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Zur Beurteilung der Situation in der DDR

10. November 1954
Informationsdienst Nr. 2363 zur Beurteilung der Situation in der DDR

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Die Diskussionen über politische Tagesfragen sind weiterhin gering. Bei den wenigen Diskussionen steht noch immer der Prozess gegen die sieben Agenten der Gehlen-Organisation im Mittelpunkt.1 Der Umfang der Diskussionen hat sich gegenüber dem Vortage etwas verringert, jedoch ist der Inhalt der gleiche.

Zum Urteil selbst wurden erst wenige Diskussionen bekannt. In einer Versammlung der Agitatoren und Meister im VEB Getriebewerk Leipzig wurde von den Anwesenden ziemlich einstimmig erklärt, dass sie erwartet hätten, dass sämtliche Agenten den Kopf verlieren würden. Ein Arbeiter vom Eisenhüttenwerk Thale, [Bezirk] Halle: »Das vom Generalstaatsanwalt beantragte Urteil wurde in unserer Transportabteilung lebhaft diskutiert. Viele Kollegen brachten zum Ausdruck, nicht nur zwei, sondern alle Köpfe müssten rollen, denn sie haben ihren Judaslohn empfangen und wollten die jungen Menschen für den amerikanischen Krieg opfern. Deshalb sollte solchen Elementen von einer Arbeiterregierung kein Stück Brot im Zuchthaus gegeben werden.«

Ein Arbeiter aus der Maschinenfabrik Wurzen: »Die Todesstrafe ist für die beiden Agenten zu wenig. Man sollte sie lieber lebenslänglich in ein Zuchthaus stecken und sie tüchtig für uns arbeiten lassen.«

Zum Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft übernehmen die Werktätigen weiterhin zahlreiche Selbstverpflichtungen.2 Zwei Brigaden des VEB Edelstahlwerkes Döhlen,3 [Bezirk] Dresden, verpflichteten sich, in der Zeit vom 7. bis 13.11.[1954] Hochleistungsschichten zu fahren und dabei Stahl bester Qualität zu produzieren.

Unter den Kollegen des DSU-Hafens in Magdeburg herrscht eine Missstimmung darüber, dass der Dispatcher und der Hafenbahnleiter während der Arbeitszeit wiederholt Alkohol zu sich nehmen. Dieses wurde bis jetzt noch vom Betriebsleiter unterstützt. Der Dispatcher und der Hafenbahnleiter haben vor Kurzem das Betriebsmotorrad und das Betriebsfahrrad in Bruch gefahren, da sie diese Fahrzeuge in betrunkenem Zustand benutzten. Außerdem war der Dispatcher zwei Tage verschwunden. Der Betriebsleiter wurde daraufhin von einem Arbeiter angesprochen. Dieser Arbeiter forderte, dass man den Dispatcher entlässt, da er dem Betrieb nur unnötig Geld kostet. Der Betriebsleiter äußerte dazu: »Das ist nicht deine Sache, du hast nur zu arbeiten.«

Die Stimmung der Arbeiter in dem VEB Rudisleben,4 [Kreis] Arnstadt, [Bezirk] Erfurt, ist schlecht, aufgrund der Räumung von ca. 70 Wohnungen im Gelände der Polte II.5 Diese Wohnungen werden für die sowjetischen Freunde6 freigemacht. Ein Teil der Arbeiter, die in diesen Wohnungen untergebracht sind, diskutierten dahingehend, dass bei der Wohnungsräumung, die bis zum 20.11.1954 vorgenommen werden soll, sie erst eine geldliche Entschädigung für ihre selbstgebauten Einrichtungen in den Wohnungen fordern. Sollte ihnen das verweigert werden, werden sie dementsprechend Widerstand leisten, ähnlich wie in Westdeutschland.

Kohlenmangel

Im VEB EBO Bischofswerda7 ist nur noch ein Kohlenvorrat für zwei Tage vorhanden. Bei der geringsten Transportstörung müssen die Turbinen stillgelegt werden. In den Öl- und Fettwerken »Hans Schellheimer« Magdeburg ist ein ähnlicher Zustand zu verzeichnen.

Materialschwierigkeiten

Im VEB Thuringia Sonneberg, [Bezirk] Suhl, arbeiten die Gießer zzt. im Freien, weil sie nicht in ihre neue Arbeitsstätte einziehen können. Der neue Bau ist zwar soweit hergestellt, es fehlt nur noch an Fensterglas.

In einigen anderen Betrieben bestehen ebenfalls Materialschwierigkeiten z. B.

  • VEB Sägewerk Drebkau – Nägel (80 mm),

  • VEB Zentrifugal Dresden/Radebeul – Rohlinge,

  • VEB Oberlausitzer Möbelfabrik Neugersdorf, [Bezirk] Dresden, – Glas.

Die Privatfirma Grohmann aus Parchim,8 [Bezirk] Schwerin, die sich mit der Herstellung von Strickwollartikeln beschäftigt, hat zzt. einen Export-Auftrag von DM 20 000 übernommen, jedoch hat der DIA Berlin die Bestätigung ohne Begründung abgelehnt. Der Inhaber des Betriebes kann nicht verstehen, dass diese Geschäfte abgelehnt wurden, da ja Devisen für unseren Handel gebraucht werden.

Durch die Auflösung der DHZ und die Umbildung in Großhandelskontore9 müssen die Lager der DHZ geräumt werden und [Waren] kommen jetzt in erheblich größerem Umfang in den Einzelhandel. Diese organisatorischen Maßnahmen geben Anlass zu den verschiedensten Gerüchten (Bezirk Erfurt). So wird u. a. davon gesprochen, dass der Staat kein Geld mehr hat und wohl jetzt pleitegeht.

Die Steinschläger des Kreisbauhofes in Pasewalk beschweren sich, dass sie nur die Lebensmittelkarte »C« erhalten, wie die Steinsetzer. Sie vertreten die Meinung, dass ihre Arbeit schwerer ist, da sie dauernd mit einem 13 bis 15 kg schwerem Hammer arbeiten müssen.10 Weiter wurde uns bekannt, dass die Zusammenarbeit zwischen Betriebsleitung, BGL und Parteileitung schlecht ist.

Im Chemischen Werk Leuna »Walter Ulbricht«, [Bezirk] Halle, haben sich in den letzten Tagen aus dem Versuchsbetrieb der Hydrierung die dort beschäftigten Dr. Meckelburg,11 Dr. Werner Kirchhof,12 der ehemalige technische Assistent Kurt Klinkmann13 und ein Meister nach Westdeutschland abgesetzt.

Handel und Versorgung

Die teilweise unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln, Textilien u. a. m. verursacht immer wieder Unzufriedenheit und macht sich wie folgt bemerkbar.

  • In verschiedenen Kreisen des Bezirkes Halle fehlen Dekorationsstoffe und Bettwäsche.

  • In den Kreisen Wittenberg, Hettstedt Stärkeerzeugnisse, Fischwaren, Speck, Eier.

  • In den Kreisen Jessen und Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus (HO-Margarine).

  • Im Kreis Heiligenstadt, [Bezirk] Erfurt (HO-Schuhe).

  • Im HO Wismut14 (Winterbekleidung, Bettwäsche, Kinderkonfektion).

  • Im Bezirk Suhl (Därme, Gewürze für Hausschlachtungen), weshalb die Bauern diese Waren aus Westdeutschland beziehen.

  • Im Kreis Schmalkalden wird die Bevölkerung sehr schlecht mit Hausbrandkohle beliefert.

  • Im Kreis Bautzen bestehen größere Mängel an Fahrradersatzteilen.

Landwirtschaft

Nach wie vor wird über politische Tagesfragen nur wenig diskutiert. Zum Prozess gegen die Gehlen-Organisation ist der Inhalt und Umfang der Diskussionen unverändert.

Zum Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft nimmt hauptsächlich der sozialistische Sektor eine positive Stellung ein, wobei auch Neuaufnahmen zu verzeichnen sind. Die Einzelbauern verhalten sich oft ablehnend zur DSF und äußern sich vereinzelt negativ darüber. Ein werktätiger Bauer aus Heilingen, [Bezirk] Gera, verhielt sich erst ablehnend zur DSF und begründete es damit, »dass er in sowjetischer Gefangenschaft schlecht behandelt wurde. Er behauptete, dass er barfuß im Schnee hätte laufen müssen und anderes mehr.« Nach längeren Diskussionen erklärte er sich dann zum Beitritt in die DSF bereit.

Der Vorsitzende der Ortsgruppe der DBD in Barigau, [Bezirk] Gera: »Ich stehe der Freundschaft zur SU nicht ablehnend gegenüber, ich weiß aber auch, wie die Sache einmal weitergeht. Da sind nämlich die SU und China auf landwirtschaftlichem Gebiet bemüht, die Produktion ständig zu steigern, um dann einmal Deutschland mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu überschwemmen. Das aber würde bedeuten, dass die Landwirtschaft bei uns ihren Untergang erlebt.«

Ein Neubauer aus Aschau, [Bezirk] Gera: »Mich haben sie von Haus und Hof vertrieben und dann soll ich ein Freund der SU werden? In Westdeutschland erhalten die Umsiedler einen Lastenausgleich und uns hat man nichts gegeben.«15

In den LPG wird immer wieder über Schwierigkeiten bei den Bauvorhaben geklagt. In der LPG Altgammerow,16 [Bezirk] Schwerin, z. B. sind 17 Zuchttiere noch nicht in Ställen untergebracht. Und die Genossenschaftsbauern wissen nicht, wie sie ihren Viehbestand in den Wintermonaten unterbringen sollen.

Oft kommen Klagen über Schwierigkeiten bei der Hackfruchternte. Im Bezirk Rostock sind die ÖLB in der Hackfruchternte weit zurückgeblieben. Teilweise liegt es an dem Arbeitskräftemangel und teilweise an der schlechten Arbeit der MTS. Die Maschinen der MTS werden nur wenig ausgelastet, weil zu wenig in zwei Schichten gearbeitet wird.

Verärgerung über Begünstigung von Großbauern: In der Gemeinde Valluhn, [Bezirk] Schwerin, sind vier Großbauern ihrer Ablieferungspflicht in Getreide nicht nachgekommen. Sie begründeten es damit, dass dieses Getreide wegen zu hohen Feuchtigkeitsgehaltes noch nicht gedroschen werden kann. Jetzt stellen die werktätigen Bauern fest, dass die Großbauern ihr Getreidesoll in Rindfleisch abgedeckt haben und mit ihrem Getreide Schweine füttern. Die werktätigen Bauern sind darüber verärgert und sagen, dass sie durch ihre pflichtgerechte Ablieferung den Großbauern gegenüber im Nachteil sind.

Über eine teilweise schlechte Arbeit der MTS wird aus dem Bezirk Cottbus berichtet. Die vorgesehene Auflage zur Winterfurche wurde erst zu 9 Prozent erfüllt. Die Ursache ist darin zu suchen, dass von über 1 100 Traktoren im Bezirk nur 320 im 2-Schichtensystem arbeiten. Die MTS Krausnick z. B. hat überhaupt noch nicht mit dem Ziehen der Winterfurche begonnen.

Schweinepest

Auf dem VEG Isenschnibbe17 (Schweinedorf), Kreis Gardelegen, [Bezirk] Magdeburg, brach am 6.11.1954 die Schweinepest aus. Die Ursachen liegen wahrscheinlich darin, dass einige Sauen aus den alten Beständen im Stall verblieben sind, welche schon einmal von der Pest befallen waren. 111 Schweine mussten dem Seuchenschlachthof und sechs Ferkel der Abdeckerei zugeführt werden.

In der LPG Kaitz, Kreis Dresden, sind drei Schweine an Schweinepest verendet, 51 Läufer, zwei Sauen und elf Ferkel mussten notgeschlachtet werden.

In den Gemeinden Plöwen und Zwenzow, [Bezirk] Neubrandenburg, ist bei Kleinbauern ebenfalls die Schweinepest ausgebrochen. Insgesamt sind dort 24 Schweine verendet und 35 mussten notgeschlachtet werden.

Verschiedentlich wird die Tätigkeit einiger LPG-Vorsitzender im Bezirk Schwerin kritisiert. Der LPG-Vorsitzende in Ziegendorf, [Bezirk] Schwerin, führt ein selbstherrliches Leben und ist nur auf seine finanziellen Vorteile bedacht. Er verkauft z. B. sein Viehfutter auf freie Spitzen18 und lässt sein Vieh von der Genossenschaft betreuen. Zum anderen vernachlässigt er die Kontrolle und Anleitung über die jetzt zur Durchführung gelangenden Winterarbeiten. Ähnlich ist es in der LPG »Lysenko«,19 Kreis Hagenow, wo der Vorsitzende unter dem Einfluss der Großbauern steht, ein diktatorisches Auftreten zeigt und die Arbeiten der LPG vernachlässigt.

Eine verstärkte Fluktuation von Jugendlichen ist in der LPG in den Gemeinden Malchow und Dauer, Kreis Prenzlau, zu verzeichnen. So sind in der letzten Zeit von der LPG Malchow zwei Jugendliche und von der LPG Dauer vier Jugendliche davongelaufen. Diese Jugendlichen haben bei Groß- und Mittelbauern neue Arbeitsstellen angenommen. Die Ursachen liegen darin, dass der Vorsitzende bzw. Parteisekretär es nicht verstanden haben, mit diesen Jugendlichen zu arbeiten. Außerdem ist der Parteisekretär dagegen, dass die Jugendlichen gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten.

In der Getreideablieferung hat der Kreis Jessen, [Bezirk] Cottbus, noch ein schlechtes Ergebnis zu verzeichnen. Dort wird verschiedentlich immer wieder das Argument der sogenannten freien Wirtschaft von Groß- und Mittelbauern zum Ausdruck gebracht. So sagte z. B. ein Großbauer Folgendes: »Lieber acht Tage Schwefelregen und dann den Blitz hinein, dann hört die Hetzjagd wegen der Erfassung endlich auf.« Ein anderer Großbauer forderte offen die Abschaffung der freien Spitzen und stattdessen die Einführung der »freien Wirtschaft«. Ein Genossenschaftsbauer erklärte hierzu, dass der neue Kurs20 durchaus kein Freibrief für Kulaken21 sei und sagte weiter, dass die Großbauern praktisch von den werktätigen Bauern miternährt werden, weil sie bisher kein bzw. nur wenig Getreide abgeliefert haben. Außerdem kaufen sie ihr Brot in der Bäckerei.

Übrige Bevölkerung

Die Stimmung der übrigen Bevölkerung hat sich gegenüber den Vortagen nicht verändert. Zu politischen Fragen wird nach wie vor nur sehr wenig Stellung genommen. Diskussionen zum Gehlen-Prozess stehen dabei im Vordergrund. Neben den noch vorhandenen Stimmen zum Gehlen-Prozess aus den Tagen der Verhandlung, in denen das schändliche Treiben dieser Verbrecher verurteilt und die höchste Strafe für dieselben gefordert wird, treten jetzt Diskussionen auf, in denen Missfallen an den Strafanträgen des Generalstaatsanwaltes geäußert wird und wo man vielfach die Haftstrafen für die fünf Angeklagten als zu gering betrachtet. Zum Beispiel sagte ein Rentner aus Marbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Mir ist unverständlich, wieso die Leute sich so lange in gehobenen Stellungen einschleichen konnten. Was sie getan haben, ist einfach furchtbar und ich verstehe nicht, wieso jetzt nur zwei zum Tode verurteilt werden sollen. Meiner Meinung nach müsste jeder, der den friedlichen Aufbau unseres Landes durch Spionage stören will, zum Tode verurteilt werden«.

Eine Hausfrau aus Eppendorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Auf der einen Seite verfasst man Protestresolutionen, in denen die Todesstrafe für alle sieben Agenten gefordert wird und auf der anderen Seite beantragt Dr. Melsheimer22 nur für zwei der Angeklagten die Todesstrafe.«

Ein Angestellter (parteilos) aus Lobenstein, [Bezirk] Gera: »Für solche Elemente ist eine Zuchthausstrafe, und sei sie auch lebenslänglich, viel zu gut. Diesen Agenten gehören allen die Köpfe herunter.«

Ein Kohlenhändler aus Langewiesen, [Bezirk] Suhl: »Jeder ehrliche Mensch verabscheut ein solches Verbrechen, welches diese Elemente durchführen wollten und zum Teil auch schon durchgeführt haben. Ich kann nur sagen, die Strafen, welche der Generalstaatsanwalt beantragt hat, sind für solche Subjekte viel zu schmerzlos.«

Negative Stellungnahmen zum Gehlen-Prozess treten nur vereinzelt auf. Man zweifelt an der ordnungsgemäßen Durchführung des Prozesses oder benutzt ihn zur Hetze gegen die DDR. Ein Angestellter aus dem Kreis Fürstenberg, [Bezirk] Frankfurt: »Ich möchte wissen, wie das kommt, dass die Verhafteten alles, was sie getan haben, zugeben. Keiner verweigert hartnäckig die Aussagen, so wie es in den vergangenen Prozessen der Fall war. Ich möchte mal wissen, wie die staatlichen Organe alles erfahren.«

Ein Angestellter (parteilos) von der Handwerkskammer Niesky, [Bezirk] Dresden: »Es ist nicht richtig, dass man wegen dieser Leute so ein Aufsehen macht. Ich kann keine Schuld an ihnen finden. Wenn diese Leute bestraft werden, dann muss man sich auch mit denjenigen befassen, die im Interesse der DDR in Westdeutschland Spionage und sonstige staatsfeindliche Handlungen durchführen.«

Zwei Hausfrauen aus Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, brachten in einer Unterhaltung zum Ausdruck: »Ich denke mir, dass die drüben noch abwarten, bis der Prozess der sieben Gehlen-Agenten vorbei ist, und wenn diese dann zum Tode verurteilt werden, geht es los.«

Im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Saar-Abkommens23 kommt es bei Aufklärungseinsätzen zu vereinzelten Diskussionen. Während auf der einen Seite Adenauer24 als Verräter am deutschen Volk bezeichnet wird, entstanden im Bezirk Potsdam gleichzeitig negative Diskussionen gegen die Oder-Neiße-Friedensgrenze. Eine Hausfrau (parteilos) aus Frankfurt: »Es ist eine Schande für uns Deutsche, dass es im Westen noch Leute gibt, die die Politik Adenauers unterstützen. Wenn ein Mensch, nur um sein Prestige zu wahren, deutsches Land wie die Saar verschachert, ist er nicht wert, Deutscher genannt zu werden.«

In einer Versammlung des Textilwarenlagers des Konsums Borkheide,25 [Bezirk] Potsdam, äußerte ein Lagerarbeiter: »Ich kann es nicht verstehen, dass über die Saar soviel Wind gemacht wird, während über die Oder-Neiße-Grenze überhaupt nicht diskutiert wird.« Dieser Diskussion schloss sich sofort eine Kollegin an. Diese meinte, dass das Potsdamer Abkommen richtig sei, aber es stände nichts darin, dass die deutschsprachigen Menschen aus diesem Gebiet umgesiedelt werden müssten.26

Ursachen negativer Diskussionen in den verschiedensten Bezirken sind immer wieder auftretende Mängel wirtschaftlicher Art. Besonders Hausfrauen klagen über schlechte Kartoffel- und Kohlenlieferung. Handwerker und Geschäftsleute sind unzufrieden über die Material- bzw. Warenzuteilung. Zum Beispiel wurde in Rostock unter der Bevölkerung über die schlechten Kartoffeln diskutiert, die jetzt schon aussortiert werden müssen, da sie anfangen zu faulen. Ebenso wurde negativ über die DHZ Kohle diskutiert, und zwar lagern die Kohlen in großen Mengen und brennen fast täglich, manchmal sogar in hellen Flammen. Die Bevölkerung stellt die Frage, warum man überhaupt Kohlenkarten ausgibt, wenn man die Briketts auf den Lagerplätzen verbrennen oder durch Witterungseinflüsse zerfallen lässt.

Ein Schmiedemeister aus Hartha, [Bezirk] Leipzig: »Ich habe jetzt sehr viel Arbeit, weiß aber nicht, wo ich das Material hernehmen soll. Bis vor ca. drei Wochen habe ich ausreichendes Material durch meine Innung in Döbeln erhalten. Es ist wohl Material vorhanden, doch wird nichts ausgeliefert mit dem Bemerken, das Material sei vom Rat des Kreises beschlagnahmt.«

Die Inhaberin eines Elektrogeschäftes aus Grimma, [Bezirk] Leipzig: »Ich bin sehr verärgert über die schlechte Warenstreuung. Wir bekommen laufend nur Elektroartikel wie Bügeleisen, Lampen usw., aber keine Artikel, die von der Bevölkerung stark gefragt sind wie z. B. Staubsauger, Verlängerungsschnuren usw. Vom Großhandelskontor in Leipzig werde ich immer wieder vertröstet, aber beliefert werde ich nicht, obwohl solche Artikel vorhanden sind.«

Im Demokratischen Sektor von Groß-Berlin wird vielfach über die neuen Uniformen der VP diskutiert. Dabei nehmen besonders ältere Leute Anstoß an der Farbe der Uniformen, während andere die damit verbundenen großen Geldausgaben kritisieren.27 Zum Beispiel sagte ein Arbeiter: »Es ist die Farbe, unter der die Arbeiter die meisten Schläge erhalten haben. Ich kann mich nie mit dieser Uniform befreunden. Es wäre besser gewesen, nie mehr diese grüne Farbe in unserem Arbeiterstaat zu zeigen.«

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriften[verbreitung]

SPD-Ostbüro:28 Karl-Marx-Stadt 10 000, Berlin 120, Dresden, Rostock und Potsdam einige.

NTS:29 Karl-Marx-Stadt 3 000, Frankfurt/Oder 1 000, Erfurt und Dresden einige.

KgU:30 Cottbus, Kreis Liebenwerda, 10 000, Kreis Herzberg, 6 000.

Die Mehrzahl der Flugblätter wurde sichergestellt.

Diversion: In der Nach vom 5. zum 6.11.1954 wurden in die Tanks von zwei Traktoren der MTS Grammentin, Stützpunkt Weisstin,31 [Bezirk] Neubrandenburg, je 10 Liter Wasser geschüttet. Dadurch hatten beide Maschinen einen Arbeitsausfall von etwa einer Stunde. Außerdem wurde von einem IFA-Traktor die Batterie unbrauchbar gemacht. Täter unbekannt.

Antidemokratische Tätigkeit

In Annaburg, Kreis Jessen, [Bezirk] Cottbus, wurden durch unbekannte Täter an verschiedene Gebäude Hetzzeichen (W32 und Gabelzeichen der NTS33) mit roter, gelber und schwarzer Ölkreide angemalt.

In Kühlungsborn, [Bezirk] Rostock, wurden drei aus Papier ausgeschnittene Hakenkreuze auf der Straße aufgefunden.

Am 6.11.[1954] rissen unbekannte Täter in Berlin-Wilhelmsruh eine schwarz-rot-goldene Fahne herunter.

Am 6.11.1954 wurde in Berlin-Lichtenberg, Stralauer Allee ein Transparent zum Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft durch Messerstiche beschädigt und zerschnitten.

Terror

Im EHW Mägdesprung,34 Kreis Quedlinburg, [Bezirk] Halle, wurde nach Beendigung der Feierstunde anlässlich des 37. Jahrestages der Oktober-Revolution der Parteisekretär des Werkes von einem Maschinenformer niedergeschlagen.

Am 6.11.1954 fand anlässlich des Monats der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft auf dem VEG Albertsheim, Kreis Rathenow, [Bezirk] Potsdam, ein Tanzvergnügen statt, wobei der Bezirkstagsabgeordnete Reiß (SED)35 niedergeschlagen wurde. Er hatte auf dem Hof bemerkt, dass sich am Motorrad eines Instrukteurs eine unbekannte Person zu schaffen machte. Als er diese Person ansprach, erhielt er einen Schlag ins Gesicht und verlor die Besinnung.

Anlage vom 10. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2363

Bericht über den Prozess gegen die Gehlen-Agenten

Wie bereits gestern berichtet,36 wurde in der Pause nach der Verkündung der Strafanträge lebhaft über dieselben diskutiert. Allgemein wurden die beantragten Todesstrafen als gerecht beurteilt und ebenso die lebenslänglichen Zuchthausstrafen. In vielen Diskussionen wurde aber zum Ausdruck gebracht, dass die für die drei übrigen Agenten beantragten Freiheitsstrafen zu niedrig seien. Vielfach wurde erklärt, dass sie alle die Todesstrafe verdient hätten. Zum Beispiel sagten einige Kollegen: »Für diese Strafzeiten werden sich noch manche finden, die ein solches Risiko eingehen. Die Zeiturteile werden bei der Masse nicht abschreckend genug wirken.« Eine andere Gruppe Zuhörer erklärte: »Man müsste auch die unzähligen Resolutionen beachten, in denen die höchste Strafe und vielfach die Todesstrafe für alle Agenten gefordert wird.«

Allgemein wurde in den Diskussionen zum Ausdruck gebracht, dass sich das Gericht ja nicht auf Strafmilderung einlassen sollte. Mit den von den Verteidigern vorgeschlagenen mildernden Umständen waren die Zuhörer nicht einverstanden und es kam zu Zwischenrufen wie z. B.: »das kommt gar nicht infrage«.

Von einigen Anwesenden wurde geäußert, dass nach dem Prozess ein Aufruf von der Regierung an alle Agenten erfolgen müsste, mit der Aufforderung, sich den Sicherheitsorganen zu stellen, da sie sonst das Gleiche erwartet wie die jetzt Verurteilten.

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