Zur Beurteilung der Situation in der DDR
9. November 1954
Informationsdienst Nr. 2362 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Diskussionen über politische Tagesfragen sind weiterhin gering. Bei den wenigen Diskussionen steht der Prozess gegen die sieben Agenten der Gehlen-Organisation im Mittelpunkt.1 Der Inhalt der Diskussionen hat sich gegenüber dem Vortage nicht verändert. Man bringt immer wieder zum Ausdruck, dass solche Menschen, die zur Vorbereitung eines neuen Krieges beitragen, die härteste Strafe erhalten müssten.
Ganz vereinzelt werden negative Diskussionen bekannt. Ein parteiloser Arbeiter aus dem VEB Presska Sebnitz,2 [Bezirk] Dresden: »Vor zwei Jahren wurden Unterschriften für die Rosenbergs gesammelt, damit sie nicht auf den elektrischen Stuhl kommen.3 Das sind Amerikaner gewesen. Heute soll man für seine eigenen Brüder und Schwestern das Todesurteil unterschreiben, damit man sie ermorden kann.«
Ein Kohlenförderer aus Freital, [Bezirk] Dresden: »Ich vertrete die Meinung, dass der Gehlen-Prozess eine aufgezogene Sache ist und man will dadurch nur Hass gegen Westdeutschland schüren. Die verhafteten Personen wird es wahrscheinlich gar nicht geben, oder es sind gekaufte Objekte.« Er erwähnte das Beispiel, dass ein Angeklagter nach Befragen gesagt hat, dass er das Geld in Westberliner Nachtlokalen verbummelt habe und ungezählte Frauen hatte. Dies erschien ihm unvorstellbar.
Ein Arbeiter aus Herda, [Kreis] Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Man darf nicht alles glauben, was die Zeitungen schreiben.«
Eine parteilose Arbeiterin aus Hohenstein-Ernstthal: »Mir ist die Sache mit dem Gehlen-Prozess nicht recht verständlich. Die Agentenaussagen sind nicht ganz echt, weil sie alles so offensichtlich verraten. Vor allem zeigen die Angeklagten keine Gemütsbewegung und keine Reue. Das zeigt doch, dass die vorher schon kirre gemacht wurden bzw. dass es überhaupt keine Agenten sind, sondern die ganze Sache nur ein Theater ist.«
Von den Werktätigen werden zum Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft zahlreiche Selbstverpflichtungen übernommen.4 Ein Hüttenmeister vom VEB West-Glas Gieshübel, [Bezirk] Suhl, verpflichtete sich, aus Anlass des Monats der DSF die ungelernten Arbeiter zu qualifizieren und zu guten Glasmachern heranzubilden.
Ein parteiloser Brigadier aus dem VEB Maschinenbau Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, verpflichtete sich, innerhalb seiner Abteilung die Kollegen vollzählig für die DSF zu werben.
Im staatlichen Straßenunterhaltungsbetrieb Cottbus sollen Mitte November ca. 200 Belegschaftsmitglieder entlassen werden, da bis Jahresende keine finanziellen Mittel mehr zur Verfügung stehen würden. Unter der Belegschaft wird diskutiert, dass dies eine Auswirkung der Wettbewerbe sei. Man habe bei den Wettbewerben zu schnell gearbeitet und damit auch zu viele Mittel ausgegeben.
Über die Lohnfrage wurde unter den Rangierern des Bahnhofs Cottbus negativ diskutiert. Man ist mit dem Lohn unzufrieden. Verschiedene Kollegen haben deshalb ihr Arbeitsverhältnis gekündigt.
Seit der Einführung des neuen Winterfahrplanes werden besonders unter den Henningsdorfer Arbeitern, [Bezirk] Potsdam, immer wieder Missstimmungen über den Ausfall bzw. die Verspätung von Zügen laut. So mussten z. B. am 1.11.1954 auf der Strecke Falkensee – Nauen in Falkensee die Arbeiter den Zug verlassen, weil dieser umgewechselt wurde. Dadurch erreichten sie ihre Anschlusszüge in Nauen nicht mehr. Unter den Arbeitern wurde zum Ausdruck gebracht: »Wenn das das erste Mal wäre, wollte man nichts sagen. Aber das kommt ja fast regelmäßig vor, sei es bei der Hin- oder bei der Rückfahrt.«
Kohlenmangel
Im VEB Segeltuchweberei Pulsnitz, [Bezirk] Dresden, stehen nur noch für drei Tage Kohlen zur Verfügung. Wenn durch die DHZ Kohle Senftenberg nicht sofort Kohle geliefert wird, muss die Produktion eingestellt werden.
Im VEB Textil- und Gummiwerk Neugersdorf, [Bezirk] Dresden, musste durch Ausfall eines Kessels die Feuerung auf Brikett umgestellt werden. Es wurden 350 t angefordert, jedoch nur 240 t geliefert. Zur Aufrechterhaltung der Produktion benötigt der Betrieb dringend weitere 110 t.
Materialschwierigkeiten
Im VEB Mila Brand-Erbisdorf,5 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sind in letzter Zeit große Materialschwierigkeiten aufgetreten. Das Werk ist das einzige in der DDR, welches Motorradlenker herstellt. Vom Ministerium wurde dem Werk versprochen, das erforderliche Material freizugeben, jedoch ist das Material noch nicht eingetroffen. Eine reibungslose Produktion ist dadurch nicht gewährleistet.6
Der VEB Schuhfabrik Löbau erhielt vom VEB Lederfabrik Coswig Boxcalfleder geliefert. Bei der Verarbeitung wurde festgestellt, dass die Farbe abbricht, das Leder auf den Schuhen einfällt und sich wie Papier reißen lässt. Die weitere Verarbeitung dieses Leders wurde eingestellt.7
In dem VEB Glashütte Drebkau, [Bezirk] Cottbus, mangelt es an Glasmacherpfeiffen.
Im VEB Landmaschinenwerk Barth, [Bezirk] Rostock, fehlen immer noch alle Sortimente an Rundeisen, Winkelstahl, Bunt- und Flachstahl und Bleche. Dadurch ist die Planerfüllung bei der Herstellung von Düngerstreuern gefährdet.8
Der Privatbetrieb Flemming Berlin-Niederschönhausen,9 welcher wichtige Exportaufträge für die Volksrepublik Polen und die SU zu erfüllen hat, hat große Materialschwierigkeiten. Die Materialschwierigkeiten wirken sich nach Aussage der BGL so aus, dass Entlassungen vorgenommen werden müssen (VP-Bericht).
Produktionsstörung
Am 7.11.1954 wurde die Stromversorgung des VEB Zellstoffwerkes Gröditz, [Bezirk] Dresden, durch Ausfall des Trafos unterbrochen. Da der Trafo bereits 25 Jahre im Betrieb ist, liegt die Ursache in Überalterung.
Durch einen Schlotbrand im Vortrockner des BKW »Friedenswacht«, [Kreis] Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, entstand ein Produktionsausfall von 500 t Brikett.
Im VEB Ziegelei Großräschen, [Bezirk] Cottbus, entstand im Transformator ein Brand, welcher einen Schaden von ca. 5 000 DM verursachte.
Handel und Versorgung
Unzufriedenheit verursacht immer wieder die teilweise unzureichende Versorgung und macht sich wie folgt bemerkbar.
Aus dem Kreis Döbeln, [Bezirk] Leipzig, kommen Klagen, dass nach der Preissenkung10 HO-Margarine, Schlachtfette, Öl, Fleisch-, Fisch-, Süßwaren und Käse zur Mangelware geworden sind. Ein weiterer Mangel im Bezirk Leipzig ist die Kartoffelversorgung. Einige Verkaufsstellen haben seit längerer Zeit und der Konsum in Meuselwitz, [Kreis] Altenburg, bereits seit drei Wochen keine Kartoffeln zum Verkauf erhalten.
Ähnliche Mängel sind in anderen Bezirken. Im Bereich Schwerin (Stärkeerzeugnisse – Kindernährmittel, Fischkonserven). Im Kreis Spremberg, [Bezirk] Cottbus (Süßwaren, Tee). In der Stadt Thale (Kohlen). In Thale stockt die Belieferung mit Kohlen bereits seit acht Wochen, worüber sich besonders die Kumpel des EHB11 empören und eine Maßnahme von höheren Stellen fordern. Im Bezirk Potsdam (Winterbekleidung).
Landwirtschaft
Zu den Diskussionen über politische Tagesfragen ist keine wesentliche Veränderung zu verzeichnen. Im Mittelpunkt des Interesses steht nach wie vor der Prozess gegen die Gehlen-Organisation. Die Stellungnahmen sind überwiegend positiv und stammen hauptsächlich aus dem sozialistischen Sektor. Bis auf wenige Ausnahmen werden die Gehlen-Verbrecher aufs Schärfste verurteilt und allgemein die höchstzulässige Strafe gefordert. In fast allen Diskussionen und in einer Reihe von Entschließungen aus den MTS und LPG wurde diese Forderung ausdrücklich unterstrichen.
Feindliche Meinungen wurden nur vereinzelt bekannt. Ein werktätiger Bauer aus Bohne,12 [Kreis] Zerbst, [Bezirk] Magdeburg, sagte: »Da macht man den armen Leuten solch einen Prozess und dabei wollen sie doch bloß helfen, ein richtiges Deutschland zu schaffen.«
Ein Handwerker aus der MTS Nostitz, [Bezirk] Dresden: »Am Gehlen-Prozess sieht man wieder, wie die in den höchsten Stellen arbeiten. Die das meiste Geld verdienen, sind die größten Verbrecher. Warum hat man denn nicht die Parteizugehörigkeit in der Zeitung geschrieben?«
In der Gemeinde Jeggeleben,13 [Kreis] Kalbe/Milde, wurde vor Kurzem ein feindliches Element inhaftiert.14 Der Genosse Leiter der BHG aus Jeggeleben machte dem Bruder des Inhaftierten den Vorschlag, Unterschriften für die Freilassung seines Bruders zu sammeln, »weil dies schon öfter Erfolg hatte«. Er diktierte anschließend selbst seiner Sekretärin das Gesuch auf Freilassung in die Maschine. Der Bruder sammelte dann in den einzelnen Häusern insgesamt 76 Unterschriften, hauptsächlich bei Großbauern und deren Familienangehörigen. Einige Mitglieder der SED unterzeichneten ebenfalls das Gesuch.
Teilweise bestehen Schwierigkeiten bei der Hackfruchternte und Winteraussaat, worüber Missstimmung herrscht. In verschiedenen MTS des Bezirkes Cottbus z. B. fehlen Batterien und Regler für Traktoren, sodass beispielsweise auf der MTS Klöden, Kreis Jessen, die Schichtfahrer für das 2. Schichtsystem nicht eingesetzt werden können.
Die Zuckerfabrik Brottewitz, Kreis Liebenwerda, nimmt zzt. keine Zuckerrüben an. Die Bauern des Kreises Liebenwerda können ihre Felder deshalb nicht restlos räumen.
Infolge Arbeitskräftemangels wurden auf der LPG Benndorf und Baumgarten, [Kreis] Bützow,15 [Bezirk] Schwerin, Schulkinder bei der Hackfruchternte eingesetzt. Diese Genossenschaften unterschätzen jedoch die Bedeutung der Kinderarbeit. Das zeigt sich vor allem darin, dass den Kindern von ihrem verdienten Geld SVK abgezogen wird und zum anderen, dass nicht für den rechtzeitigen Abtransport der Kinder gesorgt wird, sodass diese noch oft bis 21.00 Uhr auf den Feldern warten.
In der Gemeinde Poseritz, [Kreis] Putbus, [Bezirk] Rostock, betreibt man eine Hetze gegen den LPG-Vorsitzenden, indem man das Gerücht verbreitet, er besitze das 7. Buch Moses.16 Man solle ihn meiden und sich nicht in der Gastwirtschaft mit ihm zusammensetzen. Die LPG steht wirtschaftlich sehr gut und auch die Stimmung ihrer Mitglieder ist gut. Man versucht mit diesen Gerüchten die LPG zu zersetzen.
Im Bezirk Rostock geht die Ablieferung teilweise durch Mangel an Transportraum schleppend vor sich. Im Kreis Jessen, [Bezirk] Cottbus, klagt man über den Mangel an Weizensaatgut. Vom Rat des Bezirkes sind 100 Tonnen freigegeben, jedoch erst 24 t geliefert worden. Außerdem besitzt der gelieferte Weizen nur 30 bis 40 Prozent Keimfähigkeit.
Von den Traktoristen verschiedener MTS-Stationen [im Bezirk Potsdam]17 wird wie folgt argumentiert. Das 2-Schichtensystem könnte man nicht durchführen, da es auf den Feldern um 24.00 Uhr zu kalt sei. Außerdem wird als Grund angegeben, dass die Felder zu nass sind und die Traktoren dadurch rutschen. Diese Argumente traten hauptsächlich in der MTS Gerdshagen und Putlitz, Kreis Pritzwalk, auf. Von der MTS Gerdshagen waren in der letzten Woche nur sieben Traktoren im Schichteinsatz. Laut Plan sollten es aber 30 sein. Aufgrund dessen wurden von 4 000 ha Winterfurche erst 700 ha gepflügt.
Auf dem VEG Kammerwerk,18 Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, läuft das Vieh, wie z. B. Gänse, Enten und Hühner, persönlicher Besitz der Arbeiter des VEG, auf den bestellten Feldern umher. Eine Fläche von 2 ha Weizen wurde so durch das Vieh vernichtet. Das Füttern von mehreren Schweinen, ebenfalls Privatbesitz der Arbeiter des VEG, hat zur Folge, dass die Frauen der Arbeiter auf dem VEG nicht mehr arbeiten wollen. Ihre Ansicht ist, dass sie es nicht mehr nötig haben, da der Verkauf von Schweinen und Gänsen auf freie Spitzen19 viel größere Einnahmen verspricht, als eine regelmäßige Arbeit auf dem VEG. Dieses Verhalten führte schon bei den Erntehelfern zu heftigen Diskussionen, die so ein Verhalten nicht verstehen können.
Übrige Bevölkerung
Weiterhin wird verhältnismäßig wenig über aktuelle politische Tagesfragen gesprochen. Im Vordergrund dieser Gespräche steht der Prozess gegen die Gehlen-Agenten. Die bekannt gewordenen Äußerungen sind ausschließlich positiv. Sie beinhalten, dass die Bevölkerung über die verbrecherische Tätigkeit der Angeklagten empört ist und es wird immer wieder die höchste Bestrafung gefordert.
Die Erkenntnis nimmt zu, dass die Agenten durch ihre Machenschaften mithalfen, den geplanten Dritten Weltkrieg vorzubereiten und dass die USA die Auftraggeber sind. Eine Verkäuferin (parteilos) aus Halle: »Durch den jetzt durchgeführten Gehlen-Prozess ist mir das abscheuliche Vorhaben dieser Verbrecher-Clique klar geworden. Während die Arbeiter alle ihre Kraft einsetzen, die Folgen des Hitlerkrieges zu beseitigen, sind die amerikanischen Imperialisten und ihre westlichen Handlanger, an ihrer Spitze Adenauer20 und die ehemaligen Hitlergeneräle, dabei, einen neuen Krieg vorzubereiten. Ich fordere die strengste Bestrafung der Beschuldigten und verpflichte mich, mit meinen Kollegen darüber zu diskutieren.«
Ein Angestellter (parteilos) von der HO Putbus, [Bezirk] Rostock: »Ich bin erstaunt über die Schlagkraft der Staatsorgane, denn es ist eine sehr gewissenhafte und lange Arbeit notwendig, um dieses weitverzweigte Netz aufzudecken. Ich bin dafür, dass diese Verbrecher auf das Strengste bestraft werden.«
Eine Hausfrau aus Kasel-Golzig, [Bezirk] Cottbus: »Ich kann nicht verstehen, dass es immer noch Menschen gibt, die mithelfen, einen neuen Krieg vorzubereiten. Diese Spione müssen strengstens bestraft werden.«
Ein Einwohner aus Rangsdorf, [Bezirk] Potsdam: »Dieser Prozess wird den Arbeitern und Angestellten die Augen öffnen, denn wer bisher diesen Prozess verfolgt hat, kann sehen, dass die Kapitalisten auf einen neuen Krieg hinarbeiten. Das Sprungbrett zur SU soll die DDR sein, um dann auf die anderen Völker überzugreifen.«
Ein Einwohner (parteilos) aus Löwenberg, [Bezirk] Potsdam: »Jetzt, wo die sieben Banditen vor Gericht stehen, und sie ihre Taten gestehen müssen, wird es ihnen vergehen, noch einmal Verrat am deutschen Volk zu verüben. Mir ist es unerklärlich, dass Menschen, die so hohe Funktionen in unserem Staatsapparat innehatten und so hohe Gehälter bezogen, den Amerikanern Material über unsere Industrie ausgeliefert haben.«
Ein ehemaliger Lehrer aus Trebbin, [Bezirk] Potsdam: »Die Methoden des Gegners sind heute grausamer als ein offener Krieg. Deshalb ist es unerlässlich, dass diese Banditen verhaftet werden und die Todesstrafe erhalten. Warum soll unser Staat die Verbrecher noch 25 Jahre länger füttern.«
Ein Müllermeister aus Meinsdorf, [Bezirk] Potsdam: »Ich bin der Meinung, dass es noch mehr solche Agenten bei uns gibt. Es gibt nur eins, man muss sie zum Tode verurteilen.«
Ganz vereinzelt wurden negative Äußerungen im Zusammenhang mit dem Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft und dem 37. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution21 bekannt. Zum Beispiel zeigt ein Teil der Mitglieder des Kreisvorstandes der LDP in Neuhaus, [Bezirk] Suhl, eine negative Einstellung. Unter anderem sagte ein Mitglied anlässlich der Abfassung einer Grußbotschaft an die Sowjetische Kommandantur: »Man soll da nicht so viel Schmus drum machen.« Der Sekretär des Kreisvorstandes sagte zur Sichtwerbung anlässlich des Monats für DSF: »Für so etwas haben wir kein Geld da.«
Ein früherer Bürovorsteher aus Sonneberg, [Bezirk] Suhl: »So ein Unrecht, die Oktoberrevolution und die Deutsch-Sowjetische Freundschaft zu feiern. Wir haben doch gar nichts damit zu tun. Das sollen die bezahlten kommunistischen Funktionäre feiern.«
Ein Schreibwarenhändler aus Sonneberg, [Bezirk] Suhl: »Bei jeder Festlichkeit werden Kränze für die gefallenen Sowjetsoldaten niedergelegt. Warum nicht für unsere deutschen Soldaten, die doch auch ihr Leben für ihr Vaterland ließen.«
Verschiedentlich ist zu verzeichnen, dass Pfarrer in ihren Predigten negative Tendenzen zum Ausdruck bringen. Zum Beispiel sagte ein Pfarrer aus Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, in seiner Predigt: »Die Prozesse, die jetzt durchgeführt werden, sind nur Bruchteile von dem Weltgericht, was uns alle trifft. Der Herr Christi ist der Herr der Welt, er ist nicht so gewählt worden, wie wir es gewöhnt sind. Überall wird gleichgeschaltet, aber das ist nicht der Wille Gottes.«
Ein Pfarrer aus Dahlen, [Bezirk] Leipzig, sagte in seiner Predigt: »Die Kirche kann mit dem Familiengesetz, so wie es vorliegt, nicht einverstanden sein.22 Der Entwurf geht bei der Erziehung der Kinder von politischen Grundsätzen aus. Die Belange der Kirche und der Christen werden völlig übergangen und dadurch werden die Christen rechtlos.«
Einen größeren Rahmen nehmen die Diskussionen über wirtschaftliche Probleme ein. Vorwiegend wird über die ungenügende Warenbereitstellung sowie über andere Mängel im Handel gesprochen. Zum Beispiel wird im Bezirk Magdeburg immer wieder über die ungenügende Kohlenversorgung geklagt. Zum Beispiel wurde im Kreis Salzwedel die Belieferung erst zu 70 Prozent und im Kreis Stendal zu 55 Prozent durchgeführt. Darüber herrscht unter der Bevölkerung eine schlechte Stimmung.
In dem in Magdeburg vor Kurzem eröffneten Industrieladen des VEB Fortschritt23 herrscht eine starke Nachfrage nach Emaillegeschirr, Aufleger, Öfen usw. Darüber hinaus ist die Nachfrage nach Matratzen sehr groß. Die Produktion ist aufgrund des Strohmangels ungenügend.
Im Bezirk Potsdam wird unter den Hausfrauen immer wieder darüber diskutiert, dass nicht die volle Gewichtsmenge von versch[iedenen] Fleisch- und Wurstwaren laut Markengewicht ausgeliefert wird. Darüber äußerte z. B. eine Hausfrau aus Pritzwalk: »Die Preissenkung ist gut gewesen, aber es wäre noch besser, wenn unsere Regierung dafür sorgen würde, dass Fleisch- und Wurstwaren im vollen Gewicht erhältlich sind.«
In der Gemeinde Märkisch-Buchholz, [Bezirk] Potsdam, wird die Bevölkerung zzt. schlecht mit HO-Fleisch und HO-Wurst beliefert. Darüber werden Diskussionen geführt wie z. B., dass vor den Volkswahlen alles erhältlich war,24 und jetzt nichts vorhanden ist. Dies wird als Wahlmanöver hingestellt. Ähnlich verhält es sich in der Gemeinde Paaren, [Bezirk] Potsdam. Dort kommt es zu Diskussionen wie z. B.: »Die Preise wurden zwar gesenkt, aber jetzt gibt es keine Waren. Dann brauchte auch keine Preissenkung durchgeführt werden.«
Von den Bäckern des Kreises Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden, wird über die schlechte Versorgung mit Packpapier geklagt. Ein Bäckermeister äußerte dazu: »Ich glaube, wir werden nur veralbert. Ich war vor einigen Tagen bei der Handwerkskammer wegen Packpapier. Dazu wurde mir gesagt, dass dies Sache der Bäckergenossenschaft sei. Als ich dorthin kam, erklärte man mir, dass sie auch nichts damit zu tun hätten. Das ist doch eine Verkohlerei.«
In der Gemeinde Ahrensdorf, [Kreis] Zossen, [Bezirk] Potsdam, wurde schon vor zwei Jahren ein Bahnhof gebaut, welcher an der Strecke Berlin – Baumschulenweg – Michendorf steht. Dieser Bahnhof ist zwar seit längerer Zeit fertig, aber die Züge halten nicht auf dieser Station. Darüber sind die Einwohner missgestimmt, da sie 7 km bis zur nächsten Bahnstation laufen müssen. Dazu äußerte ein Lehrer: »Vonseiten der Gemeinde Ahrensdorf wurde bereits an die Reichsbahn geschrieben, den Bahnhof in Betrieb zu nehmen, aber es rührt sich nichts. Wenn hier nicht bald Abhilfe geschaffen wird, wird das Vertrauen der Bevölkerung zu den Staatsorganen erschüttert. Wenn alles nichts hilft, werden wir bis zum Genossen Walter Ulbricht gehen.25 Der hilft uns Ahrensdorfern mehr als wie die unteren Funktionäre, wo höchstwahrscheinlich Sabotage getrieben wird.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:26 Cottbus, Kreis Calau und Luckau, insges[amt] 21 000, Dresden 45.
NTS:27 Cottbus, Kreis Spremberg, 10 000, Potsdam 50, Dresden, Halle und Gera einige.
ZOPE:28 Dresden 55.
KgU:29 Potsdam 67, Dresden 100.
Die Flugblätter wurden meist sichergestellt.
An einer Anschlagtafel in Neugersdorf, Kreis Löbau, [Bezirk] Dresden, wurde ein handgeschriebener Hetzzettel gefunden, der sich gegen die Regierung der DDR und die Oder-Neiße-Friedensgrenze richtet.
In der Nacht vom 6. zum 7.10.1954 wurden in folgenden Orten Fahnen heruntergerissen. Kühlungsborn, [Bezirk] Rostock, zwei Fahnen, Ahlbeck und Garz, Kreis Wolgast, [Bezirk] Rostock, je eine Fahne. In Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, eine Fahne.
Am Gebäude des Gesundheitsamtes Langensalza, [Bezirk] Erfurt, waren zwei Bilder mit faschistischen Generälen angeklebt.
In den Gemeinden Sedlitz und Sorno, Kreis Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, wurden die Bürgermeister von zwei unbekannten männlichen Personen, die in einem grauen BMW vorfuhren, aufgefordert, schriftliche Unterlagen über die Struktur der Gemeinden auszuarbeiten und bis zum 6.11.[1954] beim Rat des Kreises abzugeben. Eine Rückfrage beim Rat des Kreises ergab, dass solche Unterlagen nicht angefordert würden.
Anlage 1 vom 9. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2362
Zum 37. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktober-Revolution
In vielen Berliner Betrieben wurden am Sonnabend Feierstunden anlässlich des 37. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktober-Revolution durchgeführt. Die Beteiligung der Belegschaften war schwach.
Im VEB TRO Karl Liebknecht nahmen von 4 700 Beschäftigten nur 250 an der Feierstunde teil. Von 1 000 Beschäftigten in dem VEB Kodak nahmen ca. 120 an der Feier teil. Bei der Feier im VEB Fortschritt Lichtenberg waren 250 Kollegen anwesend, bei einer Belegschaftsstärke von 2 200.
Der VEB Bergmann-Borsig hatte zur Teilnahme an der Feierstunde Westberliner, in der Hauptsache Jugendliche, eingeladen. Annähernd 400 Personen folgten der Einladung. Die Veranstaltung wurde umrahmt durch Gesangsgruppen und Laienspiele. Insgesamt waren ca. 800 Personen in der Veranstaltung. Die Belegschaftsstärke des Betriebes beträgt ca. 4 600 Personen.
Die Feierstunde im VEB Rohrleitungsbau fand bei den Kollegen Anklang. Von einem Kollegen wurde die Teilnahme abgelehnt und geäußert: »Ihr könnt keinen zwingen, an der Veranstaltung teilzunehmen.«
Für die Angestellten beim Rat des Stadtbezirkes Köpenick wurde im Film-Theater »Forum« eine Feierstunde durchgeführt. Von den 3 000 Beschäftigten waren ca. 300 anwesend.
Die Beflaggung der Straßen und Häuser war in Berlin mangelhaft. Übereinstimmend wird aus den Bezirken mitgeteilt, dass in geringerem Umfange als bei früheren Anlässen geflaggt wurde.
Anlage 2 vom 9. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2362
Bericht über den Prozess gegen die Gehlen-Agenten
Am 7. Verhandlungstag, als der Generalstaatsanwalt Dr. Melsheimer30 sein Plädoyer vortrug,31 war unter den Zuhörern eine Empörung über das Strafmaß festzustellen,32 da man mit den Strafanträgen für die Angeklagten außer Bandelow33 und Misera34 nicht einverstanden war. Es wurden Bemerkungen gemacht, wie z. B.: »Für diese Halunken und Banditen viel zu wenig« oder »Warum nicht die Todesstrafe auch für diese Subjekte«.
In den Pausen wurde dann lebhaft über den Antrag des Generalstaatsanwaltes diskutiert. Die beantragten Strafen wurden zum größten Teil als noch zu mild bezeichnet. Ein Delegierter der Reichsbahn vertrat die Meinung, dass bei allen Angeklagten der Kopf hätte rollen müssen. Er zog Vergleiche zwischen der Nazijustiz und unserer demokratischen Gesetzgebung.
Eine andere Gruppe von Eisenbahnern kam in ihrer Diskussion auf die KZ-Lager zu sprechen und sie brachten zum Ausdruck, dass dort Tausende der besten Arbeitersöhne hingemordet worden sind, und diese Verbrecher hier, die den größten Verrat an der Arbeiterklasse verübt haben, bekämen nur Zuchthausstrafen.
Eine andere Gruppe von Zuhörern äußerte, dass sie auf dem schnellsten Wege in einer Betriebsversammlung über den stattgefundenen Prozess berichten wollen, um allen noch einmal klarzulegen, dass nur durch erhöhte Wachsamkeit derartige Verbrechen zu verhindern sind.
In weiteren Diskussionen wurde der Wunsch geäußert, dass über die Methoden der Agentenzentrale35 ein Film herausgebracht werden müsste, um der gesamten Bevölkerung die Schändlichkeit der Verbrechen vor Augen zu führen.
Ebenso wie an den Vortagen wurden unter den Zuschauern Diskussionen darüber geführt, dass es besser gewesen wäre, den Prozess in größeren Räumlichkeiten durchzuführen, damit noch mehr Menschen Gelegenheit hätten, dem Prozessverlauf selbst beizuwohnen.