Zur Beurteilung der Situation
30. August 1954
Informationsdienst Nr. 2300 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Über politische Tagesfragen wird nur sehr wenig diskutiert. Die Rechenschaftslegungen zur Vorbereitung der Volkskammerwahlen1 haben verschiedentlich nicht den gewünschten Erfolg, weil die Versammlungen zu schwach besucht sind und fast nicht über politische Probleme, sondern hauptsächlich über persönliche und wirtschaftliche Belange diskutiert wird.
In der Kammgarnspinnerei Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, diskutierten die Kollegen bei der letzten Rechenschaftslegung fast nicht über die Volkswahlen, sondern über die Renten, die ihnen zu niedrig erschienen und äußerten sich unzufrieden über die Wohnungsfragen. Mehrere Arbeiterinnen diskutierten in der Form, dass man vielleicht erst republikflüchtig werden müsste, um eine gute Wohnung zu bekommen.
In der Landskron-Brauerei Görlitz,2 [Bezirk] Dresden, fand eine Belegschaftsversammlung statt, in der ein Stadtverordneter Rechenschaft ablegte. Die Versammlung musste ohne Diskussion beendet werden. Am nächsten Tage diskutierten aber die Kollegen unter sich über diese Versammlung. Ein parteiloser Arbeiter äußerte: »Wir haben durch den 17.6.1953 gelernt, dass es keine freien Meinungsäußerungen gibt, denn die Leute wollen sich doch nicht abholen lassen. Die müssen es doch merken, wenn keiner etwas sagt.« Ein anderer Kollege aus diesem Betrieb brachte zum Ausdruck, dass in der DDR keine freie Meinungsäußerung wie im Westen ist. Im Westen kann jeder sagen, was er will und hier wird er gleich abgeholt.3
Durch die Spendensammlungen für die streikenden Arbeiter in Westdeutschland werden Diskussionen ausgelöst,4 wobei sich der größte Teil der Arbeiter mit den Streikenden solidarisch erklären. Ein kleiner Teil der Werktätigen äußert sich negativ zur Solidaritätsaktion für die Streikenden. Ein Arbeiter aus dem VEB Textima Leisnig, [Bezirk] Leipzig: »Wir unterstützen die streikenden Arbeiter in Westdeutschland und in der DDR hat man uns das Streikrecht genommen.5 Wir dürfen uns keinen Streik erlauben, obwohl unsere Löhne nicht in Ordnung sind.«
Ein Kollege aus dem VEB Stahlwerk Silbitz, [Bezirk] Gera, äußerte: »Ich darf hier auch nicht streiken, also unterstütze ich auch den Streik dort drüben nicht.«
Zum Übertritt von Dr. John6 und dem CDU-Bundestagsabgeordneten Schmidt-Wittmack7 und den stattgefundenen Pressekonferenzen8 wird nur sehr wenig gesprochen. Darüber berichten wir im Anhang.
Missstimmung herrscht in einigen Betrieben wegen Lohn- und Normfragen.
Unzufriedenheit über die Bezahlung besteht in der Abteilung Werkstatt des Zentralinstituts für Funktechnik in Berlin. Hier sind Kollegen vom Fernsehzentrum Adlershof, vom RFT-Funkwerk Köpenick und vom Zentralinstitut beschäftigt. Die letztgenannten Kollegen sind darüber unzufrieden, dass sie nicht ebenso wie die übrigen Kollegen nach Tarifen des Ministeriums für Schwermaschinenbau bezahlt werden, sondern niedriger. Infolgedessen hat bereits ein Kollege gekündigt.
Ein Heizer im E-Werk Weimar, [Bezirk] Erfurt, ist der Meinung, dass sein Lohn in Bezug auf die Preise zu niedrig sei. Er sagte: »Auf der einen Seite werden für die VP und die Intelligenz hohe Gehälter bezahlt, während man auf der anderen Seite für die Arbeiter nichts übrig hat.«
Unter den Bauarbeitern des Bauhofes Neuhaus, [Bezirk] Suhl, herrscht folgende Meinung, dass der Stundenlohn zu niedrig sei. Deshalb will ein großer Teil der Hilfsarbeiter versuchen, in einem anderen Betrieb sich Arbeit zu suchen, wo sie mehr verdienen und weniger Kleidung brauchen.
Aus der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock, wurde bekannt, dass in der letzten Zeit sehr viele Arbeiter die Arbeitsstelle verlassen, mit der Begründung, dass sie mehr verdienen möchten.
Im Stickstoffwerk Piesteritz, [Bezirk] Halle, äußerte sich ein Arbeiter am Ofen 9 wie folgt: »Die Arbeiter in Westdeutschland kämpfen um ihre Forderungen mit Recht. Aber auch wir müssen Forderungen stellen und zwar fordern wir eine Staubzulage in Höhe von 0,40 DM.«
In den VEB Baubetrieben Halle wandern ein Teil der Maurer und Bauarbeiter in die chemische Metallindustrie über, da sie dort höhere Grundlöhne bekommen.
Am 27.8.1954 haben acht Zimmerleute des VEB Holzbau in Hennigsdorf, [Bezirk] Potsdam, Baustelle Birkenwerder von 13.00 bis 15.00 Uhr die Arbeit niedergelegt, weil sie schon seit sechs Wochen ohne feste Arbeitsnormen arbeiten. Diesbezüglich wurde von den Zimmerleuten die Betriebsleitung unterrichtet, jedoch erfolgte keine Änderung. Zu erwähnen ist, dass während der Zeit der Arbeitsniederlegung keine negativen Diskussionen gegen die Regierung der DDR geführt wurden, sondern sie wollten nur ihre Forderungen bezüglich der festen Arbeitsnormen erfüllt haben. Nachdem die Betriebsleitung und ein Genosse der BPO mit diesen Kollegen gesprochen hatten, nahmen sie ohne Weiteres die Arbeit wieder auf.
Materialschwierigkeiten
Im Otto-Brosowski-Schacht,9 [Bezirk] Halle, besteht ein Mangel an Sauerstoff und Acetylen, außerdem fehlt es an Maschinenschrauben.
Im VEB Kema Görlitz,10 [Bezirk] Dresden, fehlen Kugellager der Type 51/318 für Kollergänge für Ziegeleianlagen, die vom VEB Walzlagerfabrik Fraureuth/Thüringen geliefert werden sollten. Die Ziegeleianlagen sind ein Auftrag für die Sowjetunion, der termingemäß bis zum 15.9.1954 zu liefern ist. Wenn der Betrieb den Liefertermin nicht einhält, wird ihm Konventionalstrafe11 auferlegt. Der Betrieb setzt sich außerdem der Gefahr aus, für 1955 keinen Auftrag von der Sowjetunion zu bekommen.
Produktionsstörungen
Im Tagebau Streckau, [Bezirk] Halle, musste infolge eines Erdrutsches die Produktion für fünf Stunden eingestellt werden, da die Fahrleitung und die Wasseranlage für die D-Lok zum Teil verschüttet war[en].
In der Brikettfabrik Gröizschen,12 [Bezirk] Halle, musste infolge eines Brandes in der Hammermühle die Brikettfabrik für drei Stunden ihre Arbeit einstellen.
Handel und Versorgung
In den Kreisen Kyritz und Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, lagern zurzeit 2 790 t Frühkartoffeln, für die keine Auslieferungsaufträge vorhanden sind. Durch längere Lagerung der Speisekartoffeln in Neuruppin sind 1 000 t in ihrem Wert herabgemindert und müssen jetzt in Speise-, Futter- und Industriekartoffeln aussortiert werden.
Mängel in der Versorgung: In den Bezirken Neubrandenburg, Erfurt und Dresden sind die Schwierigkeiten in der Versorgung mit HO- und Frischfleisch noch nicht behoben. Die Konsumverkaufsstellen in drei Gemeinden des Kreises Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt, erhielten insgesamt nur 60 kg Fleisch zugeteilt, wovon die Gemeinde Großengottern mit 3 000 Einwohnern 20 kg erhielt. Im Bezirk Neubrandenburg wurde der Verkauf von HO-Fleisch- und -Wurstwaren gesperrt, um die Versorgung mit Markenfleisch zu sichern, die durch die unzureichende Belieferung notwendig wurde. Infolge dieser angespannten Fleischversorgung wurde veranlasst, dass von sämtlichen VEG alle Schweine mit einem Gewicht von über 115 kg abgeliefert werden.
Zigarettenmangel besteht weiterhin in den Bezirken Halle, Karl-Marx-Stadt und Rostock.
Kartoffelmangel: In mehreren Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt ist die Belieferung mit Speisekartoffeln unzureichend. Die Ursache liegt oft an dem schlechten Zustand der Kartoffeln, sodass sehr viel Abfall entsteht und sie zum Teil als Futterkartoffeln verwendet werden müssen, wie z. B. ein Waggon von dem VEAB Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg.
Margarine und Fisch fehlen teilweise im Bezirk Halle. Butter, Eier teilweise in dem Bezirk Dresden. Obst und Süßwaren im Bezirk Rostock.
Landwirtschaft
Über Schmidt-Wittmack, die Streikbewegung in Westdeutschland und die Volkskammerwahlen wird weiterhin wenig diskutiert. Die Gespräche hierüber sind meistenteils positiv und werden vorwiegend in den MTS und LPG geführt. Negative Äußerungen zur Volkskammerwahl mit der Forderung nach Parteiwahlen werden immer wieder von bürgerlichen Kreisen und großbäuerlichen Elementen gemacht. Ein parteiloser Bauer aus Gahlenz, [Kreis] Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte: »Die Aufstellung der gemeinsamen Kandidatenliste ist dem Volk gegenüber nicht richtig, weil man dabei nicht wählen kann, wen man will.«
Bei den Rechenschaftslegungen im Kreis Calau, [Bezirk] Cottbus, stellten Bauern aus zwei Gemeinden die Forderung, den Nutzvieh-Handel abzuschaffen und dafür die »freie Mastwirtschaft« einzuführen.
Wenig Interesse an den Rechenschaftslegungen wird von der Bevölkerung im Kreis Pößneck, [Bezirk] Gera, gezeigt. In den Gemeinden des Kreises mit 429 bis 628 Wahlberechtigten haben nur 20 bis 30 Personen daran teilgenommen. In Steinbrücken z. B. musste die Versammlung wegen zu schwacher Beteiligung ausfallen. Dort sind nur sechs Personen erschienen. Als Begründung wird von der Landbevölkerung in diesem Kreis Folgendes geäußert: »Der Wahlvorgang ist ja gar keine Wahl, sondern nur eine Bestätigung der Wahlvorgänge.«
In einigen Kreisen des Bezirkes Magdeburg wird bei den Rechenschaftslegungen der Wunschanbauplan mit der Begründung abgelehnt,13 dass diese bei den Pflichtanbauplänen doch keine Berücksichtigung finden. Ein Bauer aus Wieblitz, [Bezirk] Magdeburg, sagte wie folgt: »Im nächsten Jahr mache ich keinen Wunschanbauplan. Der Rat des Kreises soll die Anbaupläne aufstellen, da sie sich doch nicht danach richten, was wir in unserem Wunschanbauplan aufsetzen.«
Unzufriedenheit über die Nichterfüllung der Verträge seitens der MTS herrscht unter den werktätigen Bauern in den Kreisen Zeulenroda und Lobenstein, [Bezirk] Gera, wo die Arbeit nur langsam und schleppend vor sich geht. Ebenso in den LPG im Kreis Weißenfels, [Bezirk] Halle.
In der Gemeinde Buhla, [Kreis] Worbis, [Bezirk] Erfurt, klagen die Bauern über die MTS Sollstedt, dass sie Dreschmaschinen erhalten, die nicht voll einsatzfähig sind.
In der MTS Westenfeld, [Kreis] Meiningen, [Bezirk] Suhl, ist großer Mangel an Reifen, Schläuchen und anderen Ersatzteilen, wodurch unter den Kollegen eine schlechte Stimmung vorherrscht.
Im Bezirk Cottbus wird aus fast allen Gemeinden über das Fehlen von Baumaterial für Reparaturen an Stall- und Wirtschaftsgebäuden Klage geführt.
Der VEAB Wolgast, [Bezirk] Rostock, bekam vom Staatssekretariat die Anweisung, den örtlichen Landwirtschaftsbetrieben keine Ware auf S 19814 abzunehmen, sondern nur für den einfachen Erfassungspreis. Bei dem Produktions- und Finanzplan wurden diese Mittel jedoch eingeplant und dadurch sind die ÖLB nicht mehr in der Lage, den Arbeitern und Angestellten ihren vollen Lohn auszuzahlen.
Der Leiter der Schweinemastanstalt Falkensee, [Kreis] Nauen, [Bezirk] Potsdam, teilte mit, dass die Kapazität dieser Anstalt nicht ausgelastet ist. Die augenblickliche Zahl der Schweine beträgt 1 400 Stück. Die Schweinemastanstalt hat aber eine Kapazität für 5 000 Stück Schweine. Der Betriebsleiter beklagt sich auch, dass er durch das VEG Handelskontor für Zucht- und Nutzvieh Potsdam seit März 1954 64 Schweine zur Mast geliefert bekam, obwohl das Handelskontor vertraglich gebunden ist, die erforderlichen Schweine zur Mast zu liefern. Bei Nichtabänderung des Zustandes ist der Betriebsplan gefährdet und es müssen in ca. acht Wochen Arbeiter entlassen werden.
Vom Leiter des Handelskontors für Nutz- und Zuchtvieh im Bezirk Gera wurde berichtet, dass den Schweinemastanstalten noch 14 000 Schweine bis zum Soll fehlen. Das Ministerium Land- und Forstwirtschaft hat jedoch im Juli 1954 eine Anweisung herausgegeben, wonach der Bezirk Gera ohne Berücksichtigung des Eigenbedarfes 2 000 Schweine an den Bezirk Suhl und 3 000 Schweine an den Bezirk Erfurt auszuliefern hat.
Übrige Bevölkerung
Über politische Probleme wird nur in geringem Maße gesprochen, jedoch sind die bekannt gewordenen Stimmen überwiegend positiv. Bei den Diskussionen über die Volkswahl wird noch immer, meist von Mitgliedern und Funktionären der bürgerlichen Parteien, gegen die Einheitsliste Stellung genommen. Es werden Parteiwahlen gefordert mit der Begründung, dass nur dadurch von einer demokratischen Wahl gesprochen werden kann.
Ein Mitglied des Ortsvorstandes der CDU aus Breitenbrunn, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Parteiwahl kann uns nur die politische Freiheit geben und eine Vereinigung Deutschlands kann nur auf der Grundlage der westdeutschen Bundespolitik für das deutsche Volk die Befreiung bringen.«15
In einer Sitzung des LDP-Kreissekretariats Potsdam äußerte ein Mitglied: »Unsere Regierung ist nicht demokratisch gewählt, sondern bestimmt worden. Dr. Loch16 und Dr. Dieckmann17 sind eingesetzte Leute und bezahlte Agenten.« Als ehemaliger Umsiedler sprach er sich außerdem noch gegen die Oder-Neiße-Grenze aus.
Zur Streikbewegung in Westdeutschland wird nur ganz vereinzelt Stellung genommen. Negativ dazu äußerte sich ein Einwohner aus dem Kreis Niesky, [Bezirk] Dresden: »Da möchten wir den Faulenzern dort drüben noch Geld spenden, damit sie weiter nichts zu machen brauchen. Warum streiken sie denn überhaupt? Wir möchten auch mehr Geld haben und dürfen nicht streiken.«
Umfangreicher sind die Diskussionen über wirtschaftliche Fragen. In letzter Zeit nehmen die unzufriedenen Stimmen, besonders von Rentnern, über die Lebenslage zu. So sagte z. B. ein Rentner aus Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Unsere Rente ist viel zu niedrig, wir können damit nicht auskommen. Man kümmert sich in der DDR viel zu wenig um die Rentner. Hingegen die evangelische Kirche in Schmalkalden gibt für die alten Rentner Mittagessen aus. Dadurch erreicht man, dass die Menschen zwangsmäßig für die Kirche gewonnen werden.«
Ein Rentner aus Leipzig äußerte: »Wir Rentner gehen hier langsam aber sicher kaputt. Wer kann schon mit 75,00 DM im Monat auskommen. Ich bin gespannt, wann die mal erhöht werden.«
Ein Arbeiter aus Kröpelin, [Bezirk] Rostock, sagte: »Ich verdiene 354 DM und bin gezwungen, während meines Urlaubs bei den Bauern zu arbeiten, um meine Familie zu erhalten. Die Lebensmittelrationen auf Marken reichen auch kaum zum Leben aus. Man sollte denen, die da oben sitzen und 1 000 DM erhalten, dann aber nach dem Westen abhauen, von ihrem Gehalt etwas abziehen und es den Rentnern geben.«
Im Kreis Zerbst, [Bezirk] Magdeburg, werden unter der Bevölkerung Diskussionen geführt, dass nach Bekanntgabe des neuen Kurses alle Lebens- und Genussmittel vorhanden waren18 und dass es seit April dieses Jahres laufend schlechter geworden ist. Es wird angenommen, dass die Ursache dafür eine schlechte Warenstreuung ist.
Im Kreis Langensalza, [Bezirk] Erfurt, wurden vom Rat des Kreises Steuerbescheide herausgegeben. Es handelt sich dabei um Nachzahlungen für das Jahr 1952 in Höhe von 600 DM bis 1 000 DM. Der Termin ist sehr kurzfristig gestellt, sodass es meist den Betroffenen (Hausschlächter, Eieraufkaufstellen u. a.) nicht möglich ist, den Termin einzuhalten. Darüber herrscht Verärgerung.
Aus dem Bezirk Gera wurde berichtet, dass bei der Verteilung der Sachspenden für die Hochwassergeschädigten19 keine Übersicht besteht. Zum Beispiel kam es vor, dass in der Zentralschule in Gera Personen Bekleidungsstücke erhielten, die nicht vom Hochwasser betroffen waren. Darüber werden heftige Diskussionen unter der Bevölkerung geführt.
Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:20 Halle 2 000, Gera 1 300, Magdeburg 600, Schwerin 40, Potsdam 8, Erfurt einige. Mehrzahl enthielt Hetze gegen den neuen Kurs.
KgU:21 Dresden 9.
FDP[-Ostbüro]: Halle 100 (Montagsecho).22
NTS:23 Potsdam 200, Halle 19.
[In] tschechischer Sprache: Karl-Marx-Stadt 300.
Im Bezirk Potsdam wurden ca. 3 000 Hetzschriften in Broschürenform mit dem Titel »Wuchersystem der SED« gefunden.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Antidemokratische Tätigkeit: In der Gemeinde Bahra, Ortsteil Böhla, [Bezirk] Dresden, wurden Plakate mit politischem Inhalt abgerissen (dies geschah schon mehrmals).
Vermutliche Feindtätigkeit
Von der Warnow-Werft Warnemünde, [Bezirk] Schwerin,24 wurden Streichbretter für Traktorenpflüge hergestellt und an MTS ausgeliefert. Bei diesen Streichbrettern stimmten die Bohrungen nicht mit dem Pflugkörper überein, sodass alle Bretter beim Zwischenfruchtanbau nicht verwendet werden konnten. Es besteht der Verdacht, dass die Bohrungen bewusst falsche Abmessungen hatten.
Anlage 1 vom 30. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2300
Stimmen zur Pressekonferenz mit dem CDU-Abgeordneten Schmidt-Wittmack
Stellungnahmen zur Pressekonferenz mit dem CDU-Abgeordneten Schmidt-Wittmack wurden nur in geringer Zahl bekannt, jedoch wird darüber in den verschiedensten Schichten der Bevölkerung überwiegend positiv gesprochen. In den Äußerungen wird zum Ausdruck gebracht, dass die Ausführungen Schmidt-Wittmacks, besonders in Bezug auf die Zusatzabkommen des EVG-Vertrages,25 sehr aufschlussreich waren.26 So sagte zum Beispiel ein Arbeiter aus dem Eisenmanganerzbau in Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Sehr aufschlussreich waren die Ausführungen des CDU-Abgeordneten in Bezug der EVG. Dass z. B. in der Bundesrepublik nicht wie ursprünglich vorgesehen waren 12, sondern 24 Divisionen aufgestellt werden sollen und weitere 24 Divisionen Reserve. Das zeigt ganz deutlich, dass der Imperialismus in Westdeutschland Angriffsabsichten hat.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Sternradio in Sonneberg, [Bezirk] Suhl: »Durch die Pressekonferenz mit Schmidt-Wittmack wurde Adenauer27 noch mehr in die Enge getrieben. Wie wird er nun auf die Enthüllungen der Geheimabkommen reagieren? Es wird verdammt unangenehm für ihn sein.«
Ein Angestellter vom VEB Bergmann-Borsig Berlin: »Man sieht, dass der westdeutsche Bundestag im Zerfall ist, die Ausführungen, die Schmidt-Wittmack auf der Pressekonferenz machte, werden nicht ohne Widerhall bleiben und es ist anzunehmen, dass noch mehr führende Politiker der Bundesrepublik den Rücken kehren und zu uns in die DDR kommen.«
Ein Angestellter vom VEB Möbelwerk Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Ich habe die Übertragung von der Pressekonferenz mit Schmidt-Wittmack gehört und bin von der Ehrlichkeit seiner Worte überzeugt. Es ist richtig, dass er sich von der Adenauer-Clique losgesagt hat. Wie ich feststellen konnte, waren die Pressevertreter sehr neugierig, hoffentlich schreiben sie auch die Wahrheit, damit die Menschen in den anderen Staaten endlich erkennen, wo der Weg Westdeutschlands hinführen soll.«
Ein Arbeiter der MTS Quedlinburg, [Bezirk] Halle: »Adenauer ist durch die Pressekonferenz restlos kompromittiert, da Schmidt-Wittmack als Angehöriger des EVG-Ausschusses das Vorhandensein von Geheimklauseln vor der Weltöffentlichkeit offenbart hat. Weiter ist ersichtlich, dass die ehemaligen Faschisten und Militaristen alle Fäden in Westdeutschland in den Händen haben.«
Ein Schneidermeister (parteilos) aus Folbern, [Bezirk] Dresden: »Ich habe die Pressekonferenz gehört, es wurde wieder sehr viel über die EVG-Klauseln gesagt. Adenauer wird natürlich wieder zu leugnen versuchen, aber es ist nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es eine Pleite ist, wenn Staatsfunktionäre sich aus der Bundesrepublik absetzen.«
Ein ganz geringer Teil der bekannt gewordenen Stimmen hegt Zweifel an den Ausführungen Schmidt-Wittmacks und sie lassen sich von den Gedanken leiten, dass es möglich sein kann, dass er genau wie John mit einem Auftrag in die DDR gekommen ist. So äußerte zum Beispiel ein Angestellter vom VEB Papierfabrik Antonsthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich kann den Begründungen Dr. Johns und Schmidt-Wittmack, die sie auf den Pressekonferenzen gaben,28 keinen rechten Glauben schenken. Ich nehme eher an, dass sie als Spitzel rübergekommen sind.«
Im VEB Feinmechanik in Sonneberg, [Bezirk] Suhl, wurde in Diskussionen zum Ausdruck gebracht, dass man Dr. John und den CDU-Abgeordneten trotz der Pressekonferenz nicht zu viel Vertrauen schenken soll. Man weiß nicht, mit welchem Auftrag sie zu uns geschickt wurden. Das wäre kein Misstrauen, sondern nur Wachsamkeit.
Anlage 2 vom 30. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2300
Äußerungen von Personen aus der DDR, die zu Besuch in Westdeutschland weilten, über ihre Eindrücke
Aus den verschiedensten Bevölkerungskreisen wurden Äußerungen von Personen bekannt, über ihre Reiseeindrücke, die sie in der Bundesrepublik sammeln konnten. In ihren Schilderungen über die Verhältnisse drüben heben sie hervor, dass zwar die Läden voll sind, aber die Käufer fehlen. Sie fehlen deshalb, weil die Kaufkraft weit niedriger als das Warenangebot ist. So sagte zum Beispiel ein Student aus Köthen, [Bezirk] Halle: »Ich war bei meinem Bruder in Wiesbaden. Er ist von Beruf Fleischer und war bis vor Kurzem ohne Arbeit. Drüben werden nur junge Kräfte bevorzugt, da für die verheirateten Kollegen höhere Löhne gezahlt werden müssen. Ich musste feststellen, dass zum Beispiel die Fleischerläden voll waren, doch es fehlte an Käufern, besonders an Arbeitern. Sie können sich nicht viel kaufen.«
Eine Kollegin von der MTS Neeken,29 [Bezirk] Halle: »Meine Verwandten bewohnen in einem ausgebauten Pferdestall zwei Zimmer. Bei Betrachtung der Preise musste ich feststellen, dass die Textilien zwar billig, aber die Lebensmittel und das Gemüse umso teurer waren. Ich muss sagen, dass diejenigen, die Geld haben, schön leben können, aber den Arbeitern geht es größtenteils nicht gut.«
Ein CDU-Mitglied aus dem Kreis Neuhaus, [Bezirk] Suhl, der mit einer Delegation drüben war, äußerte: »In Westdeutschland gibt es viele Arbeitslose. Selbst ein SPD-Abgeordneter sagte, dass er sechs Kinder habe und sich keine Butter leisten kann. Ich habe daraufhin für die sogenannten Ostzonenbewohner vier Pakete30 abgeholt und der KPD zur Verteilung übergeben.«
Eine Hausfrau aus Erfurt: »Ich bin ganz enttäuscht über die Verhältnisse drüben. Ich habe mich darüber informiert, was die Zeitungen für eine wüste Hetze gegen die DDR betreiben und lauter Unwahrheiten verbreiten. Was mir noch aufgefallen ist, ist, dass die Schaufenster voll sind, aber die meisten können sich nichts kaufen.«
Ein Zahnarzt der Betriebspoliklinik des VEB Kompressor in Oberschlema,31 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich habe festgestellt, dass es alles zu kaufen gibt. Auch werden viele Wohnungen gebaut und das Straßennetz kann als vorbildlich bezeichnet werden. Doch man darf sich von der blendenden Fassade nicht irreführen lassen. Ich habe mich besonders für die wirtschaftliche Lage meiner Berufskollegen interessiert. Ich musste feststellen, dass die Lage vieler Ärzte und Zahnärzte nicht gut ist.«
Ein Angestellter aus den Stahlwerk Gröditz, [Bezirk] Dresden: »In Westdeutschland bekommen die Arbeitgeber, welche viele Umsiedler in ihren Betrieb einstellen, von der Bonner Regierung eine Prämie. Je höher die Zahl der Umsiedler ist, dementsprechend fällt die Prämie aus. Auf diese Art werden viele unbequeme Arbeiter entlassen.«32
Ein Sportarzt aus Halle: »Auch in Westdeutschland gibt es Polikliniken wie bei uns in der DDR, aber wir sind ihnen weit voraus. Den Ärzten geht es größtenteils nicht gut und diejenigen, die keine Praxis haben, leben mit ihren Familien miserabel.«
Ein Mitglied einer Delegation, die im Kaliwerk Hansa bei Hannover weilte, äußerte: »Wir lernten die Not der Kumpels kennen. Wir wurden wiederholt um Zigaretten angegangen oder gaben Runden aus, weil die Kumpels sich das nicht leisten können. Interessant war auch für uns, wie sich der Betriebsrat zusammensetzt. Ihm gehören an, ein KPD-Genosse, drei Parteilose und die Übrigen sind Genossen der SPD. Der Genosse der KPD erhielt bei der Wahl die zweitmeisten Stimmen, so erzählten uns die Kumpels.«
In den negativen Stellungnahmen, die nur in einer ganz geringen Zahl vorliegen, werden die Verhältnisse in der Bundesrepublik verherrlicht. Eine Angestellte (parteilos) aus dem VEB »Klingenthaler Harmonikawerke«: »Das Leben ist drüben viel freier, man hört überhaupt nichts von Politik, während bei uns sich alles um Politik dreht. Der Verdienst bei den Angestellten ist genauso hoch wie bei uns und was hier als Luxus betrachtet wird, ist drüben eine Selbstverständlichkeit.«
Eine Jugendliche aus Langhammer,33 [Bezirk] Gera: »Ich habe bei meinem Besuch ein richtiges Bild von den Verhältnissen in Westdeutschland bekommen. Es gibt so viel zu essen wie jeder will, keiner braucht zu hungern. Die Arbeiter haben keinen Grund zum Streiken, sie tun es nur aus Habsucht und Gier. Ich habe mit einigen KPD-Mitgliedern gesprochen und herausbekommen, dass sie nur in die KPD gegangen sind im Falle, dass es einmal anders wird in Westdeutschland, dass sie dann gemachte Leute sind.«
Eine Angestellte des Landambulatoriums Panschwitz, [Bezirk] Dresden: »Wenn man nach dem Westen fährt und Geld mitnehmen will, muss man dieses in das untere Futter der Handtasche oder in den Hüftgürtel einnähen, so habe ich es auch gemacht. So kann man größere Summen mitnehmen. Meine Verwandten, die von drüben hier zu Besuch weilten, hatten Hartgeld mit Stoff überzogen bei sich.«