Zur Beurteilung der Situation
29. April 1954
Informationsdienst Nr. 2192 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Allgemein wird in den Betrieben nur sehr wenig über politische Tagesfragen diskutiert. Über die Genfer Konferenz wird etwas stärker als in den Vortagen diskutiert.1 Meist sind es Arbeiter, weniger Angestellte und Intelligenzler, die dazu Stellung nehmen. In den gering bekannt gewordenen Stimmen wird meist Hoffnung auf Entspannung der Internationalen Lage zum Ausdruck gebracht. In diesem Zusammenhang äußert man sich oft positiv über die Teilnahme Chinas an der Konferenz.2 Meist von fortschrittlichen Kräften und politisch interessierten Arbeitern wird hervorgehoben, dass die Westmächte sich selbst nicht mehr einig sind. Weiterhin werden Beschlüsse zum Verbot der Atom- und Wasserstoffwaffen erwartet.
Die Genfer Konferenz war in den letzten Tagen im Leuna-Werk Gegenstand vieler Gespräche. Meist wurde zum Ausdruck gebracht, dass diese Konferenz einen besseren Verlauf als die Berliner Konferenz nehmen möge.3 Ein Arbeiter aus dem VEB Feinprüf in Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Es ist diesmal keine Viererkonferenz wie in Berlin. Diesmal ist auch China dabei und wird für das Fern-Ost-Problem die entsprechenden Vorschläge machen, damit auch in diesen Ländern der Frieden wieder hergestellt wird. Wenn dies geschieht, so bin ich überzeugt, dass es auch bei uns zwischen Ost und West zu einer Einheit kommen muss.«
Ein Kumpel aus Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (SED): »Molotow4 wird schon auf der Genfer Konferenz den westlichen Außenministern die Meinung richtig sagen,5 noch dazu, wo diese sich jetzt selbst gar nicht mehr alle einig sind.«
Teilweise wird an einem positiven Ausgang der Konferenz gezweifelt. Ein Angestellter aus dem Leuna-Werk: »Die Genfer Konferenz wird genauso enden, wie die Berliner. Der eine zieht nach links und der andere nach rechts. Keiner will von seinem Weg abgehen. So wird die Konferenz einige Wochen tagen und dann auffliegen.«
Ganz vereinzelt nur wurden dazu negative Stimmen bekannt. Ein Kumpel aus Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Jetzt haben sie sich wieder einmal zu so einer nutzlosen Konferenz zusammengesetzt. Am Tage fahren sie sich in die Haare und am Abend wird gegenseitig ein großes Essen gegeben. So wird es während der ganzen Konferenz wieder sein, und am Ende kommt nichts dabei heraus.« Ein Zugführer aus Frankfurt/Oder: »Die ganzen Konferenzen dienen nur zur Irreführung. Keiner der Staaten will nachgeben. Demnach steht es schon vorher fest, dass die Ost-Asien-Konferenz zu keinem Erfolg führen wird. Es hilft nur Krieg.«
Anlässlich des bevorstehenden 1. Mai treffen die Werktätigen in den Betrieben weiterhin ihre Vorbereitungen, indem sie die Arbeitsstätten festlich ausschmücken und Kollektiv- und Einzelverpflichtungen übernehmen. 400 Beschäftigte der Mechanischen Werkstatt des »Karl-Liebknecht«-Werkes Magdeburg6 haben sich anlässlich des 1. Mai [1954] verpflichtet, zwei Stundenlöhne für das Deutschlandtreffen der Jugend zu spenden.7 In allen Schächten und Abteilungen des Objektes der Wismut8 in Oberschlema wurden gute Vorbereitungen getroffen. So sind bis jetzt im Schacht 38 101 Ehrenschichten gefahren worden, wobei die Spitzenleistung 286 Prozent beträgt und der Durchschnitt bei 177 Prozent liegt.
Vereinzelt wurden negative Diskussionen zur Teilnahme an der Maidemonstration bekannt. Zwei Kollegen der Abteilung Brennhaus im VEB Steingutfabrik Torgau, [Bezirk] Leipzig: »Wir nehmen nicht an der Demonstration teil. Das ist gesetzlicher Feiertag und somit kann uns niemand dazu zwingen.«
Ein Arbeiter aus dem VEB »Klement Gottwald« Apolda,9 [Bezirk] Erfurt: »Am 1. Mai [1954] marschiere ich nur mit, weil ich muss. Im kapitalistischen Betrieb reichte unser Arbeitslohn viel weiter. Bei den Nazis hieß es immer, dass wir für die Zukunft der Kinder ein besseres Leben schaffen. Heute sagte man dasselbe, doch darüber wird man alt und grau.« Ein Arbeiter aus dem VEB Porzellanwerk Kahla, [Bezirk] Gera: »Ich hole mir am 1. Mai [1954] nur meine Bratwurst und das Bier. Danach werde ich die Mai-Feier wieder verlassen und mich nach Hause begeben.«
Verschiedentlich wird Unzufriedenheit über die Prämienverteilung zum 1. Mai geäußert. Ein Arbeiter von der Reichsbahn Frankfurt/Oder: »Bei uns soll die ganze Brigade 7 als Bestarbeiter ausgezeichnet werden. Es wird aber nur gemacht, weil sie in der Partei sind. Mit den Auszeichnungen war es schon immer Schiebung. Die es verdienen, werden doch nicht berücksichtigt. Man müsste die Gelder für alle gleichmäßig verteilen.« Die Produktionsarbeiter der DHZ Textil Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, sind darüber empört, dass am 1. Mai [1954] die Prämien in drei Klassen aufgeteilt sind und die in der Produktion beschäftigten Kollegen nach der niedrigsten Klasse prämiert werden sollen, während die Angestellten in der höchsten Klasse sind.
Über die Kürzung der HO-Fleischzuteilung werden in geringem Umfang negative Diskussionen bekannt. In der Abteilung Dreherei des VEB Steingutfabrik Torgau, [Bezirk] Leipzig, äußerten einige Kollegen: »Jetzt fangen sie schon wieder so an, wie vor dem Juni 1953. Es geht schon wieder los mit dem Sparsamkeitsregime.«
Im VEB Flachsröste Vetschau, [Bezirk] Cottbus, äußerte eine Kollegin: »Am 1. Mai [1954] werden wir nicht für, sondern gegen den Feiertag demonstrieren, damit wir das Fleisch erhalten, was gesperrt wurde.« Eine Kollegin aus dem VEB Fimag Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, äußerte: »Der Mangel an Fleisch ist bestimmt wieder eine Fehlplanung der HO.« Ein anderer Kollege sagte: »Es müsste wenigstens so viel da sein, dass für unser Geld genügend Fleischwaren vorrätig sind oder wird es bei uns wieder schlechter in der Versorgung.«
Unzufriedenheit entstand in einigen Betrieben wegen Lohn- und Prämienfragen, mangelhafter BGL-Arbeit und Abberufung eines Betriebsleiters. Im VEB Peniger Patentpapierfabrik, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, beträgt der Durchschnittsverdienst der Papierarbeiter ca. 200 bis 250 DM. Dadurch besteht eine Fluktuation an Arbeitskräften. Ein Arbeiter sagte dazu: »Man kann sich anstrengen wie man will, man verdient doch nicht mehr. Ich werde jetzt kündigen und in eine Maschinenfabrik gehen.«
In der Abteilung Schmiede des VEB Waggonbau Görlitz, [Bezirk] Dresden, sind die Arbeiter darüber verärgert, dass »immer dieselben prämiert werden«. Man ist der Meinung, dass auch alle anderen Kollegen eine Anerkennung bekommen müssten, da sie ebenso zum Wettbewerb beigetragen haben. Im Rohrwerk des Stahlwerkes Riesa sind die Kollegen über die Verzögerung der Auszahlung der Quartalsprämien unzufrieden.
In der Brennerei und in der Kontrollabteilung des VEB Siemens-Plania sind Kollegen mit der Arbeit der BGL nicht zufrieden. Ein Kollege äußerte: »Die BGL lässt sich nicht im Betrieb sehen und seit der Betrieb volkseigen ist, sitzt sie abgekapselt in einem Glaskasten.«10
Im VEB Teigwarenwerk Waren, [Bezirk] Neubrandenburg, wurde in einer Belegschaftsversammlung ein neuer Betriebsleiter eingeführt. In dieser Versammlung kam zum Ausdruck, dass die Arbeiter mit der Ablösung des bisherigen Betriebsleiters nicht einverstanden sind. Bei solchen negativen Diskussionen wurde vonseiten der Versammelten Beifall geklatscht. Unter anderem wurde folgender Zwischenruf laut: »Wir werden streiken!«
Im VEB Seehafen Wismar, [Bezirk] Rostock, werden zzt. Arbeiter von der Mathias-Thesen-Werft beschäftigt. Diese Arbeiter verrichten eine schlechte Arbeit. Ein Kollege sagte: »Ob ich viel oder wenig arbeite, mein Geld bekomme ich ja doch, denn die Werft bezahlt, weil sie sowieso keine Arbeit für uns hat.«
Produktionsschwierigkeiten traten in einigen Betrieben wegen Materialmangel auf. Im VEB Blankschrauben Jüterbog,11 [Bezirk] Potsdam, bestehen Schwierigkeiten in der Versorgung mit Rund- und Kanteisen. Dadurch stehen bereits sechs Automaten still.
Im VEB Siemens-Plania, Abteilung Ofenbau fehlen Schrauben, Muttern und Trafos. Außerdem sind die Werkzeuge nicht in Ordnung. Ein Kollege sagte: »Das ist eine Schweinerei, dass kein Material da ist und wir mit den vorhandenen Werkzeugen arbeiten müssen. Das ist eine ungesunde Wirtschaft.«
Im VEB Strumpfwerk Karma in Zwönitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, mussten wegen Mangel an Kunstseide 63 Arbeiter Feierschichten einlegen und 38 Wirkmaschinen stillgelegt werden.
Produktionsstörung: Am 27.4.1954 erfolgte im neuangefahrenen Kesselhaus (in der DDR erstmalig in Anwendung gebracht) des Braunkohlenwerkes »John Schehr« Hoyerswerda, [Bezirk] Cottbus, eine Kohlenstaubverpuffung, wobei 13 Kollegen verletzt wurden. Vier sind davon verstorben. Ermittlungen über die Ursache werden noch geführt. Schaden über 100 000 DM.
Handel und Versorgung
Im gestrigen Informationsbericht wurde gemeldet, dass die Versorgung mit Brotgetreide für das II. Quartal für den Kreis Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, nicht gesichert ist.12 Das ist behoben durch die Freigabe von 400 Tonnen aus den Staatsreserven und durch die Lieferung von 600 Tonnen aus dem Kreis Neuruppin, [Bezirk] Potsdam.
Im Schlachthof Rathenow, [Bezirk] Potsdam, hängen 60 Schweine, die nicht verarbeitet werden können, da kein Kontingent für den Monat April mehr offen steht (der Absatz nach anderen Kreisen ist ebenfalls nicht möglich). Da es sich um notgeschlachtete Tiere handelt (pestverdächtig), besteht die Gefahr des Verderbens.
Im Bezirk Magdeburg mangelt es an Industriewaren, besonders gefragt sind Polstermöbel, Fahrräder, Motorräder, Emaillewaren sowie Textilien, Bettwäsche und Frottierhandtücher. Im Bezirk Suhl sind Schürzenstoffe, Bettwäsche, Emaillewaren, Motorräder sowie Importzigaretten, Kakao und Bohnenkaffee sehr gefragt.
Landwirtschaft
Zu politischen Tagesfragen wird wenig Stellung genommen. Zur Genfer Konferenz wurden nur vereinzelt Stimmen bekannt. Größtenteils wird begrüßt, dass China an der Konferenz teilnimmt. Ein Traktorist der MTS Herold aus Zschopau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Im Verhältnis zur Viererkonferenz ist es ein wesentlicher Fortschritt, dass China an der Genfer Konferenz teilnimmt. Die Westmächte haben dies doch nicht verhindern können.«
Ein geringer Teil äußert sich skeptisch, wie z. B. der VdgB-Vorsitzende aus Thurow, [Bezirk] Rostock: »Von der Genfer Konferenz verspreche ich mir nicht viel, denn bei der Berliner Konferenz ist auch nicht viel herausgekommen und ebenso wird es diesmal sein.«
Ein Mittelbauer aus Hilmersdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerte sich negativ, »das System des Kommunismus hält sich sowieso nicht. Die Sowjetunion hat bisher auf den Konferenzen immer nur ihren eigenen Standpunkt vertreten und so wird es auch diesmal sein. Sie sind bestrebt, in anderen Ländern auch den Kommunismus einzuführen.«
Nach wie vor stehen im Mittelpunkt des Interesses wirtschaftliche und persönliche Belange, deshalb wird vorwiegend über diese gesprochen. Verschiedentlich wird über die unzureichende Futtergrundlage geklagt. Dazu äußerte ein Bauer aus Großrückerswalde, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Einhaltung des Viehhalteplanes ist nicht mit der gegenwärtigen Futtergrundlage in Einklang zu bringen, indem uns nicht so viel Futtermittel zur Verfügung stehen, wie wir sie zur ausreichenden Versorgung unseres Viehbestandes brauchen. Das sind auch die Ursachen, weshalb unser Vieh oftmals in die Schlachtklassen C und D. fallen,13 was gleichzeitig Verlust an Fleisch bedeutet, denn die Qualität wird dadurch nur vermindert.«
Das VEG14 Reuthen, [Bezirk] Cottbus, verfügt nur noch über 30 Ztr. Futter für 1 200 Schweine und das VEG Unnerwitz, [Bezirk] Dresden, hat seit vier Tagen kein Rauhfutter mehr für die Kühe.
Verschiedentlich klagen Bauern noch immer über die Wildschweinplage. Wie z. B. in Turnau,15 [Bezirk] Halle. Nachdem die Bauern die Speisehülsenfrüchte gedrillt hatten, waren am nächsten Tag 20 Morgen vollkommen umgewühlt.
Die Landarbeiter des örtlichen landwirtschaftlichen Betriebes in Marnitz, [Bezirk] Schwerin, sind über eine Anweisung vom Rat des Kreises ungehalten, die besagt, dass alle zugezogenen Landarbeiter aus Westdeutschland den höchsten Stundenlohn erhalten sollen und zu Wirtschaftsleitern und Brigadieren auszubilden sind. Die Arbeiter sind der Meinung, dass erst einmal ihnen diese Möglichkeit der Weiterentwicklung gegeben werden muss und dass sich die Kollegen aus Westdeutschland erst einmal bewähren sollen.
Der Leiter [der] örtlichen landwirtschaftlichen Betriebe in Ruchow, [Bezirk] Schwerin, hält laufend während der Arbeitszeit mit dem Brigadier und Futtermeister Saufgelage ab. Die Arbeiter sind sich oft selbst überlassen. Diese Zustände [sind] dem Kreisvorsitzenden bekannt, es werden aber keine Änderungen getroffen.
Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur vereinzelt bekannt. Ein Großbauer aus Groß-Nemerow, [Kreis] Neubrandenburg, äußerte gegenüber einem LPG-Vorsitzenden: »Du wirst auch bald deine dicken Backen los, wenn ich in Schwierigkeiten kommen sollte, setze ich mich nach dem Westen ab« und zum Bürgermeister sagte er: »Du wirst nicht mehr lange im Amt sein, es kommt sowieso bald eine andere Zeit.« Ein Großbauer aus Hohenheida, [Kreis] Leipzig: »Ich bin mit dem heutigen System nicht einverstanden und werde auch nicht für dasselbe eintreten. Meine Forderung ist freie Wirtschaft.«
Erkrankungen: In der Schweinemästerei in Lützen, [Bezirk] Halle, wurde die Ferkelgrippe festgestellt (sechs Läuferschweine verendet, zwei erkrankt).
Übrige Bevölkerung
Zur Genfer Konferenz wird von der übrigen Bevölkerung wenig diskutiert. Die uns bekannt gewordenen Diskussionen bringen teilweise zum Ausdruck, dass bei der Genfer Konferenz die Probleme sowieso nicht gelöst werden, weil die vier Großmächte sich sowieso nicht einigen werden. Ein Friseur aus Quedlinburg, [Bezirk] Halle: »Ich glaube nicht, dass bei der Genfer Konferenz etwas Positives herausspringt. Da werden Sitzungen und Tagungen abgehalten und beim Abschluss derselben steht alles auf dem alten Standpunkt. Ich kann es nicht verstehen, dass sich die Völker nicht einig werden und untereinander so gehässig sind.«
Ein Handelsvertreter aus Suhl: »Es wird genauso werden wie bei der Berliner Konferenz, dass die Außenminister sich gegenseitig zum Essen einladen, aber etwas Konkretes nicht erreichen. Die Westmächte werden auf die Vorschläge der Sowjetunion nicht eingehen.«
Eine Hausfrau aus Frankfurt/Oder äußerte sich in einer Hausversammlung: »Den westlichen Mächten ist es bisher immer gelungen, die Sowjets mit ihren Absichten zurückzuhalten. Ebenso wird es ihnen gelingen, die Konferenz in Genf zu verhindern. Ich gebe nichts mehr darauf und es ist zwecklos, über solche Dinge viel Worte zu machen. Mit uns macht man doch was man will.«
Ein Angestellter aus Frankfurt: »Man wird sich über die Korea- und Chinafrage wahrscheinlich einig werden, da die USA einsehen müssen, dass sie dort gänzlich verspielt haben. In Deutschland wird sie immer wieder versuchen, festen Fuß zu fassen.«
Eine Verkäuferin aus Zeitz, [Bezirk] Halle: »Ich erhoffe mir eine Lösung der Ost-Asien-Probleme und gleichzeitig damit verbunden die Schaffung der europäischen Sicherheit, weiterhin erhoffe ich, dass ein Verbot erlassen wird gegen die Atombombe und damit verbunden schnellste Zurückziehung der in Westdeutschland stationierten Atomgeschütze.«16
Über die Atom- und Wasserstoffbombenexperimente wird nur noch ganz vereinzelt diskutiert.17 Die uns bekannt gewordenen Stimmen sind positiv. Ein Friseur aus Hohenstein-Ernsthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich verurteile die Wasserstoffbombe sowie alle Atomwaffen. Man möge dafür Wohnungen bauen und die Handvoll Kriegsgewinnler aus dem Wege räumen. Die Genfer Konferenz wird ja eine gewisse Klärung bringen.«
Die Diskussionen über wirtschaftliche und persönliche Belange stehen im Mittelpunkt. Verschiedentlich werden rege Diskussionen über die Kürzung des HO-Fleischkontingentes geführt. Verkäufer und Kunden der HO- und Konsumverkaufsstellen in Wurzen, [Bezirk] Leipzig, sind der Ansicht, dass der Fleischmangel davon herrührt, dass für das II. Deutschlandtreffen der Jugend alles Fleisch nach Berlin geschafft bzw. zurückgehalten wird, damit in Berlin zum Deutschlandtreffen alle Läden voll sind.
Im Bezirk Potsdam wird [sic!] wegen mangelnder Fleischversorgung in der HO heftige Diskussionen geführt, vor allen Dingen von Hausfrauen. Auch bei Gründungen von Hausgemeinschaften stellen die Hausfrauen wiederholt die Frage – warum gibt es kein HO-Fleisch? Man nimmt an, dass das HO-Fleisch für das II. Deutschlandtreffen zurückgehalten wird und das es eine Auswirkung der Schweinepest ist. Die Genossen, die die Hausversammlungen leiten, sowie auch die HO-Verkäuferinnen wissen nicht, welche Argumente sie den Hausfrauen entgegenbringen können und es ist für sie schwer, über diese Frage zu diskutieren. Deshalb verlangen vor allen Dingen die Verkäuferinnen immer wieder, dass eine öffentliche Erklärung erfolgt.
Negative bzw. feindliche Stimmen wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Eine Hausfrau aus Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich interessiere mich nicht für Politik. Zum anderen darf man ja auch nichts sagen, dann wird man gleich eingesperrt. Bei uns gibt es ja auch noch KZ.«
Ein Ortsvorsitzender der NDPD aus Werben, [Bezirk] Magdeburg, äußerte zu einem anderen Kollegen: »Weißt Du, wie es mit dem neuen Kurs ist?«18 Der Gefragte verneinte. Daraufhin ballte oben Genannter seine Faust und legte sie dem anderen an das Ohr und sagte: »Hörst du was?« Wieder Verneinung. Dann öffnete er seine Hand und sagte: »Siehst du was?« – Nein. »So ist es mit dem neuen Kurs!«
Aus Gera wird uns berichtet, dass einige Professoren der Universität Jena zu sogenannten privaten wissenschaftlichen Vorträgen gemeinsam mit ihren Ehefrauen in den jeweiligen Wohnungen der Professoren zusammenkommen. So wurde u. a. auch ein Vortrag über den Generalvertrag gehalten.19 Darin wurde zum Ausdruck gebracht, dass der Generalvertrag unweigerlich zum Kriege führen muss. Augenscheinlich war dies nicht die Meinung der anderen Professoren. Sie hatten gegen einen Krieg nichts einzuwenden. Man vertrat die Meinung, dass alles nicht so gefährlich sei. Man bekäme Krieg mit den Russen, dadurch würden die Dinge schnellstens geklärt und die alten bürgerlichen Zustände könnten wieder hergestellt werden.
Von der Oberschule »Adolf Reichwein« in Halle wird berichtet, dass während der Osterferien vier Lehrer republikflüchtig geworden sind. Dadurch kann kein planmäßiger Unterricht mehr durchgeführt werden. Angeblicher Grund der Flucht: Streichung der Schulferien, da Schulungen der Lehrer geplant sind.
Massenerkrankungen: Unter der Belegschaft des Kommunalen Großhandels Leipzig sind 300 Personen an Durchfallerscheinungen erkrankt. Ursache: Essen bei Betriebsfeier (Schweinefleisch, Sauerkraut und Kartoffeln). 80 Prozent der 300 Personen sind krankgeschrieben, davon wurden 26 Personen ins Krankenhaus eingeliefert. Die bisherigen Untersuchungen ergaben, dass es sich in diesem Fall um Ruhrerkrankungen handelt.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüros:20 Potsdam 2 900, Dresden 490, Neubrandenburg 6.
NTS:21 Neubrandenburg 2 000, Dresden 225, Halle 22.
KgU:22 Karl-Marx-Stadt 37, Potsdam 500.
CDU-Ostbüro: Potsdam 30.
UFJ:23 Potsdam 32.
DGB[-Ostbüros]: Cottbus 1 000.
In Hetzschriften, die vom Westberliner Maikomitee 1954 herausgegeben werden und an den Sektorengrenzen an Bewohner des demokratischen Sektors von Berlin verteilt werden, wird aufgefordert, sich am 1. Mai [1954] an der Kundgebung auf dem Platz der Republik (Westberlin) zu beteiligen.24 Diese Hetzschriften sind direkt an die Bewohner des demokratischen Sektors von Berlin gerichtet.
Im Bezirk Karl-Marx-Stadt wurden 96 »Stimmzettel«25 sichergestellt. Inhalt und Herausgeber nicht bekannt. Im Bezirk Cottbus wurden 2 000 Flugblätter sichergestellt.
Im Bezirk Halle wurde ein mit Schreibmaschine geschriebener Hetzzettel gefunden. Inhalt: Verherrlichung des 17. Juni [1953]. Herausgeber UFJ.
Ein Gefälschtes Schreiben, angeblicher Absender DHZ Chemie, Zentralniederlassung Düngemittel und Pflanzenschutz, erhielt das staatliche Kontor für landwirtschaftlichen Bedarf Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt. Darin wird das Kreiskontor aufgefordert, Vorplanung zu treffen, da die Düngemittelkontingente durch freien Verkauf bereitgestellt werden.
Eine Einwohnerin aus Zwickau, [Bezirk] Dresden, erhielt einen Brief aus Westdeutschland worin sie zu einer Trauerfeier eingeladen wird. Ihr Sohn, welcher in Westdeutschland in dem faschistischen Krieg gefallen sei, soll am 13.5.1954 auf dem Heldenfriedhof beigesetzt werden. Die Empfängerin sollte mitteilen, wie viele Angehörige mit hinkommen, da sie an der Zonengrenze mit Omnibussen abgeholt würden.
Vermutliche Feindtätigkeit
Aus dem Bezirk Potsdam wird berichtet, dass in zwei Fällen bereits Tiere verendet sind. Vermutlich aufgrund von Vergiftungen. In beiden Fällen handelt es sich um tragende Tiere.
In der LPG »Karl Marx« in Weseram, [Bezirk] Potsdam, sind zehn Kühe erkrankt, wovon zwei bereits notgeschlachtet werden mussten. Bei einer Untersuchung der notgeschlachteten Kühe wurde aber festgestellt, dass sich im Blättermagen Weizenkörner mit einer merkwürdigen Färbung befanden. Zu bemerken ist, dass nach Angaben des Schweizers26 schon monatelang kein Weizenstroh gefüttert wurde.
In der LPG Zempow, [Bezirk] Potsdam, wurden zwei Schafe tot im Stall aufgefunden. Nach Feststellung des Tierarztes sind Vergiftungserscheinungen vorhanden und zwar vermutlich durch Kunstdünger oder Rattengift.
Anlage vom 29.4.1954 zum Informationsdienst Nr. 2192
[ohne Titel]
Der UFJ interessiert sich für die Eisenbahn
Der Untersuchungsausschuss der »Freiheitlichen Juristen« verschickt Hetzmaterial in Briefumschlägen an die Eisenbahner in der DDR. Das Hetzmaterial hat die Form eines Flugblattes und trägt die Überschrift: »Eisenbahner seid wachsam!«
Abgesehen von der wüsten Hetze gegen unsere Staatsordnung kommt die Absicht des Gegners für die Vorbereitung eines neuen Tages »X«27 mit den folgenden Worten zum Ausdruck: »Der Tag kommt, helft mit, alles für diesen Tag vorzubereiten. Meldet uns jetzt schon alle Zuträger, Denunzianten und Spitzel, möglichst unter Angabe von Beispielen ihrer schändlichen Dienste, damit wir sie in unserer Belastetenkartei28 registrieren können, die bereits 26 000 Personen umfasst. Besonderes Interesse haben wir für Mitläufer und Nutznießer des Systems und für Antreiberaktivisten, die wir in unserer Beurteilungskartei festhalten werden.«
Außerdem fordert der UFJ noch weitere Informationen. Dabei interessiert er sich für SED-Parteigruppen, für die Staatssicherheit, für die Reichsbahnprüfungsämter, die Transportpolizei,29 den Betriebsschutz, Disziplinarvorgesetzte, Disziplinarverfahren, »Ausbeutungsmethoden«, Unfälle und für »zuverlässige Eisenbahner«, die sich offen oder heimlich gegen die DDR betätigen. In der Absicht, diese »zuverlässigen Eisenbahner« für die Agententätigkeit anzuwerben.
Dann werden die Eisenbahner zur Vorsicht ermahnt, zum »Ausharren« und zur versteckten Schädlingstätigkeit aufgefordert, wobei man ihnen das Versprechen macht, dass sie es nicht bereuen werden. Bei sogenannten Gewissenskonflikten wird den Eisenbahnern empfohlen, sich vertrauensvoll an den Untersuchungsausschuss »Freiheitlicher Juristen« zu wenden. Mit dem Versprechen, dass allen Eisenbahnern von dort aus »geholfen« wird und sie vor persönlicher »Gefährdung gesichert« sind, beabsichtigt der Untersuchungsausschuss »Freiheitlicher Juristen«, die Eisenbahner in Sicherheit zu wiegen, damit sie sich bereitwilliger für seine Agententätigkeit hergeben.
Hetzschrift an die Buna-Arbeiter30
Die als 2. Sonderausgabe getarnte Hetzschrift der »Betriebszeitung der Buna-Belegschaft« mit dem Titel »Aufwärts«31 enthält u. a. folgende »Losung« für März/April:
- –
Alle Selbstverpflichtungen ablehnen!
- –
Sich nicht an Wettbewerben beteiligen!
- –
Nicht mit SED- und FDGB-Funktionären verkehren!
- –
Die Gesundheit erhalten – auf den Feierschichten bestehen!
- –
Alle Neuerer-Methoden ablehnen!
- –
Die Zirkelabende meiden!
- –
Die SED-Zeitungen abbestellen!
- –
Langsam arbeiten!
Damit versucht der Gegner, die Arbeiter von der Produktionssteigerung abzuhalten, die Parteiarbeit zu stören, die Partei und Gewerkschaft von den Massen zu isolieren. Darüber hinaus fordert der Klassenfeind die Arbeiter zur Mitarbeit in der sogenannten Selbsthilfe32 auf. Wörtlich heißt es: »Wer den Kampf gegen das SED-Regime und seine Vertreter im Werk unterstützen und Betriebsspitzel, Denunzianten und Nutznießer melden will, kann dies ohne Nennung seines Namen tun unter der selbstgewählten siebenstelligen Kennziffer und dem Kennwort »Deutsche Selbsthilfe« (B) an Fritz Bauer, Berlin-Zehlendorf-West, Limarstraße 29.«33
An einer anderen Stelle hetzen sie gegen die Betriebskollektivverträge und fordern die Arbeiter auf, in ihren Diskussionsbeiträgen darauf hinzuweisen, dass der Entwurf für 1954 viel schlechter als der Vertrag von 1953 ist. Sie sollen soziale Verbesserungen fordern und sich dabei auf die Verordnung vom 10.12.1953 berufen.34 Auch an dieser Stelle werden die Arbeiter zur Mitarbeit in der »Deutschen Selbsthilfe« aufgefordert.
Am Schluss des Hetzblattes fordern sie ganz offen zur Spionage auf, indem sie Folgendes, besonders von den mit den Kennziffern bezeichneten Personen, verlangen:
»26 38 14 Weitere Angaben über den AGL-Vorsitzenden von G 47,35 [Name 1].
35 12 35 Überprüfung von [Name 2], Vorsitzender der Betriebsgruppe der DSF,
56 23 14
63 15 17 u. [Name 3], rühriges Mitglied dieser Gesellschaft, auf Beziehungen zum SSD.«
Hetzbriefe der KgU
In einer Hetzschrift wendet sich die KgU, Sektion Sachsen-Anhalt, an Aktivisten, die Mitglieder unserer Partei sind, mit der Absicht, sie durch lügnerische Argumente wie zum Beispiel: »Die von euch vollbrachten Aktivisten-Leistungen ziehen für eure Kollegen nur einen Lohnstop nach sich« von weiteren Aktivistenleistungen abzuhalten.
Sie raten ihnen, die Losung zu beachten: »Arbeite langsam und nur so viel, dass du deine Familie ernähren kannst.« Zum Schluss versucht die KgU mit Drohungen die Genossen gefügig zu machen.
In einer Hetzschrift wendet sich die KgU an die Schauspieler des Elbe-Elster-Theaters in Wittenberg und warnt sie vor einem Schauspieler und vor allem vor dem 1. Sekretär der BPO. Die beiden sollen angeblich für den »SSD« arbeiten und sich dadurch »tarnen«, dass sie auf das »östliche System« schimpfen. Durch diese Lügen will man das Vertrauen zur Partei untergraben und den 1. Sekretär der BPO in Misskredit bringen.
In einem Hetzblatt unter der Überschrift – »Greifswalder Studenten im Arbeiter- und Bauernparadies – Studentenheim ›Bahnhofsstall‹« – fordert die KgU die Greifswalder Studenten zum unsichtbaren Widerstand gegen die DDR auf. Außerdem wird verlangt, dass die Studenten die engsten Familienmitglieder veranlassen, langsam und schlecht zu arbeiten. Um die Studenten für sie gefügig zu machen, weisen sie auf angeblich schlechte Wohnverhältnisse im Studentenheim am Bahnhof hin und appellieren dann an das westliche Kulturempfinden, indem sie wörtlich sagen: »Jeder aufrechte Deutsche möchte gern wieder in einen westlichen Kulturzustand versetzt werden und jeder aufrechte Greifswalder Student, der in diesen ›Ställen‹ haust, muss es als seine Pflicht ansehen, den unsichtbaren, passiven Widerstand zu entfachen, wo er nur kann.«