend mehr und bessere Artikel vorhanden gegenüber den vergangenen Jahren.«
Von den ausländischen Messebesuchern wird besonders bemängelt, dass ihr Geld zu so einem niedrigen Kurs eingetauscht wird. Einige äußerten, dass sie deshalb ihren Aufenthalt in Leipzig vorzeitig abbrechen müssen. Das trifft besonders auf die Schweden, Engländer, Schweizer und Holländer zu.
Es wurde bekannt, dass einige Engländer abreisen wollen mit der Begründung, dass ihr Geld zu niedrig eingetauscht würde und sie deshalb in finanzielle Schwierigkeiten kämen.
Schwedische Kaufleute äußerten, dass ihnen ein weiteres Verbleiben in Leipzig infolge des stark herabgesetzten Devisenkurses der Schwedischen Krone gegenüber der DM nicht möglich ist.
Ein Holländer sagte: »Meiner Ansicht nach ist die niedrige Festsetzung des Kurses von Devisen nicht richtig. Viele der anwesenden Ausländer werden deshalb bei künftigen Messen vor der Einreise in die DDR ihre Devisen in Westberlin oder Westdeutschland eintauschen.«
Der Wechselkurs ist wie folgt: 1 engl. Pfund = 6,40 DM und 1 Gulden = 0,58 DM.
Die Preissenkung vom 6.9.1954 hat unter den zahlreichen ausländischen Messegästen sowie unter den westdeutschen Besuchern rege Diskussionen ausgelöst. Eine Preissenkung in dieser Form und Umfang hatten sie niemals erwartet. Besonders unter Delegationsmitgliedern aus Westdeutschland, die anlässlich der Messe hier weilen, wurde rege darüber diskutiert. Es wurde von ihnen allgemein betont, dass sie jetzt die DDR richtig kennengelernt haben und dass sie jetzt großes Vertrauen zu unserer Regierung haben.
Eine Angestellte aus Westdeutschland äußerte: »Von der Rede des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl30 bin ich stark beeindruckt.31 So kann nur ein wirklicher Vertreter des Volkes sprechen. Und erst die Preissenkung, die zeigt mir noch klarer, dass hier eine wirkliche Arbeiter- und Bauernregierung ist.«
Ein dänischer Messegast sagte: »Es ist bald unglaubhaft, dass das Fett bis zu 50 Prozent im Preis gesenkt wurde. Bei uns würde das eine Zerfallserscheinung der Regierung bedeuten, dagegen in der DDR bedeutet das eine Festigung des Staates.«
Die Messe nimmt besonders großen Raum unter der Bevölkerung von Leipzig und Umgebung in den geführten Gesprächen ein. Die Stimmung ist vorwiegend positiv. Sehr viel wird über den Umfang sowie über die starke Beteiligung der kapitalistischen Länder gesprochen. Der Pavillon der Sowjetunion und die Hallen der Volksdemokratien bilden ebenfalls einen großen Anziehungspunkt und es werden darüber ausschließlich positive Äußerungen getan.
Negative Äußerungen wurden nur vereinzelt bekannt und kommen meist aus den Kreisen der Geschäftsleute.
Ein Konstrukteur aus Leipzig: »Die diesjährige Messe ist ein gewaltiger Fortschritt gegenüber den anderen Messen. Sie trägt wirklich einen internationalen Charakter. Ich bin vor allem begeistert von den sowjetischen und chinesischen Pavillons. Gerade China zeigt viel bessere Waren als im vergangenen Jahr.«
Ein Arbeiter aus Leipzig: »Das kapitalistische Ausland ist dieses Jahr stark vertreten, was sehr günstig für die Verständigung zwischen Ost und West ist. Die DDR hat alles getan, um der Messe wirklich internationalen Charakter zu geben.«
Ein Geschäftsmann aus Leipzig äußerte: »Es ist doch alles nicht mehr so wie in den vergangenen Jahren, wo wir Privatleute großen Einfluss auf die Messe hatten. Konnten wir früher gleich einen großen Teil der gekauften Modelle nach der Messe abholen, so sind jetzt Lieferzeiten bis weit in das Jahr 1955 hinzunehmen. Die Erzeugnisse werden grundsätzlich und in erster Linie nur der DHZ und HO zugesprochen.«