Zur Beurteilung der Situation in der DDR
16. November 1954
Informationsdienst Nr. 2368 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Diskussionen über politische Tagesfragen haben weiter abgenommen und sind gering. Im Mittelpunkt stehen noch die Prozesse gegen die Gehlen-Organisation,1 wobei fast ausschließlich positiv zu den Urteilen gesprochen wird. Vielfach werden jedoch die Zuchthausstrafen als zu gering bezeichnet und die Todesstrafe für alle gefordert. So äußerte z. B. eine Reinigungsfrau in der Bergakademie Freiberg: »Ich kann nicht verstehen, dass von den Agenten einige nur Zuchthausstrafen erhalten haben. Solche Verbrecher müssten mit dem Tod bestraft werden.«
Viele Kumpels aus dem Wismutgebiet2 sind ebenfalls der Meinung, dass die ausgesprochenen Zuchthausstrafen zu gering seien und alle die Todesstrafe erhalten müssten.
Teilweise ist man verwundert, dass einige Agenten hohe Funktionen innehatten, weshalb man jetzt die Wachsamkeit gegenüber den Funktionären verstärken will. So äußerte z. B. ein Meister aus der Montageabteilung des VEB Blechverarbeitungs- und Maschinenwerk in Zeulenroda, [Bezirk] Gera: »Ich bin nur erstaunt, dass diese Agenten meist in hohen verantwortlichen Positionen saßen. Man wundert sich manchmal, dass dies oder jenes nicht klappt, aber wenn man sieht, dass die Agenten bis in die höchsten Spitzen vordringen, dann ist das nicht verwunderlich.«
Ein Teil der Kollegen des Leuna-Werkes »Walter Ulbricht« vertritt die Ansicht, dass man besonders den höheren Funktionären gegenüber misstrauisch sein muss. Man muss auf solche Menschen besonders gut achten.
Zur neuesten Note der Sowjetunion3 wird bisher nur ganz gering überwiegend zustimmend gesprochen. Man begrüßt die Note als Ausdruck der Hilfe der SU für das deutsche Volk und als weiteren Beweis ihrer Friedenspolitik. Einige stimmen besonders einer gesamteuropäischen Konferenz vor Ratifizierung der Pariser Verträge zu.4
Über die 21. Tagung des Zentralkomitees der SED5 liegen noch keine Stimmen vor.
Zum Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft6 ist im Kunstfaserwerk »Wilhelm Pieck« in Rudolstadt, [Bezirk] Gera, allgemein eine gute Stimmung vorhanden. Eine Ausnahme bildet die Abteilung Polymersation. Hier wird negativ über das Leben in der SU diskutiert.
Überwiegend wird über wirtschaftliche und betriebliche Fragen gesprochen. In Privatbetrieben, [wie der] Maschinenfabrik »Gebrüder Meinicker« Zerbst,7 [Bezirk] Magdeburg, lehnten die Kollegen eine Teilnahme an der Einbringung der Hackfruchternte am 13.11.1954 mit folgenden Argumenten ab: »Wir sind ja doch nur Menschen II. Klasse in den Privatbetrieben.« »Warum bekommen wir keine Prämien?« »Warum ist unser Lohn so niedrig gegenüber den VEB« und Ähnliches.
Im Kaliwerk Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, wird unter den Kumpels negativ über die Preise für Textilien diskutiert. So sagte z. B. ein Maschinist: »Viele Kollegen und auch wir sind der Meinung, dass die Preise nach dem neuen Kurs8 gestiegen sind. Vor drei Jahren bekamen wir Anzüge für 68,00 DM, jetzt gibt es keine unter DM 150. So sehr ist die Qualität nicht gestiegen. Hier stimmt doch etwas nicht.«
In der Abteilung Nitrieranlage des VEB Eilenburger Zelluloid-Werkes, [Bezirk] Leipzig, werden Diskussionen über die Zahlung von Weihnachtsgeld geführt. Selbst in einigen Grundorganisationen der Partei spricht man darüber. So wurde z. B. in der Grundorganisation III zum Ausdruck gebracht, dass in Westdeutschland für Ledige 30,00 Mark und für Verheiratete 50,00 Mark ausgezahlt werden.9
Im [Wismut-]Schacht 76 in Annaberg besteht unter den Schießmeistern eine schlechte Stimmung, da die Norm für den Sprengstoffverbrauch erhöht wurde. Dadurch fallen die Prämien in Höhe von 180 bis 200 DM, die sie bei der vorherigen Norm bekamen, weg.
Im Wismut-Schacht 6 in Oberschlema wird von einigen Kumpels negativ über die Norm diskutiert und gesagt, dass man sie ausbeutet. Sie müssten schwer arbeiten, während andere das Geld verdienten.
Im VEB Möbel-Kombinat Wittstock, [Bezirk] Potsdam, Abteilung Malerei ließ sich ein Arbeiter seine Norm erhöhen, weil er sie täglich mit 200 bis 300 Prozent erfüllte. Sieben Arbeiter aus der gleichen Abteilung, die davon erfuhren, erklärten, dass man diejenigen, die sich die Norm erhöhen lassen, ins Kreuz treten müsste.
Materialmangel
Im Privatbetrieb Kistenfabrik Schöna in Rieben,10 Kreis Gransee, [Bezirk] Potsdam, mangelt es besonders an Nägeln und Holz. Dies wirkt sich negativ auf die Stimmung der Belegschaft aus. So diskutierten z. B. einige Kollegen: »Wir geben unser Möglichstes. Nun sollte man aber auch an den verantwortlichen Stellen dafür sorgen, dass auch Privatbetriebe das nötige Material erhalten. Nicht nur immer die VEB.«11
Im VEB Schwerweberei Vetschau, [Bezirk] Cottbus, besteht ein großer Mangel an Baumwollgarnen, wodurch bereits fünf Webstühle stillgelegt werden mussten. Lieferant ist der VEB Baumwollspinnerei Leipzig. Außerdem hat der Betrieb Absatzschwierigkeiten, da die DHZ verschiedene Verträge rückgängig machen will.12
Im VEB Blechwalzwerk Olbernhau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, musste am 10.11.1954 das Gerüst I der Karl-Marx-Straße wegen Mangel an Platinen außer Betrieb gesetzt werden, wodurch ein täglicher Produktionsausfall von 100 t Blech entsteht.13
Im VEM Fimag Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, mangelt es in der Abteilung Ankerwickelei an Materialien.14
Im VEB Volksbau Berlin fehlt es an Rundstahl für Stahlbetonstürze, Treppenläufe usw.15
Fehlerhaftes Material
Im VEB Wärmegerätewerk Dresden Werk II in Königsbrück treten in letzter Zeit bei der Emaillierung von Spülbecken Fehler auf, wodurch die Becken zweimal emailliert werden müssen. Die Bleche für die Becken werden in der Maxhütte [Unterwellenborn] angefertigt.
Waggonmangel besteht in der Zuckerfabrik Lübz, [Bezirk] Schwerin. So wurden z. B. vor einigen Tagen zwölf Waggons benötigt, jedoch nur einer von der Reichsbahn gestellt. Trotz wiederholter Reklamationen bei der Reichsbahn wurde noch keine Abhilfe geschaffen.
Seit einigen Tagen ist im Werkstromversorgungsnetz des VEB [Schwermaschinenbau] »Heinrich Rau« [Wildau, Bezirk] Potsdam, ein starker Spannungsabfall zu verzeichnen, hauptsächlich von 9.00 bis 17.00 Uhr, der nach Mitteilung des Hauptlastverteilers in Berlin längere Zeit andauern soll. Es ist deshalb im VEB damit zu rechnen, dass ein vermehrter Anfall von Reparaturen an elektrischen Geräten erforderlich wird.
Produktionsstörungen
Am 14.11.1954 ereignete sich im Tagebau »Impuls« des BKW Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, ein Erdrutsch, wodurch der Tagebau stillgelegt werden musste. Ursache: vermutlich, Ansteigen des Hochwassers. Circa 5 000 cbm Erde sind gerutscht. Drei Arbeiter wurden verletzt.
Am 13.11.1954 fuhr im BKW »Franz Mehring« [Brieske], [Bezirk] Cottbus, ein Vollzug mit erhöhter Geschwindigkeit in den Kohlenbunker der Brikettfabrik und riss am Ende der Bunkerbrücke den Prellbock weg, wodurch ein Teil der Bunkerbrücke zusammenbrach. Sachschaden ca. 140 000 DM. Produktionsausfall ca. 250 Tonnen Siebkohle. Der E-Lokführer stand unter Alkoholeinfluss. Er wurde festgenommen.16
Am 12.11.1954 brach an der Hauptschalttafel des Objektes »Sowj[etski] Sojus«17 [in] Rostock ein Brand aus. Ursache: Vermutlich Kurzschluss. Schaden ca. 1 500 DM.
Am 12.11.1954 riss im BKW Kulkwitz, [Bezirk] Leipzig, das Stollenband, auf welchem die Braunkohle zur Brikettfabrik und zum Kraftwerk Kulkwitz befördert wird. Dadurch mussten die Braunkohlenförderung sowie die Brikettfabrik für zehn Stunden außer Betrieb genommen werden. Ursache: Überalterung des Stollenbandes; Produktionsausfall: 500 bis 600 t Briketts, 150 bis 200 t Braunkohle.
Schwierigkeiten bei der Massenbedarfsgüterproduktion
Im BWS Schmölln,18 [Bezirk] Leipzig, ist die planmäßige Fertigstellung der Massenbedarfsgüter angeblich durch Stromschwierigkeiten gehemmt. Die Produktion soll den Wert von 350 000 DM erreichen. Bis jetzt wurde für 40 000 DM produziert.
Der VEB Kühlautomat Berlin hat ein Soll von 1 250 Rohkühlschränken (monatlich). Im Monat Oktober wurden jedoch nur 163 fertiggestellt. Dafür werden folgende Gründe angegeben. Die Hartfaserplatten sind für die Produktion ungeeignet, da sie Feuchtigkeit aufnehmen und sich verziehen. Mangelhafte Belieferung durch den Unterlieferanten Großtischlerei Eichwalde: Mangel an Fachkräften, besonders Maler, Klempner und Sandstrahler. Eine Reihe von Arbeiten, die die Großtischlerei Eichwalde ausführen sollte, wird jetzt in der Tischlerei des VEB Kühlautomat selbst getätigt, wodurch sich die Kosten für die Kühlschränke erhöhen.
Handel und Versorgung
Unzufriedenheit verursacht immer wieder die mangelhafte Warenbereitstellung, wie folgende Beispiele zeigen.
Im Bezirk Cottbus, in den Kreisen Zeulenroda, [Bezirk] Gera, und in einigen Kreisen des Bezirkes Suhl fehlen Eier. Die Hausfrauen sind darüber verärgert und sagen z. B. im Bezirk Cottbus: »Die Polizei und Besatzungsmacht erhalten Eier, während die Arbeiter das Nachsehen haben.«
Im Kreis Riesa sind die Hausfrauen über das Fehlen der Mandeln und Rosinen für die Weihnachtsbäckerei verärgert. Sie sagen: »Man soll sich doch endlich einmal die Menschen ansehen, die an verantwortlichen Stellen sitzen, ob sie zuverlässig sind.«
In der DHZ Boizenburg, [Bezirk] Schwerin, dagegen lagern Rosinen, Bananen, Zitronen und andere Waren für Weihnachten, die nach Anweisung der DHZ Schwerin erst Mitte Dezember zum Verkauf gelangen sollen. Es besteht die Gefahr, dass z. B. Zitronen verderben, da sich diese Anzeichen jetzt schon zeigen.
Der Papiermangel macht sich besonders in der Süßwarenindustrie bemerkbar. Die HO Wismut z. B. erhält dauernd Schreiben von den Lieferbetrieben, dass die Verträge wegen dem Mangel an Verpackungsmaterial nicht eingehalten werden können, oder aber Pralinen, Bonbon, Kekse, Mehl, Zucker und Salz lose geschickt werden müssten. Ähnlich ist es z. B. im Kreis Gräfenhainichen, [Bezirk] Halle. Die Bevölkerung sagt dort, dass Zeitungen, Plakate u. Ä. in rauen Mengen, nur keine Papierwaren für den Haushalt vorhanden sind.
Im Kreis Güstrow, [Bezirk] Schwerin, fehlt es an Winterbekleidung, Oberhemden, Bett- und Tischwäsche. Im Kreis Zeulenroda fehlen Damenstrümpfe.
Von der Insel Rügen kommen immer wieder Klagen über die schlechte Warenbelieferung und das Fehlen von Verkaufsstellen in den ländlichen Gemeinden, sodass die Hausfrauen kilometerweit fahren müssen, um einzukaufen.
Im Kreis Artern gibt es seit einer Woche keine Fischkonserven mehr.
Landwirtschaft
Die politischen Stellungnahmen haben weiterhin einen geringen Umfang. Zum Prozess gegen die Gehlen-Agenten wurde nur vereinzelt – mit dem bereits bekannten Inhalt – Stellung genommen.
Vorwiegend befasst sich die Landbevölkerung mit der Hackfruchternte und den damit verbundenen Schwierigkeiten. So kommen immer wieder Klagen über den Mangel an Transportmitteln, besonders an Waggons von der Reichsbahn. In Sollstedt, [Kreis] Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, z. B. ist die Bereitstellung der Waggons sehr mangelhaft. Für die 2. Dekade November sind nur zwei Waggons vorgesehen. Dabei sind noch keine 50 Prozent des Rübenanfalls verladen. Ein parteiloser Bauer sagte hierzu: »Wenn das so weitergeht mit der Gestellung der Waggons, dann dauert die Verladung bis Februar 1955.« Ein ähnlicher Zustand ist im Bezirk Rostock zu verzeichnen.
Das Gleiche gilt auch für andere Transporte. Am 15.11.[1954] standen die Bauern von Tromsdorf, [Kreis] Naumburg, [Bezirk] Halle, mit 100 Schweinen und warteten auf die schon am 12.11.1954 bestellten Waggons zum Abtransport, die bis zur Mittagszeit nicht eintrafen. Unter den Bauern machten sich Unstimmigkeiten bemerkbar, wie: »Dann fahren wir wieder nach Hause und liefern überhaupt nicht ab.«
Große Schwierigkeiten haben teilweise die MTS mit Ersatzteilen, wodurch Arbeitsausfälle und Unzufriedenheit verursacht werden. Am 26.11.1954 suchten Verantwortliche für die MTS des Bezirkes Neubrandenburg das Schlepperwerk Brandenburg auf und sprachen mit dem Werkdirektor und anderen Verantwortlichen über die schlechte Härtung des Materials und die Lieferung von Ersatzteilen. Die Verantwortlichen des Schlepperwerkes sahen die Fehler ein, sagten aber, dass sie nicht helfen könnten, weil sie keine Ersatzteile haben.
In der Spezialwerkstatt Waren, [Bezirk] Neubrandenburg, stehen acht Raupen wegen Ausgleichgehäusebruch, sodass die Werkstatt damit überfüllt ist und keine anderen Reparaturen mehr übernehmen kann. Der Leiter dieser Werkstatt hat Rohlinge besorgt und bearbeitet diese unter den schwierigsten Bedingungen, um die Maschinen fertigzustellen. In anderen Spezialwerkstätten des Bezirkes Neubrandenburg sind ähnliche Zustände zu verzeichnen.
In der MTS Herzfelde steht eine Raupe, von der das Schlepperwerk das Ausgleichsgehäuse mitgenommen hat. Diese Raupe steht seit acht Tagen noch zerlegt, weil das Schlepperwerk keine Ersatzteile dafür liefern kann. Das Ministerium Land- und Forstwirtschaft Berlin ist davon in Kenntnis gesetzt worden, ohne dass eine Änderung erfolgte.
In der MTS Sargard, [Kreis] Bergen, [Bezirk] Rostock, sind Traktoristen aus Sachsen zur Hilfe eingesetzt worden. Diese erklärten, dass sie zu Hause geblieben wären, wenn sie vorher gewusst hätten, dass die Arbeit hier mit solchen Schwierigkeiten verbunden sei. Wenn es so weiterginge, würden sie abhauen.
Über die mangelhafte Unterstützung durch die Kreisräte klagen einige LPG im Bezirk Schwerin. So wurde [der] LPG Laasch z. B. ein neuer Schweinestall im Jahre 1954 zugesichert. Vom Rat des Kreises ist bis zum heutigen Tag keine Unterstützung erfolgt, obwohl ihm bekannt ist, dass im Jahre 1953 ca. 100 Schweine infolge schlechter Stallverhältnisse an Schweinepest erkrankten. Der Vorsitzende der LPG wurde auf das Jahr 1955 vertröstet.
Im Kreis Meiningen führt die bäuerliche Bevölkerung über einige Bürgermeister Beschwerden. Besonders in den Gemeinden Bauerbach, Henneberg und Bibra.19 Der Bürgermeister von Bibra, ein Genosse, arbeitet z. B. in der Gemeinde zum Vorteil der wirtschaftlich starken Mittelbauern. Des Weiteren ist er fast täglich betrunken. Bei der Volksbefragung20 dauerte dieser Zustand drei Tage lang. Außerdem hält er Jugendliche davon ab, sich zur VP zu melden. Der Bürgermeister aus Henneberg verkehrt in reaktionären Kreisen. Vor der Volksbefragung verbreitete er, dass die Ausgesiedelten und Republikflüchtigen alle wieder zurückkönnen. Der Bürgermeister aus Bauerbach äußerte sich, dass er seit 1919 Mitglied der SPD und niemals Kommunist ist. Die Meinung der Bevölkerung hierzu ist, dass der Kreisrat keine Abhilfe schafft, weil er zu überheblich ist und für die Arbeiter und Bauern nichts übrig hat.
Im Kreis Sonneberg, [Bezirk] Suhl, ist zu verzeichnen, dass unter der Landbevölkerung eine gewisse Angst besteht. Man ist der Meinung, wenn die Einheit überraschend kommt, wird eine Geldentwertung durchgeführt. Aus diesem Grunde wird in den Geschäften alles aufgekauft, was sonst nicht gekauft wurde.
Übrige Bevölkerung
Unter der übrigen Bevölkerung wird weiterhin in geringem Maße zu politischen Problemen Stellung genommen. Zur neuesten Note der Sowjetunion wurden nur vereinzelt Stimmen bekannt, jedoch überwiegend zustimmend. Neben den positiven Äußerungen kam es vereinzelt zu zweifelnden Stimmen, die zum Ausdruck bringen, dass es sehr fraglich sein wird, ob die Westmächte auf den Vorschlag der SU eingehen werden. In den positiven Stellungnahmen wird übereinstimmend erklärt, dass die SU durch ihre neue Note wiederum der Welt beweise, wie stark sie an der Erhaltung des Friedens in der Welt interessiert ist.
Die noch immer bekannt werdenden Äußerungen zur Aburteilung der sieben Gehlen-Agenten vor dem Obersten Gericht sind in der Mehrzahl positiv. Neben den Stimmen, die zum Ausdruck bringen, dass das Urteil gerecht sei, kommt es immer wieder zu Äußerungen, wie z. B., dass alle sieben Agenten aufgrund ihrer verbrecherischen Tätigkeit die Todesstrafe verdient hätten. Zum Beispiel sagte ein Tischlermeister (parteilos) aus Großfriesen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Den Halunken müssten sie den Kopf abschlagen. Wir bauen neue Häuser und Brücken und die wollen sie durch einen neuen Krieg kaputtschlagen. Es ist bloß schlimm, dass in solchen hohen Staatsfunktionen noch Spione sind und Berichte liefern.«
Eine Hausfrau (parteilos) aus Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Warum wurde einer dieser Verbrecher nur mit zwölf Jahren Zuchthaus betraft? Jetzt ist es einem erst mal richtig zum Bewusstsein gekommen, welche gefährliche Rolle die Gehlen-Spionage-Organisation spielt.«
Negative Äußerungen sind nur ganz vereinzelt.21 Eine Hausfrau aus Möbisburg, [Kreis] Langensalza,22 [Bezirk] Erfurt: »Das Urteil gegen Bandelow23 und Komplizen ist ungerecht. Erst hat man die Todesstrafe abgeschafft, jetzt führt man sie wieder ein.24 So groß ist doch das Verbrechen wirklich nicht.«
Wie schon berichtet, kommt es bei der Werbung neuer Mitglieder für die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft immer wieder zu negativen Stellungnahmen. Zum Beispiel erklärte ein Mitglied der NDPD aus Neuruppin, [Bezirk] Potsdam: »Wenn man mich zwingen würde, in die DSF einzutreten, würde ich es tun; aber freiwillig kann ich nicht. Die SU hat Schuld, dass ich meine Heimat – Sudetenland – verlor.«
Im Postamt Aken, Kreis Köthen, [Bezirk] Halle, fand eine Rechenschaftslegung über den Betriebskollektivvertrag im III. Quartal statt. Dabei wurden folgende Diskussionen geführt: »Man muss nun endlich auch bei der Deutschen Post dazu übergehen, die Löhne und Gehälter denen anderer volkseigener Betriebe anzugleichen. Die bisher schon erfolgte Fluktuation bei der Post ist ausschließlich auf die schlechte Bezahlung der dort Beschäftigten zurückzuführen. Die Qualifikation des Personals leidet erheblich unter der Fluktuation und weitere Kollegen beabsichtigen, in Kürze aus der Post auszuscheiden, wenn sich die Lohn- und Gehaltsfrage nicht bald ändert.«
In einer Mitgliederversammlung der CDU in Gera-Mitte, in welcher 35 Personen anwesend waren, wurde die Bildung von CDU-Betriebsgruppen gefordert, welche vor zwei Jahren auf Beschluss des Zentralvorstandes der CDU aufgelöst wurden.25
Aus dem Hufelandkrankenhaus Berlin-Buch, Chirurgische Abteilung, Haus 8 wird bekannt, dass ein großer Teil der Patienten ihr Rundfunkgerät von zu Hause mitbringen und dort von morgen bis abends den RIAS hören. Das Personal unternimmt nichts dagegen. Die Massagen, welche die Patienten erhalten, werden nur nach RIAS-Musik durchgeführt. Außerdem werden ständig Westzeitschriften herumgereicht, insbesondere der »Stern« und »Die Revue«.
In der Grundschule in Brandenburg – Kurstraße – wurde am 3.11.1954 in der Klasse 6c – wie auch in allen anderen Klassen – die Note der SU behandelt. Anschließend wurde den Schülern eine Resolution zur Unterschrift vorgelegt. Diese Handlung wurde durch die Beendigung der Unterrichtsstunde unterbrochen. Vier Schüler hatten erst unterschrieben. Als die Lehrerin nach der Pause wieder in das Klassenzimmer kam, stand an der Tafel »Wir meutern! Wir unterschreiben nicht!« Auf dem Lehrerpult klebte ein Zettel mit dem gleichen Text und fast alle Schüler waren im Besitz von Zetteln, auf denen ebenfalls »Wir meutern!« stand. Nachdem die Schüler über ihr ungehöriges Verhalten aufgeklärt und sie aufgefordert wurden, die Zettel zu vernichten, geschah dies auch. Danach wurde eine schriftliche Arbeit geschrieben, an der sich ein Schüler nicht beteiligte. Er schrieb auf einem Zettel: »Wir unterschreiben nicht! Wer unterschreibt verliert den Kopf! Der Unbekannte.« Dieser Zettel wurde in der ganzen Klasse herumgereicht. Nachdem der Zettel von der Lehrerin weggenommen wurde, wiederholte sich das Gleiche noch einmal. Am darauffolgenden Tag ließ die Lehrerin die Resolution von den restlichen Schülern unterschreiben. Dabei wurde noch einmal der Versuch unternommen – diesmal von einem anderen Schüler, dessen Vater Berufsschullehrer ist – von der Unterzeichnung abzuhalten. Am 5.11.1954 kam es zu weiteren Vorkommnissen ähnlicher Art in den Klassen 7a und 5c. Die Schule besteht erst seit September dieses Jahres. Derartige Vorkommnisse waren bisher noch nicht zu verzeichnen.26
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:27 Frankfurt 1 300, Potsdam 330, Magdeburg 3 000, Karl-Marx-Stadt 200, Rostock und Dresden einige.
KgU:28 Karl-Marx-Stadt 450.
NTS:29 Halle 100, Potsdam 180, Dresden 320, Magdeburg 6 000, Karl-Marx-Stadt 15.
ZOPE:30 Dresden 30.
CDU[-Ostbüro]: Potsdam 2 000 (alte Ausgabe).
FDP[-Ostbüro]: Leipzig 20, Karl-Marx-Stadt 60.
In tschechischer Sprache: Dresden 1 570; Cottbus, Kreis Spremberg, 1 250, Kreis Weißwasser 1 000.
Unbek[annter] Herkunft: Dresden 20 000 (Hetze gegen Wirtsch. Aufbau der DDR, gegen Regierung und SED).
»Stimme der Freiheit«: Karl-Marx-Stadt 350.
Die Hetzschriften wurden größtenteils durch Ballons eingeschleust und sichergestellt.
Am 13.11.1954 wurden in Ilmenau, [Bezirk] Suhl, acht handgeschriebene Hetzschriften mit der Aufschrift »Nieder mit Molotow,31 nieder mit der Polizei, nieder mit Günschmann«32 an Schaufenstern, Hausfluren und Hausbriefkästen aufgefunden.
Von Wismut-Aue wird berichtet, dass der Klassengegner versucht in verschiedenen Hauptschächten eine Missstimmung unter den Kumpels hervorzurufen und zwar wegen schlechter Luft. In den letzten Tagen wurde festgestellt, dass die Hautpventilleitungen laufend bis zur Hälfte zugedreht wurden.33
Im [Wismut-]Schacht 207 arbeitet der Klassengegner durch Abreißen von Wettbewerbstafeln, Beschmieren von Wandzeitungen und durch Verstecken des Werkzeuges. Vom Schacht 66 wurde bekannt, dass eine Brigade einer anderen Brigade 80 m Schlauch, zwei Sägen und ein Beil gestohlen hat. Wodurch die Brigade einen Arbeitsausfall von acht Stunden hatte. Weiter zerschnitt man im Schacht 66 sämtliche Luft- und Wasserschläuche zu Meterstücken.34
Terror
In der Nacht vom 14.11. zum 15.11.1954 wurde in Thale, [Bezirk] Halle, der Bezirksabgeordnete Schröder35 niedergeschlagen. Vier Täter wurden festgenommen.
Antidemokratische Tätigkeit
Im Korridor des Verwaltungsgebäudes des Hauptlagers Johanngeorgenstadt (Wismut) wurde ein Plakat vom Genossen Molotow und Genossen Grotewohl36 beschmiert. Ein gleiches Plakat, welches im Unterkunftsraum hing, wurde ebenfalls beschmiert.
Gefälschtes Schreiben
Ein Mittelbauer aus Burk, [Bezirk] Dresden, erhielt ein Schreiben vom DDR-Innenministerium, Auslandsbesitzungen. In diesem Schreiben wird er benachrichtigt, dass er mit einer Jahressteuer von DM 40,00 belegt sei und er bei Nichteinzahlung gepfändet würde.
Gerüchte
In der Gemeinde Heynitz, [Kreis] Meißen, [Bezirk] Dresden, kursiert das Gerücht, dass Papiergeld, welches eine schwarze Nummer hat, zuerst wieder verfallen würde.
In Görlitz, [Bezirk] Dresden, geht unter den Geschäftsleuten das Gerücht um, dass die Volkskammer Steuererhöhungen beschließen wird.
Vermutliche Feindtätigkeit
Im Stahlwerk Riesa, [Bezirk] Dresden, erfolgte am 14.11.1954 eine Explosion in der Pressluftzentrale. Unter den Arbeitern entwickelten sich Diskussionen und sie sind der Meinung, dass diese Störung kein Zufall sein kann, dass auch hier unsere Arbeiter- und Bauernmacht durch feindliche Elemente geschädigt werden sollte.
Am 14.11.1954 brannte in Triebes, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt,37 eine Feldscheune eines Mittelbauern ab. Ackergeräte, Heu, Hafer usw. wurden vernichtet. Es wird vorsätzliche Brandstiftung vermutet, da bereits vor vier Wochen im gleichen Ort eine Strohfeime38 in Brand gesteckt wurde. Täter unbekannt.
Anlage vom 16. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2368
Stimmen zur Note der Sowjetunion vom 13.11.1954
Bis jetzt wird noch in allen Schichten der Bevölkerung wenig über die neue Note der SU gesprochen. Vorwiegend sind es Arbeiter und Angestellte der volkseigenen Betriebe sowie Kollegen aus dem Verwaltungs- und Handelsapparat, die sich dazu äußern. Dort wurden bereits Kurzversammlungen durchgeführt. Aus den anderen Schichten der übrigen Bevölkerung liegen nur vereinzelt und von der Landbevölkerung noch gar keine Stellungnahmen vor. Die bekannt gewordenen Äußerungen sind in der Mehrzahl positiv.39 Übereinstimmend wird erklärt, dass die neueste Note der SU ein weiterer Beweis dafür ist, wie stark die Sowjetunion an der Erhaltung des Weltfriedens interessiert ist. Von einigen wird erklärt, dass der Vorschlag zur Einberufung einer Konferenz, auf der über den Pakt der kollektiven Sicherheit beraten werden soll, zum richtigen Zeitpunkt kam, nämlich bevor die Verträge von Paris ratifiziert werden. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter aus dem VEB IKA in Sonneberg, [Bezirk] Suhl: »Jetzt müssen die Westmächte Farbe bekennen und ihre wahren Absichten zeigen. Sollte mit ihnen eine Übereinkunft erzielt werden, steht die Einheit, so glaube ich, unmittelbar bevor.«
Ein Arbeiter (parteilos) vom VEB Zeiss [in] Eisfeld, [Bezirk] Suhl: »Wir können den Sowjetmenschen nicht dankbar genug sein. Denn sie sind es, die sich dauernd für unsere Wiedervereinigung und für den Frieden in Europa einsetzen. Die Militaristen in Westdeutschland sollten sich an ihnen ein Beispiel nehmen.«
Ein Kumpel (parteilos) aus dem »Karl-Marx«-Werk in Zwickau: »Hier sieht man immer wieder, dass die SU es auf allen Wegen versucht, die Einheit Deutschlands und die kollektive Sicherheit auf friedlichem Wege zu erlangen. Wenn diesmal die Westmächte nicht auf den Vorschlag eingehen, dann zeigen sie der Welt erneut ihre Kriegsabsichten.«
Ein Angestellter (SED) von der Peene-Werft Wolgast: »Die neue Note ist ein Beweis mehr, dass die SU eine Politik des Friedens betreibt und dass sie es wirklich ehrlich mit der Freundschaft zu anderen Völkern meint.«
Ein Angestellter vom VEB Ölwerke Wittenberge, [Bezirk] Schwerin: »Es hat sich jetzt wieder erneut gezeigt, dass die SU stets bereit ist, auf friedlicher Basis mit allen Ländern zusammenzuleben. Jedoch zeigte es sich bisher, dass die Westmächte an den Vorschlägen der SU nicht interessiert sind, da sie nur für einen neuen Krieg aufrüsten wollen.«
Ein Intelligenzler aus dem VEB KMB Döbeln,40 [Bezirk] Leipzig: »Ich begrüße den Vorschlag der SU, noch vor der Ratifizierung der Pariser Verträge eine Konferenz durchzuführen, die sich mit der kollektiven Sicherheit in Europa und der Wiedervereinigung Deutschlands befassen soll.«
Ein Lehrer aus Wangelin, [Bezirk] Schwerin: »Ich kann nicht verstehen, dass jetzt noch immer Menschen nach Westdeutschland gehen. Die Entwicklung Westdeutschlands zeigt doch deutlich, dass sie zum Krieg führt. Ich begrüße die Note deshalb, weil darin vorgeschlagen wird, dass schnellstens verhandelt werden soll, damit die Verträge von London und Paris nicht in Kraft treten werden.«
Ein Angestellter vom Rat des Kreises Frankfurt: »Man muss die SU bewundern, dass sie sich trotz mancher Fehlschläge immer wieder für das Wohl der Menschen der ganzen Welt einsetzt. Sie hat in einem entscheidenden Moment eingegriffen, denn wenn im Dezember die Pariser Verträge angenommen werden sollen, ist es zu spät, weil dann der Militarismus Westdeutschlands alle europäischen Nationen bedroht.«
Ein Einwohner aus Eilenburg, [Bezirk] Leipzig: »Durch die Note der SU sieht man ganz klar, dass sie den Frieden in Europa und in ganz Europa will. Durch die kollektive Sicherheit in Europa wäre der Frieden gesichert.«
Ein Gewerbetreibender aus Frankfurt: »Die Westmächte müssen auf die Vorschläge eingehen, wenn sie sich nicht vollends entlarven wollen. Die vorgeschlagene Konferenz würde dazu beitragen, die internationalen Spannungen zu mindern und die Pariser Pläne verhindern.«
Eine Hausfrau aus Schwerin: »Ich begrüße den Vorschlag der SU zur Einberufung der Konferenz in Moskau oder Paris. In meine Familie hat der Zweite Weltkrieg große Wunden gerissen, deshalb bin ich sehr interessiert, dass es nicht wieder zum Krieg kommt.«
Zu abfälligen Äußerungen sowie zu Zweifeln an dem Zustandekommen der Konferenz kam es nur vereinzelt. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter aus der Bau-Union Leipzig: »Die halbe Zeitung steht voll. Wenn nur alles wahr wäre, und man tatsächlich sehen könnte, wie sich die SU für den Frieden einsetzt.«
Ein Rentner aus Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Es ist doch immer wieder dasselbe, es werden Noten verschickt, herauskommt dabei entweder gar nichts oder zumindestens nicht viel. Es ist doch einer des anderen Teufel.«
Ein Angestellter (parteilos) aus der Braunkohlenverwaltung Bitterfeld: »Ich bin der Meinung, dass die Westmächte den Vorschlag der SU zur Einberufung einer Konferenz am 29. November [1954] mit irgendwelchen Argumenten ablehnen werden.«
In der HO des Kreises Strausberg, [Bezirk] Frankfurt, wurde von einzelnen Angestellten die Meinung vertreten, dass die »Sache mit der Note wenig erfolgversprechend« sei, da die Regierung[en] der westlichen Staaten von den Amerikanern beeinflusst werden, nicht an der Konferenz teilzunehmen.