Zur Beurteilung der Situation in der DDR
22. November 1954
Informationsdienst Nr. 2372 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Über politische Tagesfragen wird nur gering diskutiert. Bei diesen wenigen Diskussionen steht die Note der SU vom 13.11.1954 im Vordergrund.1 Die Diskussionen haben sich gegenüber den Vortagen nicht verändert. Zur Regierungserklärung der Volkskammer vom 19.11.1954 wurde nur vereinzelt diskutiert.2 Ausschließlich positiv. Hierzu einige Beispiele:
Ein parteiloser Schriftenmaler im »Martin-Hoop«-Werk Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wir haben heute die Regierungserklärung gehört und sind gespannt, ob es uns gelingen wird, kollektive Sicherheit in Europa herzustellen. Nach der Antwortnote der DDR an die SU wird es nun auch Zeit,3 dass Westdeutschland etwas von sich hören lässt. Wenn sich eben nicht alle Länder an der vorgeschlagenen Konferenz beteiligen, dann muss sie eben nur mit den Ländern durchgeführt werden, die sich daran beteiligen wollen.«
Ein Arbeiter aus dem VEB ECW Eilenburg,4 [Bezirk] Leipzig: »Ich muss der Regierungserklärung unseres Ministerpräsidenten Otto Grotewohl5 vor der Volkskammer voll inhaltlich zustimmen. Er weist jeden Werktätigen, Arbeiter, Intelligenzler und Bauern auf seine Aufgaben hin, wie dem Frieden, der Einheit und der besseren Lebenshaltung gedient werden kann.«
Ein Arbeiter aus dem VEB EKO Oschatz,6 [Bezirk] Leipzig: »Es [ist] gut, dass die Regierung geblieben ist, wie sie war. Denn gerade Ministerpräsident Otto Grotewohl ist unter der Bevölkerung sehr beliebt.«
Über die 21. Tagung des ZK7 wird ebenfalls nur sehr wenig gesprochen, meist von fortschrittlichen Arbeitern. Fast alle Diskussionen sind positiv. Ein TAN-Sachbearbeiter8 vom VEB Maschinenwerk Saalfeld,9 [Bezirk] Gera: »Der Genosse Walter Ulbricht10 hat in seinem Referat den Nagel so richtig auf den Kopf getroffen, indem er schonungslos über die Missstände in unserem VEB sprach.«11
Ganz vereinzelt werden negative Diskussionen bekannt. So äußerte z. B. ein partieloser Angestellter aus dem VEB Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera: »Das 21. Plenum des ZK hat gezeigt, dass unsere Wirtschaft kurz vor dem Zusammenbruch steht.«
Gegen den geplanten Verbotsprozess der KPD werden von vielen Kollegen Protestresolutionen verfasst und an den Bundesgerichtshof versandt.12 So verfasste z. B. der VEB Glaswerk Großräschen, [Bezirk] Cottbus, eine Resolution, in der es heißt: »… Adenauers13 Ziel, die KPD zu beseitigen, um Westdeutschland in den Nordatlantikpakt14 einzubeziehen, wird von ihm nicht erreicht werden, weil wir Arbeiter ein 1933 kennen, dem ein 1939 und 1945 folgte.« Ähnliche Beispiele wurden vom VEB Glaswerk Hosena und BKW Schipkau, [Kreis] Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, bekannt.
Ein parteiloser Ingenieur aus dem Stahl- und Walzwerk Riesa, [Bezirk] Dresden: »Adenauer wendet dieselben verbrecherischen Methoden wie 1933 Hitler an. Er will damit die konsequenten Vertreter der Arbeiter und eifrigsten Verfechter des Friedens ausschalten und vernichten. Wir in der DDR dürfen nicht tatenlos zusehen. Bei uns müssen alle Kräfte eingesetzt werden, um die westdeutschen Menschen zu überzeugen.« Ein Angestellter aus dem gleichen Betrieb: »Jetzt müssen doch alle Menschen endlich merken, dass in Westdeutschland derselbe Weg beschritten wird, wie es 1933 war.«
Unzufriedenheit15
Den Teilnehmern eines Qualifizierungslehrganges der Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera, wurde nach Abschluss des Lehrganges eine höhere Lohnstufe versprochen, was jedoch nicht eingehalten wurde. Dies führte zur Verärgerung unter den Kollegen. Ähnliches ist im VEB Zeiss Jena, [Bezirk] Gera, zu verzeichnen.
Im Leuna-Werk »Walter Ulbricht«, [Bezirk] Halle, häufen sich die Zahl[en] der Kündigungen, besonders der jüngeren Handwerker. Zuerst werden Forderungen auf Erhöhung des Lohnes gestellt, wenn keine Lohnerhöhung erfolgt, wird die Kündigung eingereicht. Besonders tritt dies im Elektrobetrieb in Erscheinung.
Im VEB Tischlerei Calau, [Bezirk] Cottbus, wird mit einem verhältnismäßig hohen Verlust am Jahresende zu rechnen sein. Die Nichteinhaltung des Finanzplanes wird vonseiten der Betriebsleitung mit Materialschwierigkeiten und Betriebsumstellung entschuldigt. In diesem Betrieb wurden seit Mai 1954 weder SV-Beträge noch Lohnsteuer bezahlt bzw. abgerechnet.
In der Energieversorgung Potsdam sind die Belegschaftsmitglieder mit dem Verhalten des Leiters und einiger Genossen der BPO nicht einverstanden, da diese diktatorisch auftreten und die Kritik unterbinden bzw. nicht zulassen. Ähnlich ist es im Gaswerk Potsdam, wo die Belegschaft mit dem Kaderleiter nicht einverstanden ist.
Materialschwierigkeiten bestehen:
Im VEB Holz- und Kunststoff Großschweidnitz, [Bezirk] Dresden, fehlt es an Schrauben und Möbelbeschlägen.16
Im Lokbahnhof Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, fehlt es an Bremsklötzen, Kupferdichtungsringen für Waschluken. Darüber ist die Belegschaft verärgert. Die Kollegen vertreten die Meinung, dass es ein Planungsfehler von der Generaldirektion der Reichsbahn sei.17
Betriebsstörung
Im BKW »Franz Mehring« Senftenberg riss beim Anfahren des Betriebes eine Eimerkette.
Im BKW Spreetal fiel der Schaufelbagger durch Bruch einer Antriebsvorlagewelle aus. Produktionsausfälle ca. 5 000 Tonnen Brikett.
Handel und Versorgung
Missstimmung herrscht über einige Mängel in der Versorgung, wie nachfolgende Beispiele zeigen.
In einigen Kreisen des Bezirkes Suhl fehlt es an HO-Fleisch und -Wurst, worüber die Hausfrauen besonders im Kreis Schmalkalden heftig diskutieren. Eine Hausfrau sagte: »Ich verstehe nicht, weshalb solche Pannen in der Versorgung eintreten. Es ist doch ein Zeichen dafür, dass die Wünsche der Bevölkerung in der DDR nicht befriedigt werden können.«
Außerdem fehlt es im Bezirk Suhl an Trikotagen und Wintermänteln. Die Verkäuferinnen des Konsumverkaufshauses in Sonneberg sagten hierzu: »So wenig, wie gerade jetzt vor Weihnachten, an Textilien hat es überhaupt noch nicht gegeben. Die Hausfrauen können ebenfalls nicht begreifen, dass gerade vor Weihnachten so wenige Textilien angeboten werden.«
Ähnliche Mängel zeigen sich auch in anderen Bezirken.
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In einigen Kreisen des Bezirkes Halle (Textilien, Winterbekleidung, Käse, Fischwaren, Eier, Zitronen, Rosinen).
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Im Bezirk Cottbus (Nährmittel, Hülsenfrüchte, Glühbirnen, Küchengeschirr u. a. Wirtschaftsartikel).
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Im Kreis Stadtroda, [Bezirk] Gera (Frischfleisch, Fischkonserven, Käse, Schokoladenwaren).
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Im Bezirk Schwerin fehlen nach wie vor Kindernährmittel.
Landwirtschaft
Der Umfang der Diskussionen zur Sowjetnote ist unverändert geblieben. Das Gleiche gilt auch für den Inhalt. Zu dem geplanten Verbot der KPD in Westdeutschland wurde nur ganz vereinzelt Stellung genommen und dabei die Einstellung des Karlsruher Prozesses gegen die KPD gefordert. So wurde z. B. auf einer Tagung der BHG des Kreises Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, in einer Protestresolution die sofortige Absetzung des Karlsruher Prozesses und die Einstellung des geplanten Verbotes der KPD in Westdeutschland gefordert.
Unzufriedenheit und negative Diskussionen ruft häufig die schlechte Arbeit der MTS hervor, die teilweise ihre Verträge nicht einhält und teilweise ihre Arbeit schlecht organisiert. So beschweren sich z. B. fast alle LPG des Kreises Dippoldiswalde, [Bezirk] Dresden, über die schlechte Arbeit ihrer MTS. Ein Mitglied der LPG Sadisdorf äußerte dazu: »Die MTS hält sich niemals an die Verträge und liefert eine schlechte Arbeit. Ich habe den Eindruck, dass mehr bei Einzelbauern gearbeitet wird, die keine Verträge abgeschlossen haben. Ich möchte überhaupt wissen, warum da erst Verträge abgeschlossen werden, wenn die MTS diese Verträge nicht einhält. Wir sind mit unserer Arbeit im Rückstand. Die Einzelbauern aber zeigen mit den Fingern auf uns und machen ein großes Geschrei, wenn wir mit unserer Arbeit noch nicht so weit sind wie sie.« Da heißt es dann in den Bauernversammlungen: »Seht nur die LPG, so ein vernachlässigter Haufen. Das soll der Fortschritt auf dem Lande sein und da sollen wir eintreten?«
Die Bauern des Kreises Weimar, [Bezirk] Erfurt, führen ebenfalls Klage über die MTS Magdala, [Bezirk] Erfurt, dass sie ihre Arbeit schlecht verrichtet. So blieb das Feld eines Neubauern unbearbeitet, weil der Brigadeführer eigenmächtig, statt des vorgesehenen Feldes, das Feld eines Großbauern bearbeitete. Über die Nebenstelle dieser MTS kommen Beschwerden, dass dort die Erntemaschinen unter freiem Himmel stehen, obwohl die Leitung schon oft auf diesen Missstand hingewiesen wurde. Es wird damit begründet, dass keine finanziellen Mittel vorhanden sind.
In der MTS Niederndodeleben, [Kreis] Wolmirstedt, [Bezirk] Magdeburg, wurde festgestellt, dass der Techniker dieser MTS eine schlechte Arbeit liefert. Von 30 vorhandenen Pflügen z. B. sind nur acht einsatzbereit.
Oft gibt die Belieferung mit schlechtem Saatgut Ursache zur Verärgerung. Die LPG »Neues Leben«, Kreis Eisleben, [Bezirk] Halle, bekam vor einiger Zeit Kartoffeln aus einem anderen Kreis, die mit Braun- und Nassfäule befallen waren. Es handelt sich um Pflanzkartoffeln, die von der LPG sofort reklamiert wurden, jedoch bis jetzt noch keine Maßnahmen getroffen wurden, was mit diesen Pflanzkartoffeln geschehen soll (zuständig ist der Kreisrat Eisleben).18
Im Bezirk Potsdam ergeben sich Schwierigkeiten bei der Erfassung von Stroh und Heu. Insbesondere weigern sich Großbauern, diese Produkte abzuliefern und versuchen es mit dem Mangel an Stroh und Heu zu begründen. Ebenso mit der mangelhaften Unterstützung seitens der Regierung, wobei sie sowohl gegen die Staatsorgane als auch gegen die LPG eine feindliche Haltung einnehmen. So erklärte eine Großbäuerin aus Welsickendorf, Kreis Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, zu einem Erfasser, er solle das Stroh und Heu von den Kleinbauern und den LPG abholen, die alle Unterstützung und Hilfe von der Regierung erhalten. Wenn er von ihr Stroh haben wolle, dann solle er gleich das Vieh mitnehmen.
Ein Großbauer aus Gölsdorf,19 Kreis Jüterbog: »Nachdem die Volkswahl20 gut verlaufen ist, arbeiten die Regierungsstellen jetzt wieder mit Druck, indem die Erfasser erzwingen, das letzte Stroh und die landwirtschaftlichen Produkte herauszugeben.«
In den Kreisen des Bezirkes Cottbus, in denen durch das Hochwasser Schaden21 angerichtet wurde, werden immer wieder Beschwerden der Bauern in der Frage des Abgabesolls bekannt. So ist z. B. im Kreis Herzberg zu verzeichnen, dass von den Bauern gefordert wird, die Flächen, die von der Versicherung 100-prozentig als total beschädigt anerkannt wurden, von der Sollerfüllung abzusetzen. Sie können nicht verstehen, dass dies alles so lange dauert, da bis heute noch kein Bescheid an die Bauern ergangen ist.
Aus dem Kreis Demmin, [Bezirk] Neubrandenburg, wird bekannt, dass im ÖLB Görmin22 noch 18 Morgen Zuckerrüben in der Erde sind. Der Grund dafür ist die schlechte Arbeitsorganisation der Betriebsleitung. Den Arbeitern wurde eine tägliche Norm von 0,14 ha gestellt. Diese Arbeit war bis Mittag fertig und am Nachmittag blieben die Arbeiter zu Hause. Durch den zuständigen ABV wurde dort eine Änderung herbeigeführt.23
Viehseuchen
In sechs Gemeinden des Kreises Gräfenhainichen, [Bezirk] Halle, ist eine noch unbekannte Rinderseuche ausgebrochen. Acht Rinder sind bereits verendet.
Schweinepest wurde bei einem Mittelbauern in Gulow, [Kreis] Perleberg, [Bezirk] Schwerin, mit einem Bestand von 20 Schweinen und 22 Ferkeln festgestellt, wobei der gesamte Bestand notgeschlachtet wurde. Desgleichen brach in Krien, in Borrentin,24 Kreis Anklam, [Bezirk] Neubrandenburg, bei drei Kleinbauern die Schweinepest aus, mit einem Bestand von je elf Schweinen, die restlos notgeschlachtet wurden.
In den ländlichen Gemeinden des Kreises Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, ist in der letzten Zeit eine besondere Aktivität der Kirche festzustellen. Die Pfarrer organisieren dort Gemeindeversammlungen unter der Losung »Deutsche an einen Tisch«.25 Am 18.11.1954 wurde in der Gemeinde Schillingstedt eine solche Versammlung durchgeführt. Als Referentin wurde eine Frau aus dem Bezirk Kassel vorgestellt. Diese Frau sagte, dass sie von der Gemeinde Ostrau,26 Kassel, beauftragt ist, mit der angeblichen Patengemeinde Schillingstedt Verbindung aufzunehmen. An der Versammlung nahmen ca. 20 Personen teil. Der Pfarrer dieser Gemeinde (Schillingstedt) nahm eine feindliche Haltung gegen die MTS ein und wurde von den anwesenden Bäuerinnen unterstützt. Außerdem beklagte sich der Pfarrer, dass er sich die Zeit für den Religionsunterricht förmlich erkämpfen müsse. Die Referentin aus Westdeutschland versprach, mithilfe ihres Pfarrers aus Ostrau allen in ihren Nöten zu helfen, die sich vertrauensvoll an sie wenden. Weitere Versammlungen dieser Art sollen noch durchgeführt werden. Am 19.11.[1954] z. B. hat solch eine Versammlung in Leubingen stattgefunden.
Übrige Bevölkerung
Nach wie vor wird verhältnismäßig wenig zu politischen Problemen Stellung genommen. Im Vordergrund der politischen Gespräche steht weiterhin die Note der Sowjetunion vom 13.11.1954.
Zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl wurden bisher nur vereinzelte, jedoch ausschließlich positive Stimmen bekannt. Zum Beispiel sagte eine Hausfrau aus Jüterbog: »Ich bin vollständig mit der neugebildeten Regierung einverstanden und habe mich über die Ausführungen des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl gefreut, als er sagte, dass die Regierung nach wie vor für die Einheit Deutschlands und die Erhaltung des Friedens eintreten werde. Die Adenauer-Regierung dagegen will die Einheit Deutschlands mit Kanonendonner erzielen.«
Ein Rentner (parteilos) aus Eisfeld, [Bezirk] Suhl: »Ich kenne den Wortlaut der Regierungserklärung. Ich bin der Meinung, dass man diese Ausführungen ernst nehmen soll und sein Tun und Handeln danach einstellen muss; dann wird für uns in der DDR ein noch höherer Lebensstand erreicht werden können als in Westdeutschland.«
Aus dem Bezirk Gera wird berichtet, dass in letzter Zeit häufig einzelne Pfarrer negative Tendenzen in ihren Predigten zum Ausdruck bringen. Zum Beispiel sagte der Pfarrer aus Bobeck in seiner Predigt: »Die Welt schreit heute schon wieder nach Wohlstand und Humanität. Das sollte uns belehren. Die Römer haben sich auch schon einmal vor dem Proletariat geschützt und ihr Land nicht von diesen verseuchen lassen.«
Des Weiteren wurde bekannt, dass der Pfarrer aus Unterbodnitz, [Bezirk] Gera, in der Zeit vom 11. bis 13.11.1954 Sammlungen von Lebensmitteln durchführte. Angeblich für das Altersheim. Dies wurde nach Rücksprache mit dem Rat des Kreises unterbunden und die gesammelten Lebensmittel wurden eingezogen.
Ein Pfarrer aus Reichenbach, [Bezirk] Gera, äußerte bei dem Besuch einer Familie: »Die Russen haben das eingeführt, dass die Kirche vom Staat getrennt wird. Ich stelle aber die Kirche vor den Staat.«
Im Bezirk Gera werden seit einiger Zeit bei Zusammenkünften der Lehrer im Kreismaßstab immer wieder wirtschaftliche Forderungen erhoben. Zum Beispiel forderten Lehrer in den Kreisen Jena Land und Zeulenroda die gleiche Bezahlung der Unterstufe wie die der Mittelstufe, da die Unterrichtsarbeit in der Unterstufe (1.–4. Klasse) bedeutend schwieriger sei.
Andere Lehrer der gleichen Kreise forderten, die hauptamtlichen Pionierleiter abzuschaffen. Da die Pionierarbeit sowieso von den Lehrern gemacht würde, könnten die Gelder den Lehrern zukommen. Andere wieder fordern, dass jedem Lehrer ein Ferienplatz zustehen müsste, da ihre Arbeit besonders schwer sei und ihre FDGB-Beiträge nicht gerade niedrig seien. (Diese Forderungen traten im gesamten Bezirksmaßstab auf.)
Die Diskussionen – besonders unter den Hausfrauen – über wirtschaftliche Fragen nehmen einen größeren Rahmen ein. Im Mittelpunkt der Gespräche stehen immer wieder die Mängel in Handel und Versorgung. Dabei kommt es verschiedentlich zu negativen Äußerungen. Zum Beispiel wird in der Gemeinde Zarrentin, [Bezirk] Schwerin, folgendermaßen diskutiert: »Vor der Wahl war alles vorhanden, aber jetzt geht wieder alles im alten Trott weiter. Es ist dies ja nicht das erste Mal, sondern so wird es immer gemacht, wenn etwas los ist.«
Eine Hausfrau aus Peenemünde, [Kreis] Wolgast, [Bezirk] Rostock, schimpfte über die schlechte Fleischversorgung und sagte: »Jedes Mal, wenn man einkaufen will, haben die Russen alles weggekauft und wir können zusehen.«
In Magdeburg gelangten jetzt erstmalig seit längerer Zeit wieder Zitronen zum Verkauf. In den Geschäften herrschte großer Andrang, und da die Hausfrauen lange anstehen mussten, kam es zu Diskussionen wie z. B.: »Sollen sie mehr liefern, dann brauchen wir uns nicht anzustellen. Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:27 Halle, Kreis Roßlau, 1 000, Kreis Gräfenhainichen 1 000, Kreis Bernburg 615, Kreis Wittenberg 50, Potsdam 1 650, Karl-Marx-Stadt und Dresden einige, Cottbus, Kreis Guben, 10 000, Frankfurt/Oder 3 000.
KgU:28 Halle, auf dem Gelände des Kalischachtes »Deutschland« im Teutschental29 10 000, Leipzig 450.
NTS:30 Leipzig, Kreis Torgau, 6 000, Dresden 2 000, Karl-Marx-Stadt 515.
In tschechischer Sprache: Dresden 56.
»Der Tag«:31 Leipzig, Kreis Wurzen, 2 000.
Unbekannter Herk[unft]: Potsdam 10 000 (gegen Deutsch-Sowjetische Freundschaft gerichtet).
Die Mehrzahl der Hetzschriften wurde mit Ballons eingeschleust und sichergestellt.
Diversion
Vor einigen Tagen wurde auf dem Schof32 105 des Wismut-Objektes 107 Aue von unbekannten Tätern ein Telefonverzeichnis abgerissen, eine elektrische Schaltanlage mit Wasser bespritzt sowie der Deckel zum Sumpf absichtlich geöffnet. Schaden entstand nicht.
Gerücht
Im VEB Fortschritt Neustadt,33 [Bezirk] Dresden, kursiert das Gerücht, dass 1955 große Lohnsenkungen durchgeführt werden.
Vermutliche Feindtätigkeit
Am 15.11.1954 wurde in der LPG Groß Ziescht, Kreis Zossen, [Bezirk] Potsdam, im Pferdefutter Pulver vorgefunden. Es wird vermutet, dass es sich um Gift handelt. Untersuchungen sind eingeleitet.
Anlage 1 vom 22. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2372
Stimmen zur Note der Sowjetunion vom 13.11.1954
Weiterhin wird unter der Bevölkerung verhältnismäßig wenig über die Note der Sowjetunion diskutiert. Jedoch sind die Gespräche in der Mehrzahl positiv. Der Vorschlag zur Einberufung einer Konferenz, auf der über die Schaffung eines Paktes zur kollektiven Sicherheit beraten werden soll, findet allgemein Zustimmung. Aus den positiven Äußerungen spricht hinsichtlich des Zustandekommens dieser Konferenz Zuversicht.
Die Zustimmung zeigt sich auch weiterhin in den zahlreichen Resolutionen sowie den abgegebenen Einzel- und Kollektivverpflichtungen, vorwiegend in der Industrie, weniger in der Landwirtschaft. Ein Arbeiter aus dem Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin« sagte z. B.: »Die westdeutsche Söldnerarmee bedeutet eine große Gefahr für ganz Europa. Genauso wie die Arbeiter Westdeutschlands und Westberlins oft verhindert haben, dass Faschisten in Versammlungen sprechen konnten, genauso können wir mit unserer Stimme verhindern, dass die Verträge von London und Paris Wirklichkeit werden.34 Hoffentlich kommt die Konferenz zur kollektiven Sicherheit zustande.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Massi in Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der Abschluss eines Vertrages über kollektive Sicherheit in Europa bedeutet, einen neuen Krieg und ein neues Völkermorden zu verhindern. Dazu gehört aber auch, dass die Verträge von Bonn35 und Paris abgelehnt werden müssen und unbedingt die Verhandlungen über kollektive Sicherheit in Moskau oder Paris zustande kommen.«
Eine Arbeiterin aus dem VEB Baumwollspinnerei Tannenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wiederum ist es die Sowjetunion, die ihrerseits die Initiative ergreift, die Kriegsgefahr in der Welt zu bannen. Dies beweisen uns ganz deutlich die in der Note gemachten Vorschläge. Meine Ansicht ist die, wenn alle Völker der Welt sich für den Frieden einsetzten, muss diese Konferenz, wenn sie stattfindet, zu einem günstigen Ergebnis kommen.«
Ein Traktorist aus der MTS Alt Zeschdorf, [Kreis] Seelow: »Ich will nicht, dass unsere Traktoren und das, was wir im Oderbruch aufgebaut haben, wieder zerstört wird. Das Beste gegen einen Krieg ist die kollektive Sicherheit. Aber wer weiß, ob die westlichen Länder mitmachen werden?«
Ein Angestellter der VEAB Kamenz, [Bezirk] Dresden: »Ich sehe der Verhandlung optimistisch entgegen und hoffe, dass noch in diesem Jahr die Einheit Deutschlands geschaffen wird. Adenauer wird natürlich versuchen, die Verhandlungen so weit wie nur möglich hinauszuschieben. Das haben ja die Beispiele in der Vergangenheit zur Genüge bewiesen. Meiner Meinung nach kommt es dabei auf uns Deutsche an, wie wir die Vorschläge der SU unterstützen werden.«
Eine Kleinbäuerin aus dem Kreis Neubrandenburg sagte, dass dem Vorschlag zur Konferenz um die kollektive Sicherheit die größte Bedeutung beizumessen ist. Die kollektive Sicherheit bedeute Frieden in ganz Europa und Abzug der Besatzungstruppen aus ganz Deutschland. Es sei auch an der Zeit, dass wir endlich ein geeintes Deutschland und einen Friedensvertrag bekommen.
Ein Spitzensportler aus Werdau: »Mit großer Zuversicht blicke ich auf die Konferenz am 29.11.[1954] über kollektive Sicherheit, denn sie wird auch beitragen, nicht nur den Frieden zu sichern, sondern auch mithelfen, eine beschleunigte Herstellung der Einheit Deutschlands zu erreichen.«
Ein selbstständiger Schneidermeister aus Tangerhütte: »Aufgrund des neuen Kurses ist es mir noch nie wirtschaftlich so gut gegangen wie jetzt.36 Ich erkenne die neue Note ganz und gar an. Nicht durch Krieg, sondern durch Verhandlungen kann die Einheit Deutschlands hergestellt werden.«
In einem Teil der Äußerungen werden aber auch Zweifel an dem Zustandekommen der Konferenz gehegt, da die Westmächte die neuen Vorschläge, wie alle bisherigen, ablehnen würden. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter der Schuhfabrik Storkow, [Bezirk] Frankfurt: »Das wird alles nichts helfen. Der Westen will keine friedliche Einigung Deutschlands und ist bestrebt, die Spaltung zu vertiefen. Eine kollektive Sicherheit ist bei diesen gegensätzlichen Interessen nutzlos.«
Ein werktätiger Bauer aus Bruchhagen, [Bezirk] Frankfurt: »Verhandlungen sind immer gut. Es fragt sich bloß, ob alle an Verhandlungen interessiert sind.«
Ein Fleischermeister aus Treuenbrietzen: »Ich begrüße zwar die neue Note der SU, aber meiner Meinung nach werden die Westmächte den Vorschlag zu Verhandlungen am 29.11.[1954] nicht annehmen, weil sie erst ihren Verteidigungsblock aufbauen wollen.«
Zu negativen Äußerungen kommt es weiterhin nur vereinzelt. Sie enthalten die verschiedensten Argumente. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter (parteilos) aus der Maxhütte Unterwellenborn: »Die Note der SU ist kalter Kaffee. Sie sind ja nur daran interessiert, durch Handelsbeziehungen mit uns recht viel zu verdienen.«
Der stellvertretende Direktor der LEW Hennigsdorf, [Bezirk] Potsdam: »Es ist doch unsinnig, immer wieder dasselbe Angebot zu machen. Es ist doch klar, dass man bei uns erst einmal freie Wahlen durchführen muss.«
Ein Ingenieur aus dem VEB Gaselan Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Es gibt doch heute gar keine Kriegsgefahr. Kein einziges Land will Krieg führen, deshalb ist eine kollektive Sicherheit unnötig. Westdeutschland braucht wie jeder andere Staat Streitkräfte. Das mit der Saar ist dasselbe,37 wie mit den deutschen Ostgebieten, die jetzt Polen hat.«
Anlage 2 vom 22. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2372
Bericht über Agitationseinsätze unserer Partei zur Vorbereitung der Wahlen am 5. Dezember 1954 in Westberlin38
Vielfach kommt in den Gesprächen mit der Westberliner Bevölkerung zum Ausdruck, dass eine gewisse Unzufriedenheit über den jetzigen Senat besteht und dass einige wünschen, dass die SED im neuen Senat Sitze erhält. Zum anderen erklären sich Personen immer wieder bereit, ihre Stimme der SED zu geben. Zum Beispiel sagte eine Hausfrau aus der Thomasiusstraße: »Ich werde am 5. Dezember [1954] die SED wählen. Ich habe von dem Schreiber-Senat39 die Nase voll. Ich will nichts von den Kriegsvorbereitungen in Westdeutschland wissen.«
Eine Hausfrau aus dem Bezirk Tempelhof erklärte, dass sie als Proletarierfrau die Partei der Arbeiterklasse wählen wird. Des Weiteren ging sie in der Unterhaltung auf die Erfolge des Aufbaus der DDR ein und sprach sich positiv darüber aus.
Ein Arbeiter aus dem Bezirk Tiergarten: »Ja, im Osten sieht es anders aus als hier bei uns. Es sind zwar die Läden voll, aber es fehlen die Käufer. Ich werde jetzt 65 Jahre alt und darf, wenn ich Rente erhalte, nicht mehr arbeiten. Bei Euch dagegen kann man arbeiten, solange es die Gesundheit erlaubt. Bei der Wahl kommt für mich nur eine Arbeiterpartei infrage, die wirklich unsere Interessen vertritt.«
Ein Arbeitsloser aus der Görlitzer Straße brachte zum Ausdruck, dass er sich bisher wenig mit politischen Dingen befasst habe. Er sei aber erfreut, dass die SED Kandidaten für die Wahl aufgestellt hat. Er erklärte sich bereit, mit seinen arbeitslosen Kollegen darüber zu diskutieren.
Eine Witwe aus der Fritschestraße sagte, dass sie hoffe, dass die SED ins Abgeordnetenhaus einzieht und dass es ihr dann möglich ist, statt wie bisher ihre Kohlen pfundweise dann zentnerweise zu kaufen.
Ein SPD-Genosse äußerte, dass die SED bei den Wahlen mit mindestens 7 Prozent der Stimmen abschneiden wird. »Bei den dauernden Skandalen würde es mich gar nicht wundern, wenn die SED einen bedeutenden Teil der Stimmen erhält.«
Die Nansen-Oberschule in Oberschöneweide hat eine Patenschaft über die Rheingau-Oberschule in Wilmersdorf. Bisher scheiterten alle Versuche, mit den Westberliner Lehrern in ein Gespräch zu kommen, da dies aufgrund einer Anweisung des dortigen Schulamtes den Lehrern verboten wurde. Beim Aufsuchen der Lehrer in ihren Wohnungen konnte festgestellt werden, dass sie Angst vor dienstlichen Bestrafungen und sonstigen Maßregelungen haben. Von einigen wurde erklärt, dass der Direktor ihrer Schule geäußert habe, dass er sofort die Polizei rufen werde, wenn sich noch weiterhin Lehrer aus dem demokratischen Sektor dort sehen ließen.
In Diskussionen mit SPD-Genossen im Bezirk Charlottenburg wurde sehr oft das Argument gebracht, dass man mit der SED keine Aktionseinheit eingehe, bevor nicht die politisch inhaftierten Mitglieder der SPD freigelassen würden.
Ein SPD-Mitglied aus der Friedrich-Wilhelm-Straße äußerte, dass er für eine Verständigung zwischen Ost und West sei und dies ja seit Langem auch die Forderung der Bundesregierung wäre. Er hielt die Aufstellung einer Wehrmacht für erforderlich und sagte dazu, dass 500 000 Mann für ein so großes Volk gar nichts seien, denn schließlich müsste man ja einen Schutz gegen den Osten haben. Notwendig sei es auch deshalb, weil in der DDR jeder Dritte ein Angehöriger der Volkspolizei sei. Grundsätzlich sei er aber gegen einen Krieg.
Verschiedentlich kommt es auch vor, dass man den Aufklärern offen feindlich entgegentritt, sie beschimpft und in einzelnen Fällen sogar tätlich gegen sie wird. Meist sind dies direkte Gegner oder durch die westliche Propaganda stark beeinflusste Personen. Zum Beispiel ließ im Haus Nr. 33 der Friedrich-Wilhelm-Straße ein Mieter einen Aufklärer gar nicht zu Wort kommen und schrie sofort: »Warst du in Russland« und machte gleich die Tür wieder zu. Als der Aufklärer an einer anderen Wohnungstür klingelte erschien er nochmals und brüllte: »Ihr Strolche stiftet nur Unruhe, ich lasse sofort die Polizei kommen.«
Am 6.11.[1954] wurde eine Genossin bei der Verteilung von Wahlaufrufen im Bezirk Schöneberg in der Leberstraße Nr. 24 von einem Jugendlichen, der fortwährend hinter ihr herkam, die Treppe hinuntergestoßen. Eine Frau nahm sich ihrer an und brachte sie zum nächsten Stummpolizei-Revier.40 Dort bekam sie Geld für die Straßenbahn, um sich im Demokratischen Sektor ins Krankenhaus zu begeben. Man stellte bei ihr Gehirnerschütterung sowie Schulterbruch fest.
Am 9.11.[1954] in der gleichen Straße im Haus Nr. 53, ebenfalls bei der Verteilung der Wahlaufrufe, öffnete ein Mieter die Tür und schlug mit einem Knüppel auf den Genossen ein.
An einen anderen Tag wurde, auch wieder in dieser Straße, ein Verteiler der Wahlzettel von einem Mieter zum Polizei-Revier geschleppt. Dort wurde er eine Zeit festgehalten und dann zum Amtsgericht Tiergarten gebracht. Als er von dort wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, erklärte man ihm noch, wenn er wieder in Westberlin geschnappt würde, ginge es für ihn nicht wieder so glatt aus. Seine Personalien wurden von drei Stellen festgehalten.