Zur Beurteilung der Situation
9. April 1954
Informationsdienst Nr. 2178 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Bei den Werktätigen in den Betrieben stehen weiterhin die betrieblichen und wirtschaftlichen Fragen im Mittelpunkt der Diskussionen. Über den IV. Parteitag der SED1 wird nur gering diskutiert. Im Allgemeinen haben die Stimmen an Umfang nicht zugenommen. Außer in den Bezirken Schwerin, Erfurt und Cottbus, wo ein geringer Rückgang zu verzeichnen ist, während in der Wismut2 die Diskussionen etwas zugenommen haben. Über die politischen Probleme des IV. Parteitages der SED wird in den Betrieben wenig diskutiert. Diese Diskussionen werden dann meist von Genossen unserer Partei und fortschrittlichen Kräften geführt. Ein Teil der Werktätigen, besonders aber Angestellte und Angehörige der Intelligenz, zeigen eine abwartende Haltung bzw. sind gegenüber Fragen des IV. Parteitages interesselos und gleichgültig. Die Ursache liegt zum Teil in einer ungenügenden Aufklärungs- und Agitationsarbeit. So sind die Kumpel vom Wismut-Schacht 4 Oberschlema und Schacht 13 Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, zum größten Teil politisch uninteressiert. Dies liegt zum Teil darin, dass seitens der leitenden Organe ungenügend auf die Kumpels politisch eingewirkt wird.
Ein Brigadier der Baustelle 108–114 der Stalinallee Berlin: »In meiner Brigade werden keine Diskussionen über politische Probleme geführt. Dies ist besonders darauf zurückzuführen, dass sich der Parteisekretär seit Januar 1954 erst einmal bei der Brigade hat sehen lassen.«
Ein Arbeiter vom VEB Tiefbau Berlin: »Am 5.4.1954 haben wir noch nicht gewusst, ob wir uns an der Demonstration am 6.4.19543 mit beteiligen. Die Kollegen sind darüber verärgert. Es war bisher so, dass bei Kundgebungen der größte Teil nach Hause ging, weil es die Betriebsparteiorganisation nicht verstanden hat, die Kollegen persönlich anzusprechen.«
Von einem größeren Teil der Werktätigen in der Industrie wird über wirtschaftliche Fragen, die in Verbindung mit dem IV. Parteitag stehen, diskutiert. Zum Rechenschaftsbericht des Genossen Walter Ulbricht4 sind die Mehrzahl der bekannt gewordenen Stimmen positiv.5 Besonders wird die vorläufige Beibehaltung der Lebensmittelkarten begrüßt, dabei wünscht ein Teil die Erhöhung der Rationen bzw., dass der Abzug bei Fleischwaren wegfällt.6 Die Neuwahlen der Volkskammer im Herbst 1954 werden ebenfalls von einem Teil begrüßt.7
Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Industriewerk Telz,8 [Bezirk] Potsdam: »Ich sehe ein, dass wir bei dieser Preisgestaltung die Lebensmittelkarten noch beibehalten müssen. Wahrscheinlich reicht unsere Arbeit doch nicht aus. Ich stelle daher den Antrag, dass alle Dreher und Fräser im Betrieb ihre Norm um 5 bis10 Prozent erhöhen, damit wir die Voraussetzungen schaffen zu einer Preissenkung.«
Ein Teil der Belegschaft der Rathenower Optischen Werke, [Bezirk] Potsdam, ist mit dem Vorschlag über Beibehaltung der Lebensmittelkarten einverstanden. Jedoch wünscht man, dass auf Fleischmarken das volle Gewicht an Wurstwaren ausgegeben wird.
Ein Arbeiter vom Werkzeugmaschinenwerk Zerbst, [Bezirk] Magdeburg: »Warum sollen wir denn Wahlen durchführen. Wir sind doch mit unseren Männern in der Regierung zufrieden, denn die machen ihre Sache schon.«
Ein Arbeiter vom VEB Schumann & Co. Leipzig:9 »Die Rede des Genossen Mikojan10 beweist immer mehr die freundschaftlichen und aufrichtigen Beziehungen und enge Verbundenheit zwischen unseren beiden Völkern.«11
Die Kollegen in der Hauptwerkstatt des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld, [Bezirk] Halle, diskutierten über den Bericht des Genossen Matern12 zum Fall Klickermann,13 der als Agent des Ostbüros14 entlarvt wurde und noch immer im Kombinat beschäftigt ist. Sie sind der Meinung, dass ein Agent in einem volkseigenen Betrieb nichts zu suchen hat.
Ein kleiner Teil der Werktätigen ist enttäuscht über die Ergebnisse des IV. Parteitages, besonders, dass keine Preissenkung erfolgte, sowie über die Beibehaltung des Kartensystems. Ein Berufsschüler der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock: »Ich bin über den Verlauf des Parteitages äußerst enttäuscht, da keine Beschlüsse zur Verbesserung der materiellen Lage der Bevölkerung herausgekommen sind.« In der Neptun-Werft Rostock diskutiert man darüber, dass mit keiner Preissenkung zu rechnen sei, da sie keine Arbeit haben und aufgrund dessen auch nicht die Voraussetzungen dazu schaffen könnten.
Ein Fernmeldemeister (parteilos) vom Fernmeldeamt Meißen, [Bezirk] Dresden: »Auf dem Parteitag sind sie nun dahintergekommen, dass es mit dem Jahr der großen Initiative15 doch nicht so schnell geht und belassen weiterhin die Lebensmittelkarten. Wir werden ja nicht gefragt, wenn über etwas entschieden wird.«
Negative und feindliche Stimmen zum IV. Parteitag wurden nur in geringer Zahl bekannt. Bei diesen Personen zeigt sich besonders der westliche Einfluss. Feindliche Elemente hetzen dabei gegen die Beibehaltung des Kartensystems und gegen die Wahlen der Volkskammer im Herbst 1954. Eine Arbeiterin (NDPD) vom Privatbetrieb »Rückkehr« in Frössen,16 [Bezirk] Gera: »Man hat auf eine Preissenkung gewartet, aber nichts ist geschehen. Walter Ulbricht hat vorgeschlagen, die Lebensmittelkarten noch beizubehalten. Sie haben nichts und deshalb können sie die Marken nicht wegfallen lassen.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Elektrostahlguss Leipzig: »Wenn Ulbricht sagt, wir müssen erst für eine Milliarde DM über den Plan erfüllen,17 dann wird nie eine Preissenkung kommen.«
In einigen Großbetrieben des Bezirkes Frankfurt treten negative Diskussionen, besonders gegen unser Wirtschaftssystem, auf. So z. B. im EKS »J. W. Stalin«18 im Kraftwerk Stalinstadt, Bau-Union Stalinstadt und VEB Gaselan Fürstenwalde,19 [Bezirk] Frankfurt. So äußerte ein Arbeiter der Bau-Union Stalinstadt: »Es ist ganz gut, dass ich keine Sonderschicht zum Parteitag geleistet habe. Ich muss erst sehen, ob für den Arbeiter dabei etwas herauskommt. Bis jetzt ist noch nichts zu sehen. Wenn der Russe nicht so viel nehmen würde, brauchten wir auch keine Lebensmittelkarten mehr und die Preise wären niedriger.«
Ein Polier der Bau-Union Wismar, [Bezirk] Rostock (parteilos): »Es ist ja zum Lachen, ich komme gerade von einer Schulung, wo sie mich angepfiffen haben, weil ich so wenig hinkomme. Sie können mir den Buckel runterrutschen, der ganze Mist bricht doch bald zusammen. Was will die DDR uns noch schulen und was soll der ganze Quatsch in Berlin, es kommt doch nichts dabei heraus.«
Über die Note der Sowjetunion vom 31.3.1954 an die Westmächte wird von den Arbeiten in ganz geringem Umfange diskutiert.20 Die Mehrzahl der Stimmen ist positiv. Eine Arbeiterin aus der Werkzeugmaschinenfabrik Zerbst, [Bezirk] Magdeburg: »Die Note der Sowjetunion ist nur zu begrüßen. Aber wie wird sich die SU verhalten, wenn der Vorschlag auf Aufnahme in den Nord-Atlantik-Pakt21 abgelehnt wird.« Ein Brigadier aus dem Leuna-Werk »Walter Ulbricht«: »Es ist von großer Bedeutung, wenn die Sowjetunion dem Nord-Atlantik-Pakt beitreten würde. Das würde die Sicherheit des Friedens bedeuten.«
Unzufriedenheit besteht in einigen Betrieben wegen Lohn-, Prämienfragen und Einführung von Nachtarbeit. Nach der Zusammenlegung der VEB Seehafen und Deutrans22 in Wismar, [Bezirk] Rostock, sind unter den Kollegen große Unstimmigkeiten wegen der verschiedenen Entlohnung entstanden.
Im VEB Westglaswerk Stützerbach, [Bezirk] Suhl, werden sehr negative Diskussionen über Quartalsprämien für die Abteilungsleiter und dem Betriebsleiter geführt. Einige Kollegen äußerten: »Wir müssen Stoßschichten machen, um den Plan zu erfüllen, aber die Herren mit den hohen Gehältern erhalten die Prämien.« Ähnliche Diskussionen werden im VEB Spezialglaswerk »Einheit« in Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, geführt.
Im Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin« kam es zu größeren Diskussionen wegen angeblicher Lohnkürzungen. Ein Arbeiter vom Hochofen 2 sagte dazu: »Wenn für die Kollegen an allen Öfen neue niedrigere Lohnstufen eingeführt werden, dann werden wir denen da oben mal Dampf machen, mit der Arbeit aufhören und eine Delegation nach Berlin schicken.«
Im VEB Gub Glashütte,23 [Bezirk] Dresden, gibt es heftige Diskussionen über die Einführung einer dritten Schicht. Die Kollegen sind der Meinung, dass eine Nachtschicht nur wegen Strommangel nötig sei. Dazu sagten einige Kollegen: »Man soll die Störsender einziehen, denn die verbrauchten eine Unmenge Strom, dann hätten wir genug.«24
Materialmangel wird aus einigen Betrieben gemeldet. Im VEB Glühlampenwerk Oberweißbach, [Bezirk] Suhl, bestehen Schwierigkeiten in der Beschaffung von Kupfermanteldraht. Die Folge davon sind Produktionsstörungen, die zu Entlassungen von Arbeitern führen.
Im LEW Hennigsdorf-Ost,25 [Bezirk] Potsdam, fehlen Blankschrauben, die erst im dritten Quartal geliefert werden, obwohl sie bereits im zweiten Quartal benötigt werden. Es besteht die Gefahr, dass dadurch in Kürze erhebliche Produktionsunterbrechungen eintreten werden.
Im VEB Apparate- und Kesselbau Berlin-Niederschönhausen ist aufgrund Materialschwierigkeiten nicht genügend Arbeit vorhanden. Einige Schweißer und Schlosser haben bereits gekündigt.
Unzufriedenheiten unter Betriebsschutzangehörigen: Unzufriedenheit besteht unter den Angehörigen der Abteilung Betriebsschutz des VPKA Karl-Marx-Stadt, welche verursacht wurde durch Einführung des neuen Stellenplanes. Hierbei sollen 60 Angehörige herabgestuft werden. Zum größten Teil betrifft dies VP-Angehörige mit langjähriger Dienstzeit. Ein VP-Meister: »Durch Versetzung erhielt ich die Leistungsstufe 13, vordem hatte ich die 12. Ich fand mich damit ab, weil ich alles daransetzte, mich schnellstens einzuarbeiten. Durch den neuen Stellenplan erhalte ich aber die Leistungsstufe 14. Ich finde dies entwürdigend, denn ich habe nicht die Absicht, mich nach siebenjähriger VP-Tätigkeit rückwärts zu entwickeln.«
VP-Meister: »Ich werde zwar noch nicht damit betroffen, habe durchaus Verständnis für die Verärgerung der betroffenen Genossen. Ich habe es im vergangenen Jahr bei meiner Rückkehr nach Karl-Marx-Stadt selbst erfahren, dass nicht Leistung und Bewährung entscheidet, sondern der Stellenplan. Viele haben damit gerechnet, am 1. Mai [1954] befördert zu werden und jetzt ist genau das Gegenteil zu verzeichnen. Ich muss es den höheren Dienststellen überlassen, festzustellen, inwieweit diese Maßnahme dazu beiträgt, die Stimmung und Einsatzbereitschaft zu heben. Ich bin der Meinung, dass man gerade jetzt bei unserem Kampf um die Erringung der Einheit Deutschlands nicht Maßnahmen einleiten sollte, die dazu beitragen könnten, die Schlagkraft der VP zu schwächen.«
Handel und Versorgung
In Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, lagern seit längerer Zeit zehn Kisten polnische Gänse für den Kreiskonsumverband Hohenstein-Ernstthal, sie sind bereits angeschimmelt und deshalb nicht mehr genießbar. Im Kreis Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, lagern größere Mengen an Fett. Bei 2 Tonnen besteht bereits die Gefahr des Verderbens. Die Mengen können sich täglich erhöhen, deshalb muss schnellstens Abhilfe geschaffen werden.
Im Bezirk Gera besteht ein Mangel an Bohnenkaffee und HO-Eiern. In mehreren Kreisen des Bezirkes Halle bestehen Schwierigkeiten in der HO-Fleischversorgung und zwar deshalb, weil durch Ministerratsbeschluss die HO-Fleischkontrollziffern gekürzt wurden.26
Landwirtschaft
Nach wie vor wird unter der Landbevölkerung wenig über politische Tagesfragen diskutiert. Meist äußern sich dazu nur Arbeiter und Angestellte der MTS und VEG sowie Mitglieder der LPG. Die Stimmen zum IV. Parteitag sowie zur Note der SU an die Westmächte vom 31.3.1954 sind weniger geworden. Die Diskussionen zum IV. Parteitag beinhalten meist Fragen, die die Landwirtschaft betreffen. Ein Bauer (parteilos) aus Waldberg, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich bin angenehm überrascht, dass auf dem IV. Parteitag die Unterstützung der Einzelbauern besonders herausgestellt wurde und vor allem, dass das Bündnis der LPG-Bauern und Einzelbauern gefestigt werden müsste.«
Eine Landarbeiterin aus Sprotta, [Bezirk] Leipzig: »Ich bin besonders erfreut, dass sich die Partei der Arbeiterklasse auf ihren Parteitag sich mit der Landwirtschaft befasste. Ich will meine ganze Kraft dafür einsetzen, um den Frauen in unserem Ort aufzuzeigen, dass die Partei und Regierung alles tut, um das Leben auf dem Lande schöner zu gestalten.«
Zur Beibehaltung der Lebensmittelkarten äußert sich ein geringer Teil, meist positiv. Vereinzelt wird eine Enttäuschung zum Ausdruck gebracht. So z. B. äußerte eine Landarbeiterin aus Klasdorf, [Bezirk] Potsdam: »Ich habe bestimmt erwartet, dass die Lebensmittelkarten abgeschafft werden, das hat uns W. Ulbricht schon im vergangenen Jahr versprochen und noch immer werden sie beibehalten.«
Negative bzw. feindliche Stimmen zum IV. Parteitag wurden nur ganz vereinzelt bekannt. So z. B. äußerte ein Mittelbauer aus Malter, [Bezirk] Dresden: »Den Mist mit dem IV. Parteitag habe ich satt, es ist doch immer wieder dasselbe.« Ein Mittelbauer und ein Großbauer aus Wildenhain, [Bezirk] Leipzig, erklärten: »Wenn im Herbst die Wahlen sind, wählen wir nicht unsere jetzige Regierung, sondern Adenauer,27 weil dieser uns die freie Wirtschaft bringt.«
Noch immer steht die Frühjahrsbestellung im Mittelpunkt des Interesses, deshalb wird mehr über wirtschaftliche Fragen gesprochen. In einzelnen Kreisen des Bezirkes Halle herrscht unter Bauern Unzufriedenheit über die ungenügende Kalkstickstoffzuteilung. In einzelnen Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt wird dringend Kalk für die Frühjahrsbestellung benötigt.
Im Bezirk Karl-Marx-Stadt bestehen weiterhin Schwierigkeiten in der Futtermittelbelieferung, besonders fehlt es an Sojaschrot. Im Kreis Annaberg haben verschiedene Bauern aufgrund des Futtermangels ihre Schweine als freie Spitzen verkauft.28
In einzelnen Kreisen des Bezirkes Magdeburg wurde verschiedentlich Futtergetreide zur Aussaat genommen, da nicht genügend Saatgut zur Verfügung stand. Dadurch bestehen jetzt ernste Schwierigkeiten bei der Bereitstellung von Futtermitteln. Im Bezirk Magdeburg bestehen in mehreren Ortschaften des Grenzgebietes Halberstadt Schwierigkeiten in der Versorgung mit Pflanzkartoffeln und Saatgetreide.
In mehreren Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt wird über die schlechte Arbeit der VEAB geklagt (es wird nicht genau Buch geführt über abgelieferte Waren). So z. B. wurde von der VEAB in Auerbach ein Bauer öffentlich (Zeitungsartikel) beschuldigt, der Eierablieferung nicht nachgekommen zu sein. Anhand seiner Ablieferungskarte konnte er aber nachweisen, dass er seinen Verpflichtungen nachgekommen ist. Nach Rücksprache des Leiters der VEAB bekam er zur Antwort, dass er das Recht habe, die VEAB in der Presse daraufhin zu kritisieren, aber seinerseits werde keine Berichtigung erfolgen.
In der LPG Dierhagen, [Bezirk] Rostock, besteht ein großer Mangel an Arbeitskräften. Des Weiteren ist zu verzeichnen, dass sich der Rat des Kreises schlecht um die LPG kümmert.
Negative bzw. feindliche Stimmen zu politischen und wirtschaftlichen Fragen wurden nur vereinzelt bekannt. Der Werkstattleiter der MTS Schwerinsburg, [Bezirk] Neubrandenburg: »Unsere ganze Regierung sind alles Verbrecher und Lumpen, sie sollen machen, dass sie wegkommen (Genannter kam 1948 aus Westdeutschland).«
Auf einer Versammlung in Merzdorf, [Bezirk] Potsdam, äußerte ein Großbauer (komm. Bürgermeister29): »Die Verwaltung müsste alle Bauern gleichmäßig behandeln, denn durch die Vergünstigungen, die die Genossenschaftsbauern erhalten, wird ein Keil zwischen die Einzel- und Genossenschaftsbauern getrieben.« In ähnlicher Form äußerte sich auf einer Versammlung in der Gemeinde Böddensell, [Bezirk] Magdeburg, der Bürgermeister (CDU). »Es müsste eine Gleichstellung der Einzelbauern mit den Genossenschaftsbauern erfolgen, denn die Einzelbauern fühlen sich vor den Kopf gestoßen, wenn die LPG mehr Düngemittel erhalten und sie aber ein größeres Soll aufzubringen haben.«
Ein Angestellter einer BHG aus dem Kreis Hohenmölsen, [Bezirk] Halle: »Unsere Landwirtschaft liegt am Boden, wir sind doch bettelarm. Wir fechten schon wieder Pflanzkartoffeln bei den kleinen Leuten. Die LPG liefern noch nicht einmal die Hälfte von dem, was die Bauern abliefern.«
Die Schweinepest tritt in einzelnen Kreisen des Bezirkes Halle verstärkt auf (in zwei Tagen insgesamt 2 670 Schweine notgeschlachtet, allein davon 1 500 im VEG Greppin).
Übrige Bevölkerung
Die Diskussionen über den IV. Parteitag sind etwas geringer geworden, über die Beibehaltung der Lebensmittelkarten herrscht größtenteils Zustimmung. Bei einem kleinen Teil der Bevölkerung ist eine Enttäuschung darüber zu verzeichnen, dass auf dem IV. Parteitag keine Beschlüsse über die Abschaffung der Lebensmittelkarten gefasst wurden, des Weiteren hofft man auf die angekündigte Preissenkung.
Ein Angestellter des Haupttelegrafenamtes aus Berlin äußerte: »Ich habe gehört, dass ab Mai die Karten wegfallen sollten, dann sollte die Butter DM 8,00 kosten. Die kann ja keiner mehr kaufen, da habe ich lieber noch Lebensmittelkarten.«
Eine Hausfrau aus Halle äußerte: »Wenn die Karten in Wegfall kommen und die Preise ansteigen, kann ich mir weniger kaufen. Ich begrüße aber den Abschluss auf dem IV. Parteitag über die Beibehaltung der Lebensmittelkarten.«
Ein Einwohner aus Roßwein, [Bezirk] Leipzig, äußerte sich: »Da sieht man wieder, was die Lumpen in Berlin getan haben, für die Kleinen haben sie nichts übrig, das sieht man an den Lebensmittelkarten. Die im Westen sind frei und froh. Unsere können nichts wie reden, denn sie haben ja keinen Dunst.«
Die Kollegen der Deutschen Notenbank Magdeburg diskutierten darüber, dass bei verschiedenen Artikeln Überplanbestände vorhanden sind, wie z. B. bei Schokoladenerzeugnissen – Zuckerwaren und einige Konfektsachen –. In den Diskussionen bringen sie zum Ausdruck, dass, wenn keine Preissenkung bei diesen Sachen erfolgt, diese dem Verderb preisgegeben sind.
Über politische Probleme des IV. Parteitages wurden nur ganz vereinzelt Stimmen bekannt. Ein Angestellter vom Kreiskrankenhaus Meiningen, [Bezirk] Suhl, äußerte: »Ich begrüße den Beschluss, dass im Herbst 1954 Wahlen durchgeführt werden. Diese Wahlen werden auch die Auswirkungen auf Westdeutschland haben.«
Die Kundgebungen, die zu Ehren des IV. Parteitages in den meisten Bezirken durchgeführt wurden, zeigen, dass die Delegierten begeistert begrüßt wurden von den Werktätigen. In Halle nahmen 70 000 Werktätige teil, die einstimmig ein Begrüßungstelegramm an das neu gewählte ZK sandten.30
Zur Note der UdSSR vom 31.3.1954 wurden uns nur ganz vereinzelt Stimmen bekannt, die meist positiv sind. Ein Postangestellter aus Schwerin äußerte: »Wenn die Westmächte auf diesen Vorschlag der Sowjetunion keine Antwort geben, dann können sie ihre Kriegspolitik nicht mehr abstreiten und sie entlarven sich vollständig.« Eine Hausfrau aus Leubsdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte: »Wenn die Sowjetunion in den Nord-Atlantik-Pakt nicht aufgenommen wird, entlarven sich die Westmächte immer mehr.«
Feindliche und negative Äußerungen wurden vereinzelt bekannt. Ein Jugendfreund aus Gera äußerte: »Die Atombombe hatte auch schon Hitler und jetzt prahlen die anderen Staaten damit. Bei uns kann man ja aber nicht seine Meinung sagen, da man sonst Bekanntschaft mit Sibirien macht.«
Ein ehemaliger Gastwirt aus Erfurt: »Jetzt kommt die Zeit, wo man wieder Haus und Hof verschließen muss. Wenn die Russen da sind, kann man bei Anbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße gehen, sonst läuft man Gefahr, von den Russen geschlagen zu werden. Besonders unsere Frauen müssen sich vorsehen. Die Russen sind doch Bestien.«
Im Haupttelegrafenamt in Berlin wird von einem Angestellten geäußert: »Es ist ja alles Käse, auf dem Parteitag ist gar nichts für uns herausgekommen. Der zog sich so lahm dahin. Die Zeitung ist voll langer Reden, die kein Mensch lesen kann, vor allen Dingen reden sie alle das Gleiche, ob Russe oder Chinese,31 alles derselbe Käse. Aber wir können hier noch froh sein, uns geht es noch gut. Die in den Volksdemokratien haben gar nichts. Nicht einmal die einfachsten Medikamente, die wir als selbstverständlich betrachten. Diese Sachen werden alle aus dem Westen geschickt. Man glaubt gar nicht, was ich alles für Telegramme aus Warschau gesehen habe ›Schicke Schuhe oder Strümpfe zur Einsegnung‹ und dann schreiben sie noch von Preissenkungen in den Volksdemokratien.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro: Karl-Marx-Stadt 76, Potsdam einige. Inhalt: Hetze gegen die Regierung der DDR, »freie Wahlen«.
NTS:32 Berlin 70, Gera 46, Karl-Marx-Stadt 57, Potsdam 4 070 und Cottbus einige. Inhalt: Hetze gegen die SU, Aufforderung zum Desertieren.
KgU:33 Karl-Marx-Stadt 32. Inhalt: Hetze gegen die Regierung der DDR.
CDU-Ostbüro: Potsdam 2 000. Inhalt: Hetze gegen Viermächtekonferenz.34
Hetzbriefe: Im Bezirk Erfurt wurden Hetzbriefe der FDP (Inhalt: 5. Rundschreiben der SED-Opposition35) sichergestellt, im Bezirk Dresden dem UFJ36 (Inhalt: Aufforderung an BGL-Mitglieder, sich in Westberlin vorzustellen), im Bezirk Karl-Marx-Stadt vom »Internationalen Bund freier Gewerkschaften«.37
Antidemokratische Handlungen: Am 5.4.1954 wurden in Werneuchen, [Bezirk] Frankfurt, auf dem Bahnhof 15 Fahnen heruntergerissen.
Antidemokratische Schmierereien: In den Bezirken Schwerin und Neubrandenburg wurden mehrere Hakenkreuze angeschmiert. Im Bezirk Dresden wurde unter ein Bild des Genossen Wilhelm Pieck38 eine Hetzlosung angeklebt.
Vermutliche Feindtätigkeit
Die MTS Badrina und Döbernitz im Kreis Delitzsch erhielten je einen sowjetischen Mähdrescher geliefert. Von den dazugehörenden drei Kisten Zubehörteilen wurden der MTS Badrina nur eine und der MTS Döbernitz nur zwei Kisten geliefert, sodass diese Mähdrescher nicht aufgebaut werden können.
Über drei Hochspannungsgeräte in der Nähe von Liebenwerda,39 [Bezirk] Potsdam, wurde eine Papierschnur geworfen, die an einem Ende an einem Pfahl befestigt war. Bei Regen wären dadurch Schäden von größerem Umfang entstanden. Täter wurde festgenommen.
Nach Mitteilung des »Kurier« vom 8.4.195440 hat der Westberliner Eiergroßhandel dem Westberliner Senat einen Vorschlag unterbreitet, wonach in allen Grenzbezirken Westberlins offizielle »Eierankaufstellen für Osteier« eingerichtet werden sollen. Sie sollen Eier aus der DDR zum westdeutschen Erzeugerpreis von ca. 13 Pf. West aufkaufen und sie nach Kennzeichnung dem offiziellen Handel zuführen.
Einschätzung der Situation
Im Zusammenhang mit dem IV. Parteitag stehen weiterhin Diskussionen über die Verbesserung der Lebenslage im Vordergrund, diese sind überwiegend positiv, nur ein geringer Teil ist enttäuscht.
Über die nationalen Aufgaben im Kampf um Frieden und Einheit werden sich erst durch die jetzt einsetzende Aufklärung die Diskussionen beleben.
Negative und feindliche Meinungen haben einen geringen Umfang. Die feindliche Flugblattverbreitung hat weiterhin nachgelassen.
Anlage 1 vom 9. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2178
Manteuffel41-Kundgebung
Kundgebung der FDP am 7.4.1954 um 20.00 Uhr im Schützenhaus Reinickendorf. Anwesend waren ca. 500 Personen. Die einleitenden Worte sprach Schwennicke,42 der mit Gewaltmaßnahmen gegen Störversuche drohte. Als Manteuffel das Wort gegeben wurde, setzte der Protest mit dem Ruf: »Manteuffel raus« ein. Der sogenannte Saalschutz der FDP stürzte sich daraufhin mit einer bisher unbekannten Brutalität auf diese fortschrittlichen Menschen, die unter Schlägen aus dem Saal entfernt wurden.43 Die gleiche Methode wurde angewandt bei Zwischenrufen zu Manteuffels Ausführungen. In Manteuffels Hetzrede, die sich besonders gegen die Viermächtekonferenz, die SU und DDR richtete, hob er lobend die EVG44 hervor.45 Die Souveränität der DDR46 bezeichnete er als große Gefahr, weil dadurch zwei Deutschland geschaffen werden könnten. Statt einen Krieg mit Waffen, forderte er die psychologische Kriegsführung. Mit einem Lob auf Westberlin und das Preußentum schloss er seine Rede. Der 1. Vorsitzende des Bezirksverbandes Reinickendorf, Luck,47 schloss mit einer hasserfüllten Triumphrede über die »gewonnene Schlacht gegen den Bolschewismus« und forderte auf, das »Deutschlandlied« zu singen. Personen, die nicht mitsangen, wurden von den Schlägerkolonnen dazu aufgefordert und ins Gesicht geschlagen.
Die Rede Manteuffels wurde wenig beachtet, da die dort anwesenden Personen mehr auf die Zwischenrufe und das jeweilige Einschreiten der Schlägerkolonnen achteten. Dazu kam der üble Geruch der Stinkbomben.
Zum Schutz dieser Manteuffel-Kundgebung war ein starkes Stupo-Aufgebot48 mit allen technischen Mitteln (Funkwagen, Wasserwerfern usw.) im Einsatz.
Die KAB (katholische Organisation in Westdeutschland)49 organisiert Feindpropaganda gegen die DDR
In der katholischen Zeitschrift »Ketteler Wacht«50 (Köln 1.4.1954) wird hervorgehoben, dass die KAB am stärksten den Kampf gegen fortschrittliche Anschauungen geführt habe. Um die sogenannte Gesamtdeutsche Volksbewegung zur Wiedervereinigung51 zu verstärken, d. h., die westdeutsche Bevölkerung »aufzuklären« über die »gefährliche Wirklichkeit« der DDR, will man für Predigten, Versammlungen und Arbeitsgemeinschaften Referenten aus der DDR vermitteln. Der Jugend der DDR, besonders Studenten, aber müsse solche Literatur vermittelt werden, die sich gegen die materialistische Weltanschauung richtet. Wörtlich heißt es: »Schülern und Jugendlichen müssen wir solche Literatur in die Hand geben, die ihnen das von der Sowjetschule übermittelte materialistische Zerrbild der Geschichte, der Erdkunde, der Biologie, der Gegenwartskunde usw. einigermaßen korrigiert und den Prozess ihrer Bolschewisierung aufhält.«
Hetzschrift der KgU gegen Funktionäre der LDP
Durch die KgU werden »Briefe« an Mitglieder und Funktionäre der LDP versandt. Herbert Täschner52 wird in diesen Hetzschriften als »Spitzel der SKK« und »Denunziant«, der schon viele Mitglieder und Funktionäre verhaften ließ, bezeichnet. Unzweifelhaft wird damit der Versuch gemacht, Misstrauen der Mitglieder der LDP gegen leitende Funktionäre dieser Partei zu erzeugen.
Tätigkeit der Westsender
Beunruhigung der Arbeiter
Um die Arbeiter in der DDR zu beunruhigen, wird in den Nachrichten des Hamburger Senders53 vom 8.4.1954 über angebliche Verhaftungen und Entlassungen gesprochen. So wurde z. B. gesagt: »Wegen Kritik am SED-Parteitag wurden auf der Warnow-Werft drei Personen und im ehemaligen SAG-Betrieb Niedersedlitz54 zwei Arbeiter festgenommen. Mit der gleichen Begründung sind im Eisen- und Hüttenwerk Thale acht und im EMW Autowerk in Eisenach zwölf Arbeiter fristlos entlassen worden.«
Beunruhigung von Mitgliedern der NDPD und ehemaligen Offizieren
In der gleichen Sendung versucht man, Beunruhigung unter NDPD-Mitgliedern und ehemaligen Offizieren zu erzeugen. Wörtlich heißt es: »Die NDPD der Sowjetzone wird gegenwärtig von Sonderkommandos des Staatssicherheitsdiensts überprüft, da sich herausgestellt haben soll, dass innerhalb ihrer Parteigliederungen militärische Zellen gebildet worden sind. Alle ehemaligen Offiziere der deutschen Wehrmacht, die in der kommunistischen Volkspolizei oder der NDPD der Sowjetzone höhere Ämter bekleiden, werden jetzt auf westliche Verbindungen hin überprüft.«
Beunruhigung von Berufsschullehrern
In der Sendung: »Information aus der sowjetischen Besatzungszone« des RIAS vom 8.4.1954 wird versucht, durch angebliche Revisionen und Kündigung von Berufsschullehrern diese zu beunruhigen. Wörtlich: »In den Berufsschulen in Werbellin55 und Rheinsberg wurden nach einer Revision durch den SED-Berufsschulinspizienten Thomsen56 aus Neuruppin fast die Hälfte der Lehrer gekündigt.«
Beunruhigung der Landbevölkerung
In den »Nachrichten« des Hetzsenders Hamburg vom 7.4.1954 wird von der Errichtung sogenannter Zentraldörfer nach sowjetischem Muster in den Bezirken Rostock, Neubrandenburg, Schwerin, Cottbus und Frankfurt gesprochen. In diesen Zentraldörfern sollen die bisher getrennt arbeitenden LPG zu einem Großbetrieb zusammengefasst werden. Wörtlich heißt es: »Einzelbauernwirtschaften wird es in diesen Dörfern nicht mehr geben.« Durch diese Falschmeldung sollen unzweifelhaft Einzelbauern und Mitglieder der LPG beunruhigt werden.
Beunruhigung der Intelligenz
In der Sendung: »Werktag der Zone« am 8.4.1954 wird davon gesprochen, dass durch Nichterfüllung der Planauflagen in Braunkohlenrevieren Fachkräfte und Intelligenzler verhaftet oder entlassen wurden. Wörtlich heißt es u. a.: »Auch im Senftenberger Revier will man jetzt wieder kleinere und mittlere Funktionäre als Saboteure vor Gericht stellen, um Fehlleistungen, die das System verschuldet hat, zu vertuschen.« Mit dieser Sendung des RIAS wird das Ziel verfolgt, die Intelligenz, besonders in Braunkohlenrevieren, zu beunruhigen.
Anlage 2 vom 9. April 1954 zum Informationsdienst Nr. 2178
Information für das Haus
Die Bezirksverwaltung Potsdam meldete uns, dass heute in den frühen Morgenstunden schätzungsweise 800 (800) [sic!] Ballons das Kreisgebiet Potsdam überflogen. Im gesamten Stadt- und Landgebiet Potsdam sind bereits große Mengen Flugblätter niedergegangen. Die Hetzschriften sind sehr weit verstreut. Bei den bisher gesammelten Flugblättern handelt es sich um altes und neues Hetzmaterial der NTS.