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Zur Beurteilung der Situation in der DDR

3. November 1954
Informationsdienst Nr. 2356 zur Beurteilung der Situation in der DDR

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über politische Tagesfragen wird unter den Werktätigen wenig diskutiert. Bei diesen geringen Diskussionen wird vorwiegend über die neue Note der Sowjetunion gesprochen.1 Bei den Gesprächen über die Note der SU, die meist positiv sind, nimmt man gegen die Londoner und Pariser Abkommen2 Stellung, wobei man sich hauptsächlich gegen die Verschacherung des Saargebietes wendet.3 Ein Arbeiter aus der Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal, [Bezirk] Gera: »Die Pariser Beschlüsse sind eine Verschwörung gegen den Frieden und führen zur Verewigung der Spaltung Deutschlands. Der Vorschlag der SU, noch im November 1954 eine Außenministerkonferenz durchzuführen, ist der einzig mögliche Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands. Nur durch solche Verhandlungen kann Deutschland vereint und der Weltfrieden gesichert werden.«

Ein Jugendfreund vom VEB Ausbau Rostock erklärte, dass Adenauer4 mit der Verschacherung der Saar das deutsche Volk verrät und es die Aufgabe aller FDJler sei, die Remilitarisierung Westdeutschlands zu verhindern.

Ein Jugendlicher aus dem VEB Kranbau in Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Während die Westmächte in Paris zusammen mit Adenauer die Spaltung Deutschlands endgültig machten, unternahm die SU einen neuen Schritt, um die Einheit unseres Vaterlandes und die Sicherung des Friedens in Europa herzustellen.«

Teilweise äußert man, dass die neue Note der SU zwecklos sei. Zwei Kollegen vom VEB Textima in Forst, [Bezirk] Cottbus, äußerten: »Trotzdem die SU in der Erhaltung des Friedens wieder ihre Initiative gezeigt hat, sind wir aber der Meinung, dass diese Note vonseiten der Westmächte, wie so viele andere, nicht akzeptiert wird.«

Ein Jugendlicher vom Bau »F 62« des Buna-Werkes, [Bezirk] Halle: »Die Noten haben ja sowieso keinen Zweck, denn die Westmächte machen ja doch, was sie wollen.« Ähnlich äußerten sich ein Obermeister aus dem gleichen Betrieb und ein Meister vom Bau 22 des Leuna-Werkes »Walter Ulbricht«.

Ganz vereinzelt äußert man sich negativ zur Note der Sowjetunion und zur Verschacherung der Saar. Dabei benutzt man die Argumente, dass die Note der SU nur Propaganda sei und dass soviel über die Abtretung der Saar an Frankreich gesprochen wird, aber mit der Oder-Neiße-Grenze ist man einverstanden. Einige Arbeiter vom Bau F 62 und C 44 des Buna-Werkes, [Bezirk] Halle, vertraten die Meinung, dass der Notenaustausch nur Propaganda ist.

Ein Schießwart vom Kalischacht Volkenroda, [Kreis] Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt (SED): »Na, was habt ihr denn mit dem Saargebiet? Die einen verschachern die Saar, die anderen die Oder-Neiße.«

Einige Kollegen vom Revier II des [Wismut-]Schachtes 250 in Aue,5 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, brachten zum Ausdruck, dass sie nur gegen die Abtrennung des Saargebietes auftreten, wenn Schlesien wieder zurückgegeben wird.

Über den Prozess gegen die sieben Agenten der Gehlen-Organisation wurden uns nur wenige Diskussionen bekannt.6 Diese waren alle positiv. Ein Arbeiter aus dem VEB Möbelwerk in Themar, [Kreis] Hildburghausen, [Bezirk] Suhl (parteilos): »Der amerikanische Imperialismus versucht alles, um einen neuen Krieg zu entfesseln. Menschen, wie diese sieben Angeklagten der Verbrecherorganisation haben in unserer demokratischen Gesellschaftsordnung keinen Platz. Diese sind die größten Feinde der Arbeiterklasse und verdienen die härteste Strafe. Die Schlussfolgerung für uns Arbeiter ist, die Wachsamkeit noch mehr zu verstärken.«

Ein Arbeiter (SED) von dem VEB Kammgarnspinnerei Coßmannsdorf, [Bezirk] Dresden, äußerte, dass der Prozess gegen die Gehlen-Bande wieder einmal gezeigt habe, mit welchen Mitteln und Methoden der westliche Geheimdienst arbeitet und wie er seine Agenten in der DDR einsetzt. Er selbst wird jetzt noch wachsamer sein.

In einigen Dresdener Verkehrsbetrieben wurden Kurzversammlungen durchgeführt. Von den Anwesenden wurden einstimmig Resolutionen an den Generalstaatsanwalt angenommen, darin fordert man die restlose Vernichtung dieser Verbrecher.

Im VEB Drehmaschinenwerk Zeulenroda, [Bezirk] Gera, herrscht unter den Arbeitern Missstimmung. Der Grund dafür ist, dass der Betrieb wegen Produktionsumstellung Facharbeiter mit anderen Arbeiten beschäftigen muss bzw. dass die Arbeiter stundenweise nichts zu tun haben. Darunter leidet der Verdienst. So kam es vor, dass verschiedene Kollegen bei der letzten Abschlagszahlung für zehn Tage nur DM 30,00 erhielten. Dazu äußerte sich ein ehemaliger Umsiedler wie folgt: »Ich bin Umsiedler und habe drei Kinder. Ich weiß nicht, was ich mit den DM 30,00 anfangen soll. Das sollen mir mal die Intelligenzler nachmachen, die bekommen ihre übergroßen Gehälter weiter, nur der kleine Mann muss immer herhalten. Da spricht man von einem besseren Leben, ich weiß nicht, wo das zu sehen ist, denn so schlecht wie jetzt, ging es mir in meinem Leben noch nicht.«

Kohlenmangel

Im VEB Wärmegerätewerk Dresden, Werk II Königsbrück, tritt in letzter Zeit der Mangel an Kohlen immer mehr in Erscheinung. Das Werk benötigt laufend zur Unterhaltung der Brennöfen in der Abteilung Emaille Kohle. Es ist bereits zu verzeichnen, dass sich der Betrieb Kohle in Privatbetrieben leihen musste.

Im VEB Leubnitzer Textilwerk, [Kreis] Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, besteht Kohlenmangel. Wenn in kürzester Zeit keine Lieferungen eintreffen, ist mit einem Produktionsstillstand zu rechnen.

Auftragsmangel: Im VEB Zemag Zeitz, [Bezirk] Halle, besteht nach wie vor ein großer Mangel an Arbeitsaufträgen für die Schlosserei und Dreherei. Aus diesem Grunde wurde schon ein großer Teil der dort beschäftigten Arbeiter auf Montage geschickt.

Waggongmangel: Im Bezirk Schwerin wirkt sich der Waggonmangel auf die Produktion verschiedener Betriebe aus. So hat z. B. der VEB »Elde-Süsswaren« Parchim Schwierigkeiten beim Transport der Fertigwaren an die DHZ. Des Weiteren wirkt sich der Waggonmangel auf die Liefertermine der Zuckerfabrik Lübz aus.

Materialschwierigkeiten

Die Damast- und Inlettweberei Jonsdorf, [Bezirk] Dresden, erhielt von der Stuhlfabrik »Roscher« aus Neugersdorf7 Fadenwächter sehr schlechter Qualität geliefert. Darüber sind die Arbeiter des Betriebes verärgert, da dadurch die Qualität der Stoffe leidet.

Der VEB »Rotkäppchen-Sektkellerei« Freyburg, [Bezirk] Halle, hat Schwierigkeiten in der Belieferung von Sektkorken. Falls keine Lieferung erfolgt, ist mit einer Produktionsstilllegung zu rechnen.

Im VEG Reifenwerk Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt, traten in letzter Zeit Materialschwierigkeiten auf, die zu einer Qualitätsminderung der Reifen für den Export führten. So zog z. B. die Türkei ihren Auftrag zurück, weil nach ca. 3 000 km Belastung die Reifen abgenutzt sind, da zu wenig Naturkautschuk bei der Herstellung der Reifen verwendet werden kann [sic!]. Man hat schon in Erwägung gezogen, den Exportauftrag für die Volksrepublik China abzusagen.

Im EKS Stalinstadt,8 [Bezirk] Frankfurt, fehlt es an Manganerz.

Die Bekleidungswerke Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, konnten ihren Produktionsplan nur mit 76 Prozent erfüllen, da es an Importwolle fehlte.

Die Volkswerft Stralsund erhielt von der Neptunwerft Rostock Holz, welches für die Verarbeitung von Decksplanken vorgesehen war. Dieses Holz war zu 30 Prozent Ausschuss, dies wirkt sich hemmend auf die Produktion aus.

Produktionsstörungen

Durch grobe Fahrlässigkeit des Weichenstellers im Braunkohlenwerk Röblingen, [Bezirk] Halle, ereignete sich ein Zusammenstoß, wobei ein Sachschaden von ca. 15 000 DM entstand.

Am 1.11.1954 brach in einer Baracke der Bau-Union Dresden ein Brand aus. In dieser Baracke waren Frostschutzmatten eingelagert. Ursache des Brandes ist noch nicht geklärt. Schaden: ca. 8 000 DM.

Handel und Versorgung

Die teilweise unzureichende Versorgung, welche oft zur Unzufriedenheit führt, macht sich wie folgt bemerkbar.

In den Randkreisen des Bezirkes Frankfurt z. B. fehlen Kohlen für die Industrie und für Haushalte. Täglich sollen 960 Tonnen geliefert werden, es werden aber nur 350 Tonnen geliefert. Dadurch ist auch das Kreiskrankenhaus in Bernau in Mitleidenschaft gezogen, dem bereits die Freunde9 in Bernau mit Kohlen aushelfen mussten. Desgleichen wirkt sich dort der Kohlenmangel auch auf die Lebensmittelproduktion aus. In einigen Kreisen des Bezirkes Halle sind die Mängel in der Belieferung mit Speck, Eiern, Hülsenfrüchten, Räucherfisch und Käse noch nicht behoben. Außerdem fehlt es dort teilweise für Handwerksbetriebe an Möbelstoffen, Zement, Dachpappe, Schlemmkreide u. a. m. Ebenso fehlt es an Winterkleidern für Frauen. Ähnliche Mängel bestehen in anderen Bezirken. Im Bezirk Potsdam (Speck, Speiseöl, teilweise Margarine, Nährmittel, Fischkonserven, Zigaretten, Winterbekleidung, vor allem für Kinder und Möbelstoff. Des Weiteren Musikinstrumente, Uhren, Porzellan und Papier). Im Kreis Meiningen, [Bezirk] Suhl, beklagen sich Hausfrauen und Ärzte über den Mangel an Kindernährmitteln. Außerdem fehlt es an Fettwaren, Hülsenfrüchten und Fleischkonserven. Im Kreis Worbis, [Bezirk] Erfurt, fehlen auf dem Lande Industriewaren, besonders Kochtöpfe und Weckgläser. Im Kreis Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, fehlt Winterkleidung für Kinder.

Landwirtschaft

Zu der neuen Sowjetnote und zum Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft10 wird wenig, aber überwiegend positiv gesprochen. Die geringe Teilnahme wird zum Teil durch die Inanspruchnahme bei der Hackfruchternte begründet, die verschiedentlich wegen Arbeitskräftemangel erhöhte Anforderungen an die Landbevölkerung stellt. In den positiven Meinungen wird der Neuen Sowjetnote eine große Bedeutung beigemessen und der Wunsch geäußert, dass es noch in diesem Jahr zu einer Einheit Deutschlands kommen möge.

Teilweise treten Zweifel am Gelingen der vorgeschlagenen Konferenz wegen der Entwicklung in Westdeutschland auf. Zum Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft wurden ebenfalls nur einzelne Beispiele bekannt, in denen die ständige Hilfe für die DDR seitens der SU besonders hervorgehoben wird. So erklärte z. B. ein Arbeiter des MTS-Bereiches Straach, Kreis Wittenberg, [Bezirk] Halle: »Ich habe bisher immer geglaubt, dass die SED und deren Funktionäre nur die Politik machen. Ich habe aber erkannt, dass die Hilfe der SU seit 194511 bis heute ständig der DDR zuteil wurde. So z. B. hat sie uns Maschinen und Geräte zur Verfügung gestellt.«

Nach wie vor stehen die wirtschaftlichen Belange im Vordergrund der Diskussionen.

Unzufriedenheit über den Arbeitskräftemangel herrscht teilweise in den Bezirken Magdeburg, Schwerin, Cottbus und Rostock. Außerdem wirkt sich die mangelhafte Waggongestellung nachteilig aus. Im Kreis Lübz z. B. mussten wegen Waggonmangel 1 700 t Kartoffeln zusätzlich eingemietet werden, wozu aber das Stroh fehlt, sodass sie nicht winterfest eingemietet werden konnten.

Im Kreisgebiet Weißenfels herrscht unter den werktätigen Bauern und den LPG eine große Verärgerung über die gelieferten Saatkartoffeln, die zu 80 Prozent verfault sind. Sie verlangen dafür eine Vergütung.

Auf einer Tagung der Genossenschaftsbauern des Kreises Jessen, [Bezirk] Cottbus, wurden in der Diskussion hauptsächlich noch vorhandene Fehler und Mängel vorgebracht, die sich hemmend auf die Arbeit der LPG auswirken. Neben der Forderung, entsprechend mehr Großgeräte in den Haupterntezeiten einzusetzen, um somit dem Mangel an Arbeitskräften zu begegnen, wurde vor allem bemängelt, dass für die Durchführung der benötigten Bauten kein Baumaterial zur Verfügung steht.

Unter den Werktätigen und Genossenschaftsbauern aus dem MTS-Bereich Schackensleben, Kreis Haldensleben, herrscht Unzufriedenheit über die neue Verwaltungsmaßnahme der landwirtschaftlichen Transporte. Danach werden die landwirtschaftlichen Transporte nach Tonnen und km berechnet. Dadurch fällt die 10-prozentige Vergüngstigung für die LPG weg.

In der Gemeinde Dehmen, Kreis Güstrow, [Bezirk] Schwerin, unterhält die evangelische Landeskirche Mecklenburg ein eigenes Gut, das von dem früheren Rittergutsbesitzer Strupp12 geleitet wird. Seine antidemokratische Einstellung kommt darin zum Ausdruck, dass er die Felder nicht abernten lässt, um dadurch der Ablieferung zu entgehen. Zum Beispiel stehen noch 15 Morgen Gemenge13 und 20 Morgen Kartoffeln auf dem Feld, die dem Verderb preisgegeben sind. Die Arbeiter des Gutes versuchten am Wochenende, diese Kartoffeln für ihren eigenen Bedarf zu roden, was ihnen jedoch abgelehnt wurde.

Immer wieder ist zu verzeichnen, dass die Einzelbauern, hauptsächlich aber Großbauern, ihren Sollverpflichtungen nicht nachkommen und ihr Verhalten mit den verschiedensten Argumenten zu begründen suchen. In der Gemeinde Wildenhain, [Kreis] Großenhain, [Bezirk] Dresden, z. B. haben 23 Betriebe mit über 10 ha nur 70 Prozent ihres Solls erfüllt. Sie vertreten den Standpunkt, dass ihr Soll gegenüber den LPG zu hoch ist und sie nicht mehr abliefern brauchen als die LPG.

In Creuzburg, [Kreis] Heiligenstadt,14 [Bezirk] Erfurt, forderte der Bürgermeister einen Bauern auf, der überhaupt noch kein Getreide abgeliefert hat, mit dem Drusch zu beginnen. Der Bauer antwortete: »Ich denke überhaupt nicht daran zu dreschen und eure Termine einzuhalten. Ich bin ein freier Bauer und liefere, wenn es mir passt. Wenn ich nicht machen darf, was ich will, dann schmeiße ich euch den Kram vor die Füße.«

Übrige Bevölkerung

Die in den Bezirken durchgeführten Feierlichkeiten zu Beginn des Monates für Deutsch-Sowjetische Freundschaft wiesen im Durchschnitt eine gute Teilnahme auf. Zum Beispiel wurde in Magdeburg die Eröffnungsfeier von ca. 1 500 Personen besucht. Ein Höhepunkt dabei bildete die Ansprache eines sowjetischen Wissenschaftlers, der zzt. in Magdeburg weilt. In Sonneberg wurde die Veranstaltung von ca. 800 Einwohnern und in Weißenfels von ca. 900 Personen besucht.

Zu Ehren des Monates für Deutsch-Sowjetische Freundschaft wurden viele neue Mitglieder für diese Organisation geworben. Zum Beispiel wurden im Bezirk Cottbus im Oktober 900 Mitglieder geworben. Dabei steht der Kreis Cottbus mit 176 Anmeldungen an der Spitze.

Zur Note der Sowjetunion werden weiterhin nur wenige Stellungnahmen bekannt. Der Grund dafür ist vielfach das mangelnde Interesse für politische aktuelle Probleme. Die Meinungen sind jedoch überwiegend positiv. Zum Beispiel sagte ein Kellner aus Ilmenau, [Bezirk] Suhl: »In dieser Epoche, wo es um Krieg oder Frieden geht, versucht Molotow15 ständig und beharrlich, den Frieden in der gesamten Welt zu erhalten. Der Vorschlag, den Molotow den Westmächten unterbreitete, kann nur im Interesse des gesamten deutschen Volkes liegen.«

Eine Hausfrau aus Finsterwalde: »Dem Treiben der Feinde des Friedens dürfen wir nicht tatenlos zusehen. Schließen wir uns noch enger zusammen und fordern die Verwirklichung der Vorschläge der Sowjetunion.«

Negative Äußerungen zur Note sind ganz vereinzelt: Ein Einwohner aus Saalfeld, [Bezirk] Gera, erklärte: »Der Westen müsste Molotow auf seine Vorschläge hin festnageln, dann würde sich ja zeigen, ob er wirklich an seinen gemachten Vorschlägen festhält.«

Im Kreis Zeulenroda, [Bezirk] Gera, wurden in verstärktem Maße ablehnende Diskussionen über die Zuwanderer aus Westdeutschland geführt. Der Grund hierfür ist vor allem der Mangel an Wohnraum. Zum Beispiel erklärte der Leiter des Wohnungsamtes (LDP) in Pausa einigen zugewanderten Arbeitern aus Westdeutschland, als sich diese über die mangelnde Unterstützung durch die Verwaltungen beklagten: »Ihr denkt wohl, wir warten nur auf euch. Wir haben hier schon genug Schwierigkeiten mit dem Wohnraum, da fehlt ihr gerade noch. Wenn es euch nicht passt, so könnt ihr ja wieder abhauen.«

Beim Postamt Köthen, [Bezirk] Halle, ist eine starke Fluktuation des Personals in die volkseigenen und privaten Betriebe zu verzeichnen, da sich die Angestellten dort materiell besserstehen würden. Der Leiter des Postamtes beschwerte sich darüber und führte aus, dass die Aufnahme durch die VEB sehr groß sei und er vor großen personellen Schwierigkeiten stehe, da ihm alles fortläuft.

In einigen Gemeinen des Bezirkes Magdeburg wird über die schleppende Anlieferung der Kartoffeln durch den Konsum geklagt. Zum Teil wurden unsortierte Kartoffeln geliefert. So beklagen sich z. B. einige Einwohner, dass sie von 5 Ztr. angelieferten Kartoffeln nur 2 Ztr. als Speisekartoffeln verwenden könnten, während die anderen mittelmäßige, verfaulte und Schweinekartoffeln seien. Es wird weiter diskutiert, dass der Regen wohl an diesem Umstand viel Schuld habe, dass es aber Aufgabe des Erzeugers bzw. des Verkäufers sei, die Kartoffeln zu sortieren, da die Bevölkerung ein Anrecht auf wirklich einwandfreie Kartoffeln habe.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:16 Berlin 27 000, Potsdam 5 300, Frankfurt/Oder 3 000, Dresden einige.

NTS:17 Potsdam 13 000, Karl-Marx-Stadt 3 000, Suhl 2 000, Erfurt und Dresden einige.

In tschechischer Sprache: Dresden 470.

FDP-Ostbüro: Bei Coswig, [Bezirk] Halle, 1 000.

»Freie Junge Welt«:18 Potsdam 2 000.

Die Mehrzahl der Hetzschriften wurde sichergestellt.

Terror

Am 30.10.1954 wurde ein FDJ-Ortssekretär aus dem Kreis Neustrelitz auf dem Wege zu einer FDJ-Versammlung von einer unbekannten Person überfallen. Er ist Kandidat der SED. Vor der Volkswahl erhielt er einen anonymen Drohbrief wegen seiner guten politischen Arbeit.

Am 2.11.1954 wurde ein KVP-Angehöriger auf dem Wege zum Bahnhof Zernitz, [Bezirk] Potsdam, von unbekannten Tätern niedergeschlagen. Er war in Uniform.

Ein Genosse aus der Warnow-Werft Warnemünde erhielt einen Drohbrief mit folgendem Inhalt: »In Doberan kamst Du noch davon. Diesmal wird es uns eine Wonne sein, dich bei Gelegenheit kalt zu machen. SS lebt noch.« Nach Aussagen des Genossen bezieht sich der Drohbrief auf einen Zusammenstoß mit SS und SA im Jahre 1933.

Diversion: Bei einem Traktor vom MTS-Stützpunkt Schönberg, Kreis Seehausen, [Bezirk] Magdeburg, wurde festgestellt, dass zwischen dem 1. und 2. Gang ein Stück Holz eingekeilt war. Täter unbekannt.

Gerüchte: Im Stadtgebiet von Zittau wird das Gerücht verbreitet, dass die Genn. Frida Hockauf19 in eine Diebstahlaffäre, die zzt. in der mechanischen Weberei untersucht wird, verwickelt sei. Die Genn. Hockauf ist zzt. krank.

Vermutliche Feindtätigkeit

Am 1.11.1954 wurde ein Scheunen- und Stallgebäude eines Mittelbauern in Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, durch einen Brand vernichtet. Dabei entstand ein Inventarschaden von ca. 10 000 DM. Ursache vermutlich vorsätzliche Brandstiftung.

Am 1.11.1954 brannte die Scheune des VEG Großbeeren, [Bezirk] Potsdam, ab, wobei 650 dz ungedroschenes Getreide verbrannten. Ursache: Vermutlich Brandstiftung.

Einschätzung der Situation

Zu den aktuellen politischen Fragen wird allgemein positiv Stellung genommen. Feindliche Argumente werden nur in geringem Umfang bekannt.

Zu wirtschaftlichen Problemen, besonders Mängeln in Handel und Versorgung, besteht weiterhin in einigen Kreisen und Bezirken Unzufriedenheit. Auf dem Lande sind die Ursachen der stellenweise vorhandenen Unzufriedenheit der Bauern meist örtlicher Natur und ganz verschiedenartig. Hier sind die feindlichen Argumente zzt. noch am häufigsten, besonders gegen die planmäßige Wirtschaft und Ablieferung.

Anlage 1 vom 3. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2356

Bericht über den Verlauf der Verhandlungen gegen die Gehlen-Agenten

Mit großer Aufmerksamkeit verfolgten die Zuhörer die vorgetragene Anklageschrift.20 Besondere Erregung und Empörung konnte festgestellt werden, als verlesen wurde, welche Stellung die Angeklagten innehatten und welche Bezahlung sie dafür erhielten. Dies steigerte sich noch bei der Nennung der Beträge, die sie für ihre verbrecherische Tätigkeit bei der Agentenorganisation Gehlen erhielten.

In der Pause nach der Verlesung der Anklageschrift wurden in Gruppen lebhafte Diskussionen geführt. Zum Beispiel brachten einige Personen zum Ausdruck, dass es notwendig sei, nach der Durchführung des Prozesses in den Betrieben ausführlich Bericht zu erstatten, um anhand dieser verbrecherischen Machenschaften hoher Verwaltungsfunktionäre die Belegschaft zu noch viel größerer Wachsamkeit zu veranlassen.

Eine andere Gruppe brachte zum Ausdruck, dass die Wachsamkeit ihres Betriebsschutzes noch viel zu wünschen übrig lasse. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter: »Der Betriebsschutz traut sich nicht an ›die oben‹ heran, diese werden überhaupt nicht kontrolliert. Deshalb können solche ungehindert Unterlagen aus dem Betrieb entwenden.«21

Starke Beachtung fand in der Pause das ausgestellte Beweismaterial. Unter anderem wurde begrüßt, dass durch dieses Material Aufschluss über die verbrecherische Tätigkeit dieser Agenten gegeben wird. Von einigen wurde erklärt, dass die Bevölkerung noch viel mehr durch Presse und Rundfunk über die Agententätigkeit aufgeklärt werden müsste.

Von einigen Arbeitern des RAW »J. W. Stalin«22 wurde bemängelt, dass sich die Delegationen aus den Betrieben zu sehr aus Parteimitgliedern zusammensetzen.

Als im Laufe der Vernehmung der Angeklagte Bandelow23 gefragt wurde, aus welchen Gründen er Agententätigkeit ausgeübt hat, und er erklärte, dass er bei 1 300 DM Monatsgehalt noch akuten Geldmangel hatte, löste dies im Saal große Unruhe und Empörung aus.

In der Pause nach der Vernehmung des Agenten Bandelow wurde von vielen Personen zum Ausdruck gebracht, dass dieser Verbrecher die höchste Strafe verdiene. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter aus dem Kabelwerk Oberspree, dass er diesen Verbrecher mit eigenen Händen erwürgen könnte, obwohl er sonst keiner Fliege etwas zu leide tun könnte.

Weiterhin bildete, genau wie am ersten Verhandlungstag, die ungenügende Wachsamkeit die Diskussionsgrundlage. Einige brachten ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck, wie es Bandelow gelingen konnte, das Material ungesehen aus dem Betrieb mitzunehmen. Man müsse sich etwas mehr um das Privatleben der leitenden Funktionäre kümmern. Andere wieder erklärten, dass die Wachsamkeit der Staatsorgane schon groß sei, aber noch verbessert werden muss. Das wurde damit begründet, dass bei der Vernehmung des Bandelow zu sehen war, wie nachlässig in den einzelnen Ministerien und den VEB wertvolle Unterlagen behandelt werden und dass keine Kontrolle darüber stattfindet. Kritisiert wurde auch die durch den Vortrag des Lebenslaufes des Bandelow zum Ausdruck kommende schlechte Kaderpolitik.

Einige Anwesende äußerten sich dahingehend, dass man durch diesen Prozess sehen kann, wie weit die Amerikaner und die von ihnen organisierten Geheimdienste mit ihren Kriegsvorbereitungen gehen.

Die Stimmung der Zuhörer war im Allgemeinen positiv. Negative Diskussionen wurden nicht festgestellt.

Anlage 2 vom 3. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2356

Auswertung der Westsendungen

In einer Hetzsendung mit dem bereits bekannten Inhalt zur Durchführung unserer Volkswahlen24 nimmt der Londoner Rundfunk25 zur Frage, ob passiven oder aktiven Widerstand, Stellung. Es heißt dazu: »Offener, aktiver Widerstand ist, durch den 17. Juni [1953] bewiesen, sinnlos … Schon oft habe ich vor aktivem Widerstand gewarnt, da er durch russische Panzer im Keime erstickt werden kann.« Als Beispiel für den passiven Widerstand wird vorgeschlagen, die HO zu boykottieren.

Den Bericht über die Erfüllung des Volkswirtschaftsplans im III. Quartal nimmt der Londoner Rundfunk zum Anlass, mit der Charakterisierung einzelner Zahlen die Bevölkerung zu beunruhigen. So wird z. B. im Zusammenhang mit der Feststellung, dass die Arbeitslöhne schneller gestiegen sind als die Arbeitsproduktivität, gesagt, dass sich »inflatorische Tendenzen« zeigen und es heißt weiter »… Die Inflationsgefahr wird weiter betont durch das stetige Ansteigen im Banknotenumlauf, das zu Beginn dieses Jahres eingesetzt hat …« Bei dieser Gelegenheit wird gleichzeitig wieder das schon mehrfach aufgetretene Gerücht geschürt, dass bei uns Banknoten mit besonderen Nummern im Umlauf sind.

Wiederholt beschäftigt sich der RIAS mit der Lage bei der Reichsbahn der DDR. Es werden u. a. Zahlen genannt, die einen sehr schlechten Stand der Güterzuglokomotiven beweisen sollen. Gefordert wird die Lieferung moderner, neuer Lokomotiven, guter Schmieröle und guter Steinkohle und »der Wiederaufbau des zweiten Gleises«.26

Die Sendungen der Westsender über die Lage in der Landwirtschaft verfolgen vor allem das Ziel, unsere Errungenschaften auf diesem Gebiet zu negieren. Die Hetze richtet sich dabei insbesondere gegen die LPG und die MTS. Gleichzeitig wird immer wieder versucht, das Bündnis der Arbeiterklasse und der werktätigen Bauernschaft durch lügnerische Behauptungen zu unterminieren. Die letzten Sendungen der Westsender beschäftigten sich im Einzelnen mit folgenden Fragen:

Eine Sendung des RIAS beschäftigt sich mit der »LPG-Hochschule« in Meißen. Nach einer verleumderischen Darstellung des Lehrplanes und der Zusammensetzung der Studenten hetzt der Sender über das Ziel der Lehranstalt. »…, dass die Meißner Schule für LPG-Funktionäre nicht dazu dient, den zukünftigen Kolchosfunktionären vernünftiges Wirtschaften beizubringen. … Diese Schule soll doch in erster Linie Menschen erziehen, die bereit sind, die angestrebte totale Beherrschung der Kolchosen durch die SED zu verwirklichen.«

RIAS hetzt gegen die Maschinen- und Traktorenstationen und fordert, dass diese dezentralisiert werden und die »neuen Großstationen« abgeschafft werden müssten. Im jetzigen Zustand wären sie keine Hilfe für die Bauern, da das Personal immer wechselt und die Station keine Bindung zu den Bauern habe. In verleumderischer Absicht heißt es dazu: »… Aber diese Dezentralisierung würde notwendigerweise eine engere Verbundenheit zwischen Traktoristen und selbstständigen Bauern herbeiführen und das ist nicht im Sinne der SED-Parteilinie. … Der Traktorist soll den Bauern bespitzeln und beide sollen sich gegenseitig misstrauen …«

Den Beginn des Monats für Deutsch-Sowjetische Freundschaft nimmt der RIAS zum Anlass, gegen sowjetische Neuerer-Methoden in der Landwirtschaft zu hetzen.29 Anhand von konstruierten Zahlen soll bewiesen werden, dass die Anwendung von Neuerer-Methoden keine höheren Erträge bringt und die Landbevölkerung soll beeinflusst werden, keine neuen Methoden anzuwenden.

Hetze gegen unsere Regierung hat eine Sendung des RIAS zum Ziel, die zur Frage der Bauarbeiten bzw. Reparaturen in der Landwirtschaft Stellung nimmt. Es wird von zahlreichen verfallenen bzw. verfallenden Gehöften gesprochen. »… Vor allem bei verlassenen Wirtschaften.« Die Gemeinden wären nicht in der Lage, auftretende Schäden zu beheben, da es vor allem an Material fehle. Zur »Beweisführung« benutzt der Hetzsender Artikel oder Notizen unserer demokratischen Presse, die über diesen oder jenen Missstand bei Reparaturarbeiten berichteten.

In einer Hetzsendung gegen die gesundheitliche Betreuung der Landbevölkerung spricht der RIAS von einer vollkommen ungenügenden Betreuung. Es wird von Ärztemangel, Fehlen von Fahrzeugen und Medikamenten gesprochen. Weiterhin wird in dieser Sendung gegen die Landambulatorien28 gehetzt und es heißt über den Zweck derselben: »… Der Kolchosangehörige, der Landarbeiter auf den volkseigenen Gütern und auf der MTS soll in Zukunft daran gehindert werden, zum Arzt zu gehen bzw. zu fahren, wenn es ihm passt und richtig erscheint. In Zukunft soll er möglichst solange arbeiten, bis der Arzt auf der MTS erscheint. … Die Einrichtung von Landambulatorien zielt wie vieles andere letztlich auf die weitere soziologische Umgestaltung des Dorfes ab. Sie ist ein Teil der Kollektivierung.«

RIAS fordert die werktätigen Bauern in einem Kommentar zur Verordnung über Mastverträge für Jungrinder auf,29 »bei Vertragsabschlüssen vorsichtig zu sein und überschüssiges Vieh lieber auf den freien Markt zu bringen«, da dies größere finanzielle Vorteile bringe und die HO nicht unterstütze, da bei den vertraglich gelieferten Fleisch »die HO Unsummen verdient«.

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