Zur Beurteilung der Situation in der DDR
13. November 1954
Informationsdienst Nr. 2366 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Über politische Tagesfragen wird wenig diskutiert. In den Diskussionen über den Prozess gegen die sieben Agenten der Gehlen-Organisation nimmt man zum Urteil Stellung.1 Inhaltlich haben sich die Diskussionen gegenüber dem Vortage nicht verändert, jedoch ist der Umfang etwas geringer geworden. Ganz vereinzelt diskutiert man negativ zum Gehlen-Prozess. In der ABUS Gotha, [Bezirk] Erfurt, sind einige Kollegen der kaufm[ännischen]-Abteilung der Ansicht, dass der durchgeführte Prozess nur ein Schauprozess gewesen wäre, um die Menschen abzuschrecken. Ein parteiloser Arbeiter aus Gera: »Diese Strafe ist zu hart. Sie werden sich damit ins eigene Fleisch schneiden.«
Ein Lehrling vom VEB Waggonbau Niesky, [Bezirk] Dresden, vertrat die Meinung, dass die Angeklagten hätten begnadigt werden müssen, da sie ja zu ihren Taten gezwungen wurden.
Ein Arbeiter aus dem VEB Galvanotechnik Leipzig: »Das ist ein Schauprozess. Die Angeklagten sind bestellte Parteigenossen, die niemals die Strafe antreten oder absitzen brauchen. Der Prozess hat den Zweck, und nur dazu ist er inszeniert worden, um Angst und Furcht zu erwecken.«
Vereinzelt diskutiert man über den geplanten Verbots-Prozess gegen die KPD in Westdeutschland.2 Ein Kollege der Ostdeutschen-Tuchfabrik in Forst, [Bezirk] Cottbus, äußerte: »Wenn sich ein 1933 nicht mehr wiederholen soll, müssen wir alles tun, um das Verbot der KPD in Westdeutschland zu verhindern.«
Die Kumpel der II. Brigade der Brikettfabrik Kausche, [Kreis] Spremberg, [Bezirk] Cottbus, richteten folgende Protestentschließung an Adenauer3: »Der Prozess gegen die KPD darf nicht stattfinden, denn es ist ein Prozess gegen den Frieden und die demokratischen Grundrechte des Volkes.«
Die Wichtigkeit des Einsatzes zu der Wahl am 5.12.1954 in Westberlin4 ist einigen Kollegen noch nicht klar. Es gibt aber auch Genossen unserer Partei, die nicht einsehen wollen, dass ihre Mitarbeit von größter Bedeutung ist. Einige sagen, wir lassen uns nicht einsperren oder von den Schlägerkommandos niederknüppeln.
Im VEB TRO »Karl Liebknecht« bringen verschiedene Genossen alle möglichen Entschuldigungen und Argumente, um nicht an den Wahleinsätzen in Westberlin teilzunehmen. Ein Genosse äußerte: »Genosse Walter Ulbricht5 hat gesagt, dass die höchste Form der gesellschaftlichen Arbeit im Studium liegt und daran halte ich mich.«
Kollegen in der Galvanik des VEB STEMAG6 erklären, dass die Einsätze in Westberlin für sie eine große Belastung seien, während die Einsätze im demokratischen Sektor nicht so viel Zeit in Anspruch genommen haben, benötigen sie für einen Einsatz in Westberlin drei bis vier Stunden. Die Kollegen aus der Sortiererei befürchten, dass sie bei Einsätzen in Westberlin von Schlägerkolonnen bedroht oder sogar verhaftet werden.
Zur Streichung des SED-Kandidaten Pallapies7 äußerte ein Kraftfahrer: »Dass die so etwas in Westberlin fertigbringen, wo sie immer von der Demokratie sprechen. Wie kann man einen Menschen ausschalten, der gegen Hitler gekämpft hat. Man muss ja eine richtige Angst vor der SED da drüben haben.«
Unzufriedenheit herrscht unter den Kollegen der VEB Bau-Union Gera, weil Rückkehrer aus Westdeutschland sofort eine gute Wohnung erhalten. Die Kollegen bringen zum Ausdruck, dass man erst einmal nach dem Westen gehen müsse, um eine gute Wohnung zu erhalten.
Im IFA-VEB Karosseriewerk Radeberg,8 [Kreis] Dresden, löste die Prämienzahlung an Angestellte und Intelligenzler heftige Diskussionen unter den Arbeitern aus. Diese Diskussionen richten sich gegen die hohen Prämien und gegen die einseitige Prämierung für die Erfüllung des Halbjahrplanes. Die Arbeiter brachten zum Ausdruck, dass jeder mitgeholfen hat, die Produktionspläne zu erfüllen und nicht nur die Intelligenz. Sie sind der Meinung, dass man eben für die Arbeiter »Nichts übrig hat«. Die Arbeiter äußern: »Wenn ein Arbeiter einmal eine Prämie bekommt, dann höchstens 20,00 bis 30,00 DM, während die Intelligenz durchschnittlich 500 bis 600 DM erhalten hat.«
Die Kolleginnen und Kollegen der Bekleidungswerke Zehdenick, [Bezirk] Potsdam, sind darüber missgestimmt, dass sie für einen erfolgreich abgeschlossenen Wettbewerb zur Aufholung von Planrückständen keine Prämie erhielten, sondern eine Wanderfahne. Von der Werkleitung, BGL und BPO wurde versucht, in dem Betrieb einen neuen Wettbewerb zu starten. Diese Versuche stießen jedoch bei der Belegschaft auf Widerstand und bisher konnte kein Abschluss erreicht werden.
Im VEB Elfe Berlin,9 Kastanienallee herrscht unter der Belegschaft Missstimmung. Der Grund ist die bevorstehende Auflösung des Betriebes zum 1.1.1955 (VP-Meldung).
Durch die DHZ Kohle Cottbus wurde dem Gaswerk Guben mitgeteilt, dass wahrscheinlich für den Monat November und Dezember keine Abnehmer für den erzeugten Koks vorhanden sein werden. Aufgrund dessen muss der Koks im Werk selbst gelagert werden und verliert ca. 25 Prozent an Qualität.
Materialschwierigkeiten
Im VEB Steingut Annaburg, [Bezirk] Cottbus, ist ein Mangel an Stroh aufgetreten.10
Im VEB Pfeffernußfabrik Grabow, [Bezirk] Schwerin, fehlt es an Verpackungsmaterial.11
Im VEB Mila Brand-Erbisdorf,12 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, kommt es jeden Tag zu Produktionsstörungen, da kein Automatenstahl (12 mm Ø) vorhanden ist. Dieser Zustand hat zur Folge, dass täglich in der Endmontage ca. 350 Motorradlenker nicht fertiggestellt werden können.13
Der VEB Steingut Rheinsberg, [Bezirk] Potsdam, wurde bisher von der Fa. Reifschneider aus Oberengersdorf vertraglich mit Kaolin beliefert.14 Durch die DHZ Baustoffe wurde dem VEB Steingut mitgeteilt, dass der Betrieb stillgelegt wurde. Dem VEB Steingut wurde ein Ersatzstoff angeboten, der aber für die Zwecke des Betriebs nicht geeignet ist, da er zu wenig Tonsubstanz enthält. Aus diesem Grunde werden in ca. vier Wochen größere Produktionsschwierigkeiten eintreten, wodurch die Exportaufträge nicht termingemäß fertiggestellt werden können.15
Dem VEB Buntweberei »Clara Zetkin« Langensalza, [Bezirk] Erfurt, wurde in letzter Zeit Unterschlagriemen geliefert, welche nur eine Lebensdauer von ca. vier Stunden haben. Dadurch entstehen in diesem Betrieb höhere Reparaturzeiten, Produktionsausfälle und größerer Materialverschleiß. Lieferant dieser Unterschlagriemen ist der VEB Lederfabrik Remse/Mulde.16
Schwierigkeiten in der Kohlenversorgung bestehen im Rüdersdorfer Kalk- und Zementwerk, [Bezirk] Frankfurt.
Produktionsstörungen
Am 11.11.[1954] fiel der Bagger III im Abraum Pirkau infolge eines Kettenrisses aus. Der Schaden beträgt ca. 4 300 DM.
Im Braunkohlenwerk »Erich Weinert« in Deuben, [Bezirk] Halle, wurde der Kessel III außer Betrieb genommen, weil die Leitung von der Speisepumpe undicht war. Schaden ca. 4 000 DM.
Im Mineralölwerk Lützkendorf, [Kreis] Merseburg, [Bezirk] Halle, fiel der Kessel II im Bau 19 wegen zwei Rohrrissen im Schlangenvorwärmer aus. Die Turbinen können deshalb nicht mit voller Last fahren. Der Ausfall an Strom beträgt pro Stunde 5 000 kW.
Am 10.11.1954 musste im VEB Kraftwerk Magdeburg eine Turbine außer Betrieb genommen werden, da aus bisher unbekannter Ursache die Isolation durchgeschmort ist.
Am 9.11.1954 fiel im VEB Thüringer Textilveredlungswerk Weida, [Bezirk] Gera, eine Turbine mit Generator aus, sodass einige Abteilungen des Werkes stillgelegt werden mussten.
Am 9.11.1954 ereignete sich im VEB Braunkohlenwerk Mücheln, [Bezirk] Halle, auf dem Abraum ein Zusammenstoß zwischen einem Voll- und Leerzug. Sachschaden ca. 15 700 DM.
Am 9.11.1954 fiel im Großkraftwerk Hirschfelde, [Bezirk] Dresden, der Generator I aus. Untersuchungen werden noch geführt. Der Generator erzeugt pro Tag ca. 22 MW für das Landnetz der DDR.
Handel und Versorgung
Die teilweise ungenügende Warenbereitstellung verursacht Missstimmung und macht sich wie folgt bemerkbar.
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Im Bezirk Schwerin fehlt es an frischem Speck, Fischkonserven, Hülsenfrüchten und Kindernährmitteln. Da sich der Mangel an Kindernährmitteln besonders bemerkbar macht, werden sie jetzt auf Berechtigungsscheine ausgegeben.
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Im Bezirk Cottbus fehlt es an Nudeln, Weizenmehl, Käse und Tee. Im Kreis Calau,17 [Bezirk] Cottbus, an Fleisch.
Ähnliche Mängel sind teilweise in anderen Bezirken.
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Frankfurt[/Oder]: (Kohlen, Eier, Winterunterkleider, in der Stadt Beeskow Fleisch).
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Suhl: (Im Kreis Ilmenau und Schmalkalden Fleisch, im Kreis Schmalkalden z. B. ist wegen Fleischmangel der HO-Fleischverkauf gesperrt. Im ganzen Bezirk fehlen Küchengeräte und Bettwäsche).
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Halle: (Fischwaren, Eier, Käse, Dauerwurst im Kreis Hettstedt), Kleidung für Übergrößen und Schuhe für Mädchen in Bitterfeld.
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Auerbach-Wismut HO: (Unterwäsche), Kreis Rudolstadt (Glühlampen).
Beschwerden über Preise
Im Kreis Heiligenstadt beschwert man sich über den Preis der Trainingsanzüge, die jetzt DM 50,00 kosten, während sie bei gleicher Qualität vor der Preissenkung18 nur DM 35,00 gekostet haben.
Im Kreis Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, wird von der Bevölkerung bemängelt, dass Fett zum Preis von 6,00 DM pro kg verkauft wird, welches in der Qualität große Unterschiede aufweist.
Im Bezirk Schwerin wird der Preisunterschied zwischen frischem Speck und durchwachsenem Speck kritisiert, da letzterer im Preis nicht gesenkt worden ist.
Verdorbene Lebensmittel: Im Kühlhaus Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg, lagern 928 t Schmalz aus Chinaimporten, welches bereits verdorben ist. Darüber wurde schon im »Informationsdienst« Nr. 2232/11.6.1954 berichtet.19 Seit dieser Zeit wurde nichts unternommen, um das Schmalz aus dem Kühlhaus abzutransportieren.
Landwirtschaft
Zu den politischen Tagesfragen wird nach wie vor nur wenig Stellung genommen. Zu dem Urteil der sieben Agenten der Gehlen-Organisation ist der Inhalt und Umfang der Diskussionen gegenüber den Vortagen unverändert.
Schwierigkeiten bei der Ablieferung, der Mangel an Eratzteilen in den MTS, schlechtes Saatgut und die Nicht-Belieferung mit Baumaterial rufen häufig Missstimmung hervor.
In einer Bauernversammlung in Schkortleben, [Bezirk] Halle, in der die Rübenrodung und die Rücklieferung von Nassschnitzeln behandelt wurden, gab es Verärgerung unter den Werktätigen und Genossenschaftsbauern über die mangelhafte Waggongestellung bei der Rübenverladung und bei der Verzögerung in der Rücklieferung von Nassschnitzeln.
Auf dem Bahnhof Kroptewitz, [Bezirk] Leipzig, konnten die Bauern aus Zschoppach, [Kreis] Grimma, ihre Zuckerrüben nicht verladen, da die Reichsbahn keine Waggons bereitstellt. Der gleiche Zustand auf demselben Bahnhof war bereits schon einmal zu verzeichnen (vor einigen Tagen).
In der MTS Großschirma, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, gibt es Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Ersatzteilen für die Raupe KS 07/62 A.
Am 4.11.1954 fuhr der technische Leiter in das IFA-Schlepperwerk nach Brandenburg, um zwei Ausgleichwellen, Differenzialgehäuse und vier Kugellager zu besorgen. Er erhielt jedoch keinerlei Ersatzteile. Zur gleichen Zeit fand im Betrieb eine Tagung für die Leiter der Bezirkskontrollen statt, wo die Kollegen Spielvogel20 und [Name] vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft zugegen waren. Als der technische Leiter von der MTS Großschirma mit dem Kollegen Spielvogel über diese Angelegenheit sprach, äußerte Letzterer: »In der DDR stehen 506 Raupen 07/62 wegen Mangel an Ersatzteilen still. Auf eure Raupe kommt es auch nicht mehr an. Stellt sie auch ab, wenn ihr nichts bekommt.«
Die MTS Gerdshagen, Kreis Pritzwalk, muss jeden Tag für die Gemeinde Brügge drei Traktoren mit Hänger stellen, um von dort 40 000 dz Kartoffeln nach Meyenburg21 zu fahren. Die Kollegen der MTS sind mit dieser Maßnahme nicht einverstanden und sagen, dass die Kartoffeln in Brügge verladen werden könnten, da dort ein Verladebahnhof ist. Sie sind der Meinung, dass sie die Traktoren selbst benötigen, da sie einen Planrückstand von 8 000 ha mittleres Pflügen haben.
Die MTS Oschatz benötigt dringend 1 000 qm Dachpappe zum Bau von Unterstellschuppen für ihre landwirtschaftlichen Maschinen und Geräte. Trotz aller Bemühungen seit dem 11.5.1954 ist es bisher nicht gelungen, diese Dachpappe zu erhalten.
Die LPG »Thälmann« in Förderstedt, [Bezirk] Magdeburg, erhielt von der VEAB Weißenfels 15 t Winterweizen zur Aussaat. Die vorgenommene Keimprüfung ergab nur 40 bis 50 Prozent Keimfähigkeit. Bis jetzt wurden bereits 300 Morgen mit diesem Weizen gedrillt. Auf Anfragen bei der VEAB, um welche Sorte Weizen es sich handelt, erhielt die LPG zur Antwort, dass dies nicht möglich sei, da es sich um aufbereiteten Konsumweizen handelt. Die einzelnen Sorten wurden in den Lagerräumen nicht getrennt. Die Mitglieder der LPG sind über diese Antwort sehr verärgert, da sie dadurch wieder einen großen Schaden haben.
Oft versuchen Groß- und Mittelbauern mit verschiedenen Argumenten ihren Sollablieferungen zu entgehen. Im Kreis Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, kommen immer wieder bei der Ablieferung negative Stimmen aus den Kreisen der Großbauern. Ein parteiloser Großbauer sagte hierzu: »Ich kann nur so viel liefern, wie mir Gott gegeben hat. Im Übrigen sind wir hier sowieso keine Deutschen.«
Ein Großbauer aus der Gemeinde Behringen, [Kreis] Langensalza, [Bezirk] Erfurt, weigerte sich, seine Kartoffeln zu roden und abzuliefern. In einem Brief an den Bürgermeister der Gemeinde Behringen wandte sich der Bischof Mitzenheim22 und schrieb, dass der Großbauer sich bei ihm beschwert hätte, er müsste mit seinen Angehörigen bis zu 19 Stunden täglich arbeiten und die Gemeinde unterstütze ihn in keiner Weise mit Arbeitskräften.
In der Gemeinde Mertensdorf, Kreis Pritzwalk, wurden einigen Erzeugern, darunter auch einem Großbauern, Sollrückstände zum Teil erlassen. Von den übrigen Bauern in dieser Gemeinde wird die Meinung vertreten, dass dies nicht richtig sei, denn sie sehen darin eine Bevorzugung des Großbauern. Sie äußern, dass der Bürgermeister dabei seine Hand im Spiele hat, weil er mit den Großbauern verwandt ist.
Im Kreis Rathenow, [Bezirk] Potsdam, und Pritzwalk droht man den Erfassern vonseiten der Bauern mit Republikflucht, wenn man auf die Sollablieferung weiterhin besteht. Ein Mittelbauer aus Mertensdorf, Kreis Pritzwalk, sagte: »Wenn ihr mich weiter mit meinen Sollrückständen drückt, dann weiß ich, was ich zu tun habe. Unter diesen Umständen bleibe ich nicht hier.«
Ein Mittelbauer aus Barnewitz, [Bezirk] Potsdam, Mitglied der LDP droht ebenfalls mit der Republikflucht, sodass sich kein Erfasser mehr traut, ihn zur Ablieferung aufzufordern. In der Gemeinde ist aber allgemein bekannt, dass dieser Bauer gar nicht die Absicht hat, seine Wirtschaft zu verlassen.
Zu der Aufforderung der Regierung an die bäuerlichen Betriebe, Ferkelaufzuchtsverträge abzuschließen, wobei den Bauern verschiedene Vergünstigungen sowie Prämien zugesprochen wurden,23 wird folgende Hetze im Kreis Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus, vom Gegner verbreitet. Die Hetze beinhaltet, die Bauern sollen keine solchen Verträge abschließen und auch nicht so viel Sauen decken lassen, da sie die Ferkel nicht loswerden und dann auch dementsprechend für diese nicht genügend Futter zur Verfügung hätten.
Arbeitsverweigerung
Am 11.11.1954 haben 20 Lehrlinge des VEG Fustevel Sternberg,24 [Bezirk] Schwerin, sich geweigert, weiterhin an der Kartoffelrodung teilzunehmen. Sie begründen es damit, dass sie schon seit sechs Wochen zur Kartoffelrodung eingesetzt sind und dadurch ihre Lehrausbildung vernachlässigen.
Übrige Bevölkerung
Im Vergleich zu den Vortagen hat sich in der Stimmung der übrigen Bevölkerung keine nennenswerte Veränderung ergeben. Nach wie vor wird verhältnismäßig wenig zu politischen Problemen Stellung genommen, jedoch sind die bekannt gewordenen Stimmen in der Mehrzahl positiv. Über die Aburteilung der sieben Gehlen-Agenten wird noch immer in den verschiedensten Bevölkerungskreisen gesprochen. Dabei überwiegen die Äußerungen, die zum Ausdruck bringen, dass aufgrund der geplanten und bereits begangenen Verbrechen alle sieben Agenten die Todesstrafe verdient hätten. Zum Beispiel sagte eine Lehrerin (NDPD) aus Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Gehlen-Agenten hätte man alle zum Tode verurteilen sollen. Solche Menschen dürften einfach nicht am Leben bleiben.«
Eine Angestellte vom Rat des Kreises Demmin: »Das Urteil war zum Teil noch zu mild. Alle Agenten hätten, weil sie ein ungeheuerliches Verbrechen gegen den Frieden begangen haben, zum Tode verurteilt werden müssen.«
Der Chefarzt vom Krankenhaus in Kirchberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Was die Agenten getan haben, hat nichts mehr mit Menschlichkeit zu tun. Deshalb bin ich dafür, dass die Todesstrafe für solche Verbrechen verhängt wird.«
Ein Klempnermeister (parteilos) ebenfalls aus Kirchberg: »Diese Verbrecher hätten alle zum Tode verurteilt werden müssen, damit es auf andere Agenten abschreckend wirkt.«
Genau wie an den beiden Vortagen war auch am 3. Verhandlungstag gegen die vier Gehlen-Agenten vor dem 1. Strafsenat des Bezirksgerichtes in Magdeburg25 während der Ausführungen der Angeklagten eine Empörung unter den Anwesenden festzustellen. Einige Genossen vertraten die Meinung, dass der amtierende Richter sowie der Staatsanwalt oftmals nicht schnell genug auf die Aussagen der Angeklagten reagierten. Dies fiel besonders bei der Vernehmung des Agenten Naumann26 auf.
Bei den Mitgliederwerbungen für die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, anlässlich des Freundschaftsmonates,27 kommt es vereinzelt zu negativen Äußerungen. Zum Beispiel wurden in der Zentralschule Plau, [Kreis] Lübz, [Bezirk] Schwerin, u. a. zwei Junglehrerinnen wegen des Beitrittes in die DSF angesprochen. Sie lehnten mit der Begründung ab, sie könnten nicht in jedem Verein sein. Auf die Erklärung hin, dass sie sich mal überlegen sollten, wem sie das Studium zu verdanken haben, gaben sie zur Antwort: »Wenn uns der Russe nicht alles weggenommen hätte, wären unsere Eltern selbst in der Lage, uns das Studium zu bezahlen. Wir brauchten daher kein Stipendium vom Staat zu beanspruchen.«
Aus den in geringem Maße bekannt gewordenen Äußerungen zum Pariser Abkommen28 geht größtenteils hervor, dass die Handlungsweise Adenauers stark verurteilt wird. Zum Beispiel äußerte ein Rentner aus Luckau, [Bezirk] Cottbus: »Wenn auch Adenauer, Krupp29 und Thyssen30 gemeinsame Geschäfte machen, Millionenwerte scheffeln, sich an Kriegsvorbereitungen beteiligen sowie mit der Verschacherung des Saargebietes spielen,31 so ist doch gewiss, dass sie eines Tages nicht mehr im Besitz ihrer Millionen sein werden.«
Beim Kreisausschuss der Nationalen Front in Wittenberg, [Bezirk] Halle, sind von den Gemeinden und den Wohnausschüssen der Nationalen Front ca. 200 Protestschreiben eingegangen, die sich gegen die Bonner und Pariser Schandverträge richten. Eine solche große Protestbewegung war bisher im Kreis Wittenberg noch nicht zu verzeichnen.
Noch immer kommt es vor, dass in Kreisen der bürgerlichen Parteien in ablehnender Form über den Wahlablauf am 17. Oktober [1954]32 gesprochen wird. In diesem Zusammenhang kommt es zu negativen Äußerungen gegen unsere Partei. Zum Beispiel wird aus dem Bezirk Suhl berichtet, dass in Neuhaus der größte Teil der Mitglieder der LDP noch immer negativ über die Volkswahl diskutiert. Zum Beispiel sagte der stellvertretende Vorsitzende des Kreisvorstandes in einer Kreisvorstandssitzung am 11.11.[1954]: »Die Volkswahl war der größte Betrug. Erst wurde uns versprochen, dass wir frei wählen könnten, dann war noch nicht mal ein Bleistift vorhanden, mit dem man den Wahlzettel ungültig machen oder Kandidaten streichen konnte.«
Ein NDPD-Mitglied aus Ilmnitz, [Kreis] Stadtroda,33 [Bezirk] Gera: »Die Wahlen am 17. Oktober [1954] sind unnötiger Betrug gewesen. Selbst SED-Genossen haben das gesagt. Unsere Partei befindet sich im Schlepptau der SED. Man sagt immer, Demokratie sei Volksherrschaft, da müsste man eigentlich oben machen, was das Volk will, aber die wahre Stimmung kennt man heute genauso wenig wie vor dem neuen Kurs.«34
Im Pflanzenzüchtungsinstitut in Gatersleben, [Bezirk] Halle, gab der dort beschäftigte Nationalpreisträger Prof. Mothes35 ein Rundschreiben in Umlauf, in dem zum Ausdruck kommt, dass er seine Erklärung, anlässlich der Volkswahl frei und offen zu wählen, hiermit zurückziehe. Er begründet das damit, dass es keine richtige Wahl, sondern ein Zählen der Stimmzettel war.
Aus den Bezirken wird berichtet, z. B. heute aus den Bezirken Erfurt und Dresden, dass in letzter Zeit vonseiten der Pfarrer in Predigten und kirchlichen Zusammenkünften im verstärkten Maße negativ zu dem Entwurf des Familiengesetzes Stellung genommen wird.36 Vorwiegend erklären sie, dass sich die christlichen Menschen mit diesem Gesetz nicht einverstanden erklären können, da die Frau durch die Einbeziehung in den Arbeitsprozess und durch die Erziehung der Kinder in den Kindergärten sie immer mehr unter den Einfluss des Staats geraten. Zum Beispiel brachte ein evangelischer Pfarrer aus Freital zum Ausdruck: »Die Kirche hält nicht an einer vergehenden Gesellschaftsordnung fest, sie muss aber aus Gehorsamkeit zu Gott sprechen. Die Kirche sieht in der Gleichberechtigung der Frau eine Entwürdigung der Frau als Hausfrau und Erzieherin der Kinder.37 Ich schließe mich der Forderung der Landes-Synode, eine Überarbeitung des Entwurfes des Familiengesetzes vorzunehmen,38 an und hoffe, dass sich unsere gewählten Vertreter der Volkskammer dafür einsetzen.«
Ein evangelischer Pfarrer aus dem Kreis Niesky erklärte bei einem Frauenabend, dass jede Gemeinde eine Resolution verfassen sollte, aus der hervorgeht, dass sie sich mit dem Vorschlag des neuen Ehegesetzes nicht einverstanden erklären. Dies müsste aber gleich geschehen, da sonst das Gesetz in Kraft tritt und dann nichts mehr daran zu ändern ist.
Immer wieder kommen von der Bevölkerung Klagen über die ungenügende Warenbereitstellung oder vielfach schlechte Warenstreuung. Von Müttern mit Kleinstkindern wird besonders über das Fehlen von Kindernährmitteln, vor allem Maizena, geklagt. Dazu äußerte eine Mutter aus Schwerin: »Ich musste mein Kind wegen ungenügender Zuteilung von Kindernährmitteln in ärztliche Behandlung geben.«
Aufgrund der vereinzelt auftretenden Magen- und Darmkatarrhen bei Kleinstkindern werden neuerdings, um eine gerechte Verteilung der Kindernährmittel vorzunehmen, von den Mütterberatungsstellen Berechtigungsscheine ausgegeben.
Über das Fehlen verschiedener Massenbedarfsartikel sagte eine Hausfrau aus Schwarzbach, [Bezirk] Suhl: »In den Zeitungen wird immer viel über Massenbedarfsartikel geschrieben. Aber in Wirklichkeit sieht es ganz anders aus. Ein großer Mangel besteht u. a. an Einweckapparaten, Brattiegeln sowie an Bettwäsche. Diese Artikel sind sehr gefragt, da sie nötig gebraucht werden.«
Am 27.10.1954 beschloss der Rundfunkchor des Studios Leipzig einstimmig, jede gesellschaftliche Arbeit abzulehnen. Die durch den Parteisekretär und den BGL-Vorsitzenden geführten Diskussionen blieben erfolglos. Die Mitglieder begründen diesen Beschluss damit, dass dem Chor bereits Ende 1953 aufgrund seiner künstlerischen Leistung eine höhere Einstufung zugesagt wurde. Verhandlungen über diese Angelegenheit laufen bereits über ein Jahr.
Erkrankungen
Im Bezirk Halle sind in Naumburg 37 Personen und in Wittenberg 17 Personen an spinaler Kinderlähmung erkrankt.
Im Bezirk Gera wurden 90 Fälle von spinaler Kinderlähmung bekannt; davon gingen zehn tödlich aus, während außerdem zwei Heilungen zu verzeichnen sind (Stand vom 9.11.1954).
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:39 Potsdam 13 500, Frankfurt/Oder 6 000, Dresden 90.
NTS:40 Cottbus, Kreis Luckau, 30 000, Karl-Marx-Stadt 5 200, Dresden 80.
In tschechischer Spr[ache]: Cottbus 7 000, Dresden 2 800, Karl-Marx-Stadt 1 500.
Die Mehrzahl der Hetzschriften wurde sichergestellt.
Terror: Ein Bauer aus Thangelstedt, Kreis Weimar, [Bezirk] Erfurt, erhielt einen Drohbrief, wonach sein Gehöft am 17.11.[1954] in Brand gesteckt wird. Er wurde aufgefordert, den Ort zu verlassen. Der Brief wurde in der Nacht vom 11. zum 12.11.[1954] über das Hoftor geworfen.
Diversion
Am 11.11.[1954] wurden im Getriebekasten eines Kohlenbaggers des VEB Grube »Phönix« in Mumsdorf, Kreis Altenburg, [Bezirk] Leipzig, drei Maschinenschrauben und acht Rollen eines Rollenlagers gefunden. Der Getriebekasten war vollkommen abgeschlossen.
Am 3.11.[1954] wurde durch unbekannte Täter eine Flachszupfmaschine der LPG in ›Harras‹, welche von der BHG Veilsdorf, Kreis Hildburghausen, [Bezirk] Suhl, ausgeliehen war, von unbekannten Tätern beschädigt. Unter anderem wurde der Antriebsriemen 2-mal zerschnitten.
Am 12.11.[1954] wurden in der LPG Zävertitz, Kreis Oschatz, [Bezirk] Leipzig, wiederholt Rasierklingen im Futter für die Kühe gefunden.
Antidemokratische Tätigkeit
In der Gemeinde Greifenhagen, [Bezirk] Halle, wurden in der Nacht vom 11. zum 12.11.[1954] zwei Hetzlosungen angeschmiert (»Wirklich freie Wahlen«, »Nieder mit der SED-Regierung«).
In der Nacht vom 10. zum 11.11.[1954] wurde in Magdeburg in einem Hausflur die Sichtwerbung zum Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft von unbekannten Tätern zerstört. Seit der Volkswahl ist dieses das 6. Mal geschehen.
Im Zellstoffwerk Gröditz, Kreis Riesa, [Bezirk] Dresden, wurde ein Transparent zum Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft beschädigt.
Im Schwefelsäure-Werk Nünchritz, Kreis Riesa, wurde in der Toilette eine Hetzparole angeschmiert.
Gefälschte Schreiben
Der Rat des Kreises Großenhain, [Bezirk] Dresden, erhielt ein gefälschtes Schreiben, Absender Rat des Kreises Arnstadt. Darin wird aufgefordert, den gesamten Schriftverkehr mit westdeutschen Bürgern, Adressen von westdeutschen Delegationen sowie anderen Besuchern aus Westdeutschland an den Rat des Kreises zu senden.
Am 11.11.[1954] erhielt der Leiter des VPKA Neubrandenburg ein gefälschtes Schreiben, wonach er am 8.12.[1954] an einer Besprechung in der HVDVP Berlin teilnehmen soll.
Am 5.11.[1954] erhielt ein Angestellter aus dem Gummi-Textil-Werk Bad Blankenburg, [Bezirk] Gera, ein gefälschtes Telegramm, wonach er an einer FDGB-Sitzung am 8.11.[1954] in Gera teilnehmen sollte. Als er bei dem FDGB-Bezirksvorstand eintraf, stellte sich die Fälschung heraus.
Vermutliche Feindtätigkeit
Am 8.11.[1954] wurden am Generator der Maschine II im Großkraftwerk Hirschfelde, [Bezirk] Dresden, Funkenbildung und Brandgeruch bemerkt. Bei der Überprüfung wurde zwischen Lauf und Ständer ein Bolzen aufgefunden. Wie der Bolzen in die Maschine geraten ist, kann erst nach Ausbau des Induktors festgestellt werden. Wenn der Induktor neu gewickelt werden muss, fällt die Maschine für ½ Jahr aus.
Am 12.11.[1954] fand im Staatstheater Dresden die öffentliche Hauptprobe zum Symphoniekonzert statt. Unter anderem wurde die VII. Sinfonie (Leningrader) von Dimitry Schostakowitsch41 gespielt. Während der Aufführung dieser Symphonie verließen ca. 40 bis 50 Personen den Zuschauerraum, wobei sie Gegenstände fallen ließen, mit Schlüsseln klapperten und anderes mehr. Außerdem störte eine Gruppe junger Mädchen im Alter von ca. 20 Jahren durch lautes Lachen die Aufführung. Bemerkenswert ist, dass das Haus ausverkauft war, was sonst bei öffentlichen Hauptproben nie der Fall ist.
Seit ca. vier Wochen ist der Empfang des Senders Leipzig42 und des Deutschlandsenders43 im Kreisgebiet von Schwarzenberg und Johanngeorgenstadt äußerst schlecht. Die Sender schwinden stark, was bisher nicht der Fall war. Ebenfalls macht sich ein starkes Brummen bemerkbar. Dadurch sind die Hörer gezwungen, andere Sender zu hören.
Zur Beunruhigung der Bevölkerung wird in letzter Zeit der Fall Fridolin in Leipzig besonders in der Stadt Eilenburg von unbekannten Tätern ausgenutzt. Ähnlich wie in Brandis werden Zettel mit der Unterschrift Fridolin verbreitet bzw. telefonische Anrufe getätigt.
Anlage 1 vom 13. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2366
Stimmung zu den Prozessen in den Bezirken Erfurt und Karl-Marx-Stadt
Über den Prozess der acht Agenten der Gehlen-Organisation vor dem 1. Strafsenat des Bezirkes Erfurt44 wird nur verhältnismäßig wenig diskutiert. In allen Diskussionen bringt man zum Ausdruck, dass diese Verbrecher keine Gnade erfahren dürften und kein Urteil für sie zu hoch sein würde. So äußerte z. B. ein Angestellter der MTS Langensalza: »Die Verbrecher müssen hart bestraft werden. So etwas hätte ich nicht für möglich gehalten, dass man mit so raffinierten Methoden arbeiten würde. Ich verstehe nicht, dass die Angeklagten dabei überhaupt nicht an ihre Frauen und Kinder gedacht haben.« Ähnlich äußerte sich ein Angestellter vom Fernmeldeamt Erfurt.
Beim Prozess gegen fünf Agenten des amerikanischen Gemeindienstes vor dem 4. Strafsenat des Bezirksgerichtes Karl-Marx-Stadt nahmen an beiden Verhandlungstagen aus sämtlichen Schächten der Wismut45 Kumpel teil. Der Prozess wurde von den Wismutkumpeln mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.
In einigen [Wismut-]Schächten in Oberschlema wurde über die Betriebsfunkanlage der Verlauf des Prozesses übertragen, was sich gut auswirkte. So blieben z. B. ein Teil der Kumpel bei Schichtwechsel an den Lautsprechern stehen und diskutierten lebhaft, wobei überall Abscheu gegen die begangenen Verbrechen der Agenten zum Ausdruck kam.
Im Verlauf der Verhandlung wurden bis zur Urteilsverkündung 225 Resolutionen mit rund 25 000 Unterschriften abgegeben, in welchen eine strenge Bestrafung der Angeklagten gefordert wurde.
In Gesprächen bringt man zum Ausdruck, dass das Urteil gegen Riedel46 zu gering sei, er hätte lebenslänglich bekommen müssen, wie Stockhausen.47 Teilweise zieht man die Lehren aus dem Prozess und verpflichtet sich, noch wachsamer zu sein.
Ein Steiger vom [Wismut-]Schacht 6 aus Oberschlema: »Der Angeklagte Riedel müsste mindestens dasselbe Strafmaß erhalten wie Stockhausen, des Weiteren Fischer48 15 Jahre.«
Ein Kollege vom [Wismut-]Schacht 4: »Riedel war genauso ein gefährlicher Agent wie Stockhausen. Die Art, wie er andere Menschen für den amerikanischen Geheimdienst geworben hat und für sich arbeiten ließ, war besonders gemein.«
Ein parteiloser Steiger: »Der Prozess zeigt uns, dass wir nicht wachsam genug sein können. Es sind dies nicht die ersten und auch nicht die letzten. Notwendig ist es aber, allen Kumpels dies zu erklären und über den Prozess zu berichten. Den Feinden unserer Ordnung kann man nicht genug Strafe aufbrummen. Der Strafantrag für Riedel ist zu gering, sonst bin ich mit den Strafen einverstanden.«
Ein anderer Kollege brachte zum Ausdruck: »Meine Meinung ist die, was mir die Beweisaufnahme des Riedel zeigte, dass solche Menschen es nicht wert sind, weiter als Menschen betrachtet zu werden. Es sind wilde Tiere, die man zur Vernichtung der Menschheit losgelassen hat und hier soll man auch keine Gnade walten lassen. Wir müssen aber weiter wachsam sein, dass soetwas bei uns nicht vorkommt.«
Ein Steiger aus der Fabrik 99 äußerte: »Jetzt habe ich erst erkannt, wie viel wachsamer wir noch sein müssen. Wir haben auf alle diese Dinge noch zu wenig Augenmerk gelegt. Der Prozess ist für mich eine große Lehre und ich werde meine Eindrücke auch an alle Arbeitskollegen weitervermitteln.«
Anlage 2 vom 13. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2366
Westberliner Stimmen zu den bevorstehenden Senatswahlen am 5.12.1954
Vielfach kommt in Diskussionen, die in den verschiedensten Bevölkerungskreisen geführt werden, eine Unzufriedenheit über den jetzigen Senat zum Ausdruck. Als Reaktion darauf, äußern einige, die SED zu wählen, weil sie sich eine Besserung der Lage erhoffen, wenn die SED im neugewählten Senat Sitze erhält. Verschiedentlich wird die Meinung vertreten, dass die SED bei der Wahl nicht schlecht abschneiden wird. So erklärte zum Beispiel ein Arbeiter: »Alle Parteien haben bisher nicht das gehalten, was sie versprochen haben. Eine Möglichkeit, unsere Lage zu verbessern, ist noch vorhanden, nämlich die SED zu wählen. Das werden wir auch tun.«
Ein Angestellter der Reichsbahn: »Meine Frau und ich, wir sind uns im Klaren, dass für uns bei der Wahl nur die SED infrage kommt. Meine diesjährige Urlaubsreise nach der DDR haben [sic!] mir die Augen geöffnet und ich habe festgestellt, dass drüben die Verhältnisse ganz anders sind, als die Westpropaganda den Menschen einflößt.«
Ein Arbeiter: »Die Wahlen werden für die SED gar nicht schlecht ausgehen. Wenn man bedenkt, dass die CDU in Westdeutschland jetzt bei jeder Nachwahl an Stimmen verloren hat, so wird es auch hier nicht anders sein. Es wäre nur zu begrüßen, wenn die SED in den Senat einziehen würde, dann wäre Gelegenheit, der Bevölkerung die wahren Ziele der CDU aufzuzeigen.«
Ein Arbeiter: »Die werden sich wundern, was die SPD diesmal für eine Stimmenmehrheit erreichen wird. Auch bin ich überzeugt, dass die SED mit ihrer Stimmenzahl den Westmächten Angst und Schrecken einjagen wird. Das hört man täglich bei uns auf der Arbeitsstätte.«
Ein Gastwirt: »Ich bin davon überzeugt, dass die SED eine große Stimmenzahl aufbringen wird. Die Verhältnisse hier sowie in Westdeutschland haben dazu geführt, dass der Schreiber-Senat49 75 Prozent an Sympathie verloren hat.«
Ein Tiefbau-Ingenieur – beschäftigt beim Senat – sagte, dass sowohl die DP sowie die SED so viel Stimmen erhalten werden, dass sie in das Abgeordnetenhaus einziehen werden.
In einer Diskussion auf einer Baustelle in Zehlendorf wurde von mehreren Arbeitern zum Ausdruck gebracht, dass sie gegen das Wehrgesetz50 Adenauers sind. Des Weiteren erklären sie, dass sie von der Politik der bürgerlichen Parteien und auch von der SPD enttäuscht sind. Es sei sehr betrüblich, dass die SPD so versagt habe. Während einer sagte, dass er die SED wählen wolle, erklärten die Anderen, dass sie noch nicht wüssten, wem sie ihre Stimme geben sollen.
In negativen Stellungnahmen, meist von Personen, die durch die westliche Propaganda stark beeinflusst sind oder aufgrund ihrer offenen feindlichen Einstellung gegenüber der SED, wird der SED ein Erfolg bei den Wahlen abgesprochen. Bei Agitationseinsätzen kommt es vielfach vor, dass man sich in keine Diskussion einlässt oder zum anderen die SED beschimpft.
In einer Diskussion wurde von bürgerlichen Elementen zum Ausdruck gebracht, dass die Zulassung der SED ein Schachzug der anderen Parteien sei. Die SED wird nur wenige Stimmen erhalten, und dann würden diese Parteien erklären: »Was wollt ihr denn schon mit euren dauernden Forderungen und Drängeleien. Ihr seht doch, dass hier, wo sich die Menschen frei entscheiden können, niemand oder nur wenige für euch stimmen.«
Ein SPD-Mitglied: »Die Kommunisten benehmen sich hier bei ihrem Wahlkampf genau wie in den Jahren vor 1933, nämlich als Unruhestifter. Sie beschimpfen und beschmutzen nur die anderen Parteiführer. So ein totalitäres Regime, wie die SED in der Zone aufgebaut hat, lehnt die SPD ab.«
Bei einem Agitationseinsatz wies ein Mieter aus der Renschstraße51 die Agitatoren mit der Begründung ab, dass er sich nicht um Politik kümmere. Seine Frau machte die Bemerkung, dass er sich nicht mit den Kommunisten in ein Gespräch einlassen sollte. Des Weiteren sagte sie, dass sie zur Polizei gehen wollte, um sich zu erkundigen, ob es überhaupt den Kommunisten gestattet sei, von Haus zu Haus zu gehen.
Ein Bewohner von Wittenau äußerte gegenüber Aufklärern: »Ich würde mich schämen, für solch eine Partei agitieren zu gehen. Ihr könnt drüben aufklären, bei uns ist das aber nicht nötig. Kennt ihr denn überhaupt hier die Verhältnisse? Meine Verwandten kommen von drüben zu mir, um sich mal bei mir satt zu essen. Obwohl ich arbeitslos bin, geht es mir hier besser, als drüben einem Arbeiter.« Als ihm seine Ausführungen widerlegt wurden, sagte er: »Euch müsste man alle aufhängen.«
Während der Verteilung des »Briefes des Berliner Friedensrates an die politischen Parteien in Westberlin«52 anlässlich der Wahlen am 5. Dezember [1954] nahmen die Vertreter der Parteien wie folgt Stellung:
Der Vertreter der Deutschen Partei, Sielaff53: »Wir wollen keine Verständigung zwischen Bonn und Pankow,54 sondern Viermächteverhandlungen. Die Londoner Beschlüsse55 bejahen wir, aber die Saarfrage billigen wir nicht. Wenn wir erst im Parlament sind, werden wir zeigen, was wir können.«
Der Vertreter der FDP, Rieckhoff56 (persönlicher Referent Schwennickes57) lehnte die Annahme des Briefes mit den Worten ab: »Der kommt von der SED.«
Beim Überbringen des Briefes an den Vertreter der CDU benutzte die Gräfin von Brockdorff58 ihren Namen, um überhaupt vorgelassen zu werden. Als sie den Brief vorlegte, sagte man ihr, sie sei eine Idealistin und es sei erschreckend, dass der Friedensrat so große Kreise gezogen habe, dass sich schon eine Gräfin dafür hergibt. Der Brief wurde abgelehnt.
Der Vertreter der konservativen Partei, Müller,59 empfing die Delegation sehr höflich und sagte zu dem Schreiben Folgendes: »Ich und meine Partei sind grundsätzlich mit dem Verbot aller atomaren Waffen und Massenvernichtungsmittel einverstanden. Die Londoner Beschlüsse gelten für uns als Verlegenheitsbeschlüsse, genauso die Saarfrage. Verständigung ja – aber nicht mit den Kommunisten, die müssen ausgerottet werden.«
Beim Aufsuchen des SPD-Vertreters war es erst das 2. Mal möglich, den Brief beim Pförtner abzugeben.