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Zur Beurteilung der Situation

8. April 1954
Informationsdienst Nr. 2177 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Mittelpunkt der Diskussionen bei den Werktätigen in den Betrieben stehen weiterhin betriebliche und wirtschaftliche Fragen. Über den IV. Parteitag der SED wird nur gering diskutiert.1 Die Stimmen haben an Umfang nicht zugenommen. Wenig wird über politische Probleme des IV. Parteitages in den Betrieben diskutiert. Diese Diskussionen werden dann meist von Genossen unserer Partei geführt. Ein Teil, besonders Angestellte und Intelligenzler, bringen eine abwartende Haltung zu Fragen des IV. Parteitages zum Ausdruck bzw. zeigen zu politischen Problemen Interesselosigkeit und Gleichgültigkeit. So wurden z. B. im VEB Burger Bekleidungswerk, [Bezirk] Magdeburg, über den IV. Parteitag nur sehr wenige Diskussionen geführt.

Ein größerer Teil der Werktätigen in der Industrie befasst sich mit wirtschaftlichen Fragen, die in Verbindung mit dem IV. Parteitag stehen. Die Mehrzahl der bekannt gewordenen Stimmen zum Rechenschaftsbericht des Genossen Walter Ulbricht2 sind positiv.3 Besonders begrüßt man die vorläufige Beibehaltung der Lebensmittelkarten,4 dabei wird von einem Teil die Erhöhung der Rationen gewünscht. Ebenfalls begrüßt ein Teil die Neuwahlen der Volkskammer im Herbst 1954.5 Ein Hauer vom Wismut-Schacht6 Annaberg-Niederschlag 3: »Dass die Marken nicht wegfallen ist prima. Wir haben noch große Kreise der Bevölkerung, die mit ihrem Verdienst gerade so auskommen. Wenn die Marken weggefallen wären, hätte man die Preise doch nicht so senken können, dass alle Menschen ihren Unterhalt hätten tätigen können.«

Ein Arbeiter vom Wismut-Schacht 345 Dittrichshütte, [Bezirk] Gera: »Wir sind sehr zufrieden, dass die Karten weiter bestehen, denn dadurch haben wir die Garantie einer geregelten Versorgung. Es müsste lediglich für die Rentner und überhaupt für die niedrigen Kartengruppen die Rationen etwas erhöht werden.«

Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Kaliwerk Karl-Marx in Sollstedt, [Bezirk] Erfurt: »Walter Ulbricht hat ganz recht, wenn er sagt, dass die Wahlen bei uns eine Sache der ganzen Bevölkerung sind. Die Wahlen von fortschrittlichen demokratischen Kräften in die oberste Volksvertretung ist zugleich ein Schlag gegen die Imperialisten und Kriegstreiber.«

Eine Arbeiterin vom Fischkombinat Saßnitz, [Bezirk] Rostock: »Ich würde eine Preissenkung für Lebensmittel und Industriewaren noch in diesem Jahr begrüßen. Ich habe mit Spannung den Verlauf des IV. Parteitages verfolgt.«

Ein Arbeiter der Hauptverwaltung des Wismut-Objekt 6 Auerbach,7 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Erklärung von Genossen W. Ulbricht, dass die Volkskammer gemeinsam mit dem Bundestag die Abschaffung der Atombombe fordern soll,8 ist eine Aktion von internationaler Bedeutung. Dies würde auch ein großer Schritt für die Erhaltung des Friedens bedeuten.«

Enttäuschung über die Beibehaltung des Kartensystems und dass noch keine Preissenkung erfolgte, wird von vereinzelten Stimmen zum Ausdruck gebracht. Ein größerer Teil der Arbeiter vom VEB Elmo Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg, ist enttäuscht, dass keine allgemeine Preissenkung erfolgte. Des Weiteren hoffte man auf wirtschaftliche Erleichterungen.

Negative und feindliche Stimmen zum IV. Parteitag wurden nur in geringer Zahl bekannt. Bei diesen Stimmen zeigt sich besonders der westliche Einfluss. Feindliche Elemente versuchen besonders gegen die Beibehaltung des Kartensystems und gegen die Wahlen der Volkskammer im Herbst 1954 zu hetzen. Ein Angestellter der Buchhaltung des VEB Kunstfaserwerk »Wilhelm Pieck« in Schwarza, [Bezirk] Gera: »Warum sagte man uns nicht den Grund, weshalb die Lebensmittelkarten noch nicht abgeschafft werden. Oder denken die wir merken das nicht, wer nichts hat, kann nichts geben. Schon vor längerer Zeit macht man ein großes Geschrei, dass Anfang 1954 die Karten abgeschafft werden und dass der Lebensstandard weiter über 1936 liegt. Davon merke ich aber nichts. Es ist doch alles Schwindel.«

Ein Arbeiter aus Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Die Wahlen hier im Osten sind nur ein besserer Vollzähligkeitsappel. Nur wenn man mehrere Wahlmöglichkeiten hat, kann man von freien demokratischen Wahlen sprechen.9 Wenn man zwei Möglichkeiten hat, Krieg oder Frieden zu wählen, so sind alle für den Frieden. Was soll ich aber wählen, wenn ich mit den Kandidaten nicht einverstanden bin.«

Ein Arbeiter vom Reichsbahnausbesserungswerk Wittenberge, [Bezirk] Schwerin: »Uns wurden die Reparationen gestrichen, die SAG-Betriebe zurückgegeben,10 [in]folgedessen muss jetzt eine Preissenkung kommen, denn es ist alles noch zu teuer. Die Lebenslage ist noch nicht viel besser geworden.«

Ein Arbeiter vom VEB Tuchfabrik Cottbus: »So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben. Es kommt noch einmal anders und wenn es soweit ist, mache ich sofort mit, um uns von den Unterdrückern zu befreien.«

Über die Note der Sowjetunion vom 31.3.1954 an die Westmächte wird von den Arbeitern und Angestellten in ganz geringem Umfange diskutiert.11 Die Mehrzahl der Stimmen ist positiv. Ein Arbeiter aus dem VEB Zellwolle Wittenberge, [Bezirk] Schwerin: »Es wäre gut, wenn die Sowjetunion in den Nord-Atlantik-Pakt12 kommt, dann kann sie den Westmächten besser auf die Finger sehen und es würde alles viel friedlicher vor sich gehen.«

Negative und feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt. Ein Brigadier von der Baustelle Stalinallee Berlin: »Die Note beweist die Schwäche und die Angst der Sowjetunion.« Dieser Meinung schlossen sich alle Kollegen der Brigade an.

Unzufriedenheit wegen der Verteilung der Quartalsprämien besteht bei einem Teil der Kollegen des VEB Sachsenwerk Niedersedlitz, [Bezirk] Dresden. Sie sind der Meinung, dass die Prämien für den Werksleiter (2 000 DM) und den Abteilungsleiter (900 DM) gegenüber ihren Prämien viel zu hoch sind. Sie betragen 10,00 DM.

Im Wismut-Schacht 78 in Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sind die Kollegen darüber unzufrieden, dass ein großer Teil seinen Urlaub von 1953 noch nicht erhalten hat. Die Kompressormaschinisten sind mit der Kürzung ihres Urlaubs um sechs Tage nicht einverstanden, was bereits 1953 durchgeführt wurde. Ihre Bemühungen zur Regelung dieser Frage beim FDGB waren bisher ergebnislos.

Produktionsschwierigkeiten wurden aus einigen Betrieben wegen Material- und Arbeitskräftemangel bekannt.

Der VEB Waschgerätewerk Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, hat bisher nur ein Drittel seines Kontingents an Feinblechen erhalten, sodass der Plan nicht erfüllt werden kann.

Im VEB Pappen- und Kartonagenwerk Karolstahl,13 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fehlen 100 Tonnen Pappen sowie 1 100 Tonnen Briketts, die seitens der Hauptverwaltung in Heidenau gestrichen worden sind. Dadurch können die Essig- und Likörfabrik in Pritzwalk14 keine Hefe ausliefern und die Molkereigenossenschaftszentrale Berlin 5 000 Tonnen Butter nicht verpacken, die damit dem Verderb preisgegeben sind.

Im Gaswerk Lichtenberg, Berlin, fehlen Arbeitskräfte, wodurch die Produktion gestört ist.

Diskussion über Vorschläge zur Auszeichnung als Aktivisten zum 1. Mai wurden im Kunstseidenwerk Premnitz, [Bezirk] Potsdam, geführt. Die Kollegen fordern, dass nicht das Meisterkollektiv, sondern die Partei und die Belegschaft diese Vorschläge ausarbeiten und beraten sollen.

Beanstandungen über den Kleinempfänger Kolibri.15 Wie bereits berichtet,16 sind während der Produktion des Kleinempfängers beim VEB Stern-Radio Berlin Mängel am Apparat festgestellt worden. Seit dem 2.4.1954 werden die ersten 5 000 der Empfänger verkauft. Bereits liegen 78 Reklamationen von Käufern wegen schlechten Empfangs vor.

Verderb von Frischeiweiß: Wie bereits gemeldet,17 wurden im Ogema Grüneberg,18 [Bezirk] Potsdam, größere Mengen an Frischeiweiß weggegossen. In den letzten Tagen sind bereits wiederum 1 200 kg Eiweiß verdorben.

Betriebsstörungen: Am 5.4.1954 kam es im VEB TEWA-Drahtwerk in Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, zu einer Explosion im Teerfüller der Generatorenanlage. Diese Explosion entstand beim Öffnen des Vorkühlers, der vermutlich durch Dickteer verstopft war.

Handel und Versorgung

Eine schlechte Warenstreuung ist im Bezirk Magdeburg zu verzeichnen und zwar mangelt es an Bohnenkaffee, Bettwäsche, Frottierhandtüchern und Geschirrtüchern. Auch gibt es keine Perlonstrümpfe in der Preislage von 15,00 DM, die sehr gefragt sind. Im Kreis Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, fehlt es ebenfalls an Bohnenkaffee, Puderzucker, Würfelzucker und eine große Nachfrage nach Harzer Käse besteht.

Der Konsumverkaufsstelle in Geyer, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurden von DHZ Import-Lebensmittellager 55 kg ungenießbare Butter geliefert (stammt aus den Staatsreserven von Oktober bis November 1953). Ähnlich verhält es sich im Kreis Hainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, mit der Lieferung von Margarine, diese wies bereits schwarze Flecken auf.

Landwirtschaft

Nach wie vor wird wenig über politische Tagesfragen gesprochen. Größtenteils stammen die bekannt gewordenen Äußerungen von Arbeitern und Angestellten der MTS und VEG sowie von Mitgliedern der LPG. Zum IV. Parteitag wurden nur vereinzelt Stimmen bekannt, meist positiv. Über die politische Bedeutung des Parteitages wird kaum diskutiert. Es wird mehr über Fragen gesprochen, die mit der weiteren Verbesserung der Lebenslage im Zusammenhang stehen. Eine LPG-Bäuerin aus Schönberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der IV. Parteitag hat richtig gehandelt, indem die Lebensmittelkarten noch nicht abgeschafft werden. Unser Preisgefüge ist noch nicht auf dem Stand, dass die Karten wegfallen können, sondern es müssen erst noch ein paar Preissenkungen kommen.«

Ein Bauer aus Seehof, [Bezirk] Schwerin: »Ich begrüße besonders den Vorschlag über die weitere Mechanisierung der Landwirtschaft,19 die uns die Gewähr bietet, die Produktion weiterhin zu steigern und somit den Lebensstandard zu verbessern.«

Mehrere Traktoristen der MTS Moisall, [Bezirk] Schwerin, äußerten, dass der Genosse Walter Ulbricht auf dem IV. Parteitag den klaren Weg zum Friedensvertrag und zur Einheit Deutschlands aufgezeigt hat. Des Weiteren, dass die Rede des Genossen Mikojan20 aufs Neue beweist, dass die SU unser großer Freund und Helfer ist.21

Negative bzw. feindliche Stimmen zum IV. Parteitag wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Bauer aus Kolberg,22 [Bezirk] Potsdam: »Bei der Verkündung des ersten Fünfjahresplans bis zum Jahre 195523 wurde ein ungeahnter Wohlstand vorausgesagt und bei der Verkündung des neuen Kurses sprach man auch von einer Preissenkung.24 Bis jetzt ist aber davon noch nichts zu merken.«

Ein Arbeiter einer MTS im Kreis Torgau, [Bezirk] Leipzig: »Auf dem Parteitag wurde hervorgebracht, dass in Westdeutschland die Preise höher sind wie bei uns. Das glaube ich aber nicht. Des Weiteren berichten unsere Zeitungen immer von einer Preissteigerung in Westdeutschland.25 Bei uns ist es ähnlich. Unsere Frauen merken es am besten, wie die Preise nach einer Preissenkung langsam wieder ansteigen.«

Verschiedentlich wird noch immer das Gerücht verbreitet, dass nach dem IV. Parteitag die freien Spitzen wegfallen oder die Preise dafür niedriger werden.26 Das hat zur Folge, dass Bauern versuchen, möglichst viel auf freie Spitzen zu verkaufen, vor allem Schweine, die mitunter nicht das erforderliche Gewicht haben. So z. B. lagern dadurch im Schlachthof Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erhebliche Mengen an Speck und Darmfett und laufend kommt neue Ware hinzu. Es besteht die Gefahr des Verderbens. Von Angestellten des Schlachthofes wird erklärt: »Dass unbedingt etwas unternommen werden muss, damit sie nicht eines Tages vor Gericht gestellt werden, weil mehrere Zentner Ware verdorben sind.«

Über die Note der Sowjetunion an die Westmächte vom 31.3.1954 wurden nur vereinzelt Stimmen bekannt, meist positiv. Ein Genossenschaftsbauer aus Gahlenz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wenn die Sowjetunion mit im Nord-Atlantik-Pakt vertreten ist, dann wäre der Frieden gesichert, dann könnten die Westmächte nicht gegen die SU vorgehen.«

Ein Schlosser der MTS Gerdshagen, [Bezirk] Potsdam: »Die SU hat die drüben vor eine Entscheidung gestellt, ich bin gespannt, wie die antworten. Ich sage, die lehnen ab, denn sie sind gar nicht in der Lage, diesem Vorschlag zuzustimmen.«

Da die Frühjahrsbestellung im Mittelpunkt des Interesses steht, wird mehr über wirtschaftliche Fragen gesprochen. Im MTS-Bereich Dessow, [Bezirk] Potsdam, fehlen große Mengen Saatkartoffeln (besonders bei den örtlichen landwirtschaftlichen Betrieben 350 dz) sowie im BHG-Bereich Raguhn, [Bezirk] Halle, fehlen 100 Tonnen Saatkartoffeln. Des Weiteren ist im Kreis Bitterfeld, [Bezirk] Halle, die Belieferung mit Frühkartoffeln-Saatgut erst zu 75 Prozent erfolgt.

In den Mieten der Deutschen Saatgutgesellschaft Saalfeld, [Bezirk] Gera, lagern 600 dz Saatkartoffeln, die noch nicht freigegeben werden, davon ca. 250 dz frühzeitige Saatkartoffeln, die schnellstens zur Auslieferung kommen müssen. (Darüber herrscht Verärgerung unter den Bauern.)

An Futter mangelt es im VEG Henfstädt, [Bezirk] Suhl (für 30 Milchkühe und 20 Rinder) und in der LPG Goldersrode,27 [Bezirk] Dresden, ist für 100 Stück Rindvieh nur noch ein paar Tage Futter vorrätig.

Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Bauer aus Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich schätze die Leute, die nach dem Westen abgehauen sind, denn diese haben große Opfer gebracht. Ihnen haben wir den 17.6.1953 zu verdanken, wenn es den nicht gegeben hätte, dann sähe es bei uns schlimm aus. Wir wollen hoffen, dass es bald einen zweiten 17.6.[1953] gibt.«

Anschließend an eine Gemeindevertretersitzung äußerte ein Gemeindevertreter (SED): »Zur Diskussion darf man gar nichts sagen, denn der Volkspolizist ist hier und passt auf, ob man etwas Verkehrtes sagt. Entweder wird man eingesperrt oder man kommt auf die schwarze Liste.«

Als sich ein Abschnittsbevollmächtigter der VP bei dem Sekretär der Betriebsparteiorganisation der Stadtverwaltung Wurzbach, [Bezirk] Gera, erkundigte, wieviel Großbauern im Ort ansässig sind, bekam er zur Antwort: »Wir haben hier keine Großbauern. Von mir aus sind nur die Großbauern, welche über 100 Hektar Land haben!28 Wenn ihr die kleinen Bauern noch einsperren wollt, dann könnt ihr keinen Sozialismus aufbauen.«

Übrige Bevölkerung

Im Mittelpunkt der Diskussionen der übrigen Bevölkerung steht die Beibehaltung der Lebensmittelkarten. Größtenteils wird dies begrüßt, wobei teilweise eine Erhöhung der Rationen erhofft wird. Eine parteilose Hausfrau aus Lobenstein, [Bezirk] Gera: »Ich freue mich, dass die Karten beibehalten werden und wir die Lebensmittel für den normalen Preis kaufen können. Dadurch verschlechtert sich der Lebensstandard der Familie nicht. Anderenfalls hätte man doch mit einer Erhöhung der Preise rechnen müssen.«

Eine Hausfrau aus Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Das ist ja fein von der Regierung, dass die Karten noch bleiben, denn wir als ältere Leute hätten ja sonst darunter zu leiden gehabt. Wir müssen erst so viel billiger und gute Waren herstellen, dass es für jeden reicht.«

Eine Hausfrau aus Magdeburg äußerte: »Mein Mann bekommt die A-Karte.29 Das ist ganz gut und schön, aber ich bekomme ja nur für 1 kg Fleischmarken 800 g Ware. Die Regierung müsste endlich einmal die Vollbelieferung der Lebensmittelkarten beschließen.«

Über politische Probleme des IV. Parteitages wurden nur vereinzelt Stimmen bekannt, die sich mit dem Referat vom Genossen Matern,30 Verbot der Atomwaffe und dem Kampf um Einheit und Frieden beschäftigen. Die bekannt gewordenen Stimmen sind positiv. Die Ärzte des Kreiskrankenhauses in Stadtroda, [Bezirk] Gera, bringen in ihrer Diskussion zum Ausdruck, dass sie die Forderung vom Genossen Ulbricht über das Verbot der Atomwaffe nur begrüßen können,31 da die Wirkung entsetzlich sei.

Ein Oberbuchhalter (parteilos) aus Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg (ehemaliger Major der faschistischen Wehrmacht), beschäftigt bei der Bau-Union, äußerte: »Die Ausführungen von Matern treffen voll und ganz zu. Es gibt tatsächlich [in] den Bau-Unionen Missstände, die unverantwortlich sind.32 Ich hoffe, dass in dieser Beziehung eine Wende eintritt.«

Zur Note der UdSSR an die Westmächte vom 31.3.1954 wurden uns vereinzelt Stimmen bekannt, die meist positiv sind. Ein Mitglied der CDU aus Köthen, [Bezirk] Halle, äußerte: »Ich möchte nur wissen, was uns die Westmächte für Argumente bringen werden, denn bisher haben sie doch alle Noten der Sowjetregierung abgelehnt. Es zeigt sich, dass die neue Note der Sowjetunion erneut den Friedenswillen ausdrückt. Die Friedensbewegung in der Welt ist doch jetzt schon so stark, dass die Westmächte dieses Angebot kaum ablehnen können.«

Eine Angestellte aus Karl-Marx-Stadt äußerte: »Diese Note wird beweisen, wer den Krieg will und wer nicht.«

Ein Angestellter aus Karl-Marx-Stadt äußerte: »Die Sowjetunion hat große Angst vor dem EVG, deshalb will sie ihn auf jeden Fall verhindern.«33

Feindliche und negative Äußerungen wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Eine Hotelbesitzerin aus Halle äußerte: »Wenn man nur einmal dieses Pack (gemeint Rote Armee) draußen hätte, denn die machen uns das Leben nur schwerer. Der 17. Juni [1953] wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, aber die Waffen haben gefehlt. Aber wenn noch einmal so ein Tag kommt, stehen die nötigen Waffen zur Verfügung und dann gibt es in meinem Restaurant eine große Feier. Was vom IV. Parteitag herauskommt, weiß ich schon, denn das ganze Programm wird von den Russen aufgestellt, und unsere Dummköpfe nicken nur mit den Kopfe und sagen ja.«

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften des SPD-Ostbüros:34 Frankfurt 250, Dresden 80, Gera 18, Halle einige, Rostock einige, Erfurt einige. Inhalt: Hetze gegen die Regierung der DDR, »freie Wahlen« Langsamarbeiten.

Hetzschriften der NTS:35 Cottbus 4 200, Neubrandenburg 4 000, Dresden 20. Inhalt: Hetze gegen die SU, Aufforderung zum Desertieren.

Hetzschriften der KgU:36 Schwerin 1 200. Inhalt: Hetze gegen SfS, Namen von Mitarbeitern des SfS.

Hetzschriften des CDU-Ostbüros: Frankfurt 15. Inhalt: Hetze gegen Viermächtekonferenz.37

Hetzschriften des UFJ:38 Potsdam 3 000. Inhalt: Hetze gegen SU und DDR sowie gegen SED.

Hetzbriefe wurden in den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Dresden, Erfurt, Neubrandenburg und Potsdam sichergestellt.

Herausgeber: UFJ, SPD-Ostbüro, KgU. Inhalt: UFJ – Hetze gegen die DDR, gegen IG Eisenbahn, gegen Schöffen. Anweisung zum »ungestörten Rundfunkempfang« von Westsendern. SPD-Ostbüro – »5. Rundschreiben« der sogenannten SED-Opposition.39 KgU – Hetze gegen SfS, Namen von Mitarbeitern des SfS aus dem Bezirk Neubrandenburg.

Terror: In der Nacht [vom] 5. zum 6. April 1954 wurden bei zwei Genossen der SED in Babelsberg, [Stadt] Potsdam, je eine Fensterscheibe durch Steinwurf eingeschlagen.

Autodemokratische Schmierereien: Im Bezirk Halle wurden die Hetzlosungen »Nieder mit Pieck«40 und das Dollarzeichen angeschmiert. Im Bezirk Erfurt wurden die Hetzlosungen »Heil, Adolf Hitler« und einige Hakenkreuze angeschmiert.

Antidemokratische Handlungen: Im Bezirk Potsdam wurden drei Fahnen abgerissen.

Vermutliche Feindtätigkeit

Am 5.4.1954 brannte in Werben, [Bezirk] Cottbus, die Scheune eines Angestellten des Rates des Kreises nieder. Der Schaden beträgt DM 3 000.

Westberlin

Kundgebung des »Zentralverbandes der russischen Nachkriegsemigranten«41 am Funkturm am 6.4.1954. Anwesend waren ca. 1 700 Personen. Zu den Kundgebungsteilnehmern sprachen Scharnowski,42 Dr. Hoffmann43 (Vorsitzender des Deutsch-russischen Freundschaftsbundes)44 und drei Deserteure der Sowjetarmee. Wesentliche Punkte in den Hetzreden, die sich gegen die Sowjetunion und DDR richteten, waren nicht zu verzeichnen. Der Beifall der Anwesenden war sehr schwach und selten.

Einschätzung der Situation

Über den IV. Parteitag wird weiterhin vorwiegend über Fragen diskutiert, welche im Zusammenhang mit der Verbesserung des Lebensstandards stehen. Die Erklärungen dazu sind meist zustimmend. Negative und feindliche Diskussionen zu den verschiedenen politischen Fragen sind gering. Die feindliche Flugblattaktion hat gegenüber den Tagen während des Parteitages nachgelassen.

Anlage 1 vom 8. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2177

Anhang zur übrigen Bevölkerung

Vom Parteisekretär der Konsumgenossenschaft Weißensee wird berichtet, dass unter den Verkäuferinnen in Hohenschönhausen Gespräche dahingehend geführt werden, dass die Funktionäre besser leben als die einfachen Menschen. So lassen z. B. die Frauen aus dem Sperrgebiet (gemeint ist Objekt Orankesee)45 Ende des Monats stets mehrere Pfund Butter gutschreiben. Die Verkäuferinnen erhalten nur die Grundkarte und wären bei ihrem niedrigen Gehalt nicht in der Lage, sich etwas dazu zu kaufen. Weiterhin wird von der Verkaufsstelle T 18/705 darüber Klage geführt, dass der Umsatz der Textilien im letzten Monat in ihrer Verkaufsstelle stark zurückgegangen ist. Als Grund hierfür wird angegeben, dass seit einigen Wochen das Gerücht im Umlauf ist, eine umfassende Preissenkung sei zu erwarten. Dieses Gerücht soll von den Frauen aus dem Objekt Orankesee kommen.

Anlage 2 vom 8. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2177

Nachtrag zur Feindtätigkeit

Die Gemeinde Hockeroda, Kreis Saalfeld, [Bezirk] Gera, erhielt von der westdeutschen Gemeinde Nordhalben, Bayern, brieflich eine Einladung zu einer Tausend-Jahr-Feier, welche mit einem großen Bauernmarkt verbunden ist. Die Mehrzahl der Bauern will an dieser Feier teilnehmen. Bereits vor ca. drei Wochen wurde eine große Anzahl derartiger Briefe sichergestellt, die an sämtliche Ortschaften entlang der Demarkationslinie gerichtet waren.

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    9. April 1954
    Informationsdienst Nr. 2178 zur Beurteilung der Situation

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    8. April 1954
    Analyse vom 16. bis 31. März 1954 [Nr. 6/54]