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Zur Beurteilung der Situation

24. August 1954
Informationsdienst Nr. 2295 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Tagesfragen wird nur gering diskutiert. Oft sind Arbeiter solchen Diskussionen gegenüber zurückhaltend. Im Vordergrund steht weiterhin die Streikbewegung in Westdeutschland.1 Während der überwiegende Teil der Arbeiter sich mit den Streikenden solidarisch erklärt und sie finanziell unterstützt, lehnt ein nicht unbedeutender Teil der Arbeiter, hauptsächlich jedoch der Angestellten und Intelligenz, es ab, zu spenden, da die Streikenden in Westdeutschland besser leben würden als die Arbeiter in der DDR. In Verbindung hiermit wird mehrfach betont, man dürfe in der DDR nicht streiken.2

Des Öfteren wird solche ablehnende Meinung von den Bezirken Magdeburg und Potsdam berichtet. Im »Ernst-Thälmann«-Werk Magdeburg haben verschiedene Abteilungen sehr wenig Geld gespendet. Besonders ein großer Teil der Angestellten. Mehrere Kollegen aus der Hauptverwaltung erklärten: »Das interessiert uns nicht. Die leben besser als wir, der FDGB soll sie unterstützen, denn wozu bezahlen wir die hohen Beiträge!«

Im Starkstromanlagenbau Magdeburg wurde von den Intelligenzlern nichts gespendet, mit dem Bemerken: »Was brauchen die zu streiken, die sollen arbeiten. Wir brauchen unser Geld nötiger.« In der Schiffswerft Edgar-André Magdeburg beteiligte sich ebenfalls ein großer Teil der Kollegen nicht.

Ein Arbeiter aus dem VEB Farben und Lacke Magdeburg (Stundenlohn DM 1,22): »Mit den hier gezahlten Hundelöhnen kann ich nicht leben. Wir halten uns darüber auf, dass im Westen gestreikt wird. Wir haben eher einen Grund dazu, aber bei uns werden die Arbeiter mundtot gemacht. Hierüber ist sich das gesamte Werk II einig.« Ähnlich äußerte sich ein Kollege aus dem Stahlwerk Brandenburg, [Bezirk] Potsdam.

Ein parteiloser Kollege aus dem Kalischacht Volkenroda, [Bezirk] Erfurt: »Die westdeutschen Arbeiter haben wenigstens ein Streikrecht. Uns würde man einsperren, wenn wir unsere Lohnforderungen geltend machen.« Ähnliche Diskussionen treten jetzt öfter im Bezirk Erfurt in Erscheinung.

Zur Volkskammerwahl ist der Umfang der Diskussionen noch sehr gering. Meist wird von fortschrittlichen Arbeitern und Angestellten die einheitliche Kandidatenliste begrüßt.3 Teilweise wird infolge mangelhafter Aufklärung die Bedeutung der Blockwahlen nicht erkannt und deshalb gefordert, für jede Partei eine Kandidatenliste aufzustellen. Solche Meinung wird von einigen Kollegen des VEB Feuerlöschgerätewerk Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, eingenommen.

Ein Jugendlicher aus dem Press- und Schmiedewerk »Einheit« in Brand-Erbisdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Parteiwahlen wären besser, denn da könnte man die CDU und die LDP ausschalten.«

Vereinzelt wird diese Forderung von feindlichen Elementen gestellt.

Ein Arbeiter aus dem VEB Rheinmetall-Sömmerda, [Bezirk] Erfurt: »Diesen Schwindel habe ich satt, mich bringen keine zehn Pferde zur Wahl.«

Ein Schiffsschlosser aus Stralsund (SED): »Die gemeinsame Wahlliste wird nur aufgestellt, weil die SED Angst hat, Stimmen zu verlieren.«

Ein Kollege aus dem Kombinat Böhlen, [Bezirk] Leipzig: »Das werden doch keine freien Wahlen. Man wird wieder gezwungen, offen abzustimmen. Bei gesamtdeutschen Wahlen würden unsere Vertreter staunen, wie wenig Stimmen sie bekommen.«

Zum Interview mit Dr. John4 sowie zum Übertritt des CDU-Bundestagsabgeordneten Schmidt-Wittmack5 sind erst vereinzelt Stimmen bekannt geworden.

Einen größeren Umfang haben weiterhin die Diskussionen über wirtschaftliche und betriebliche Fragen, worüber teilweise Unzufriedenheit bzw. Verärgerung besteht. Lohnfragen nehmen weiterhin einen größeren Raum ein.6

Aus dem Bezirk Leipzig wird berichtet, dass unter den Arbeitern eine zunehmende Unzufriedenheit in Bezug auf die Lohnfragen besteht, was auch bei Arbeitern mit einem ziemlich hohen Verdienst in Erscheinung tritt. Zum Beispiel erklärten zwei Brigadiere aus dem Kraftwerk Dimitroff: »Unsere Verdienste sind entsprechend der Preise bei uns in der DDR viel zu niedrig.« (Beide haben einen Stundenlohn von ca. DM 2,69.)

In dem VEB Schuhfabrik Bella Groitzsch, [Bezirk] Leipzig, wird besonders unter den Arbeitern der Abteilung Zuschneiderei und Stepperei geäußert, dass sie kündigen wollen, wenn sich ihr Verdienst nicht erhöht. Einige Arbeiter haben bereits gekündigt, wodurch Schwierigkeiten für die Produktion entstehen.

Von einigen Arbeitern im Braunkohlenwerk Plessa, [Bezirk] Cottbus, werden Lohnforderungen gestellt. Bei Nichtberücksichtigung wollen die Arbeiter kündigen.

Im VEB Bau-Union Berlin besteht unter den Kollegen der Baustellen eine schlechte Stimmung, da sie nach ihrer Meinung nicht genügend Geld verdienen. Eine Ursache hierfür ist, dass die vorhandenen Maschinen nicht einwandfrei arbeiten (sind schlecht gepflegt) und die Arbeitsorganisation mangelhaft ist.

In einer Belegschaftsversammlung des VEB Stärkefabrik Kyritz, [Bezirk] Potsdam, wurde diskutiert, dass die HO-Preise entsprechend den Löhnen zu hoch seien und man in Westdeutschland billiger leben könne. Als der Referent dies widerlegen wollte, entstand unter den Kollegen ein Gemurmel und Gelächter. Circa 45 Prozent der Versammlungsteilnehmer verließen vorzeitig die Versammlung.

Im VEB TKF in Zella-Mehlis,7 [Bezirk] Suhl, wird über die Quartalsprämie für das II. Quartal negativ diskutiert. Ein großer Teil der Kollegen bringt zum Ausdruck: Wir erfüllen unseren Plan und die anderen stecken die Prämien ein.

Ein großer Teil der Arbeiter des VEB Abus [Kranbau] in Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, ist mit der Norm nicht einverstanden. Es besteht die Meinung: »Wir müssen uns sehr dazu halten, um unsere Normen zu erfüllen und zu unserem Gelde zu kommen. Darunter leidet natürlich die Qualität der Erzeugnisse, was somit eine Ursache für den Ausschuss ist.«

Seit der zusätzlichen Rentenzahlung für Eisenbahner, die 20 und mehr Dienstjahre aufzuweisen haben, besteht unter den ehemaligen Umsiedlern in Gera eine Unzufriedenheit, weil viele keine Unterlagen über ihre Dienstzeit bei der Reichsbahn mehr aufweisen können und somit nicht die zusätzliche Rente erhalten.

Produktionsschwierigkeiten wegen Materialmangel und Anderem.

Im VEB (K) Möbelwerk in Themar, [Bezirk] Suhl, mangelt es an Holz, wodurch in ca. vier Wochen der Betrieb schließen muss.

Im VEB Minimax in Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, reichen die Blechbestände für die Feuerlöscherproduktion nur noch bis zum 15.9.1954. Es besteht die Gefahr, dass im Monat September die Auslieferungsverpflichtungen an Regierungs- und Exportaufträgen nicht erfüllt werden können, da die Arbeiter nur noch bis zum 30.8.[1954] voll beschäftigt werden können.

Im VEB Universalwerk Schmalkalden sollen für 300 000 DM zusätzlich Massenbedarfsgüter hergestellt werden. Dem Betrieb steht jedoch keinerlei Material zur Verfügung.

Im Braunkohlenwerk Hirschfelde, [Bezirk] Dresden, entstand in den letzten zwei Tagen infolge Anlieferung von Kohle schlechter Qualität ein Planverlust in Höhe von 106 Tonnen.

In der Schiffbau- und Reparaturwerft Stralsund sind in der Produktion von Gefrierschiffen größere Hemmungen eingetreten, weil die Elbewerft Boizenburg die Schiffe nicht zu dem festgelegten Prozentsatz fertigstellt. Zum Beispiel waren beim letzten Gefrierschiff von der Werft Boizenburg nur 2 Prozent der Arbeiten der Schiffselektrik erledigt, obwohl 35 Prozent vorgeschrieben sind.

Wegen Mangel an Spezialmaschinen würde im VEB Tischfabrik Großröhrsdorf, [Bezirk] Dresden, der Anfertigungspreis für Sturmklammern (Massenbedarfsgüterproduktion) pro Klammer 4,2 Pfennig betragen, während der Verkaufspreis nur 3,8 Pfennig betragen darf. Es wäre angebracht, diesen Auftrag einem Spezialbetrieb zu übergeben, der vom VEB Tischfabrik die notwendigen Holzabfälle erhält.

Dem VEB Lowa-Bautzen,8 [Bezirk] Dresden, wurden die vorliegenden Aufträge für Kipper entzogen und dem Werk Babelsberg9 übergeben. Gleichzeitig wurden die Vorrichtungen für den Kipperbau aus dem VEB Lowa abgezogen. Da im Werk Babelsberg die termingemäße Lieferung der Kipper nicht gewährleistet ist, besteht die Gefahr, dass die Lowa die Kipperproduktion wieder aufnehmen muss und dann infolge des Fehlens der Vorrichtungen eine Produktionsstockung eintritt.

Handel und Versorgung

Zigarettenmangel besteht in den Kreisen Eisenberg, Jena, Gera und Neubrandenburg, im Kreis Selow, [Bezirk] Frankfurt, im Bezirk Halle, in einigen Gemeinden des Bezirkes Schwerin. Fleischmangel besteht in den Bezirken Neubrandenburg und Leipzig.

Überplanbestände

Im Konsumschlachthof Frankfurt lagern seit Januar 1954 11 600 kg Schmalz. Trotz wiederholter Hinweise ist keine Abhilfe geschaffen worden.

In der VEAB Schwerin sind ca. 50 t Kartoffeln angefault, die nur noch für Futterzwecke verwendet werden können.

Landwirtschaft

Die Landbevölkerung diskutiert nur wenig über politische Tagesfragen. Zu Dr. John und den Volkskammerwahlen wurde nur vereinzelt, aber meist positiv diskutiert. Teilweise wurde durch Selbstverpflichtungen die Verbundenheit zu unserer Regierung zum Ausdruck gebracht. So sagte ein Kleinbauer aus Schönwalde, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich werde stets meine Verpflichtungen dem Staat gegenüber erfüllen, denn unsere Arbeiter- und Bauernregierung hat alles getan, um unsere Wirtschaft wieder auf volle Bahnen zu führen.«

Bei den Rechenschaftslegungen10 ist in den ländlichen Gemeinden der Bezirke Potsdam und Schwerin oft zu verzeichnen, dass bei den angemeldeten Versammlungen die Referenten nicht erscheinen, wie z. B. im Kreis Jüterbog. Ein Großbauer aus Marzahna:11 »Wir haben extra einige Stunden früher Feierabend gemacht, um an der Versammlung teilzunehmen. Leider haben es die Herren nicht nötig zu erscheinen. Uns kriegen sie nicht mehr zu einer Versammlung.« In Gülitz, [Bezirk] Schwerin, wurde wegen dem Nichterscheinen des Referenten eine Versammlung drei Mal abgeblasen.

Vorwiegend befasst sich die Landbevölkerung mit wirtschaftlichen Fragen. Im Bezirk Leipzig ist das Einfahren des Getreides durch die schlechte Witterung zum Schwerpunkt geworden. 2 500 ha gemähtes Getreide steht noch auf den Feldern.

In Putbus,12 [Bezirk] Rostock, diskutiert die Bevölkerung negativ über die Kartoffelversorgung. In den VEAB lagern Kartoffeln, die bis zu 50 Prozent verdorben sind und die Bevölkerung erhält die Kartoffeln nur 10-pfundweise.13

Die Bauern von Neubrück und anderen Gemeinden des Kreises Beeskow, [Bezirk] Frankfurt, sind darüber empört, dass sie die Färsen nicht loswerden. Der VEB Zucht- und Nutzvieh14 nimmt sie ihnen nicht ab und der Tierarzt gibt sie nicht zur Schlachtung frei. Dadurch haben die Bauern Schwierigkeiten in der Sollerfüllung, da sie die Milch an diese Färsen verfüttern müssen. Sie sagen, es fehlt Frischfleisch und dadurch werden solche Zustände nicht abgeändert. In diesem Ort macht sich auch die Tätigkeit des Klassengegners bemerkbar, indem man den Nachtdrusch energisch ablehnt.15 Man begründet es damit, dass die Leute abgespannt sind und nachts nicht arbeiten wollen.

In dem Bezirk Magdeburg herrscht Missstimmung über die VEAB in Bezug auf die Kartoffelablieferung. In Bredel,16 [Bezirk] Magdeburg, erhielten die Bauern den Auftrag, sofort Kartoffeln zu roden und diese früh zum Bahnhof zu bringen. Als die Bauern alle am Bahnhof standen, waren keine Waggons vorhanden. Der Erfasser der VEAB Güterglück verlangte, dass die Bauern die Kartoffeln nach Güterglück bringen sollten. Dort wurden sie jedoch nicht angenommen, weil sie angeblich zu dreckig waren. Die Bauern sagten hierzu: »Das wird nur gemacht, weil die Kartoffeln billiger werden sollen. Statt dass es besser wird, wird es in Wirklichkeit immer schlechter.«

Ersatzteilmangel

Im Bezirk Dresden wird von den meisten MTS und VEG über den Mangel an Ersatzteilen geklagt. In der MTS Zittau bestehen große Schwierigkeiten in der Beschaffung der Lötlampen zum Anheizen der Traktoren. Ähnliche Schwierigkeiten bestehen auch in der MTS Polenz und VEG Stroga, [Bezirk] Dresden, bei der Beschaffung von Ersatzteilen.

Übrige Bevölkerung

Zu politischen Problemen wird in geringem Umfang aber überwiegend positiv Stellung genommen. Größtenteils wird positiv zu den Volkswahlen Stellung genommen. Auch in den bürgerlichen Parteien beginnt man, die Mitglieder aufzuklären, wie z. B. im Bezirk Karl-Marx-Stadt. Ein Geschäftsmann (CDU) aus Zwickau: »Zur Volkswahl gilt es, alle Kräfte zu mobilisieren und wieder im Rahmen der Nationalen Front mitzuarbeiten.«17

Ein Rechtsanwalt (CDU) aus Zwickau: »Die Volkswahlen stellen uns vor große Aufgaben, da viele Menschen bis jetzt noch nicht begriffen haben, um was [es] geht. Man muss sich besonders mit den westdeutschen Gästen befassen und mit ihnen diskutieren«.

Hauptsächlich von kleinbürgerlichen Elementen und Mitgliedern bürgerlicher Parteien wird immer wieder gegen eine gemeinsame Kandidatenliste argumentiert; dabei ist oft eindeutig zu erkennen, dass es ihnen nur um die Beseitigung unserer Arbeiter- und Bauernmacht geht. Ein Pfarrer aus Suhl: »Die Wahl ist nicht demokratisch und frei; wenn sie es wäre, könne die derzeitige Regierung abtreten.«

Ein Radiomechaniker aus Ziesar, [Bezirk] Potsdam: »Warum gibt es keine Parteiwahlen? Diese wären richtiger, denn dann käme bestimmt eine andere Regierung heran. Bei uns im Ort käme bestimmt die NDPD ans Ruder und wir wären alle gemachte Leute.«

Ein Gärtnereibesitzer aus Stadtroda, [Bezirk] Gera: »Die Volkswahlen halte ich für einen großen Schwindel, weil ich nicht wählen kann, was ich will. Das ist ja auch gar nicht von so großer Bedeutung, denn es kommen ja sowieso bald andere Verhältnisse.«

Die Äußerungen zur Streikbewegung in Westdeutschland sind ebenfalls überwiegend positiv. Es wird auf die Richtigkeit der Unterstützung der Streikenden hingewiesen und betont, dass es den westdeutschen Arbeitern gelingen muss, ihre gerechten Forderungen mittels Streik durchzusetzen. Inhalt der Diskussionen ist gegenüber den Vortagen unverändert.

Es gibt einen geringen Teil Stimmen, die erkennen lassen, dass sie ungenügend über die Verhältnisse in Westdeutschland aufgeklärt sind und deshalb nicht verstehen, warum die Arbeiter streiken. So sagte z. B. ein Angestellter des Kreiskrankenhauses Stadtroda, [Bezirk] Gera: »Wenn ich ehrlich sein soll, so muss ich sagen, dass ich noch nicht ganz einsehe, warum die da drüben streiken. Sie sollen doch froh sein, dass sie Arbeit haben. Anders sieht es bei den Erwerbslosen aus. Die Sammelaktion ist zwar gut, aber die Spenden kommen ja doch nicht hinüber, weil diese von der Adenauer-Regierung18 beschlagnahmt werden.«

Ganz vereinzelt wurden negative Äußerungen zu dieser Frage bekannt.

Ein Geschäftsmann aus Brandenburg: »Die Streiks in Westdeutschland haben mit der Einheit Deutschlands nichts zu tun. Es handelt sich um eine unpolitische, rein wirtschaftliche Angelegenheit. Ob die Zahl der Streikenden stimmt, so wie sie unser Rundfunk angibt, das bezweifle ich. Die Arbeiter können gegen ihre Unternehmer sowieso nicht aufkommen. Wenn sie Kohldampf haben, werden sie schon wieder arbeiten.«

Ein Angestellter von der Konsumzentrale Brandenburg: »Wir dürfen nicht streiken, wenn wir auch mehr Geld haben wollen, wie die Arbeiter in Westdeutschland es haben wollen. Wir würden eingesperrt.«

Ein Einwohner aus Berlin: »Bei uns in der DDR wurde gegen die Streikenden am 17. Juni [1953] viel brutaler als es zurzeit in Westdeutschland geschieht, vorgegangen. Es wurde mit Waffengewalt und sogar durch Panzer gegen die Arbeiter gehandelt.«

Nachfolgend einige Beispiele über Maßnahmen, die Verärgerung oder Missstimmung bei der Bevölkerung hervorrufen.

Bei einer Kontrolle am S-Bahnhof Hoppegarten gegenüber den Siedlern, die Obst bei sich führten, kam es vor, dass sie bis zu 1½ Stunde auf ihre Abfertigung warten mussten. Das rief eine schlechte Stimmung hervor und wurde noch verstärkt, weil nicht zu erkennen war, nach welchen Gesichtspunkten diese Kontrolle durchgeführt wurde. Einige behielten ihr Obst, anderen wurde nur ein Teil abgenommen und anderen alles. Es kam dadurch zu Äußerungen wie z. B.: »Der hat alles behalten, der ist wahrscheinlich in der Partei.« »Armer Staat, der von 10 Pfd. Pflaumen abhängt«.

Aufgrund des Personalmangels in den Sparkassen Berlins kommt es vor, dass Kollegen bis 21.00 Uhr arbeiten müssen, was Missstimmung auslöst. Sie bringen zum Ausdruck, dass der Stellenplan beweglicher sein müsste und dass die Messzahlen nicht real sind. Sie wurden in der DDR erprobt und sind aber in der bestehenden Form nicht auf Berlin anwendbar.

Bei den Bauarbeiten an Block B Süd und Nord – Stalinallee – wurde versäumt, auf den Balkons Abflussrohre einzubauen. Das hat zur Folge, dass bei Regen das Wasser hinter die Keramikplatten und somit auch in die Wände dringt, sodass bereits Wohnungen starke Wasserflecken bzw. schon Stockflecke aufweisen. Dem Nationalen Aufbaustab19 wurden schon wiederholt Hinweise gegeben; die Bewohner wurden jedoch an den Chefarchitekten Henselmann20 verwiesen. Sie sind aber der Meinung, dass nicht er, sondern eine Baufirma eine Änderung herbeiführen muss.

Ganz vereinzelt wurden negative bzw. feindliche Äußerungen bekannt, die eine Hetze gegen die SU und unsere Regierung beinhalten.

Im Konsum Finowfurt, [Bezirk] Frankfurt, wurde folgendes Gespräch geführt: Ein Angestellter sagte, dass ihm Angehörige der Roten Armee einmal Kartoffeln weggenommen hätten. Daraufhin sagte eine Hausfrau: »Das lasst ihr euch gefallen, schlagt doch die Hunde tot!«

Eine Hausfrau aus Frankfurt: »Mein Schwiegersohn war in russischer Gefangenschaft und hat es dort nicht gerade gutgehabt. Auch unsere Wohnung war zerstört als wir zurückkamen. Es war bis auf die Bücher alles gestohlen. Die konnten sie wahrscheinlich nicht lesen.«

Ein Gastwirt aus Weinberge, [Bezirk] Cottbus: »Am 15. September [1954] wird ein neuer Umsturz organisiert werden. Das ist ganz bestimmt und schon vorher werden die verantwortlichen Stellen besetzt.«

Besondere Vorkommnisse

Infolge der anhaltenden Regenfälle ist es im Bezirk Cottbus und Dresden zu größeren Unwetterschäden gekommen. Zum Beispiel ist der Wasserspiegel der Röder im Kreisgebiet Großenhain erheblich angestiegen. In Ebersbach ist die Dorfstraße teilweise überschwemmt und Wiesen stehen unter Wasser. Im Kreisgebiet Zittau wurden einige Fernsprech- und Lichtleitungen zerstört.

Aufgrund erneut einsetzender Regenfälle werden aus den Kreisen Herzberg und Finsterwalde Überschwemmungen gemeldet. Im Kreis Herzberg ist ein ständiges Steigen der Elster zu verzeichnen. Große Teile der Felder sind bereits überschwemmt. Im Kreisgebiet Finsterwalde wurden bisher 300 ha Nutzfläche, vorwiegend Wiesen, Rüben und Kartoffelfeld, überschwemmt.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:21 Schwerin 600, Halle 74, Magdeburg 70, Rostock 57, Dresden 110.

KgU:22 Halle 400.

DGB-Ostbüro: Gera 30.

NTS:23 Erfurt 10 000, Schwerin 3 000, Halle 337, Dresden 54.

Versch[iedener] Art: Leipzig 1 000, Frankfurt 6 350, Cottbus 50, Wismutgebiet 94,24 Dresden 21.

»Tarantel«:25 Halle 150.

Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Antidemokratische Tätigkeit

  • Im Zellstoffwerk Pirna, [Bezirk] Dresden, wurde ein Hakenkreuz auf ein Thälmann-Bild26 geschmiert.

  • An dem Neubau der Staatsoper wurde von unbekannten Tätern ein faschistisches Zeichen angeschmiert.

  • An die Toilettentür im VEB Maxhütte Unterwellenborn wurden Hakenkreuze angeschmiert.

  • In der Toilette des RFT Röhrenwerkes in Neuhaus, [Bezirk] Suhl, wurde eine Hetzlosung angeschmiert.

  • In einem Aufklärungslokal in Wallin,27 [Bezirk] Neubrandenburg, wurde an einer Tafel eine Hetzlosung angeschmiert.

Diversionen

An einem Mähdrescher des VEG Blankenburg,28 [Bezirk] Potsdam, wurde die Batterie des Motors so angeschlossen, dass beim Starten am nächsten Morgen eine Stichflamme aus der Batterie schlug und dieselbe sofort unbrauchbar war. Im gleichen VEG wurde an den Förderer (Neuproduktion) eine Dichtung von dem Motor entfernt und Teile von der Maschine gelöst, sodass bei Inbetriebnahme die Lagerschalen zerbrachen. Im gleichen VEG wurde der Kupferdraht an einer Trockenanlage abgerissen.

Auf dem MTS-Stützpunkt in Wallwitz, Kreis Burg, [Bezirk] Magdeburg, brannten bei einem Traktor sämtliche Stromkabel, die Batterie sowie der Lack des Führerhauses ab. Vermutlich wurde die Stromleitung des Kabels abgeschnitten, wodurch ein Kurzschluss entstand.

Einschätzung der Situation

Zu politischen Tagesfragen wird im Allgemeinen wenig Stellung genommen, jedoch überwiegend positiv.

Vorwiegend in den Betrieben wird in der Mehrzahl positiv über die Streiks in Westdeutschland diskutiert und die Solidaritätsaktionen werden unterstützt. Teilweise wird die Unterstützung der Streikenden abgelehnt durch feindlich beeinflusste Gruppen und durch Arbeiter mit verhältnismäßig geringem Verdienst.

In den Diskussionen zur Volkswahl wird die gemeinsame Liste von der Mehrzahl unterstützt. Besonders in kleinbürgerlichen Kreisen, vorwiegend von Mitgliedern bürgerlicher Parteien, wird die Wahl mit getrennten Parteilisten gefordert.

Ursachen von Unzufriedenheit sind hauptsächlich die anhaltenden Versorgungsschwierigkeiten und zum Teil Produktionsschwierigkeiten. Teilweise sind auf verschiedenen Gebieten Unzufriedenheiten in Lohn- und Gehaltsfragen.

Anlage 1 vom 24. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2295

Auswertung der Westsendungen

Volkswahlen

Nach der Veröffentlichung des Wahlleiters der DDR über die Einreichung der Kandidatenvorschläge für die Wahlen zur Volkskammer hetzt der RIAS,29 dass der Aufruf nur der Versuch sei, unsere Wahlen mit demokratischen Phrasen zu umgeben und es heißt: »Die Scheinwahl wird dadurch, dass man einen Rummel um die Kandidatenvorstellung veranstaltet, nicht demokratisch.« Gleichzeitig fordert der RIAS auf, bei der Rechenschaftslegung die Abgeordneten zu einer Stellungnahme über die Normenfrage zu veranlassen, da diese Frage jetzt bewusst verschwiegen würde.

Landwirtschaft

RIAS hetzt in mehreren Sendungen für die Landbevölkerung gegen den Aufruf unseres Ministerpräsidenten Otto Grotewohl30 zur schnellen Einbringung der Ernte.31 Die üble Hetze gipfelt in der Feststellung, dass die Bauern früher ohne Aufrufe ihre Arbeit nach ihrer eigenen Ansicht durchführten und dass dabei die Ernte besser vor sich ging.

Reichsbahn

Diesmal beschäftigt sich der RIAS in seiner Hetze über die Deutsche Reichsbahn mit vorhandenem Personalmangel. Es werden Beispiele angeführt, dass viele Angestellte wegen Arbeitsüberlastung (z. B. Hauptbahnhof Leipzig) erkranken und die anderen keinen Urlaub erhalten, weil die Leute fehlen. Es heißt dazu: »Von höchster Stelle sind Überstunden und Verzicht auf Urlaub Beweis kämpferischen Einsatzes, die von den Eisenbahnern neuen Typus gefordert werden können.«

Aufgrund des Personalmangels wären jetzt die einzelnen Direktionen dazu übergegangen, die Dienstanwärter mehrere Monate im Zugbegleitdienst einzusetzen, wodurch aber z. B. im Bereich der Reichsbahndirektion Greifswald die Unfallziffer innerhalb von 14 Tagen um das Doppelte gestiegen sei.

RIAS hetzt weiter, dass vor allem Zugführer und Schaffner aus der Reichsbahn ausscheiden, weil sie zu schlecht bezahlt werden.

Hetze gegen die SED

In längeren Ausführungen beschäftigt sich der Sender »Freies Berlin« mit der Existenz parteieigener Betriebe. Er hetzt, dass diese Betriebe Ausdruck der Existenz von Großkapitalisten seien, wovon allerdings die Bevölkerung nichts wisse. Es heißt: »Die SED besitzt einen regelrechten Wirtschaftstrust.« Genannt werden grafische Betriebe, Papierfabriken, Maschinenbaubetriebe, Anzeigen- und Werbegesellschaft und der Progress-Filmvertrieb. Der gesamte volkseigene Buchhandel sei Besitz der Partei und alle Betriebe seien unter der Bezeichnung »Zentrag« zusammengefasst.32

Der Sender hetzt weiter, dass diese Betriebe besondere Vergünstigungen bei Materiallieferungen und Kreditgewährung erhielten und dass vor allem in Bezug auf die Steuern große Erleichterungen gegeben würden, da nur 65 Prozent der Einnahmen der Besteuerung unterlägen.

Die Sendung schließt mit Behauptungen über den Ertrag der Betriebe: »Diese staatlichen sanktionierten Manipulationen trugen der [SED] allein im vergangenen Jahr die ansehnliche Summe von 50 Mio. DM ein. 1952 und 1951 waren es jeweils etwa 46 Mio. DM. Alle Versuche, den Supertrust der SED in ein volkseigenes Unternehmen umzuwandeln, scheiterten bisher am direkten Einspruch Ulbrichts.«33

Anlage 2 vom 24. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2295

Stimmen zum Übertritt des CDU-Abgeordneten Schmidt-Wittmack in die DDR

Unter der Bevölkerung wird erst vereinzelt über den Fall Schmidt-Wittmack gesprochen. Die Stellungnahmen sind überwiegend positiv und es zeigt sich, dass die Personen erkennen, welche Bedeutung es hat, wenn führende Politiker der Bundesrepublik, der Adenauer-Politik den Rücken kehren und zu uns in die DDR kommen. Sie sind der Meinung, dass der Übertritt des CDU-Abgeordneten nicht zuletzt auf den Schritt Dr. Johns zurückzuführen ist. So äußerte z. B. ein Arbeiter vom VEB Feinprüf in Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Es ist für unsere Entwicklung in der DDR ein gutes Zeichen, wenn solche führenden Persönlichkeiten wie Dr. John und der CDU-Bundestagsabgeordnete der Politik der Bonner Regierung den Rücken kehren. Es ist ein Zeichen dafür, dass das Bonner Gebälk ziemlich morsch sein muss. Das wird viele Menschen, die bisher noch auf die Bonner Karten setzten, zum Nachdenken anregen.«

Ein parteiloser Arbeiter von der Schiffselektrik Rostock: »Dieser Fall wird erneut Panik und Überstürzung in Bonn auslösen, da er über sehr vieles informiert war. Es zeigt sich schon darin, dass man alle Bundestagsabgeordneten unter Polizeikontrolle stellt.34 Das ist ein Zeichen, dass drüben einer dem anderen nicht mehr traut.«

Ein Arbeiter aus dem BKK Bitterfeld, [Bezirk] Halle: »Ich habe den Artikel in der Zeitung gelesen über den Verbleib des Bonner Ministers Kaiser,35 welcher eine Nacht nicht nach Hause gekommen ist. Man sieht daraus, welche Angst man in Bonn hat, dass wieder einer stiften geht. Meine Meinung zum Fall Schmidt-Wittmack ist, dass, wenn es mit dem Absetzen so weitergeht, sich Adenauer bald einen neuen Bundestag zusammensuchen muss, oder er bittet ebenfalls um Asyl, aber nicht bei uns, sondern in den USA, wo er hingehört«.

Ein Arbeiter aus der Farbenfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle: »Der Fall Schmidt-Wittmack ist sicher eine Folgeerscheinung vom Übertritt Dr. Johns. Der Schritt Johns hat sich dahingehend ausgewirkt, dass verschiedene westdeutsche Politiker einsehen, dass ihre Politik falsch ist, nur wagen sie noch nicht den entscheidenden Schritt. Aber ich bin mir bewusst, dass Dr. John und Schmidt-Wittmack nicht die letzten sind, die rüberkommen.«

Ein Arbeiter aus dem gleichen Werk: »An dem Schritt des westdeutschen Bundestagsabgeordneten erkennt man, dass der wirtschaftliche Kampf immer mehr in ein politisches Stadium tritt. Deshalb ziehen auch verschiedene westdeutsche Politiker, welche bisher nicht geglaubt haben, das Richtige zu tun bzw. daran gedacht haben, einen parlamentarischen Kampf führen zu können, es vor, in die DDR zu gehen.«

Ein Schlosser (parteilos) aus dem Kali-Werk »Thomas Müntzer« Worbis, [Bezirk] Erfurt: »Nachdem ich gehört habe, dass ein Dr. John und neuerdings ein CDU-Bundestagsabgeordneter in die DDR gekommen sind, bin ich anderer Meinung geworden. Ich hatte die Absicht, nämlich nach Westdeutschland überzusiedeln, weil ich der Meinung war, in Westdeutschland mehr Geld zu verdienen.«

Ein Jugendlicher aus Freital, [Bezirk] Dresden: »Dass immer mehr Menschen in der DDR Zuflucht suchen, zeigt uns, dass sie mit den Maßnahmen der Adenauer-Regierung nicht mehr einverstanden sind und es mit ihrem Gewissen nicht länger verantworten können, dieser kriegstreibenden Clique zu dienen.«

Ein Jugendlicher aus dem gleichen Ort: »Wenn solche hohen Persönlichkeiten wie Dr. John und Schmidt-Wittmack zu uns in die DDR kommen, so ist es ein Beweis, dass der Apparat Adenauers morsch und brüchig ist.«

Eine Angestellte aus dem Press- und Schmiedewerk »Einheit« Brand-Erbisdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Nun müssen doch auch die Menschen, die immer nach Westdeutschland sehen, erkennen, was dort drüben los ist, wenn solche führenden Persönlichkeiten zu uns in die DDR kommen.«

Ein Schlosser aus dem VEB »Martin-Hoop«-Werk Zwickau: »Die Agenten und auch Adenauer mit seinem Stab müssen jetzt ganz schön bluten. Es ist ein Zeichen, dass bei uns die Verhältnisse echt sind. Diese Personen werden uns im Kampf um die Herstellung der Einheit Deutschlands von großem Nutzen sein.«

Ein Einwohner aus Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ein Beweis, dass die Politik unserer Regierung richtig ist, ist, dass Menschen wie Dr. John und Schmidt-Wittmack zu uns rüberkommen. Sie werden bestimmt ihre ganze Kraft daransetzen, dass es bald zu einem einheitlichen Deutschland kommt.«

Ein Einwohner aus dem Kreis Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Der Übertritt des CDU-Bundestagsabgeordneten ist bestimmt auf den Schritt Dr. Johns und dessen Ausführungen auf der Pressekonferenz zurückzuführen. Dr. John hatte dort zum Ausdruck gebracht, dass drüben ein jeder bespitzelt wird,36 sodass die Möglichkeit besteht, dass von drüben noch mehrere den Weg in die DDR finden. Dadurch wird Adenauer in eine schwere Bedrängnis geraten, da dies alles Leute sind, die mit den Hinterhältigkeiten der Bundesrepublik vertraut sind.«

Ein Einwohner aus Quedlinburg, [Bezirk] Halle: »Während Adenauer bei der Brüsseler Konferenz eine Schlappe mit seiner EVG-Politik erlitten hat,37 hat inzwischen einer seiner engsten Parteifreunde die DDR um Asyl ersucht. Man sieht, dass Dr. John einen Anhang in der Bundesregierung besaß und dass bestimmt noch mehr rüberkommen werden.«

Aufgrund des gering vorliegenden Materials kann keine Einschätzung von negativen Stimmen gegeben werden. Ein Dreher aus dem »Martin-Hoop«-Werk Zwickau: »Erst schimpft man über diese Leute, da sind es Verbrecher und jetzt kommen sie rüber und werden bewirtet. Da komme ich nicht mit. Die sollte man zur Verantwortung ziehen.«

Anlage 3 vom 24. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2295

Stimmen zum Fall Dr. John

Unter der Bevölkerung wird nur noch ganz vereinzelt über den Fall Dr. John gesprochen. Die bekannt gewordenen Äußerungen sind überwiegend positiv. Darin drückt sich eine Billigung des Schrittes von Dr. John aus sowie die Freude über die Schlappe, die dadurch der Adenauer-Regierung beigebracht wurde. So sagte zum Beispiel ein Arbeiter, der in der Grube Finkenheerd, [Bezirk] Frankfurt, beschäftigt ist: »Nachdem Dr. John in der USA mit hohen Persönlichkeiten eine Aussprache hatte, konnte er wahrscheinlich den Adenauer-Kurs nicht mehr mitmachen. Es war gut von ihm, dass er in der Pressekonferenz das wahre Gesicht der Bonner Regierung aufgezeigt hat. Auf all das schweigt die Adenauer-Clique und verläumtet [sic!] die DDR weiter.«

Ein Schauspieler aus Neustrelitz, [Bezirk] Neubrandenburg: »Nach der Rundfunkübertragung von der Pressekonferenz mit Dr. John wurde es mir klar, dass die Meldungen des Westens über die Entführung nur erfunden und erlogen sind.38 Wenn so viel in- und ausländische Pressevertreter anwesend sind, ist es gar nicht möglich, dass eine Schiebung gemacht werden kann. Ich bin überzeugt, wenn ein Mann wie Dr. John, der in so einflussreicher Stellung war, freiwillig so einen Posten verlässt, doch irgendetwas faul in der Bundesrepublik sein muss.«

Ein Angestellter aus Potsdam: »Die Ausführungen Dr. Johns auf der Pressekonferenz über den EVG-Vertrag werden manchen die Augen geöffnet haben. Es ist eine feine Sache, dass er zu uns in die DDR gekommen ist, dadurch ist ganz schöner Wirrwarr im Bonner Staat entstanden.«39

In einem ganz geringen Umfang wurden Stimmen bekannt, die daran zweifeln, dass die Beweggründe Dr. Johns richtig angegeben sind.

Ein Ingenieur aus Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Dr. John scheint es ehrlich zu meinen, da er die Machenschaften Adenauers so öffentlich gegeißelt hat, aber darauf bauen kann man nicht. Er kann auch nur zum Schein so sprechen, deshalb ist Vorsicht am Platze.«

Ein Einwohner der Gemeinde Siggelkow, [Bezirk] Schwerin: »Unsere Regierung soll lieber diesen Dr. John nicht gar zu sehr trauen, denn es ist doch durchaus möglich, dass er mit besonderen Aufträgen in die DDR geschickt worden ist.«

Nur ganz vereinzelt wurden negative Äußerungen bekannt, in denen zum Ausdruck kommt, dass die Personen die Handlungsweise Johns nicht gutheißen. So sagte zum Beispiel eine Hausfrau aus Karl-Marx-Stadt: »So welterschütternd ist der Fall John gar nicht, so wie das oftmals hingestellt wird. Nur eins steht fest, dass er ein Lump ist, denn er ist freiwillig in die DDR gegangen.«

Ein Korrespondent, der beim Radio »Freies Europa«40 tätig ist und auf der Pressekonferenz anwesend war, äußerte: »Ich hatte den Eindruck, dass Dr. John zwar freiwillig in die DDR gegangen ist, aber seinen Schritt schon wieder bereue. Dr. John hatte stark gerötete Augen und ein verquollenes Gesicht, und es ist daher anzunehmen, dass der stark trinkt.«

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