Zur Beurteilung der Situation
27. August 1954
Informationsdienst Nr. 2298 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die an Umfang geringen Diskussionen über aktuelle politische Fragen befassen sich vor allem noch mit der Streikbewegung in Westdeutschland,1 wobei die Diskussionen weiterhin abnehmen. Der Inhalt hat sich gegenüber den Vortagen nicht wesentlich verändert. Nachfolgend einige Bespiele, wo von mehreren Arbeitern eine Solidaritätsspende abgelehnt wurde.2
In der Karbidfabrik der Buna-Werke 476 schlossen sich von der C-Schicht die Brigaden vom Ofen 1 bis 3 von der Solidaritätsaktion aus: Der Gruppenorganisator vom Ofen III äußerte dazu: »Die verdienen drüben DM 2,55 die Stunde und haben keinen Grund zum Streiken. Wir können es ja auch nicht.3 Die Kollegen, die etwas gegeben haben, taten dies nur, damit sie nicht auffallen. Denken tun sie ja doch anders.«
Die Arbeiter im VEB Papierfabrik Tannroda, [Bezirk] Erfurt, vertreten die Meinung, dass der FDGB die Streikenden unterstützen solle. Eine Reihe von Kumpels der Nachtschicht des Kaliwerkes »Glückauf« in Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, lehnt eine Unterstützung ab, obwohl bereits ein Agitationseinsatz dort durchgeführt wurde.
Zur Volkskammerwahl4 wurde nur sehr gering diskutiert. Neben meist zustimmenden Äußerungen zur einheitlichen Kandidatenliste und einzelnen Produktionsverpflichtungen anlässlich der Wahl wurde vereinzelt von negativen Kräften eine Parteiwahl gefordert.
Der BGL-Vorsitzende von der Güterabfertigung Weißenfels, [Bezirk] Gera: »Alle Parteien sollen ihre eigenen Listen aufstellen und die zahlenmäßig stärkste wird dann mit der Regierungsbildung beauftragt. Das wäre eine gerechte Wahl.« In diesem Zusammenhang lobte er die Verhältnisse in Westdeutschland.
Ein Arbeiter (SED) vom VEB Stern-Radio Rochlitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wenn eine Parteiwahl in Herbst stattfände, würde die SED glatt verlieren. Davor hat man Angst.«
Verschiedentlich wird infolge Verärgerung über wirtschaftliche bzw. betriebliche Dinge von Arbeitern geäußert, dass sich dies negativ auf die Volkswahl auswirken wird.
Unter den Arbeitern des Mineralölwerkes Lützkendorf, [Bezirk] Halle, besteht Unzufriedenheit über den Mangel an billigen Zigarettensorten. Ein Schlosser aus dem Kesselhaus sagte dazu: »So müsst ihr weitermachen. Auch noch die billigen Zigaretten müsst ihr uns entziehen, wo wir sowieso nichts kaufen können, da werdet ihr schon euern Lohn am 17. Oktober [1954] erhalten.«
Ein Zugschaffner vom Bahnhof Weißenfels, [Bezirk] Gera: »Die Volkswahlen werden keinen 100-prozentigen Erfolg bringen, weil die Bevölkerung mit vielen Dingen in der DDR nicht einverstanden ist. So z. B. wir Eisenbahner nicht mit unserem Lohn.«
Die an den letzten Tagen stattgefundenen Betriebsversammlungen, in denen Funktionäre des Staatssekretariats für Staatssicherheit über die Tätigkeit der Spionageorganisation Gehlen5 referierten,6 wurden allgemein positiv aufgenommen. Man bringt zum Ausdruck, dass vielen Kollegen dadurch die Augen geöffnet wurden, über die Agententätigkeit der Westmächte. Die Kollegen waren an den Vorträgen interessiert und begrüßten vor allem die sachlichen Ausführungen, die gemacht wurden. So äußerte z. B. ein leitender Ingenieur vom VEB Werk für Fernmeldewesen Berlin (parteilos): »Ich habe selten hier im Osten solch einen sachlichen Vortrag gehört, der frei von allen Phrasen war. Der Gegensatz zu dieser Sachlichkeit sind die veröffentlichten Zeitungsartikel.«
Im Vordergrund der Diskussionen stehen weiterhin wirtschaftliche und betriebliche Fragen, welche teilweise Missstimmungen bzw. Verärgerung und zum Teil negative Äußerungen hervorrufen. Solche Diskussionen befassen sich mit Mängeln in der Versorgung, mit Lohnfragen, Prämienverteilung und Schwierigkeiten in der Produktion.
Verschiedentlich besteht unter Arbeitern im Bezirk Leipzig Unzufriedenheit über die Verdienstmöglichkeit. So äußerte z. B. ein Arbeiter aus dem VEB Deutzen zu einem VP-Angehörigen: »Ihr werdet nicht mehr lange hier stehen. Bei uns in der Schwelerei stinkt es überall. Immer mehr hauen ab. Wir verdienen nichts mehr, die Normen werden immer höher geschraubt. Bald wird der Tag kommen, wo wir streiken.« Ähnlich äußerte sich ein Arbeiter aus der Papierfabrik Golzern, der hinzufügte: »Der 17. Juni [1953] ist näher als man denkt.«
Im VEB Zigarettenfabrik Filiale Wurzbach,7 [Bezirk] Gera, wurde bei der Herstellung von Zigarillos eine Lohnsenkung um zwei Lohnstufen vorgenommen mit der Begründung, dass die Zigarillos schlecht abgesetzt werden könnten und deshalb die Preise erniedrigt [sic!] werden. Dies hat unter den betroffenen Arbeitern eine Missstimmung hervorgerufen. Dieselbe Maßnahme wurde im VEB Zigarettenfabrik Brinkmann in Büttstedt,8 [Bezirk] Erfurt, durchgeführt, wodurch der Verdienst bei den Arbeitern um 30,00 bis 40,00 DM monatlich gesunken ist. In diesem Betrieb herrscht ebenfalls eine schlechte Stimmung.
Im VEB Kaliwerk Volkenroda,9 [Bezirk] Erfurt, kündigen laufend Kollegen wegen zu geringem Verdienst, wodurch der Tagesdurchschnitt der Planerfüllung im August bei ca. 82 Prozent liegt. Außerdem ist die Arbeitsmoral stark herabgesunken. Ein Teil der Kumpel, besonders aus dem Zweigbetrieb Köthen,10 äußerte, dass sie streiken wollen. (VP-Meldung)
Eine größere Unzufriedenheit besteht unter den Arbeitern des Britzer Eisenwerkes, [Bezirk] Frankfurt/Oder, da die Quartalsprämien sehr unterschiedlich verteilt wurden. Zum Beispiel erhielt der Betriebsleiter 2 100 DM, die Meister bis zu 900 DM, während die Maschinenformer und Arbeiter mit je 7,00 bis 9,00 DM prämiert wurden. Ein Arbeiter äußerte, dass dieser Unterschied jedes Mal bei der Prämienverteilung besteht und dass man dieses Mal »dagegen etwas tun wird vonseiten der Arbeiter«. (VP-Meldung)
Die leitenden Angestellten des VEB Kaliwerkes »Ernst Thälmann«, [Bezirk] Suhl, sind darüber verärgert, dass die Prämien für das II. Quartal nicht ausgezahlt werden dürfen, obwohl der Plan erfüllt wurde. Ein Intelligenzler meinte dazu, dass gegnerische Elemente in der Hauptverwaltung Kali in Berlin dies tun, um die Intelligenz von der Volkswahl abzuhalten.
Ein Arbeiter aus dem Stahlwerk Riesa, Martinwerk I, äußerte: »In meiner Abteilung ist die Stimmung genauso wie am 17.6.1953. Dies ist zurückzuführen auf die Nichterfüllung des Planes und auf die Normenregelung, wodurch ein erheblicher Rückgang im Verdienst zu verzeichnen ist. Die Kumpel sind der Meinung, dass der Plan sowie die Normen heruntergesetzt werden müssten.«
Über die Ernährungslage in der DDR wird von verschiedenen Kollegen aus einigen Betrieben in Köthen, [Bezirk] Halle, negativ diskutiert und die Meinung vertreten, dass die Verhältnisse ebenso wie vor dem 17.6.1953, »wenn nicht noch schlechter«, seien. Ähnlich äußerte sich ein Arbeiter aus Döllingen, [Bezirk] Cottbus, über die mangelhafte Bereitstellung von Baumaterialien, der sagte: »Es ist doch alles Mist. Wir sollen 1955 leben wie nie zuvor. Wie sieht es aber aus. Nicht einmal einen Mauerstein bekommt man.«
Die Arbeiter des Gaswerkes in Potsdam sind darüber unzufrieden, dass bei der letzten Steinkohlenlieferung sehr viel Schiefer enthalten war und die Kohle größtenteils aus 60 bis 70 Pfd. schweren Stücken besteht, die erst zerklopft werden müssen. Dadurch kann der Plan in der Gaserzeugung nicht erfüllt werden, was sich wiederum auf den Verdienst auswirkt.
Starke negative Diskussionen über die Sperrzone im Grenzgebiet werden unter der Belegschaft des Privatbetriebes Neumann und Co. Mikrophonbau Gefell, [Bezirk] Gera, geführt. Dabei wird z. B. geäußert: »Bei uns lebt man wie im KZ« oder »Wir sind ein Polizeistaat«.11
Eine Abwanderung von hochqualifizierten Facharbeitern nach Westberlin und Westdeutschland erfolgte in der Berliner Druckerei, da sie dort angeblich mehr Lohn erhalten. Ähnlich ist es bei der »Täglichen Rundschau«.12 Die Maschinensetzer der Berliner Druckerei haben am 18.8.[1954] eine Resolution verfasst, in der sie eine Erhöhung der Löhne fordern. Diese wollen sie an die Partei und den FDGB senden.
Im Kombinat Gera, Karriere »IV. Parteitag«,13 besteht eine schlechte Arbeitsorganisation. Beim Schichtwechsel kommt es vor, dass 70 Fahrzeuge vor der Karriere stehen und nicht eingelassen werden, weil vergessen wurde, mitzuteilen, dass die Sprengungen in der Karriere beendet sind. Auch die Organisation der Brigaden ist sehr mangelhaft.
Handel und Versorgung
Dem Verderb ausgesetzte bzw. verdorbene Waren
Im VEB Schlachthof Görlitz, [Bezirk] Dresden, lagern 200 t chinesisches Schweineschmalz, das nicht mehr frisch ist.
In der VEAB Bützow, [Bezirk] Schwerin, sind 72 t Speisekartoffeln verdorben.
Mängel in der Warenbereitstellung
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Schwierigkeiten in der Fleischversorgung haben teilweise die Bezirke Gera, Dresden, Schwerin, Cottbus, Magdeburg und Rostock.
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Fischwaren: Dresden, Frankfurt, Schwerin,
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Nährmittel: Erfurt, Schwerin, Neubrandenburg,
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Zigaretten: Frankfurt, Erfurt, Neubrandenburg, Cottbus, Magdeburg,
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Eier, Butter: Dresden,
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Gemüse: Rostock,
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Süßwaren, Waschpulver: Neubrandenburg,
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Benzin: Erfurt,
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Baumaterialien: Frankfurt.
Ungenutzte Lagerbestände
Bei der Rechenschaftslegung im HO-Warenhaus wurde von einem Kollegen auf den Zustand des Warenlagers in Berlin, Liebknechtstraße 57 hingewiesen. Die daraufhin erfolgte Überprüfung des Lagers ergab folgende Bestände:
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18 000 Flaschen Spirituosen (lagern seit zwei Jahren, Verschlüsse sind bereits teilweise verdorben),
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1 124 Glas Marmelade, Orangen-Quitten,
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2 t Kunsthonig (eingelagert in der Zeit vom 20.8. bis 20.10.1953),
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134 Glas Edelkonfitüren,
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1 000 Glas Fischpaste (lagert seit November 1953),
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311 Glas Weinbrandfrüchte (lagern seit 1½ Jahren),
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600 Glas Malzextrakt (lagern seit Mai 1953),
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140 000 Stück Zigaretten »Die Echte« (lagern seit März 1953),
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24 000 Stück Zigaretten,
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22 500 Stück Zigarettenpapier-Päckchen,
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95 Dosen Eiskonserven (lagern seit November 1953),
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Mengen an Nelken, Zimt und Suppenwürzen (lagern seit 2.6.1953).
Die Marmeladen sind zum Teil nicht mehr genießbar. Weiterhin lagern hier noch wertvolle Installationsmaterialien und Federkästen für Schulkinder.
In einem Lager in Berlin Niederschöneweide, Schnellerstraße 134, das jetzt geräumt werden soll, lagern:
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160 000 Weckgläser,
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14 000 Scheuertücher,
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95 000 Pakete Persil.14
Landwirtschaft
Die Landbevölkerung nimmt nur vereinzelt zu Dr. John,15 Schmidt-Wittmack,16 den Volkskammerwahlen und zur Streikbewegung in Westdeutschland Stellung. Meinungen sind überwiegend positiv und stammen hauptsächlich aus dem sozialistischen Sektor der Landwirtschaft. Vereinzelt wurden anlässlich der Volkskammerwahl Selbstverpflichtungen übernommen, um dadurch die Verbundenheit der Bauern mit unseren Volksvertretern zu dokumentieren. So verpflichteten sich z. B. 32 werktätige Bauern aus Milkel, Kreis Bautzen, 235 Arbeitsstunden beim örtlichen Aufbau zu leisten und sechs Schweine, 4 800 kg Milch und 600 Eier als freie Spitzen17 abzugeben.
Feindliche Meinungen zu den Volkskammerwahlen werden hauptsächlich von den Groß- und Mittelbauern vertreten und von dieser Seite auch die Parteiwahlen immer wieder in den Vordergrund gestellt. Ein Mittelbauer aus Birkenfelde sagte hierzu: »Das ist doch alles Schwindel mit diesen Wahlen. Solange wir nicht eine Partei direkt wählen können. Das Ergebnis liegt sowieso schon fest, wie bei der Volksbefragung.«18 Ein Mittelbauer aus Naundorf, [Bezirk] Leipzig: »Die sollen doch bei der Volkswahl Kandidaten für die einzelnen Parteien aufstellen, da würde man gleich sehen, wo die SED bliebe.«
Bei den Rechenschaftslegungen19 im VEG Kaltenhausen, [Bezirk] Potsdam, erklärten einige Genossenschaftsbauern: »Wir wollen unsere ganze Kraft für die bevorstehende Volkskammerwahl einsetzen, weil eine solche Förderung der Landwirtschaft wie in der DDR es noch nie in Deutschland gegeben hat und wir alle Ursache haben, unsere Regierung zu unterstützen. Wir denken dabei insbesondere an die Fürsorge unserer Kinder.«
In Steinhagen, [Bezirk] Schwerin, brachten die werktätigen Bauern zum Ausdruck, dass es ungerecht sei, dass die LPG ein niedrigeres Soll haben als die werktätigen Bauern. Im Kreis Lübz, [Bezirk] Schwerin, sind von 50 angesetzten Versammlungen 14 ausgefallen und sechs wurden wiederholt verlegt. Dort wurde kritisiert, dass die Referenten sich nur auf die von der Nationalen Front20 herausgegebene Rededisposition stützen und nicht auf die örtlichen Belange eingehen.
In Strehlow, [Bezirk] Schwerin,21 wurde der Bürokratismus bei den Verwaltungsstellen kritisiert. Im Zusammenhang damit sagte ein Bauer, in Verbindung mit dem Anbauplan 1954/55: »Die Regierung ist wohl total verrückt geworden. Es sind wohl alles Schafe in den Verwaltungsstellen?«22
Eine negative Einstellung nahm ein Neubauer aus Fürstenberg, Bezirk Frankfurt, ein: »Hoffentlich ist es vor den Wahlen nicht so, dass man vorher alles zugesteht und nachher so ist, wie vor dem 17. Juni [1953].« Ein Buchhalter aus BHG Wellnitz,23 [Bezirk] Frankfurt: »Wenn weniger Menschen für die Kandidaten der Nationalen Front stimmen, dann gibt es weniger Sitze in der Volkskammer und der Staat spart Geld.«
Negative Einstellungen zur Streikbewegung werden, wenn auch im geringen Umfang, hauptsächlich von den Arbeitern der VEG und MTS im Bezirk Frankfurt, besonders in Bad-Freienwalde, vertreten. Dort sind die Landarbeiter der Meinung, dass man in Westdeutschland keinen Grund zum Streik hat, da es den Arbeitern dort »gut« geht.
Vorwiegend befasst sich die Landbevölkerung mit wirtschaftlichen Fragen und den Schwierigkeiten auf dem Lande.
In der ÖLB Grünz, [Bezirk] Neubrandenburg, herrscht Missstimmung wegen der unterschiedlichen Löhne. Zehn Arbeiter haben DM 1,03, acht Arbeiter DM 0,96 und 22 Arbeiter DM 0,90 Stundenlohn. Zwei Arbeiter und eine Arbeiterin sind deshalb aus dem FDGB ausgetreten.
Die MTS Kemberg, [Bezirk] Halle, hat Bauschwierigkeiten, weil die Sägewerke Glomb und Märgisch in Buchholz,24 Kreis Königs Wusterhausen, nicht das notwendige Holz liefern. Alle Reklamationen bis jetzt waren vergeblich und die MTS fordert ein Eingreifen, um die Rohbauten noch vor dem Winter unter Dach und Fach zu bringen.
Bei der LPG Strohwalde, [Bezirk] Halle, treten Schwierigkeiten bei der Einhaltung des Finanzplanes auf. Von insgesamt 100 eingeplanten Läuferschweinen wurden erst 50 Stück geliefert, wovon 19 Tiere durch Krankheit eingegangen sind. Wenn vom VEG Handelskontor nicht in aller Kürze Schweine angeliefert werden, können den Mitgliedern die geleisteten Arbeitseinheiten nicht bezahlt werden.
Auf dem Acker des Volksgutes Groß Ottersleben, [Stadt] Magdeburg, entwickelte sich zwischen dem Schnellkommando der VP und ca. 40 Personen, die auf dem Acker Stroh entwendeten, eine heftige Diskussion. Die Personen wurden aufgefordert, das entwendete Stroh wieder zurückzulegen, worauf die VP zur Antwort bekam, hier sieht man wieder unsere Freiheit. Dem kleinen Mann gönnt man überhaupt nichts. Wir werden es aber bei der Wahl zeigen, warum man den Ziegenhaltern kein Stroh gibt. Weil die DDR nichts hat. So etwas schimpft sich Volkspolizei und predigt Verbundenheit zu den Arbeitern. Zur Wahl soll der gehen, der sich noch verbunden fühlt. Das Schnellkommando fuhr wieder ab, ohne Personalien festzustellen.
Die Arbeit der katholischen Kirche in der Gemeinde Dreilützow, [Bezirk] Schwerin, wird durch Paketlieferungen des Caritasverbandes verstärkt. So erhielten einige Bauern 28 Pakete zur Verteilung zugesandt.25
In einer öffentlichen Versammlung in Lauta Dorf,26 [Bezirk] Cottbus, kam der Einfluss der Großbauern zum Ausdruck. Die Dorfgemeinschaft fand sich nicht mit der Aburteilung von drei Jugendlichen, die Hetzmaterial klebten, und mit der Aburteilung eines Bauern, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit 1945 verurteilt wurde, ab.
Übrige Bevölkerung
Die Diskussionen über politische aktuelle Tagesfragen sind weiterhin gering, aber überwiegend positiv. Die Beteiligung an den Versammlungen der Nationalen Front im Zuge der Vorbereitungen zur Volkswahl ist unterschiedlich, was größtenteils an der Vorbereitungsarbeit liegt. In den Diskussionen wird vorwiegend über wirtschaftliche Belange gesprochen.
Zum Beispiel wurde in einer Versammlung in Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg, über das Wohnungsproblem gesprochen. Dabei wurde von den Versammlungsteilnehmern der Genosse Heinrich Rau27 – stellvertretender Ministerpräsident – kritisiert, weil er sein Versprechen, dass er den Einwohnern 1952 gab, nämlich die bestehende Wohnungsnot der Regierung vorzutragen, damit eine Änderung herbeigeführt wird, nicht gehalten hat.
Größeren Umfang haben Diskussionen, die über wirtschaftliche Mängel und Schwierigkeiten geführt werden.
Große Unzufriedenheit wurde im Kreis Aschersleben, [Bezirk] Halle, durch den Sommerschlussverkauf hervorgerufen, da durch eine Anweisung der Abteilung Handel und Versorgung des Rat des Bezirkes verschiedene Artikel aus dem Sommerschlussverkauf herausgenommen wurden, obgleich diese laut Gesetzblatt für den Sommerschlussverkauf vorgesehen und preisgesenkt waren.28 Dadurch war z. B. zu verzeichnen, dass morgens ein Bekleidungsstück für DM 20,00 verkauft wurde und nachmittags wieder 38,00 DM kostete.
Im Kreis Pößneck, [Bezirk] Gera, beteiligten sich die Einzelhändler mit nur wenigen Ausnahmen nicht. Zwei Geschäftsleute äußerten dazu, dass sie bei der geringen Verdienstspanne nicht in der Lage wären, die Preise auf eigene Kosten zu senken.
In einigen Gemeinden des Kreises Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, herrscht unter den Rentnern eine schlechte Stimmung. So sagte z. B. ein Rentner aus Trusetal: »Wir Rentner bekommen 75,00 DM, die Bergmänner verdienen 500 bis 800 DM, dabei brauchen sie nur sechs Stunden zu arbeiten. Die politische Arbeit ist für sie Nebensache, sie sind nur darauf bedacht, viel Geld nach Hause zu bringen, um alles andere kümmern sie sich nicht. Dagegen kann man feststellen, dass gerade wir Rentner uns gesellschaftlich sehr betätigen, wir Rentner hoffen, dass hier bald eine Änderung eintritt.«
An den Besuchertagen der Krankenhäuser Berlin-Buch reichen die von der BVG eingesetzten Omnibusse nicht aus, den Verkehr zu bewältigen. Die zusätzlich bereitgestellten Wagen sind in einem sehr schlechten Zustand, sodass dauernd Pannen auftreten. Dieser Zustand dauert schon längere Zeit an und Westberliner äußerten sich, dass so etwas bei ihnen nicht vorkommt.
Wie der Klassenfeind bestehende Mängel zum Anlass nimmt, gegen unsere demokratische Ordnung zu hetzen, zeigt nachstehendes Beispiel: Eine Geschäftsinhaberin aus Erfurt äußerte, als sie einem Kunden eine Schachtel Zigaretten verkaufte, dass die Regierung nunmehr alles daransetze, um die Privatunternehmer kleinzubekommen. Jeden Tag müsse sie ihrer Kundschaft sagen, dass sie keine billigen Zigaretten habe, sie bekomme nur solche für 20 und 24 Pf. geliefert. Das könne sich kein Arbeiter leisten. Aber die Bonzen von der Partei und die Abgeordneten könnten gerade jetzt in den sogenannten Rechenschaftslegungen die Schnauze nicht voll genug nehmen über angebliche Erfolge, und dabei gäbe es nicht mal Zigaretten für 8 und 10 Pf. Wo bliebe da bloß der vielgepriesene Arbeiter- und Bauernstaat.
Folgende negative Einzelstimmen wurden bekannt:
Ein Händler aus Rhena, [Bezirk] Schwerin, sagte: »Lasst mich erst mal nach Westdeutschland kommen, da werde ich schon Propaganda gegen diese hier durchführen. Hier ist ja alles Lüge.«
Ein Arbeiter aus Neumühle, [Stadt] Schwerin (Neubürger),29 sagte: »Wir wollen Breslau wiederhaben. Ich sage nur Aushalten, Durchhalten, Maulhalten, und wenn es soweit ist, ranhalten! Im Westen wird was für die Flüchtlinge getan, sie haben ihre Vereinigungen und wir haben hier nichts.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:30 Erfurt 308, Dresden 3 500, Schwerin 500, Frankfurt 5 000, Rostock 26, Leipzig 510.
NTS:31 Frankfurt 6 093, Dresden 39.
Versch[iedener] Art: Dresden 129, Frankfurt 5 000, Potsdam 1 000.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Antidemokratische Tätigkeit: In einem Aufklärungslokal in Gauern, [Kreis] Gera, wurde ein Stalinbild mit einem Hakenkreuz beschmiert.32
Diversionen: In der Großkokerei vom Kraftwerk »Friedenswacht«, [Bezirk] Cottbus, wurde das Einspeisungskabel an ca. 15 Stellen mit einer spitzen Hacke beschädigt, Schaden: ca. 10 000 DM.
Gerücht: In Sohland an der Spree, Kreis Bautzen, [Bezirk] Dresden, sowie im Sanatorium Jonsdorf, Kreis Zittau, [Bezirk] Dresden, wird das Gerücht verbreitet, dass die Grenzposten der ČSR für die Ergreifung illegaler Grenzgänger hohe Prämien erhielten und deshalb deutsche Bürger vom deutschen Gebiet mit nach drüben nehmen.
Anlage vom 27. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2298
Einige Mängel in den Kampfgruppen einiger Berliner Betriebe
In den Kampfgruppen33 einiger Berliner Betriebe ist die politische und technische Ausbildung mangelhaft bzw. noch nicht erfolgt.
Im VEB Apparate- und Kesselbau Niederschönhausen hat noch nie eine Ausbildung der Kampfgruppe stattgefunden. Ebenso verhält es sich im VEB Berliner Wasser- und Entwässerungswerk, HO Industriewaren Prenzlauer Berg, VEAB Groß-Berlin, VEB Goldpunkt34 und VEB Hochbau Friedrichshain. In den letztgenannten drei Betrieben bestehen keine Kampfgruppenleitungen.
Im VEB Kälte ist die bisherige Ausbildung völlig unzureichend. Ähnlich verhält es sich im VEG Malchow.
Teilweise wird die technische Ausbildung von Mitgliedern der Kampfgruppen abgelehnt. Die Genossen der Kampfgruppe im Konsum Rittergutstraße sind nicht gewillt, sich einer Grundausbildung zu unterziehen. Ähnlich verhält sich die Mehrzahl der Genossen der Kampfgruppe im VEB Funkwerk Köpenick, die diese Übungen als »militärischen Drill« bezeichnen sowie einige Genossen der Kampfgruppe im VEB Chemie Grünau und verschiedene parteilose Mitglieder vom VEB Yachtwerft Köpenick.
Im VEB Transformatorenwerk Oberspree »Karl Liebknecht« erscheinen zu den politischen Schulungen nur wenige Mitglieder der Kampfgruppe. Die meisten lehnen eine Teilnahme mit der Bemerkung ab: »Das haben wir alles schon im Parteilehrjahr oder in anderen Schulungen gehört.«
Am Waffenunterricht nehmen alle Mitglieder teil.