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Zur Beurteilung der Situation in der DDR

29. November 1954
Informationsdienst Nr. 2378 zur Beurteilung der Situation in der DDR

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Gespräche über politische Tagesfragen werden nur im geringen Umfang geführt. Im Vordergrund steht hierbei der Verbotsprozess gegen die KPD.1 Daneben wird vereinzelt zur Note der SU vom 13.11.1954,2 besonders über den Vorschlag zur Einberufung einer europäischen Sicherheitskonferenz, sowie zum Ableben des Genossen Wyschinski3 gesprochen.

Zum Verbotsprozess sind die Meinungen überwiegend positiv, indem man die Absetzung des Prozesses verlangt. Dabei wird mehrfach die Adenauer-Politik4 mit der Politik Hitlers verglichen. Teilweise wird von Arbeitern erklärt, dass man jetzt das wahre Gesicht der Adenauer-Clique erkannt hat. In zahlreichen Kurzversammlungen wurden Resolutionen gegen den Prozess angenommen und seine Absetzung verlangt. Dabei fanden jedoch meist keine Diskussionen statt. In der II. Abteilung des Karl-Marx-Werkes Zwickau wurde z. B. eine solche Versammlung durchgeführt. Diskutiert wurde nicht, da sich kein Kumpel zum Wort meldete. Bei der Abstimmung über die Protestresolution gaben jedoch alle Anwesenden ihre Zustimmung.

Eine negative Haltung zeigte sich in der Möbelfabrik Worbis, [Bezirk] Erfurt. Hier wurden die Kollegen in einer Versammlung aufgefordert, ihre Zustimmung zur Protestentschließung durch Erheben der Hand zu geben. Außer denjenigen, die die Resolution verfasst hatten, brachte niemand seine Zustimmung zum Ausdruck. Nach nochmaliger Befragung meldete sich wiederum niemand. Daraufhin erklärte der Betriebsleiter die Resolution als angenommen, da keine Gegenstimmen vorhanden sind.

Durch den Einfluss von zwei feindlichen Elementen wurden von der Belegschaft der Butadienfabrik der Chemischen Werke Buna Lohnforderungen (Einstufung von Lohngruppe V auf VI) gestellt. Dazu wurde ein Schreiben an die Betriebsleitung verfasst, was von 71 Kollegen unterschrieben war.

Unzufriedenheit über die Normen besteht unter den Schlossern und Transportarbeitern der Zeitzer Eisen- und Maschinenwerke,5 [Bezirk] Halle. Durch die jetzige Norm sei ihre Entlohnung zu gering. Deshalb haben ihre Kollegen gekündigt.

Gegen die Brigadeabrechnung6 ist der größte Teil der Arbeiter der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock. Die Kollegen sind der Meinung, dass sie »nicht für den Brigadier arbeiten wollen«. Die Brigadiere wiederum vertreten die Ansicht, dass sie durch die Brigadeabrechnung weniger als vorher verdienen.

Über den Lohn wurde in den Versammlungen zum Betriebs-Kollektivvertrag 1954 auf dem Sektor der Reichsbahn im Bezirk Cottbus zum größten Teil diskutiert. Besonders stark waren diese Diskussionen im Amtsbezirk Senftenberg. Hier äußerten teilweise Eisenbahner, dass sie nach Erhalt der Jahresprämie kündigen. Von Rangierern, Güterboden7 und auch Betriebsarbeitern wurde teilweise erklärt, dass sie nach ihrer Dienstzeit noch in anderen Betrieben arbeiten, um zusätzlich Geld zu verdienen.

Über Weihnachtsgratifikation wird viel unter den Kollegen des Baues 1.026 der Leuna-Werke gesprochen. Man wünscht eine Erklärung, ob es Weihnachtsgratifikationen gibt. Teilweise werden von Arbeitern bereits Geldsummen für die Höhe der Gratifikationen angegeben.

Von den Arbeitern im VEB Silikat-Werk Bad-Lausick, [Bezirk] Leipzig, die vor kurzer Zeit aus Westdeutschland kamen, hat ein Teil den Betrieb wieder verlassen. Ein Arbeiter lehnt bereits seit dem 6.11.[1954] es ab, die Arbeit aufzunehmen. Dazu äußerte er u. a., dass er als Arbeitsloser in Westdeutschland besser leben würde als jetzt in der DDR.

Alle Arbeiter des Nationalen Aufbauprogramms8 in Magdeburg (außer denen zur Schlüsselfertigstellung einiger Abschnitte) müssen von der Bau-Union eingestellt werden, da der Investträger (Rat der Stadt Magdeburg) keine Finanzmittel mehr besitzt. Hierdurch müssen 170 Arbeitskräfte auf anderen Baustellen untergebracht werden. Unter den Bauarbeitern herrscht eine schlechte Stimmung. Ein Teil der Facharbeiter muss durch die Umbesetzung Hilfsarbeiten durchführen. Ähnlich verhält es sich beim Wohnungsbau Calbe.

Die Kohlenversorgung verschiedener Betriebe ist weiterhin mangelhaft, wodurch die Produktion und damit die Planerfüllung ernsthaft gefährdet sind. Außerdem führt dies zur Verärgerung der Betriebsangehörigen. So ist z. B. im VEB »Otto Schlag«, Kreis Hohenmölsen,9 [Bezirk] Halle, wegen Rohkohlenmangel die Erfüllung des Jahresplanes gefährdet. Die Belegschaft ist über die mangelhaften Kohlenlieferungen empört.

Der VEB Papierfabrik Dreiwerden, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, hat keine Kohlenvorräte. Wenn an einem Tag die Kohlenlieferung wegen Witterungsverhältnissen oder anderen ausfällt, steht der Betrieb still.

Der VEB Hausschuhwerke Hartha, [Bezirk] Leipzig, muss für November noch 100 t Trockenkohle und 63 Tonnen Briketts erhalten. Mit dem vorhandenen Kohlenvorrat reichte der Betrieb bis zum 27.11.[1954] vormittags aus.

Der VEB Braun- und Kunsttöpferei Bischofswerda, [Bezirk] Dresden, hat für November noch keine Kohle erhalten, weshalb die Brennarbeiten bereits für zwei Tage eingestellt wurden. Der jetzige Vorrat reicht bis zum 3.12.1954.

Die Lederfabrik Hirschberg, [Bezirk] Gera, hat einen Kohlenvorrat für nur noch zwei Tage.

Das Umspannwerk Remptendorf, [Bezirk] Gera, hat für den Winter noch keine Brennstoffe erhalten. Das Walzwerk Burg, [Bezirk] Magdeburg, kann seit 26.11.[1954] nur mit halber Kraft arbeiten, da die Gaszufuhr infolge Kohlenmangels ungenügend ist. Im »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg10 reicht der Kohlenvorrat nur noch ca. 14 Tage. Im VEB Tonwarenfabrik Görzke, [Bezirk] Potsdam, ist die Beheizung der Öfen wegen Kohlenmangel unvorschriftsmäßig, wodurch ca. 30 000 [DM] Schaden entstehen werden. Die Betriebsangehörigen sind darüber unzufrieden und diskutieren, dass dies im Widerspruch mit den Ausführungen des Genossen Walter Ulbricht11 auf der 21. ZK-Tagung über die Erhöhung der Rentabilität stehe.12

Große Schwierigkeiten bei der Erfüllung des Exportprogramms bestehen in den Magdeburger Großbetrieben. Als Ursache wird in den meisten Fällen angegeben: Terminverzögerung der Zubringerbetriebe, zu spätes Bestellen der benötigten Teile durch die Abteilung Einkauf, schlechte Arbeitsorganisation in den technologischen Abteilungen. Während in fast allen Betrieben die Aussicht auf rechtzeitige Erfüllung des Exportprogramms besteht, ist sie im VEB »Karl-Liebknecht«-Werk nicht gegeben. Die Produktion von Ammoniakverdampfern wird nicht erfüllt, da das Importmaterial nicht restlos eingetroffen ist. Von den bestellten 95 Lokomobilen können nur 65 hergestellt werden. Als Ursache werden Fehler in der Produktion und schlechte Beschaffenheit der vom Walzwerk Hettstedt gelieferten Bleche angegeben. Außerdem mangelt es an Überhitzerrohren, die nicht in der DDR hergestellt werden.

Handel und Versorgung

Nach wie vor bestehen teilweise Mängel in der Versorgung, hauptsächlich mit Kohlen, HO-Fleisch, Winterbekleidung und Waren für den Weihnachtsbedarf, worüber Unzufriedenheit herrscht. Im Kreis Grimma, [Bezirk] Leipzig, z. B. fehlen Kohlen für die Bevölkerung. Im Kreis Delitzsch, [Bezirk] Leipzig, fehlt HO-Fleisch, weil das Kontingent überzogen wurde und keine Aufstockung erfolgt. Über den Mangel an Winterbekleidung, Bohnenkaffee und Waren für den Weihnachtsbedarf klagen besonders Hausfrauen im Kreis Altenburg und sagen, dass dies eine absichtliche Fehlleitung von Saboteuren ist, die am Werke sind.

In den Kreisen Bautzen, Riesa und Großenhain, [Bezirk] Dresden, außerdem im Kreis Pirna fehlt es an HO-Fleisch und Butter. Ein AGL-Vorsitzender aus dem Stahlwerk Gröditz sagt hierzu: »Die Arbeiter kommen zu mir und beschweren sich über diesen Zustand. Gerade jetzt, wo doch bei den meisten Arbeitern am 20. [des Monats] die Lebensmittelkarten leer sind, stehen deren Frauen vor leeren HO-Fleischläden und wissen nicht, was sie den Männern zu essen vorsetzen sollen.«

Ähnliche Mängel zeigen sich auch in anderen Bezirken.

  • Bezirk Schwerin (Speck, Nährmittel, Hülsenfrüchte, Trikotagen und Schuhe für Kinder, Südfrüchte und andere Waren für Weihnachten).

  • Bezirk Rostock (Kohlen und Winterbekleidung).

  • Bezirk Halle (Im Konsum des Leuna-Werkes Käse, Fisch, Speiseöl, Zitronen). In Wittenberg (Waren für die Weihnachtsbäckerei), Bitterfeld (billige Zigaretten), Hettstedt (Hülsenfrüchte, Fisch, Käse).

  • Bezirk Karl-Marx-Stadt (Zutaten für die Weihnachtsbäckerei, Möbelstoff).

  • Bezirk Gera in den Kreisen Lobenstein, Saalfeld (Kohlen, besonders für Schulen und Krankenhaus). Für die Wismutverkaufsstellen13 (Magerkäse). Es fehlen dort für das IV. Quartal noch 100 Tonnen Quark aus dem Bezirk Schwerin.

  • Bezirk Cottbus, Kreis Jessen (HO-Fleisch, Fisch, Käse, Textilien.), Kreis Hoyerswerda (Kindernährmittel und Kindertrikotagen).

Landwirtschaft

Zum Karlsruher Prozess gegen die KPD wurde nur wenig, aber überwiegend positiv Stellung genommen, wobei zum Ausdruck kommt, dass es Adenauer nicht so leicht haben wird, die KPD zu verbieten. Unter anderem stellt man den Widerspruch der Adenauer-Politik fest, die auf der einen Seite von geheimen, freien Wahlen spricht und auf der anderen Seite die KPD zu verbieten sucht. Ein Traktorist aus dem Kreis Beeskow, [Bezirk] Frankfurt, sagte: »Mit dem Verbot der KPD wird es Adenauer nicht leicht haben. Bei Hitler ging das schneller. Jetzt sind die Sachen aber bekannt. Man sieht es auch daran, dass Blank14 eine gute Abreibung bekommen hat.«15

Vereinzelt zweifelt man an der Verhinderung des Verbots der KPD, da man kein Vertrauen zur westdeutschen Arbeiterklasse hat, die das verhindern könnte. Ausgesprochen feindliche Meinungen wurden nur in einzelnen Fällen festgestellt. Ein Großbauer aus dem Kreis Angermünde, [Bezirk] Frankfurt, sagte: »Warum soll man die KPD nicht verbieten. Das ist doch sowieso nur eine Agentenorganisation der Russen in Westdeutschland.«

Ein werktätiger Bauer aus dem Kreis Beeskow, [Bezirk] Frankfurt: »Es wird höchste Zeit, dass die KPD verboten wird. Die Lumpen haben uns alles weggenommen, denn die und ihre Gesinnungsfreunde haben Schuld, dass wir alles in Schlesien verloren haben.«

Durch schlechte Arbeit entsteht täglich immer wieder beträchtlicher Schaden auf verschiedenen Gebieten in der Landwirtschaft. Im VE Schlacht- und Mastbetrieb Wittenberg, [Bezirk] Halle, kam ein Waggon Roggen an von der VEAB Aken, der bereits einen säuerlichen Geruch hatte. Bei der Verschrotung des Roggens steigerte sich dieser Geruch und der Tierarzt ordnete an, dass nur 25 Prozent der täglichen Futtermittelmenge beigegeben werden darf. Dieser Schaden wurde durch unsachgemäße Lagerung hervorgerufen, was zur Folge hat, dass die Futtermittel für den o. g. Betrieb nicht gesichert sind und das Vieh nur ungenügend versorgt werden kann.

Im VEG Mönchpfiffel, Kreis Artern, [Bezirk] Halle, wurde durch die einseitige Verfütterung von Roggen vom 1. bis 26.11.1954 erreicht, dass 181 Schweine notgeschlachtet werden mussten, während 76 Schweine verendeten. Auch die Rinder aus den hochwassergeschädigten Gebieten,16 die in den Ställen des VE Gutes untergebracht sind, müssen aufgrund der schlechten und mangelhaften Fütterung notgeschlachtet werden.

Im Schlachthof Zeitz wurden in den letzten Tagen zu viele Schweine angeliefert. Dadurch mussten ca. 1 100 Schweine im Rinderstall untergebracht werden. Bis zur Schlachtung vergehen fünf Tage, sodass mit einer großen Gewichtsabnahme zu rechnen ist. Die Rinder dagegen werden im freien Gelände des städtischen Parkes untergebracht.

Verärgerung herrscht unter den Erntehelfern wegen der teilweise schlechten Arbeitsmoral innerhalb einzelner LPG. Im Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, beschwerten sich Arbeiter und Angestellte, die zum Ernteeinsatz geschickt wurden, dass die Frauen der Bauern sonnabends und sonntags in die Stadt zum Frisör gehen und kein Interesse an der Landarbeit zeigen. Die Erntehelfer sagen: »Für die Arbeit, die der Bauer nicht einmal bezahlt, dürfen wir dann dem Bauern auch noch die freien Spitzen bezahlen.«17

In der LPG Frauenprießnitz, [Bezirk] Gera, wird von den LPG-Angehörigen sonnabends überhaupt nicht auf den Feldern gearbeitet. Ein großer Teil der durch das Eggen freigelegten Kartoffeln, liegt erfroren auf den Feldern.

Übrige Bevölkerung

Nach wie vor ist zu verzeichnen, dass verhältnismäßig wenig zu politischen Tagesfragen Stellung genommen wird; jedoch sind die bekannt gewordenen Äußerungen in der Mehrzahl positiv. In den Stellungnahmen zum geplanten Verbot der KPD in Westdeutschland drückt sich immer wieder Empörung gegen die Handlungsweise der Adenauer-Regierung aus. Es wird zum Ausdruck gebracht, dass der Prozess in Karlsruhe zeigt, dass man in der Bundesrepublik den gleichen Weg beschreitet, den Hitler gegangen ist. Zum Beispiel sagte eine Angestellte vom Rat des Kreises Nauen: »Das gleiche Verbrechen hat Deutschland schon einmal 1933 erlebt, was der amerikanische Kanzler Adenauer dem deutschen Volk jetzt wieder bereiten will. Mit der KPD fängt es an und mit der gesamten Arbeiterklasse hört es auf, damit die Faschisten und die Imperialisten die Menschheit noch einmal in einen neuen Krieg führen können. Diesmal aber ohne uns. Das Friedenslager steht auf der Wacht.«

Ein Angestellter aus Zwickau: »Die SU macht immer wieder Vorschläge zur Erhaltung und Sicherung des Friedens und in Westdeutschland unternimmt man alle Anstrengungen, um einen neuen Krieg vorzubereiten. Das geplante Verbot der KPD zeigt, dass die Adenauer-Clique nichts aus der Geschichte gelernt hat. Genauso fing es schon einmal an, und uns ist allen noch in Erinnerung, wie es geendet hat. So weit darf es auf keinen Fall wieder kommen.«

In den nur vereinzelten feindlichen Äußerungen wird der Verbotsprozess als gerechtfertigt bezeichnet. Zum Beispiel sagte ein Geschäftsmann aus Lößnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wenn die KPD verboten wird, wird in Westdeutschland ein ruhigeres Leben eintreten, denn die KPD ist drüben die Partei, die immer Unruhe unter die Bevölkerung bringt.«

Ein Einwohner aus Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Man würde die KPD in Westdeutschland bestimmt nicht verbieten, wenn sie sich ordentlich aufführen und nicht immer nur gegen die Regierung kämpfen würde.«

Aus den Kreisen der Kirche

Immer wieder wird in diesen Kreisen zur »Kriegsgefangenenfrage« Stellung genommen. Zum Beispiel erklärte ein Pfarrer aus Kittlitz, [Kreis] Löbau, [Bezirk] Dresden, in seiner Predigt am 21.11.[1954], dass es Tatsache wäre, dass es noch Kriegsgefangene gibt, die nicht schreiben dürfen. Er forderte die Kirchengänger auf, die Angehörigen der Kriegsgefangenen materiell zu unterstützen. Des Weiteren äußerte er, dass die im letzten Weltkrieg Gefallenen nicht für eine Idee, sondern für das deutsche Volk gefallen wären und dass sich deshalb die Kirche nicht scheue, ihrer zu gedenken, da Systeme und Ideen vergänglich wären.

Der vor Kurzem aus Westdeutschland gekommene Pfarrer Sares18 aus Stöbritz,19 [Kreis] Luckau, [Bezirk] Cottbus, sagte in seiner Predigt in der Gemeinde Hindenberg, dass die Eltern ihre Kinder nicht zu den Jungen Pionieren schicken sollen, da die Kinder dem Elternhaus dadurch entfremdet werden würden. Des Weiteren hielt er einen Bittgottesdienst »für alle unschuldig in den Zuchthäusern und Konzentrationslagern eingekerkerten Christen und Pfarrer« ab.

Am 21.11.1954 wurde in Liptitz, [Kreis] Oschatz, [Bezirk] Leipzig, eine Gedenktafel für vermisste und gefallene Soldaten des Zweiten Weltkrieges durch den Pfarrer in Anwesenheit von ca. 100 Personen eingeweiht. Für die Namenseinzeichnung auf dieser Tafel mussten die Angehörigen ca. 15,00 bis 20,00 DM zahlen.

Über wirtschaftliche Fragen wird weit mehr gesprochen. So kommen z. B. in letzter Zeit immer wieder Klagen über eine unzureichende Kohlenversorgung. Zum Beispiel ist die Bevölkerung des Kreises Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, sehr ungehalten darüber, dass der Kohlenbedarf nur sehr mangelhaft gedeckt werden kann. Dazu äußerte eine Hausfrau aus Schmalkalden: »In den Zeitungen kann man immer wieder lesen, dass die Brikettfabriken ihr Soll übererfüllen. In Wirklichkeit bekommt man aber keine Kohlen zu kaufen. So wie es mit den Kohlen ist, ist es mit vielen anderen Artikeln. In den Zeitungen macht man immer tüchtige Propaganda. Damit kann man aber die Bevölkerung nicht zufriedenstellen.«

Wenn in der Kohlenversorgung keine Änderung eintritt, muss ein Teil der Bäckereien der Stadt Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, geschlossen werden. Die Belieferung erfolgt durch die Grube »Spreetal« [bei] Spremberg. Für den Monat September stehen noch 10 Prozent, für Oktober 70 Prozent und alles für den Monat November offen.

In den Kreisen der Handwerker besteht teilweise eine Unzufriedenheit über die ungenügende Materialbelieferung. Dazu äußerte z. B. ein Glasermeister aus Putbus, [Bezirk] Rostock, dass eine solche schlechte Belieferung an Glas, wie sie zzt. besteht, in den vorhergehenden Jahren nicht der Fall war. Dies könne nicht im Sinn des neuen Kurses sein.20

Ein Sattlermeister aus Bernsbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich kann nicht verstehen, dass nicht einmal wir als Handwerker Möbelstoffe bekommen. In der Genossenschaft sowie in den Geschäften ist nicht 1 m vorhanden. Ich weiß aber, dass in der DHZ in Bernsbach Tausende von Metern lagern, die aber nicht ausgeliefert werden. Ich habe das Gefühl, als wenn die Handwerksbetriebe lahmgelegt werden sollen, was sich allerdings nicht mit dem neuen Kurs vereinbaren lässt.«

Ein Sattlermeister aus Großschönau, [Bezirk] Dresden: »Unsere Wirtschaftsplanung ist mir unverständlich. Bis ungefähr September waren keine Sprungfedern zu bekommen. Jetzt stehen sie uns in größeren Mengen zur Verfügung, dafür gibt es wieder kein Bezugsstoff für Polstermöbel. Ich bin der Meinung, dass nicht irgendwelche technischen Schwierigkeiten vorhanden sind, sondern dass das eine bewusste Fehlplanung ist.«

In den Kreisen der Hausfrauen herrscht vielfach Verärgerung über das ungenügende Warenangebot jetzt vor Weihnachten sowie über das Fehlen bestimmter Produkte für die Weihnachtsbäckerei. Dazu äußerte z. B. eine Hausfrau aus Pirna, [Bezirk] Dresden: »Das wird ein Weihnachten, wie es noch nie dagewesen ist. In der Zeitung schreibt man von Übererfüllung der Pläne und mehr Gaben für den Weihnachtstisch. Dabei fehlt aber das Notwendigste.«

Eine Hausfrau aus Großenhain, [Bezirk] Dresden: »Gerade jetzt vor Weihnachten geben sie uns nichts. Ich möchte nur wissen, was da wieder los ist. Es sieht genau wieder so aus, wie vor einem Jahr. Ich fahre nach Meißen, um in der HO Fleisch und Wurst zu kaufen, da es in Riesa und Großenhain schon ein paar Tage nichts gibt.«

Einige Hausfrauen aus Wittenberg, [Bezirk] Halle, äußerten: »Wenn es keine Rosinen, Zitronen und andere Zutaten für die Weihnachtsbäckerei zu kaufen gibt, müssen wir uns dieselben eben in Westberlin holen.«

In den Konsumverkaufsstellen in Seifhennersdorf, [Bezirk] Dresden, konnte in den letzten Tagen beobachtet werden, dass in größeren Mengen Konserven und andere unverderbliche Lebensmittel gekauft wurden. Diese Einkäufe wurden begründet mit: »Wir wissen ja nicht, ob bald wieder ein Krieg kommt.« Von einzelnen Verkäuferinnen wurde dies noch unterstützt, indem sie sagten: »Kaufen sie nur ruhig, wir wissen ja nicht, wann wieder mal etwas reinkommt.«

In Bitterfeld äußerten einige Arbeiter über die Zigarettenversorgung: »Warum bringt man soviele neue Sorten heraus? Man sollte nur ein paar Sorten herstellen, aber dafür anständige. Jetzt fehlt wieder einmal ›Turf‹. Als Ausrede wird gebraucht, dass es nicht genügend Tabak gibt.«

Von einem leitenden Angestellten der HO-Geschäftsstelle Neuhaus, [Bezirk] Suhl, wurde erklärt, dass die HO im Monat November für 220 000 DM Ausfälle an Waren durch Stornierung von Aufträgen zu verzeichnen habe. Des Weiteren äußerte er: »Wenn dies so weitergeht, können die Beschlüsse der 21. ZK-Tagung im Bezug auf die Rentabilität der Betriebe nicht verwirklicht werden.21 Durch die hohen Warenausfälle weiß die HO des Kreises nicht, wie sie den Umsatzplan erfüllen und die Selbstkosten senken soll.«

Das Krankenhaus Neuruppin hat Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Streptomycin (Medikament gegen Tbc-Erkrankungen). Vom evangelischen Hilfswerk und über die katholische Caritasorganisation wird dieses Medikament den Kranken, von denen sie erfahren, dass sie es benötigen, kostenlos zur Verfügung gestellt.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

SPD-Ostbüro:22 Halle, Kreis Artern 280, Kreis Hettstedt 3 000, Erfurt, Kreis Eisenach, 700.

KgU:23 Dresden 36, Gera 1 000, Karl-Marx-Stadt 6 200.

NTS:24 Dresden 16, Magdeburg 500, Potsdam 5 200, Karl-Marx-Stadt 180, Berlin 1 700.

»Der Tag«:25 Frankfurt 520.

In tsche[chischer] Sprache: Dresden 100.

»Colloquium«:26 Halle 20.

Die Hetzschriften wurden größtenteils durch Ballons eingeschleust und sichergestellt.

Antidemokratische Tätigkeit

An einer Anschlagsäule in Graupa, Kreis Pirna, [Bezirk] Dresden, wurde ein Hetzzettel (mit Maschine geschrieben) angeklebt, mit folgendem Inhalt: »Hiermit werden alle aufrichtigen Deutschen des Weltfriedenslagers, die Graupauer Einwohner und die Bevölkerung Ost- und Westdeutschlands, die gegen die sowjetische Diktatur sind, zum Generalstreik aufgerufen. Dieser findet am 21.12.1954 in der gesamten DDR statt.«

In der Abteilung Chirurgie des Stadtkrankenhauses Bautzen, [Bezirk] Dresden, wurden Plakate entfernt, Wandzeitungen zerfetzt und Bilder unseres Präsidenten und Ministerpräsidenten durchgestrichen.

In Coswig, [Bezirk] Dresden, wurde die Scheibe eines Schaukastens der SED zertrümmert.

An ein Transparent am Haupteingang des Zellstoffwerkes Gröditz, [Bezirk] Dresden, wurden Hakenkreuze angeschmiert.

Diversion

Im Funkwerk Erfurt wurde am 18.11.1954 bei Arbeitsbeginn festgestellt, dass bei der Maschine Nr. 1186 das Futter gewaltsam unbrauchbar gemacht worden war. Dies wiederholte sich am 22.11.[1954] an einer anderen Einschmelzmaschine. In der Endkontrolle der Senderöhrenfertigung wurde festgestellt, dass eine Senderöhre unbrauchbar gemacht wurde.

Gerücht

In Großenhain, [Bezirk] Dresden, wird das Gerücht verbreitet, dass die Musterungslisten der DDR bereits vorliegen und als Grundlage für die Einberufung die letzten Wahllisten benutzt werden.

Vermutliche Feindtätigkeit

Am 15.11.1954 brannte die Kulturbaracke des VEB Steinzeugwerk Crinitz, [Bezirk] Cottbus, ab. Sachschaden ca. 41 600 DM.

Im VEG Henfstädt, [Bezirk] Suhl, verendeten bisher acht Läuferschweine. Nach tierärztlichem Gutachten handelt es sich um Vergiftungserscheinungen.

Anlage vom 29. November 1954 zum Informationsdienst Nr. 2378

Auswertung von Westsendungen

Im Zusammenhang mit dem Vorschlag des Magistrats von Groß-Berlin zur Überwindung der Spaltung Berlins27 hetzen die Westsender, dass dieser Vorschlag nur »Wahlmanöver«28 sei und dass einzig und allein der Magistrat von Groß-Berlin an der derzeitigen Spaltung Berlins die Schuld trage.

Im Rahmen der Industriesendungen hetzen die Westsender in den letzten Tagen gegen die Produktion von Massenbedarfsgütern. Insbesondere wurde dabei der Motorroller »Pitty«29 vom Industriewerk Ludwigsfelde behandelt. Es heißt z. B. in einer Sendung des RIAS vom 26.11.1954, dass die Partei mit allen Mitteln versuchen würde, das Milliardenprogramm der Massenbedarfsgüterproduktion zu erfüllen, was nur aber auf Kosten der Arbeiter geschehen könnte.

Die Lage in der Deutschen Reichsbahn in der DDR ist in wiederholten Sendungen Gegenstand der westlichen Hetze. Zum Beispiel »warnt« der RIAS weibliche Angehörige der Reichsbahn, als Lade- und Gepäckschaffner tätig zu sein, da dies große gesundheitliche Schäden nach sich ziehe.

Um die Eisenbahner in der DDR zur Republikflucht zu veranlassen, brachte der RIAS am 25.11.1954 ein Gespräch zwischen einem westdeutschen und einem ostdeutschen Eisenbahner, in welchem die Lage (vor allem in finanzieller und sozialer Hinsicht) bei der Eisenbahn der DDR in den schwärzesten Farben gemalt und die Lage in Westdeutschland mit den überschwänglichsten Worten geschildert wurde.

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