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Zur Beurteilung der Situation in der DDR

23. November 1954
Informationsdienst Nr. 2373 zur Beurteilung der Situation in der DDR

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Vordergrund der wenigen Diskussionen über politische Tagesfragen steht die Note der SU vom 13.11.1954.1 Die Diskussionen haben sich inhaltlich und umfangmäßig nicht verändert.

Zur Regierungserklärung des Genossen Grotewohl2 vom 19.11.1954 wird weiterhin nur ganz vereinzelt Stellung genommen.3 Diese Diskussionen sind ausschließlich positiv. Ein Rundschleifer vom VEB Feinprüf Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Ich habe mit meinen Kollegen über die Rede des Ministerpräsidenten diskutiert, wir in der Düsenbrigade sind uns im Klaren, dass die Wiedervereinigung Deutschlands nur geschehen kann, wenn die Pariser Vereinbarungen4 liquidiert werden und die westdeutschen Menschen sich nicht für die amerikanischen Söldnertruppen hergeben. Wir werden uns immer mit den westdeutschen Delegationen auseinandersetzen, um ihnen die schändliche Rolle Adenauers5 klarzumachen.«

Ein Hauptdispatcher vom VEB Maschinenfabrik Wurzen, [Bezirk] Leipzig: »Das Programm unserer Regierung erhält meine vollste Unterstützung, ich erkenne aber auch, dass dieses Programm nicht nur mit der Zustimmung verwirklicht werden kann, sondern ich sehe meine Aufgabe darin, mit allen Kräften in der betrieblichen Arbeit nach dem Programm unserer Regierung zu handeln und als Parteiloser aktiver im gesellschaftlichen Leben mitzuarbeiten.«

Ein parteiloser Ingenieur vom VEB Stahlwerk Silbitz, [Bezirk] Gera (ehemaliger Ritterkreuzträger)6: »Der Regierung der DDR konnte man bisher nur das größte Vertrauen schenken. Die Volkswahlen7 bei uns haben auch bewiesen, dass das ganze Volk hinter seiner Regierung steht. Es muss gekämpft werden, um den Frieden in der ganzen Welt zu erhalten. Von meiner Person aus lehne ich den Krieg ab.«

Über die 21. ZK-Tagung8 wird ebenfalls nur selten diskutiert, vorwiegend über den Teil, der sich mit der Ökonomie der DDR beschäftigt. Ein Angestellter der Abteilung Planung des VEB Zellstoff Leipzig:9 »Die 21. Tagung ist für uns sehr wichtig, weil hier die ökonomischen Probleme für unsere DDR in einfacher Sprache aufgezeigt wurden. Wir haben damit eine Handhabung, wie wir mit den Arbeitskollegen sprechen müssen, zur Erfüllung ihrer Aufgaben.«

Zum geplanten Verbotsprozess gegen die KPD10 werden in vielen volkseigenen Betrieben Protestresolutionen verfasst und nach Bonn oder Karlsruhe gesandt. Teilweise bringen auch die Arbeiter u. a. zum Ausdruck, dass die Adenauer-Clique die gleichen Methoden wie Hitler anwendet. So äußerte z. B. ein parteiloser Schlosser aus dem VEB Sächsisches Kunstseidenwerk Pirna, [Bezirk] Dresden: »Die Adenauer-Regierung wendet die gleichen Methoden wie Hitler an. Auch Hitler verbot die Arbeiterparteien, um in Ruhe seinen Krieg vorbereiten zu können.«

Ein parteiloser Schichtassistent vom VEB Stahlwerk Gröditz, [Bezirk] Dresden: »Es ist eine Unverschämtheit, mit derartigen Methoden gegen die KPD vorzugehen. Gerade die KPD, die in Westdeutschland am aufrichtigsten um die Einheit Deutschlands kämpft, soll durch die Terrormaßnahmen mundtot gemacht werden.«

In der Abteilung Transport im VEB EHW Thale, [Bezirk] Halle, wurde eine Protestresolution gegen das Verbot der KPD nach Bonn gesandt.

Ganz vereinzelt werden negative Diskussionen bekannt. Einige Lehrlinge aus dem VEB Fahlberg[-List] Magdeburg erklärten in einer Versammlung der Betriebsgruppe der DSF: »Das Verbot der Kommunistischen Partei in Westdeutschland ist doch gleichzusetzen mit der Aburteilung der Agenten in der DDR.11 Beide Teile kämpfen doch nur für ihre Weltanschauung.«

Ein Schlosser vom Lok-Bahnhof Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg: »Wenn im Westen einer von Euch eingesperrt wird, dann werden große Protestresolutionen losgelassen. Meint ihr denn, die sind ganz unschuldig?«

In Auswertung des durchgeführten Prozesses gegen die Gehlen-Banditen vor dem Obersten Gericht der DDR wurden von den Organen des Betriebsschutzes in verschiedenen größeren Betrieben des Bezirkes Cottbus schlagartige Taschenkontrollen der Angestellten durchgeführt. Hierbei konnten z. B. in der Großkokerei Lauchhammer bei verschiedenen Angestellten beim Verlassen des Werkes Unterlagen über Produktionsbesprechungen, Tabellen und Strukturpläne festgestellt werden, welche sofort eingezogen wurden. Auch im Schwermaschinenbau Lauchhammer12 wurden einem Angestellten beim Verlassen des Werkes Unterlagen, welche das Zelluloidwerk Eilenburg betrafen, abgenommen.

Im Waggonbau Bautzen wurde 1952 anlässlich einer Kontrolle durch die Feuerwehr die Heizung beanstandet und festgelegt, dass anstelle der Heizkörper richtige Schornsteine gebaut werden müssen. Von der Werkleitung wurde alles versucht, um den Umbau durchzuführen. Vom Ministerium wurde dies abgelehnt mit der Begründung, dies 1956/57 durchzuführen. Eine kürzlich durchgeführte Kontrolle der Feuerwehr von Dresden und Berlin veranlasste die sofortige Einstellung des Heizens. Die Arbeiter müssen seitdem in ungeheizten Hallen arbeiten, was eine sehr schlechte Stimmung hervorgerufen hat. Dies hat sich durch die jetzige kalte Witterung so verschärft, dass die Arbeiter aufhören wollen, unter diesen Bedingungen zu arbeiten.

Im Kleiderwerk Malchow herrscht unter den Jugendlichen Verärgerung. Da der Betrieb Schwierigkeiten mit Brennmaterial hat, können die sozialen Einrichtungen mit Clubräumen, Lesezimmer und Bad nicht geheizt und somit auch nicht benutzt werden. Die Jugendlichen sind im Betrieb internatsmäßig untergebracht. Aufgrund dieser Tatsachen ist in der letzten Zeit unter den Jugendlichen zu verzeichnen, dass sie republikflüchtig werden.13

Unter den Arbeitern der Abteilung Bohrerei des VEB Büromaschinenwerk I Karl-Marx-Stadt herrscht Missstimmung, da die festgelegten Normen durch den TAN-Sachbearbeiter14 zu hoch sind. (Der TAN-Sachbearbeiter ist republikflüchtig geworden.) VP-Meldung15

Heftige Diskussionen wurden am 18.11.1954, um 7.00 Uhr unter den Reisenden auf dem Bahnhof Zernsdorf, [Kreis] Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, ausgelöst, da zu dieser Zeit keine Fahrkarten für den Zug nach Königs Wusterhausen verkauft wurden. Dies wurde damit begründet, es wären nur noch zwei Wagen frei und da können nur die Fahrgäste mit Wochenkarten untergebracht werden. Alle übrigen Wagen wären für Angehörige der sowjetischen Armee bestimmt. Gegen diese Begründung protestierten die Reisenden so stark, dass fünf Minuten vor Abfahrt des Zuges noch Fahrkarten verkauft werden mussten. Es traten Diskussionen auf, die zum Ausdruck brachten, dass es bei uns in der DDR immer schlechter statt besser wird.

Kohlenmangel besteht im VEB [Getränke] Lauraquelle Schmalkalden. Wenn keine Änderung eintritt, ist man gezwungen, in den nächsten Tagen den Betrieb zu schließen. Ähnlich ist es im VEB Filztuchwerk Rodewitz, wo man sich zur Aufrechterhaltung der Produktion bereits 40 Tonnen Brikett leihen musste.

Im VEB Dobitschen, [Bezirk] Leipzig, ist ein Engpass in Rohbraunkohle und Brikett eingetreten. Es besteht die Gefahr, dass für 30 Lehrlinge kein warmes Essen mehr zubereitet werden kann.

Produktionsstörungen

Am 20.11.1954 fielen im Kraftwerk des Elektrokombinates Bitterfeld,16 [Bezirk] Halle, die Turbinen VIII, XI und XII aus. Hierdurch entstand ein Leistungsausfall von ca. 50 Prozent der Stromerzeugung des Elektrokombinates. Außerdem zerfiel das gesamte Verbundnetz, sodass die Kraftwerke des Südringes, Buna, Leuna und Nachterstedt getrennt wurden.

Im BKW »Glückauf« Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, fiel eine Turbine durch Getriebeschaden aus.

Im BKW »John Schehr«, Kreis Hoyerswerda, [Bezirk] Cottbus, fiel durch einen Motorschaden für sechs Stunden die Förderbrücke im Tagebau aus.

Materialhortung: Im VEB Ofenbau Leipzig17 liegen eine halbe Million Ziegelsteine, die keine Verwendung finden.

Handel und Versorgung

Teilweise bestehende Mängel in der Versorgung führen immer wieder zu negativen Diskussionen wie z. B.: Im Bezirk Suhl mangelt es an HO-Fleisch und -Wurst. Der überwiegende Teil der Bevölkerung des Kreises Ilmenau, [Bezirk] Suhl, beschwert sich deshalb über das Fehlen von HO-Fleisch, -Fett und -Wurst. Außerdem diskutieren die Hausfrauen sehr heftig über den Mangel an Winterbekleidung und erwarten gerade jetzt vor Weihnachten eine bessere Belieferung. Ferner bemängeln sie die unzureichende Versorgung mit Bettwäsche und Emaillewaren. Zu der starken Nachfrage nach Bohnenkaffee sagen die Verkäuferinnen im Kreis Meiningen, [Bezirk] Suhl, dass die Überhäufung zur Volkswahl mit Kaffee nur ein Lockmittel war.

Ähnliche Mängel bestehen in anderen Bezirken:

  • Bezirk Potsdam (Frischfisch, Fischkonserven)

  • Bezirk Neubrandenburg (Frischfisch, Fischkonserven, Käse, Kindernährmittel)

  • Bezirk Magdeburg (HO-Schmalz, Speck, Kindernährmittel, Süßwaren, Waschmittel)

  • Halle (Frischfisch, Fischkonserven, billige Zigaretten, Süßwaren. An Hammelfleisch dagegen besteht ein außerordentlich großer Bestand.)

  • Schwerin (Frischfisch, Süßwaren, an Hammelfleisch besteht ebenfalls ein Überschuss.)

  • Dresden, Kreis Dippoldiswalde (Fischkonserven). Hierzu sagte eine Verkäuferin: »Im Sommer haben wir manchmal nicht gewusst, wie wir die vielen Fischkonserven verkaufen sollten. Inzwischen sind aber alle verkauft und eine neue Lieferung bekommen wir nicht. Jetzt vor Weihnachten wird oft von den Kunden danach gefragt und wir können nicht sagen, ob es vor Weihnachten noch einmal welche gibt.«

Landwirtschaft

Die Stellungnahmen zur Sowjetnote haben weiterhin den gleichen Umfang und Inhalt wie an den Vortagen. Einen weit größeren Umfang nehmen die Diskussionen über die wirtschaftlichen Belange ein. So wird z. B. immer wieder über die teilweise Nichteinhaltung der Verträge seitens der MTS geklagt. Ein Kleinbauer aus Papendorf, Kreis Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg, sagte hierzu: »Die werktätigen Bauern aus Papendorf – Ausbau sind mit der Arbeit der MTS Usedom nicht zufrieden. Sie haben mit der MTS einen Vertrag über die Abfuhr der Zuckerrüben abgeschlossen. Der Vertrag wurde jedoch nicht eingehalten und bisher erst ein Anhänger mit Rüben zum Verladebahnhof transportiert. Ein Großbauer aus Papendorf zeigte mehr Verständnis für unsere Lage und fuhr vier Anhänger Zuckerrüben mit seinem Traktor für uns Kleinbauern nach Pasewalk.«

Oft ist zu verzeichnen, dass Arbeiter der MTS ihr Arbeitsverhältnis lösen und wegen dem besseren Verdienst in der Industrie Arbeit aufnehmen, wie z. B. in der MTS Wolferstedt, Sangerhausen, [Bezirk] Halle.

Wegen Mangel an Transportmitteln können häufig die Zuckerrüben nicht abgefahren werden. Aufgrund dessen lagern in Kaarz, [Kreis] Sternberg, [Bezirk] Schwerin, zzt. 5 000 Ztr. Zuckerrüben.

Des Öfteren klagen Bauern über das schlechte Saatgut, was ihnen geliefert wird. Für das kommende Jahr sieht es im Kreis Hohenmölsen, [Bezirk] Halle, schlecht mit Saatkartoffeln aus. So sind fast alle Bestände der Frühkartoffeln mit Braun- und Graufäule befallen. Die noch vorhandenen Kartoffeln geben keine Garantie, dass sie sich bis zum Frühjahr halten. Auch die durch die VEAB gekauften Kartoffeln sind mit Braunfäule befallen, sodass es im Kreis Hohenmölsen wenig brauchbare Bestände an frühen Saatkartoffeln gibt.

Widerstand gegen die Ablieferung zeigt sich in der Gemeinde Priesitz, [Kreis] Wittenberg, [Bezirk] Halle. Acht Großbauern der Gemeinde erschienen demonstrativ beim Kreisrat und stellten die Forderung auf Herabsetzung des Getreidesolls. Es handelt sich um Bauern mit über 20 und 50 ha.

In der Gemeinde Bottendorf, Kreis Artern, tritt in Erscheinung, dass die Ablieferungspflicht von den Wirtschaften mit 15 bis 20 ha nur zwischen 20 und 38 Prozent erfüllt wurde. Bei der durchgeführten Überprüfung wurde weiter festgestellt, dass der Viehaufzuchtplan nur zu 50 Prozent erfüllt wurde. Als Argument für die Nichterfüllung der Viehaufzuchtpläne wird von diesen Bauern behauptet, dass nach der Verkündung des neuen Kurses die Regierung keine Handhabung zur Bestrafung hätte und demzufolge sie auch gar nicht daran denken, ihrer Pflicht gegenüber dem Staat nachzukommen.18

Schwierigkeiten ergeben sich stellenweise auch durch die ungenügende Belieferung mit Material. Ein Dorfschmied aus Künsdorf, Kreis Schleiz, [Bezirk] Gera, sagte, dass er keine bzw. sehr wenig Stollen und Griffe zum Beschlagen von Pferden auf Vorrat hat. Sie reichen höchstens noch drei Tage. Da aber in diesem Ort noch etwa 70 Pferde zu beschlagen sind, hat er sich diesbezüglich bereits um Hilfe an die Volkspolizei gewandt.

Viehseuchen

Unter dem Rinderbestand eines Mittelbauern in Liebstadt, Kreis Pirna, [Bezirk] Dresden, ist eine noch unbekannte Erkrankung aufgetreten. Befallen sind zwölf Milchkühe und sieben Jungtiere.

Aus dem Bezirk Neubrandenburg werden immer wieder neue Fälle von Schweinepest gemeldet. Am 19.11.1954 wurde in der LPG Hammelspring, Kreis Templin, [Bezirk] Neubrandenburg, die Schweinepest festgestellt. Bestand: 40 Schweine, wovon eines verendete und 39 auf Anordnung des Tierarztes notgeschlachtet wurden.

Übrige Bevölkerung

Nach wie vor werden verhältnismäßig wenig politische Gespräche geführt, jedoch tragen sie überwiegend positiven Charakter. Weiterhin findet die Note der SU in den Stellungnahmen vollste Zustimmung. Zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl wurden nur vereinzelt positive Äußerungen bekannt. Zum Beispiel sagte ein Einwohner aus Cottbus: »Unser Ministerpräsident hat erneut allen Patrioten aus dem Herzen gesprochen, als er mitteilte, dass die Regierung der DDR den Vorschlag der Sowjetregierung zugestimmt hat und Vertreter zu dieser Konferenz entsenden wird.«

Eine Angestellte aus Altenburg: »Ich freue mich, dass unser Ministerpräsident so konkret zur Note der SU Stellung genommen hat. Ich nehme an, dass die Konferenz am 29.11.[1954] auch ohne die Westmächte stattfinden wird.«

Der politische Geschäftsführer der NDPD Brandenburg-Land wurde betreffs Werbung von Mitgliedern für die Gesellschaft der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft angesprochen. Er lehnte die Durchführung der Werbung mit der Begründung ab, dass dadurch ein großer Teil der NDPD-Mitglieder austreten würde.

Im Zug von Bützow nach Schwaan, Bezirk Schwerin, unterhielten sich einige Arbeiter über die Staatssicherheit und erklärten, dass Beschwerden, die beim Rat des Kreises eingereicht werden, in den wenigsten Fällen bearbeitet würden. Gehe man aber zur Staatssicherheit, dann wären diese Mängel und Missstände in kurzer Zeit behoben.19 Des Weiteren brachten sie zum Ausdruck, dass man noch mehr Menschen bei der Staatssicherheit einstellen sollte, weil sie wirklich arbeitet. Dagegen unter dem »Wasserkopf« der Verwaltungen sollte man einmal richtig aufräumen.

Ein Kollege vom Rat des Kreises Pritzwalk, Abteilung Aufbau führte mit dem Leiter der Abteilung Organisation folgendes Gespräch: »Ich weiß nicht, warum für unsere LPG die unmöglichsten Projektierungen gemacht werden. Die LPG-Bauten und überhaupt alle anderen Bauten werden von Jahr zu Jahr teurer. Das liegt nur daran, dass die Projektierungsbüros – privat oder volkseigen – nach dem Wert des Objektes, welches gebaut werden soll, ihre Gebühren erhalten. Es ist doch klar, dass die Projektierungsbüros lieber Objekte im Wert von 100 000 DM entwerfen als von 20 000 DM. Dazu kommen noch die Materialschwierigkeiten. Ich bin der Meinung, mit dem Bauwesen sollten sich einmal andere Stellen befassen.«

Aus den Kreisen der Kirche

In der Gemeinde Radensleben, [Bezirk] Potsdam, besorgt der evangelische Pfarrer laufend Medikamente aus Westberlin. Des Weiteren fordert er einzelne Bürger auf, das neue Familiengesetz nicht anzuerkennen.20

Die Schüler der Zentralschule Neubukow, [Bezirk] Rostock, äußerten, dass sie nicht mehr wissen, wem sie glauben sollen. Der Lehrer stelle ihnen Thomas Müntzer21 als Vorbild hin und der Pastor dagegen beschimpfte ihn und stellt ihn als Wiedertäufer22 hin. Er erklärte den Kindern weiter, dass Martin Luther23 ein wirkliches Vorbild sei.

Im Wismut Gebiet24 – besonders in Oberschlema – werden noch immer heftige Diskussionen unter den Sportanhängern über die Versetzung der Fußballmannschaft Empor Lauter nach Rostock geführt.25 Zum Beispiel ein Parteisekretär, der vor der Volkswahl in Lauter als Aufklärer eingesetzt war: »Wir erhielten als Aufklärer die Instruktion, dass Empor Lauter in seinem Heimatort verbleibe. Nach der Wahl ist es aber anders geregelt worden, deshalb ist jetzt die Aufklärungsarbeit in Lauter bei den Hausgemeinschaften sehr schwierig.« Ein Arbeiter erklärte, »dass die Versetzung nicht auf Wunsch der Mannschaft geschah, erweist sich daraus, dass allein vier Spieler zu Motor Zwickau gegangen sind. Die Versetzung der Mannschaft hat nicht nur Verstimmung in der Fußballwelt des Erzgebirges hervorgerufen, was aus lokalpatriotischen Gründen verständlich wäre, sondern in ganz Sachsen.«

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

SPD-Ostbüro:26 Potsdam 4 600, Suhl, Kreis Meiningen, 3 000, Halle, Kreis Roßlau, 1 000, Karl-Marx-Stadt einige.

KgU:27 Halle, Kreis Bitterfeld, 15 000, Kreis Wittenberg 10 000, in Teutschenthal 5 000 (sämtliche Flugblätter noch gebündelt), Karl-Marx-Stadt 7 700.

NTS:28 Gera, Kreis Eisenberg, 7 000, im Wismutgebiet größere Mengen, Karl-Marx-Stadt 724, Neubrandenburg, Kreis Templin, 60, Dresden einige.

In tschechischer Sprache: Kreis Cottbus 2 000, Karl-Marx-Stadt einige.

»Der Tag«:29 Karl-Marx-Stadt 2 000, Halle, Kreis Roßlau, 750, Potsdam 1 500.

Unbekannter Herkunft: Potsdam 10 000 (Hetze gegen DFS).

Die Flugblätter wurden meist sichergestellt.

Diversion

Am 15.11.1954 wurde in der Siegerhütte des Mansfeld Kombinats »Wilhelm Pieck« in Eisleben durch unbekannte Täter in das Sieb des Tankes eines Lkw Sand geworfen.

Eine Hetzparole gegen die Regierung der DDR wurde im Stahlwerk Gröditz, [Bezirk] Dresden, von unbekannten Tätern angeschmiert.

In der Nacht zum 21.11.1954 wurden am Kriegerdenkmal von 1914 in Blankenhain, Kreis Weimar, zwei Tannenkränze mit Wachskerzen niedergelegt. Täter ist unbekannt.

Im Kreis Zittau wird ein Gerücht verbreitet, wonach zu Weihnachten in den HO-Verkaufsstellen keine Fleisch- und Wurstwaren vorhanden sein sollen.

Anlage 1 vom 23. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2373

Stimmen zur Note der Sowjetunion vom 13.11.1954

Weiterhin ist zu verzeichnen, dass in allen Schichten der Bevölkerung verhältnismäßig wenig zur Note der SU vom 13.11.1954 Stellung genommen wird. Jedoch ist die Mehrzahl der Äußerungen positiv. Immer wieder wird erklärt, dass die Vorschläge der SU zur Erhaltung des Friedens beitragen und deshalb die vollste Zustimmung finden. Es wird die Hoffnung ausgesprochen, dass die Konferenz am 29.11.1954 stattfindet und ein positives Ergebnis zeigt, damit die Kriegsgefahr gebannt wird, die durch die Verträge von London30 und Paris heraufbeschworen sind [sic!]. Zum Beispiel sagte ein Schichtführer (parteilos) aus dem VEB Jenapharm Jena: »Ich hege die Hoffnung, dass bei der Konferenz über die kollektive Sicherheit die Abmachungen von Paris und London zunichtegemacht werden und die Kriegspläne der westlichen Mächte in den Mülleimer fallen. Dann können wir weiter in Frieden leben und unser Leben weiter verbessern.«

Eine Arbeiterin aus dem Teerverarbeitungswerk Rositz, [Bezirk] Leipzig: »Es ist höchste Zeit, zu verhandeln. Die Westmächte müssen den Vorschlag der SU annehmen, wir brauchen kein Pariser Abkommen, sondern eine kollektive Sicherheit in Europa, so wie sie die SU in ihrer Note vorschlägt. Mir ist es gleich, wo diese Konferenz stattfindet, aber stattfinden muss sie. Wir brauchen den Frieden wie die Blume das Licht und deshalb begrüße ich die neue Note der Sowjetunion.«

Ein Angestellter (parteilos) aus dem VEB Baumwollspinnerei Tannenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Immer wieder wird von der Sowjetunion versucht, die Lage in Europa und in der ganzen Welt zu entspannen und der Westen ist einfach nicht dazu zu bewegen. Man sollte auch ohne den Amerikaner zusammenkommen, denn es ist doch eine europäische Angelegenheit.«

Der Chefarzt der Poliklinik Oberschlema: »Die neue Note zeigt erneut den unerschütterlichen Friedenswillen der SU

Ein Feldbaubrigadier der MTS Götz, Kreis Oranienburg:31 »Die neue Note der Sowjetunion zeigt wieder einmal eindeutig, dass nur die SU für den dauerhaften Frieden eintritt. Die Sowjetunion ist immer unser treuer Helfer in der Verwirklichung unserer Wünsche, die Einheit Deutschlands herzustellen. Wir wollen alles tun, damit über die deutsche Frage unbedingt verhandelt wird. Es darf nicht zu einem Krieg kommen.«

Eine Hausfrau (Mitglied des DFD) aus Flöha: »Ich begrüße die neue Note der SU. Es ist ein neuer Beweis, dass die Sowjetunion immer auf Verhandlungswegen den Frieden erhalten will. Sie tritt immer dafür ein, dass es keinen neuen Krieg auf der Welt gibt.«

Ein Friseur aus Thale: »Es wäre günstig, wenn die Westmächte auf den Vorschlag der SU eingingen. Dadurch würde eine friedliche Lösung erreicht werden und die internationalen Spannungen würden verringert. Die Westmächte sowie Adenauer planen einen neuen Krieg und diese Verhandlungen könnten die Pläne der Westmächte zunichtemachen. Wir selbst sind für eine friedliche Lösung und begrüßen deshalb die sowjetischen Vorschläge.«

Nach wie vor kommt es zu Äußerungen, in denen Zweifel an dem Zustandekommen der Konferenz gehegt werden, aufgrund der ablehnenden Haltung der Westmächte. Zum Beispiel erklärte ein Arbeiter aus dem [Wismut-]Schacht 66 in Aue: »Ich begrüße die neue Note der SU, aber ich denke, dass die Abkommen doch nicht zustandekommen bzw. eingehalten werden. Die Kapitalisten machen doch, was sie wollen.«

Ein Schlosser (parteilos) aus dem VEB Kunstseidenwerk Pirna: »Die neue Note der SU ist ein Lichtblick für uns, um endlich die Einheit wieder herzustellen. Jedoch zweifle ich an einer Antwort der Westmächte, denn die haben ja bisher immer negativ auf die Vorschläge der SU geantwortet.«

Eine Rentnerin aus Dingelstädt, [Kreis] Worbis: »Der Amerikaner gibt bestimmt nicht nach. Denn dort ist man schon ganz auf den Krieg eingestellt und sie müssen nun auch die Situation schaffen, dass sie das Zeug loswerden, denn die sind so und so erledigt.«

Die vereinzelten negativen bzw. feindlichen Stimmen enthalten verschiedene Argumente. Zum Beispiel sagte ein Transportarbeiter aus dem VEB »Heinrich Rau« in Wildau: »Die Westmächte gehen unbeirrt ihren Weg und wenn die SU noch so viele Noten an sie richtet. Je mehr Noten sie herausgeben, um so mehr zeigen sie ihre Schwäche, denn diese Note kann man nur als ›Schwäche‹ bezeichnen.«

Ein Brigadier (parteilos) aus dem VEB Walzengießerei Coswig, Kreis Meißen: »Ich bin der Meinung, dass sich die großen Vier schon längst darüber einig sind, was mit Deutschland geschehen soll. Bei allen bisher geführten Verhandlungen waren sich die Vertreter der Großmächte bei den stattgefundenen Banketts einig.«

Ein Mittelbauer aus Köthen, Kreis Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam: »Man müsste einen Stock nehmen und den Ami zusammen mit dem Russen aus Deutschland hinausschmeißen. Das wäre für uns besser, als dauernd diese Konferenzen.«

Ein Neubauer aus Kletzin, [Bezirk] Neubrandenburg: »Der Russe beabsichtigt mit seiner Konferenz, die westliche Aufrüstung durcheinanderzubringen. Das soll er sich aber ruhig aus dem Kopf schlagen. Es wird höchste Zeit, dass es wieder einmal anders kommt.«

Anlage 2 vom 23. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2373

Auswertung von Hetzschriften

SPD-Ostbüro

Unter der Überschrift »Sonderausgabe Einheit« wird ein Bericht vom Parteitag der SPD in Berlin 1954 auf dem Postwege an Bürger der DDR gesandt.32

Der Bericht enthält:

  • 1)

    Leitartikel: »Berliner Parteitag der SPD und die Wiedervereinigung Deutschlands

  • 2)

    Grußadresse an die Sozialdemokraten der Sowjetzone an den Parteitag33

  • 3)

    Die Einheit Deutschlands und die Einigung Europas – Referat Ollenhauers34

  • 4)

    Die sozialistische Gestaltung von Staat und Gesellschaft – Referat Eichlers35

  • 5)

    Sicherung des Friedens und Verteidigung der Freiheit – Entschließung zur Außenpolitik36

  • 6)

    Solidarische Verbundenheit mit der Bevölkerung der Sowjetzone – Entschließung zur Lage in der Sowjetzone37

  • 7)

    Freies Wort stärker als Terror – Bericht von Heine38

  • 8)

    Aus dem Aktionsprogramm der SPD«.39

UFJ40

In einem Schreiben an Rechtsanwälte fordert der UFJ unter human erscheinenden Phrasen auf, in der DDR zu bleiben und gegen die DDR tätig zu sein. Dazu heißt es: »… Solange aber noch ein Anwalt in der Lage ist, sich in der Zone für Recht und Gerechtigkeit einzusetzen, solange bitten wir ihn, im Interesse der unterdrückten Bevölkerung zu bleiben und denjenigen nach Kräften zu helfen, die Schutz und Recht suchen …« Anlass zu dieser Erklärung ist angeblich eine Mitteilung in der »Neuen Justiz« vom 5.9.1954, wonach der UFJ an Rechtsanwälte in der DDR gefälschte Schreiben versandte, in denen der Widerruf der Zulassung ausgesprochen wurde.41

Im sogenannten Informationsbrief Nr. 5542 vom UFJ wird neben anderen versucht, zuziehende und zurückkehrende Republikflüchtige aus Westdeutschland zu beunruhigen. Es wird von einer angeblichen Anweisung des Staatssekretariats für Innere Angelegenheiten berichtet, wonach über die oben Genannten eine Entwicklungskartei angelegt werden soll, um sie so schärfer zu überwachen.43

Zur Aushändigung einer Broschüre mit einer Arbeitsschutzbestimmung für Eisenbahner, die anstelle der bisherigen Unfallverhütungsvorschriften gültig sein soll, empfiehlt der UFJ Folgendes: »… Die acht Reichsbahndirektionen der Sowjetzone werden angewiesen, bei Unfällen ein sogenanntes persönliches Verschulden der Betroffenen zu konstruieren. Den Eisenbahner in den Zonen wird deshalb empfohlen, unter Berufung auf die ihnen ausgehändigten Arbeitsschutzbestimmungen die Unfallsicherheit der Arbeitsplätze überprüfen zu lassen und auf sofortige Behebung aller Mängel zu dringen.«

In einem Schreiben richtet sich der UFJ gegen Personen, die zum 7. Oktober [1954] ausgezeichnet wurden – bes[onders] an Wissenschaftler und Techniker – und fordert sie zur Agententätigkeit auf. Dabei hetzt der UFJ, dass ihre Existenzsicherheit trotz der Auszeichnung in der DDR nicht gewährleistet sei und sie eventuell einmal die DDR verlassen müssten. Um dann in Westdeutschland aufgenommen zu werden, wird als Bedingung folgende Tätigkeit gegen die DDR vorausgesetzt: »… die tatkräftige Unterstützung der Angehörigen der politischen Häftlinge, Nicht-Beteiligung an Ausbeutungsmaßnahmen und Antreiber-Methoden, Zurückhaltung bei Forschungs-, Entwicklungs- und Projektierungsarbeiten, die Rüstungszwecken nutzbar gemacht werden könnten, Ablehnung des Diebstahl geistigen Eigentums durch Werkspionage, Patent-Verletzungen usw., vor allem jedoch Ablehnung sämtlicher Propagandatätigkeit für das SED-Regime und dementsprechend Zurückhaltung gegenüber seinen politischen Funktionären …«

Im Rahmen der vom UFJ herausgegebenen Hetzschriften für die einzelnen Bezirke bzw. für bestimmte Gebiete des öffentlichen Lebens in der DDR erscheint seit Oktober 1954 unter der Überschrift »Neue Deutsche Presse«44 ein Mitteilungsblatt für Mitglieder des Presseverbandes. Im Leitartikel werden Hinweise für das Verhalten der Journalisten gegeben, die sich je nach ihren charakterlichen Eigenarten »einen anderen Beruf suchen, Rückgrat zeigen« oder »Gewissensforschung betreiben« sollen. Grundsätzlich sollen sie sich in allen Zweifelsfragen an die Presseabteilung des UFJ wenden. Notizen und kurze Artikel des Hetzblattes befassen sich mit Fragen der journalistischen Tätigkeit bzw. Vorkommnissen in den einzelnen Redaktionen.

Zur Beeinflussung der Mitarbeiter des Staatssekretariats für Erfassung und Aufkauf wurden an »Beauftragte der Erfassungsorgane« Drohbriefe geschickt. Die Mitarbeiter werden bedroht, dass alle ihre Handlungen vom UFJ registriert werden und sie eventuell später für »Unrechtshandlungen« zur Verantwortung zu ziehen. [sic!] Gleichzeitig wird aufgefordert, sich beim UFJ »Rat und Hilfe« zu holen.

KgU

Die neuen Hetzschriften der KgU, die durch Ballons oder auf dem Postwege verbreitet werden, beschäftigen sich mit den Ergebnissen der Volkswahlen. Es wird darin zum »hinhaltenden Widerstand« aufgefordert und man stellt folgende Aufgaben:

  • »Meldet uns jede Verhaftung!

  • Steht den Angehörigen der politischen Gefangenen bei!

  • Ächtet die Spitzel!

  • Lehnt jede Normenerhöhung ab!

  • Lasst das System an seinen eigenen Schwächen verfaulen!«

FDP-Ostbüro

Ein Flugblatt mit der Überschrift »Die Sowjetzone fragt – wir antworten« beschäftigt sich mit der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands nach der Londoner Konferenz. Ziel des Flugblattes ist die Verherrlichung des Ergebnisses der Londoner Konferenz.

Flugblatt unbekannter Herkunft

In einem Flugblatt, gerichtet an die Mitarbeiter des SfS wird nach bekannter Hetze gegen die SU und die DDR aufgefordert: »… Durch Verzögerung von Aktengängen, durch Meldungen nach dem freien Berlin, durch persönliches mutiges Auftreten bei sowjetischen Beamten, durch Warnung der Betroffenen vor Verhaftung und durch viele andere Dinge mehr haben sich schon viele für Recht und Freiheit eingesetzt …«

Gefälschte Schreiben

An Fleischereien werden mit dem Absender der Zeitung »Der Freie Bauer«45 gefälschte Schreiben gesandt, in denen zur Versorgung der Bevölkerung mit Hammelfleisch Stellung genommen wird. Die Fleischereien sollen sich in Artikeln an die Redaktion zu der »getroffenen Poststellung« äußern, dass es sich bei dem zzt. angebotenen Hammelfleisch um Importfleisch handele, was sehr minderwertig sei und aus Notschlachtungen und Seuchenbeständen stamme. Das Gleiche wird auch von Rindfleischbeständen behauptet. Ziel des Schreibens ist die Verbreitung von Gerüchten.

Ein gefälschtes Schreiben mit dem Absender des Zentralvorstandes der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft – Abteilung Agitation – enthält anlässlich des Monats für Deutsch-Sowjetische Freundschaft46 üble Hetze gegen die SU und soll die Freundschaft zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Volk stören.

Ebenfalls mit dem Absender des Zentralvorstandes der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft wurden an Betriebsgruppen der DSF gefälschte Schreiben mit Anweisungen über Ausspracheabende zum Monat für Deutsch-Sowjetische Freundschaft gesandt.

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