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Zur Beurteilung der Situation in der DDR

11. Oktober 1954
Informationsdienst Nr. 2336 zur Beurteilung der Situation in der DDR

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Vordergrund der Diskussionen über politische Tagesfragen stehen weiter die Volkswahlen.1 Im Wismutgebiet2 treten diese Gespräche etwas in den Hintergrund. Hier wird zzt. besonders über den Besuch des Genossen Molotow3 gesprochen.4

Obwohl der Umfang der Diskussionen über die Volkswahl gewachsen ist, verhält sich ein Teil der Werktätigen weiterhin interesselos. So wird z. B. im Bezirk Karl-Marx-Stadt mehrfach unter Werktätigen über die Einsichtnahme in die Wählerlisten die Meinung vertreten, dass dies so kurze Zeit nach der Volksbefragung nicht nötig sei.5 Auch die Ansicht, dass zu viel Wahlagitation getrieben wird, ist oft ein Ausdruck von Interesselosigkeit, wie z. B. im VEB Volltuchwerk in Pößneck, [Bezirk] Gera, wo mehrere Kollegen solche Stellung einnehmen.

Im Bezirk Frankfurt/Oder wird berichtet, dass einige Betriebe wenig diskutieren, aufgrund mangelhafter Vorbereitungsarbeit durch die BPO. So haben z. B. im Kraftwerk Finow, [Bezirk] Frankfurt/Oder, noch keine besonderen Vorbereitungsarbeiten stattgefunden. Von den jugendlichen Arbeitern bzw. Lehrlingen im Bezirk äußerte sich nur ein kleiner Teil.

Überwiegend äußern sich die Werktätigen positiv zu den Wahlen und stimmen den Kandidaten der Nationalen Front zu.6 Die Begründung, dass diese Kandidaten für den Frieden eintreten ist dabei verbreitet. Auch die Verpflichtungsbewegung hinsichtlich der Produktion sowie die Kandidaten zu wählen, hält in größerem Umfang an. Dagegen sind negative Äußerungen oft Einzelerscheinungen und umfangmäßig gering. Vorherrschend ist hier weiterhin die Stimmung gegen die einheitliche Kandidatenliste. Ein parteiloser Wirker aus Karl-Marx-Stadt sagte: »Die Wahlen in der Weimarer Zeit waren ganz anders. Jede Partei hatte ihren Stimmzettel und diese konnte man im Wahllokal entgegennehmen und bekam noch einen Umschlag dazu. Das war eine freie demokratische Wahl, aber heute ist die Wahl schon fertig, wir brauchen eigentlich gar nicht zu gehen, das Beste ist, man macht über den Wahlschein quer durch ein großes Kreuz, damit sie wenigstens wissen, [dass]7 Gegner noch vorhanden sind.«

Ein Kollege aus dem »Karl-Marx«-Werk in Babelsberg, [Stadt] Potsdam,8 Mitglied der CDU und Anhänger der »Jungen Gemeinde«, [sagte:]9 »Die Wahl mit der Einheitsliste ist meiner Meinung nach Verfassungsbruch.«10

Ein Reparaturschlosser aus Karl-Marx-Stadt, Mitglied der […]:11 »Ob wir zur Wahl gehen oder nicht, ändert sowieso nicht [das] Ergebnis. Anders wird es auf keinen Fall.«

Bei einer Belegschaftsversammlung der Bau-Union Bauhof Jena, an der 80 Kollegen teilnehmen, verherrlichten drei Angestellte die Lebenslage in Westdeutschland und hetzten gegen die [DDR. …]12 anderer Kollegen unterstützte diese Ausführungen und sagte[: »Es] ist gut, dass einmal ganz offen gesprochen wurde und es [ist] kein Wunder, wenn 99 Prozent als Wahlergebnis herauskommen [bei] dieser gemeinsamen Wahlliste. Wenn man die einzelnen Parteien wählen könnte, dann sähe man wenigstens, was die Leute wollen. Ich sage das ganz offen und wenn sie mich gleich abholen.«

Vom Bezirk Frankfurt/Oder wird berichtet, dass in Gesprächen über [die]13 Londoner Neunmächtekonferenz14 man sich teilweise gegen die [Wiederauf]rüstung Westdeutschlands wendet, stärker jedoch die Annahme [vertreten] ist, besonders unter Jugendlichen, dass jetzt die Wehrpflicht der DDR eingeführt wird. Stark verbreitet sind solche Meinungen im Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin« und im VEB Kranbau Eberswalde.

Eine Verärgerung besteht unter einem Teil der Arbeiter der Großbetriebe des Bezirkes Rostock, besonders der Werften, weil dort fast überall Materialschwierigkeiten bestehen, wodurch Facharbeiter für Nebenarbeiten eingesetzt werden.

Auf einer Belegschaftsversammlung des Bahnhofs Rottenbach, [Bezirk] Gera, wurde vom BGL-Vorsitzenden bei Ausführungen über die Entlohnung geäußert, dass es in der Nähe von Frankfurt/Oder einen Streckenabschnitt gebe, wo Eisenbahner wegen der geringen Bezahlung die Dienststellen verließen und kündigten. Das Ministerium habe daraufhin höhere Löhne gezahlt. Wörtlich äußerte er dann: »Warum ändert sich bei uns nichts? Soll denn hier auch so etwas geschehen?« Die anwesenden 24 Kollegen stimmten diesen Ausführungen zu.

Unter den Kollegen des Bahnhofes Vacha, [Kreis] Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, herrscht eine schlechte Stimmung über einige betriebliche Mängel. Zum Beispiel müssen sich die Arbeiter im Essraum umkleiden, es sind nur wenige Werkzeuge vorhanden in sehr schlechtem Zustand und Anderes. Diese Verhältnisse wirken sich sehr negativ auf die Stimmung aus.

Im [Wismut-]Objekt 9, Schacht 66 in Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, hat die Auszeichnung der Aktivisten unter den Schießmeistern eine große Diskussion ausgelöst. Sie sind mit zwei Vorschlägen nicht einverstanden, da dies nicht die besten Arbeiter seien. Außerdem wurden drei Vorschläge von der GPL gemacht, wozu die Schießmeister den Standpunkt vertreten, dass die Vorschläge von »unten« kommen müssten, da sie die Arbeiter am besten kennen.

Im VEB Porzellanmanufaktur Meißen werden von der Belegschaft keine Vorschläge für Aktivisten und Bestarbeiter gemacht. Man vertritt den Standpunkt, dass das Geld hierfür und der Direktorenfonds gleichmäßig an alle Kollegen zur Verteilung kommen sollen.

Im Lagerraum der DSU Wittenberge lagern 145 Kisten mit Kinderfahrrädern, die als Exportwaren für Finnland bestimmt waren, jedoch nicht abgenommen werden. Es besteht die Gefahr, dass sie jetzt durch Verrosten unbrauchbar werden. Der DIA, Fachabteilung Maschinenexport, wurde mehrmals von der DSU Mitteilung gegeben.

Materialmangel: Im VEB Zwiebackfabrik Neukirch, [Bezirk] Dresden, ist Verpackungsmaterial nur noch bis zum 11.10.[1954] vorhanden. Um die Produktion aufrechtzuerhalten, werden dringend 1 bis 2 Tonnen benötigt.

Ebenfalls fehlt es im Süßwarenbetrieb »Spreewald« in Cottbus an Verpackungsmaterial, wodurch die vorfriste Erfüllung der Jahresproduktion infrage gestellt ist.

Im VEB Volltuchfabrik Kamenz, Werk III Bernbruch, wurde das Kohlenkontingent herabgesetzt. Die jetzige Menge reicht nicht mehr für die Stromerzeugung aus. Die Kohlen reichen nur noch bis zum 11.10.1954.

Handel und Versorgung

Schwierigkeiten in der Versorgung mit Kartoffeln haben der Bezirk Rostock und der Kreis Meiningen, [Bezirk] Suhl, worüber besonders die Hausfrauen im Kreis Meiningen heftig diskutieren.

Mängel in der Belieferung mit Kohlen zeigen sich in den Kreisen Eberswalde und Strausberg, [Bezirk] Frankfurt/Oder, und im Bezirk Rostock. Die Ursache im Bezirk Frankfurt liegt zum Teil am Mangel von Transportraum und zum Teil an der schlechten Lenkung durch die DHZ. Die Haushalte erhielten dort z. B. Industriekohle und das Kraftwerk Finow Hausbrand. Dadurch ist die volle Ausnutzung im Kraftwerk nicht gewährleistet. Circa 50 Prozent der Rückstände sind nicht ausgebrannt.

Verärgerung entstand in Schkopau,15 [Bezirk] Halle, weil dort am 6.10.[1954] kein Brot zur Verfügung stand. Ebenso in einigen Gemeinden des Kreises Suhl, wo verschiedene Konsumbäckereien wegen Krankheit und Urlaub geschlossen haben, sodass diese Gemeinden an manchen Tagen nur 7 bis 8 Brote um 17.00 oder 19.00 Uhr erhielten. Im Kreis Stadtroda, [Bezirk] Gera, beklagt sich die Bevölkerung über das schlechte Konsumbrot, was in der letzten Zeit schlechter geworden ist.

Durch Fehlleitungen im Handel traten im Bez[irk] Frankfurt in letzter Zeit Mängel in der Belieferung mit Lebensmitteln, Textilien und Industriewaren auf. Ähnliche Mängel sind auch im Bezirk Suhl, teilweise im Bezirk Halle und im Bezirk Erfurt, in der Belieferung mit Fleisch und Öl zu verzeichnen.

Landwirtschaft

Der Umfang und Inhalt der politischen Diskussionen ist unverändert geblieben und betrifft in der Hauptsache die Volkskammerwahl, zu der vorwiegend positiv Stellung genommen wird, was auch durch zahlreiche weitere Selbstverpflichtungen zum Ausdruck kommt.

Die negativen Stellungnahmen sind nur vereinzelt und werden hauptsächlich von Groß- und Mittelbauern vertreten. Im Allgemeinen sind sie jedoch mit ihren Äußerungen zurückhaltend und verhalten sich abwartend. In den meisten Fällen jedoch stellen sie die Forderung nach Listenwahlen, Sollermäßigung und freie Wirtschaft. Ein Großbauer aus Kraatz, [Kreis] Gransee, [Bezirk] Potsdam: »Wir können ja bei der Wahl doch nichts ändern und das sind auch keine demokratischen Wahlen. Der Staat soll die freien Spitzen16 fallenlassen und uns für unser Getreide pro Zentner 20,00 DM geben, dann können wir auch existieren. Warum bekommen wir nicht das Soll der LPG. Was sie in den letzten Jahren mit uns gemacht haben, dafür wird der Herrgott seine Strafe aussprechen.«

Ein Mittelbauer aus Dossow, [Kreis] Wittstock, [Bezirk] Potsdam: »Ich gehe nicht zur Volkswahl, denn man hat es mir dadurch versaut, dass man das Getreide bei mir mit Gewalt einholen will.«

Ein Großbauer aus Lehndorf, [Kreis] Kamenz, [Bezirk] Dresden, sagte: »Ich kann nicht zur Wahl gehen, denn Walter Ulbricht17 hat einmal gesagt, dass die Großbauern liquidiert werden und ich kann nicht mein eigenes Grab schaufeln.«

Teilweise sind die negativen Äußerungen auf Verärgerungen zurückzuführen. Eine Bäuerin aus der LPG Oberschöna, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wenn sich das mit den Wohnungsverhältnissen nicht ändert, gehe ich nicht zur Wahl?«

In einer Wählversammlung in Zoghaus, [Bezirk] Gera, sagte ein Mittelbauer: »Alle schönen Reden und Versprechungen nützen nichts. Wir wollen endlich Taten sehen. Bei den Verlusten und Schäden auf den Kartoffelfeldern durch Wildschweine soll ein Sachverständiger den Verlust feststellen und vom Soll abrechnen.«

Ein Mittelbauer aus Fodelsik,18 [Bezirk] Frankfurt: »Man ärgert mich jetzt damit, dass ich keinen Schein für freie Spitzen bekomme und erst mein Soll erfüllen soll. Ich werde die am 17.10.1954 aber damit ärgern, dass ich meine Stimme erst abends um 20.00 Uhr abgebe.«

Im VEG Kesselbrunn, [Bezirk] Erfurt, treten Schwierigkeiten bei der Auslastung der Betriebskapazität in der Schweinemast auf. Die Kapazität beträgt 3 000 Schweine und es sind nur 1 000 vorhanden. Es besteht auch keine Möglichkeit, die fehlenden 2 000 Tiere zu bekommen. Die Schweinemastbrigade ist darüber verärgert und sagt, dass Weihnachten kein Schwein mehr im Stall steht, wenn noch weitere abgeliefert werden müssen und kein Zugang erfolgt.

In der LPG Obermittelsebesbach,19 [Bezirk] Dresden, ist die Schweinepest ausgebrochen. 15 Tiere sind erkrankt, zwei verendet und drei mussten notgeschlachtet werden.

Übrige Bevölkerung

In der Stimmung der übrigen Bevölkerung hat sich keine wesentliche Änderung ergeben. Zu politischen Problemen wird nur gering Stellung genommen, dabei steht jedoch die Volkswahl im Vordergrund. Die Äußerungen dazu aus der übrigen Bevölkerung sind vorwiegend positiv. Die Bejahung der Volkswahl zeigt sich auch durch die zahlreichen Verpflichtungen, am 17.10.[1954] bereits in den Morgenstunden zur Wahl zu gehen und die Kandidaten der Nationalen Front zu wählen.

Negative Äußerungen treten nur vereinzelt auf. So sagte z. B. ein Angestellter des Rates des Kreises Rudolstadt, [Bezirk] Gera, in einem Referat u. a.: »Ich weiß, dass es zu viel ist, was ich sage; aber wenn ich heute nicht zu euch sprechen würde, werde ich morgen entlassen.«

Ein Friseur aus Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Das hier ist keine Demokratie und kein Wahlkampf, wenn man eine gemeinsame Wahlliste aufstellt«.

Ein Einwohner von Erfurt: »Ich kümmere mich nicht um Politik, und wenn mein Vater kein Geschäft hätte, ginge ich noch nicht mal zur Wahl.«

Mehrere negative Stimmen werden aus dem Demokratischen Sektor von Groß-Berlin bekannt: In einer Mieterversammlung der Häuser Chausseestraße 36/37 zeigten sich alle Anwesenden bis auf eine Ausnahme den Argumenten des Referenten gegenüber aggressiv. Unter anderem wurden dem Referenten folgende feindliche Argumente gegeben: »Unsere wirtschaftliche Lage würde sich sofort bessern, wenn man uns die Polen zugesprochenen Gebiete wieder zurückgibt. Polen kann ohnehin das Land nicht richtig bebauen. Was nutzt uns die Einheit Deutschlands, wenn wir die Gebiete nicht wieder zurückbekommen.« »Ja, drüben, da dürfen sie streiken, hier wird es mit Waffengewalt unterdrückt.« »Was hat es für [einen] Zweck, wenn wir für den Frieden stimmen, wir können doch nichts daran ändern. Die machen doch, was sie wollen.« Diese negativen Diskussionen wurden vorwiegend von einem jungen Mann gelenkt, der gar nicht zu den Hausgemeinschaften gehörte.

Weitere negative Diskussionen treten im Zusammenhang mit bestimmten Forderungen auf und es wird vereinzelt gedroht, sich nicht an der Wahl zu beteiligen, wenn die Forderungen nicht erfüllt werden. So hat z. B. die Verteilung von Bohnenkaffee an Arbeiter des VEB und Mitarbeiter der SED-Kreisleitung und des Kreisrates bei den Bewohnern der Gemeinde Prachenau, [Kreis] Görlitz, [Bezirk] Dresden, zu Unzufriedenheit geführt und es wird dazu u. a. erklärt: »Es sollen nur die Personen zur Wahl gehen, die den Bohnenkaffee erhalten haben.«

Eine Hausfrau aus Naundorf, [Kreis] Döbeln, [Bezirk] Leipzig, sagte: »Wenn ich von unserer Regierung keine Todeserklärung von meinem Mann erhalte, gehe ich nicht zur Wahl. Ich werde noch andere aufhetzen, denselben Schritt zu unternehmen.«

Im Bezirk Gera wurde von CDU-Mitgliedern die Arbeit als Aufklärer und von SED-Mitgliedern die Arbeit in den Wahlausschüssen abgelehnt. So erklärte z. B. der 2. Sekretär der CDU-Ortsgruppe Molbitz, [Bezirk] Gera: »Ich kann meine Mitglieder nicht so zur Aufklärung schicken, denn sie haben nicht so eine Schulung wie die SED.« Als die Bildung des Wahlvorstandes im Abstimmungsbezirk Molbitz diskutiert wurde und fünf Genossen der SED in Vorschlag gebracht wurden, lehnten drei Genossen die Mitarbeit ab. Ein Genosse sagte: »Ich habe dazu keine Zeit, sollen diejenigen sich hinsetzen, die mehr Geld verdienen als wir.«

Im Bezirk Potsdam zeigt sich ein sehr schlechter Besuch der Aufklärungslokale. In den Landgemeinden entschuldigt sich die Bevölkerung bei dem Nichtbesuch der Aufklärungslokale damit, dass sie mit den Erntearbeiten beschäftigt sei. So ist z. B. in der Gemeinde Groß Haßlow, Kreis Wittstock, ein Aufklärungslokal schon seit vier Wochen geöffnet und bisher ist noch kein einziger Bürger erschienen. In der Gemeinde Schweinrich im gleichen Kreis suchten bisher zwei Bürger das Aufklärungslokal auf.

Aus den Kreisen der Kirche mehren sich die Beispiele, dass Pfarrer in ihren Predigten versteckte Redewendungen gegen die Volkswahl und die DDR gebrauchen oder auch offen gegen die Wahl hetzen. Auch in persönlichen Gesprächen zeigt sich oft eine negative Einstellung der Geistlichen. So sagte z. B. ein Pfarrer aus Lugau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wenn ich das Märchen vom Paradies erzählen würde, lacht man darüber, wenn dies so ein politischer Scharlatan sagt, dann glauben das Millionen Menschen.«

Ein Pfarrer aus Plaußig, [Bezirk] Leipzig, erklärte von der Kanzel: »Gott ist allmächtig und stark, stärker als die Nationale Front.«

Ein Pfarrer aus Greifendorf, [Kreis] Hainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Zurzeit ist ein großes Elend zu verzeichnen, alle Menschen sind unzufrieden, die Schuld dafür hat aber nicht Gott, sondern die Dämonen, die über uns schweben, der Teufel ist unter uns.« Die nächsten Wochen bezeichnete er als besonders schwer für die Bevölkerung.

Ein Pfarrer aus Ferdinandshof, [Kreis] Anklam, [Bezirk] Neubrandenburg: »Für die Versammlungen der Hausgemeinschaften habe ich keine Zeit. Über die Regierung kann ich nichts sagen. Über den Frieden kann ich nicht sprechen, weil ich in dieser Hinsicht nicht geschult bin. Ich kann wohl über das 5. Gebot sprechen ›Du sollst nicht töten!‹, dies aber kann mit den Friedenskampf nicht verbunden werden.«

Am 4.10.1954 meldeten sich im VPKA Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, zwei evangelische Pfarrer für die Zeit um den 17.10.[1954] nach Westdeutschland ab. Als sie aufgefordert wurden, sich rechtzeitig ihren Stimmzettel zu beschaffen, erteilten sie keine Antwort.

In einer Studentenversammlung im neuen chemischen Institut Jena wurden die Studenten aufgefordert, sich bei der Kartoffelrodung zu beteiligen. Die Ausführungen wurden mit Johlen, Pfeifen und den Zwischenrufen »wir wollen studieren und nicht kartoffelroden« beantwortet.

Der Stand der Typhuserkrankungen im Bezirk Potsdam betrug am 8.10.[1954], 8.00 Uhr, 300 Krankheitsfälle. Die Erhöhung der Krankheitsfälle ist zu verzeichnen in Potsdam-Stadt mit zehn, Potsdam-Land mit elf, Zossen mit vier. Im Kreis Zossen sind jetzt 34 Krankheitsfälle, davon in Ludwigsfelde 24.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:20 Potsdam 26 000, davon im Kreis Jüterbog 10 000, Dresden 7 059, Kreis Dippoldiswalde 6 200, Leipzig 500, Kreis Hohenmölsen, [Bezirk] Halle, 108, Kreis Gräfenhainichen 30,21 Kreis Schleiz, [Bezirk] Gera, 30, Karl-Marx-Stadt 17.

KgU:22 Frankfurt/Oder 20 000, Potsdam 14 000, Dresden 10 030, Magdeburg einige.

FDP[-Ostbüro]: Potsdam 800.

CDU-Ostbüro: Neubrandenburg, Kreis Templin, 30 000 (gebündelt).

»Der Tag«:23 Kreis Löbau, [Bezirk] Dresden 300, Leipzig 300.

NTS:24 Frankfurt/Oder 5 000, Potsdam 2 208, Karl-Marx-Stadt 543, Dresden 41, Halle 15.

Die Mehrzahl der Flugblätter wurde mit Ballons eingeschleust und sichergestellt. Der Inhalt richtet sich meist gegen die Volkswahl.

Antidemokratische Tätigkeit: Zerstören bzw. Beschädigen von Plakaten, Transparenten oder Fahnen

Neubrandenburg: In der Nacht vom 5. zum 6.10.1954 in Ferdinandshorst, Kreis Prenzlau, ein Transparent, in der Nacht vom 6. zum 7.[10.1954] eine Fahne, am 7.10.[1954] in Damme, Kreis Prenzlau, zwei Anschlagtafeln und einige Plakate.

Potsdam: Am 8.10.[1954] in Zedenick, in Kleinmutz,25 [Kreis] Gransee, und vom Kreissekretariat der CDU in Neuruppin je eine Fahne, in Kliestow,26 [Kreis] Luckenwalde, einige Plakate, in Langerwisch,27 [Kreis] Potsdam, zehn und in Kleinmachnow ein Plakat.

Dresden: In Krumhermsdorf, [Kreis] Sebnitz, ein Plakat, im Federnwerk Zittau ein Plakat, in der SED-Kreisleitung Bischofswerda ein Bild (Gen[osse] Walter Ulbricht), in Weigsdorf-Köblitz,28 [Kreis] Löbau, einige Plakate.

Leipzig: In der Nacht vom 4. zum 5.[10.1954] in Leipzig-Gohlis einige Plakate, in Grimma am 8.10.[1954] zwei Fahnen, in Bad Lausick am 8.10.[1954] zwei Plakate, in Selben, [Kreis] Delitzsch, zwei Transparente.

Magdeburg: Am 8.10.[1954] in Biederitz, [Kreis] Burg, mehrere Plakate.

Karl-Marx-Stadt: In Annaberg ein Plakat.

Anschmieren von Hetzparolen

Suhl: In Bad Liebenstein zwei Klebezettel (gegen SED und Volkswahlen).

Dresden: In Frankenthal, [Kreis] Bischofswerda, eine gegen Volkswahl. Im Löschfahrzeug der Feuerwehr Bautzen. In Neugersdorf, [Kreis] Löbau, selbsthergestellte Flugzettel (gegen Volkswahl). In Fischbach in einem Versammlungsraum (gegen SU).

Im Wismutgebiet: In Hohengrün, [Kreis] Auerbach, mehrere faschistische Zeichen.

Im Bezirk Karl-Marx-Stadt werden im verstärkten Maße Wahlplakate abgerissen und häufiger gegnerische Wahllosungen angeschrieben.

Diversion: In einer Schrotmühle der LPG Demerthin,29 [Bezirk] Potsdam, wurde ein 200-Gramm-Gewicht aufgefunden, wodurch die Maschine außer Betrieb gesetzt wurde.

Eine Parteiversammlung störten am 4.10.[1954] in Colditz, [Bezirk] Leipzig, zwei Großbauern durch dauerndes Klopfen und Lärmen vor dem Versammlungsraum. Täter festgenommen.

Gefälschte Anrufe: Am 9.10.[1954] erhielt die Frau des Betriebsleiters der HO Lebensmittel Torgau, [Bezirk] Leipzig, einen Anruf (anonym), wonach ihr Mann wegen Spionage verhaftet worden sei. Dieser war zu gleichem Zeitpunkt als Referent in einer Versammlung der Nationalen Front.

Gerüchte: In Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, wird das Gerücht verbreitet, dass nach der Volkswahl die Wehrpflicht in der DDR eingeführt wird.

In Görlitz, [Bezirk] Dresden, wird das Gerücht verbreitet, dass alle Wähler, die die Kabinen benutzen, registriert werden.

In vier Gemeinden des Kreises Kamenz, [Bezirk] Dresden, wird verbreitet: Wer für die EVG stimmt,30 stimmt für den Frieden.

Die bekannten gefälschten Schreiben mit dem Absender Der Nationalrat und Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft wurden in einigen Fällen in den Bezirken Leipzig, Halle, Suhl und Magdeburg sichergestellt.

Am 9.10.[1954] fuhr ein großer Teil von Angehörigen der »Jungen Gemeinde« aus den Gemeinden Dissen, Sielow und Striesow, [Kreis] Cottbus, nach Westberlin. Mit dem Zug um 11.13 [Uhr] ab Cottbus fuhren allein 60 Jugendliche. Angeblich wurden sie von der Kirche in Westberlin eingeladen.

Vermutliche Feindtätigkeit

Am 7.10.1954 brannte die Scheune einer Mittelbäuerin aus Krakow, [Bezirk] Schwerin. Schaden ca. 18 000 DM, Ursache: vermutlich Brandstiftung.

Anlage 1 vom 11. Oktober 1954 zum Informationsdienst Nr. 2336

[ohne Titel]

Industrie

In der Bau-Union Schwerin besteht zum 13.10.1954 Missstimmung. Ein großer Teil der Kollegen ist der Ansicht, dass die Prämierung aufgrund freundschaftlicher Beziehungen geschieht.

Im Kunstseidenwerk Premnitz, [Bezirk] Potsdam, ist am 10.10.1954 um 20.00 Uhr die Turbine 2 ausgefallen. Das Werk ist ohne Strom und die Produktion ruht. Ursache: wird untersucht.

Handel und Versorgung

Im Bezirk Schwerin ist die Fischversorgung unzureichend. Beim Absatzkontor für Fische [in] Schwerin dagegen lagern seit vier Wochen 25 000 Dosen Strömlinge in Öl, weil das Ministerium für Finanzen trotz wiederholter Anmahnung keine Preiseinstufung dafür vornimmt. Im gleichen Bezirk sind außerdem Schwierigkeiten in der Versorgung mit Haferflocken, Stärkeerzeugnissen und Hausbrand zu verzeichnen.

Die Belieferung der einzelnen Kreise mit Kohlen ist nur zu 60 Prozent erfolgt. Desgleichen besteht dort ein Mangel an HO-Speck und -Schmalz. Im Gegensatz dazu lagern 700 kg verdorbenes Schmalz im Kreiskonsum Hagenow, [Bezirk] Schwerin, das nur noch für Industriezwecke verwendbar ist.

Eine große Nachfrage ist im Bezirk Schwerin nach Eiern zu verzeichnen. Nach Mitteilung des Kommunalen Großhandels stehen der Bevölkerung nur fünf Eier pro Kopf zur Verfügung (im IV. Quartal). Weiterhin besteht ein Engpass an Glühbirnen in 100 und 400 Watt.

Negative Diskussionen werden im Bezirk Schwerin, insbesondere über den in letzter Zeit zum Kauf angebotenen Zucker geführt. Der Zucker ist ungebleicht und weist eine unsaubere bräunliche Färbung auf.

Im Bezirk Erfurt besteht weiterhin ein Mangel an Fleischwaren und Speiseöl.

Landwirtschaft

Am 1.10.1954 verteilte ein Erfassungskontrolleur in Görbersdorf, [Kreis] Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Handzettel an die Bauern, mit der Aufforderung, bis zum 4.10.[1954] ihr Getreidesoll zu erfüllen. In der darauffolgenden Bauernversammlung am 1.10.1954 nahmen einige Bauern dazu Stellung und sagten: »Wir denken gar nicht daran, uns jetzt in die Scheune zu stellen, wo jeden Tag Frost kommen kann. Für uns steht jetzt nur die Frage der Bergung der Hackfrüchte.« Als der Erfassungskontrolleur jedoch darauf bestand, den 4.10.[1954] als Termin der Ablieferung einzuhalten, verließen verschiedene Bauern nach harten Auseinandersetzungen die Versammlung. Ein Mittelbauer sagte hierzu: »Was ihr mit uns macht, ist die reinste Antreiberei. Wir werden ja durchgedreht. Wir sind körperlich fertig. Wenn ihr so weitermacht, haue ich den ganzen Betrieb hin. Es fehlt nur noch, dass ihr hinter jeden Bauern einen Mann mit dem Knüppel stellt, der uns dauernd antreibt. Schafft uns doch Arbeitskräfte.«

In der Gemeinde Freckleben, [Kreis] Hettstedt, [Bezirk] Halle, vertreten die dortigen Bauern den Standpunkt, dass sie nur 60 bis 80 Prozent ihres Ablieferungssolles in Getreide abgeben brauchen, was sich auf die Gesamtablieferung der Gemeinde nachteilig auswirkt.

Unter den jugendlichen Erntehelferinnen auf dem VEG Gorgast, [Kreis] Seelow, [Bezirk] Frankfurt, die aus dem Kreis Aue stammen, herrscht Missstimmung, da sie den vom Kreisrat Aue versprochenen Lohnausgleich bis heute noch nicht erhalten haben. Auch eine Anfrage in dieser Angelegenheit blieb unbeantwortet. Die Erntehelferinnen sind zum größten Teil Mitglieder der FDJ und in dem VEB Schuhfabrik in Lößnitz, [Kreis] Aue, beschäftigt.

Von der Belegschaft der LPG Groß-Pankow, [Kreis] Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, wird Klage darüber geführt, dass die von dem VEB Maschinenfabrik in Döbeln,31 [Bezirk] Leipzig, und von der BHG in Leipzig gelieferten Maschinen nicht den Anforderungen entsprechen und fortgesetzt überholt werden müssen. Es handelt sich in der Hauptsache um [die] Kartoffelroder »Schatzgräber«.

In Kleinbodungen, [Kreis] Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, brannte am 9.10.1954 einem Bauern die Scheune mit Stallungen vollständig und einem anderen Bauern ein Stallgebäude, eine Scheune und das Wohnhaus zum Teil nieder. Der Grund des Brandes ist nach den bisherigen Ermittlungen auf den in einem Holzschuppen neben der Scheune befindlichen Kartoffeldämpfer zurückzuführen. Die Ehefrau des einen Bauern ist der fahrlässigen Brandstiftung verdächtigt. Schaden: DM 35 000.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

SPD-Ostbüro: Schwerin in Fahrbinde, [Kreis] Ludwigslust, 6 000, Kreis Parchim 100, Kreis Lübz größere Mengen (Inhalt: Wahlscheine ungültig machen), Leipzig 10 000, Gera 15, Rostock Insel Usedom einzelne.

KgU: Erfurt, Kreis Worbis und Kreis Eisenach, einzelne (Inhalt: ›Nein‹ wählen).

NTS: Gadebusch, [Kreis] Schwerin, kleinere Mengen.

Unbek[annter] Herkunft: Potsdam einige (gegen Volkswahlen).

»Der Tag«: Suhl in Gompertshausen mehrere.

»Tarantel«:32 Suhl, Kreis Hildburghausen, 300.

Die Mehrzahl der Flugblätter wurde sichergestellt.

Abreißen bzw. Beschädigen von Wahlplakaten und Fahnen

Schwerin, Kreis Gadebusch: zwei Plakate an der Straße zwischen Klebe und Plau, [Kreis] Lübz, mehrere Hakenkreuze angeschmiert.

Magdeburg: In Redekin, [Kreis] Genthin, am 9.10.[1954] acht Plakate (Täter festgenommen). In Magdeburg eine Fahne (Täter festgenommen).

Rostock: In Stralsund einige Plakate.

Neubrandenburg: In Strasburg am 10.10.1954 zwei Fahnen.

Potsdam: Am 8.10.[1954] beim CDU-Kreisvorstand Neuruppin eine Fahne, am 9.10.[1954] in Struppensee, [Kreis] Neuruppin, zwei Fahnen sowie einige Wahlplakate.

Am 9.10.[1954] in Wünsdorf, [Kreis] Zossen, zwei Hinweisschilder zur Volkswahl, am 9.10.[1954] in Sieversdorf, [Kreis] Kyritz, ein Transparent, am 9.10.[1954] in Dabendorf, [Kreis] Zossen, zwei Wahlplakate.

Berlin: Am 10.10.[1954] beim Sonderwahllokal auf dem Ostbahnhof zwei Fahnen (Täter festgenommen).

Anlage 2 vom 11.10.1954 zum Informationsdienst Nr. 2336

Auswertung von Hetzschriften zur Volkswahl

Vom SPD-Ostbüro werden zur Volkswahl Flugblätter mit der Überschrift »Wir verlangen freie Wahlen« verbreitet. Darin wird von »Zwangsblockwahlen gesprochen« und unsere Volkswahl als »Wahlrummel« bezeichnet. Zur Beeinflussung der Bevölkerung wird gehetzt, dass die einheitliche Wahlliste ein Verfassungsbruch wäre. Auch hier enthält das Flugblatt die Forderung, die Stimmzettel ungültig zu machen und mit »NEIN« zu beschreiben.

In Westberlin werden von einer unbekannten Feindzentrale33 mit dem Deckblatt »Deutsche Industrieausstellung Berlin 1954«34 Hetzschriften gegen die Volkswahl verbreitet. In verstärktem Umfang wurden diese am 7.10.1954 an Besucher der Industrieausstellung aus dem Demokratischen Sektor verteilt. Der Inhalt entspricht der bereits bekannten Hetze gegen die Volkswahlen. Neue Momente traten nicht auf.

Gefälschte Schreiben

Mit dem Absender des FDGB-Bundesvorstandes werden an die Räte der Kreise, Abteilung Organisation, die Sekretäre des FDGB und die Aufklärer der Hausgemeinschaften gefälschte Schreiben gesandt, in denen, wie in bereits früher gemeldeten Fälschungen, neue Losungen gegeben werden, nach denen die Aufklärungsarbeit jetzt durchzuführen ist. Unter anderem werden dabei genannt:

  • »Senkung der Forderung der Werktätigen«,

  • »schärfere Überwachung der Werktätigen und Sorge um unsere Funktionäre und Intelligenz«,

  • »Verstärkung und bessere Schulung der nach Westdeutschland gesandten Propaganda- und Störtrupps«.

Im weiteren Inhalt soll die SED verleumdet werden, indem man zum Ausdruck bringt, dass die ganzen Wahlvorbereitungen offen ganz anders vonstattengingen, als was vonseiten der SED die wahren Hintergründe seien. Zum Beispiel heißt es dazu: »… Eine Wahlliste unserer Partei allein bietet nicht die Gewähr dafür, dass unsere Kandidaten genügend Stimmen erhalten … Je mehr wir von der Friedensliebe sprechen, desto weniger erkennt der Gegner unsere wahre Absicht …«

Mit dem Absender FDGB – Gewerkschaft Unterricht und Erziehung – werden an Schulen gefälschte Schreiben gesandt, welche falsche Anweisung über die Arbeit der Gewerkschaftsgruppen in den Schulen bei der Vorbereitung der Volkswahl enthalten. Zur Unterminierung unserer Aufklärungsarbeit heißt es z. B.: »… Durchführung einer gemäßigten Agitationsarbeit in Dörfern und Kleinstädten, die bei der Volksabstimmung ein außergewöhnlich schlechtes Wahlergebnis hatten …« Auch hier soll u. a. wieder die Forderung nach »freiwilliger Normenerhöhung« nach der Wahl propagiert werden.

Anlage 3 vom 10. Oktober 1954 zum Informationsdienst Nr. 2336

Stimmungen zum Besuch des sowjetischen Außenministers W. M. Molotow

Bericht über den Besuch des Genossen Molotow im Wismutgebiet

An der Kundgebung im Schacht I – Johanngeorgenstadt – nahmen ca. 1 500 Kumpels teil.35 Auf dieser Kundgebung sprachen die Genossen Molotow und Grotewohl.36 Beide Genossen wurden von den Kumpels begeistert begrüßt.

Am Anschluss daran besichtigte die Delegation die Schachtanlagen unter Tage. Gerade dies fand bei den Kumpels Anklang, wobei vielfach zum Ausdruck gebracht wurde, dass hieran zu erkennen sei, dass es sich um Staatsmänner handelt, die mit dem Volk verbunden sind. Von den meisten Kumpels wird dieser Besuch als erneuter Freundschaftsbeweis angesehen. So sagte z. B. ein Meisterhauer (SED), dass Molotow durch seine Einstellung zur deutschen Frage gerade bei den Deutschen sehr beliebt sei und deshalb auch alle vom Besuch des Genossen Molotow begeistert sind. Wenn von Molotow gesprochen wurde, sei vonseiten der Kumpel nie ein schlechtes Wort zu hören gewesen.

Ein Glaser aus Johanngeorgenstadt sagte, dass die Stimmung im Schacht über den Besuch des Genossen Molotow gut ist, da dadurch die Verbundenheit zu den Wismut-Kumpels zum Ausdruck kommt, denn sie möchten alle einmal selbst den Genossen Molotow persönlich sehen und sprechen hören.

Ein Schießmeister vom Schacht 88 sagte, dass es für uns eine große Ehre ist, dass der Außenminister der SU gerade zum 5. Gründungstag der DDR nach Berlin gekommen ist.

Ein Meisterhauer übernahm zu Ehren des Besuches die Verpflichtung, eine Brigade von Nichtnormerfüllern zu bilden und diese soweit zu qualifizieren, dass sie bis Ende November in der Lage sind, den Plan zu erfüllen.

Im Schacht 31 wurden zu Ehren des Besuches von insgesamt 29 Brigaden, Revieren und Abteilungen Stoß- und Ehrenschichten gefahren. Ein Obernormierer vom Schacht 31 brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, dass Genosse Molotow gerade diesem Schacht einen Besuch abstattete.

Ein Heizer sagte, als ihm bekannt wurde, dass Genosse Molotow nach Johanngeorgenstadt komme, dass so etwas durch Betriebsfunk und Anschlag bekanntgegeben werden müsste, auch wann und wo er spricht, damit jeder die Gelegenheit hat, ihn zu sehen und zu hören. Er persönlich wollte alles daransetzen, um den sowjetischen Außenminister auf dem Schacht zu sehen.

Negative Stimmen wurden nur ganz vereinzelt bekannt und waren Ausdruck einer Interesselosigkeit gegenüber dem Besuch. In der Buchhaltung des Schachtes 235 – Johanngeorgenstadt – war man gleichgültig, ob der Genosse Molotow kommt oder nicht. Außerdem wurde geäußert, dass man die Reden des Genossen Molotow nicht gelesen oder gehört habe, man habe dazu keine Zeit. Ein Oberbuchhalter vom Schacht 31 sagte, als ihm der Besuch bekannt wurde: »Der bringt ja sowieso nichts Gutes.«

Stimmen aus der DDR

Die bekannt gewordenen Diskussionen zum Besuch des sowjetischen Außenministers in der DDR und über seine Ausführungen sind weiterhin überwiegend positiv. Vor allem Arbeiter der VEB, in geringerem Maße Angestellte, Angehörige der Intelligenz und Angehörige des Mittelstandes, sprechen sich über den Besuch des sowjetischen Außenministers aus und betonen, dass die neuen Vorschläge37 ein erneuter Beweis für den Friedenswillen der SU seien und man daran erkennen könnte, dass die SU wirklich der beste Freund des deutschen Volkes ist.

Ein Arbeiter aus dem Kraftwerk »Karl Liebknecht«, Kreis Bitterfeld, [Bezirk] Halle, sagte zum Beispiel: »Die Rede des Gen. Molotow sagt das, was er auf der Genfer Konferenz38 ausgesprochen hatte. Es ist anzuerkennen, dass diese Punkte und die sofortige Abziehung der Besatzungstruppen auch diesmal wieder von dem Genossen Molotow in den Vordergrund gestellt werden. Denn wir wollen nicht wie die Bonner Machthaber uns nur auf die Besatzung des Amerikaners stützen. Und durch diese das arbeitende Volk in Not und Elend stürzen und [die] mit ihrer Knute die Arbeiter in den Waffenrock stecken wollen.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Seidenweberei Greiz,39 [Bezirk] Gera: »Das sind vernünftige Angebote, welche auch angenommen werden könnten und müssten, denn wenn man Kontrollen über die Abrüstung ausführt, dann braucht doch kein Land Angst zu haben, überfallen zu werden.«

Eine Briefträgerin (parteilos) aus Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der Molotow ist doch eine kluge Persönlichkeit, kaum sind die westlichen Außenminister aus London zurückgekehrt, funkt er zwischen ihre Pläne und unterbreitet gute Vorschläge, die wir nur begrüßen können.«

Ein Ingenieur (NDPD) aus dem VEB Porzellanwerk in Veilsdorf, [Bezirk] Suhl: »Ich habe immer großes Vertrauen zur SU gehabt, die Rede von Molotow hat dieses bei mir noch gefestigt. Wir wollen mit der SU gemeinsam alle Anstrengungen machen, die DDR und Westdeutschland in ein friedliches und demokratisches Deutschland zu verwandeln.«

Über den Besuch des sowjetischen Außenministers in der Stalinallee am 7.10.1954 wurden jetzt vereinzelte negative Stimmen bekannt:40

Ein älteres Ehepaar unterhielt sich in der Stalinallee bei der Durchfahrt der sowjetischen Delegation und brachte dabei zum Ausdruck: »In diesem Sprit, den diese Wagen verkutschen, verfliegen unsere Steuergroschen.«

Eine Passantin äußerte gegenüber einem anderen Passanten: »Seht, die Begeisterung war hier nicht so groß wie bei Adolf, da hatten wir es auch besser.«

Eine Rentnerin: »Es ist ja schrecklich, überall stehen Soldaten und passen [auf]. Wir sind doch keine Verbrecher, dass man auf uns aufpassen muss.«

Anlage 4 vom 11. Oktober 1954 zum Informationsdienst Nr. 2336

Stimmung aus Westberlin

Dezemberwahlen41

In Diskussionen über die bevorstehenden Senatswahlen äußern viele ihre Unzufriedenheit über die CDU sowie über die Verhältnisse in Westberlin, die durch den jetzigen Senat nicht besser geworden sind. Verschiedentlich wird zum Ausdruck gebracht, dass sie die CDU nicht wieder wählen wollen und zum anderen wird begrüßt, dass sie SED an den Wahlen beteiligt ist und einige sind der Meinung, dass sie nicht schlecht abschneiden wird.42 Zum Beispiel klagte ein Geschäftsmann über die schlechten Verhältnisse in Westberlin und sagte: »Bei der kommenden Wahl darf nur nach links gewählt werden, denn von der CDU und SPD haben wir keine Freude zu erwarten.«

Ein Notstandsarbeiter: »Ich bin der Meinung, dass die CDU stark verlieren wird, die SPD die reine Mehrheit bekommt und die SED auch ganz schön herauskommen wird.«

Auf dem Arbeitsamt in der Kochstraße sprachen sich viele Arbeitslose gegen die Politik der CDU aus und erklärten, dass sie diese Partei nicht wählen werden, sondern lieber die SPD oder SED. Ein Arbeitsloser: »Na, die CDU wird sich diesmal wundern bei den Wahlen. Man hat gedacht, bei denen wird es besser, aber die sind nur für die Beamten und Angestellten, der Arbeiter interessiert die nicht, noch weniger der Arbeitslose.«

Ein SPD-Mitglied: »Ich bin mit vielen Dingen meiner Partei nicht einverstanden. Die Wahlen im Dezember werden besonders in den Bezirken Wedding und Neukölln zu einem Sieg der SED führen. Ich lese mit Interesse das Propagandamaterial der SED

Der Inhaber eines Wollgeschäftes: »Mir ist es egal, wer regiert, schlechter als jetzt kann es mir gar nicht gehen. Die privaten Geschäftsleute im Osten leben bestimmt sorgenfreier.«

Ein Hauswart: »Die SED bringt es fertig 10 bis 15 Mandate zu erringen. Na, schaden würde es denen da oben gar nicht, denn die Politik, die die betreiben, kann nicht weitergehen, da würden wir bald am Ende sein.«

Unter den Studenten der Freien Universität wurde über die Zulassung der SED zu den Dezember-Wahlen diskutiert. Dabei kam es zu Meinungen wie zum Beispiel: »Die Zulassung der SED bedeutet eine große Gefahr für den Westen.« Oder: »Wenn die SED sich die Korruptionen der Westberliner Spitzenfunktionäre als Agitation für die Wahl zum Nutzen macht, kann sie einen großen Stimmenzuwachs erhalten. Da zurzeit unter der Bevölkerung große Unzufriedenheit über die Korruption vieler Senatsmitglieder herrscht.« Ein anderer Student meinte: »Wenn sich die SED mit der laufenden Preissteigerung in ihrer Wahlpropaganda befasst, wird sie Erfolg erzielen.«

Ein Funktionär des DGB sagte zur Beteiligung der SED an den Wahlen: »Ich sehen darin keine Gefahr für Berlin. Wir werden dann wissen, wie viele Verräter noch bei uns sind und zum Teil auch ihren Namen kennen. Aus unserem Wählerkreis werden diese Leutchen keine Stimmen bekommen.«

Ein Gastwirt aus der Badstraße erklärte: »Bei mir verkehren viel Bewohner aus der Ostzone. Die meisten haben mir gesagt, dass sie den Westberliner Senat nicht verstehen können, da er die SED zu den Wahlen zugelassen hat. Sie sagen übereinstimmend der SED eine Niederlage voraus. Vielen meiner Westberliner Gäste ist es gleichgültig, ob sich die SED an den Wahlen beteiligt oder nicht. Die Scharfmacher sind meistens die Flüchtlinge. Die Gäste aus dem Osten kaufen aus Prinzip nichts in der Zone, wenn es dort auch gelegentlich bei gleicher Qualität billiger ist, nur um den Osten zu schädigen.«

Über den Vorschlag des Außenministers der SU Molotow wird auch in den Westberliner Kreisen stark diskutiert. Dabei kommt es zu Äußerungen wie z. B.: »Man sollte endlich verhandeln, denn wenn die neue Wehrmacht erst steht, dann ist das Verhandeln fraglich.«

Es bestehen aber auch gewisse Unklarheiten über die Ausführungen des Genossen Molotow und zwar, ob erst freie Wahlen stattfinden sollen und dann Abzug der Besatzungstruppen oder umgekehrt. Es werden Fragen aufgeworfen wie zum Beispiel: »Was hält Molotow von freien Wahlen, vor allem von demokratischen?« Oder: »Warum wurde dieser Vorschlag in einer Rede vorgebracht und nicht durch eine neue Note?«

Am 8.10.1954 fand in Westberlin die Trauerfeier für den verstorbenen Agenten Hildebrandt43 statt. Es waren ca. 200 Personen zugegen. Darunter auch SPD-Mitglieder vom Prenzlauer Berg. In den »Gedenkreden« wurde in der bekannten Weise gegen die DDR gehetzt. Unter anderem erklärte der 2. Vorsitzende der Industrie-Gewerkschaft Bau–Steine–Erden: »Die Herren im Osten sollen sich diesen Fall zur Warnung nehmen, denn die Bauarbeiter werden sich nicht noch ein paar solche Fälle mit ansehen und es kann passieren, dass ein neuer 17. Juni heranreift.«

Bei der Industrie-Anstellung werden außer den Hetzblättern »Tribüne« und »Tarantel« FDGB-Mitgliedsbücher verteilt. Diese enthalten Anweisungen, wie man Krankheiten vortäuschen kann. Unter anderem heißt es: »Langsam arbeiten hat keinen Zweck, weil es dadurch Schwierigkeiten gibt. Besser ist es, Krankheiten vorzutäuschen.«

Die Westberliner Decken- und Steinwerke AG44 hat die Absicht, noch in diesem Jahr auf das Gelände der Kolonie »Blumental«45 überzusiedeln. Das Gelände umfasst ca. 25 000 m² und ist von etwa 50 Kleingärtnern vom Magistrat gepachtet worden. Die Betroffenen sind darüber empört und wollen sich auf alle Fälle gegen die Räumung zur Wehr setzen.

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    12. Oktober 1954
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