Zur Beurteilung der Situation in der DDR
29. Oktober 1954
Informationsdienst Nr. 2353 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Über politische Tagesfragen wird nur im geringen Umfang gesprochen. Im Vordergrund steht dabei die Note der Sowjetunion.1 Vereinzelt wird noch gegen die Wahlhandlung während der Volkswahl diskutiert.2
Zur Note der Sowjetregierung an die Westmächte äußert sich ein größerer Teil als am Vortag, besonders aus den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Gera. Der Umfang ist jedoch noch weiterhin gering. Eine Ursache hierfür sind die Versammlungen, die in mehreren Betrieben über die Note durchgeführt wurden. Diskutiert wurde jedoch meist nur in oder kurz nach den Versammlungen, während sonst nur wenig gesprochen wird.
Überwiegend wird die Note begrüßt, da sie die Verhandlungsbereitschaft sowie den Friedenswillen der SU beweist. Insbesondere stimmt man dem Vorschlag zu, eine Viermächtekonferenz einzuberufen und hofft auf eine baldige Vereinigung Deutschlands. So sagte z. B. ein Kollege aus der Filmfabrik Wolfen, [Bezirk] Halle: »Nun hat doch die SU klar bewiesen, dass sie den Weg der Verhandlungen geht. Aber man sieht doch auch, wie sich die Westmächte dagegen sträuben.«
Im Kraftwerk des EK Bitterfeld wurde lebhaft über die Note diskutiert. Ein Kollege sagte: »Jeder Mensch, welcher ein ehrliches Urteil abgeben will, muss sagen, dass es immer wieder die SU ist, die sich für die Wiedervereinigung und den Frieden einsetzt. Wir sind dem sowjetischen Außenminister dafür zutiefst zu Dank verpflichtet.«
In den Chemischen Werken Buna wurde von einigen Arbeiter aus dem Bau B 89 erklärt, dass die Konferenz der vier Großmächte zustande kommen möge, sodass man endlich ein einheitliches Deutschland bekommt.
Eine Kollegin aus dem VEB IKA Zehdenick, [Bezirk] Potsdam, die bisher politischen Fragen und unserer Entwicklung ablehnend gegenüberstand, sagte: »Wir haben im letzten Weltkrieg genug durchgemacht. Wenn die Großmächte eine Konferenz über Deutschland durchführen würden, wäre dies nur zu begrüßen, dann würde Adenauer3 nicht mehr dazu kommen, das geplante Wehrpflichtgesetz4 durchzupeitschen und die Jugend in einen neuen Krieg zu stürzen.«
Ein Teil zweifelt an einem Erfolg der Note, da die Westmächte gegen die Vorschläge sein werden. So äußerte z. B. ein Angestellter (NDPD) aus Stadtroda, [Bezirk] Gera: »Ich glaube, die Konferenz wird nicht stattfinden, da die Westmächte die Teilung Deutschlands beibehalten wollen, sonst würde ihnen ja ein gutes Geschäft verloren gehen.«
Ein Kraftfahrer aus dem VEB Torpedo, Kreis Bernau, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Schon wieder eine Note? Na, ich sehe ja ein, dass man etwas Gutes damit will, aber geschehen ist doch noch nichts in dieser Hinsicht.«
Einzelne bringen eine feindliche Einstellung zum Ausdruck und hetzen gegen die Sowjetunion. Ein parteiloser Angestellter aus der Abteilung Arbeit des VEB Grubenlampenwerk Zwickau: »Die Sowjetunion sollte doch den Anfang machen beim Abzug der Besatzungstruppen und mit gutem Beispiel vorangehen, dann wäre schon alles in Ordnung.«
Ein Kollege aus dem »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg: »Immer, wenn die Westmächte einen Plan unterzeichnet haben, kommt die SU mit solchen Dingen raus.5 Zum Beispiel hat sie damals eine gesamtdeutsche Wahl abgelehnt, die unter internationaler Kontrolle durchgeführt werden sollte.6 Nach der neuen Note ist sie nun damit einverstanden. Auch der Abzug der Besatzungstruppen sollte von ihr als Freundschaftsbeweis und als Vorbild durchgeführt werden.«
Ein Feuerwehrmann aus dem Wismut-Schacht 206 in Annaberg:7 »Von westlicher Seite aus wird man auf die Rückgabe aller ehemaligen deutschen Ostgebiete bestehen. Meiner Ansicht nach kann man das vom Westen aus nur mit den Waffen regeln.«
In einigen Betrieben kam es zu Missstimmungen wegen verschiedener betrieblicher Fragen. In der Abteilung Dampflokomotivbau des LEW Hennigsdorf, [Bezirk] Potsdam, besteht eine schlechte Stimmung, weil die Dampflokomotivfertigung zur »LOWA« nach Potsdam-Babelsberg verlagert werden soll. Die Arbeiter hatten vor Bekanntwerden der Verlagerung auf eine serienmäßige Herstellung der Lokomotiven und damit auf einen Mehrverdienst vor Weihnachten gehofft. Sie nehmen jetzt an keiner gesellschaftspolitischen Arbeit mehr teil.
Die Bergarbeiter des »Thomas-Müntzer«-Schachtes,8 [Bezirk] Halle, sind darüber missgestimmt, dass sie trotz größter Anstrengungen ihre Norm nicht mit 100 Prozent erfüllen. Ursache hierfür sind Mangel an Drehbohrern und Ersatzteilen für Bohrmaschinen, schlechte Pressluftverhältnisse, zu lange Fahrten und Anderes.
Unter den Kraftfahrern des VEB Kraftverkehrs in Haldensleben, [Bezirk] Magdeburg, herrscht Unzufriedenheit über den schlechten Zustand der Straße von Bülstringen, wodurch es zu häufigen Federbrüchen kommt. Außerdem bemängeln sie, dass der Fahrzeugpark überaltert ist, wodurch sie mehr reparieren müssen als fahren.
In der Volkswerft Stralsund ist eine Maschine im Kraftwerk ausgefallen, wodurch hauptsächlich bei den Schweißern Strommangel besteht. Dadurch ist ihre Produktion gehemmt, was sich auf den Verdienst auswirkt.
Zu heftigen Diskussionen kam es in einer Belegschaftsversammlung des VEB Nähmaschinenwerk Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, wegen der Zusammenlegung mit dem Schlosswerk »TEWA« – Wittenberge. Da die Versammlung zu keinem Ergebnis führte, wandten sich die Kollegen an den Präsidenten.
Unter Wirtschaftsfunktionären im VEB Transformatorenwerk »Karl Liebknecht« Berlin besteht eine Unruhe, da einige von ihnen abgelöst werden sollen bzw. bereits abgelöst wurden. Als Begründung wurde mangelhafte Durchführung der Arbeiten angegeben. Unter diesem Kollegenkreis wird jetzt diskutiert, dass mit größter Wahrscheinlichkeit der Plan 1954 nicht erfüllt wird und die Betriebsleitung die Schuld für die Nichterfüllung schon jetzt auf untergeordnete Wirtschaftsfunktionäre abwälzen will.
Materialmangel besteht in einigen Betrieben, wodurch es zu Stockungen in der Produktion kommt. Im VEB Wärmegerätewerk Dresden, Werk II – Königsbrück, fehlt es besonders an Nirostablechen,9 wodurch eine Stockung in der Produktion von Gemüsedämpferschränken eingetreten ist.
Bei verschiedenen Bauvorhaben des Reichsbahndirektionsbezirkes Cottbus fehlt es an Dachpappe, Glas und Dachsteinen.10
Im VEB Radiomechanik Neustadt-Kleve,11 [Bezirk] Schwerin, mangelt es an Netztrafos, wodurch der Plan nicht erfüllt werden kann.12
An Arbeitskräften fehlt es in der Zuckerfabrik Friedland, [Kreis] Neubrandenburg, und in der Zuckerfabrik Prenzlau, wodurch es zu Produktionsstockungen kommt. In der Peene-Werft Wolgast fehlen immer noch Produktionsgrundarbeiter.
Waggonmangel besteht weiterhin in einigen Betrieben des Bezirkes Schwerin, wodurch die Produktions- und Lieferpläne in Verzug geraten. So z. B. im VEB BKW »Malliß«, [Kreis] Ludwigslust, wo zzt. 455 Tonnen Braunkohle im Betriebsgelände lagern.
Produktionsstörungen: Im Braunkohlenwerk Profen, Kreis Zeitz, [Bezirk] Halle, stießen durch Unachtsamkeit einer Weichenstellerin zwei E-Loks zusammen. Die beiden Loks wurden schwer beschädigt und an zwei Waggons entstanden Brüche.
Im Kraftwerk Theißen, Kreis Zeitz, [Bezirk] Halle, musste ein Kessel wegen Überhitzeschaden außer Betrieb genommen werden.
Bei der Reichsbahn im Bezirk Cottbus wurden in letzter Zeit verschiedene Wagenbrände festgestellt, die auf Selbstentzündung zurückzuführen sind.
Handel und Versorgung
Die Mängel in der Versorgung machen sich wie folgt bemerkbar.
In den Kreisen Dessau und Roßlau, [Bezirk] Halle, und im Kreis Neuhaus, [Bezirk] Suhl, fehlt es an Kohlen.
Im Bezirk Karl-Marx-Stadt ist die Belieferung mit Winterbekleidung sehr schlecht. Dort wurden z. B. sechs Damenwintermäntel für 30 Verkaufsstellen geliefert. Die Lieferfirmen begründen es mit Rohstoffmangel. Die Genossenschaft des Weberhandwerks in Glauchau erklärte hierzu, dass aufgrund dieses Mangels die Buntwebstühle nur zu 40 Prozent in Betrieb sind.
In den ländlichen Kreisen des Bezirkes Schwerin fehlt es an Kinderoberbekleidung. In Arnstadt, [Bezirk] Erfurt, fehlt Wäsche. Im Kreis Güstrow besteht nach wie vor ein Engpass an Kindernährmitteln.
Im Bezirk Karl-Marx-Stadt, in verschiedenen Kreisen des Bezirks Halle fehlt es an Eiern, worüber besonders die Hausfrauen negativ diskutieren. Desgleichen besteht im Bezirk Karl-Marx-Stadt ein Engpass an Hartwurst auf Marken und HO-Speck.
In den Mühlenwerken Weißenfels, [Bezirk] Halle, beträgt der Ausfall von Gerstennährmitteln 100 Tonnen. Durch den Ausfall dieser Produktion fehlt auch die gleiche Menge Futtermittel für die Versorgung der Landwirtschaft. Der Grund für diesen Mangel liegt darin, dass die Kreise Gräfenhainichen und Hettstedt ihre angekündigten Lieferungen nicht eingehalten und die versprochenen Importe an Gerste nur zum Teil geliefert wurden. Dadurch ist aber nicht nur die Versorgung der Bevölkerung mit Gerstennährmitteln sowie die Versorgung der Landwirtschaft mit Futtermitteln infrage gestellt, sondern auch der Betriebsplan der Mühlenwerke.
Bei der Konsumproduktionsstätte in Angermünde, [Bezirk] Frankfurt, zeigen erhebliche Mengen Schweinefleisch Verwesungserscheinungen. Circa 400 kg Schweinefleisch sind vollkommen unverwendbar geworden und weitere 30 Ztr. mussten beschlagnahmt werden.
Landwirtschaft
Nach wie vor wird nur wenig über politische Tagesfragen diskutiert. Der Umfang der Stellungnahmen zur neuen Sowjetnote ist verhältnismäßig gering. Die Meinungen hierzu sind größtenteils positiv und stammen hauptsächlich aus dem sozialistischen Sektor. In den positiven Meinungen werden besonders die Friedensliebe der SU und ihr ständiger Einsatz für die friedliche Lösung der Deutschlandfrage hervorgehoben. So sagt z. B. ein Traktorist der MTS Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es ist erfreulich, dass sich die SU immer wieder für die Wiedervereinigung Deutschlands einsetzt und den Abzug der Besatzungstruppen noch vor der Konferenz verlangt. Es beweist uns doch immer wieder, dass die UdSSR wirklich die Interessen des Friedens in der Welt vertritt.«
Oftmals werden Zweifel am Zustandekommen und Gelingen der vorgeschlagenen Konferenz geäußert. Ein Brigadier der MTS Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich glaube nicht, dass die Konferenz zustande kommt, denn die Westmächte und Adenauer haben ja gar kein Interesse daran. Sie wollen doch aus Westdeutschland ein neues Rüstungszentrum machen und Westdeutschland als Absprungbasis für einen neuen Krieg benutzen.«
Ein Wächter der MTS Zossen, [Bezirk] Potsdam: »Die SU hat schon mehrere Noten an die Westmächte gerichtet, die immer abgelehnt wurden. Ich befürchte, dass es auch diesmal der Fall sein wird.«
Ausgesprochen feindliche Meinungen wurden nur vereinzelt bekannt. Ein Großbauer aus Wiesenau, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Die Russen kriegen es wohl mit der Angst zu tun, dass der Amerikaner zu stark werden könnte, weil er heute im Westen eine Wehrmacht aufstellt, um diese gegen die Russen einzusetzen.«
Die weiblichen Lehrlinge des VEG Kahlenhausen,13 Kreis Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, diskutierten, dass bei Annahme der sowjetischen Vorschläge auch endlich die Russen abziehen würden und sie dann abends ungehindert auf die Straße gehen können.
Vorwiegend befasst sich die Landbevölkerung mit der Hackfruchternte, der Winteraussaat und den damit verbundenen Schwierigkeiten. Über die MTS Werder, [Bezirk] Neubrandenburg, und Falkensee, [Kreis] Prenzlau,14 kommen Klagen, weil diese MTS mit der Rübenrodung noch nicht begonnen haben.
Im Stützpunkt Gützkow, MTS Altentreptow, führen die Traktoristen nur die Arbeiten, die ihnen zusagen, aus und richten sich nur wenig nach den Anweisungen des Brigadiers. Sie ziehen es vor, bei Einzelbauern zu arbeiten, obwohl die LPG Gützkow mit der Herbstbestellung weit im Rückstand ist.
Der Leiter der MTS Kemberg, [Bezirk] Halle, beschwert sich, dass an seinen Maschinen nicht der notwendige Ölwechsel vorgenommen werden kann, da er seit sechs Wochen kein Getriebeöl erhalten hat.
Die Bauern aus den umliegenden Dörfern der VEAB Miltzow, [Kreis] Grimmen, [Bezirk] Rostock, sollten ihre Kartoffeln verladen und als sie auf dem Bahnhof ankamen, waren keine Waggons da, sodass sie ihre Kartoffeln nicht los wurden und unverrichteter Dinge wieder zurückfahren mussten. Derartige Missstände erregen oft den Ärger der Bauern und wirken sich negativ auf ihre Stimmung aus.
Im Kreisgebiet Worbis, [Bezirk] Erfurt, sind die Bauern darüber verärgert, dass sie erst Saatkartoffeln erhalten, wenn sie 50 Prozent ihres Ablieferungssolls an Kartoffeln erfüllt haben. Dies ist aber nicht möglich, weil die VEAB in Worbis die Kartoffeln zzt. nicht abnimmt, da Transportraum (Waggons) fehlen. Die dort vorhandenen 70 Tonnen Saatkartoffeln lagern im Freien und bei eintretenden Nachtfrösten ist damit zu rechnen, dass sie Schaden erleiden.
In Berlin ist die Versorgung mit Raufutter (Heu, Stroh) sehr mangelhaft. Sie wirkt sich auf die zahlreichen Viehbestände nachteilig aus. Eine dieser Ursachen dafür ist die Einschränkung des Transportraumes für Raufutter. Für eine ausreichende Versorgung werden im November 100 Waggons zum Transport des Raufutters benötigt.
Übrige Bevölkerung
Über die neue Note der SU an die Westmächte wird unter der übrigen Bevölkerung noch immer verhältnismäßig wenig, jedoch überwiegend positiv gesprochen. In den Stellungnahmen wird die Note begrüßt und es wird erklärt, dass die Initiative immer wieder von der Sowjetunion ausgeht, und dass man daran erkennt, wer der wirkliche Freund des deutschen Volkes ist. Zum Beispiel sagte eine Hausfrau aus Geithain, [Bezirk] Leipzig: »Ich freue mich, immer wieder zu hören, dass es gerade die SU ist, von deren Seite die Verständigungsvorschläge kommen.«
Eine Hausfrau aus Colditz, [Bezirk] Leipzig: »Es ist doch immer die SU, die bereit ist, zu verhandeln und sich wirklich für den Frieden einsetzt. Soll doch der Westen auch einmal seine Verhandlungsbereitschaft zeigen, damit wir einen Friedensvertrag bekommen. Wir sind der Meinung, wenn erst alle Besatzungstruppen abgezogen sind, dass es dann bei uns noch schneller vorwärts geht«.
Ein Geschäftsmann aus Herrnburg, [Bezirk] Rostock: »Die SU konnte sich in ihrer Note nicht klarer und eindeutiger ausdrücken. Ich finde, die Beschränkung der deutschen Armee ist richtig. Ich selbst möchte nie wieder einen Soldatenrock anziehen und ich hoffe, dass bald die Einheit Deutschlands zustande kommt«.
Ein Einwohner (CDU) aus Thyrow, [Bezirk] Potsdam: »Die Berliner15 und auch die Genfer Konferenzen16 haben gezeigt, dass Verhandlungen am grünen Tisch möglich sind. Wenn die früheren Verhandlungen gescheitert sind, so lag das nur an den USA. Sie sind aber jetzt so in die Enge getrieben, dass sie gewisse Zugeständnisse machen müssen. Wenn sie die Note der SU ablehnen, würden sie wieder mehr Anhänger verlieren.«
Einige zweifeln daran, dass die Westmächte auf die Vorschläge der SU eingehen, da sie andere Pläne mit Westdeutschland verfolgen und ihnen deshalb an dem Zustandekommen eines demokratischen Deutschlands nichts gelegen ist. Ein Geschäftsmann aus Geithain, [Bezirk] Leipzig: »Es ist ganz gut und schön, dass die SU wieder eine Note zur Herstellung der Einheit Deutschlands an die Westmächte gerichtet hat. Ich denke nur, dass die Amerikaner nicht darauf eingehen werden. Der Franzose und Engländer würden sie vielleicht annehmen, wenn sie nicht unter der Obhut der Amerikaner stünden. Ich habe aber das Gefühl, dass der Ami an der letzten Strippe hängt.«
Ein Kraftfahrer aus Güstrow, [Bezirk] Schwerin: »Die Spannungen werden immer größer. Wenn auch die Konferenz der vier Großmächte vielleicht zustande käme, so wird trotzdem diese Konferenz ergebnislos verlaufen. Die westlichen Länder werden von ihren Plänen, die sie in London und Paris gefasst haben, nicht abgehen.«
Ganz vereinzelt werden noch Diskussionen über die Volkswahlen geführt, in denen zum Ausdruck gebracht wird, dass die Wahldurchführung nicht richtig war und dass darüber viele verärgert sind. Zum Beispiel sagte der Gemeindebote aus Neunhofen, [Bezirk] Gera: »Ich bin als Gemeindebote in den meisten Häusern herumgekommen. In den meisten Fällen war man verärgert über die Methode der Durchführung der Wahl. Ich bin der Meinung, dass nicht wesentlich mehr Nein- oder ungültige Stimmen herausgekommen wären, wenn die Wähler hätten mit Ja oder Nein abstimmen können. Aber dann hätte niemand etwas sagen können.«
Anlässlich des Monats für Deutsch-Sowjetische Freundschaft17 werden Werbungen für diese Organisation durchgeführt. Zum Beispiel wurden aus diesem Grunde in der DHZ Textil Wittstock, [Bezirk] Potsdam, einige Kolleginnen angesprochen. Unter anderem auch eine Abteilungsleiterin, die sich wie folgt äußerte, wenn sie noch in die Deutsch-Sowjetische Freundschaft eintritt, könnte sie nur noch für die Beiträge arbeiten. Sie wäre in der FDJ und das würde genügen. Eine andere Kollegin sagte: »Wie soll ich mit jemanden Freundschaft halten, wenn ich mich vor diesem fürchte?« Auch die anderen Kolleginnen lehnten den Eintritt ab, ohne jedoch dafür Begründungen zu geben.
Immer wieder äußern Handwerker sowie Geschäftsleute ihre Unzufriedenheit darüber, dass sie zu wenig unterstützt werden und gegenüber dem staatlichen und genossenschaftlichen Handel im Nachteil sind. Zum Beispiel sagte ein selbstständiger Bootsbauer (SED) aus Kühlungsborn, [Bezirk] Rostock, dass man sich nur vor besonderen Ereignissen wie jetzt zur Wahl um die Handwerker und überhaupt um die Privatleute kümmere, ihnen sonst aber keine Beachtung schenke. Sie bekämen kein Material für die Instandsetzungen ihrer Wohnungen.
Auf einer Arbeitstagung der Industrie- und Handelskammer Borna, [Bezirk] Leipzig, äußerte ein Lebensmittelgroßhändler aus Groitzsch: »Bei uns wird immer betont, dass der Einzelhandel in Westdeutschland abgewürgt wird, aber wir werden hier von der HO liquidiert. Wir erhalten das, was die HO nicht braucht. Der 17.6.[1953] hat uns geholfen. Nachdem floss z. B. das Benzin für uns wie aus Hähnen und die HO hat uns um Verträge gebeten. Heute ist das alles wieder vorbei. Die hier auf der Tagung angeführten Umsatzerhöhungen des privaten Einzelhandels kommen natürlich durch die HO-Waren, bringen aber keinen Gewinn.«
Im »Neuen Deutschland« vom 23.10.1954 sowie in der »Volksstimme«, Ausgabe Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erschienen Artikel darüber, dass im genannten Kreis die Einkellerungsaktion für Kartoffeln abgeschlossen wäre.18 Da diese Meldung nicht den Tatsachen entspricht, wurden darüber zahlreiche Diskussionen geführt. Es wurde zum Ausdruck gebracht, dass es nicht richtig ist, wenn unsere Presse über Dinge berichtet, die nicht der Wahrheit entsprechen, weil dadurch das Vertrauen der Bevölkerung zu unserer Presse untergraben wird.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:19 Magdeburg: Kreis Seehausen 300, Frankfurt 1 000. Bei den letzteren Flugblättern handelt es sich um eine neue Ausgabe mit der Überschrift »Ulbrichts20 Wahlbetrug gescheitert«, die gegen das Ergebnis der Volkswahlen gerichtet ist.
KgU:21 Dresden 15.
NTS:22 Dresden 105, Halle 160, Frankfurt 400, Cottbus 21, Gera: Eisenberg 10 000, Greiz und Stadtroda mehrere Hundert, Erfurt: Arnstadt 350, Sömmerda 50.
In tschechischer Sprache: Karl-Marx-Stadt 1 038.
»Der Tag«:23 Cottbus: Calau 1 500.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen mittels Ballons eingeschleust und sichergestellt.
Antidemokratische Tätigkeit: In Groß Biesnitz, [Stadt] Görlitz, [Bezirk] Dresden, wurden an einem Schaukasten der Nationalen Front24 zwei handgeschriebene Zettel mit Hetze gegen die Volkswahlen befestigt.
In Kröpelin, [Kreis] Doberan, [Bezirk] Rostock, wurde in die Häuser von zwei Funktionären Hetzzettel mit folgendem Text gelegt: »Heil Hitler – Tot den Roten« und »Verschwinde aus Kröpelin, – Sieh dich vor – Tot den Kommunisten«.
In der Nacht vom 27. zum 28.10.1954 wurde in der Gemeinde Daßlitz, [Kreis] Greiz, [Bezirk] Gera, der Anschlagkasten der Gemeinde aufgerissen, sämtliche Anschläge wurden entfernt und in den Kasten mit weißer Kreide »Sieg-Heil-Hitler« geschrieben.
Diversion: Am 25.10.1954 wurden in der Spät- bzw. Nachtschicht auf dem achten Flussfahrgastschiff auf der Warnow-Werft Warnemünde, [Stadt] Rostock, drei ausgelegte Kabel abgeschlagen, Schaden noch nicht bekannt.
Berichtigung: Die am 26.10.1954 gemeldete Feindtätigkeit in der MTS Nedlitz, [Bezirk] Potsdam, erwies sich als eine Desinformation der Volkspolizei.25