Zur Beurteilung der Situation in der DDR
4. November 1954
Informationsdienst Nr. 2357 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Gespräche über politische Tagesfragen sind weiterhin gering. Die Diskussionen über die Note der SU1 und die Verschacherung des Saargebietes2 haben gegenüber dem Vortage etwas abgenommen, wobei der Inhalt der gleiche geblieben ist. Auch sind die Diskussionen weiterhin überwiegend positiv. Verschiedentlich äußert man Zweifel über einen Erfolg der Note, wie z. B. ein Arbeiter des Buna-Werkes, [Bezirk] Halle: »Wenn auch die SU immer wieder neue Vorschläge macht, so werden die Westmächte genau wie früher auch diese Vorschläge nicht annehmen.«
Die Diskussionen über den Prozess gegen die sieben Agenten der Gehlen-Organisation3 haben etwas zugenommen. Die Diskussionen sind fast ausschließlich positiv. Man ist empört über die feindliche Tätigkeit der bezahlten Verbrecher. Oft bringen die Werktätigen in ihren Stellungnahmen zum Ausdruck, dass sie die höchste Strafe für diese Verbrecher fordern.4 So brachte z. B. ein Arbeiter (parteilos) wohnhaft in Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, zum Ausdruck: »Diese Menschen, die sich nach einem so furchtbaren Krieg wieder für derartige Zwecke missbrauchen lassen, sind wirklich die höchste Strafe wert. Es ist doch wirklich genug Elend über die Menschheit gekommen und man muss glücklich sein, nach einem solchen Chaos wieder normale Verhältnisse zu haben.«
Ein Kollege aus dem VEB Kinderwagenfabrik Zeitz, [Bezirk] Halle: »Solche Verbrecher müsste man direkt aufhängen, denn die hatten bestimmt alle gut bezahlte Stellungen und sind nicht auf die Bettelgroschen der Agentenzentralen5 angewiesen.«
Im VEB Volltuchwerk in Pößneck haben auf einer Kurzversammlung der Werke I und II 130 Frauen einstimmig eine Resolution angenommen, in welcher an das Oberste Gericht die Forderung gestellt wird, aufgrund der schweren und schädlichen Verbrechen, welche die Agenten begangen haben, das höchste Strafmaß in Anwendung zu bringen.
Ein Genosse aus dem VEB Holzverarbeitung in Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Solche Verbrecher, die gegen unsere Entwicklung arbeiten, müssten so hart bestraft werden, dass sie für immer unschädlich gemacht werden.«
Die Angestellten der Abteilung Arbeit im VEB Kammgarnspinnerei in Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, brachten zum Ausdruck: »Der Prozess gegen die sieben Gehlen-Agenten zeigt deutlich die Mordabsichten des westlichen Imperialismus gegen das deutsche Volk und gegen die Volksdemokratien. Wer zum Krieg schürt und Vorbereitungen trifft, dem muss man hart auf die Finger schlagen. Wir fordern für diese Verbrecher der Gehlen-Organisation die Todesstrafe.«
Ein parteiloser Dreher der Fa. Heidsieck Kamenz,6 [Bezirk] Dresden: »Man kann kaum glauben, dass Menschen in solchen Funktionen sich für Kriegszwecke hergeben.«
Ganz vereinzelt werden negative Stimmen zum Prozess gegen die Gehlen-Agenten bekannt.7 Eine Arbeiterin aus Bleicherode, [Bezirk] Erfurt: »Alles kann man nicht glauben, was in den Zeitungen geschrieben wird und Spionage wird im Westen wie im Osten getrieben.«
Verschiedentlich wird unter den Werktätigen über den Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft diskutiert.8 Oft werden Produktionsverpflichtungen und Verpflichtungen, neue Mitglieder für die Deutsch-Sowjetische Freundschaft zu werben, übernommen. Anlässlich des Monats der DSF verpflichtete sich eine Brigade des VEB Lederwaren Zeitz, [Bezirk] Halle, geschlossen der Gesellschaft der DSF beizutreten.
Die Jugendbrigade des [Wismut-]Schachtes 206 Annaberg,9 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, will in einer Schnellvortriebsstrecke den bestehenden Wismutvortriebsrekord überbieten. Desgleichen plant eine Brigade des Schachtes 21 in Annaberg einen neuen Wismutrekord im Vortrieb von 400 m zu schaffen.
Ganz vereinzelt wurden uns negative Stimmen zum Monat der DSF bekannt, wie folgende Beispiele zeigen. Ein parteiloser Arbeiter von der DHZ Lebensmittel Großenlupnitz,10 [Kreis] Eisenach, [Bezirk] Erfurt, sagte anlässlich des Monats der DSF: »Die russischen Soldaten benehmen sich nicht wie unsere Freunde, weil sie meinen Acker, der noch bestellt war, mit Panzern zerwühlten.«
In einer FDJ-Versammlung in […],11 [Bezirk] Erfurt, die anlässlich des Monats der DSF durchgeführt wurde, äußerte ein Jugendfreund: »Ich kann die SU nicht als meinen Freund ansehen. Was wir bis jetzt geschaffen haben, haben wir uns alles selbst geschaffen. Was haben denn hier die Bauern schon? Hier werden sie ständig gezwungen, abzuliefern, während die Bauern in Westdeutschland frei wirtschaften können.«
Eine Angestellte des Kaliwerkes Glückauf Sondershausen, [Bezirk] Erfurt (parteilos): »Warum nur immer so ein großer Ruß gemacht wird.12 Der beste Freundschaftsdienst wäre, wenn sie ihre Truppen nach Hause nehmen würden, dann würde unser Leben leichter.«
Arbeitsniederlegung
Am 29.10.1954 legten 40 Bauarbeiter des Kreisbaubetriebes Wurzen, [Bezirk] Leipzig, welche im VEB Steingut in Colditz arbeiten, von 13.00 bis 17.00 Uhr die Arbeit nieder. Der Grund der Arbeitsniederlegung: Die Bauarbeiter forderten seit längerer Zeit eine höhere Abschlagszahlung für jeden Freitag und am Ende des Monats die Restzahlung. Diese geforderte Änderung wurde den Arbeitern zugesagt, aber nicht eingehalten. Die Arbeit wurde am 30.10.[1954] wieder aufgenommen.13
Am 27.10.1954 wurde in der Modellschneiderei Känel Jena, [Bezirk] Gera, ein Sitzstreik der Belegschaft (40 Frauen und vier Männer) durchgeführt. Die Ursache war eine Akkordveränderung durch den Betriebsinhaber, der durch Abstoppen der Arbeitszeiten den Akkordsatz um ca. 25 bis 50 Prozent reduzierte.
In der Volkswerft »Ernst Thälmann« Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, ist unter den Kollegen eine schlechte Stimmung, die durch die Wartezeiten hervorgerufen wurde. Die Wartezeiten sind auf Auftragsmangel zurückzuführen. Die Arbeiter sind der Meinung, dass die Ursache des Auftragsmangels darin zu suchen ist, weil die Reparaturstunde in der Werft zu viel kostet. Mehrere Arbeiter meinten: »Wenn in anderen Werften die Reparaturstunde DM 3,50 kostet und bei uns 6,80 DM, so ist es kein Wunder, dass die Werft keine Reparaturarbeiten mehr erhält.« Der Leiter der Werft in Brandenburg hatte den Belegschaftsmitgliedern versprochen, mit ihnen über die Produktionslage der Werft zu sprechen. Da er aber sein Versprechen bisher noch nicht eingehalten hat, diskutieren die Arbeiter wie folgt: »Bei den leitenden Wirtschaftsfunktionären stimmt ja das Geld, aber um uns sorgt sich niemand.«
In letzter Zeit treten unter der Feuerwehr im Wismutgebiet immer wieder Missstimmungen in Erscheinung, die sich darauf beziehen, dass die Feuerwehr ab 15.12.1954 der VP untergliedert werden soll. Mit dieser Untergliederung glauben die Kollegen, sich wirtschaftlich zu verschlechtern (Entlohnung, Wegfall der Prämien usw.). Eine Ursache für die schlechte Stimmung ist auch darin zu suchen, dass noch keine genaue Klärung in dieser Angelegenheit erfolgte.
Auf der Baustelle Drewitz, [Bezirk] Cottbus, werden unter den Bauarbeitern starke Diskussionen geführt über die Kündigungen. Auf der Baustelle wurde einer größeren Anzahl von Kollegen gekündigt, wobei es sich um Facharbeiter und sozial nicht besonders gut gestellte Personen handelt. Weiter wurde bekannt, dass noch etwa 400 Mann entlassen werden sollen, trotzdem die Leitung weiß, dass die Pläne nicht erfüllt werden.
Kohlenmangel
Der VEB Tonwerke Haselbach, [Bezirk] Leipzig, benötigt zur Aufrechterhaltung seiner Kapazität und zur Erfüllung seines Planes täglich ca. 8 t Braunkohlenbrikett. Wenn der Betrieb keine Braunkohlenbrikett erhält, ist er gezwungen, am 4.11.[1954] die Produktion einzustellen. Alle Bemühungen des stellvertretenden Betriebsleiters, Briketts zu bekommen, waren bisher ohne Erfolg.
Produktionsstörung
Am 1.11.1954 brach die 1 000- und 600-Wasserleitung zu den Öfen im EKS Stalinstadt.14 Die Leitung befindet sich 4 m unter der Erdoberfläche. Es besteht die Gefahr, dass sämtliche Öfen im EKS stillgelegt werden müssen.
Handel und Versorgung
Die teilweise unzureichende Versorgung, die häufig Anlass zu Unzufriedenheiten ist, macht sich wie folgt bemerkbar.
In verschiedenen Kreisen des Bezirks Halle klagt man über den Mangel an Eiern und in der Stadt Köthen, [Bezirk] Halle, über das Fehlen von Fischkonserven und Räucherfleisch.
In Triebes, Kreis Zeulenroda, [Bezirk] Gera, und in der Stadt Bautzen, [Bezirk] Dresden, herrscht Missstimmung über die schleppende Versorgung mit Einkellerungskartoffeln.
Im Kreis Suhl, besonders in der Gemeinde St. Kilian, hat der größte Teil der Bevölkerung noch keine Kohlen erhalten.
Klagen über das Fehlen von Ersatzteilen für Fahrräder, insbesondere Fahradbeleuchtung (Dynamos) und Fahrradketten (5/8), kommen aus den Kreisen Weißwasser, Calau und Spremberg, [Bezirk] Cottbus.
In Saßnitz, [Bezirk] Rostock, beklagt man sich, dass im Konsum Butter, Schmalz und andere Fette in Packpapier eingewickelt werden, während die Privathändler Pergamentpapier verwenden.
Bestände an Schuhen im Werte von 350 000 DM, für die es keine Absatzmöglichkeit gibt, lagern in der HO Industriewaren des Kreises Neuruppin, [Bezirk] Potsdam. Desgleichen lagern dort noch größere Mengen nicht absetzbarer Textilien.
Im Kreis Zittau, [Bezirk] Dresden, lagert echter Pfeffer für ca. 40 000 DM, der wegen zu hohem Preis (5 g = DM 1,00) nicht verkauft wird. Wegen der begrenzten Würzkraft (bis Ende des Jahres) besteht die Gefahr des Verderbs.
Landwirtschaft
Die Stellungnahmen zur neuen Sowjetnote sind nur noch vereinzelt. Neben den positiven Meinungen mit dem bereits bekannten Inhalt sind teilweise pessimistische zu verzeichnen, die den Erfolg der neuen Sowjetvorschläge wegen des Verhaltens der Westmächte bezweifeln. Eine Bäuerin (parteilos) aus Hausdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt sagte: »Es sind doch schon so viele Noten gewechselt worden und bis heute hat sich noch nichts geändert. Ich habe den Eindruck, als wäre das alles Wind, denn diese machen doch, was sie wollen.«
Über den Prozess gegen die Gehlen-Organisation wird wenig gesprochen, aber meist positiv. Dabei fordert man die höchsten Strafen.
Ein Mitglied der LPG in Hausdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Man sollte es nicht glauben, dass selbst in den höchsten Stellen Menschen sitzen, welche sich für die verbrecherische Tätigkeit des Westens hergeben. Sie haben doch bestimmt in der DDR gut verdient und selbst gesehen, dass es wieder vorwärtsgeht. Mit solchen Strolchen sollte man kein Erbarmen haben, sondern ihnen die höchste Strafe aufbrummen. Das Richtige für diese Lumpen wäre die Todesstrafe.«
Ein Bauer aus Groß Pankow, Kreis Parchim, [Bezirk] Schwerin: »Die Gehlen-Bande darf nicht das Tageslicht erblicken, weil sie den Aufbau in der DDR gefährden.«
In einer Kurzversammlung der MTS Setzin, [Kreis] Hagenow, [Bezirk] Schwerin, forderten die Belegschaftsangehörigen ebenfalls die strengste Bestrafung. Der technische Leiter der MTS erklärte: »Diese Elemente wollen einen neuen Krieg vorbereiten. Wir müssen nicht nur diese Subjekte entlarven und hart bestrafen, sondern wir müssen wachsamer werden, damit diese Verbrecher nicht das zerstören, was wir aufgebaut haben.«
Zu negativen Äußerungen über diesen Prozess kam es im VEG »August Bebel«, Kreis Quedlinburg, [Bezirk] Halle, wo unter den Melkern über die sieben Gehlen-Agenten diskutiert wurde. Sie sagten: »Wir können an diesem Prozess nichts Besonderes finden. Eine Agententätigkeit ist doch eine Sache der Gegenseitigkeit, wo einer versucht, dem anderen Schaden zuzufügen.«15
Im Mittelpunkt des Interesses steht zzt. die Bergung der Hackfrüchte noch vor dem Einbruch des Frostes, wobei sich einige Mängel zeigen. Teilweise fehlt es an Arbeitskräften. So stehen z. B. auf den Feldern des VEG Kampf, [Bezirk] Magdeburg, noch 40 ha Rüben, die wegen Arbeitskräftemangel nicht gerodet werden können. Ähnliche Schwierigkeiten gibt es in den Bezirken Neubrandenburg und Rostock.
Mit der beginnenden kalten Jahreszeit kommen häufiger Klagen über die nicht durchgeführten Stallbauten. In der LPG Hönow z. B. sind 30 Färsen jetzt noch auf der Koppel untergebracht. Im VEG Wesendhal16 reichen die Stallungen nicht aus, um 1 000 Schafe unterzubringen (Frankfurt/O.).17 Ähnliche Schwierigkeiten sind in der LPG »Ernst Thälmann« in […]18 sowie in den LPG Nieder Seifersdorf, Herrnersdorf und Höhnersdorf,19 Kreis Niesky, [Bezirk] Dresden. Dort fehlt es für die Fertigstellung der Schweineställe an Zement.
Oft können LPGen zum Typ III20 nicht übergeben, weil es an Stallungen für eine gemeinschaftliche Viehhaltung fehlt (Bez[irk] Frankfurt). Ebenfalls wegen Materialschwierigkeiten können die Wohnungen für Landarbeiter im VEG Kobrug,21 [Kreis] Sternberg, [Bezirk] Schwerin, nicht fertiggestellt werden, worüber eine große Missstimmung herrscht.
Häufig klagen MTS über Maschinen schlechter Qualität, wie z. B. die MTS im Kreis Seelow, [Bezirk] Frankfurt, wo die neugelieferten Kartoffelroder bereits nach 3-tägigem Einsatz solche Mängel aufzeigten, dass sie nicht mehr eingesetzt werden konnten und die MTS gezwungen war, sich von großbäuerlichen Betrieben Kartoffelroder auszuleihen.22
Am 3.11.[1954] mussten im Schweinekombinat »Machhütte« in Zwickau23 ca. 800 Schweine notgeschlachtet werden. Die genauen Ursachen der Erkrankung sind zzt. noch nicht bekannt. Nach Angaben der Tierärzte scheiden jedoch Schweinepest und Rotlauf aus.
Im VEG »Otto Schlag« im Kreis Hohenmölsen,24 [Bezirk] Halle, wurde ein Waggon Saatkartoffeln für die BHG Großgrimma ausgeladen, der von der DSG Wismar abgesand war. Die Kartoffeln sind zum Planwechsel bestimmt, aber jetzt schon zu 40 bis 50 Prozent verdorben, sodass sie als Saatkartoffeln nicht benutzt werden können. Die Kartoffeln waren nicht ausgelesen und von der DSG Wismar ist es unverantwortlich, Saatgut in solchem Zustand zu liefern.
In den Gemeinden Schlemmin und Kritzow, Kreis Lübz, [Bezirk] Schwerin, wurde statt Hochzuchtroggen Konsumroggen von der DSG Parchim geliefert (zur Winteraussaat). Dies und die Maßnahme, für den irrtümlich ausgegebenen Konsumroggen 50 Prozent zurückzugeben, hat unter den Bauern große Verärgerung hervorgerufen, weil sie dadurch zusätzlich Transportkosten übernehmen sollen.
Übrige Bevölkerung
Nach wie vor wird unter der übrigen Bevölkerung wenig zu politischen Tagesfragen Stellung genommen. Zum Beispiel wird über die Note der SU nur noch ganz vereinzelt gesprochen, jedoch überwiegend positiv. Der Inhalt gleicht dem der Vortage. Zum Beispiel sagte ein Elektromeister (parteilos) aus Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg: »Nur gemeinsam mit der Sowjetunion können wir den Frieden erhalten und deshalb begrüße ich auch die neue Note. Gerade wir als Handwerksmeister haben durch den ständigen Aufbau unsere Existenz wiedergewonnen, die uns durch den Faschismus verloren gegangen war.«
Eine Hausfrau aus Frankfurt: »Die Note der SU gibt uns die Möglichkeit, noch in diesem Jahr zu einem Friedensvertrag zu kommen. Vonseiten der Westmächte wird man aber alles daran setzen, um diese Vorschläge zu sabotieren, damit Deutschland noch weitere Jahre gespalten bleibt.«
Teilweise werden auch Zweifel daran gehegt, dass die Außenministerkonferenz zustande kommt, da die Vorschläge der SU nicht in die Pläne der Westmächte passten. Zum Beispiel sagte ein Einwohner aus Merkers, [Bezirk] Suhl: »Die Außenministerkonferenz im November wird nicht zustande kommen, da die Westmächte die Verträge von Bonn und Paris25 unterschrieben haben und kein Interesse zeigen werden, Verhandlungen mit der SU zu führen.«
Die im geringen Umfang bekannt gewordenen Stellungnahmen zum Prozess gegen die Gehlen-Agenten sind ausschließlich positiv. In den Äußerungen wird zum Ausdruck gebracht, dass diese Verbrecher die höchste Strafe verdient haben. Einige führten aus, dass dieser Prozess zeigt, dass die Wachsamkeit bedeutend erhöht werden muss. Zum Beispiel äußerte ein Angestellter von Rat der Stadt Treuenbrietzen, [Bezirk] Potsdam: »Man muss doch staunen, dass sich immer noch solche Strolche bei uns in der DDR herumtreiben. Diesen Banditen müsste endlich das Handwerk gelegt werden. Es ist immer wieder zu sehen, dass höhere Funktionäre dabei sind, die in guten Stellungen saßen und sich diesen schmutzigen Machenschaften der Amerikaner hingeben.«
Ein Einwohner aus Weißenfels, [Bezirk] Halle: »Dieser Prozess zeigt, mit welchen Methoden man versucht, gegen unsere DDR vorzugehen. Es gilt deshalb für jeden Einzelnen, noch wachsamer als bisher zu sein und dadurch unseren Aufbau zu schützen. Diesen Agenten muss die härteste Strafe treffen. Für solche Verbrecher, die das deutsche Volk verraten haben, darf man keine Milde walten lassen.«
Eine Jugendliche aus Sangerhausen, [Bezirk] Halle: »Ich hätte nie geglaubt, dass es Menschen gibt, wie diesen Bandelow,26 mit einem Monatsgehalt von 1 300 DM und einer gehobenen Stellung, die sich zu solch einer verbrecherischen Tätigkeit hergeben und mit dazu beitragen, einen Dritten Weltkrieg vorzubereiten. Solche Menschen können nicht hart genug bestraft werden.«
Der Leiter der Berufsschule in Jüterbog, [Bezirk] Potsdam: »Hoffentlich erhalten diese Banditen die entsprechende Strafe, damit sich die herumlaufenden Banditen besinnen können.«
Ein Handwerker aus Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin: »Ich habe bisher nicht geglaubt, dass es so etwas bei uns in der DDR gibt. Durch den Fall [Name] im Kreis Ludwigslust27 und dem jetzigen Berliner Prozess wurden mir die Augen geöffnet.«
Ein Pfarrer aus dem Kreis Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt: »Man kann diese Personen nicht als Menschen bezeichnen, sondern als Verbrecher, denn sie führten einen Angriff gegen die Menschheit und halfen, einen neuen Krieg vorzubereiten.«
Im Bezirk Frankfurt wird noch immer unter den Pfarrern stark über den Entwurf des neuen Familiengesetzes diskutiert.28 In diesen Diskussionen wird zum Ausdruck gebracht, dass man dagegen einen Kampf führen müsste. Zum Beispiel haben sich im Kreis Eberswalde aus diesem Grunde evangelische und katholische Pfarrer zu einem Arbeitskreis zusammengeschlossen.
In den Kreisen der Handwerker wird immer wieder über eine ungenügende Materialzuteilung geklagt. In den Kreisen Guben und Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus, klagen darüber die Tischler. Es fehlt dort vor allem an Fensterglas und Baubeschlägen.
Im gleichen Bezirk klagen die Tapezierer und Polsterer darüber, dass sie in diesem Jahr trotz mehrmaliger Vorsprachen beim Ministerium noch nicht 1 m Polsterer- bzw. Dekorationsstoff als Zuteilung erhalten haben.
Im Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, besteht unter den Tierärzten eine gewisse Unzufriedenheit, da ihrer Meinung nach, die tierärztlichen Instrumente von den betreffenden Fabriken nicht sorgfältig genug hergestellt werden. Zum Beispiel äußerte dazu ein Tierarzt aus Meyenburg, dass er einen Korkert29 nur einmal verwenden könnte, weil schon danach die Verchromung abging und der Korkert rostete. »Mit solchen Instrumenten könne man kein Vieh behandeln, darüber könnte man keine Verantwortung übernehmen.«
In der letzten Zeit wurde von großen Teilen der Bevölkerung im Bezirk Leipzig über den »Fall Fridolin« gesprochen. Zum Beispiel herrscht unter der Bevölkerung von Brandis ein großer Angstzustand, da eine unbekannte Person nachts mit Nachschlüsseln vorwiegend in Wohnungen von alleinstehenden weiblichen Personen eindringt, deren Wäsche verunreinigt und mit Salzsäure bespritzt. Dabei hinterlässt er einen Zettel mit der Aufschrift »Das war Fridolin«.30
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:31 Suhl, Kreis Schmalkalden, 5 000, Frankfurt/Oder 2 000, Rostock 300, Wismutgebiet einzelne.
NTS:32 Suhl, Kreis Schmalkalden, 4 000, Erfurt 1 500, Schwerin 170, Gera einige.
Unbek[annter] Herkunft: Cottbus, Kreis Luckau, 40 000 (alte Ausgabe, gegen Volkswahlen).
In Oppach, Kreis Löbau, [Bezirk] Dresden, wurde vor der Tür eines Genossen ein selbstgefertigter Hetzzettel gegen die Volkswahl aufgefunden. Ein gleiches Exemplar wurde in Spreedorf,33 Kreis Löbau, gefunden.
Die Mehrzahl der Hetzschriften wurde sichergestellt.
Im VEB Flachsspinnerei Hainitz, [Bezirk] Dresden, wurden in der Toilettenanlage fünf Hakenkreuze in die Wand eingekratzt.
Diversion
In der Nacht vom 30. zum 31.10.1954 wurde auf der Flur Limbach, Kreis Freital, [Bezirk] Dresden, eine Drillmaschine eines Bauern unbrauchbar gemacht. Außerdem wurde von einer Walze ein Rad gelockert. Täter unbekannt.
In der Buntweberei Seifhennersdorf, Kreis Zittau, wurden am 3.11.[1954] mit einem spitzen Gegenstand in ca. 1 000 m Kleiderstoff Löcher eingestochen.
Gerücht
In der Gemeinde Nennhausen und Umgebung, Kreis Rathenow, [Bezirk] Potsdam, wird ein Gerücht verbreitet, wonach sich nachts eine Person dort herumtreibt, die die Einwohner belästigt. In diesem Ort besteht darüber eine gewisse Angstpsychose. Niemand traut sich deshalb abends auf die Straße.
Einschätzung der Situation
Allgemein werden die höchsten Strafen gegen die sieben Gehlen-Verbrecher gefordert, man erkennt dabei aber noch zu wenig die aktive Kriegsvorbereitung der USA und der Adenauer-Clique. Sonst ergeben sich keine wesentlichen Veränderungen.
Anlage vom 4. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2357
Bericht über den Verlauf der Verhandlungen gegen die Gehlen-Agenten
Wie bereits gestern berichtet,34 war während des Verlaufes der Vernehmung des Angeklagten Bandelow mehrfach Empörung unter den Zuhörern über seine Aussagen festzustellen. Als z. B. Bandelow bei Schilderung seines Lebenslaufes vorbrachte, dass er gegen den Faschismus war, weil Hitler Krieg bedeutete, musste der Vorsitzende die Zuhörer zur Ruhe ermahnen, weil sie offen gegen diese Aussage protestierten. Eine weitere Erregung entstand, als er angab, dass er seine verbrecherische Tätigkeit durchführte, um sich im Falle eines Krieges im Westen eine gute Position zu sichern.
In den Pausen wurde lebhaft über die Aussagen Bandelows diskutiert. Über die Einstellung von Bandelow zu seinem Gehalt, von monatlich 1 300 DM, die angeblich nicht ausreichten, sagte ein Arbeiter des VEB Kältemaschinen-Werkes:35 »Diese Lumpen wollen mit dieser Summe nicht auskommen, sie haben keine Ahnung mehr, wie es einem Arbeiter zumute sein kann, der 300 DM monatlich verdient und dazu noch eine Familie mit mehreren Kindern unterhalten muss. Der Arbeiter tut dabei alles, was in seinen Kräften steht, um den Aufbau zu fördern, und diese Strolche hatten nebenbei noch Zeit, Nebenaufträge für andere Firmen zu erledigen und Verrat in solchem Ausmaß zu begehen. Das ist ein Beweis, dass die Arbeiter bisher die Kontrolle noch nicht so ausübten, wie sie gefordert wird. Ich verstehe nur nicht, wie es möglich ist, einen solchen Strolch in der Partei nicht zu erkennen.«
Ein anderer Arbeiter erklärte, dass aufgrund der mangelnden Arbeitskontrolle in den Ministerien, VEB usw. es den Agenten erleichtert ist, ihre Schädlingsarbeit durchzuführen. Aus diesem Prozess müssten nun endlich die Schlüsse gezogen werden.
Eine Gruppe Arbeiter diskutierte dahingehend, dass sie die schändliche Rolle der Gehlen-Organisation erst jetzt richtig erkannt haben. Sie hoben dabei besonders hervor, dass nur moralisch verkommene Subjekte zu solchen Verbrechen fähig sind, wie der Angeklagte Bandelow. Sie waren sehr empört, dass dieser, Mitglied der SED gewesen ist. Sie schlossen daraus, dass die Parteileitung des Staatssekretariats für Verkehr, Hauptabteilung Brücken, ungenügend auf die Erziehung der Genossen einwirkt und keine Überprüfung der verantwortlichen Mitarbeiter der Hauptabteilung vornimmt. Auch die Wachsamkeit des Betriebsschutzes des Staatssekretariats wurde kritisiert, denn wie wäre es sonst möglich gewesen, dass der Angeklagte Zeichnungen und Schriftstücke mit in seine Privatwohnung nehmen konnte.36
Ein Arbeiter aus dem VEB Kälte-Werk erklärte: »Man muss noch mehr Wert darauf legen, die Hintermänner zu entlarven. Ich will nach der Prozessführung in meinem Betrieb die Kollegen über die verbrecherische Rolle der Amerikaner, die in dem Prozess als Geldgeber entlarvt wurden, aufklären. Leider gibt es bei uns sehr viele, die gleichgültig den Machenschaften der Kriegstreiber gegenüberstehen, weil es ihnen zu gut geht.«
In vielen Diskussionen wurde immer wieder zur mangelnden Wachsamkeit Stellung genommen und daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass bei einer richtigen Kontrolle derartige Verbrechen nicht vorkommen können.