Zur Beurteilung der Situation
4. Juni 1954
Informationsdienst Nr. 2225 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen steht die Durchführung der Volksbefragung.1 Die Diskussionen haben sich wieder etwas vergrößert, trotzdem ist der Umfang noch gering. Die bekannt gewordenen Stimmen sind zum überwiegenden Teil von Arbeitern und meist positiv. Man äußert sich meist in der Form, dass es für jeden Deutschen eine Selbstverständlichkeit sein muss, für den Frieden seine Stimme abzugeben. Ganz vereinzelt werden negative Diskussionen bekannt. Beispiele hierzu bringen wir im Anhang.
Über die Genfer Konferenz2 wird nur noch ganz gering gesprochen. Diese Diskussionen sind positiv und bringen zum Ausdruck, dass durch die Konferenz eine Entspannung der internationalen Lage erfolgen werde.
Der bestehende HO-Fleischmangel ist in verschiedenen Betrieben der Anlass zu negativen Diskussionen. Den Mangel an HO-Fleisch erklärt man sich damit, indem man sagt, »durch das II. Deutschlandtreffen muss alles nach Berlin geschafft werden«,3 oder man ist der Meinung, dass man »die Ereignisse des 17.6.1953 vergessen habe«.
Ein Arbeiter vom Vorrichtungsbau »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg: »Es steht in der Zeitung, dass 150 kg Bockwürste nach Berlin gehen. Man kann also nicht sagen, dass das II. Deutschlandtreffen keinen Einfluss auf die Fleischversorgung hat. Die Rationen in Berlin sind sehr hoch. Wenn die Regierung weiß, dass infolge Schweinepest eine Fleischverknappung eintritt, so hat sie durch Importe diese Lücken zu schließen. Ich bin der Meinung, es geht wieder abwärts.«
Ein Arbeiter von der VEB Schuhfabrik Paul Schäfer, Erfurt: »In den Privatgeschäften gibt es keine HO-Bockwurst mehr, das ist eine große Sauerei. Die haben schon wieder den 17. Juni [1953] vergessen. Aber wir leben ja im Juni.«
Vereinzelt versuchen Arbeiter, die der DDR gegenüber feindlich eingestellt sind, die Unstimmigkeiten, die in einzelnen Betrieben über die Normen u. a. bestehen, auszunutzen, um Diskussionen über den 17.6.1953 zu entfachen; dies tritt besonders im Bezirk Magdeburg in Erscheinung. Im Ernst-Thälmann-Werk Magdeburg4 wurde durch ungerechte Lohnauszahlungen und inkonsequentes Verhalten einiger leitender Personen der Werkleitung unter einigen Arbeitern Verärgerung hervorgerufen, worauf sich einige äußerten: »Wir haben uns im vorigen Jahr am 17. Juni unser Recht erkämpft und werden es auch in diesem Jahr wieder tun.«
Eine Kollegin aus der Materialbuchhaltung der DSU-Direktion Magdeburg, die bis zum Juni 1953 in der DHZ tätig war, äußerte sich zu Kollegen wie folgt: »Am 17.6.1953 haben wir bei der DHZ einen Scheiterhaufen gemacht und auf diesem Scheiterhaufen haben wir ein Stalinbild verbrannt. Der Parteisekretär wollte ja von den Kollegen wissen, wer das war, aber die Kollegen haben alle dichtgehalten. Ich habe einen Freund, dessen Vater hat ein Uhrengeschäft und selbst arbeitet er in einer Kreidefabrik. Dieser sagte zu mir; am 17. geht es wieder mal rund, die Arbeiter in den Fabriken sind schon ganz unruhig und es sieht auch schon mulmig aus.«
In einem Lokal in Coswig, [Bezirk] Dresden, diskutierten fünf Arbeiter der Bau-Union Dresden bei einem Trinkgelage über den 17. Juni. Ein Arbeiter sagte: »Der 17. Juni [1953] wird sich wiederholen und es ist bald soweit, ihr werdet schon sehen, was kommt.«
In dem VEB Waggonfabrik Ammendorf, [Bezirk] Halle, äußerten sich einige Kollegen wie folgt: »Es kommt ja bald der 17.6.[1954] und die drüben haben ja einen Feiertag,5 während wir keinen haben. Auch setzt man denen im Westen große Denkmäler, die am 17.6.1953 ihr Leben gelassen haben.«
Missstimmungen wurden uns aus verschiedenen Betrieben bekannt, die ihre Ursachen in Normen und Materialmangel haben.
Große Missstimmung herrscht im VEB Kranbau Eberswalde, Abteilung Montage über die schlechte Arbeitsorganisation und über das Fehlen von verschiedenen Teilen. (Dieser Zustand besteht schon ca. acht bis zehn Tage.) Ein Arbeiter äußerte: »Die Brigaden, die die schlechte Arbeit eingeplant haben, bekommen ihr Geld. Wir aber, die wir unsere Norm schon erfüllt haben, müssen auf Durchschnitt weiterarbeiten und bekommen demgemäß weniger Geld.«
Im VEB Waggonbau Niesky, [Bezirk] Dresden, herrscht in der Abteilung Güterwagenbau große Missstimmung über die Herabsetzung der Zeit für die Neuproduktion von Güterwagen. Die Arbeiter einer Brigade sind mit dem diktatorischen Festlegen der Normen nicht einverstanden. Ein parteiloser Stellmacher: »Wenn die Norm zu tief festgelegt wird, will ich eine andere Arbeit haben. Ich will ja noch leben und mich nicht totarbeiten.«
Aus dem VEB Werk III in Greiz, [Bezirk] Gera, wird berichtet, dass sich die Arbeiter weigern, ihre Normen technisch überprüfen zu lassen, besonders in der Hobelei und Dreherei. Ein Arbeiter äußerte: »Ihr macht solange, bis ihr wieder die Fresse vollkriegt.«
Auf einigen Baustellen in Jena, [Bezirk] Gera, werden folgende Forderungen gestellt: Einführung der Fünftagewoche, Bezahlung und Zulassung von Überstunden, Bezahlung von Trennungsgeld und Herabsetzung der Normen. Auf diesen Baustellen wird auch das Gerücht verbreitet, dass die Bauarbeiter des VEB Schlachthofes in Gera gestreikt haben.
Im VEB Presswerk Spremberg, [Bezirk] Cottbus, herrscht großer Materialmangel, sodass die Planerfüllung im Monat Mai nicht 100-prozentig erfüllt wurde. Bei Fortbestehen des Materialmangels besteht die Gefahr, dass eine Schicht entlassen werden muss.
Auf der Baustelle an der Staatsoper Berlin entrichteten nur zwölf von 160 Kollegen nach der Lohnzahlung am 21.5.1954 ihren FDGB-Beitrag. Als Begründung gaben sie an, dass es in der HO keine Butter mehr zu kaufen gibt.
Handel und Versorgung
Über eine unzureichende HO-Fleischversorgung berichten weiterhin die Bezirke Neubrandenburg, Potsdam, Halle, Magdeburg und Cottbus. In den Bezirken Leipzig, Dresden und Suhl ist eine geringe und im Bezirk Gera, wie schon berichtet, eine wesentliche Besserung eingetreten.
Verschiedentlich wird über eine mangelhafte Warenbereitstellung geklagt, z. B. fehlt es im Bezirk Neubrandenburg an genügend Fischwaren und im Kreis Bergen, [Bezirk] Rostock, an Bohnenkaffee. Im gleichen Kreis wird vonseiten der Gaststätten über eine schlechte Belieferung an Getränken Klage geführt. Dazu äußerte ein Direktor einer HO-Gaststätte: »… Es will nicht mehr klappen mit der Belieferung, es ist bald so als wenn jemand seine Hand im Spiel hätte. Immer muss man daran denken, dass bald wieder der 17. Juni [1953] kommt.«
In der Gegend von Rheinsberg, [Bezirk] Potsdam, wird von Urlaubern bemängelt, dass es keinen Bohnenkaffee, Tee und Bockwürste zu kaufen gibt und in Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, beklagen sich die Kurgäste, dass sie statt Butter, die ihnen zusteht, Butterschmalz bekommen.
Im Kreis Naumburg, [Bezirk] Halle, sind die Schlachthöfe voller Fleisch, weil die Abteilung Handel und Versorgung nicht für eine reibungslose Abnahme sorgt.
Landwirtschaft
Nach wie vor wird unter der Landbevölkerung wenig zu politischen Tagesfragen Stellung genommen, meist nur in den Kreisen des sozialistischen Sektors. Die Stimmen zur Genfer Konferenz sind fast ganz zurückgegangen. Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen steht die Volksbefragung. Die gering bekannt gewordenen Stimmen sind überwiegend positiv. Ein Genossenschaftsbauer der LPG »Jonny Schehr« aus Delitz,6 [Bezirk] Halle: »Die Volksbefragung ist ein harter Schlag gegen die Kriegstreiber. Wir Genossenschaftsbauern begrüßen den Beschluss der Volkskammer und werden mit allen Mitteln für den Frieden kämpfen.«
Ein Genossenschaftsbauer (DBD) aus Breitenau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Jeder Bauer muss erkannt haben, dass eine Entwicklung der Landwirtschaft nur im Frieden möglich ist. Deshalb müsste es für alle nur eine Frage geben, und zwar: Her mit dem Friedensvertrag und hinweg mit dem EVG-Vertrag.«7
Vereinzelt wurden negative Stimmen bekannt, meist von Einzelbauern. Ein Mittelbauer aus dem Kreis Dresden: »Ich lehne die Teilnahme an der Volksbefragung ab, weil man mich aufgrund meiner 25-ha-großen Wirtschaft nicht in die VdgB (BHG) gewählt hat.«
In der Mehrzahl werden Gespräche über wirtschaftliche Fragen geführt. Dabei steht verschiedentlich, wie z. B. im Bezirk Leipzig und Cottbus, die Futter- und Düngemittelfrage im Vordergrund.
Im Kreis Altenburg, [Bezirk] Leipzig, fehlt es vor allem an Kraftfutter für Kühe und Schweine und im Kreis Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, erfolgte die Belieferung von Stickstoffdünger erst zu 70 Prozent.
Im Bezirk Neubrandenburg ist auf den VEG durch die ungenügende Belieferung an Futtermittel für das 1. und 2. Quartal 1954 folgende Situation entstanden: Pro Schwein ist täglich ein Gewichtsverlust von 590 g zu verzeichnen, was bei dem Schweinebestand von insgesamt 89 282 Stück einen Verlust an Schweinefleisch von insgesamt 105,35 dz pro Tag ausmacht. Im gleichen Bezirk erfolgte im ersten Quartal 1954 die Belieferung an Läuferschweinen durch das Handelskontor für Zucht- und Nutzvieh, gemäß abgeschlossener Verträge, nur zu 41 Prozent.
Im Kreis Sonneberg, [Bezirk] Suhl, herrscht eine schlechte Stimmung unter den Vatertierhaltern, da ihnen die bisher übliche Senkung im Ablieferungssoll für das Füttern der Vatertiere gestrichen wird. Zum Beispiel hatte ein Bauer aus Hagthof8 eine gewisse Fläche Grünanlagen ablieferungsfrei, was durch die neue Maßnahme der BHG nicht mehr der Fall ist.
Negative bzw. feindliche Stimmen zu verschiedenen Problemen wurden nur vereinzelt bekannt. Ein Traktorist (bei einem Großbauern beschäftigt) aus Döbeltitz,9 [Bezirk] Leipzig: »Was wir hier bei uns in der DDR haben, ist alles andere, nur keine Freiheit. Man darf ja nicht einmal Rundfunk hören und Zeitung lesen wie man will. Das ist doch nicht etwa Freiheit.« Ein Großbauer aus Rößnitz,10 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »… Na es kommt auch bald wieder anders. Die Eiche im Dorf steht nicht umsonst dort.«
In einer öffentlichen Parteiversammlung in Gräfendorf, [Bezirk] Cottbus, sagte ein Kleinbauer in der Diskussion; dass die VEG in der DDR schön und sauber eingerichtet werden und die Junker, die bestimmt wiederkommen, finden dann schöne Güter vor. Als ihm klargemacht wurde, dass diese Ausbeuter nicht wiederkommen, äußerte der Sohn darauf: »Warum werden die Großbauern als Ausbeuter bezeichnet, wo doch die LPG auch welche sind.«
Der Vorsitzende der LPG Pützlingen, [Bezirk] Erfurt, äußerte gegenüber LPG-Mitgliedern: »Ihr müsst früh 6.10 [Uhr] aufstehen und die Wecksendung der Westsender hören, denn was die sagen, ist die Wahrheit.«
Übrige Bevölkerung
Nach wie vor wird unter der übrigen Bevölkerung wenig zu aktuellen politischen Fragen Stellung [genommen]. Während die Stimmen zur Genfer Konferenz nur noch ganz vereinzelt sind, wird jetzt mehr über die Volksbefragung gesprochen. Der Umgang hat sich jedoch im Vergleich zu den Vortagen nicht wesentlich verändert. In den bekannt gewordenen positiven Stimmen, meist von Hausfrauen, wird überwiegend zum Ausdruck gebracht, dass es für sie eine Selbstverständlichkeit ist, für den Frieden zu stimmen, da sie die Schrecken des Krieges zur Genüge kennen.
Eine Hausfrau aus Delitzsch, [Bezirk] Leipzig: »Ich werde bei der Volksbefragung als Erste meine Stimme für den Frieden abgeben, denn ich will nicht noch einmal die Schrecken eines Krieges erleben.«
Eine Hausfrau aus Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich habe im Krieg einen Sohn verloren. Deshalb hasse ich den Krieg. Alles will ich durchmachen, aber ja keinen Krieg wieder und deshalb gebe ich meine Stimme für den Frieden.«
Vereinzelt wurden negative Stimmen bekannt, aus den verschiedensten Bevölkerungskreisen. Ein Angestellter aus Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Volksbefragung ist Blödsinn. Man kann nicht über den Frieden abstimmen, weil man gar nicht weiß, wie sich die Zukunft gestaltet. Gegen die EVG stimmen, darf man auch nicht, da wir nicht beurteilen können, ob diese wirklich verkehrt ist.«
Ein Gastwirt aus Dermsdorf,11 [Bezirk] Erfurt: »Wozu Volksbefragung, die machen ja doch was sie wollen. Verteidigen der Heimat bedeutet Krieg und für Krieg bin ich nicht, denn dann komme ich nur ins Zuchthaus.«
Vereinzelte Diskussionen über die HO-Fleischversorgung wurden aus dem Bezirk Magdeburg und Cottbus berichtet. Zum Beispiel sagte ein Einwohner aus Spremberg, [Bezirk] Cottbus: »Das Fleisch ist nur knapp, weil alles zum Deutschlandtreffen gespeichert wird und die Arbeiter haben nichts zu fressen.«12
Eine Hausfrau aus Magdeburg: »Wo soll das bloß noch hinführen. Jetzt kriegt man nicht einmal mehr für teures Geld etwas zu essen. Nach dem 17. Juni [1953] war es doch wirklich besser geworden, aber man hat diesen Tag scheinbar wieder vergessen.«
Ein Fleischmeister aus Zudar, [Bezirk] Rostock: »Ich kann nicht verstehen, dass wir nicht selbst schlachten dürfen. Es wäre doch dadurch alles viel hygienischer. Ich muss zweimal in der Woche eine Strecke von 20 km fahren, um Fleisch zu holen. Im Sommer will das was heißen, wenn bei dieser Strecke das Fleisch auf offenem Lieferwagen liegt, vollgestaubt wird und der Sonne ausgesetzt ist. Ich kann nicht verstehen, dass hier der Rat des Kreises keine Änderung trifft.«
Im Bezirk Rostock wurde in breitesten Kreisen über die Trockenheit diskutiert: »dass es besser sei, sich jetzt schon mit Lebensmitteln einzudecken, um einer Hungerkatastrophe vorzubeugen«.
Vereinzelt wurden Stimmen bekannt, die auf einen neuen 17. Juni hinweisen. Ein Getreidehändler aus Günstedt, [Bezirk] Erfurt: »… Es kommt sowieso bald wieder ein neuer 17. Juni. Dann erfolgt die Abrechnung.«
Ein Einwohner aus Halle: »Der 17. Juni [1954] ist nicht mehr fern und zwar wird diesmal alles anders organisiert. Man munkelt, dass man das Deutschlandtreffen dafür nehmen wollte. Von der VP sind alle Vorbereitungen getroffen, denn sie haben Alarmstufe I und die Brücken werden schon wieder bewacht.«
Eine Hausfrau aus Falkenhagen, [Bezirk] Frankfurt: »Mein Junge, der Zimmermann auf einer Baustelle ist, sagte, dass es bei einer Wiederholung des 17. Juni [1953] diesmal anders kommen wird.«
Besondere Vorkommnisse
Am 3.6.[1954] herrschte im Bezirk Karl-Marx-Stadt ein schweres Unwetter mit Hagelschlägen. Dadurch sind Betriebsstörungen bei der Reichsbahn eingetreten.
Am 3.6.1954 ging in der Gemeinde Langenwolmsdorf, Kreis Sebnitz, [Bezirk] Dresden, gegen Mittag ein Wolkenbruch nieder. 20 Häuser stehen unter Wasser, sodass die Erdgeschosse geräumt werden müssen. (Die Felder stehen ebenfalls unter Wasser, der Schaden kann noch nicht übersehen [sic!] werden.)
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:13 Gera 3 000, Dresden 34.
KgU:14 Potsdam 100, Halle 65. Inhalt: Hetze gegen das Deutschlandtreffen.
NTS:15 Suhl 4 000, Cottbus 4 000, Erfurt 18, Halle 14, Dresden einige.
In tschechischer Schrift: Dresden 326, Halle 83, Gera 28.
»Freie Junge Welt«:16 Potsdam 4 500, Magdeburg 2 500, Dresden einige. Inhalt: Hetze gegen das Deutschlandtreffen.
In Karl-Marx-Stadt wurden 4 000 Flugblätter gefunden. Inhalt: Hetze gegen IV. Parteitag17 und die Berliner Außenministerkonferenz.18
Der größte Teil der Hetzschriften wurde mit Ballons eingeschleust und gelangte nicht in die Hände der Bevölkerung.
Eine Hetzparole wurde im Steinbruch »Leuschner« in Seußlitz, [Bezirk] Dresden, mit Ölfarbe angeschmiert. Inhalt: zum 17. Juni.
Ein gefälschtes Schreiben erhielt die Margarinefabrik Dommitzsch, [Bezirk] Leipzig, wonach sie 500 kg Margarine mit eigenem Fahrzeug in die Wuhlheide nach Berlin bringen soll.
Vermutliche Feindtätigkeit
Am 30.5.1954 brach in Dargersdorf, [Kreis] Templin, [Bezirk] Neubrandenburg, ein Waldbrand aus, der sofort gelöscht werden konnte. Am Brandort wurden trockene Äste in ca. 1 m Höhe aufgeschichtet entdeckt, wo der Brand angelegt wurde.
Einschätzung der Situation
Der Umfang an Gesprächen über politische Fragen ist nicht groß, nimmt aber allmählich zu. Zur Volksbefragung sind die Meinungen überwiegend positiv.
Zum II. Deutschlandtreffen besteht unter den Jugendlichen im Allgemeinen eine gute Stimmung. Dabei steht nicht die politische Bedeutung im Vordergrund, sondern die Freude auf die Veranstaltungen in Berlin.
Negative Erscheinungen haben einen geringen Umfang.
Die bestehende Unzufriedenheit über den Mangel an HO-Fleischwaren ist teilweise zurückgegangen.
Unzufriedenheit zeigt sich in einer Reihe von Betrieben in zunehmendem Maße besonders über Normfragen.
Auf dem Lande bereitet der Futtermangel immer noch Schwierigkeiten. Der Gegner benutzt weiterhin die Schwierigkeiten in der Wirtschaft zur Hetze für einen neuen »17. Juni [1953]«.
Der Umfang der feindlichen Flugblattabwürfe liegt zurzeit noch unter dem Durchschnitt der letzten Wochen.
Anlage vom 4. Juni 1954 zum Informationsdienst Nr. 2225
Stimmen zur Volksbefragung aus der Industrie
Eine Arbeiterin im VEB Textilwerk Elsterberg, [Bezirk] Gera: »Ich erhoffe mir von dem Beschluss der Volkskammer über die Durchführung einer Volksbefragung, im Ergebnis derselben, eine entscheidende Niederlage der imperialistischen EVG-Politik. Ich will auf keinen Fall einen neuen Krieg und werde zur Volksbefragung meine Stimme für den Frieden geben.«
Eine parteilose Arbeiterin aus Frankfurt/Oder: »Über diese Dinge muss keine besondere Propaganda gemacht werden, denn jeder Deutsche ist für den Frieden und gegen die EVG, wenn er sein Vaterland liebt. Das Aufstellen der Atomgeschütze19 zeigt doch schon die Pläne der Adenauer-Clique20 zur Zerstörung Deutschlands.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Fleisch- und Fettverarbeitung Berlin-Weißensee: »Ich war sieben Mal verwundet im Krieg. Ich habe genug davon, es ist selbstverständlich, dass ich meine Stimme für den Frieden abgebe.«
Ein Arbeiter aus der Flachsspinnerei Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es ist von großer Wichtigkeit, dass die Volksbefragung auch in Westdeutschland durchgeführt wird und nicht nur bei uns.«
Ganz vereinzelt wurden uns negative Stimmen bekannt.
Ein Arbeiter aus dem Eisenhüttenkombinat Frankfurt/Oder: »Die Fragen auf dem Stimmzettel sind so gestellt, dass nur eine Antwort möglich ist, nämlich Frieden. Gegenüber der Bevölkerung stellt man die EVG als Kriegsvereinigung hin, aber man kann ja nicht wissen, ob der EVG-Vertrag auch seine positiven Seiten hat.«
Ein Angestellter aus dem EKM Finow,21 [Bezirk] Frankfurt: »Es gibt auch im Westen Leute, die für den Frieden und die Ächtung der Atomwaffe sind, aber trotzdem der EVG zustimmen. Die ganze Volksbefragung ist eine Papierverschwendung, weil sie im Westen nicht öffentlich durchgeführt werden kann22 und demgemäß auch keine unmittelbaren Erfolge hat.«