Zur Beurteilung der Situation in der DDR
24. November 1954
Informationsdienst Nr. 2374 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Diskussionen über politische Tagesfragen sind weiterhin sehr gering. Über die Note der SU vom 13.11.1954 wird immer noch diskutiert,1 jedoch ergaben sich gegenüber den Vortagen keine Veränderungen. Zur Regierungserklärung des Genossen Grotewohl2 vom 19.11.19543 und über [die] 21. ZK-Tagung4 wurden nur ganz vereinzelt Diskussionen bekannt, die meist positiv sind. So äußerte z. B. ein parteiloser Arbeiter von einem VEB [in] Steinach, [Bezirk] Suhl: »Ich bin vollkommen einverstanden mit unserem Regierungsprogramm, ich bin mir auch bewusst, wohin die Politik der Westmächte führt, nämlich zu einem neuen Krieg, der Opfer von uns fordert, die keiner von uns ahnen kann.«
Ein Schlosser aus Beierfeld, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (parteilos): »Die letzte Rede Ulbrichts5 war sehr aufschlussreich.6 Ich kann mir nicht erklären, dass die VEB soviel Ausschuss machen. Wenn ich als selbstständiger Schlossermeister so arbeiten würde, wäre ich schon lange Pleite. Wenn die Betriebsleiter richtige Fachleute wären, könnte so etwas nicht vorkommen. So können wir aber niemals weiterkommen.«
Ein Arbeiter vom VEB Röhrenwerk Neuhaus, [Bezirk] Suhl: »In seinem Referat hebt Genosse Ulbricht die Losung, welche Frida Hockauf einmal sagte, besonders hervor, ›Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben‹.7 Diese Erkenntnis muss uns Werktätigen ein Ansporn sein, für bessere Gestaltung des Arbeitsprozesses. Auch in unserem Bertrieb müssen alle Kollegen die strengste Sparsamkeit beachten. Arbeitsmäßiger Leerlauf darf nicht entstehen. Für die Weiterentwicklung und für ein besseres Leben könnten noch viele Arbeitsgänge in unserem Betrieb verbessert werden. Durch diese Verbesserungen erreichen wir eine Arbeitsproduktivität, die uns helfen wird, unsere Waren billiger und besser zu produzieren.«
Ein parteiloser Ingenieur von der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock: »Wenn alles so verwirklicht würde, wie es der Genosse Walter Ulbricht vorgeschlagen hat, würden viele Fach- und Spezialkräfte aus Westdeutschland in die DDR kommen, weil sie hier eine gesicherte Existenz hätten.«
Oft werden in Kurzversammlungen Protestresolutionen gegen das Verbot der KPD verfasst.8 In Diskussionen bringt man unter anderem zum Ausdruck, dass man immer deutlicher erkennen kann, dass Adenauer9 in die Fußtapfen von Hitler tritt.10 Ein Arbeiter von der Baumwollspinnerei Tannenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Adenauer tritt mit dem Verbot der KPD immer deutlicher in die Fußtapfen Hitlers. Wie das endet, da brauchen wir nur an 1939 zu denken. Aber diesmal wird es ihnen nicht gelingen.«
Ein parteiloser Arbeiter von Hohenfichte, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Durch diesen Prozess zeigt der Bonner Bundesstaat seine ›Demokratie‹. Er bemüht sich, alle Kräfte auszuschalten, die ihre ganze Kraft für die Erhaltung des Friedens einsetzen und damit die wirklichen Interessen der werktätigen Menschen vertreten.«
Ein parteiloser Jungarbeiter vom Stahlwerk Gröditz, [Bezirk] Dresden: »Ich habe den Film ›Sohn seiner Klasse‹ gesehen,11 wie die Kommunisten vor 1933 um das Wohl der Arbeiter gekämpft haben. Die Kommunistische Partei in Westdeutschland kämpft jetzt genauso wie vor 1933. Ich fordere alle Arbeiter der Jugendbrigade auf, eine Sonderschicht durchzuführen und den Erlös den westdeutschen Patrioten12 zur Verfügung zu stellen.«
Ganz vereinzelt wird negativ bzw. feindlich über die VP-Werbung gesprochen.13 Verschiedentlich werden auch von KVP-Angehörigen sehr schlechte Argumente bei der Werbung verwendet. Ein Arbeiter vom Schlepperwerk Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, äußerte: »Die Bengels wollen sie einziehen. Sie sollen Soldaten spielen. Die ganze Bande da oben steuert bloß darauf zu, um drüben einzumarschieren, aber dann erleben die Brüder was. Uns passiert hier nichts. Aber der Ami macht die Oder-Neiße-Grenze dicht. Da rasselt es und die paar Russen in Deutschland, die holen sie mit dem Staubsauger, ja, der Ami hat es in sich.«
Im Kreis Forst, [Bezirk] Cottbus, gebrauchen Angehörige der KVP, die in den Betrieben Jugendliche für den Eintritt in die VP ansprachen, folgendes Argument: »Wenn ihr heute nicht zur VP geht, dann müsst ihr im Frühjahr des nächsten Jahres sowieso gehen. Jetzt könnt ihr noch dahingehen, wo ihr wollt. Wenn ihr dann gezogen werdet, müsst ihr dahin gehen, wo ihr hingesteckt werdet.«
Im VEB Press- und Schmiedewerk Wismar, [Bezirk] Rostock, werden unter der Belegschaft negative Diskussionen geführt, weil nach Erfüllung des Planes die leitenden Angestellten ihre Quartalsprämien bekommen haben. Ein Maschinist äußerte: »Wo schon so viel Geld ist, wird immer noch welches hinzugegeben. Die Arbeiter speist man gelegentlich mit ein paar Mark ab.«
Im VEB Seehafen Wismar sind die Arbeiter damit nicht einverstanden, dass bei einem Verdienst von 400 DM brutto kein Kindergeld mehr bezahlt wird.14
Im VEB Textilwerk Gößnitz, [Bezirk] Leipzig, sind die Belegschaftsangehörigen über die unzureichende Stromversorgung verärgert, da dadurch die Arbeitszeit verlegt werden musste, was sich besonders ungünstig sonnabends auswirkt.
Unter den Lokomotivheizern Neustrelitz, [Bezirk] Neubrandenburg, herrscht eine schlechte Stimmung. Grund dafür ist die schlechte Kohle. An das Heizpersonal werden dadurch zu hohe körperliche Anforderungen gestellt. Ein Lokheizer äußerte dazu: »Wenn dieser Zustand nicht umgehend geändert wird, werden alle Heizer die Arbeit niederlegen und in den Streik treten. Dass besseres Heizmaterial vorhanden ist, zeigt ja die Ausfuhr der Kohle bester Qualität, während wir uns mit Dreck abschuften müssen.«
Produktionsstörung
In der Brikettfabrik Deuben, [Bezirk] Halle, kam es zu einem Ventilbruch in der Dampfrückleitung. Durch ausströmenden Dampf wurden fünf Arbeiter schwer verletzt.
Materialschwierigkeiten
Im VEB Korbwaren Neustadt,15 [Bezirk] Dresden, besteht ein großer Mangel an Draht. Wenn in Kürze kein Draht angeliefert wird, muss der Betrieb die Produktion einstellen und kann den Plan nicht erfüllen.16
Im VEB Westglas Haselbach, [Bezirk] Suhl, fehlt es an Feldspat und Borax. Diese Rohstoffe werden von Westdeutschland bezogen. Die im Werk noch vorhandenen Rohstoffe reichen nur noch bis 4.12.1954.17
Im VEB Süßwaren Zeitz, [Bezirk] Halle, fehlt es an Verpackungsmaterial und Bindedraht. Zurzeit lagern 50 Tonnen Süßwaren, welche nicht ausgeliefert werden können.18
Im VEB BKW Spreetal, [Bezirk] Cottbus, sind Schwierigkeiten in der Belieferung mit Schienen für die Gleisanlagen des Abraumes eingetreten.19
In den Öl- und Fettwerken Magdeburg wird in der Margarineabteilung nur noch in zwei Schichten gearbeitet, da jetzt Margarine aus Westdeutschland und Dänemark importiert wird. Durch das Ministerium für Lebensmittelindustrie wurde dem Betrieb mitgeteilt, dass der Produktionsplan nicht übererfüllt werden soll.
Handel und Versorgung
Die teilweise unzureichende Versorgung und die z. T. schlechte Belieferung für Weihnachten verursachen große Unzufriedenheit. Zum Beispiel in Hettstedt, [Bezirk] Halle, fehlt es an Speck. Die Hausfrauen unterziehen diesen Mangel und den Mangel an Schlachtfetten einer scharfen Kritik. In Wittenberg, [Bezirk] Halle, führten Verkaufsstellenleiter der Konsumgenossenschaft auf einer Beratung Klage darüber, dass in den letzten acht Tagen Schwierigkeiten in der Belieferung eingetreten sind und vor allem Fischwaren, Fischkonserven, Nährmittel, Gewürze, Kartoffelmehl, Käse, Schokoladenerzeugnisse und Zucker fehlen.
Im Bezirk Dresden fehlt infolge der Kontingentkürzung HO-Fleisch. Die Bevölkerung sagt hierzu: »Das ist wohl der ›Neue Kurs‹ oder das Bessere Leben?«20 Die Verkäuferinnen des Kreisbetriebes Freital, [Bezirk] Dresden, sagten bei einer Rechenschaftslegung der HO am 21.11.1954, dass sie es vorziehen, sich ihre Papiere geben zu lassen, als sich immer wieder den Vorwürfen der Bevölkerung wegen dem Fleischmangel auszusetzen.
Im Gegensatz dazu sind im Bezirk Dresden alle Schlachthöfe mit Schlachtvieh überfüllt und können zum Teil das anfallende Vieh nicht mehr aufnehmen. Im Schlachthof Bautzen z. B. lagern bereits 40 Ztr. Innereien, aus der Produktion dieser Woche kommen noch 100 bis 120 Ztr. dazu, die nicht gelagert werden können (verderbgefährdet). Diese Innereien »dürfen« auch nicht verkauft werden und niemand gibt Auskunft, was damit werden soll.
Im Bezirk Karl-Marx-Stadt fehlen Zutaten für die Weihnachtsbäckerei (Rosinen), worüber die Hausfrauen heftig diskutieren und die Verkäuferinnen klagen, dass sie sich deswegen viel anhören müssen.
Ähnliche Mängel in der Versorgung bestehen in anderen Bezirken.
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Im Bezirk Schwerin und in den Kreisen Neuruppin, Kyritz, [Bezirk] Potsdam, fehlen nach wie vor Kindernährmittel.
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Bezirk Erfurt (HO-Speck).
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Bezirk Suhl (HO-Fleisch, Winterbekleidung, Textilien, Dekorationsstoffe, Wollstoffe und Bettwäsche).
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Bezirk Cottbus, Kreis Jessen (Benzin).
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Im Bezirk Neubrandenburg sind große Mengen Hammelfleisch aus Importen dem Verderb ausgesetzt, da es schwer abzusetzen ist. In vier Kreisen gibt es seit einigen Tagen keine Streichhölzer mehr.21
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In Dippoldiswalde sind Hamstereinkäufe an Butter und Schlachtfetten zu verzeichnen.
Landwirtschaft
Zur Sowjetnote wird weiterhin nur im geringen Umfang mit dem bereits bekannten Inhalt Stellung genommen. Über das geplante Verbot der KPD in Westdeutschland wird nur vereinzelt diskutiert. In den positiven Stellungnahmen kommt die Ablehnung des Karlsruher Prozesses in der Erkenntnis zum Ausdruck, dass dies der Weg von 1933 ist. Ein Genossenschaftsbauer aus dem Bezirk Dresden sagte hierzu: »Ich kümmere mich sonst sehr wenig um politische Dinge, aber der bevorstehende Verbotsprozess gegen die KPD in Westdeutschland zeigt ganz genau, dass man dort wieder den Weg von 1933 geht.«
Die negativen Meinungen sind nur selten, worin zum Teil der Erfolg der Proteste gegen das geplante Verbot bezweifelt wird. Hierzu äußerte ein auf dem VEG Apolda, [Bezirk] Erfurt, beschäftigter parteiloser Arbeiter: »Die KPD wird sowieso verboten, da nützen uns keine Resolutionen und Stellungnahmen. Man hat schon vor mehreren Jahren mit solchen Resolutionen begonnen und hat bis heute bezüglich der Einheit Deutschlands noch nichts erreicht.«
Die Stellungnahmen zur Rede Walter Ulbrichts auf dem 21. Plenum des ZK sind ebenfalls nur selten aber überwiegend positiv, ebenso die Meinungen zur Regierungserklärung Otto Grotewohls. Ein Genossenschaftsbauer aus Klein Pankow, [Kreis] Parchim, [Bezirk] Schwerin, sagte: »Die Reden des Ministerpräsidenten – Otto Grotewohl und des Genossen Walter Ulbricht tragen dazu bei, die Selbstkosten auf den LPG zu senken, wenn diese Anregungen in die Tat umgesetzt werden.«
Ein Landarbeiter aus dem VEG Gramsdorf,22 [Bezirk] Schwerin: »Der Abschnitt über die Landwirtschaft aus den Reden W. U. und O. G.23 zeigt uns, wie der Weg zur Steigerung der Produktion beschritten werden muss.«
Ein werktätiger Bauer aus Kleinbrüchter, Kreis Mühlh[ausen],24 [Bezirk] Erfurt: »Ich lese nun ständig die Zeitung und bin der Meinung, wenn Grotewohl sein neues Programm verwirklichen will, wird er es nur noch auf großen Flächen durchführen können, um mehr herauszuholen. Früher oder später kommt es ja sowieso mal zusammen, denn die MTS kann ja die großen Flächen viel besser bewirtschaften als die kleinen Stücke. Aber eins steht fest, dass durch die MTS die Bauern in diesem Jahr große Hilfe hatten, sonst hätten sie die Einbringung der Ernte und die Aussaat nicht so schnell geschafft.«
Im Mittelpunkt des Interesses stehen die wirtschaftlichen Belange, wie die Bergung der Ernte, der Bau von Stallungen und verschiedene andere Fragen der Landwirtschaft. Im Bezirk Schwerin z. B. ist in allen Kreisen die Zuckerrübenrodung noch nicht beendet und es werden zzt. alle verfügbaren Kräfte eingesetzt.
Schwierigkeiten beim Abtransport der landwirtschaftlichen Erzeugnisse ergeben sich zum Teil durch die unzureichende Waggongestellung. Auf dem Bahnhof Warnow, [Kreis] Bützow, ist der Transport von Hackfrüchten und Gemüse nicht gewährleistet. Dort lagern zzt. 150 dztr. Kartoffeln und 80 Ztr. Weißkohl. Des Weiteren ist es dem VEG Granzow, [Kreis] Perleberg,25 [Bezirk] Schwerin, nicht möglich, 200 Ztr. Kartoffeln den Hochwassergeschädigten26 wegen Waggonmangel zur Verfügung zu stellen.
Schwierigkeiten für die Arbeit der MTS ergeben sich teilweise immer wieder durch den Ersatzteilmangel. In der MTS Landsberg (Saalkreis) stehen seit 14 Tagen zwei Raupenschlepper in der Werkstatt, weil keine Ersatzteile vorhanden sind. Die Leitwerkstatt in Halle erklärt, dass im Kreismaßstab über 60 Raupenschlepper reparaturbedürftig und dafür keine Ersatzteile vorhanden sind.
Ersatzteilmangel besteht auch in den MTS des Bezirkes Frankfurt und den MTS des Bezirkes Cottbus, wo z. B. hauptsächlich Keilriemen für den Antrieb von Lichtmaschinen und Regler für 90 Watt fehlen.
Eine große Behinderung der LPG und MTS ist die teilweise Vernachlässigung notwendiger Bauten. In der LPG Radisleben,27 Kreis Neuruppin, ist der Kuhstall soweit hergestellt, jedoch fehlt Bauholz für den Dachstuhl.
In der MTS Radisleben wurde der Bau eines Speisehauses mit Kantine begonnen und sollte bis zum 30.10.1954 fertig sein, was jedoch nicht der Fall ist. Der Grund dafür ist, dass beim Bau des Kellers schlecht gearbeitet wurde und heute noch daran gearbeitet werden muss.
In der LPG »Karl Liebknecht« Atzendorf, Kreis Staßfurt, sind im Schafstall 480 Schafe untergebracht, von denen 50 Prozent erkrankt sind. Die Tiere sind infolge des undichten Daches den Witterungseinflüssen ausgesetzt und es besteht außerdem ein großer Mangel an Stroh. Die Krankheit der Tiere hat sich soweit verbreitet, dass die Wolle nicht mehr zu gebrauchen ist.
Im Bezirk Cottbus wird teilweise von Genossenschaftsbauern und werktätigen Bauern geäußert, dass sie noch vor Weihnachten alles Vieh auf freie Spitzen verkaufen wollen,28 da diese Preise fallen sollen. Dabei ist zu verzeichnen, das man versucht, Sauen nicht decken zu lassen, sondern sie schnell fett zu bekommen, um sie zu verkaufen.
Übrige Bevölkerung
In der Stimmung der übrigen Bevölkerung hat sich keine wesentliche Veränderung ergeben. Nach wie vor wird wenig zu aktuellen politischen Fragen Stellung genommen. Noch immer werden vorwiegend positive Stimmen zur Note der Sowjetunion vom 13.11.1954 bekannt.
Zum Ableben des Genossen Wyschinski29 wurde nur ganz vereinzelt, aber ausschließlich positiv Stellung genommen. Zum Beispiel sagte eine Angestellte aus dem Kreis Neuhaus, [Bezirk] Suhl: »Das sowjetische Volk und die gesamte friedliebende Welt wurden durch den Tod des Genossen Wyschinski erneut von einem schweren Verlust betroffen. Der Genosse Wyschinski hat bisher immer konsequent die Lebensinteressen des deutschen Volkes vertreten und hat immer für die Erhaltung des Friedens gekämpft. Die friedliebende Welt verliert in ihm einen hervorragenden Staatsmann. Wir werden sein Vermächtnis, den Frieden zu erhalten, erfüllen und unsere ganze Kraft für die Einheit Deutschlands einsetzen.«
In der Poliklinik Nord in Halle äußerten die Ärzte ihr tiefstes Bedauern über das Ableben des Genossen Wyschinski, welcher die Vorschläge der UdSSR in der UN immer wieder auf die Tagesordnung setzte. Sie sagten: »Genosse Wyschinski kämpfte zäh um den Weltfrieden und vertrat entschieden die Friedensvorschläge der Sowjetregierung. Sein Auftreten zeigte den Völkern der ganzen Erde, wo die Feinde des Friedens sind und wer zielbewusst für den Frieden kämpft.«
In den Stellungnahmen zum Verbotsprozess gegen die KPD in Westdeutschland wird zum Ausdruck gebracht, dass dadurch deutlich wird, welcher Weg in Bonn beschritten wird, dass es der Weg des Faschismus sei. Zum Beispiel äußerte ein Rentner aus Riesa: »Ich kann es nicht verstehen, dass die Arbeiter in Westdeutschland nichts aus der Vergangenheit gelernt haben. Die Arbeiter müssten, wenn das Verbot ausgesprochen wird, sofort einen Generalstreik durchführen.«
Ein Angestellter des Stadtheaters Greiz: »Das beabsichtigte Verbot der KPD in Westdeutschland zeigt, dass sich Adenauer auf dem gleichen Weg wie Hitler befindet, nämlich auf dem Weg zum Krieg. Den Krieg haben wir aber schon einmal am eigenen Leibe verspürt und deshalb protestiere ich gegen das Verbot der KPD in Westdeutschland.«
In der Versicherungsanstalt in Rathenow wurde eine Unterschriftensammlung gegen das geplante Verbot der KPD durchgeführt. Ein vor Kurzem aus Westdeutschland gekommener Neubürger30 verweigerte die Unterschrift. Dazu äußerte ein anderer Angestellter (CDU): »Er ist nicht wert, hier bei uns zu arbeiten. Von drüben flüchtete er angeblich aus Not, aber die Kräfte durch eine einfache Unterschrift zu unterstützen, die drüben für die gleichen Verhältnisse wie in der DDR kämpfen, lehnt er ab.«
Aus den Kreisen der Kirche
Aus dem Bezirk Cottbus wird berichtet, dass verschiedentlich in den Predigten von den Pfarrern darauf hingewiesen wird, dass die Kirche der Ort sei, wo man noch ein offenes Wort sagen kann, und dass schon viele große Herren abtreten mussten, jedoch sei Gott immer geblieben. Des Weiteren bemühen sich Pfarrer, Listen von gefallenen deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges aufzustellen. Zum Beispiel übergab der evangelische Pfarrer von Spreewitz, [Kreis] Hoyerswerda, der Gemeinde Neustadt eine Liste der obersten Kirchenbehörde – Sitz Westberlin –, welche einen englischen Stempel trug, mit der Aufforderung, diese zu vervollständigen.
Seit ca. drei Wochen werden unter den Schülern der Oberschule Neubrandenburg Diskussionen gegen die Entwicklung in der DDR geführt. Aus diesem Grunde wurde eine FDJ-Versammlung einberufen, auf der sich herausstellte, dass ca. 20 Oberschüler an Zusammenkünften mit dem Pastor Burghardt31 teilnehmen. Bei diesen Zusammenkünften wird von dem Pastor die idealistische Weltanschauung als die einzig richtige dargelegt und die materialistische Weltanschauung wird als falsch hingestellt. Die Oberschüler verbreiten diese Auffassung an der ganzen Schule.
In der Gemeinde Sülzhayn, [Kreis] Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, wurden Vorbereitungen zur Einweihung eines Kriegerdenkmals getroffen, auf dem die Namen der Gefallenen der beiden Weltkriege – auch ehemalige Angehörige der SS – aufgeführt werden sollen. Die finanziellen Mittel dazu wurden vom Rat des Kreises (Gen[osse] Hupe)32 genehmigt.33 Der Bürgermeister (SED) sollte das Referat halten und der Volkschor hatte dazu ein Lied eingeübt. Die Enthüllung des Denkmals wurde verhindert.
Weiterhin stehen im Mittelpunkt der Diskussionen über wirtschaftliche Probleme die Mängel in der Versorgung. Zum Beispiel ist verschiedentlich die Bereitstellung von HO-Speck und -Schmalz unzureichend. Dazu äußerte eine Hausfrau aus Magdeburg: »Ja, jetzt ist der Speck billiger und da bekommen wir keinen.«34 Oftmals wird auch die Qualität des Schmalzes bemängelt und es wird geäußert, dass die Privatfleischer ein besseres Schmalz liefern als HO und Konsum.
Im Kreis Pritzwalk wird die Fischversorgung bemängelt. Dazu äußerte eine Hausfrau: »In ganz Putlitz kann man keine Fischkonserven oder Frischfisch kaufen. Es ist unverständlich, dass es zeitweise diese Waren in rauen Mengen gibt und dann wieder wochen- und monatelang nichts.«
Im Kreisgebiet Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, klagen die Hausfrauen besonders darüber, dass die HO-Fleisch- und Wurstversorgung sehr schlecht ist. Dies wirkt sich besonders ungünstig am Monatsende aus, wenn die Marken zum größten Teil verausgabt wurden.
Anlass zu Unzufriedenheit gibt immer wieder das Fehlen von Kindernährmitteln, besonders Maizena. Dazu sagte eine Hausfrau aus Neuruppin: »Während der Ernte wurde in den Geschäften erklärt, dass der Mangel an Maizena nach der Ernte wieder behoben sei. Es ist aber schon Mitte November und es hat sich noch nichts geändert.«
In den Lichtspieltheatern des Bezirkes Schwerin laufen zzt. Reklamefilme über das Kindernährmittel Puddina. Während der Vorführungen kommt es zu negativen Äußerungen, wie z. B.: »Hier bietet man uns an, was in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist.« Des Weiteren wird der Streifen höhnisch belacht.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:35 Magdeburg, Kreis Stendal, 5 000, Halle, Kreis Wittenberg, 500, Dresden und Potsdam einige.
NTS:36 Karl-Marx-Stadt 1 800, Potsdam 700, Dresden einige.
KgU:37 Halle, Teutschenthal 75.
In tschechischer Sprache: Dresden 333.
»Berliner Montags-Echo«:38 Frankfurt/Oder 350.
»Der Tag«:39 Karl-Marx-Stadt 5 000, Potsdam 2 200.
Die Mehrzahl der Hetzschriften wurde mit Ballons eingeschleust und sichergestellt.
In einer Gemeinde des Kreises Beeskow, [Bezirk] Frankfurt/Oder, wurde in der Nacht vom 21. zum 22.11.[1954] von unbekannten Tätern eine rote Fahne abgerissen und eine Weltbundfahne40 zerrissen. In einer Nachbargemeinde waren gegenüber der Bürgermeisterei Totenköpfe und Hetzlosungen angeschmiert.
Im Männeraufenthaltsraum des VEB Spinnfaserwerk Elsterberg, [Bezirk] Gera, wurde eine Losung zum Monat der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft41 beschmiert und unleserlich gemacht.
In der letzten Zeit häufen sich im Bezirk Halle Fälle, dass von Göttingen aus an Frisöre und Gastwirte Stellenangebote aus westdeutschen Zeitungen gesandt werden.
Die Stummpolizei42 hat die Anweisung erhalten, alle Wahlhelfer und Hausagitatoren der SED ab sofort festzunehmen.43 Als Vorwand wird angeführt, dass die Wahlhelfer über ihre Einsätze genaue Berichte anfertigen müssen.
Einschätzung der Situation
Zu den aktuellen politischen Fragen wird weiterhin überwiegend positiv Stellung genommen. Feindliche Argumente treten nur in ganz geringem Umfange auf.
Dagegen macht sich jetzt die Unzufriedenheit über die Mängel in der Versorgung der Bevölkerung stärker bemerkbar als in den vergangenen Wochen.
Anlage 1 vom 24. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2374
Stimmen zur Note der Sowjetunion vom 13.11.1954
Im Vergleich zu den Vortagen hat sich in den Stellungnahmen zur Note der SU umfangmäßig sowie inhaltlich keine wesentliche Änderung ergeben. Nach wie vor findet der Vorschlag der SU zur Einberufung einer Konferenz, auf der über einen Pakt der kollektiven Sicherheit beraten werden soll, in den verschiedensten Schichten der Bevölkerung in der Mehrzahl Zustimmung. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter aus dem VEB Kranbau Eberswalde: »Meiner Meinung nach sind die Vorschläge der SU über die kollektive Sicherheit das einzig Richtige. Es ist unverständlich, dass die Westmächte, wenn sie vorgeben für den Frieden zu sein, immer wieder Nein sagen.«
Ein Jugendlicher aus dem Kfz-Werk »Ernst Grube« in Werdau/Sa.: »Die SU hat wiederum der ganzen Welt den Beweis erbracht, dass das oberste Gebot ihrer Innen- und Außenpolitik die Erhaltung des Friedens ist. Mir ist sehr viel daran gelegen, dass ich meine Zukunft nicht im Schützengraben verbringen muss. Es gibt für mich deshalb nur eines, die Bemühungen der Sowjetunion zu unterstützen.«
Ein Arbeiter der MTS Wittstock: »Diese Note zeigt den Weg, wie die Remilitarisierung Westdeutschlands verhindert werden kann. Es muss erreicht werden, dass die Konferenz zu dem vorgeschlagenen Zeitpunkt stattfindet, damit das Pariser Abkommen nicht ratifiziert wird.«44
Eine Kleinbäuerin aus Oberböhmsdorf, [Bezirk] Gera: »Ich bin schon eine ältere Frau und verstehe von Politik nicht viel, aber ich denke mir, dass die sowjetischen Soldaten auch gern wieder in ihre Heimat zurückmöchten. Die Note ist für uns Deutsche bestimmt sehr gut und man kann sich gar nicht denken, was die Amerikaner immer wieder daran auszusetzen haben. Aber es ist schon so, sie wollen halt wieder lieber einen neuen Krieg führen.«
Eine Hausfrau (parteilos) aus Sonneberg: »Ich begrüße den Vorschlag der SU zur kollektiven Sicherheit in Europa und wünsche, dass die Konferenz zustande kommt und mit Erfolg durchgeführt wird, damit der Frieden in Europa gesichert ist.«
Zweifel an dem Zustandekommen der Konferenz werden meist deswegen gehegt, weil man annimmt, dass die Westmächte andere Pläne verfolgen und deshalb kein Interesse an den Vorschlägen der SU hätten. Ein Arbeiter aus dem VEB Holzbau Klosterfelde, [Bezirk] Frankfurt, sagte z. B.: »Bisher war es nur immer die SU, die wirklich gute Vorschläge unterbreitete. Mit dieser Note wird es aber genauso ausgehen, wie mit den bisherigen, weil die Westmächte kein Interesse an dem Frieden haben.«
In den nur vereinzelt bekannt gewordenen negativen Äußerungen zeigt sich meist eine gegnerische Einstellung gegenüber der SU. Ein Schlosser vom Bahnbetriebswerk Erfurt sagte z. B.: »Es heißt nur abwarten. Im April oder Mai wird was Großes gestartet werden, wonach sich alles ändern wird.« Des Weiteren sagte er im Zusammenhang mit der Note, dass die SU, wenn sie damals nicht die Waffen von den USA erhalten hätte, wäre sie vernichtet worden.
Ein Arbeiter der MTS aus dem Kreis Angermünde, [Bezirk] Frankfurt: »Ich bin in russischer Gefangenschaft gewesen. Mir braucht niemand etwas zu erzählen. Die ganzen Noten sind vollkommen unnötig. Wir fallen nicht mehr darauf herein.«
Anlage 2 vom 24. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2374
Stimmen aus dem Demokratischen Sektor von Berlin zu den bevorstehenden Senatswahlen am 5. Dez[ember] [1954] in Westberlin
In den positiven Stellungnahmen, die aus den verschiedensten Bevölkerungskreisen stammen, wird der Wunsch ausgesprochen, dass die SED bei den Wahlen in Westberlin gut abschneiden möge, um einige Sitze im Senat zu bekommen. Sie wird als die einzige Partei in Westberlin bezeichnet, die konsequent für die Interessen der Werktätigen eintritt. Deshalb müsste es für diese Schichten eine Selbstverständlichkeit sein, für die SED zu stimmen. Zum Beispiel sagte ein Bautischler: »Wer bei uns etwas von seiner Arbeit versteht, der kann gut leben. In Westberlin dagegen liegen sogar Facharbeiter auf der Straße. Hoffentlich gehen den Arbeitern die Augen auf und sie wählen die SED, die ihre Interessen vertritt. Ich bin bestimmt kein Kommunist und auch nicht mit allem bei uns einverstanden, ich bin aber ein Arbeiter und will keinen Krieg. Da unsere Regierung für den Frieden eintritt, bin ich mit ihr einverstanden.«
Ein Rentner: »Ich bin ein alter SPD-Mann und will mit der SED und KPD nichts zu tun haben, weil diese Parteien mir zu radikal sind. Was sich aber jetzt vor dem Westberliner Landeswahlausschuss abgespielt hat, ist eine große Schweinerei. Wie kann man den SED-Kandidaten Pallapies von der Liste streichen, weil er unter dem Naziregime eingekerkert war.45 Daran sieht man, dass im Westen die Faschisten wieder tonangebend sind. Die SED wird viele Stimmen auf Kosten der SPD erhalten, weil die SPD nicht konsequent gegen die Faschisten auftritt. Vom Faschismus wollen die Arbeiter nichts wissen und deshalb wird wohl die SED bei den Wahlen nicht schlecht abschneiden.«
Ein Kriegsversehrter: »Vom Krieg haben wir wohl alle genug. Es gibt aber schon wieder Kräfte, die einen Dritten Weltkrieg planen. Es ist eine Schande für die SPD, dass sie solche Machenschaften duldet und faschistische Parteien wie die FDP sogar noch unterstützt. Jedem klardenkendem Menschen muss einleuchten, dass die SED die einzige Partei in Westberlin ist, die das Elend beseitigen kann. Die Westberliner Arbeiter haben am 5. Dezember [1954] eine gute Gelegenheit, sich ihr weiteres Schicksal zu wählen.«
Ein Angestellter der Reichsbahn: »Die SED wird einen großen Teil Stimmen auf sich verbuchen können. Nur politisch verblendete Menschen können die Parteien der Kriegstreiber wählen. Die SED wird bestimmt, wenn sie ein paar Sitze im Senat erhält, Dampf in dem Laden machen.«
In negativen bzw. feindlichen Äußerungen wird der SED ein Erfolg bei den Wahlen abgesprochen. Es herrscht die Meinung vor, dass die SED nicht viel Sympathie in Westberlin besitzen würde, weil sich niemand nach den »Verhältnissen im Osten« sehne. Zum Beispiel äußerte ein Bauarbeiter: »Der letzte Gehlen-Prozess46 war in meinen Augen ein Wahlmanöver der SED. Man wollte damit die westliche Politik anprangern, um am 5. Dezember [1954] mehr Stimmen zu erlangen. Es ist aber eine Tatsache, dass die Mehrheit der Westberliner Bevölkerung mit der SED und den Russen nichts zu tun haben will. Das wird sich am 5. Dezember klar herausstellen.«
Ein Gastwirt: »Wenn man drüben die Ausstellung für das Gastwirtsgewerbe gesehen hat, so kann man nur sagen, prima, wie in Friedenszeiten. Hier ist so etwas gar nicht möglich und da will man diese Verhältnisse auf Westberlin übertragen, das wird nicht gelingen. Die Menschen drüben sind lieber arbeitslos, als dass sie unter dem Joch der SED leben. Bei den Wahlen wird die SED eine deutliche Abfuhr erhalten.«
Ein Klempner: »Wenn die SED im Senat ein paar Sitze erhält, so nützt ihr das gar nichts. Man wird die Abgeordneten genauso ignorieren, wie die der KPD in Bonn. Es ist eine Tatsache, dass die, die im Osten in Gefangenschaft waren, mit solch einer Partei, die mit den Russen paktiert, Schlesien und Ostpreußen verschenkt, nichts zu tun haben wollen.«
Ein Gastwirt: »Durch den Wahlsieg am 17.10.[1954]47 glauben die Leutchen nun auch bei den Wahlen in Westberlin, leichtes Spiel zu haben. Die Rechnung wird aber nicht aufgehen. In Westberlin finden nämlich freie Wahlen statt und jeder kann die Partei ankreuzen, die ihm genehm ist. Mit Einheitslisten ist es kein Kunststück einen Wahlsieg zu erringen. Am 5. Dezember [1954] wird sich zeigen, wie verhasst die Partei ist. Meiner Meinung nach, wird sie nicht mehr als 5 Prozent aller Stimmen bekommen.«
Ein Angestellter: »Die SED wird bei den Wahlen nicht viele Stimmen erhalten, weil sie keine deutsche Politik betreibt. Sie betreibt eine Politik der Freundschaft [mit der Sowjetunion] um jeden Preis. Das hat uns bis jetzt Ostpreußen und Schlesien gekostet. Ich bin aus Königsberg und habe viele Bekannte in Westberlin, welche auch aus Ostpreußen stammen. Diese Menschen werden eine Partei, welche die Zustimmung zur Abtrennung dieser Gebiete gab, niemals wählen. Ich sehe deshalb schwarz für die SED am 5. Dezember.«