Zur Beurteilung der Situation in der DDR
27. Oktober 1954
Informationsdienst Nr. 2351 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Diskussionen über politische Tagesfragen befassen sich hauptsächlich mit der Volkswahl,1 daneben mit der Note der SU an die Westmächte.2 Der Umfang der Diskussionen ist jedoch gering.
Zur Volkswahl befassen sich die meisten Stimmen noch mit der Wahlhandlung, wobei an den Vortagen von undemokratischen Wahlen gesprochen wird, weil man auf dem Stimmzettel nichts ankreuzen konnte. Dies sind überwiegend Einzeldiskussionen, sie nehmen weiterhin ab. Offen feindliche Äußerungen, worin gegen die DDR gehetzt wird, wurden nur ganz vereinzelt getätigt. So sagten z. B. zwei Arbeiter vom Chemiewerk Lauta, Kreis Hoyerswerda, [Bezirk] Cottbus: »Man spricht von freier Demokratie und was ist es in Wirklichkeit? Dieselbe Diktatur wie bei den Nazis, denn das hat uns wieder die Durchführung der Wahl bewiesen.«
Über die Note der SU an die Westmächte wird allgemein noch sehr wenig diskutiert, meist von fortschrittlichen Arbeitern und Angestellten und einzelnen Intelligenzlern. Wo Versammlungen zur Note durchgeführt wurden, ist der Umfang etwas größer. Dies trifft besonders in den Bezirken Halle, Gera und Leipzig zu.
Überwiegend wird die Note begrüßt, als neuer Beweis der Friedenspolitik der Sowjetunion. Teilweise hofft man, dass die Westmächte auf die Vorschläge der SU eingehen. Ein Angestellter aus dem Stickstoffwerk Piesteritz, [Bezirk] Halle, äußerte: »Ich und meine Kollegen begrüßen die Note der Sowjetunion. Nach dem Scheitern der EVG3 ergeben sich neue Möglichkeiten, eine Einigung in der Deutschlandfrage zu erzielen, und ich sehe in den Vorschlägen den realen Weg zur Wiedervereinigung und zum Frieden. Die Kollegen fordern daher mit Nachdruck, dass alle Deutschen die Forderung erheben müssten, dass die Westmächte die neuen Vorschläge der Sowjet-Regierung akzeptieren.«
Im Flachglaswerk Aken, Kreis Köthen, diskutierte man während der Mittagspause über die neue Note der Sowjetregierung. Einige Kollegen äußerten sich, dass die SU es mit ihrer Friedenspolitik schaffen wird, den westlichen Imperialisten das Kriegshandwerk zu legen.
In der »Karl-Liebknecht«-Hütte des Mansfeld Kombinates »Wilhelm Pieck« erklärte ein Kollege an der Verladerampe: »Die neue Note der Sowjetregierung zeigt uns erneut, dass die UdSSR ständig den Westmächten gute Vorschläge macht, die von einem unerschütterlichen Friedenswillen getragen sind, aber die Westmächte haben nur das eine Ziel, den Krieg herbeizuführen.«
Ein Arbeiter (SED), beschäftigt im SFO Oberlungwitz,4 sagte: »Die neue Note der Sowjetregierung zeigt uns immer wieder, dass die SU bemüht ist, die Einheit Deutschlands auf demokratischer Grundlage wiederherzustellen. Dies steht im völligen Gegensatz zu Westdeutschland, wo die Westmächte versuchen, unsere Brüder und Schwestern in ein neues Chaos zu stürzen.«
In zweifelnden Meinungen über den Erfolg der Note beruft man sich teilweise auf bereits stattgefundene Konferenzen. Zum Beispiel ein parteiloser Angestellter aus dem VEB »Heinrich Rau«, [Bezirk] Potsdam: »Wenn eine Außenministerkonferenz zustande kommt, dann gibt es ja wieder etwas zu diskutieren; aber die beißen sich nicht, abends sind sie ja doch gemütlich beisammen.«
Eine Angestellte aus dem VEB Textilwerk Geyer, Kreis Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (Mitglied der SED), sagte: »Ich bin der Ansicht, dass die neue Note der Sowjetunion wie die vorangegangenen und wie die Aufforderung der Regierung der DDR von den Westmächten nicht genügend Beachtung finden. Das beweisen die kürzlich stattgefundenen Beratungen der Außenminister der Westmächte in Frankreich.«5
Ein Ingenieur vom VEB »West«, Kreis Zeitz,6 [Bezirk] Halle, äußerte sich: »Die Vorschläge der Sowjetregierung in der neuen Note an die Westmächte sind zu begrüßen, aber was nützen die Vorschläge, wenn es immer dabei bleibt? Ich bin der Meinung, dass die Westmächte eine Viererkonferenz ablehnen werden.«
Ein Buchhalter aus dem EKS,7 [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Jeder aufrichtige Deutsche müsste diese Vorschläge unterstützen. Aber man sieht ja, dass sich viele Menschen gar nicht um Politik kümmern. Das ist hier wie auch in Westdeutschland der Fall. Unter den jetzigen Verhältnissen dürfte die Note kaum Erfolg haben.« In einzelnen Abteilungen des Betriebes war diese Meinung besonders stark und konnte erst nach größeren Diskussionen teilweise beseitigt werden.
In einzelnen Betrieben kam es zu Missstimmungen über betriebliche Fragen, besonders über die Entlohnung.8 Im VEB Stahlwerk Silbitz, [Bezirk] Gera, wollen sich die Lehrgangsteilnehmer der Betriebsparteischule weigern, weiterhin am Lehrgang teilzunehmen, wenn ihnen bis zum 30.10.1954 nicht ihr voller Lohn ausgezahlt wird. Sie sind der Ansicht, dass die Angestellten auch ihr volles Gehalt weiter erhalten. Die Arbeiter würden bei der jetzigen Regelung ca. 200 DM Einbuße haben.
In den Verkehrsbetrieben Dresden ist eine große Fluktuation von Arbeitskräften zu verzeichnen (innerhalb von 14 Tagen haben 38 Kolleginnen gekündigt). Der Grund hierfür ist Unzufriedenheit über die Entlohnung für Schaffner (1,16 [DM] pro Stunde), Überanstrengung durch Mangel an Arbeitskräften sowie Fehlen von Kinderkrippen. Außerdem dürfen im Winter die Beiwagen nicht geheizt werden.
Unter den Kollegen der Gasabteilung im VEB Energieversorgung Potsdam herrscht seit dem Aktivistentag eine schlechte Stimmung. Von den Kollegen der Abteilung waren zehn Kollegen als »Bestarbeiter« vorgeschlagen worden, jedoch wurde nur einer prämiert. Unter den Kollegen der Gasabteilung wird jetzt diskutiert, dass dies zeige, dass sie kein Mitbestimmungsrecht besitzen. In Zukunft wollen sie keine Vorschläge mehr einreichen und auch an der gesellschaftlichen Arbeit nicht mehr teilnehmen. An einer Betriebsversammlung, die am 15.10.[1954] stattfand, beteiligte sich kein Kollege der Gasabteilung.9
Im VEB »Silikat-Werk« in Bad-Lausick, [Bezirk] Leipzig, wurden von mehreren Kollegen Verbesserungsvorschläge eingebracht, jedoch meistens von der Werkleitung abgelehnt. Die Einwände für die Ablehnung wurden von den Kollegen meist nicht verstanden. Dadurch besteht eine Verärgerung unter den Kollegen der Werkstatt. Sie bringen zum Ausdruck, dass sie sich an nichts mehr beteiligen wollen.
Materialmangel: Im VEB Blechblas- und Signalinstrumentenfabrik Markneukirchen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fehlt es an Messing, Altsilber und Kupfer. Dadurch lagern im Betrieb Halbfertigfabrikate im Werte von ca. 40 000 DM. (Der Betrieb hat Exportaufträge.)10
Im VEB Korbwarenfabrik Neustadt,11 [Bezirk] Dresden, bestehen laufend Materialschwierigkeiten. Es fehlt besonders an Draht, der [von der]12 DHZ Dresden geliefert werden müsste.
Im VEB Waggonbau Bautzen besteht ein Planrückstand von elf UEP-Wagen13 der durch unregelmäßige Lieferungen an Materialien aus Babelsberg und Ammendorf hervorgerufen wurde.
Im VEB Berliner Glühlampenwerk ist die Zulieferung von Sockeln durch den VEB Glühse Tambach-Dietharz14 völlig unzureichend, wodurch das Glühlampenwerk Schwierigkeiten bei der Erfüllung von Staatsaufträgen hat.15 Beim VEB Glühse mangelt es an plattierten Bändern und Messingbändern aus den Werken Auerhammer und Hettstedt.16 Die zuständige Hauptverwaltung ist darüber informiert.
Kohlenmangel besteht im VEB »Baumwollausrüster« in Lengenfeld, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt. Das Brennmaterial reicht nur noch für fünf Tage.
Im VEB Kohlenpresswerk Perleberg,17 [Bezirk] Schwerin, reicht der Rohbraunkohlenvorrat nur noch zwei Tage. Durch den Rohkohlenmangel ist unter den Kollegen eine Verärgerung eingetreten.
Produktionsstörung: Am Bagger 551 im Tagebau des Braunkohlenwerkes Spreetal, [Bezirk] Cottbus, entstand durch die Unebenheit der Baggergleise eine Störung. Der Produktionsausfall betrug 10 bis 2 000 cbm Abraum.
Handel und Versorgung
Die Mängel in der Versorgung zeigen folgende Beispiele.
In Zeitz, [Bezirk] Halle, beklagt sich die Bevölkerung vor allem darüber, dass der Privathandel seine Kunden mit Kartoffeln bereits beliefert hat, während die Verkaufsstellen des Kreiskonsums ihre Kundschaft mit Einkellerungskartoffeln sehr schlecht beliefern, obwohl im Bezirk genügend Kartoffeln vorhanden sind. Auf dem Bahnhof Dessau, [Bezirk] Halle, z. B. lagern 2 000 Tonnen Kartoffeln, für die bisher trotz aller Bemühungen des Stadtrats keine Abnehmer zu finden waren.
In Bitterfeld, [Bezirk] Halle, fehlt es an Eiern und Käse. Im Kreis Hettstedt und anderen Kreisen fehlen Hülsenfrüchte, Graupen und Kindernährmittel. Ähnliche Beispiele gibt es im Kreis Hoyerswerda, [Bezirk] Cottbus (Schmalz und Speck). Bezirk Gera (Winterbekleidung und Textilien), Karl-Marx-Stadt (Wäsche usw.).
Von den in Berlin eintreffenden Kähnen mit Speisekartoffeln wurden bisher von 81 Kähnen 45 wegen ungenügender Qualität beanstandet. Ursache: Die Kartoffeln sind stark wasserhaltig und werden oft ohne genügende Ablagerung verladen, wodurch sich die Qualität beim Be- und Entladen stark vermindert. (Druckstellen gehen rasch in Fäulnis über.) Die Entladung der Kähne im Osthafen wird oft dadurch verzögert, dass Kräne und Greifer laufend ausfallen.
Landwirtschaft
Die Diskussionen über die Volkswahl sind nur noch vereinzelt und beinhalten die bereits bekannten Meinungen. Der Umfang der Stellungnahmen zur neuen Sowjetnote ist ebenfalls gering, aber überwiegend positiv. In den positiven Stellungnahmen wird die neue Sowjetnote begrüßt und die ständigen Bemühungen der SU um eine friedliche Regelung der deutschen Frage besonders anerkannt. Ein Agronom aus der MTS Lauterbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Mitglied der DBD sagte: »Den Vorschlag der Sowjetregierung vom 23.10.1954 an die Westmächte, noch im November dieses Jahres eine Konferenz einzuberufen, wo das Deutschlandproblem behandelt werden soll, kann ich nur begrüßen. Durch diesen Vorschlag werden die Westmächte erneut gezwungen, Farbe zu bekennen, inwieweit sie gewillt sind, das Deutschlandproblem auf friedlicher Basis zu lösen. Ob sie es tatsächlich auf die Spitze treiben und letzten Endes einen Dritten Weltkrieg inszenieren wollen, wird daraus ersichtlich sein. Dieser Vorschlag wird auf alle Fälle die Pläne der Westmächte, besonders der Amerikaner, nämlich die Remilitarisierung in Westdeutschland durchzuführen, wieder durcheinanderbringen.«
Ein Landwirt aus dem VEG Groschwitz, [Kreis] Rudolstadt, [Bezirk] Gera: »Die Note der SU ist sehr gut, sie hilft uns bei den Diskussionen mit allen Menschen. Die Forderung, Abzug der Besatzungstruppen und Nichtbelassung der Besatzungstruppen bis 1998,18 ist für uns ein großes Glück. Da wären wir doch wieder Herr im eigenen Hause und könnten es uns nach unseren Gesichtspunkten ausbauen. Was könnten wir dann alles schaffen, wenn die Einheit Deutschlands da wäre, die Besatzungskosten wegfielen und wir uns innerhalb Deutschlands frei bewegen könnten.«
Ein Schmied aus der MTS Pretzsch, [Bezirk] Halle: »Die Vorschläge der SU, im November eine Viererkonferenz einzuberufen, die in der neuen Note gemacht wurden, muss jeder Deutsche begrüßen. Die Genfer Konferenz hat gezeigt, dass auf dem Verhandlungswege zwei Kriegsfeuer ausgelöscht wurden.19 Warum sollte es daher nicht möglich sein, Deutschland auf dem Verhandlungswege wieder zu vereinigen. Ich werde mit aller Kraft mitarbeiten, dass diese Vorschläge verwirklicht werden.«
Teilweise wird die Note zwar begrüßt, aber gleichzeitig der Zweifel ausgesprochen, dass die Westmächte darauf nicht eingehen werden. Ein Agronom aus der MTS Schmiedefeld, [Bezirk] Suhl: »Der Vorschlag ist real und zeigt, dass die SU alles einsetzt, um die Einheit herbeizuführen. Jedoch glaube ich nicht, dass sie Westmächte auf diesen Vorschlag eingehen werden, da nach Beendigung der Neunerkonferenz in London dies nicht mehr möglich ist.«20
Vereinzelt wird die Behauptung aufgestellt, dass die Note zu spät gekommen ist. Der parteilose LPG-Vorsitzende aus Brügge, [Bezirk] Potsdam: »Die neue Note der SU ist acht Tage zu spät gekommen, weil Westdeutschland und Frankreich über die Saar schon verhandelt haben.«21
Oft wird von Bauern über das schlechte Saatgut von der DSG und über andere Mängel der DSG geklagt. Aus der Gemeinde Proschim,22 [Kreis] Spremberg, [Bezirk] Cottbus, wird über eine erregte Diskussion unter den Bauern über das Saatgetreide berichtet. Das Saatgetreide wurde von der DSG geliefert und ist nur zu einem Drittel aufgegangen. Im Zusammenhang damit wird der Kohlrübensamen kritisiert, der im Frühjahr geliefert wurde, aber als Markstammkohl23 aufgegangen ist.
Im Kreis Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, mehren sich die Beanstandungen über die Pflanzkartoffellieferung aus dem Bezirk Rostock. Die BHG klagen darüber, dass sehr viele Kartoffeln aus den Lieferungen verfault, krank und zum Teil angefroren sind. Nach dem Gutachten des Kreispflanzenschutzes beläuft sich die Höhe der schlechten Kartoffeln bis über 20 Prozent. Die Bauern bringen zum Ausdruck, wir müssen Speisekartoffeln bester Qualität liefern und erhalten von der BHG dafür solchen Schund.
Bei der LPG Karnin, Kreis Stralsund, lagern ca. 2 000 [sic!] Vermehrungskartoffeln, die nicht abgesetzt werden können, weil die DSG Stralsund der Meinung ist, dass die LPG diese Kartoffeln einmieten soll. Die LPG dagegen vertritt den Standpunkt, dass sie etwas anderes zu tun haben als die Kartoffeln für die DSG einzumieten, da diese Arbeit eine große Mehrbelastung für sie bedeutet.
Vielfach kommen Klagen über die Reichsbahn wegen der schlechten Gestellung von Waggons. Im Kreis Herzberg, [Bezirk] Cottbus, ist zu verzeichnen, dass vonseiten der Reichsbahn die Gestellung von Waggons für die Verladung landwirtschaftlicher Produkte den Anforderungen nicht entsprechend durchgeführt wird. Entweder treffen die angeforderten Waggons verspätet oder gar nicht ein oder nur zum Teil ein.
Übrige Bevölkerung
Stellungnahmen zur neuen Note der SU wurden nur in geringem Maße bekannt, jedoch fast ausschließlich positiv. In den Äußerungen wird übereinstimmend zum Ausdruck gebracht, dass die neuen Vorschläge der SU den Wünschen des deutschen Volkes entsprechen und es wäre nur zu begrüßen, wenn die Westmächte darauf eingingen. Zum Beispiel sagte ein Einwohner aus dem Kreis Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich begrüße die neue Note der Sowjetunion, welche dem Frieden dient. In Westdeutschland dagegen hat Adenauer24 den NATO-Vertrag in Paris unterzeichnet, welcher das deutsche Volk erneut in einen neuen Krieg treibt. Wir wollen für den Frieden und eine glückliche Zukunft schaffen und nicht noch einmal einen neuen Krieg erleben.«
Eine Hausfrau (parteilos) aus Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die neue Note der SU kann man nur begrüßen. Hoffentlich kommen die Regierungsvertreter der vier Länder recht bald zusammen, damit endlich eine Einigung in der deutschen Frage zustande kommt und der Frieden gesichert ist.«
Ein FDJ-Sekretär aus Großenhain, [Bezirk] Dresden: »Die neue Note zeigt der ganzen Welt den Willen der SU, den Frieden zu erhalten. Sehen wir uns dagegen die Pariser Verhandlungen an, da wird deutlich, dass diese nicht dem Frieden dienen. Unsere Aufgabe wird es sein, die SU in ihren Forderungen zu unterstützen und im Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft25 neue Mitglieder zu werben.«
Ein Angestellter des FDGB aus Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden: »Es gibt doch bei der SU keine Ermüdungserscheinungen, wenn es gilt, den Frieden für die ganze Welt zu erhalten. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Konferenz im November zustande käme, wo über uns entschieden werden soll.«
Verschiedentlich werden Zweifel gehegt, ob die Einheit Deutschlands überhaupt einmal zustande kommen wird. Zum Beispiel sagte eine Rentnerin aus Großenhain, [Bezirk] Dresden: »Es sind doch schon so viele Vorschläge über unsere Einheit gemacht worden, ob es denn nochmal werden wird, wenn es der Amerikaner immer ablehnt?«
Ganz vereinzelt, meist von bürgerlichen Elementen, werden bezüglich des Vorschlages gesamtdeutscher freier Wahlen Anspielungen auf die Wahlhandlung am 17.10.1954 gemacht. Zum Beispiel äußerte ein Fabrikant aus dem Kreis Löbau, [Bezirk] Dresden: »Dieses Jahr könnte noch eine gesamtdeutsche Wahl sein. Diese würde wieder so eine demokratische Wahl werden wie am 17.10.1954, wo jede Menge Bleistifte eingespart wurden.« Weiter sagte er: »Wenn alle vier Großmächte etwas nachgeben würden, könnte die Einheit Deutschlands bald hergestellt sein.«
Über die Volkswahl werden nur noch vereinzelt Diskussionen geführt. Dabei steht immer wieder die Wahlhandlung in Verbindung mit dem Ergebnis, welches als nicht real bezeichnet wird, im Vordergrund. Ein Einwohner (SED) aus Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Zur Wahl machten sie es genau wie bei Adolf. Ich weiß genau, dass ich und mehrere andere 193426 mit Nein stimmten und bei den Auszählungen waren alles Ja-Stimmen. Ich glaube nicht einmal, dass das bei uns zur Wahl von oben angeordnet wurde. Das kam bestimmt von einigen in den Bezirken und Kreisen, die gut abschneiden wollten.«
Ein Einwohner (parteilos) aus Rodewisch, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wenn die heute noch einmal erzählen, die wollen freie, geheime und demokratische Wahlen in ganz Deutschland machen, dann glaubt ihnen das kein Mensch mehr. Da haben sie uns diesmal zu sehr enttäuscht. Da hat man sich nun wochenlang ehrlich für die Vorbereitung der Wahl eingesetzt und nun machen sie so eine Sache.«
Ein LDP-Mitglied aus Bad Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Um die beiden Zettel zu kniffen und in den Kasten zu stecken,27 brauchte man nicht so viel Lärm vorher zu machen. Erst suchte ich den Bleistift und dann die Stelle, wo ich ein Kreuz machen musste. Ich habe aber beides nicht gefunden. Man sollte doch bei einer demokratischen Wahl nicht so kleinlich sein. Auf die paar Prozente Gegenstimmen konnten wir verzichten, so aber ist alles verärgert.«
Immer wieder wird von der Bevölkerung über eine mangelhafte Belieferung mit Brennmaterial geklagt. Zum Beispiel ist in einigen Kreisen des Bezirkes Magdeburg die Belieferung der Kohlenkarten mit Kohlen und Koks besonders schlecht. Darüber herrscht Verärgerung, da jetzt niemand mehr im ungeheizten Zimmer sitzen kann.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:28 Frankfurt 1 000, Karl-Marx-Stadt 3 550, Cottbus 942, Dresden 6.
KgU:29 Karl-Marx-Stadt 2 700, Dresden 8.
NTS:30 Potsdam 23, Karl-Marx-Stadt 15, Erfurt: Weimar 52, Halle: Hohenmölsen 40, Weißenfels 46, Dresden 18.
Auf dem Schacht 206 – Annaberg – der Wismut AG31 wurden seit dem 19.10.[1954] auf dem Wege vom Pulvermagazin zum Schacht regelmäßig 2 bis 3 Stück Hetzschriften der »Zope«32 ausgelegt.
In tschechischer Sprache: Dresden 21, Karl-Marx-Stadt 6 200.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen mittels Ballons eingeschleust und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Antidemokratische Tätigkeit: In der Nacht vom 21. bis 22.10.1954 wurden auf einem Korridor der Zentralschule Elsterberg, [Kreis] Greiz, [Bezirk] Gera, die Sichtwerbung und ein »Ernst Thälmann«-Bild33 zerstört.
In Halle, Brandbergweg wurden zwei Hakenkreuze mit weißer Ölfarbe an Bäume gemalt.
Immer wieder erhalten Facharbeiter der DDR oder des Demokratischen Sektors von Berlin Briefe mit Ausschnitten von Westzeitungen mit Arbeitsangeboten. Zum Beispiel erhielt am 21.10.1954 ein Diplomingenieur des VEB Kühlautomat in Berlin einen solchen Brief. Darin wird noch gebeten, diesen Brief an Interessenten weiterzuleiten, wenn kein Bedarf vorliegt.
Der VEB Görlitzer Maschinenbau erhielt wiederum – wie bereits vor einigen Monaten – mit zwei Postkarten die Aufforderung, Pläne, Übersichten von Kalkulationen und Kataloge über die Erzeugnisse des Betriebes zu übersenden, um das Gebiet des Maschinenbaus studieren zu können. Absender in einem Fall in Belgien und zum anderen in Friedberg.
Der LPG-Vorsitzende in Volksdorf, [Kreis] Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, erhielt einen Hetzbrief gegen die Volkswahl, in dem u. a. acht blaue Briefmarken der Post der DDR mit der Aufschrift »Arbeitet langsamer in der undeutschen undemokratischen Republik« enthalten waren.
Gerüchte: Im Schwefelsäurewerk Nünchritz, [Kreis] Riesa, [Bezirk] Dresden, kursiert das Gerücht, dass die Johann-Georgenstadt gänzlich geräumt werden müsste und dass durch die vorgenommenen Grenzbefestigungen der ČSR unter der Bevölkerung ein Hass entstanden wäre.
In den Betrieben des Ortes Glashütte, [Kreis] Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden, wird das Gerücht verbreitet, dass das »Kapital« von Karl Marx34 verboten sei.
Im [Wismut-]Schacht 31 – Johanngeorgenstadt – wird diskutiert, dass die Volkskammer am 25.10.1954 die Aufstellung der Volksarmee diskutiert und beschließen wird. Solche Argumente wurden kurz nach dem Erscheinen der neuen Note der SU verbreitet.
In den Neubauten der Stalinallee [in Berlin] werden immer wieder – wie bereits vor ca. drei Monaten berichtet35 – in Abständen von einigen Wochen die Sprechanlagen zerstört.
Am 24.10.1954 entstand um 4.45 Uhr ein Scheunenbrand in dem ÖLB Düpow,36 [Kreis] Perleberg, [Bezirk] Schwerin, wobei 10 m Viehstallungen niederbrannten. Täter sind zwei Jugendliche aus Westberlin, welche sich im Durchgangslager der ÖLB37 befanden.
Am 24.10.1954 wurde vermutlich durch Brandstiftung eine Strohmiete eines Mittelbauern in Woltersdorf, [Kreis] Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, mit 100 Ztr. Stroh vernichtet.
Lage in Westberlin
Auf der am 24.10.1954 im Berliner Sportpalast stattgefundenen Veranstaltung anlässlich des »Kriegsgefangenengedenktages«38 sprach nach einigen gemäßigten Ausführungen von Schreiber39 und Vockel40 ein gewisser Kreil,41 welcher eine wüste Hetze gegen die Sowjetarmee startete. Arno Scholz42 als nächster Redner sprach gegen das Urteil im Oradour-Prozess und behauptete, die deutschen Soldaten hätten nur das gemacht, was französische Partisanen vorher mit einer Deutschen Kompanie gemacht hätten.43
Der Sportpalast war bei dieser Veranstaltung zu ca. 75 Prozent besetzt.
Einschätzung der Situation
Die Diskussionen über den Wahlablauf sind stark abgeflaut, in den meisten Bezirken wird nur noch vereinzelt gesprochen.
Die Note der Sowjetunion vom 23.10.1954 findet im Allgemeinen noch zu wenig Beachtung, überwiegend werden die Bemühungen der SU begrüßt und anerkannt. Oft ist man dabei aber auch pessimistisch und zweifelt am Erfolg.
Wirtschaftliche Fragen treten wieder mehr in den Vordergrund.
Anlage vom 27. Oktober 1954 zum Informationsdienst Nr. 2351
Auswertung der Westsendungen
Die Hetze gegen das Ergebnis der Volkswahlen konzentriert sich zzt. auf die zahlreichen Wiedergaben angeblicher Hörerzuschriften, womit ein »Wahlbetrug und Wahlzwang« bewiesen werden soll.
Gegen die Mitteilung des Ministeriums des Innern, dass niemand einer Strafverfolgung ausgesetzt sei, der die Wahlkabine benutzt hat,44 hetzt der RIAS mit einem Beispiel, wonach in Dresden-Neustadt ein Arbeiter des Hafenbetriebes festgenommen worden sein soll, weil er die Kabine benutzen wollte.
In Fortsetzung der bisher geübten Hetze und der gegebenen Anweisungen hetzt der RIAS, dass es aufgrund des Wahlergebnisses nicht notwendig sei, einen Monat für Deutsch-Sowjetische Freundschaft zu veranstalten. Es heißt dazu u. a.: »… Die Veranstaltungen des Monates braucht man nicht zu besuchen, wozu auch. … Der normale Werktätige fühlt sich, nachdem man ihn am Sonntag zu den Wahlurnen geschleppt hat, nicht verpflichtet, zu Ehren dieses Monates noch Selbstverpflichtungen abzugeben. Der normale Werktätige fühlt sich auch nicht verpflichtet, den Alarmen des FDGB zuzustimmen, der durch Produktionsaufgebote und Sonderverpflichtungen neuen Produktionserfolgen entgegenmarschieren und die Planrückstände aufholen will.«
Auf dem Gebiet der Landwirtschaft wird folgende Forderung proklamiert: »… Unter diesen Umständen (des Wahlergebnisses) sollte es sich die Partei doch leisten können, auch die Einzelbauern wieder mit Traktoren zu versorgen. … Warum nun noch dieser Kampf des Konsums gegen den Dorfkaufmann? Warum sind die unter fadenscheinigen Vorwänden fortgenommenen Betriebe noch nicht zurückgegeben?«
An Genossen der SED wendet sich eine andere Sendung des RIAS. Dort heißt es, dass sie jegliche politische Arbeit, sei es in der Aufklärung, Schulung, Sport- oder Kulturarbeit ablehnen sollen, »da dies ja jetzt nicht mehr notwendig sei«. Es heißt: »Die politische Aufklärungsarbeit ist überflüssig geworden. Es kann jetzt nur noch darum gehen, wirtschaftliche Fragen zu klären. Die längst fällige Erhöhung der Angestelltengehälter z. B.«
Bezug nehmend auf die Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes im III. Quartal 1954 startet der Sender »Freies Berlin« eine üble Hetze gegen die Schwerindustrie der DDR. Ziel ist die Beweisführung, dass eine Steigerung der Roheisen- und Eisenproduktion um das Vielfache gegenüber 1936 keine Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung habe, da die Steigerung gegenüber dem Vorkriegsstand unbedeutend sei, »da es 1936 noch keine Schwerindustrie in Mitteldeutschland gab« und da die Ergebnisse der Produktion »zum überwiegenden Teil in der Rüstungswirtschaft« verwendet würden.
Im Verlauf einer weiteren Sendung zur Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes fordert der RIAS die Werktätigen mit folgenden Worten auf, größere Prämien zu verlangen: »Wenn wir schon mehr arbeiten sollen, sagen sich die Werktätigen, dann wollen wir auch entsprechend mehr verdienen. … Für sie – die Werktätigen – geht es darum, für eine zusätzlich verlangte Leistung eine entsprechend höhere Prämie zu bekommen.«
In einer Sendung über die »Situation der FDJ nach den Wahlen« spricht der RIAS von »Zwangsmaßnahmen der SED gegen die FDJ« aufgrund der mangelhaften Arbeit der FDJ bei der Vorbereitung der Wahlen. Unter anderem wird von einer doppelten Überwachung gesprochen: »So ist also nunmehr die FDJ einer doppelten Kontrolle unterworfen. Den Beauftragten des Staatssicherheitsdienstes, die seit Monaten ihre Plätze an den Schreibtischen der FDJ einnehmen, folgen nun die Beauftragten der Partei.« Ziel dieser Sendung ist die Untergrabung des Verhältnisses zwischen Partei und FDJ.