Zur Beurteilung der Situation
2. April 1954
Informationsdienst Nr. 2171 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen weiterhin betriebliche Fragen. Die Stimmen zum IV. Parteitag der SED haben in ihrem Umfang nicht zugenommen.1 Es wird verhältnismäßig wenig diskutiert. Von einem Teil der Werktätigen werden zu Ehren des IV. Parteitages Kollektiv- und Einzelverpflichtungen übernommen. Eine Brigade der Bohrabteilung II der Wismut2 bei Gera verpflichtete sich, den Jahresplan bis zum 5. Juli 1954 (Tag des Bergmannes)3 zu erfüllen. Die Kollegen des VEB Schuhfabrik Zwönitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, haben 53 Einzelverpflichtungen übernommen zur Verbesserung der Produktion und Steigerung der Arbeitsproduktivität.
Die Mehrzahl der Diskussionen, die aus allen Schichten der Werktätigen in der Industrie kommen, befasst sich mit wirtschaftlichen Fragen (Verbesserung der Lebenslage) und ein großer Teil hofft auf eine baldige Preissenkung. Über die politischen Aufgaben, die auf dem IV. Parteitag diskutiert werden, wird wenig gesprochen. Über den Rechenschaftsbericht des Genossen Walter Ulbricht4 sind zurzeit nur wenig Stimmen bekannt.5 Jedoch ist die Mehrzahl dieser Stimmen positiv. Dabei begrüßt man besonders die vorläufige Beibehaltung des Kartensystems6 und die Neuwahl der Volkskammer im Herbst 1954.7
Ein Arbeiter (parteilos) aus Suhl: »Aus dem Referat von Walter Ulbricht ist klar zu ersehen, dass die SED sich mit aller Kraft für die Einheit Deutschlands einsetzt. Ich weiß, dass unsere Regierung ihre ganze Kraft für die Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Lage hergibt. Ebenfalls ist es auch besser, dass die Lebensmittelkarten beibehalten werden, denn es gibt noch viele Arbeiter, mit größeren Familien, die noch 250 bis 300 DM verdienen, auch müssen wir an unsere Rentner denken. Für diese Menschen würde der Wegfall der Lebensmittelkarten bedeuten, dass sie für die Produkte mehr bezahlen müssten und mit ihrem Geld nicht alles kaufen könnten.«
Ein Schiffbau-Brigadier (parteilos) der Neptun-Werft Rostock: »Zur Beibehaltung des Kartensystems kann ich nur sagen, das ist richtig und das finden auch die anderen Kollegen.«
Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Zementwerk Steudnitz, [Bezirk] Gera: »Ich bin dafür, dass die Wahlen zur Volkskammer nicht nach einzelnen Parteien, sondern im Block durchgeführt werden.8 Sonst könnte bei uns auch ein solches Durcheinander losgehen, wie bei den Wahlen in Westdeutschland. Unsere Blockparteien haben doch bewiesen, dass sie am demokratischen Aufbau interessiert sind, welches auch ihre Arbeit an neuen Kurs unserer Regierung zeigt.«9
Ein Arbeiter aus Bad-Elster, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die im Herbst stattfindenden Wahlen begrüße ich, denn sie sind ein weiterer Schritt zur Erringung der Einheit Deutschlands.«
Ein Arbeiter vom VEB Kunstfaserwerk »Wilhelm Pieck« in Schwarza, [Bezirk] Gera: »Ich wünsche, dass der IV. Parteitag beschließen möge, dass als Antwort auf die Militarisierung Westdeutschlands auch bei uns eine Art Wehrpflicht eingeführt wird, damit wir dann auch stark genug sind.«10
Bei einem Teil der Arbeiter, stärker bei den Angestellten und der Intelligenz, zeigt sich eine abwartende und gleichgültige Haltung gegenüber den Fragen zum IV. Parteitag. Ein Schießmeister vom Wismut-Schacht 15b Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wir müssen erst abwarten, was der Parteitag bringt.«
Ein größerer Teil der Arbeiter vom VEB Simson,11 [Bezirk] Suhl, nimmt in den Diskussionen eine abwartende Haltung ein. Die Kollegen sind der Ansicht, dass man erst den Parteitag vorübergehen lassen muss, bevor man diskutieren kann.
Ein Teil der Arbeiter der Mechanischen Werkstatt des Karl-Marx-Werk in Magdeburg12 nimmt zum IV. Parteitag eine gleichgültige Haltung ein. Die Kollegen diskutieren fast kaum über die politische Bedeutung. Ein Dreher äußerte: »Der ganze IV. Parteitag ist uninteressant, ich will damit nichts zu tun haben.«
Negative und feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt und sie zeigen besonders den Einfluss der westlichen Propaganda. Verschiedentlich treten negative Elemente gegen die Ausführungen des Genossen Walter Ulbricht über die Beibehaltung der Lebensmittelkarten auf.
Ein Arbeiter vom VEB Baumwollspinnerei Tannenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ulbricht kündigte eine Preissenkung in diesem Jahr an, auch das Markensystem soll auf Wunsch der Bevölkerung weiter bestehen bleiben. Man hat eben nichts und man hat den Mund wieder einmal zu voll genommen.«
Ein Abteilungsleiter vom volkseigenen Betrieb in Eisenach: »Nun haben wir es ja gehört, erst haben sie die große Fresse, dass die Lebensmittelkarten wegfallen und jetzt können sie ihr Wort nicht halten. Die Arbeiter sind genug belogen worden. Man soll ihnen endlich die Wahrheit sagen.«
Ein Montagearbeiter (parteilos) vom VEB »Klement Gottwald« in Ruhla,13 [Bezirk] Erfurt: »Was geht mich der Parteitag an, da saufen und fressen die Bonzen mal wieder richtig. Sonst kommt ja sowieso nichts Vernünftiges dabei heraus.«
Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Porzellanwerk Hescho in Kahla, [Bezirk] Gera: »Trotz allem bin ich der Meinung, dass die Arbeiter doch nur ausgebeutet werden. Im sozialistischen Staat noch mehr als im kapitalistischen.«
Ein Rangierer vom Bahnhof Bützow, [Bezirk] Schwerin: »Vom Parteitag ist nicht viel zu erwarten. Die sollen lieber dafür sorgen, dass die Arbeiter mehr zum Leben bekommen. Auf die Lebensmittelkarten gibt es doch nur wenig, dass es zum Leben überhaupt nicht reicht. Im Westen lebt selbst der Arbeitslose besser als bei uns der Arbeiter.«
Ein Aufsichtsangestellter vom Bahnhof Lüssow, [Bezirk] Schwerin: »Von der Außenministerkonferenz14 war nicht viel zu erwarten und vom IV. Parteitag ist ebenfalls nichts zu erwarten. Mir ist egal, wer dort oben sitzt, ob Pieck15 oder Grotewohl16 oder Adenauer.17 Die sind ja alle gleich. Die Hauptsache ist nur, dass ich mein Auskommen habe.«
Empfang einer Delegation der DHZ Baustoffe zum IV. Parteitag
Am 30.3.1954 wurde eine Delegation, bestehend aus drei Personen, mit einer Grußbotschaft von der DHZ Baustoffe – Zentrale Berlin18 in die Werner Seelenbinder-Halle zum IV. Parteitag entsandt. Die Delegation wurde im Empfangsraum für Delegationen, ohne begrüßt zu werden, empfangen. Man nahm ihnen gleichzeitig die mitgebrachten Blumen und Grußadresse ab. Innerhalb einer kurzen Zeit wurden sie wieder verabschiedet. Die Mitglieder der Delegation äußerten, dass sie nach dieser Behandlung sehr skeptisch sind und dass sie die Art der Entgegennahme der Grußadresse an den IV. Parteitag nicht der Belegschaft berichten könnten, da die Belegschaft diese Art des Empfanges eventuell anders auslegt, als es erwünscht ist.
Über die Regierungserklärung der UdSSR vom 25.3.1954 werden von den Werktätigen in der Industrie nur wenige Diskussionen geführt.19 Die bekannt gewordenen Stimmen zur Regierungserklärung, welche aus allen Schichten der Werktätigen in der Industrie kommen, sind in der Mehrzahl positiv. Im Allgemeinen bringt man in diesen Stimmen zum Ausdruck, dass diese Erklärung eine neue Freundschaftstat der SU ist und einen weiteren Schritt zur Einheit Deutschlands darstellt. Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Wurzener Teppichfabrik, [Bezirk] Leipzig: »Die Beziehungen zwischen der SU und der DDR sind ein neuer Beweis der Freundschaft und der Hilfe, die das Sowjetvolk unserem deutschen Volk entgegenbringt. Dadurch hat die DDR jetzt völlige Handlungsfreiheit in jeder Beziehung. Dieser Beschluss der SU wird uns den Kampf um ein einheitliches und friedliches Deutschland erleichtern.«
Negative und feindliche Stimmen zur Regierungserklärung wurden nur wenig bekannt. Eine Arbeiterin (parteilos) vom VEB Chemiewerk Lauta,20 [Bezirk] Cottbus: »Die Russen sind jetzt ziemlich großzügig, was man aus den Zeitungen ersieht. In Wirklichkeit bestimmen sie aber doch weiter und machen was sie wollen.« Ein Arbeiter (parteilos) vom Kraftwerk Lauta, [Bezirk] Cottbus: »Die Russen hätten uns schon alles eher zurückgeben wollen. Dann wären wir jetzt viel weiter. Hoffen wir, dass es noch nicht zu spät ist.«
Produktionsschwierigkeiten bestehen im VEB Minimax in Neuruppin,21 [Bezirk] Potsdam, durch Mangel an Material. Desgleichen mangelt es an Arbeit auf der Warnow-Werft Warnemünde, [Stadt] Rostock. Dazu äußerte ein Arbeiter letzteren Betriebes: »Man hat hier auf der Werft keine Arbeit und ist gezwungen, aufs Land oder zur VP zu gehen.«
Unzufriedenheit besteht unter den Angestellten der Bau-Union Dresden, da zum 15.4.1954 300 Angestellte entlassen werden sollen.22
Landwirtschaft
Diskussionen über politische Tagesfragen werden unter der Landbevölkerung wenig geführt. Über den IV. Parteitag wurden nur in geringem Maße Stimmen bekannt, überwiegend positiv. Größtenteils sind es Stimmen von Arbeitern und Angestellten der MTS und VEG sowie von Mitgliedern der LPG. Äußerungen zum bisherigen Verlauf des IV. Parteitages wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Zum Teil werden Beschlüsse hinsichtlich der Einheit Deutschlands und zur weiteren Verbesserung der Lage auf dem Land erwartet.
Ein Bauer aus Lindenberg, [Bezirk] Frankfurt: »Nachdem, was man bisher vom IV. Parteitag hören konnte, setzt man sich sehr kritisch mit der bisherigen Politik auseinander. Hoffentlich bekommt man bald einen Überblick, welcher Art die Beschlüsse sein werden. Ich denke, dass man etwas für die baldige Herstellung der Einheit Deutschlands unternehmen wird.«
Ein LPG-Vorsitzender aus Möllendorf, [Bezirk] Magdeburg: »Ich erhoffe vom IV. Parteitag konkrete Vorschläge, wie der Kampf um die Herstellung der Einheit Deutschlands noch verbessert werden kann.«
Ein Bauer aus Wülfingerode, [Bezirk] Erfurt: »Ich bin der Meinung, dass auf dem IV. Parteitag Beschlüsse gefasst werden, die für uns Bauern eine große Hilfe sein werden.«
Zu den Ausführungen Walter Ulbrichts, dass im Herbst Volkskammerwahlen durchgeführt werden, äußerte sich ein Bauer aus Großbockedra, [Bezirk] Gera, negativ: »Na, wenn bei uns Wahlen durchgeführt werden sollen, dann hoffentlich anders als das letzte Mal.23 Dann werden wir ja sehen, wer gewählt wird.«
Zu Ehren des IV. Parteitages kommt es auch unter der Landbevölkerung zu Verpflichtungen. Die Mitglieder der LPG »Zum friedlichen Aufbau« in Prittitz, [Bezirk] Halle, verpflichteten sich, 25 000 kg Milch, 5 000 Stück Eier, 25 dz Schweinefleisch zum freien Verkauf zur Verfügung zu stellen. Die LPG in Griesen verpflichtete sich, ihr Halbjahressoll in tierischen Produkten und in Eiern vorzeitig zu erfüllen. Die LPG »Thomas Müntzer« in Rückersdorf, [Bezirk] Dresden, beschloss, das Fleischsoll für das Jahr 1954 bereits schon jetzt zu erfüllen und rückwirkend vom 1.1.1954 vom Typ 1 zum Typ 2 überzugehen.24
Zur Regierungserklärung der Sowjetunion vom 25.3.1954 wurden nur vereinzelt Stimmen bekannt, überwiegend positiv. Es wird zum Ausdruck gebracht, dass das ein erneuter Vertrauensbeweis der SU gegenüber der DDR ist. Ein Angestellter der LPG Putlitz, [Bezirk] Potsdam: »Die SU gibt uns die nationale Selbstständigkeit, dagegen steht in Westdeutschland das Besatzungsstatut. Das stellt ein Hindernis bei der Herstellung der Einheit Deutschlands dar.« Ein LPG-Vorsitzender der LPG Wilmersdorf, [Bezirk] Potsdam: »Die SU hat volles Vertrauen zur DDR. Wenn das nicht an dem wäre, hätte sie diesen Schritt nicht getan.«
Negativ dazu äußerte sich ein Bauer aus Kliestow, [Stadtkreis] Frankfurt: »Erst hat man uns das Land jenseits der Oder weggenommen und jetzt kommen wir zusammen mit anderen volksdemokratischen Staaten zu Russland.«
Negative bzw. feindliche Stimmen zu anderen politischen Problemen wurden nur in ganz geringem Maße bekannt. Ein Großbauer aus Thonhausen, [Bezirk] Leipzig, äußerte gegenüber einem Angestellten der VEAB: »Wenn es anders kommt, dann bist du der Erste, der von uns Dresche bekommt.« Ein Großbauer aus Alt Pokrent, [Bezirk] Schwerin, sagte: »Es gibt nur eins, was uns von dem Regime befreien kann und das ist, wenn es anfängt zu knallen.«
Weiterhin steht die Frühjahrsbestellung im Mittelpunkt des Interesses, deshalb wird mehr über wirtschaftliche Fragen diskutiert.
Über die unzureichende Futtergrundlage wurde aus dem Bezirk Dresden berichtet, dass im Kreis Bautzen von den benötigten 2 500 Tonnen Futtergerste bisher erst 30 Tonnen geliefert wurden (80 Rinder zum Teil wegen Unterernährung geschlachtet). Im Kreis Niesky äußerte ein Bauer: »Ich möchte bloß wissen, was wir füttern sollen, um das Soll in diesem Jahr zu erfüllen.«
Die LPG Frauenmark, [Bezirk] Schwerin, benötigt für die Frühjahrsbestellung noch ca. 200 dz Saatkartoffeln.
Im Kreis Doberan, [Bezirk] Rostock, mangelt es bei den BHG an Brikett zur Gegenlieferung von Pflanzkartoffeln. Dazu äußerte ein Angestellter der BHG Neubukow:25 »Wir haben noch 275 Tonnen Brikett zu bekommen, dadurch können wir den Bauern die Pflanzkartoffeln nicht abnehmen.«
Übrige Bevölkerung
Die Diskussionen zum IV. Parteitag haben an Umfang nicht zugenommen. Zum Rechenschaftsbericht des Genossen Walter Ulbricht wurden uns wenige Stimmen bekannt. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Verbesserung der Lebenslage. Die Beibehaltung der Lebensmittelkarten wird zum größten Teil von der übrigen Bevölkerung begrüßt, vereinzelt wird zum Ausdruck gebracht, dass man eine Erhöhung der Rationen erhofft. Die angekündigte Preissenkung wird in der Bevölkerung allgemein begrüßt.26 Über die politische Bedeutung des IV. Parteitages wird wenig diskutiert.
Eine Hausfrau aus Kamenz, [Bezirk] Dresden: »Ich bin der Meinung, dass dieser Vorschlag (Beibehaltung der Lebensmittelkarten) sehr gut ist. Man müsste die Sache so anfassen, dass die HO-Preise nach und nach den Kartenpreisen angeglichen werden und so praktisch die Lebensmittelkarten von selbst in Wegfall kommen.«
Eine Rentnerin aus Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Für uns als Rentner ist es am Besten, wenn man vorerst noch die Lebensmittelkarten behält. Denn so groß würde eine Preissenkung nicht sein und wir würden uns für unser Rentengeld noch weniger kaufen können.«
Eine parteilose Angestellte aus Beeskow, [Bezirk] Frankfurt, äußerte: »Ich denke, dass der IV. Parteitag sich vor allem mit solchen Fragen befassen wird, die für die Einheit Deutschlands von Bedeutung sind. Außerdem gibt uns die Erklärung der Regierung der Sowjetunion neue Möglichkeiten, mit Westdeutschland in Verbindung zu treten. Der Parteitag wird sich wohl vor allem mit Dingen befassen, die die Aktionseinheit der Arbeiter in Westdeutschland schneller herbeiführen werden.«
Eine Geschäftsfrau aus Werneuchen, [Bezirk] Frankfurt, äußerte: »Der IV. Parteitag der SED wird wesentliche Verbesserungen im Handelsapparat vorschlagen. Ich setze große Hoffnung auf eine Preissenkung, damit alle Teile der Bevölkerung, in erster Linie aber die Rentner, daran teilhaben können.«
Über die Regierungserklärung der UdSSR vom 25.3.1954 wird unter der übrigen Bevölkerung wenig diskutiert. Der überwiegende Teil der uns bekannt gewordenen Stimmen sind positiv. Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass die Regierungserklärung der Sowjetunion ein erneuter Freundschaftsbeweis ist. Ein Mitglied der NDPD äußerte dazu: »Jetzt kann es für jeden Menschen doch nichts anderes mehr geben, als aktiv für die jetzt bestehende Regierung zu kämpfen. Denn noch keine Regierung hat so viel für die einfachen Menschen getan.«
Nur ganz vereinzelt wurden uns negative bzw. feindliche Äußerungen bekannt. Eine Angestellte der Deutschen Notenbank aus Weimar äußerte: »Was soll denn bloß in Berlin herauskommen? Man braucht sich ja nur einmal die Funktionäre anzusehen. Grotewohl war Buchbinder und Ulbricht war in einem Hurenhaus in Leipzig.«27
Ein Einwohner aus Mutzschen, [Bezirk] Leipzig: »Der IV. Parteitag fasst bestimmt den Beschluss, die Wehrpflicht auch in der DDR einzuführen.«
Aus Kreisen der CDU-Mitglieder aus Meiningen, [Bezirk] Suhl, wird nach Angaben des 1. Kreissekretärs der CDU darüber diskutiert, dass nach dem IV. Parteitag die Blockpolitik wegfällt und die SED die alleinige Führung übernimmt.
Ein Fuhrunternehmer aus Greiz, [Bezirk] Gera, äußerte sich zur Regierungserklärung der UdSSR wie folgt: »Es wird sich noch beweisen, welches Wirtschaftssystem das Bessere ist, das der Russen – oder das von Amerika. Die Russen können nie unsere Freunde sein, denn sie haben 2,8 Mio. Deutsche umgebracht. Ich werde auch nie vergessen, dass sie mir vor dem 17.6.[1953] die Lebensmittelkarten abgenommen haben. Unser Verbündeter kann nur der Westen sein.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:28 Cottbus 1 700, Karl-Marx-Stadt 835, Schwerin 600, Frankfurt 500, Dresden 315, Potsdam 80, Gera 70, Halle 1 600. Inhalt: Hetze gegen die Regierung der DDR, SED, »Freie Wahlen«.
NTS:29 Karl-Marx-Stadt 14 230, Frankfurt 10 100, Potsdam 5 000, Cottbus 4 000, Dresden 55. Inhalt: Hetze gegen die Sowjetunion, Aufforderung zur Teilnahme an einer Versammlung am 6.4.1954 in Berlin (Funkturm).
KgU:30 Karl-Marx-Stadt 480, Potsdam 200, Gera 17. Inhalt: Hetze gegen Regierung der DDR, SfS, »Freie Wahlen«.
CDU-Ostbüro: Potsdam 3 500. Inhalt: Hetze gegen Viermächtekonferenz.
FDP:31 Erfurt 60. Inhalt: Hetze gegen Genossen Molotow,32 »Freie Wahlen«.
In Berlin wurden 14 000 Hetzschriften gefunden, meist von der NTS, ein kleiner Teil vom »Arbeiter- und Bauernaktionsausschuss Elbe« und von [der] »Aufklärungsgruppe Trotzki«. Außerdem wurden Flugblätter gefunden, in denen zur Teilnahme an einer Versammlung am 6.4.1954 um 18.30 Uhr in der Funkturmhalle aufgefordert wird.
Am 1.4.1954 wurden in einem S-Bahnwagen zwischen Velten und Oranienburg 120 Hetzbriefe aufgefunden. Sie sind gerichtet an Bewohner der Randgebiete von Berlin.
Terror: Am 21.3.1954 wurde eine FDJ-Funktionärin in Genshagen, [Bezirk] Potsdam, von unbekannten Tätern überfallen und geschlagen.
Antidemokratische Handlungen: Am 1.4.1954 wurden im Bezirk Dresden acht Plakate zum IV. Parteitag, in Potsdam in der Stalinallee sämtliche Plakate abgerissen.
Gefälschte Schreiben: wurden an einige MTS im Bezirk Neubrandenburg geschickt. Sie werden darin aufgefordert, Ersatzteile für landwirtschaftliche Maschinen vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft in Berlin abzuholen bzw. zu bestellen. Ein anderes Schreiben ist an die HO-Kreisbetriebe Neubrandenburg gerichtet und danach sollen sie Abschriften von Übergabeprotokollen von Kiosken, die an das MdI abgegeben wurden, an die Finanzabteilung des MdI Berlin schicken.
Am 31.3.1954 wurden bei vier Loks des RAW Stendal, [Bezirk] Magdeburg, Schrauben und Muttern im Zylinder gefunden.
Im VEB Ostsachsendruck Görlitz, [Bezirk] Dresden, wurde eine Unterschriftensammlung zur Revidierung der Oder-Neiße-Grenze vorbereitet. Der Umlauf der Liste konnte verhindert werden.
Vermutliche Feindtätigkeit
Am 1.4.1954 brannten Wohnhaus, Scheune und Stallungen eines Neubauern im Kreis Schleiz nieder. Der Schaden beträgt ca. 15 000 DM. Ursache noch nicht geklärt.
Westberlin
Die faschistischen Jugendorganisationen und Agentenzentralen Westberlins (BDJ,33 KgU) treffen Maßnahmen zur Störung des II. Deutschlandtreffens der FDJ.34 So werden Plakate geklebt, in denen die Westberliner aufgefordert werden, Quartiere für Jugendliche aus der DDR bereitzustellen. Außerdem wird eine Hetzzeitung »Die Freie Deutsche Jugend« herausgegeben.
Stimmung in der Stummpolizei:35 Vor einigen Tagen betranken sich vier Angestellte aus der Abteilung K 536 mutwillig, um aus dieser Abteilung versetzt zu werden.
Auf einer Versammlung der republikanischen Partei37 in Charlottenburg, wo 24 Personen anwesend waren, wurde im Referat u. a. erklärt, dass die RP mit dem Berufsbeamtentum und der Einstellung der 131er in den Senat nicht einverstanden ist.38 Die durchgeführte Paketaktion für die Bevölkerung der DDR wurde vom Referenten als »politische Aktion des Senats« bezeichnet und abgelehnt.39
Die Arbeitsgemeinschaft politischer Flüchtlinge im Landesverband der SPD, Kreis Kreuzberg, führt vor Kurzem eine Versammlung der Flüchtlinge, Heimkehrer und Heimatvertriebenen durch,40 wo von 800 Eingeladenen 100 bis 120 Personen anwesend waren. Der Referent, Bürgermeister Kressmann41 wandte sich u. a. gegen die EVG,42 sprach sich jedoch für eine Volksarmee zur Sicherheit des deutschen Volkes aus. Des Weiteren führte er aus, dass es falsch sei »mit Gewalt gegen den Osten vorzugehen. Wir haben acht Jahre gewartet und müssen noch weiter warten, denn auch unter den Satelliten-Staaten der Sowjetunion werden sich noch viel selbstständige Titostaaten43 bilden«. »Wenn wir einen zweiten 17. Juni [1953] organisieren wollen,« sagte Kressmann weiterhin »wäre dies kein Problem, aber das entwickelt sich von selbst, denn die Bürger können im Osten diese Unterdrückung nicht ertragen«.
Einschätzung der Situation
Aus den ersten Meinungsäußerungen zum Rechenschaftsbericht des Genossen W. Ulbricht, aus den Betrieben und der übrigen Bevölkerung ist zu ersehen, dass den Ausführungen überwiegend zugestimmt wird. Besonders hinsichtlich der Beibehaltung der Lebensmittelkarten, der Neuwahl der Volkskammer und der noch in diesem Jahr geplanten Preissenkung. Über die politische Bedeutung des Parteitages wird noch wenig gesprochen. Der Umfang der Diskussionen ist noch verhältnismäßig gering, ganz besonders auf dem Lande. Über das Referat des Genossen H. Matern44 wird noch nicht gesprochen.45 Der Umfang der negativen und feindlichen Diskussionen ist weiterhin gering. Die feindliche Flugblattverbreitung hat zugenommen.
Anlage 1 vom 2. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2171
Feindtätigkeit
»Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen«46 gegen unsere Planwirtschaft (»Informationsbrief« Nr. 47)47
Der Gegner beabsichtigt, unseren planmäßigen Aufbau zu stören und dadurch die Versorgung der Bevölkerung zu sabotieren. Deshalb werden vom »Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen« die Fachleute, »die trotz politischer Unzuverlässigkeit« leitende Positionen in der volkseigenen Wirtschaft einnehmen, aufgefordert, die Maßnahmen und Anordnungen unserer Regierung recht bürokratisch durchzuführen und eine Verantwortung in allen nur möglichen Fällen abzulehnen. Gleichzeitig wird beabsichtigt, zur Bewältigung der durch diese Bürokratie zusätzlich anfallenden Arbeiten wertvolle Arbeitskräfte dem Produktionsprozess zu entziehen. Das Gleiche versuchen sie auch in der Landwirtschaft. In einem Flugblatt unter dem Titel: »Welchen Weg geht Ihr?«, das durch die Post verschickt wird, werden die Beauftragten der Erfassungsorgane aufgefordert, »sich nicht gegen die Bevölkerung auf dem Lande von der SED missbrauchen zu lassen« und bei der Erfassung die »Schwierigkeiten« der einzelnen Bauern zu berücksichtigen. Weiterhin werden sie aufgefordert, sich in allen Fragen an den »Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen« zu wenden. Der »Untersuchungsausschuss« droht denjenigen, die »im Sinne der SED« handeln, mit der Registrierung und späteren Veröffentlichung ihrer Namen.
Aufforderung an Grenzpolizisten, Entpflichtungen einzureichen
Von der KgU werden Briefe versandt, die an Soldaten und Offiziere der Grenzpolizei gerichtet sind und die Grenzpolizisten auffordern, ihre Entpflichtung einzureichen und Befehle nicht durchzuführen. Den Briefen ist eine als FDGB-Mitgliedsbuch getarnte Anleitung zur Übertreibung von Leiden und zur künstlichen Herbeiführung von Krankheiten beigefügt, um die Grenzpolizei an der ordnungsgemäßen Durchführung der Dienstobliegenheiten durch vorgetäuschte Krankheiten zu verhindern [sic!].
In einem an die KVP48 gerichteten Flugblatt mit dem Titel: »Bluthunde« werden die Angehörigen der KVP unter der Parole: »Wir kennen nur ein Ziel, das heißt Zivil« aufgefordert, im Urlaub die Uniform nicht zu tragen und Verbindungen mit der Außenwelt aufzunehmen.
Reaktion der Sozialdemokratie auf die Kampfansage gegen den Sozialdemokratismus in der SED49
In den vom Ostbüro der SPD versandten Briefen mit dem »Sozialdemokrat«50 und einem »Sonderdruck zum IV. Parteitag – der IV. Parteitag und der Kampf gegen den Sozialdemokratismus« kommt zum Ausdruck, dass diese Kampfansage eine Unruhe bei der Sozialdemokratie hervorgerufen hat, auf die sie mit übler Hetze gegen die SU, die DDR und die Funktionäre der SED antworten. Alle sozialdemokratisch eingestellten Personen werden aufgefordert, sich nicht an SED- oder FDGB-Versammlungen zu beteiligen und sich unter der Fahne der Sozialdemokratie zusammenzuschließen.
Anlage 2 vom 2. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2171
Stimmen aus Westberlin zum IV. Parteitag der SED
Ein Bauarbeiter aus Westberlin – beschäftigt bei der Baufirma Stapf Berlin-Tempelhof – erklärte: »Was bedeutet für uns der IV. Parteitag, wir arbeiten jetzt in Schöneberg beim Deckenabriss und haben keine Zeit, um Politik zu treiben. Wir müssen Überstunden machen und haben nichts davon, denn wir kommen gleich in eine andere Lohnstufe. Wir haben nur 20 Minuten Mittagspause und niemand spricht vom Parteitag. Es wird nicht einmal von der Brotpreiserhöhung51 gesprochen.«
Ein ehemaliger Oberpostrat aus Berlin-Zehlendorf erklärte: »Nach meiner Meinung hat Ulbricht wieder ganz schön auf den Klotz gehauen und man kann Ulbricht mit Molotow auf der Viererkonferenz vergleichen. Es ist alles gut gemeint, aber wir Westler, die wir uns nicht mit der großen Politik beschäftigten, können die Sprache, die Ulbricht spricht, nicht verstehen. Wir sehen darin kein Entgegenkommen, im Gegenteil, wir Deutschen kommen immer mehr auseinander. Wir können uns nicht vorstellen, dass wir unter diesen Voraussetzungen jemals wieder zusammenkommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich der Westler diese langen Reden anhört.«
Arbeitslose auf einem Arbeitsamt in Westberlin äußerten: »Die Berichterstattung in der Westberliner Presse ist zum IV. Parteitag sehr mangelhaft. Der DDR ist es unmöglich, die Lebensmittelkarten aufzugeben, solange Berlin und Deutschland geteilt sind. Außerdem käme es durch den Schwindelkurs zum Ausverkauf im demokratischen Sektor. Die DDR wird gezwungen sein, nationale Streitkräfte aufzustellen, wenn der Westen eine Wehrmacht aufbaut.«
Die Diskussionen zum IV. Parteitag nehmen in Westberlin keinen breiten Rahmen ein und es sind nur vereinzelte Diskussionen bekannt, aus denen hervorgeht, dass bei den meisten Diskussionen die Frage der Beibehaltung der Lebensmittelkarten und die Preisgestaltung der HO im Vordergrund steht. Im Allgemeinen ist eine abwartende Stimmung zum IV. Parteitag zu verzeichnen.
Anlage 3 vom 2. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2171
Stimmen zum IV. Parteitag der SED aus dem demokratischen Sektor von Groß-Berlin
In den bekannt gewordenen Stimmen wird meist zur Beibehaltung der Lebensmittelkarten Stellung genommen. Ein Teil stimmt diesem Vorschlag zu, da nach ihrer Meinung die Abschaffung der Lebensmittelkarten mit einer Preiserhöhung verbunden gewesen wäre. Mehrfach wird auch zum Ausdruck gebracht, dass die Rationen im [sic!] Fett und Fleisch erhöht werden müssten. Nachfolgend einige Beispiele:
Drei Verwaltungsangestellte äußerten in einer Unterhaltung, dass es gut sei, wenn die Lebensmittelkarten bleiben, um das jetzige Preisniveau zu halten und den Werktätigen, die weniger verdienen, die Lebensmittel zu sichern.
Ein Ingenieur vom Sonderbaustab Stalinallee äußerte in einer Unterhaltung, dass die Bauarbeiter in der Stalinallee auch darüber diskutieren. Sie sind mit der Beibehaltung der Marken einverstanden aber die Zuteilung an Fett und Fleisch müsste sich erhöhen. Bei Fett sagten die Bauarbeiter ungefähr ein Kilo mehr im Monat.
Ein Angestellter äußerte, dass es gut sei, wenn die Lebensmittelkarten beibehalten werden. Er begründete dies folgendermaßen: »Ein Pfund Butter auf Marken kostet 2,00 DM und in der HO 4,00 DM. Also müsste, wenn die Marken wegfallen, das Pfund 3,00 DM kosten. Wenn wir einen Vergleich zu Westdeutschland anstellen, wo keine Karten mehr vorhanden sind, so liegen die Preise viel höher als bei uns auf Marken, das Zugeteilte aber reicht einigermaßen.«
Mehrere Angestellte und Arbeiter der DHZ Kraftstoff und Mineralöle unterhielten sich über den IV. Parteitag. Die Beibehaltung der Karten wird allgemein begrüßt, weil die Abschaffung mit Preiserhöhungen verbunden wäre. Dadurch würde die Lage der Arbeiter mit kleinerem Einkommen verschlechtert. Vorgeschlagen wird, die Vereinheitlichung der Kartengruppen bei Beibehaltung von Zulagen für besonders schwere oder gesundheitsschädliche Arbeit durch den Betrieb. Weiterhin wurde die Befürchtung ausgesprochen, dass bei Abschaffung der Karten und einer Preisangleichung große Mengen Lebensmittel nach Westberlin abwandern.
Der Planungsleiter vom Amt für Wasserwirtschaft Berlin äußerte, dass er die Beibehaltung der Lebensmittelkarten für richtig halte. Es wäre sehr vernünftig, die Karten vorläufig noch nicht abzuschaffen, denn dies ist ja sogar eine Besserstellung, weil wir52 auf diese Weise die Lebensmittel zu billigen Preisen kaufen können. Wenn die Karten wegfallen würden, müsste zumindestens ein Ausgleich in einer Preiserhöhung erfolgen.
In der S-Bahn diskutierten zwei Arbeiter über den Rechenschaftsbericht des ZK. Sie stimmten zu, dass die Karten noch nicht abgeschafft werden, da sonst das Fleisch teurer würde und Rentner sich wesentlich weniger kaufen könnten.
Der Inhaber eines Seifengeschäftes in der Jennerstraße:53 »Ein Glück, dass die Karten noch bleiben, denn wenn die Preise steigen würden, wäre es schrecklich.«
Eine Dekorateurin vom Konsum: »Mir ist es lieber, dass die Karten bleiben. Die Hauptsache, eine Preissenkung für andere Dinge wird bald durchgeführt, damit man sich etwas mehr anschaffen kann.«
Eine Genossin aus Weißensee äußerte, dass die Grundkarten aufgebessert werden müssten. Sie brachte weiterhin zum Ausdruck, dass die Menschen Angst vor der Aufhebung der Lebensmittelkarten hätten. Beim Austeilen der Lebensmittelkarten hätte sie von mehreren Mietern zu hören bekommen, bloß nicht die Karten abschaffen, damit die Preise nicht steigen.
Der Leiter des volkseigenen Organisationsbetriebes – National – äußerte, dass man darangehen müsse, eine Verbesserung in der Belieferung der Karten vorzunehmen, um zu einer einheitlichen Karte zu kommen.
Ein anderer Teil der Bevölkerung bringt eine gewisse Enttäuschung über die Beibehaltung der Lebensmittelkarten zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang werden auch negative Äußerungen getan. Ein Verwaltungsangestellter brachte zum Ausdruck, dass er nicht verstehen könne, dass die Lebensmittel nicht auf das Niveau von Westdeutschland gebracht werden können, auch dass die Lebensmittelkarten nicht abgeschafft werden, nachdem Walter Ulbricht schon vor Langem auf dieser Basis gesprochen hat.54
In einer Zeitungsschau unter Angestellten wurde vorwiegend über die Beibehaltung der Lebensmittelkarten diskutiert. Die Preise müssten gesenkt werden und die Abschaffung der Lebensmittelkarten sollte schon Ende 1953 vorgenommen werden, waren die Hauptdiskussionspunkte.
Zwei Angestellte unterhielten sich in der Straßenbahn folgendermaßen: Es wäre irreal, die Preise in Westdeutschland den bewirtschafteten Waren der DDR gegenüberzustellen, da zzt. noch ein großer Teil nach der Preisbasis der HO gekauft werden müsse. Es wurde die Meinung vertreten, dass man die Preise der HO mit den Preisen in Westdeutschland vergleichen müsse.
Eine Stenotypistin – beschäftigt beim Magistrat von Groß-Berlin – diskutierte wie folgt. Die Preise der eingekauften Lebensmittel und Bedarfsgüter für einen Monat oder ein Vierteljahr auf Karten und von der HO zusammennehmen, und dann mit denen in Westdeutschland vergleichen, würde man zu einem realen Preisvergleich kommen.
Eine ältere Frau äußerte im Speiserestaurant Simon-Dach-Straße: »Die würden schon gerne die Karten abschaffen, aber dann würden sie sich dem Westen gegenüber lächerlich machen und könnten nicht mehr über die Preissteigerung hetzen.«
Ein Zigarrenhändler in der Bersarinstraße: »Der ganze Parteitag ist eben ein Reinfall. Erst wurde versprochen, die Karten abzuschaffen, jetzt behalten wir sie vielleicht noch ein Jahr.«
Ein Genosse, Sektorenleiter für Informationen im Büro für Deutsche Gewerkschaftseinheit, äußerte: »Die Begründung für die Beibehaltung des Kartensystems ist zu schwach.« Er möchte unter anderem auch gerne wissen, wie Genosse Walter Ulbricht im Rechenschaftsbericht zu der Erklärung kommt, dass die Durchschnittslöhne der Industriearbeiter in der DDR um rund 4 Prozent höher als in Westdeutschland sind.55 Er erklärte, gemäß der westdeutschen Zeitschrift: »Wirtschaft und Statistik« liege der westdeutsche Wochendurchschnittsverdienst der Industriearbeiter im Jahre 1953 bei 47,9 Stunden, bei 77,87 Westmark. Im Monat November sogar bei 80,00 Westmark.56 Im Rechenschaftsbericht des ZK würde aber für die DDR ein Monatsdurchschnittsverdienst von 339 DM angegeben.57
Nur ganz vereinzelt wird zu politischen Fragen Stellung genommen.
Ein Intelligenzler brachte zum Ausdruck, dass der Vorschlag des Genossen Walter Ulbricht, auch bei uns die bewaffnete Verteidigung der Heimat nach der Aufstellung der westdeutschen Söldnerarmee zu organisieren, völlig richtig sei.58 Unsere Republik müsste verteidigt werden, darüber gäbe es keinen Zweifel. Dieser Intelligenzler ist 45 Jahre alt und erklärte sich offiziell bereit, an einem Schießlehrgang teilzunehmen.
Ein Kraftfahrer, der einen Delegierten zur Werner-Seelenbinder-Halle gefahren hatte, äußerte sich begeistert zu verschiedenen Punkten des Rechenschaftsberichtes. Auf ihn hatte dies einen positiven Eindruck gemacht.
Das neue Statut der SED wurde im Parteivorstand der NDPD und mit den Mitgliedern diskutiert.59 Insbesondere wurde der Abschnitt begrüßt, wo es heißt, dass, wenn Mitglieder anderer Parteien der Partei der Arbeiterklasse beitreten wollen, fünf Bürgen gebracht werden müssen und vom ZK bestätigt werden muss.60 (Mehrere NDPD-Mitglieder wollten den Antrag um Aufnahme als Kandidat der SED stellen.) Zwei leitende Funktionäre der NDPD brachten zum Ausdruck, dass das Statut der SED die Einheit Deutschlands nicht fördert. Die Westberliner Zeitung »Der Kurier« hätte nur Auszüge aus dem Statut ohne Kommentare veröffentlicht. Sie stehen auf dem Standpunkt, dass dies bezeichnend sei.61