Zur Beurteilung der Situation
26. August 1954
Informationsdienst Nr. 2297 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Allgemein wird weiterhin wenig über aktuelle politische Fragen gesprochen und ein großer Teil der Werktätigen verhält sich interesselos. So musste z. B. am 17.8.[1954] eine Versammlung über die Oder-Neiße-Friedensgrenze im RAW Berlin wegen zu geringer Beteiligung ausfallen. Von 1 500 Beschäftigten waren 19 Kollegen erschienen. Aus dem »Ernst-Thälmann«-Werk Magdeburg wird berichtet, dass sich selbst ein Teil der Genossen passiv zu politischen Ereignissen verhält.
Im Vordergrund steht noch die Streikbewegung in Westdeutschland.1 Der Umfang der Diskussionen nimmt ab. Neben meist positiven Stimmen, in denen sich die Werktätigen mit den Streikenden solidarisch erklären und sie unterstützen, ist die Ansicht verbreitet, dass die Bevölkerung in Westdeutschland besser lebt als in der DDR und deshalb die Streikenden keiner Unterstützung bedürfen.2
Einige Kollegen aus dem Privatbetrieb Spielwaren-Dorst in Sonneberg, [Bezirk] Suhl, sind der Meinung, dass es den Arbeitern in Westdeutschland ziemlich gut gehe. Außerdem dürfen sie streiken, was man in der DDR nicht könne.3
Ein großer Teil der Arbeiter der Schlosserei in der Neptunwerft Rostock lehnt eine Unterstützung ab. Es werden Meinungen vertreten wie: »Die Arbeiter leben doch besser« und »Wer hat uns am 17.6.[1953] unterstützt, als wir streikten?«
Zur Volkskammerwahl4 ist der Umfang der Diskussionen noch sehr gering. Überwiegend spricht man sich positiv zur einheitlichen Kandidatenliste aus. Noch ganz gering wurden Verpflichtungen übernommen, die Kandidaten der Nationalen Front5 zu wählen, sowie die Produktion zu erhöhen bzw. zu erfüllen, wie folgende Beispiele zeigen.
Im Braunkohlenwerk Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, fassten die Kumpels den Beschluss, am 17.10.[1954] die Kandidaten der Nationalen Front zu wählen und bis zum Wahltag die restlichen 6 000 Tonnen Produktionsrückstände aus der Frostperiode aufzuholen.
Eine Brigade aus dem VEB Keramische Werke in Hermsdorf, [Bezirk] Gera, hat zu einem innerbetrieblichen Wettbewerb um den Titel »Brigade der besten Qualität« anlässlich der Volkskammerwahl aufgerufen.
Teilweise erkennt man die Bedeutung der einheitlichen Kandidatenliste nicht und fordert deshalb Parteiwahlen. Eine Arbeiterin aus dem VEB Waggonbau Niesky, [Bezirk] Dresden: »Warum keine getrennten Listen? Da kann man doch nicht die Partei wählen, die man wünscht.«
Daneben treten feindliche Elemente für getrennte Listen der einzelnen Parteien ein und hetzen gegen die SED. Ein Zuschneider im VEB IKA AUFA Eisenach (SED): »Die Bonzen da oben leben gut. Zu den kommenden Volkswahlen reden sie nur leere Worte, um ihre Stellungen zu sichern. An das Wohl der Arbeiter denkt man wenig.«
Ein Meister aus dem VEB Damast- und Inlettweberei Oberoderwitz, [Bezirk] Dresden: »Die sollen uns alle Parteien wieder genehmigen, dann werden die Kommunisten sehen, wo sie mit ihrer Demokratie hinkommen.«
Im Vordergrund der Diskussionen stehen wirtschaftliche und betriebliche Angelegenheiten, wie Lohn-, Prämien- und Materialschwierigkeiten.
Unter den Arbeitern und Angestellten der Reichsbahn im Reichsbahn-Bezirk Gera besteht starke Unzufriedenheit über die Entlohnung. Teilweise führt dies zu negativen Stimmungen gegen die Regierung, wie folgendes Beispiel zeigt: Ein Kollege vom Bahnhof Sonneberg, [Bezirk] Suhl: »Im vorigen Jahre im Juni hofften wir auf eine Verbesserung der Lohnpolitik aller Eisenbahner. Deshalb standen wir auch auf der Seite unserer Regierung. Wenn es heute zu so etwas kommen würde, dann wären wir die ersten.« (Diese Unzufriedenheit ruft teilweise negative Diskussionen zur Volkskammerwahl hervor.)
Die Schlosser der Stärkefabrik Kyritz, [Bezirk] Potsdam, verlangen, dass sie dem Ministerium für Maschinenbau unterstellt werden, weil sie dadurch eine bessere Entlohnung erhalten würden. (Solche Diskussionen werden von einem großen Teil der Kollegen dieses Betriebes geführt.)
Unter den Arbeitern der Transportkolonne der Warnow-Werft Warnemünde, [Stadt] Rostock, besteht eine größere Unzufriedenheit, da man den Prämienleistungslohn kürzen will. Ein Brigadier sagte hierzu: »Man sollte erst oben anfangen und die Gehälter über 1 000 DM kürzen und nicht nur auf die Arbeiter rumhacken.«
Im VEB Stahlbau Berlin-Lichtenberg haben verschiedene Kollegen gekündigt. Sie wollen im gleichartigen Betrieb, VEB Stahl- und Montagebau, Arbeit aufnehmen, weil sie dort mehr Lohn erhalten. (Die unterschiedlichen Lohnsätze beider Betriebe sollten bereits vor längerer Zeit vonseiten der SED-Kreisleitung Lichtenberg überprüft werden, bisher wurde jedoch nichts unternommen.)
Unter den Arbeitern der Bau-Union Leipzig besteht eine Fluktuation. Die Kollegen wandern vorwiegend in Privatbetriebe ab, weil sie dort bei gleicher Arbeitszeit mehr verdienen würden.
Im Kraftwerk des VEB Espenhain sind die Arbeiter nicht damit einverstanden, dass die Gehälter der Intelligenz »so hoch sind«. Außerdem vertritt im gleichen Betrieb eine Anzahl Arbeiter die Meinung, dass die Arbeiter in Westdeutschland besser leben würden als in der DDR.
Im VEB Zellwolle Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, wird in der Produktionsabteilung die Tendenz vertreten, dass bei Prämienzahlung alle Kollegen gleichhohe Prämien erhalten müssten.
Unter den Arbeitern der chemischen Fabrik in Finowtal, [Bezirk] Frankfurt/Oder, besteht Unzufriedenheit, da in der Numinalabteilung6 kein Ventilator vorhanden ist, der die schädlichen Dämpfe abzieht. Wenn keine Änderung geschaffen wird, wollen die Arbeiter die Arbeit einstellen.
Unter den Malern der Neptun-Werft Rostock besteht eine Missstimmung wegen Arbeitsmangel. Einige Maler wollen deshalb kündigen.
Verschiedentlich wird von den Werktätigen bemängelt, dass die Preise für HO-Waren zu hoch seien und deshalb eine Preissenkung für HO-Waren erwartet wird. Mehrere Kollegen des VEB Portola Magdeburg, Schokoladenfabrik, äußerten, es wäre nun wieder mal an der Zeit, endlich eine Preissenkung durchzuführen.
Negativ über die Lebenslage in der DDR wird von einem Teil der Kollegen im VEB Wollen- und Seidenweberei Elsterberg, [Bezirk] Gera, diskutiert und die Ansicht vertreten, dass in Westdeutschland die Menschen besser leben als in der DDR. Dem Einfluss feindlicher Elemente in diesem Betrieb zeigt eine Äußerung des BGL-Vorsitzenden vom Werk III (SED), als er sagte: »Ich werde mich hüten, dass irgendetwas über die Stimmung im Betrieb gesagt wird und ich vielleicht Namen nenne, damit diese dann abgeholt werden.«
Schwierigkeiten bei der Massenbedarfsgüterproduktion
Im Reparaturbetrieb Zentralwerkstätten Berlin-Friedrichshain betrug die Planerfüllung in der Abteilung Massenbedarfsgüter am 1.7.[1954] etwa 5 Prozent des Halbjahrplanes und wird voraussichtlich bis Jahresende etwa 10 bis 12 Prozent betragen.
Der VEB Knohoma Schmölln,7 [Bezirk] Leipzig, hat Schwierigkeiten in der Beschaffung von Holzschrauben für die Herstellung von Kaffeemühlen. Bisher wurden sämtliche DHZ und Schraubenfabriken der DDR deswegen angeschrieben, jedoch erhielt er noch keine Zusage.
Im VEB Elektro-Apparate-Werk »J. W. Stalin« Berlin bestehen Schwierigkeiten bei der Herstellung von Massenbedarfsgütern infolge Arbeitskräftemangels.
Im VEB Mewa Döbeln, [Bezirk] Leipzig, stehen bereits seit sechs Wochen Gießkannen im Betrieb, für die von der DHZ noch keine Preise bekanntgegeben wurden.
Handel und Versorgung
In den VEAB Lucken und Golßen, [Bezirk] Cottbus, lagern seit mehreren Tagen mehrere Hundert Tonnen Kartoffeln der Witterung ausgesetzt und fangen an zu faulen. In Dessau, [Bezirk] Halle, sind ebenfalls alle Lager überfüllt. Desgleichen lagern im Kreis Lübz, [Bezirk] Schwerin, 160 t Kartoffeln, für die kein Absatz vorhanden ist.
Mängel in der Warenbereitstellung
Der Mangel an Fleischwaren besteht nach wie vor im Kreis Wittenberg, [Bezirk] Halle. In Dessau, [Bezirk] Halle, ist die Versorgung mit Fleisch nur für einen Tag und mit Konserven und mit Konservenfleisch nur noch für vier Tage gewährleistet.
In einigen Kreisen des Bezirkes Suhl mangelt es an HO-Frischfleisch (Fisch, Eiern, Hülsenfrüchten und Käse), worüber besonders die Urlauber im Kreis Neuhaus negativ diskutieren. Die Ursache dieser Engpässe soll nach Aussagen der Handelsorgane daran liegen, dass man in der Versorgung die 20 000 Urlauber nicht berücksichtigt hat.
In Perleberg und Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, fehlt es an Frischfleisch. Der Schlachthof Wittenberge konnte wegen ungenügender Viehzuteilung seinen Plan nur mit 58,2 Prozent erfüllen (Margarine, Stärkeerzeugnisse).
Im Bezirk Dresden ist die Fleischversorgung dadurch gefährdet, dass zurzeit circa 1 000 Tonnen Lebendvieh fehlen. In der letzten Augustwoche ist eine Fehlmenge von circa 600 Tonnen Fleisch zu verzeichnen, die auch nicht durch Eier ausgeglichen werden kann, da diese nicht ausreichend vorhanden sind. Ferner fehlt im Bezirk Potsdam HO-Fleisch.
Zigarettenmangel besteht nach wie vor in einigen Kreisen des Bezirks Neubrandenburg (besonders 0,8–10 Pfennige), im Bezirk Halle und im Bezirk Potsdam. Im Gaswerk Potsdam sagte ein Schichtarbeiter hierzu: »Statt besser, wird es schlechter und man ist tatsächlich gezwungen, die Zigaretten im Westen zu holen.«
Benzin- und Reifenmangel
Im Bezirk Karl-Marx-Stadt ist das Kontingent angeblich aufgrund der Ausgabe für die Hochwasserkatastrophe8 um 50 000 Liter (im Monat September) niedriger. Die Ladestraßen der Güterbahnhöfe sind dort wegen diesem Mangel verstopft.
Im Bezirk Halle macht sich der Benzinmangel ebenfalls beim Kraftverkehr der HO, DHZ empfindlich bemerkbar und führt zu negativen Diskussionen, im Zusammenhang mit der Volkskammerwahl.
Aus dem Kreis Lobenstein kommen Klagen über die Bevorzugung des privaten Groß- und Kleinhandels mit frischem Gemüse, während die HO mit dem länger gelagertem Gemüse beliefert wird.
Hamstereinkäufe wurden in Parchim, [Bezirk] Schwerin, getätigt.
Landwirtschaft
Die Landbevölkerung diskutiert weiterhin nur im geringen Umfang über die aktuellen politischen Fragen und nimmt vereinzelt zu Dr. John,9 Schmidt-Wittmack10 und den Volkskammerwahlen Stellung. Die Meinungen hierzu sind überwiegend positiv und stammen hauptsächlich aus dem sozialistischen Sektor der Landwirtschaft. Verschiedentlich wurden als Ausdruck der Verbundenheit mit unseren Volksvertretern Selbstverpflichtungen anlässlich der Volkskammerwahl übernommen.
Negative oder feindliche Meinungen, werden hauptsächlich von Groß- und Mittelbauern vertreten bzw. von ihnen beeinflusst. So sagte z. B. in einer Versammlung in Goldberg, [Bezirk] Schwerin, ein beim Großbauern beschäftigter Landarbeiter. »Wenn die Wahlen im Oktober so durchgeführt werden, wie die Volksbefragung,11 dann brauchen überhaupt keine Wahlen durchgeführt werden, denn das sind keine Wahlen.«
Vereinzelt wird die Stimmabgabe zur Volkskammerwahl von den persönlichen Belangen abhängig gemacht, wie z. B. in Gollmitz,12 [Bezirk] Neubrandenburg, wo ein Neubauer Folgendes sagt: »Wenn meine Eltern keine anderen Lebensmittelkarten erhalten (Normalverbraucher), werden meine Eltern und ich nicht zur Wahl gehen.«13
Ein Bauer aus Bornsdorf,14 [Bezirk] Gera, sagte: »Ich werde unsere Regierung nicht wieder wählen, weil zwischen den Kleinbauern und den LPG große Unterschiede in der Betreuung bestehen. Ich warte bereits acht Tage auf einen Mähbinder von der MTS Krölpa, [Bezirk] Gera, damit ich meine Ernte abschließen kann, aber bis heute hat sich nichts gerührt.«
Bei den Rechenschaftslegungen15 werden oft die Missstände im Dorf aufgedeckt und die schlechte Betreuung seitens der Abgeordneten kritisiert. Zum Beispiel in der Gemeinde Neuhof, [Bezirk] Schwerin. Der Kreistagsabgeordnete Kotowsky wurde hier einer Kritik unterzogen, dass er sich von seiner Wahl 1950 an bis jetzt nicht ein einziges Mal in seinem Patendorf sehen ließ und sich auch um die Belange seines Wahlkreises nicht gekümmert hat.
In der Gemeinde Boberow, [Bezirk] Schwerin, wurde der FDGB kritisiert, der sich nicht um die Gemeinde gekümmert hat und demzufolge auch die Beitragszahlung in diesem Jahr ausgeblieben ist.
Positive Meinungen zur Rechenschaftslegung wurden in Postlin, [Bezirk] Schwerin, zum Ausdruck gebracht. Ein Bauer aus dieser Gemeinde sagte: »Die Politik unserer Regierung hat unserer Jugend die Möglichkeit gegeben, neun Bauernkinder studieren zu lassen. Darüber hinaus kommt jede Woche der Arzt zu uns und auch eine Krankenschwester wurde zur Verfügung gestellt.«
Zum Sprecher des RIAS machte sich ein CDU-Mitglied in einer Bauernversammlung in Lippe,16 [Bezirk] Rostock: »Man muss den RIAS hören, wenn man ein Kämpfer sein will. Man muss über alles auf dem Laufenden sein. Während des Krieges haben wir auch immer die Feindsender gehört.«
Wirtschaftliche Fragen stehen nach wie vor im Vordergrund. In den Gemeinden des Kreises Jena, [Bezirk] Gera, löste die Bekanntgabe über die Streichung der Soll-Rückstände aus dem vorigen Jahr große Freude aus. Die Stimmung ist sehr gut und einige Bauern erklärten sich sofort bereit, Schweine, Eier und Fleisch zusätzlich zu liefern.
In den Gemeinden Eichenberg [und] Zwabitz, [Bezirk] Gera, waren die Bauern, die noch nie einen Mähdrescher gesehen haben, sehr erstaunt über die gute Arbeit des Mähdreschers.
Aus dem Kreis Pößneck, [Bezirk] Gera, klagen drei BHG über die Anlieferung der Düngemittel in offenen Waggons bei Regenwetter. Dadurch sind hochwertige Düngemittel, wie Superphosphat u. a. zum Teil ganz verdorben.
Über die VEAB Hohenbucko, [Bezirk] Cottbus, und die VEAB Döbeln, [Bezirk] Leipzig, klagen die Bauern, dass ihnen das Getreide nicht abgenommen wird.
Über den Mangel an Baumaterial und mangelhafte Unterstützung beim Bau von Viehställen klagen die Bauern des Kreises Worbis, [Bezirk] Erfurt, die LPG-Mitglieder aus Rohlsdorf, [Bezirk] Potsdam.
In der Gemeinde Reetzerhütten, [Bezirk] Potsdam, sind die bürgerlichen Elemente tonangebend. In allen Sitzungen und Versammlungen der Gemeinde sind sie wortführend, beeinflussen und schüchtern die übrige Bevölkerung ein, sodass sich diese nicht traut, in Versammlungen ihre eigene Meinung zu äußern. Daraus ergibt sich, dass die Einwohner dieser Gemeinde wenig Anteil am gesellschaftlichen und politischen Leben nehmen und im Allgemeinen sehr zurückhaltend sind. Aus anderen Kreisen des Bezirkes Potsdam wurden ähnliche Beispiele bekannt.
Im Bezirk Neubrandenburg dauert die Schweinepest weiterhin an und es treten immer neue Fälle auf. In dem örtlichen landwirtschaftlichen Betrieb Carmzow, Kreis Prenzlau, wurden von dem Bestand (69 Stück) 65 notgeschlachtet und sind verendet.
Bei einem Bauern in Falkenhagen Kreis Prenzlau, Bestand 56 Stück, wurden 48 notgeschlachtet und vier sind verendet.
Bei drei Kleinbauern in Warnkenhagen, Kreis Teterow, Bestand 56 Stück, wurden 30 notgeschlachtet und 26 sind verendet. Bei einem anderen Bauern der Gemeinde wurden von einem Bestand von fünf Stück zwei notgeschlachtet und drei verendeten.
In der Gemeinde Bonkow,17 Kreis Röbel, wurden bei einem Kleinbauern vier notgeschlachtet und fünf Schweine verendeten von einem Bestand von neun Stück.
Übrige Bevölkerung
Die Diskussionen über politische Probleme haben einen geringen Umfang. Die Äußerungen sind aber größtenteils positiv. In den positiven Stellungnahmen zur Volkswahl wird zum Ausdruck gebracht, da unsere Regierung sich ständig bemüht, den Lebensstandard zu verbessern, wollen sie zur Wahl ihre Stimme unserer Regierung geben.
In den negativen Stimmen, die nur in einer ganz geringen Zahl vorliegen, wendet man sich hauptsächlich gegen die Aufstellung einer einheitlichen Kandidatenliste. So sagte z. B. ein Bürger aus Lauscha, [Bezirk] Suhl: »Es wird der gleiche Schwindel wieder wie zur letzten Wahl mit den Einheitslisten.18 Ich werde ihnen schon etwas darauf malen. Darauf können sie Gift nehmen.« Ein NDPD-Mitglied aus Karl-Marx-Stadt äußerte in einer Parteiversammlung: »Durch die Aufstellung gemeinsamer Listen ist diese Wahl nicht demokratisch.«
Äußerungen zur Streikbewegung in Westdeutschland liegen nur vereinzelt vor und können deshalb nicht eingeschätzt werden. Negativ äußerte sich ein Rentner aus Möser, [Bezirk] Magdeburg, indem er sagte: »Es ist doch lächerlich, dass man nach Westdeutschland Pakete schickt, da wir ja selbst mit unserer Zuteilung nicht ausreichen und für HO-Waren kein Geld haben. Man sollte die Pakete den armen Rentnern geben.«
In einer Konsumverkaufsstelle in Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, lehnte eine Verkäuferin eine Spende mit dem Bemerken ab, »ich möchte auch einmal streiken und dafür Geld bekommen«. Auf den Hinweis, dass für das Geld für die Streikenden Lebensmittel gekauft werden, erwiderte eine andere Verkäuferin: »Ich durfte das Paket aus Westberlin auch nicht holen,19 was brauchen die da Pakete von uns?«
Einen größeren Rahmen nehmen die Diskussionen über örtliche Schwierigkeiten in der Versorgung ein. In Magdeburg schimpften vor einem HO-Lebensmittelgeschäft mehrere Frauen darüber, dass sie für ihre Männer keine frische Wurst zu kaufen bekommen. Sie erklärten, dass die Männer erst alle einmal ihre Arbeit niederlegen müssten. In diesem Zusammenhang sagte eine Hausfrau höhnisch: »Im Stadtfunk ist eine Rede über Ernst Thälmann,20 hört euch das an, dann werdet ihr alle satt.«
In einem Geschäft in Halle äußerte eine Hausfrau: »Zurzeit gibt es kaum noch Fleischwaren in den HO-Geschäften. Ich bin am Sonnabend in sieben Geschäften gewesen und bekam nichts. Am 20. eines jeden Monats ist der größte Teil der Bevölkerung auf den Einkauf in der HO angewiesen, da die Marken abgekauft sind. Auch die Eierversorgung ist in den letzten Wochen ebenfalls sehr schlecht. Wahrscheinlich wird alles nach Leipzig zur Messe21 gebracht.«
Im Bezirk Suhl wird von Hausfrauen viel über die hohen Preise des Gemüses diskutiert. So äußerte z. B. eine Hausfrau aus Hildburghausen: »Jetzt gibt es endlich Gemüse, aber zu so hohen Preisen, dass sich eine Arbeiterfrau kaum welches leisten kann. Ich denke, wir wollen besser leben, dabei wird es immer schlechter.«
Aus dem Kreis Gera wurde berichtet, dass in der Gemeinde Forstwolfersdorf22 die Parteiarbeit fast darniederliegt. Die Parteimitglieder besuchen keine Versammlungen mehr und der erste Sekretär will seine Funktion niederlegen und kein anderer will sie übernehmen. Die führende Rolle der Partei tritt in dieser Gemeinde schon lange nicht mehr in Erscheinung. Die Genossen setzen sich nicht mit falschen Anschauungen verschiedener Bürger der Gemeinde auseinander. Der Parteisekretär äußerte dazu: »Ich kann mich doch nicht mit den Leuten verfeinden. Die boykottieren mich doch sonst.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:23 Schwerin 450, Potsdam 41 000, Suhl 1 500, Erfurt 2 800.
KgU:24 Gera 2 000.
NTS:25 Karl-Marx-Stadt 136 (selbstangefertigte), Erfurt 2 500, Neubrandenburg 15.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Antidemokratische Tätigkeit: In der Toilette des HO-Kaffees Kamenz, [Bezirk] Dresden, wurde folgende Hetzlosung angeschmiert: »Freundschaft mit allen Völkern, nur mit dem Kittelvolk nicht …, Heil Adenauer!«26
Gerüchte
Dresden: Unter den Arbeitern der Reichsbahn Zittau wurde das Gerücht verbreitet, dass der gesetzliche Jahresurlaub nur noch mit dem Grundlohn bezahlt wird und nicht mehr wie bisher mit dem Durchschnittslohn der letzten 13 Wochen.
Im Kreis Kirschau, Kreis Bautzen, wird das Gerücht verbreitet, dass der Streik in Westdeutschland von der DDR inszeniert und gelenkt würde.
Erfurt: Im VEB Carl-Zeiss, Fertigungsstelle Weimar, wird folgendes Gerücht verbreitet: »Genosse Grotewohl27 habe den Wählerauftrag erhalten, im Gelände des Zeiss, in der Riesenstraße28 noch vier Wohnblocks und ein großes Verwaltungsgebäude zu bauen.« Von einem solchem Wählerauftrag ist in Weimar nichts bekannt. Es ist vielmehr anzunehmen, dass der Klassengegner bewusst eine Diskussion entfacht, um eine Stimmung gegen die Regierung zu schaffen.
Vermutliche Feindtätigkeit
Auf dem VEG Lindenberg, Kreis Beskow, [Bezirk] Frankfurt, mussten zwei Schweine wegen Paratyphus notgeschlachtet werden. Untersuchungen ergaben, dass das von den Knochenverwertungsstellen in Pirna und Dresden29 gelieferte Eiweißfutter mit Paratyphus verseucht war.
Anlage 1 vom 26. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2297
Anhang Industrie
Materialschwierigkeiten: Im VEB Bella-Schuhfabrik Schmölln,30 [Bezirk] Leipzig, besteht ein erheblicher Mangel an Rohmaterial, da die Zulieferbetriebe nur schleppend anliefern.
Dem VEB EKO Oschatz,31 [Bezirk] Leipzig, fehlen für das III. Quartal noch 15 t Wollmischgarn und 5 t Baumwolle (eingeplante Bestände); des Weiteren stehen wegen Nadelmangel 20 Strickmaschinen still.
Im RAW Cottbus mangelt es an Kesseln, Kesselblechen, Deckenmaterial und Rohren, wodurch die Brigaden nicht voll ausgelastet sind. Dies wirkt sich auf den Verdienst und auf die Arbeitsmoral negativ aus.
Arbeitskräftemangel besteht im VEB Lowa Bautzen.32 Es fehlen 80 Arbeitskräfte. Ferner besteht in der Papierfabrik Großenhain,33 [Bezirk] Dresden (Treuhandbetrieb), ein großer Arbeitskräftemangel.
Treibstoffmangel besteht im Bahnbetriebswerk Dresden-Pieschen. Wenn innerhalb von zwei Tagen kein Bungalow eintrifft, so besteht die Gefahr, dass die Triebwagen stillgelegt werden müssen.
Eine mangelhafte Planerfüllung wird vom »Ernst-Thälmann«-Werk in Magdeburg34 berichtet. Im Jahre 1954 muss der Betrieb 42 Kräne liefern, jedoch sind erst 16 fertig. Außerdem bestehen Schwierigkeiten bei der Erfüllung des Finanzplanes des Werkes I. Als Grund hierfür werden die dauernden Sitzungen während der Arbeitszeit angeführt. Bei einer Unterredung des Hauptbuchhalters mit der Parteileitung stand diese auf dem Standpunkt, dass sie Sitzungen einberufen können, wann sie wollen, wenn es die Arbeitsproduktivität hebt.
Der VEB Herrenmode Berlin35 erhielt vom Zentralen Musterbüro die Anweisung, Anzüge in V-Form herzustellen. Die Leitung des Betriebes und der größte Teil der Kollegen sind der Meinung, dass diese Anweisung falsch sei, da sich diese Mode bestimmt nicht durchsetzen wird und die Anzüge dann als Ladenhüter herumliegen.
Produktionsstörung. Am 24.8.1954 stürzte beim Bau eines Schornsteins im Kraftwerk Trattendorf, [Bezirk] Cottbus, das Gerüst 8 m in die Tiefe. Sechs Arbeiter stürzten ab, wovon vier schwer verletzt wurden. Ermittlungen über die Ursache werden noch geführt.
Anlage 2 vom 26. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2297
Stimmen zum Übertritt des CDU-Abgeordneten Schmidt-Wittmack in die DDR
Noch immer sind die Diskussionen in allen Schichten der Bevölkerung über den Fall Schmidt-Wittmack gering. Jedoch fast nur positiv. In den Betrieben diskutieren Arbeiter und Angestellte dahingehend, dass der Übertritt Dr. Johns und des CDU-Abgeordneten in die DDR beweist, dass die Adenauer-Politik36 in eine Sackgasse geraten ist und dass sich diese Erkenntnis auch in den Bonner Regierungskreisen immer mehr durchsetzt.
Ein Arbeiter aus dem VEB Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera: »Der Entschluss des CDU-Abgeordneten zeigt, dass es drüben im Westen im Gebälk knistert. Dies zeigt weiter die Richtigkeit der Politik unserer Regierung.«
Ein Arbeiter aus Karl-Marx-Stadt: »Die Zerfallserscheinungen im Bonner Staat greifen immer mehr um sich. Das zeigt sich darin, dass Menschen bei uns um Asyl bitten, die bar jeglicher Not klipp und klar erkannt haben, wohin die Politik Adenauers führt.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Zinnerz Altenberg, [Bezirk] Dresden: »Es ist nur zu begrüßen, dass trotz der Hetze gegen die DDR hohe politische Persönlichkeiten zu uns kommen. Scheinbar erkennen die westdeutschen Politiker doch langsam, dass der Weg in die DDR der einzige richtige ist.«
In den Stellungnahmen aus den Kreisen der übrigen Bevölkerung zeigt sich, dass die Bedeutung des Schrittes von Schmidt-Wittmack vollauf erkannt und als eine weitere Niederlage Adenauers bewertet wird.
Ein Arzt des Gesundheitswesens beim Rat des Bezirkes Suhl: »Durch das Übertreten des CDU-Abgeordneten zeigt sich deutlich, dass eine Veränderung zugunsten der DDR sichtbar wird. Man zweifelt jetzt an Adenauer und dessen Politik und erwähnt dabei, dass in nächster Zeit mit noch mehr Übertritten gerechnet werden könnte. Das wäre die Bestätigung, dass Adenauer eine deutschfeindliche Politik betreibt.«
Ein Schneidermeister aus Allmenhausen, [Bezirk] Erfurt: »Es ist schon wieder ein Abgeordneter herübergekommen, noch dazu von der CDU. Das ist wieder ein Schlag für Adenauer, dem kommt es jetzt dicht hintereinander, ob er es noch lange aushält? Ich glaube fest daran, dass der Westen verliert. Vor zwei Jahren hätte ich das nicht geglaubt.«
Ein Einwohner aus Halle: »Das Erscheinen des CDU-Abgeordneten wird noch mehr dazu beitragen, dass die westdeutsche Bevölkerung das Vertrauen zur Adenauer-Clique verliert. Dazu kommt noch die Schlappe, die er in Brüssel in Bezug auf die EVG-Politik37 einstecken musste.«
Eine Hausfrau aus Perleberg, [Bezirk] Schwerin: »Durch den Schritt von Schmidt-Wittmack erkennen wir, dass Abgeordnete des Bonner Bundestages es nicht mehr länger mit ihrem Gewissen vereinbaren können, dass unser Volk in einen Dritten Weltkrieg gestürzt werden soll.«
Ein katholischer Pfarrer (CDU) aus Stockhausen, [Bezirk] Erfurt: »Der Schritt Schmidt-Wittmacks zeigt, dass es drüben christliche Menschen gibt, die erkennen, wie die Lage vernunftmäßig betrachtet werden muss.«
Da negative Stimmen nur ganz vereinzelt bekannt wurden, ist eine Einschätzung nicht möglich.
Ein Arbeiter aus dem VEB Werkzeugmaschinenfabrik Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Dieser Schmidt-Wittmack war früher Angehöriger der KPD. Nach 1945 ist er dann in der CDU untergetaucht. Das ist jetzt alles herausgekommen und aus diesem Grunde konnte er sich nicht mehr länger in Westdeutschland halten. Scheinbar treibt er schon lange Spionage, denn sonst wäre er ja nicht abgehauen.«
Anlage 3 vom 26. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2297
Behandlung westdeutscher Intelligenz durch Dienststellen des Groß-Berliner Magistrats
Im VP-Revier 251 in Lichtenberg sprach ein Bürger vor und führte Folgendes aus. Seine zukünftige Schwiegertochter, die in Westdeutschland als Ärztin beschäftigt ist, beabsichtigt, nach Berlin überzusiedeln, um im demokratischen Sektor in ihren Beruf tätig zu sein. Bei einem früheren Besuch hatte sie diesbezüglich eine Aussprache mit dem Chefarzt des Otto-Ziethen-Krankenhauses38 in Lichtenberg. Dieser versicherte ihr, dass sie ohne Weiteres im demokratischen Sektor als Ärztin tätig sein könne. Es wurde ihr sogar eine Arbeitsstelle benannt und zwar das Krankenhaus Herzberge.
Dem Bürger wurde von der Revierleitung vorgeschlagen, sich in dieser Angelegenheit direkt an den Oberbürgermeister von Groß-Berlin, den Genossen Fried[rich] Ebert39 zu wenden. Ein Anruf durch das VP-R[evier] 251 im Sekretariat des Oberbürgermeisters ergab, dass für diese Angelegenheit der stellvertretende Oberbürgermeister, Genosse Zimmermann,40 zuständig sei. Um dem Bürger behilflich zu sein, wurde nach dorthin ein Gespräch vermittelt, woran sich eine Kette von 26 Telefongesprächen anschloss und sich niemand für zuständig erklärte. Zum Beispiel verlangte die Rückkehrerstelle einen Antrag vom Otto-Ziethen-Krankenhaus, der besagt, dass die Ärztin eine Anstellung erhalten könne. Dieser Antrag müsse vom Gesundheitsamt des Rates des Stadtbezirkes Lichtenberg befürwortet und außerdem vom Ministerium für Gesundheitswesen betätigt werden. Der Chefarzt des Otto-Ziethen-Krankenhauses, der jetzt zzt. in Urlaub ist, verwies das VP-Rev[ier] direkt an das Gesundheitsamt. Da die Amtsärztin sich in Urlaub befindet, konnte in dieser Angelegenheit keine Klärung herbeigeführt werden. Aus dem Grunde wurde dem Bürger geraten, die Sprechstunde des stellvertretenden Oberbürgermeisters Zimmermann aufzusuchen.
Anlage 4 vom 26. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2297
Stimmen zu den Lebensverhältnissen in der DDR
In den positiven Stellungnahmen werden die Verhältnisse in der DDR geschildert und dabei der Unterschied herausgestellt, der zwischen den früheren kapitalistischen Betrieben und den volkseigenen Betrieben besteht. Es wird dabei auf die sozialen und kulturellen Einrichtungen sowie auf die Rechte der Werktätigen Bezug genommen. So äußerte z. B. ein Arbeiter aus Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich war mit meiner Familie an der Ostsee. Die Unterkunft und Verpflegung in den Heimen ist erstklassig und alle Kulturveranstaltungen waren kostenlos. Es ist schön, dass sich heute bei uns die Werktätigen so etwas leisten können. Früher war es den Arbeitern nicht möglich, in einen Kurort zu fahren.«
Ein Arbeiter aus Wilkau-Haßlau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Bei uns ist es schon zur Selbstverständlichkeit geworden, dass der Arbeiter in seinem Urlaub verreist. Die Kumpels fahren jedes Jahr an die Ostsee, wo früher nur die oberen Zehntausend hinkonnten. Es wird vonseiten der Regierung wirklich viel getan für die Werktätigen.«
Ein Arbeiter aus Hohndorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Dass bei uns die Verhältnisse besser sind als in Westdeutschland, wird immer offensichtlicher. Es ist schön, dass die meisten Betriebe dem Volke gehören und nicht mehr einem Häuflein reicher Leute, die hochmütig auf uns Arbeiter herabsehen. Wie es sich auswirkt, wenn der Gewinn nicht mehr in die Taschen der Kapitalisten fließt, das kann ich bei uns hier im Betrieb am besten sehen. Es werden Riesensummen für soziale und kultur[elle] Zwecke ausgegeben.«
In den negativen Stellungnahmen zeigt sich teils eine Verärgerung über irgendwelche Maßnahmen oder eine feindliche Einstellung gegenüber unserer demokratischen Ordnung.
Ein Angestellter aus Dresden nahm zum Wohnungsproblem Stellung und sagte: »Wir bekommen als kinderloses Ehepaar keine selbstständige Wohnung. Hier werden großartige Tanzschulen gebaut, man sollte sich aber lieber einmal Sorgen um die Wohnungsnot machen und vor allem die Wohnungen gerecht verteilen. Ein Parteigenosse ist genau kein anderer Mensch als wir und hat seine Wohnung zu bekommen, wenn er an der Reihe ist. Die Bevorzugung ruft nur Verärgerung bei der Bevölkerung hervor.«
Ein Angestellter aus Karl-Marx-Stadt: »Nachdem die Kontrolltätigkeit der sowjetischen Besatzungsmacht aufgehoben wurde,41 nahmen wir an, dass wir wieder in unser Haus, was von der Besatzungsmacht besetzt war, ziehen könnten. Aber leider ist das nicht der Fall. Die Häuser sollen wahrscheinlich der Wismut AG42 zur Verfügung gestellt werden. Wir lassen aber nicht locker, bis wir zu unserem Recht kommen. Ich werde mich eventuell an die Regierung wenden, damit wir wieder einziehen können. Da war mit der Sowjetbesatzung besseres Auskommen als mit den deutschen Behörden.«
Eine Jugendliche aus Halle: »Meine Mutter hatte eine Kur beantragt, die abgelehnt wurde ohne dass sie vor der Ärztekommission war. Begründet wurde es damit, das nur noch für 1954 Plätze für Arbeiter frei sind. Man müsste meinen, bei der Gleichberechtigung der Frau dürfte es so etwas gar nicht geben.«
Ein Einwohner aus Erfurt: »Durch meine Krankheit bin ich arbeitsunfähig geworden. Auch an eine stundenweise Beschäftigung ist zurzeit nicht zu denken. Ich erhalte monatlich eine Invalidenrente von 116 DM und das nach 35 Berufsjahren. Aber ich will ja gerne darben, wenn nur unsere Professoren für eine Vorlesung 1 000 DM bekommen, wie ich im Gesetzblatt selbst gelesen habe,43 sonst würde ich es gar nicht glauben.«
Eine Hausfrau aus Dresden: »Mein Sohn muss sich ebenso durchschinden. Er arbeitet fleißig, um vorwärtszukommen. Da leider bei uns nicht immer die Leistungen, sondern sehr viel die Politik entscheidet, wird dadurch den Menschen das Leben schwer gemacht. Man macht eben den gleichen Fehler, den die Nazis begangen haben, und lernt wieder nichts daraus.«
Ein Geschäftsmann aus Erfurt: »Mein Sohn hatte einen Autounfall. Trotz der Zeugenaussagen, die alle für ihn sprachen, ist er zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden. Er musste diese Strafe sofort antreten. Seit diesem Tag boykottiert man auch die Firma. Das zeigt sich darin, dass wir keine Aufträge und nicht einen Faden Garn bekommen haben. Wir beschäftigen immerhin 300 Arbeiter und 100 Angestellte, was da für Gelder für Löhne und Gehälter gebraucht werden. Arbeiter dürfen nicht entlassen werden, sonst werden gleich die Maschinen abgeholt. Wir werden wohl kapitulieren müssen.«
Eine Angestellte aus Erfurt: »Gestern war unsere Personalleiterin da und sie ging zu allen Zivilprotokollantinnen und brachte ihnen schonend bei, dass wir alle in eine Gehaltsgruppe niedriger kommen werden. Wir sollen wieder in die alte Gehaltsklasse kommen, wir sind erst ein Jahr in der jetzigen. Die Herren Direktoren scheuten sich wahrscheinlich, uns das persönlich mitzuteilen. Einige von uns werden wahrscheinlich kündigen. Aber was sollen wir Alten machen, wir können nicht so, wie wir wollen. Bei uns wird nur die Jugend in den Himmel gehoben, obgleich die Alten eine bessere Arbeit leisten.«
Ein Forstangestellter aus Reinsberg, [Bezirk] Dresden:44 »Ich habe einen Antrag gestellt, in die Lohnstufe 6 eingestuft zu werden. Erst wollte der Betriebsparteiorganisator es sich noch nicht einmal aufschreiben, um es den Betriebsleiter vorzulegen. Darum bin ich überzeugt, dass mein Antrag nicht genehmigt wird und ich weiterhin ausgebeutet werde. Wenn einem das zustehende Gehalt nicht gezahlt wird, so ist es eine Ausbeutung. Die einzige Möglichkeit, mich weiter zu ›qualifizieren‹, die mir neulich angeboten wurde, ist, Kandidat der SED zu werden und die Parteischule zu besuchen. Auf die ›Qualifizierung‹ pfeife ich.«