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Zur Beurteilung der Situation

4. April 1954
Informationsdienst Nr. 2173 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen weiterhin betriebliche Fragen. Die Stimmen zum IV. Parteitag der SED haben an ihrem Umfang nicht zugenommen.1 Verhältnismäßig wenig wird über die politischen Aufgaben des IV. Parteitages diskutiert. Bei einem Teil der Arbeiter, besonders bei Angestellten und der Intelligenz, zeigt sich eine Gleichgültigkeit und Interesselosigkeit zu den Fragen des IV. Parteitages. Ein großer Teil der Kumpel vom Wismut-Schacht 212 Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, betrachtet den Parteitag nur als eine Sache für die Parteimitglieder, und sie erkennen nicht die notwendige Bedeutung des IV. Parteitages.

Von einem Teil der Werktätigen in der Industrie werden Kollektiv- und Einzelverpflichtungen zu Ehren des IV. Parteitages übernommen. Im RFT-Röhrenwerk »Anna Seghers« in Neuhaus, [Bezirk] Suhl, verpflichtete man sich, anlässlich des IV. Parteitages, am 1.4.1954 eine Sonderschicht zu leisten. Bereits 11.15 Uhr wurde das Produktionssoll des Tages erreicht.

Die Mehrzahl der bekannt gewordenen Stimmen, die aus allen Schichten der Werktätigen in der Industrie kommen, befasst sich mit wirtschaftlichen Fragen (Verbesserung der Lebenslage).

Über den Rechenschaftsbericht des Genossen Walter Ulbricht3 wurden in der Mehrzahl positive Stimmen bekannt.4 Von einem großen Teil wird die vorläufige Beibehaltung des Kartensystems begrüßt.5 Ebenfalls äußert sich ein Teil positiv zu den Neuwahlen zur Volkskammer im Herbst 1954.6 Die Kollegen der Förderabteilung des »Martin-Hoop«-Werkes, Schacht 3 in Zwickau erklärten: »Es ist richtig, dass die Karten noch bestehen bleiben, denn wenn die Marken wegfallen würden, dann könnten sich die Rentner überhaupt nichts mehr kaufen. Man müsste nur noch die niedrigen Kartengruppen etwas mehr mit Fleisch und Fett versorgen.«

Ein Angestellter aus Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt: »Der Vorschlag, betreffs der Wahlen im Herbst, ist gut. Mit diesen Wahlen werden wir die Feinde unserer Republik und die Argumente der Imperialisten zerschlagen, die behaupten, dass unsere Regierung nicht frei gewählt sei.«

Ein Arbeiter vom VEB Synthesewerk Schwarzheide, [Bezirk] Cottbus: »Auf dem Parteitag werden Beschlüsse gefasst werden, die der Allgemeinheit zugutekommen. Jeder muss seine ganze Kraft beim 2. Fünfjahrplan einsetzen, damit die Erfolge des ersten Fünfjahrplanes überboten werden.«7

Ein Schlosser vom Kesselhaus des Wismut-Objekt 15:8 »Die Rede des Genossen Mikojan9 war sehr gut und der Parteitag wird Beschlüsse fassen, die nicht nur den Lebensstandard erhöhen, sondern uns auch auf dem Weg zur Einheit Deutschlands ein gutes Stück vorwärts bringen.«

Vereinzelt wurden Diskussionen bekannt, in denen man eine Enttäuschung über die Beibehaltung der Lebensmittelkarten zum Ausdruck brachte. Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Wolframerz in Rodewisch, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich bin über den IV. Parteitag enttäuscht, da ich zumindestens eine Preissenkung bzw. das Abschaffen des Kartensystems erwartet habe.«

Negative und feindliche Stimmen zum IV. Parteitag wurden nur vereinzelt bekannt. Lediglich im VEB LOWA Görlitz besteht eine Konzentration negativer Stimmen. Die negativen Stimmen zeigen besonders den Einfluss westlicher Propaganda. Die feindlichen Elemente versuchen, besonders gegen die Beibehaltung des Kartensystems und die Wahlen der Volkskammer zu hetzen. Ein Tischler vom VEB LOWA Görlitz, [Bezirk] Dresden: »In diesem Jahr werden die Lebensmittelkarten noch nicht abgeschafft. Ulbricht hat auf dem Parteitag erklärt, dass dies die Mehrheit der Werktätigen gefordert habe. Ich weiß aber davon nichts. Die sollten lieber die HO-Preise senken und alles frei verkaufen. Die wollen aber nur Textilien und andere Waren verbilligen. Die Lebensmittel aber bleiben teuer.«

Ein Arbeiter vom KonstruktionsbüroVorrichtungsbau Magdeburg: »Ich bin bloß gespannt, wie die Wahlen zur Volkskammer ausgehen werden. Man sollte ein neues demokratisches Wahlgesetz schaffen. Dies könnte man bei dieser Wahl gleich ausprobieren.«

Ein Arbeiter vom VEB Sielika Bad-Lausick,10 [Bezirk] Leipzig: »Wir wollen freie Wahlen, aber nicht solche, wie 1950, da ist jeder unter einem gewissen Zwang zur Wahl gegangen.«11

Ein Arbeiter vom Fernamt Mittweida, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es ist zwar schon immer viel gesprochen worden, aber wenig hielt man bisher. Und so wird es auch wieder sein.«

Ein Arbeiter vom Bau 61 der Leuna-Werke »Walter Ulbricht« (CDU): »Wenn man abends nach Hause kommt und das Radio anstellt, hört man dauernd den Quatsch des IV. Parteitages. Die Regierung hat für Umsiedler sowieso nichts übrig und die Oder-Neiße-Grenze erkennen wir nicht an.«

Ein Angestellter vom Projektions- und Konstruktionsbüro Kohle in Berlin-Weißensee: »Unser Staatssekretariat und Ministerien sind diejenigen, die die Durchführung der Verordnungen zum Teil bewusst hintertreiben, um so der schaffenden Bevölkerung ihre Lust an der Arbeit zu nehmen.«

Über die Regierungserklärung der UdSSR vom 25.3.1954 wird von den Werktätigen in der Industrie nur vereinzelt diskutiert.12 Die bekannt gewordenen Stimmen sind in der Mehrzahl positiv. Man begrüßt diese Erklärung, da sie ein neuer Freundschaftsbeweis der Sowjetunion sei.

Über die Note der Sowjetregierung vom 31.3.1954 an die Westmächte wird etwas mehr wie bisher diskutiert.13 Jedoch ist der Umfang der Stimmen noch gering. Die Mehrzahl dieser Stimmen sind positiv.

Ein Arbeiter (parteilos) vom Wismut-Sanatorium Warmbad, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Das hat die Sowjetunion wieder gut gemacht. Dadurch wird das Gleichgewicht in Europa wieder hergestellt, und der aggressive Charakter des Nord-Atlantik-Paktes wird enthüllt.14 In der weiteren Folge werden auch noch andere Staaten des Friedenslagers diesem Pakt beitreten und dann wird tatsächlich eine Entspannung der internationalen Lage eintreten.«

Ein Schlosser aus Pößneck, [Bezirk] Gera: »Nun müssen die Imperialisten Farbe bekennen. Nehmen sie die Sowjetunion nicht in den Nord-Atlantik-Pakt auf, dann zeigen sie deutlich, dass alle ihre Bestrebungen zur Kriegsvorbereitung gegen die SU gerichtet sind.«

Ein Arbeiter vom RFT-Funkwerk Erfurt: »Das ist der Schritt, wo die Westmächte gezwungen sind, ihren wahren Charakter zu zeigen. Man muss sich wundern über die Diplomatie der Sowjetunion, die immer wieder und besonders hier bestrebt ist, den Frieden zu erhalten.«

Negative und feindliche Stimmen treten nur vereinzelt auf.

Ein Tischler (parteilos) vom VEB LOWA Görlitz, [Bezirk] Dresden: »Habt ihr euch nicht gewundert, dass Russland zum Atlantik-Pakt will, da weiß man wirklich nicht mehr, was schwarz und was weiß ist. Einmal sagt man, der Atlantik-Pakt dient zum Angriff auf andere Staaten und die Russen regen sich darüber auf und jetzt wollen sie selbst mitmachen.«

Ein Arbeiter (SED) vom VEB Sächsisches Kunstseidenwerk Pirna, [Bezirk] Dresden: »Die Note der SU ist eine unmögliche Sache. Gestern hat die Partei noch behauptet, der Nord-Atlantik-Pakt sei ein Angriffspakt gegen den Weltfrieden. Nachdem aber die Sowjetunion einer anderen Auffassung ist, sagte die Partei, das ist richtig. Heute so, morgen so, gerade wie es gebraucht wird.«

Ein Konstrukteur (parteilos) von der Warnow-Werft Warnemünde, [Stadt] Rostock: »Ich habe gehört, dass Russland klein beigibt und den Nord-Atlantik-Pakt beitreten will. Die Westmächte hätten jedoch das Ersuchen der Sowjetunion abgelehnt.«

Ein Arbeiter vom VEB Metallgusswerk Leipzig: »Wir können es nicht verstehen, dass die Sowjetunion einen Kriegspakt, die dem Nord-Atlantik-Pakt beitreten will. Unserer Meinung nach, ist dies ein Zeichen der Schwäche. Zu diesem Rückzug wurde sie bestimmt durch die Außenministerkonferenz gezwungen.«15

Unzufriedenheit besteht unter den Arbeitern einiger Betriebe in Lohn- und Prämienfragen.

Im Industriewerk Ludwigsfelde, [Bezirk] Potsdam, sind die Dreher über ihre Lohneinstufungen [in] die Gruppen V und VI unzufrieden. In anderen Schwerpunktbetrieben würden sie nach Gruppe VII bezahlt werden. Mehrere Dreher wollen kündigen.

Im Wismut-Objekt 37 in Karl-Marx-Stadt-Siegmar sind die Kollegen der mechanischen Abteilung über die neue Prämienzahlung unzufrieden, da die Maschinenprämien jetzt nur gezahlt werden sollen, wenn auch der Schachtplan erfüllt ist. Ein Fördermaschinist sagte dazu: »Die Maschinenprämien scheinen nur auf dem Papier zu stehen, wie auch der Schnapstalon.16 Die brauchen etwas Ähnliches wie den 17.6.[1953].« In diesem Objekt wird die schlechte Stimmung noch verstärkt, da mehrere Kollegen entlassen bzw. in andere Objekte überwiesen werden.

Im »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg besteht schlechte Stimmung, da keine Arbeit vorhanden ist. Ein Kollege sagte: »Wir haben gleich gesagt, wenn wir VEB sind, haben wir keine Arbeit.«17

Materialmangel besteht im Reichsbahnausbesserungswerk Jena, [Bezirk] Gera, und in mehreren Schächten der Wismut (im letzteren Betrieb mangelt es besonders an Bohrstangen).

Produktionsstörungen: Im VEB Blechwalzwerk Olbernhau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, trat bei einer Walzstraße eine Betriebsstörung ein. Die Störung wurde bereits wieder behoben. Der Produktionsausfall beträgt 32,5 Tonnen Dynamobleche und 105 Tonnen Mittelbleche. Insgesamt für 26 142 DM.

Handel und Versorgung

Durch das volkseigene Kontor Import und Lagerung, Zweigstelle Karl-Marx-Stadt, wurden Fleischkonserven ausgegeben, deren Lagerungsfrist überschritten war, sodass sie infolge Fäulnis genussuntauglich waren.

Im Bezirk Rostock ist das Fleisch- und Eierkontingent für Monat April um ca. die Hälfte gekürzt worden, sodass es nicht mehr ausreichend ist.

Landwirtschaft

Nach wie vor wird von der Landbevölkerung wenig zu politischen Tagesfragen Stellung genommen. Die gering bekannt gewordenen Äußerungen zum IV. Parteitag sind überwiegend positiv und stammen meist von Arbeitern und Angestellten der MTS, VEG sowie von Mitgliedern der LPG. Über den Verlauf des IV. Parteitages sowie über das Referat des Genossen Walter Ulbricht wird fast gar nicht gesprochen.

Ein Landarbeiter des VEG Neustadt, [Bezirk] Potsdam: »Ich begrüße es, dass die Lebensmittelkarten noch bestehen bleiben, denn die Aufhebung des Kartensystems hätte sich ungünstig für die Minderbemittelten ausgewirkt.«

Ein Landarbeiter des VEG Polßen, [Bezirk] Frankfurt: »Wichtig für uns ist, dass in diesem Jahr die HO-Preise gesenkt werden. Die Aufhebung des Kartensystems wäre allerdings ein Schritt vorwärts gewesen, denn die Westdeutschen hätten dadurch gesehen, wie es bei uns vorwärtsgeht.«

Ein werktätiger Bauer aus Hindenburg, [Bezirk] Magdeburg: »Der IV. Parteitag hat für alle Bauern eine sehr große Bedeutung. Ich bin davon überzeugt, dass Beschlüsse gefasst werden, die den Frieden in Europa gewährleisten. Auch wird das Verhältnis der werktätigen Bauern und der Arbeiterklasse durch den Parteitag gefestigt.«

Über die Note der SU an die Westmächte vom 31.3.1954 wird nur wenig diskutiert, aber meist positiv. Ein Traktorist (parteilos) aus Strasburg, [Bezirk] Neubrandenburg: »Da kann man wieder einmal die Diplomatie der Sowjetunion sehen. Jetzt können die Westmächte nicht mehr umhin, Farbe zu bekennen. Lehnen sie ab, mit der Sowjetunion zu verhandeln, über die Möglichkeit des Beitritts der SU zum Nord-Atlantik-Pakt, so stellen sie damit unter Beweis, dass es ein Pakt gegen die SU und alle friedliebenden Staaten ist.«

Ein Schlosser der MTS Berga, [Bezirk] Gera: »Durch die Erklärung der SU zum Atlantik-Pakt zeigt sie erneut ihren Friedenswillen zu aller Welt.« Der LPG-Vorsitzende aus Güterfelde, [Bezirk] Potsdam: »Durch diesen Schritt der SU wird den Westmächten die Handhabe genommen, der Sowjetunion aggressive Absichten zu unterschieben. Dieser Schritt der SU hat auch große Bedeutung für Westdeutschland, indem die Arbeiter noch mehr gegen Adenauer18 vorgehen werden.«

Noch immer ist zu verzeichnen, dass Bauern annehmen, dass die freien Spitzen wegfallen oder die Preise dafür niedriger werden.19 Zum Beispiel äußerte ein Kleinbauer aus Helmsdorf, [Bezirk] Dresden: »Wenn die freien Spitzen in finanzieller Art in nächster Zeit gesenkt werden, will ich schnell noch versuchen, einiges zu den jetzigen Preisen zu verkaufen.«

Die Frühjahrsbestellung steht weiterhin im Mittelpunkt des Interesses, deshalb wird mehr über wirtschaftliche Probleme gesprochen. Vereinzelt traten dabei negative Äußerungen in Erscheinung.

In einer Bauernversammlung in Krippehna, [Bezirk] Leipzig, äußerte ein Bauer: »Uns interessiert die Politik nicht. Wir wollen Saatgut und Düngemittel haben.« Er wurde noch von anderen Bauern unterstützt.

Im Bezirk Dresden bestehen weiterhin Schwierigkeiten in der Futterbeschaffung. Das VEG Gazick,20 [Bezirk] Dresden, hat aufgrund nicht gelieferter Futtermittel (von der Malzfabrik in Niedersedlitz 15 Tonnen Futtergerste zu bekommen) seit dem 3.4.1954 für 830 Schweine kein Futter mehr. Im VEG Langburkersdorf, [Bezirk] Dresden, ist nur noch für wenige Tage Mastfutter für 1 000 Schweine vorrätig.

Im Bezirk Frankfurt mangelt es noch immer an Saatkartoffeln. Dazu äußerte ein werktätiger Bauer aus Neurüdnitz, [Bezirk] Frankfurt: »Aufgrund der vollkommenen Kartoffelerfassung im Herbst 195321 besitzen viele Bauern keine Kartoffeln mehr. Wenn man keine Saatkartoffeln bekommt, kann man keine anbauen.«

In einem Gespräch über die gegenseitige Hilfe äußerte ein Bauer aus Schiffmühle, [Bezirk] Frankfurt: »Ich habe keine Kartoffeln. Seht zu den Russen, sie haben sie abgefahren und in den Kasernen liegen sie jetzt tonnenweise.«

Negative bzw. feindliche Stimmen gegen unsere Partei und Regierung wurden nur ganz vereinzelt bekannt. In einer DFD-Versammlung in Trebra, [Bezirk] Erfurt, äußerte eine Neubürgerin:22 »Na wenn unsere Regierung weg ist, dann schreibe ich mal ein Buch über mein Leben. Alles das, was ich beim Russen erlebt habe.« (Der Vater der betreffenden Person war sowjetischer Staatsangehöriger.)

In der LPG »Neuer Weg« in Vieregge, [Bezirk] Rostock, äußerte ein LPG-Mitglied gegenüber dem Parteisekretär: »Ja, ihr wollt alles bestimmen. Ihr unterdrückt die Arbeiter. Ihr beschließt, ohne die Belegschaft zu hören. Ich werde hier nicht mehr länger arbeiten und wenn ich gehe, dann gehen alle.«

Übrige Bevölkerung

Die Diskussionen zum IV. Parteitag sind etwas geringer geworden. Zum Rechenschaftsbericht des Genossen Walter Ulbricht wurden uns nur vereinzelt Stimmen bekannt. Im Mittelpunkt des Interesses der übrigen Bevölkerung steht die Verbesserung der Lebenslage, man erwartet in Kürze die angekündigte Preissenkung. Die Beibehaltung der Lebensmittelkarten wird zum größten Teil von der übrigen Bevölkerung begrüßt. Jedoch wird verschiedentlich zum Ausdruck gebracht, dass die Rationen erhöht werden sollten. Eine Verärgerung über die Beibehaltung der Lebensmittelkarten macht sich teilweise unter der übrigen Bevölkerung in Berlin bemerkbar.

Über die politischen Probleme, die auf dem IV. Parteitag behandelt werden, sind uns nur ganz vereinzelt Stimmen bekannt geworden. Ein parteiloser Arbeiter aus Rostock äußerte: »Nach meiner Auffassung müsste die Partei dafür eintreten und dass ist auch die Stimmung vieler Menschen, dass alle gleiche Karten bekommen. Die, die mehr verdienen, können sich sowieso mehr kaufen. Denn ein Rentner mit seiner ›Hungerkarte‹ kann sich nicht extra noch etwas in der HO leisten.«

Ein Zahnarzt aus Osterburg, [Bezirk] Magdeburg, äußerte: »Ich begrüße den IV. Parteitag und erhoffe eine Preissenkung in der HO. Die Regierungserklärung sowie der IV. Parteitag sind ein großer Schritt zur Wiedervereinigung Deutschlands.«

Eine Hausfrau aus Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte: »Es ist richtig, dass die Karten noch bestehenbleiben, die Hauptsache, eine Preissenkung kommt bald, dann bin ich zufrieden.«

Eine Hausfrau aus Werneuchen, [Bezirk] Frankfurt, äußerte: »Da die Lebensmittelkarten weiter beibehalten werden, haben wir wenigstens die Zusicherung, dass wir unsere Lebensmittel weiterhin erhalten. Es wäre aber gut, vor allem für die Rentner, wenn die Rationen etwas erhöht würden.«

Ein Rentner aus [Bad] Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Ich würde mich wirklich freuen, wenn der IV. Parteitag sich auch einmal mit unseren Interessen beschäftigt, da wir ja auch einmal Werktätige waren. Natürlich steht das Wohl der Schaffenden im Vordergrund, aber dass die Lebensmittelkarten nicht abgeschafft wurden, dafür bin ich der Partei dankbar.«

Im Bezirk Berlin-Adlershof diskutierten Mitglieder der SPD23 über die Beibehaltung der Lebensmittelkarten und brachten ihre Empörung zum Ausdruck: »Wir sind nicht danach gefragt worden und überhaupt, macht man erst großes Geschrei wegen der Abschaffung der Lebensmittelkarten und dann geschieht in dieser Hinsicht nichts. Naja, das ist kein Wunder, die SED kann ja nicht mehr.«

Zur Note der Sowjetunion vom 31.3.1954 wurden uns von der übrigen Bevölkerung nur wenig Stimmen bekannt. Ein Hoteldiener aus Berlin äußerte: »Ich halte den Weg, den die Sowjetunion beschreitet, für richtig. Denn durch den Beitritt der Sowjetunion zum Nord-Atlantik-Pakt wird diesem Pakt der aggressive Charakter genommen. Nehmen die Westmächte zu dieser Note eine ablehnende Haltung ein, so entlarven sie sich.«

Eine Jugendliche aus Leipzig erklärte: »Die neue Note der Sowjetunion ist ein genialer Schachzug der sowjetischen Diplomatie und treibt den Amerikaner ganz schön in die Enge. Es ist wiederum ein Beweis, dass sich die Sowjetunion ständig für die Erhaltung des Friedens einsetzt.«

Ein Einwohner aus Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Die Sowjetunion will den Frieden und deshalb auch dem Atlantik-Pakt beitreten.«

Negative bzw. feindliche Äußerungen wurden nur ganz vereinzelt bekannt:

Ein Einwohner aus Stendal, [Bezirk] Magdeburg, versuchte den Angestellten der HO-Gaststätte zu beeinflussen, indem er äußerte: »Hast du heute Morgen den Omnibus, der zum IV. Parteitag nach Berlin fährt, gesehen? Man muss doch wissen, welche Elemente zum Parteitag von Stendal fahren. Die SED-Bonzen dürfen sich nicht einbilden, dass die Arbeiterschaft hinter der Partei steht. Keiner der ehrlich Deutscher ist, vertritt die Interessen der SED. Dieses ist ein Regime, welches auf Brutalität aufgebaut und unterhalten wird.«

Ein Pfarrer aus Loburg, [Bezirk] Magdeburg: »Das Reden vom Frieden unter der Bevölkerung bedeutet den Krieg. Mit der Politik und Soldaten können wir keinen Frieden erreichen, das kann nur der liebe Gott.«

Ein Arzt aus Lauscha,24 [Bezirk] Halle, äußerte sich zur Note der Sowjetunion vom 31.3.1954: »Ich kann mit der Russenpolitik nicht klarkommen.«

Ein Rentner (Mitglied der SED) aus Pößneck äußerte: »Der IV. Parteitag ist alles ›Scheiße‹ und überhaupt sitzen dort ehemalige Faschisten in wichtigen Funktionen. Aber einmal wird der Tag kommen, wo sich die wahren Sozialistischen bewähren werden. Einen Parteiauftrag führe ich niemals aus.«

Ein Lehrer (Mitglied der CDU) aus Cottbus äußerte auf einer Lehrerkonferenz zu Lehrerinnen (Mitglieder der CDU, eine Kandidatin der SED und parteilos) Folgendes: »Der Parteitag ist für die SED eine vorteilhafte Sache, welche die Partei stärkt. Das merkt man auf der Schule (ihm passt die Aktivität der Lehrer, die Mitglieder der SED sind nicht). Die Unterhaltung, die wir führen, müssen wir daher nicht mehr so offen machen. Das lehrt der Parteitag den ›Nichtgenossen‹.« Er warnte in diesem Zusammenhang vor einem Genossen der SED und begründete es damit, dass dieser Genosse gute Verbindungen hätte. »Die CDU unserer Schule ist also vorsichtig und misstrauisch und zeigt schwächere Arbeit, aber nur in versteckter Form. An der zugespitzten Lage sind die Beschlüsse der SED schuld.« Eine Lehrerin der CDU sagte: »Ich habe die Absicht, der Schule den Rücken zu drehen und mich dem Privatleben zu widmen.«

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften des SPD-Ostbüros:25 Halle 7 400, Erfurt 5 300, Dresden 5 270, Potsdam 1 000, Neubrandenburg 1 000, Rostock 114, Gera einige. Inhalt: Hetze gegen Regierung der DDR, IV. Parteitag.

Hetzschriften der NTS:26 Karl-Marx-Stadt 15 689, Dresden 165, Frankfurt 50, Halle 23. Inhalt: Hetze gegen SU, Aufforderung zum Desertieren.

Hetzschriften der KgU:27 Magdeburg 10 000, Karl-Marx-Stadt 5 450. Inhalt: Hetze gegen Genossen Molotow,28 SfS, »langsam arbeiten«.

Hetzschriften des CDU-Ostbüros: Potsdam 2 000, Karl-Marx-Stadt 1 000, Frankfurt 325. Inhalt: Hetze gegen die Viermächtekonferenz.

Antidemokratische Schmierereien: In der Nacht vom 1. bis 2.4.1954 wurden im Bezirk Dresden mehrere Hakenkreuze sowie drei Hetzlosungen angeschmiert.

Antidemokratische Handlungen: In Potsdam wurden zwei Transparente zum IV. Parteitag beschädigt; in Freital, [Bezirk] Dresden, wurde eine Fahne heruntergerissen.

Am 1.4.1954 wurde auf der Strecke Pritzwalk – Meyenburg in einer Kurve auf den Gleisen ein T-Eisen gefunden. Ein Triebwagen, der darüber fuhr, wurde am Kühler beschädigt und musste abgeschleppt werden.

Westberlin

Über den IV. Parteitag wird bisher in Westberlin nur wenig gesprochen. Einen etwas größeren Raum nehmen Diskussionen über die Wasserstoffbombe ein. Zum großen Teil herrscht darüber Empörung und man verlangt, dass eine Atomkontrolle eingeführt wird.29

Im Bezirk Kreuzberg wurden ca. 80 Prozent aller großen Plakate, die von Kressmann30 mit Lichtbildern von angeblichen »SSD Spitzeln« herausgegeben wurden, abgekratzt bzw. unleserlich gemacht.31

Der Interessenverband der Erwerbslosen und Rentner führte im Bezirk Reinickendorf eine Versammlung durch, wo ca. 35 Personen anwesend waren. Auf dieser Versammlung führte der Referent aus, dass der zentrale Erwerbslosen-Ausschuss alle Erwerbslosen zusammenschließen müsse, um den Senat zum Teufel zu jagen. Er wies darauf hin, dass die »Flüchtlinge« Stiefel und neue Kleidung bekämen, und die Arbeitslosen in Westberlin hätten es doch nötiger.

Am 16.4.1954 wird in der Waldbühne der Film »Weg ohne Umkehr« aufgeführt.32 Hierin wird in hetzerischer Form die Befreiung Berlins durch die Sowjetarmee gezeigt. Die Westberliner Filmtheater haben es abgelehnt, diesen Film in ihren Theatern zur Aufführung zu bringen.

Einschätzung der Situation

Die Diskussionen über den IV. Parteitag werden weiterhin in verhältnismäßig geringem Umfang, meist positiv, geführt. Hauptsächlich diskutiert man in Betrieben auf dem Lande meist nur in MTS, LPG und VEG und sehr wenig in kleinbürgerlichen Kreisen. Zu den politischen Aufgaben äußern sich vorwiegend Arbeiter, meist positiv, es wird aber allgemein in allen Schichten sehr wenig darüber diskutiert. Oft ist die Bevölkerung auch schlecht informiert.

In allen Schichten stehen die Fragen der Lebenshaltung im Mittelpunkt. Der Beibehaltung der Lebensmittelkarten wird meistens, besonders von Menschen mit geringem Einkommen, zugestimmt.

Zu den Referaten der Genossen Mikojan und Matern33 wird nur vereinzelt meist positiv gesprochen.

Die Note der SU vom 31.3.1954 wird zunehmend begrüßt.

Negative und feindliche Diskussionen werden in allen Kreisen der Bevölkerung zu verschiedenen politischen Fragen wenige festgestellt.

Die Verbreitung feindlicher Flugblätter hält verstärkt an.

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