Direkt zum Seiteninhalt springen

Zur Beurteilung der Situation in der DDR

28. Oktober 1954
Informationsdienst Nr. 2352 zur Beurteilung der Situation in der DDR

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Allgemein wird zu politischen Tagesfragen nur in geringem Umfange diskutiert. Dabei wird zur Volkswahl nur noch ganz vereinzelt über die Wahlhandlung gesprochen.1 Im Vordergrund der wenigen Diskussionen steht jetzt die Note der SU an die Westmächte.2 Meist wird die Note begrüßt als weiterer Beweis, dass die SU für den Frieden kämpft und für die Einheit Deutschlands ist. Ein Teil hegt die Hoffnung, dass die Westmächte auf diese Note eingehen werden und es zu Verhandlungen der Großmächte kommt. Andere sind der Ansicht, dass die Westmächte durch die Note gezwungen werden, zu verhandeln und das Deutschlandproblem endlich gelöst wird.

In diesem Zusammenhang wird auch mehrfach die Kriegspolitik Adenauers3 verurteilt. Überwiegend äußerten sich Arbeiter der volkseigenen Betriebe, die fortschrittlich eingestellt sind oder in Versammlungen über die Note aufgeklärt wurden. So wird z. B. in den Erzgruben und Hütten des Mansfeld Kombinats »Wilhelm Pieck« die Note lebhaft diskutiert. Man bringt zum Ausdruck, dass man wieder einmal sieht, wo die wahren Freunde der deutschen Arbeiter und des deutschen Volkes stehen.

Im Gummiwerk »Elbe«, Kreis Wittenberg, [Bezirk] Halle, äußerte ein Kollege: »Wer mit den Vorschlägen der Sowjetregierung nicht einverstanden ist, kann nur das Schlechte für das deutsche Volk im Auge haben, denn der größte Wunsch eines jeden Deutschen ist ein Friedensvertrag und der Abzug der Besatzungstruppen.«

Ein Kollege aus der Buchhaltung des VEB Schmalkaldener Kranbau, [Bezirk] Suhl: »Ich begrüße die erneute Initiative der SU, Deutschland den Frieden zu geben und endlich zu vereinen. Dies steht im krassen Gegensatz zu den Bemühungen der amerikanischen, englischen und französischen Regierungskreise, aus Westdeutschland einen neuen Kriegsherd zu machen.«

Eine Kollegin aus dem VEB Röhrenwerk Neuhaus, [Bezirk] Suhl: »Auch ich hege den Wunsch, dass die Besatzungstruppen aus Deutschland abziehen und hoffe, dass die Westmächte endlich vernünftig sind und verhandeln.«

Eine Kollegin aus dem VEB Porzellanwerk Neuhaus: »Ich kann die Note nur begrüßen, denn dadurch werden die Westmächte gezwungen, endlich die Deutschlandfrage auf friedlichem Wege zu lösen. Ich verpflichte mich, im Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft zehn Mitglieder für die DSF zu werben.«4

Verschiedentlich wird an einem Erfolg der Note gezweifelt, wegen der ablehnenden Haltung der Westmächte, insbesondere an das Zustandekommen einer Außenministerkonferenz. So äußerte z. B. ein parteiloser Elektro-Ingenieur aus dem Kaliwerk »Glückauf« Sondershausen, [Bezirk] Erfurt: »Die Noten der SU kommen laufend heraus, aber es ändert sich nichts. Die Westmächte gehen ihren eigenen Weg. Amerika wird wohl die Außenministerkonferenz ablehnen.«

Einige Bauarbeiter von der Baustelle E-Nord des VEB Bau Rostock: »Wir freuen uns, dass die SU einen so vernünftigen Vorschlag unterbreitet. Wir bezweifeln allerdings, dass die Westmächte diesen Vorschlag annehmen, denn dadurch würden sie die Pariser Verhandlungen und die Aufrüstung Westdeutschlands hinfällig machen.«5

Vereinzelt äußerte man sich feindlich, wobei gegen die Sowjetunion gehetzt wurde. So sagte ein parteiloser Löter aus dem VEB »Klement Gottwald« in Ruhla, [Bezirk] Erfurt: »Wenn die Russen nicht solche Quertreiber wären, hätten wir schon lange die Einheit. Aber der Russe geht ja auch nicht aus Deutschland heraus. Vom Amerikaner aber wird das verlangt.«

Ein Arbeiter aus dem VEB »Werkin« in Königssee, [Bezirk] Gera: »Die Russen können sich ruhig die Finger wundschreiben, die anderen lachen nur darüber.« Ähnlich äußerte sich ein Einrichter aus dem gleichen Betrieb. Ein Maurer aus dem gleichen Betrieb: »Diese Note hat doch keinen Zweck, hüben wie drüben ist die Aufstellung einer Wehrmacht bereits fertig.«

Gegen den Verrat Adenauers in Paris wurde in vielen Abteilungen des EHW Thale und im Kaliwerk »Friedenshall«, [Bezirk] Halle, diskutiert. Man verurteilte dabei meist die verbrecherische Handlung Adenauers. Verschiedene Kollegen verglichen ihn mit Hitler, wozu unter anderem ein Kollege aus der Fahrzeuglenkung des EHW äußerte: »Man soll sich nicht bluffen lassen, denn der Machtantritt Hitlers hat die gleichen Symptome gezeigt. Er wollte auch nur eine Verteidigungsarmee, aus welcher dann eine imperialistische Angriffsarmee hervorging. Wenn die Arbeiter aus West und Ost nicht aufpassen, treiben wir abermals in einen Dritten Weltkrieg.« Im Kaliwerk Friedenshall wurde eine Entschließung gegen die Londoner und Pariser Beschlüsse6 sowie gegen das Verbieten der KPD angenommen.7

Über noch angebliche Kriegsgefangene in der SU wurde im VEB Bau-Union Bad-Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, diskutiert. So sagte z. B. eine Arbeiterin: »Genauso wie jetzt einer sich aus Russland meldet, der vor zwei Jahren festgenommen wurde, gibt es noch viele, die seit dem Krieg dort verschollen sind. Die Russen sollen es ruhig zugeben, dass bei ihnen noch Tausende von Kriegsgefangenen sind. Unsere Regierung hätte sich auch schon darum kümmern können.« In diesem Zusammenhang wurde abfällig über die Volkswahl gesprochen.

Einen Transportschaden von ca. 1 500 bis 2 000 DM hat die Kreiskonsumgenossenschaft Borna, [Bezirk] Leipzig, durch unvorsichtiges Rangieren auf den Bahnhöfen. Bemerkenswert hierzu ist, dass Staffelwaggons, die von der VVB Deutsche Spedition Leipzig versandt werden, immer Transportschäden aufweisen.

Am 23.10.1954 wurde dem Reparaturwerk »Klara Zetkin« Erfurt vom Werk Hennigsdorf ein neugewickelter Induktor geliefert, der für das Kraftwerk Großkayna bestimmt ist. Durch unvorsichtiges Rangieren auf dem Hauptbahnhof Erfurt hatte dieser Induktor Schaden erlitten.

Waggonmangel: Durch mangelhafte Waggonbereitstellung werden verschiedene Betriebe in der Planerfüllung gehemmt. So erhielt z. B. der VEB Wellpappe in Woltersdorf, [Bezirk] Potsdam, von 27 bestellten Waggons nur 13. Da keine Lagerungsmöglichkeiten vorhanden sind, besteht jetzt die Gefahr, dass die Produktion deshalb eingestellt wird. Ähnlich ist es im VEB Möbelfabrik Wehrsdorf, [Bezirk] Dresden, die deshalb seit 27.10.1954 die Produktion eingestellt hat.

Im VEB Zuckerfabrik Lübz, [Bezirk] Schwerin, ist deshalb die Rübenanlieferung schleppend, wodurch die Liefertermine für den Zuckerexport nicht eingehalten werden können. Ähnlich ist es im VEB Sodawerke Staßfurt, [Bezirk] Magdeburg, bei den Exportaufträgen an die SU, Dänemark und Schweden.

Eine Terminverzögerung ist bei der Fertigstellung des Schiffsobjekts »Jury Dolgoruki«8 auf der Warnow-Werft Rostock eingetreten, da die Anlieferung der Hauptmaschinen vom Energie- und Kraftmaschinenbau Görlitz9 erheblich verzögert wird. Die Maschinen sollten bereits im Juni 1953 fertig sein, wurden aber bis jetzt noch nicht geliefert. (Die Hauptverwaltung Schiffbau hat Kenntnis.)10

Schwierigkeiten bei dem Ausstellen von Exportwarenbegleitscheinen durch die »INEX« Berlin11 hat der Dampfkesselbau Hohenthurm, [Kreis] Saalkreis, [Bezirk] Halle. Dadurch lagern Fertigteile im Freien und verrosten.

Produktionsstörungen: Durch Überfahren bzw. Auffahren auf geschlossene Weichen wurden im Bezirk Cottbus Waggonentgleisungen auf den Bahnhöfen Poley, Kreis Finsterwalde, Lauchhammer-West und Bahnhof Alt Zauche verursacht. Dadurch kam es zu Zugverspätungen.

Am 25.10.1954 explodierte in der Trafostation des VEB Kalikombinats »Ernst Thälmann« in Merkers, [Bezirk] Suhl, ein Schalter, vermutlich durch schadhafte Isolierung. Es entstand ein Produktionsausfall von ca. 43 000 DM.

Am 25.10.1954 fiel im VEB Flußspatwerk Ilmenau, [Bezirk] Suhl, bei einem Probelauf der Dieselmotor eines Notstromaggregates aus. Verursacht wurde der Schaden wahrscheinlich durch einen Montagefehler. Höhe des Schadens ca. 50 000 DM.

Bei einer Probefahrt des Loggers »42 13«12 in Stralsund stürzte bei der Ladeprobe der Ladebaum mit der Last herunter. Es wurde festgestellt, dass die Bodenrolle nur an einer Seite festgeschweißt war.

Handel und Versorgung

Folgende Beispiele zeigen die Mängel in der Versorgung, die immer wieder zu Beschwerden und Unzufriedenheit führen.

In der Stadt Halle und in den Kreisen Zeitz, Köthen und Halle fehlt es an billigen Zigaretten. Die Arbeiter kritisieren darüber und sagen, dass sie sich nicht die teuren Zigaretten kaufen können. In der Stadt Thale, [Bezirk] Halle, gibt es überhaupt keine Fischkonserven, Käse und Weitrauben. In Köthen, [Bezirk] Halle, fehlen Fischwaren, Konserven, Graupen, Haferflocken, Süßwaren und Gebäck. In Zeitz, [Bezirk] Halle, fehlen Hülsenfrüchte.

In den Kreisen Neuruppin und Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, fehlt nach der Preissenkung13 Schmalz und Speck. Die Hausfrauen sagen hierzu: »Man hätte den Preis nicht senken sollen, wenn davon nicht genügend vorhanden ist.« Außerdem fehlen in Pritzwalk Tee und Waschmittel, in Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, Tee und Kindernährmittel. Ähnliche Mängel: Bezirk Schwerin (Kindernährmittel Fischwaren), Kreis Liebenwerda14 (Margarine, HO-Süßwaren, Haushaltsartikel).

Über schlechte Einkellerungskartoffeln, die nach 14 Tagen in Fäulnis übergehen, klagt die Bevölkerung des Kreises Sonneberg, [Bezirk] Suhl.

Landwirtschaft

Der Umfang der Diskussionen zur neuen Sowjetnote ist noch verhältnismäßig gering. Die Meinungen sind teils positiver, teils zweifelnder Art. In den positiven Meinungen wird die Note begrüßt und die neuen Vorschläge nicht nur als Beweis der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, sondern auch als großartige Lösung zur Beseitigung der Kriegsgefahr gewertet. Man ist davon überzeugt, dass die Vorschläge zu verwirklichen sind und dadurch die Deutschlandfrage gelöst werden kann. So erklärte eine Köchin aus der MTS Hübling,15 [Bezirk] Gera: »Es wäre ein großes Glück für uns Deutsche, wenn es gelingt, die Viererkonferenz im November zustande zu bringen, und mithilfe der SU die Deutschlandfrage erfolgreich gelöst würde.«

Die Mitglieder der LPG Etzoldhain, [Bezirk] Leipzig: »Uns freut besonders der große Friedenswille der SU. Wir sehen darin die große Freundschaft der SU gegenüber dem deutschen Volke. Aus Dankbarkeit und zu Ehren des Monats der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft verpflichten wir uns, Mitglieder dieser Organisation zu werden.«

Die beste Brigade der MTS Tümpling verpflichtete sich aus Anlass der neuen Sowjetnote, ihren Jahresplan für 1954 bis zum Geburtstag des Genossen Stalin16 vorfristig zu erfüllen.

Ein Traktorist der MTS Schwanheide, [Bezirk] Schwerin: »Ich werde meine Kräfte noch mehr einsetzen als bisher, damit die amerikanischen Panzer unsere friedliche Arbeit nicht zerstören können.«

In den zweifelnden Meinungen kommt oft die Befürchtung zum Ausdruck, dass die Vorschläge an dem Verhalten der Westmächte zum Scheitern kommen. Ein Bauer aus Breesen, [Bezirk] Schwerin, sagte: »Jetzt im November wird es sich zeigen, was die Viermächtekonferenz im Januar bringen sollte.17 Die Westmächte sind jetzt erneut in eine Lage gekommen, wie es schon bei der Berliner Konferenz im Januar der Fall war. Es wird sich jetzt herausstellen, wer Freund oder Feind des deutschen Volkes ist. Die westdeutsche Bevölkerung wünscht genauso die Einheit, aber die westdeutsche Regierung wird dieses hintertreiben, deshalb wird die Note ohne Erfolg bleiben.« Die gleiche Auffassung hatte ein LPG-Bauer aus Schwartow, [Bezirk] Schwerin. Er sagte: »Es hat keinen Zweck, denn es wurden schon viele Noten ohne Erfolg an die Westmächte gerichtet.«

Ein LPG-Vorsitzender im Kreis Weißenfels, [Bezirk] Halle: »Hoffentlich haben sie mit den neuen Vorschlägen, eine Viermächtekonferenz herbeizuführen, Erfolg, dass sich endlich diese vier Mächte in der Deutschlandfrage einigen und einen entscheidenden Beitrag zum Weltfrieden leisten. Wir werktätigen Bauern in der Gemeinde Gröbitz werden alles durch unsere Arbeit tun, um den Frieden zu sichern.«

Ein Bauer aus Lützow, [Bezirk] Rostock:18 »Lasst mich mit diesen Sachen in Ruhe, denn derartige Noten waren schon des Öfteren herausgekommen und haben zu keinem Erfolg geführt.«

Bei der Bergung der Hackfruchternte entstehen verschiedentlich Schwierigkeiten wegen Arbeitskräftemangel. Die LPG in Wildberg, [Kreis] Altentreptow, [Bezirk] Neubrandenburg, benötigt noch zehn Tage für die Einbringung der Kartoffeln. Mit der Zuckerrübenernte wurde noch nicht begonnen. Ähnlich ist es bei der LPG Kostorow,19 [Kreis] Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus, bei dem ÖLB Letzin, [Kreis] Altentreptow, sowie auf verschiedenen LPG, VEG und ÖLB im Bezirk Magdeburg.

Verschiedentlich kommen Klagen über die Vernachlässigung notwendiger Stallbauten, wie z. B. in der LPG Burkhardswalde, [Bezirk] Dresden, wo die Mittel für einen Schweinestall und für Lagerräume gestrichen wurden.

Oft beklagen sich Bauern über die Nichteinhaltung der Verträge seitens der MTS. Die Belegschaft des ÖLB in Kruckow, Kreis Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, ist über die MTS Jarmen verärgert, weil diese ihre Verträge über die Rodung der Kartoffeln nicht einhält und immer nur Versprechungen macht. Ähnliche Klagen kommen aus den Kreisen Freienwalde, Eberswalde und Strausberg, [Bezirk] Frankfurt, wo die Bauern durch die Nichteinhaltung der Verträge mit ihrem Plan in Rückstand gekommen sind. Die Bauern sagen, die Wahlen sind vorüber, die Redner waren da und eine Änderung ist nicht eingetreten.

Die MTS Klöden, [Bezirk] Cottbus, hat Schwierigkeiten mit Dieselkraftstoff, den sie von der DHZ Herzberg nicht erhält, da diese keinen am Lager hat. Der Treibstoff wird aber dringend benötigt.

Zum Teil werden auf dem Lande von den Bauern sehr negative Diskussionen über die schlechte Belieferung mit Saatkartoffeln geführt, wobei es auch zu feindlichen Äußerungen kommt, wie folgendes Beispiel zeigt. Ein Bauer aus Otzdorf, [Bezirk] Leipzig: »Bringt die Junker wieder her, dann geht es mit der Landwirtschaft wieder aufwärts und wenn unsere Regierung nicht weiterkann, soll sie abtreten und die Regierungsgeschäfte der Bonner Regierung übergeben.«

Durch den Kreisvorstand der VdgB (BHG) wurde mitgeteilt, dass am 26.10.1954 in Dölitzsch, [Kreis] Geithain, [Bezirk] Leipzig, ein Waggon Pflanzkartoffeln von der BHG Selmsdorf, [Kreis] Grevesmühlen, [Bezirk] Schwerin,20 eingetroffen ist. Diese Kartoffeln sind als Pflanzgut völlig ungeeignet. 50 Prozent mussten sofort gedämpft werden, die anderen 50 Prozent der Brennerei übergeben werden.

Der Genosse Sommerlatte,21 Vorsitzender des Kreisrates Mühlhausen, teilte mit, dass im örtlichen Landwirtschaftlichen Betrieb Sambach, [Stadt] Mühlhausen, 800 Schweine gegen Rotlauf und Pest geimpft werden müssen, aber kein Tierarzt kommt. Dazu sagte der Kreistierarzt, dass kein Tierarzt mehr impfen will, weil alle Angst haben, verhaftet zu werden.22 Sommerlatte machte dem Kreistierarzt den Vorschlag, selbst zu impfen. Dieser lehnte es ab, mit der Begründung, dass er keine Zeit hätte.23

Übrige Bevölkerung

Unter der übrigen Bevölkerung wird nur in geringem Maße zu aktuellen politischen Tagesfragen Stellung genommen. Über die Volkswahlen wird nur noch vereinzelt gesprochen. Der Inhalt gleicht dem der Vortage. Die Stellungnahmen zur Note der SU an die Westmächte sind überwiegend positiv. Darin wird immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass die Vorschläge der SU den Interessen des deutschen Volkes entsprechen und deshalb die vollste Unterstützung finden müssen. In diesem Zusammenhang wird von einigen die Handlungsweise Adenauers verurteilt, der in Paris gegen den Willen des deutschen Volkes das Saargebiet verraten hat24 und bereit ist, die deutsche Jugend als Kanonenfutter zu verschachern. Zum Beispiel sagte eine Hausfrau aus Bitterfeld, [Bezirk] Halle: »Während der Landesverräter Adenauer bereit ist, 500 000 junge Menschen für ausländische Interessen in Uniformen zu pressen, schlägt die Sowjetunion in ihrer Note erneut Verhandlungen zur Lösung der deutschen Frage vor. Jeder ehrliche Deutsche muss erkennen, dass auf der Grundlage von Verhandlungen die Einheit Deutschlands hergestellt werden kann. Ich begrüße die Vorschläge der SU und bin bereit, sie aktiv zu unterstützen.«

Die Sekretärin des Bürgermeisters in Banzendorf, [Bezirk] Potsdam: »Es ist ein Skandal, was in Paris für Verträge abgeschlossen wurden. Uns liegt daran, dass sich die Westmächte mit der Note der SU befassen, das ist für ganz Europa bedeutsam. Wir wollen endlich einen Friedensvertrag und die baldige Herstellung der Einheit Deutschlands.«

Ein Sportler aus Erdmannsdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich begrüße die Note der Sowjetunion. Sie ist ein neuer Beweis, dass die SU sich ständig für den Frieden einsetzt. Den Vorschlag zu einer neuen Außenministerkonferenz kann man nur unterstützen. Die Einheit Deutschlands, der Abzug der Besatzungstruppen sowie der Pakt der kollektiven Sicherheit würden uns Sportlern große Perspektiven eröffnen. Wir wollen in einem geeinten Deutschland Sport betreiben. Ich verurteile die Handlungsweise Adenauers, das Saargebiet an Frankreich zu verkaufen, nur damit eine Söldnerarmee errichtet werden kann.«

Ein Handwerker aus Cottbus: »Eine Wiedervereinigung Deutschlands liegt auch im Interesse des Handwerkes, denn dann würde die Materialversorgung noch eine bessere sein. Jeder Deutsche kann diese Note nur befürworten.«

Teilweise werden Zweifel gehegt, ob die Westmächte auf die Vorschläge der SU eingehen, da ein geeintes und friedliebendes Deutschland nicht in ihre Pläne passt. Zum Beispiel sagte ein Angestellter aus Dresden, dass seitens Westdeutschlands nichts dazu getan würde, um die Klärung herbeizuführen, sondern dass man im Gegenteil immer mehr einem neuen Krieg schürt. Vielleicht kämen die Westmächte zu der vorgeschlagenen Konferenz, aber sicher ginge diese wieder wie das Hornberger Schießen aus.

Eine Angestellte der Tbc-Heilstätte Rheinsberg,25 [Bezirk] Potsdam: »Das ist alles schön und gut und ich begrüße es auch, aber die Amis gehen ja doch nicht auf solche Vorschläge ein, denn dann müssten sie ja die 50-jährige Besetzung aufgeben, wie sie es ja mit Adenauer vereinbart haben.«

Nur vereinzelt kommt es zu negativen Bemerkungen hinsichtlich der neuen Sowjetnote. In einer Arbeitsbesprechung der HO Lebensmittel in Apolda, [Bezirk] Erfurt, schlug ein Kollege vor, die neue Note der SU gründlich zu studieren, sodass das Verkaufspersonal mit den Kunden zu dieser Note Stellung nehmen kann. Dazu äußerte eine Kollegin (SED): »Es genügt, wenn ich die Note der SU aus Radiomeldungen sinngemäß kenne, was soll ich da den Inhalt noch studieren. Es hat keinen Zweck, wenn das Verkaufspersonal mit der Kundschaft darüber diskutiert. Dann vertreibt sie diese höchstens aus dem Laden.«

Ein Angestellter aus Halle: »Die Einigung Deutschlands und Frankreichs stand im Mittelpunkt meiner Wünsche, als unbedingte Voraussetzung eines geeinten Europa. Ich bin auch für Opfer in der Saarfrage, um des großen Sieges willen. Nun kann man mit Ruhe der Viermächtekonferenz entgegensehen.«

In Gesprächen über die Remilitarisierung Westdeutschlands in den Kreisen der LDP in Quedlinburg, [Bezirk] Halle, erklärten einige: »Durch die Wiederaufrüstung und Bildung einer neuen Wehrmacht in Westdeutschland wird man zwangsläufig auch in der DDR dazu übergehen müssen, die nationalen Streitkräfte zu verstärken. Die Disziplin der KVP26 lässt jedoch sehr zu wünschen übrig und steht in keinem Vergleich zu den Armeen anderer Länder.«

Ein Bezirkstierarzt aus Magdeburg, der an einer Tagung in Westdeutschland teilnahm, schilderte seine Eindrücke wie folgt: »Viele junge Kollegen aus Westdeutschland konnten sich nicht an der Tagung beteiligen, da sie finanziell Schwierigkeiten haben. Ich stellte an einige die Frage, ob sie nicht zu uns in die DDR kommen wollten. Daraufhin wurde mir erklärt, dass dies keinen Zweck hätte, denn in der DDR werden die Tierärzte wegen der Schweinepest verfolgt und eingesperrt. Über solche Fälle wurde genügend in der Westpresse geschrieben.«

Vom Einzelhandel wird immer wieder über eine ungenügende Warenbelieferung geklagt. Zum Beispiel erwarten die Privatlebensmittelhändler des Kreises Apolda, [Bezirk] Erfurt, nach dem guten Wahlergebnis eine bessere Belieferung als bisher. Dazu äußerte ein Lebensmittelhändler aus Bad Sulza: »Nach dem Ergebnis der Wahl ist doch anzunehmen, dass wir jetzt besser mit Ware versorgt werden. Die Regierung hat es uns doch versprochen. Wir haben zur Wahl für die Regierung gestimmt, nun muss die Regierung auch für uns sein.«

Zu dem gleichen Problem äußerte ein Mitglied der NDPD aus Halle: »Vom neuen Kurs der Regierung ist nicht viel übrig geblieben,27 die Belieferung des Einzelhandels mit allen Warensorten wird von den staatlichen Stellen sabotiert.«

Die Bevölkerung im Bezirk Erfurt spricht viel über die mangelhafte Belieferung mit Brennmaterial, ähnlich ist es in einigen Kreisen des Bezirkes Magdeburg wegen der mangelhaften Belieferung mit HO-Fleisch.

Die Bevölkerung des Ortsteiles Johannisthal des Bezirkes Treptow, Berlin, beklagt sich darüber, dass seit der letzten Preissenkung Fettigkeiten in ungenügendem Maße zum Verkauf gelangen.

In Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, gelangen neuerdings in HO- und Konsum-Fischkonserven zum Preis von 3,15 DM zum Verkauf, die noch vor Kurzem mit 1,50 DM verkauft wurden. Darüber herrscht Verärgerung unter der Bevölkerung.

Von der Bevölkerung im Demokratischen Sektor wird mitgeteilt, dass die Kontrolle des AZKW in den frühen Morgenstunden nicht durchgeführt wird. Sie setzt erst gegen 6.30 bis 7.00 Uhr ein. Die Zeit vorher wird dazu benutzt, Lebensmittel aller Art aus der DDR und dem DS nach Westberlin zu verschieben. Einer dieser Empfänger soll der Kaufmann [Name], Wilmersdorf, Rüdesheimer Platz sein.28

Am 24.10.1954 fand in Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, das Fußball-Oberligaspiel zwischen Empor Lauter und Rotation Babelsberg statt. Schon während des Vorspiels wurde bekannt, dass die Mannschaft von Empor Lauter zum letzten Mal dort spielt und dann nach Rostock versetzt wird.29 Während des Spieles äußerten viele Gruppen der Zuschauer ihren Unwillen über die Zustände im demokratischen Sport, da angeblich die Mannschaft bei einem Gehalt bis 700 DM pro Spieler gekauft wurde. Beim Erscheinen der genannten Mannschaft auf dem Spielfeld wurde diese von den Zuschauern mit Pfui-Rufen empfangen. Es sollte der Lautsprecherwagen gestürmt werden, um eine Protestresolution zur Verlesung zu bringen. Um dies zu verhindern, wurde der Wagen durch VP-Angehörige gesichert. Der Bürgermeister von Lauter wurde von vielen Zuschauern des Wahlbetruges bezichtigt, da er sich bei seiner Rechenschaftslegung vor der Volkswahl30 für den Verbleib der Mannschaft in Lauter einzusetzen versprach, was jedoch nicht gehalten wurde (VP-Meldung).

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:31 Karl-Marx-Stadt 33, Luckau, [Bezirk] Cottbus, 5 000.

KgU:32 Karl-Marx-Stadt 5 000, Potsdam 10 000 (alter Fund).

NTS:33 Karl-Marx-Stadt 162, Apolda, [Bezirk] Erfurt 200, Gera 730, Leipzig 260, Cottbus 100.

In tschechischer Sprache: Karl-Marx-Stadt 41.

Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen mittels Ballons eingeschleust, sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Antidemokratische Tätigkeit: In Zittau, [Bezirk] Dresden, wurden drei Hetzlosungen gegen die Genossen Pieck,34 Grotewohl35 und Ulbricht36 angebracht.

An der Innenseite der Tür eines leeren Waggons der VEAB Großenhain, [Bezirk] Dresden, wurde folgende Hetze geschrieben: »Ein Volk – ein Reich – drei Führer«.

In der Toilette der Fakturiermaschinenabteilung des VEB Rheinmetall Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, wurde folgende Hetzlosung angeschmiert: »99,4 Prozent gegen die SED, das ist die Wahrheit«.

In den Bezirken Halle, Frankfurt und Potsdam wurden gefälschte Schreiben mit dem Absender des Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport versandt, welche Hetze gegen die demokratische Sportbewegung und vor allem gegen die SV Dynamo enthalten.37

An einem abgestellten Pflug der MTS Plessa, [Bezirk] Cottbus, wurde ein Sprengkörper angebracht, welcher explodierte. Größerer Schaden entstand nicht.

Einschätzung der Situation

Die Gespräche über politische Fragen sind allgemein zurückgegangen. Zur Wahl wird in den Bezirken nur noch vereinzelt Stellung genommen.

Über die neue Note der SU wird jetzt besonders in den Betrieben etwas stärker diskutiert, überwiegend sind die Meinungen positiv, teilweise zweifelt man am Erfolg.

In einigen Kreisen und Bezirken macht sich wieder mehr Unzufriedenheit über Mängel in der Versorgung bemerkbar.

Die offene Feindtätigkeit hat weiter nachgelassen.

  1. Zum nächsten Dokument Zur Beurteilung der Situation in der DDR

    29. Oktober 1954
    Informationsdienst Nr. 2353 zur Beurteilung der Situation in der DDR

  2. Zum vorherigen Dokument Zur Beurteilung der Situation in der DDR

    27. Oktober 1954
    Informationsdienst Nr. 2351 zur Beurteilung der Situation in der DDR