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Zur Beurteilung der Situation in der DDR

3. Dezember 1954
Informationsdienst Nr. 2382 zur Beurteilung der Situation in der DDR

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Vordergrund der Diskussionen über politische Tagesfragen steht in einem größeren Teil der Betriebe noch der Verbotsprozess gegen die KPD,1 jedoch nehmen die Diskussionen ab. In den meist positiven Gesprächen haben sich inhaltlich gegenüber den Vortagen keine Änderungen ergeben. Nur ganz vereinzelt wurden negative Äußerungen bekannt. So verweigerten z. B. die Arbeiterinnen einer Abteilung des VEB Keramische Werke Hermsdorf, [Bezirk] Gera, die Zustimmung zu einer Protestresolution. Als Ursache wird persönliche Verärgerung angegeben. So erklärten z. B. einige Kolleginnen: »Wer kümmert sich denn um uns. Es ist kalt in unserer Baracke, wir erhalten keine Staubzulage und keine Lebensmittelkarten ›C‹.2 Da sollen wir uns um andere kümmern.«

Ein Schieferarbeiter aus den Schiefergruben Lehesten, [Bezirk] Gera: »Jetzt haben die Kommunisten wieder eine schöne Pleite erlebt. Die Bevölkerung weiß schon, warum sie für Adenauer3 sind. Die Jugend hat im Westen viel mehr Freiheit. Ich würde auch für Adenauer sein.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Reifenwerk Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Wenn das Verbot der KPD einen Krieg bedeutet, dann muss die DDR aber mächtige Angst vor einem Krieg haben, da sie sich so für die KPD einsetzt. Oder hat das andere Gründe?«

Über die Moskauer Konferenz4 wird besonders lebhaft unter den Arbeitern der Bezirke Halle und Dresden gesprochen, während in den anderen Bezirken diese Diskussionen erst anwachsen und allmählich in den Vordergrund rücken.

Im Vordergrund der Diskussionen stehen wirtschaftliche und betriebliche Fragen, worüber teilweise Missstimmungen entstehen und negative Diskussionen.

In verschiedenen Betrieben des Bezirkes Gera wird von Arbeitern bemängelt, dass sich die Preise für einige Lebensmittel und Textilien ohne Qualitätsverbesserung erhöht haben. So erklärte z. B. eine parteilose Arbeiterin (Aktivistin) vom VEB Buch- und Prägedruck Greiz:5 »Die halten uns wohl für dumm und denken, das merken wir nicht. Aber in jedem Laden und an jeder Ecke wird darüber diskutiert, dass sich die Preiserhöhungen mit den propagierten Preissenkungen nicht decken.«6

Im VEB Schott Jena brachten zwei Kollegen (SED) zum Ausdruck, dass ein Lodenmantel, der vor einem Jahr 135 DM gekostet hatte, bei gleicher Qualität jetzt 155 DM kostet.

Diskussionen über Weihnachtsgratifikationen nehmen weiterhin einen größeren Umfang ein. Besonders zahlreich sind sie in den Bezirken Halle und Erfurt. Im Bezirk Leipzig nimmt der Umfang gegenüber den Vortagen zu. Meist wird eine Erklärung verlangt, ob Weihnachtsgelder ausgezahlt werden. Teilweise fragen Arbeiter bei den BGL an, die ihnen jedoch auch keine Antwort geben können.

Verschiedentlich kam es zu negativen Äußerungen. Im VEB Reifenwerk Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, und auch in anderen Betrieben besteht die Meinung, dass es keine Gelder gibt. Ein Arbeiter aus dem Reifenwerk äußerte dazu: »In Westdeutschland kämpfen die Arbeiter um das Weihnachtsgeld, wie der Rundfunk meldet. Bei uns soll es aber keins geben. Verdienen wir etwa soviel, dass wir es nicht gebrauchen könnten?«

Ein Kollege der DHZ Gummi und Asbest Erfurt: »Das sollen sie bloß nicht wagen und uns kein Weihnachtsgeld geben. Dann würden sie etwas erleben. Schließlich wollen die ja den Sozialismus. Da müssen sie Weihnachtsgelder zahlen, denn dies tun sogar die angeblichen Ausbeuter. Hierüber müssten sich alle einig sein und geschlossen aus dem FDGB austreten.«

In Erfurt kursiert die Meinung, dass es kein Weihnachtsgeld gibt. Von bisher unbekannten Kräften wird daraufhin die Diskussion verbreitet, »das gibt dann wieder einen 17. Juni [1953], denn diesmal klappt es bestimmt, da man in dieser Frage die gesamten Arbeiter hinter sich bekommt.«

In einigen Fällen wurden Diskussionen über Weihnachtsgelder von Arbeitern aus Privatbetrieben unter Arbeiter der volkseigenen Betriebe getragen. So erklärte z. B. ein Arbeiter aus der FA Zigarrenfabrik Torgau7 zu Arbeitern aus dem VEB Steingutwerk Torgau, [Bezirk] Leipzig: »Alle Beschäftigten erhalten bei uns ein Weihnachtsgeld von 40,00 DM und ein Päckchen im Werte von 15,00 DM

Eine breite Diskussion hat unter den Wismut-Kumpels8 die Anordnung hervorgerufen, dass der 24. und 31.12.[1954] herausgearbeitet werden muss. [sic!] Dazu werden Meinungen laut, wie: »Warum sollen diese Tage herausgearbeitet werden, wo doch der Schachtplan für 1954 erfüllt ist«, oder: »Die volkseigenen Betriebe feiern diese Tage auch.«

Eine schlechte Stimmung besteht unter den Kollegen der Abteilung 105 des VEB Kabelwerk Berlin-Köpenick, da ihre Verbesserungsvorschläge sehr schleppend bearbeitet werden. Teilweise liegen die Vorschläge ein halbes Jahr und länger unbearbeitet. Die Kollegen sind darüber verärgert und äußern jetzt: »Es ist ja zwecklos, Vorschläge einzureichen, geändert wird ja sowieso nichts.«

Kohlenmangel besteht im VEB Porzellanwerk Neuhaus, [Bezirk] Suhl, weshalb seit zwei Tagen die Öfen stillstehen. Die Kollegen sind darüber sehr empört und erklären: »In den Zeitungen steht immer viel über die Planerfüllung, dabei gibt es noch nicht einmal die notwendigen Kohlen.«

In dem VEB Zellstoffwerk Pirna, Heidenau und Edelzellstoffwerk Dohna,9 [Bezirk] Dresden, wurde der Tagesverbrauch um 100 Tonnen Kohle gekürzt. Wenn keine Änderung erfolgt, muss in einigen Tagen das Edelzellstoffwerk stillgelegt und die beiden anderen Zellstoffwerke in der Produktion eingeschränkt werden. Dadurch können die Zellulosegrundstoff verarbeitenden Betriebe kein Material erhalten.

Demgegenüber hat das Braunkohlenbergwerk Malliß, [Bezirk] Schwerin, ein Überangebot an Rohbraunkohle von 3 500 Tonnen. Diese können im Werk nicht verlustlos gelagert werden.

Materialmangel besteht im VEB Bau in Strasburg, [Bezirk] Neubrandenburg. Es fehlen 66 000 Dachziegel, wodurch der Bauplan für 1954 nicht erfüllt werden kann.

Der VEB Drahtseilfabrik Boxberg, [Bezirk] Cottbus, hat Rohstoffmangel. Dadurch sind seit dem 29.11.1954 die Arbeiter nicht mehr ausgelastet.

Im VEB Zellwolle Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, mangelt es an Material, weil nicht genügend Arbeitskräfte für den Holzeinschlag und Transportraum vorhanden sind.

Förderschwierigkeiten bestehen im Wismut-Schacht 356, Revier I in Gera, da die Zuführung von Mattholz und Versuchsholz mangelhaft organisiert ist. Der Wismut-Schacht 25 in Aue hat ebenfalls Förderschwierigkeiten. Außerdem klagen die Kumpels über die mangelhafte Reparatur der Hunte.10 Dazu tritt immer wieder die Meinung auf: »Wenn jemand vom FDGB oder von der Partei kommt, werden alle die Missstände aufgeschrieben, jedoch nichts geändert. Man verliert langsam den Glauben an all die schönen Transparente und Losungen.«

Terminverzögerungen ergeben sich wiederum bei der Fertigstellung des »Sowj[etski] Sojus«11 in der Warnow-Werft Warnemünde, da die Drucklager für die Turbinenkondensatorpumpen des Schiffes nach kurzer Laufzeit der Pumpen immer wieder ausgeschlagen wurden. Man vermutet einen Konstruktionsfehler in der Anlage. Die Hauptprobe der gesamten Maschinenanlage kann deshalb nicht durchgeführt werden.

Produktionsstörungen

Im BKW Sedlitz, [Bezirk] Cottbus, kam es zu einem Zugzusammenstoß. Es entstand ein Produktionsausfall von etwa 250 Tonnen Rohkohle.

Im VEB Leichtmetallgießerei Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, brach durch Unachtsamkeit eines Schmelzers ein Brand aus. Gebäudeschaden ca. 5 000 DM, Produktionsausfall ca. 28 000 DM.

Im Schwerpunktbetrieb IFA-Einspritzpumpenteilewerk Wolfspfütz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, brach durch eine Verpuffung ein Brand aus. Schadenhöhe 20 000 DM.

Am 30.11.1954 musste der Doppelstoßofen zur Walzenstraße I im Kupfer- und Blechwalzwerk des VEB »M. Niederkirchner« in Ilsenburg, [Bezirk] Magdeburg, stillgelegt werden, da eine Ofenwand zum Teil zusammengebrochen war. Durch die Reparatur entsteht ein Produktionsausfall von ca. 920 Tonnen Kupfer.

Am 30.11.1954 stießen im VEB Kaliwerk »Einheit« in Dorndorf, [Bezirk] Suhl, zwei Seilbahnwagen zusammen, da sich ein Seilbahnwagen auf der Kupplungsstelle gelöst hatte und zurücklief. Produktionsausfall ca. 290 t Rohsalz.

Am 2.12.1954 brach um 8.00 Uhr in der neunten Sohle12 des Fortschrittschachtes I in Eisleben,13 [Bezirk] Halle, ein Brand aus. Ursache noch ungeklärt.

Stand der Massenbedarfsgüterproduktion einiger Leipziger Betriebe

  • Kirowwerk Leipzig:14 Am 10.11.[1954] waren 38 Prozent erfüllt.

  • Leipziger Eisen- und Stahlwerke: Das Plansoll beträgt 1 253 000 DM. Bis Ende 1954 wird voraussichtlich nur für 1 111 000 DM produziert werden.

  • VEB Armaturen- und Apparatebau Leipzig: Am 30.11.1954 waren 20,8 Prozent erfüllt.

  • VEB Kugellagerfabrik Leipzig: Am 30.11.1954 waren 53 Prozent erfüllt.

Handel und Versorgung

Besondere Mängel machen sich zzt. in der Versorgung mit Zutaten für die Weihnachtsbäckerei bemerkbar, da die eingegangenen Lieferungen nicht ausreichend sind, um den Bedarf zu decken. So werden z. B. in Klingenthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, nur 100 Gramm Rosinen und Mandeln an jeden Käufer abgegeben.

In den Kreisen Dippoldiswalde und Meißen beschweren sich die Hausfrauen, dass es noch gar keine Rosinen und Mandeln zu kaufen gibt.

Weiterhin ist die Versorgung mit Schokoladen- und Süßwaren für den Weihnachtsbedarf ungenügend. Die hauptsächlichste Ursache ist das fehlende Verpackungsmaterial und zum Teil der Rohstoffmangel. Deshalb können z. B. folgende Betriebe ihre Lieferverträge mit dem Bezirk Karl-Marx-Stadt nicht einhalten: VEB Elb-Florenz Dresden, VEB Falken[pflug] Döbeln, VEB Felsche Leipzig,15 VEB Saalfeld,16 VEB Mitteldeutsche Süßwarenwerke Delitzsch, VEB Trumpf Berlin und andere.

Ein Teil der Bevölkerung ist bis jetzt noch nicht mit Hausbrandkohle beliefert worden. Zum Beispiel: Im Kreis Wittstock ist noch ca. ein Drittel der Bevölkerung mit Kohle zu beliefern.

Außerdem bestehen weiterhin eine ganze Reihe Mängel in der Versorgung mit Lebensmitteln und Industriewaren, deren Ursachen in der ungenügenden Streuung, besonders auf dem Lande zu suchen sind. Andererseits, weil noch nicht genügend oder in besserer Qualität produziert wird.

Eine ernste Situation ist zzt. in der HO Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam. Dort fehlen Weizen- und Roggenmehl zum Backen. Man arbeitet augenblicklich mit ausgeliehenem Mehl vom Konsum. Die Bemühungen um zusätzliche Mehllieferungen hatten bisher noch keinen Erfolg. Davon hängt aber die weitere Produktion in den HO-Bäckereien ab.

Die HO Lebensmittel muss in Zittau Verkaufsstellen schließen, da keine Verkaufskräfte zu bekommen sind und vorhandene laufend kündigen. Die Kräfte gehen lieber in die Produktion, weil sie da besser bezahlt werden und keine Überstunden machen brauchen.

Landwirtschaft

Der Umfang der Stellungnahmen zur Moskauer Konferenz ist weiterhin verhältnismäßig gering, aber überwiegend positiv und stammt hauptsächlich aus dem sozialistischen Sektor.

Über das geplante Verbot der KPD wird nur noch wenig – mit dem bereits bekannten Inhalt – diskutiert.

Wiederholt entstehen Verluste an landwirtschaftlichen Erzeugnissen durch unverantwortliches Handeln. So sind in dem ÖLB Neubrandenburg circa 500 Zentner Kartoffeln durch unsachgemäße Lagerung in Mieten erfroren. Circa 0,5 Hektar Kartoffeln befindet sich noch in der Erde. Außerdem sind 150 Zentner Runkelrüben erfroren.

In der LPG Blankenburg, [Bezirk] Neubrandenburg, sind ca. drei Morgen Erbsen, fünf Morgen Lupinen, sechs Morgen Senf und drei Morgen Rotklee, die noch gemäht auf dem Felde liegen. Der Schaden beträgt ca. 10 000 DM.

In der LPG »Geschwister Scholl« in Neulietzegöricke, [Kreis] Bad Freienwalde, sind durch Nichtabernten bzw. durch unsachgemäße Lagerung folgende landwirtschaftlichen Erzeugnisse verdorben: fünf Morgen Senf, ein Morgen Hafer, fünf Morgen Wicken, ein Morgen Erbsen, ein Morgen Ölfrüchte. Außerdem ein Morgen gelagerter Tabak, 100 Ztr. Gurken, sämtliches Obst der LPG und ca. 20 Morgen Heu. Der LPG-Vorsitzende hat trotz mehrmaliger Hinweise nichts unternommen, um diese Erzeugnisse vor dem Verderb zu schützen.

Durch erhöhte Preise zum Aufkauf von Vieh und durch die Verbreitung des Arguments einer bevorstehenden Senkung der Aufkaufpreise ist stellenweise ein erhöhter Viehauftrieb zu verzeichnen. Im Bezirk Dresden z. B. ist zu verzeichnen, dass sehr viele Bauern ihr Vieh zum Verkauf anmelden. Durch die Tatsache, dass der Schlachthof nicht so viel aufnehmen kann, wurde die Frist bis zum 5.12.1954 verlängert, jedoch reicht auch diese Zeit nicht aus. Die Bauern sind darüber verärgert.

Im gesamten Kreis Altenburg wird durch Aufkäufer der VEAB und des Konsums unter den Bauern Folgendes verbreitet: »Liefert so schnell wie möglich eure Schweine ab, denn es kommt eine Senkung der Aufkaufpreise.« Dadurch erfolgt von den Bauern ein erhöhter Viehauftrieb und es besteht die Gefahr dabei, dass auch Zuchtvieh abgeschlachtet wird.

Auch in anderen Kreisen des o. g. Bezirkes Leipzig tritt ein erhöhter Verkauf von Vieh in Erscheinung. So wurden z. B. im Kreis Döbeln innerhalb der letzten zwei Tage 16 000 Schweine von Erfassern aufgekauft.

Im Gegensatz dazu weigern sich die Bauern in den Gemeinden Mauken und Pretzsch, Kreis Wittenberg,17 [Bezirk] Halle, freie Spitzen an Fleisch abzuliefern.18 Sie sagen: »Wenn das Fleisch um 40,00 DM billiger werden soll, dann behalten wir unsere Schweine und liefern keine auf freie Spitzen ab. Solange wie keine HO-Preissenkung in Fleischwaren vorausgegangen ist, kann dieses doch auch nicht durchgeführt werden.«

Unzufriedenheit herrscht unter den Bauern im Kreis Hoyerswerda, [Bezirk] Cottbus, über die Anordnung, dass Dreschsätze nur von Monteuren des Energiebezirkes an das Netz angeschlossen werden dürfen. Die Arbeit selbst würde nur etwa 15 Minuten dauern, wenn sie vom Elektromonteur des Ortes selbst ausgeführt würde, und die Kosten kämen höchstens auf 4,00 DM. So aber muss das Wegegeld des Monteurs mit bezahlt werden und die Unkosten belaufen sich dadurch auf 15,00 bis 20,00 DM.

In der letzten Zeit kommen vonseiten der Werktätigen und Großbauern mehrfach Beschwerden, dass sie die ihnen zustehenden Vergütungen für freie Spitzen nicht bekommen. So beschweren sich z. B. die Bauern aus der Gemeinde Langerwisch, Kreis Potsdam, dass die Kohlengutscheine, die sie für freie Spitzen erhalten haben, nicht beliefert werden. Sie sind sehr ungehalten darüber, dass ihre Anfragen bei der BHG Michendorf, [Kreis] Potsdam, erfolglos waren.

Aus dem Kreis Guben, [Bezirk] Cottbus, wurde festgestellt, dass Personen aus den bäuerlichen Kreisen für ihre Einkünfte auf freie Spitzen in Westberlin Schmuck kaufen. Sie begründen es damit, dass in der DDR bald eine neue Geldwährung kommt.

Viehseuchen: Im Kreis Gräfenhainichen ist eine Rinderseuche ausgebrochen, die nach bisherigen Angaben letztmalig im Jahre 1926 in Deutschland auftrat. Es handelt sich hierbei vermutlich um eine Seuche, die in Südamerika ihren Ursprung hat. Exportfleisch aus Südamerika wurde im Kreis Gräfenhainichen eingeführt.

Übrige Bevölkerung

Neben den Diskussionen über die Moskauer Konferenz stehen die Stellungnahmen zum Verbotsprozess gegen die KPD in Westdeutschland im Mittelpunkt der politischen Gespräche. Der Inhalt der positiven Äußerungen ist unverändert. In den vereinzelten negativen Stellungnahmen wird der Verbotsprozess als gerechtfertigt bezeichnet. So sagte z. B. ein Diplomphysiker von der Universität Greifswald: »Wenn bei uns einer die Regierung beschimpft, wird er auch eingesperrt, also kann man es demnach der Adenauer-Regierung nicht verübeln, wenn sie die KPD verbietet, denn diese treibt in Westdeutschland Ähnliches.«

Ein Handwerksmeister (NDPD) aus Ueckermünde, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich verstehe überhaupt nicht, warum über das Verbot der KPD so viel Aufsehen gemacht wird. Hier bei uns wurde die SPD doch auch aufgelöst. Es wird soviel Mist hier gemacht, aber sagen darf man nichts.«

Im Krankenhaus für Psychiatrie in Brandenburg-Görden bringen die Kollegen ihre Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck, dass sie noch immer die Lebensmittelgrundkarte erhalten. Schon vor dem IV. Parteitag sind Kollegen der BGL beim Zentralvorstand der Gewerkschaft vorstellig geworden und haben dort den Bescheid bekommen, dass die Lebensmittelkarten in Kürze sowieso wegfallen würden.19 Die Kollegen vertreten die Meinung, dass man jetzt, da die Karten beibehalten werden, Maßnahmen treffen müsste und ihnen eine andere Kartengruppe geben. (Es handelt sich um Verwaltungsangestellte.)

Unter den Handwerkern im Dem[okratischen] Sektor, die Aufträge für die Massenbedarfsgüterproduktion haben, werden darüber Klagen geführt, dass sie neuerdings 14-tägig über den Stand der Produktion berichten müssen. Dies wurde vom Staatssekretär für Örtliche Industrie20 festgelegt. Von der Handwerkskammer wird berichtet, dass nur 56 Prozent der Handwerksmeister dieser Aufforderung nachgekommen sind, und dies auch nur sehr mangelhaft. Sehr viele Handwerksmeister nehmen gegen diese Verfügung offen Stellung, z. B. schickte der Obermeister der Tischler aus dem Bezirk Köpenick die Aufforderung mit dem Vermerk zurück: »Was soll diese sinnlose Befragung?« Auch Mitarbeiter der Handwerkskammer sind über diese neue Maßnahme verwundert, zumal sie auf ihren Hinweis, dass die Zahlen alles anders als konkret sind, die Antwort erhielten: »Das macht nichts! Die Hauptsache [ist], wir haben eine Zahl.«

Im Mittelpunkt der Diskussionen über wirtschaftliche Probleme stehen weiterhin die Schwierigkeiten in der Kohlenversorgung, das ungenügende Warenangebot, bes[onders] das Fehlen der Produkte für die Weihnachtsbäckerei sowie andere Mängel im Handelsapparat. Zum Beispiel ist in mehreren Kreisen, u. a. in Nauen, [Bezirk] Potsdam, die Versorgung der Bevölkerung mit Heizmaterial nicht gesichert. Im Konsum/Kohlenhof in Nauen lagert Braunkohle, die für die Industrie beschlagnahmt ist. Die Bevölkerung versteht diese Maßnahme nicht und ist der Meinung, dass man auch an die Versorgung der Haushalte denken muss.

In Friesack, [Kreis] Nauen, kritisieren mehrere Kunden in einem HO-Geschäft die Verkaufskultur der HO und des Konsums. Sie brachten zum Ausdruck, dass es gar nicht verwunderlich sei, dass aus dem Grunde die Privatgeschäfte beim Einkauf bevorzugt werden. Oft fehle es an Verkaufspersonal, sodass die Kunden unnötig lange warten müssten. Das Schlangestehen sei schlimmer als in den ersten Kriegsjahren. Außerdem waren sie ungehalten über das Fehlen von Verpackungsmaterial.

Eine Hausfrau aus Potsdam kritisierte, dass der Konsum und die HO Emaillekochtöpfe ohne Deckel verkaufen. Sie meinte, dass dies eine merkwürdige Produktion sei, die Kochtöpfe ohne Deckel herstellt, denn diese würden doch den Hausfrauen im Haushalt gar nichts nützen.

In letzter Zeit kommt es häufig vor, dass von der Bevölkerung festgestellt wird, dass sich die Preise bei Konfektion, Textilien, Schuhwaren und besonders Oberhemden erhöht haben und zum Teil wieder in der gleichen Preislage sind wie vor der Preissenkung. Darüber hinaus wird beanstandet, dass die Preise für bestimmte Gegenstände in den einzelnen Geschäften unterschiedlich sind. Ein Arbeiter in Hettstedt kaufte z. B. jetzt einen Anzug für 190 DM, der nach der Preissenkung auf 135 DM herabgesetzt worden war.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

SPD-Ostbüro:21 Frankfurt, Kreis Beeskow, 300, Potsdam, Kreis Gransee, 7 500 (Hetze gegen 21. ZK-Tagung),22 Halle, Kreis Bernburg, 10 000, Kreis Quedlinburg 2 000, Karl-Marx-Stadt, Kreis Flöha, 3 500, Kreis Reichenbach 1 000, Erfurt 6 000, Rostock, Kreis Wismar, 4 000, Schwerin 200.

NTS:23 Frankfurt, Kreis Strausberg, 200, Potsdam, Kreis Jüterbog, 60, Karl-Marx-Stadt, Kreis Stollberg, 400, Neubrandenburg einige.

KgU:24 Halle 400, Karl-Marx-Stadt 80, Erfurt 30, Schwerin ein Sack voll (Hetze gegen Volkskammerwahl).25

ZOPE:26 Erfurt, Kreis Sömmerda, 5 000.

In tschechischer Sprache: Karl-Marx-Stadt einige, Dresden, Kreis Niesky und Kreis Görlitz, 670, Cottbus, Kreis Weißwasser, 700.

FDP: Karl-Marx-Stadt 13.

Die Flugblätter wurden größtenteils mit Ballons eingeschleust und sichergestellt.

Am 22.11.1954 erhielt das Stahl- und Walzwerk Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, vom Weichenwerk Brandenburg West drei Waggons (65 t) mit Rippenplatten zugeleitet. Diese Rippenplatten wurden aufgrund falscher Angaben im Frachtbrief nicht wie vorgesehen dem VEB Stahlbau Brandenburg, sondern dem bereits genannten Walzwerk Brandenburg zugeleitet. Im Stahl- und Walzwerk wurde ein Teil dieser Rippenplatten, bei denen es sich um hochwertige Ersatzteile für Eisenbahnweichen handelt, dem Schrottplatz zugeführt. Circa 53 Tonnen dieser Platten wurden bereits eingeschmolzen.

Gerücht: In Obersarsdorf,27 [Kreis] Freital, [Bezirk] Dresden, kursiert das Gerücht, dass Dr. John mit seinen Unterlagen wieder nach Westdeutschland gegangen sei.28

In Weimar kursiert das Gerücht, dass es sich bei der augenblicklichen Blutuntersuchung der Kraftfahrer um eine Untersuchung für den kommenden Krieg handeln würde.

Antidemokratische Tätigkeit

In der Nacht zum 29.11.1954 wurde ein Schaukasten der SED in Jena, [Bezirk] Gera, völlig zerschlagen.

In Ostritz, [Bezirk] Dresden, war an einem Wegweiser ein Zettel mit dem Bild Otto Grotewohls29 und der Aufschrift: »Willst Du Soldat werden« angebracht.

Im Kunstseidenwerk Pirna, [Bezirk] Dresden, wurde aufgrund der Rede Grotewohls auf eine Blechtafel die Parole »ohne uns« geschmiert und darunter ein zerbrochenes MG gemalt.30

In einem Briefkasten des Postamtes Jena wurde beim Entleeren am 2.12.1954 ein mit Bleistift geschriebener Zettel mit folgendem Inhalt gefunden: »An alle Postbeamten! Wer Gestellungsbefehle austeilt, wird umgelegt. Weitere Befehle folgen. Es lebe der 17. Juni 1953! gez. Deutsche Union.«

Durch den Abteilungsleiter des Weichenwerkes Brandenburg-West wurden am 24.11.1954 Weichen mit verkehrten Schrauben abgesandt, sodass diese Weichen nicht eingebaut werden konnten. Die Weichen sollten in Hauptstrecken eingebaut werden. Die Schrauben sind aber nur für Nebenstrecken brauchbar. Ein Kollege wies beim Verladen der Schrauben den Abteilungsleiter darauf hin. Dieser antwortete: »Es ist egal, immer raus mit dem Kram.«

Einschätzung der Situation

Das Interesse an der Moskauer Konferenz wächst. Besondere Beachtung findet die Rede des Genossen Grotewohl. Im Allgemeinen sind die Diskussionen positiv zu dieser Konferenz, jedoch herrschen große Unklarheiten über die eventuellen Maßnahmen zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft der DDR. In dieser Frage gibt es auch häufiger negative Meinungen.

Die anderen aktuellen politischen Fragen werden weiterhin überwiegend positiv diskutiert.

Die Frage der Weihnachtsgratifikation nimmt an Bedeutung zu, da die notwendige Aufklärung fehlt und sich negative Tendenzen stärker bemerkbar machen.

Aus Berlin, Halle und Gera kommen Signale, dass die Bevölkerung hauptsächlich bei Industriewaren feststellt, dass nach der Preissenkung verschiedentlich die Preise wieder steigen.

Anlage 1 vom 3. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2382

Auswertung der Westsendungen

In einer Sendung über die Westberliner Wahlen am 5. Dezember [1954]31 beschuldigt der Sender »Freies Berlin« das »Neue Deutschland« der falschen Berichterstattung über das Wahlergebnis in Bayern und Hessen.32 Die KPD hätte keinerlei Erfolg zu verzeichnen, da sie ja in keinen Landtag vertreten sei und es heißt weiter: »… Nun, wir sind bescheiden und wären deshalb zufrieden, wenn die Berliner dem Beispiel der Bayern und Hessen folgten und wenn der Schlag, auf den sich die SED beruft, in Westberlin ebenso kraftlos ausfiele …«33

In einer Sendung »Jugend spricht zur Jugend« wird aus angeblichen Hörerbriefen zitiert, dass die in der demokratischen Presse (z. B. »Märkische Volksstimme«,34 Potsdam) veröffentlichten Aufrufe an die Westberliner Bevölkerung, am 5. Dezember [1954] die SED zu wählen, »… immer wieder ein Bild von den echten Auseinandersetzungen und der Freiheit des Wahlkampfes geben würden. Womit die ›Märkische Volksstimme‹ wieder einen Gegenbeweis gegen die Oktoberwahl geliefert hat.«

Im Zusammenhang mit der 21. Tagung des ZK der SED und der 18. Tagung des FDGB-Bundesvorstandes beschäftigen sich die Westsender immer wieder mit der Normenfrage.35 So heißt es z. B. in RIAS vom 1.12.1954 nach der Kommentierung einzelner Ausführungen der Genossen Ulbricht36 und Warnke:37 »… Es gibt Arbeiter in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, die sagen, wenn die Genossen anfangen, von den Normen zu sprechen, dann beißen sie auf Granit. Wir, die Arbeiter in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, haben den Genossen schon einmal bewiesen, dass man mit uns nicht so ohne Weiteres Volksdemokratie spielen kann. Und wenn wir, die Arbeiter in der SBZ, zusammenhalten, wenn wir bei den sozialistischen Wettbewerben keine konkreten Verpflichtungen eingehen, dann werden wir es schaffen. Dann werden wir sagen können: So wie wir heute arbeiten, so wollen wir heute und nicht morgen leben!38 Die Solidarität der Arbeiterklasse, das ist ein Begriff, der in den Schulungsbriefen der Partei steht. Aber sie, die Solidarität, der Arbeiterklasse existiert auch in der Praxis. Da zum Beispiel, wo man in einem Betrieb, wie das in Ostberlin der Fall war, einen Tischler boykottierte, der im Auftrage der Partei seine Arbeitsnorm erhöhte.«

Die Auswertung der 18. Bundesvorstandssitzung des FDGB wird von Westsendern im wiederholten Maße zur Hetze gegen den FDGB benutzt. Inhalt der Hetze ist der bereits bekannte, vor allem über die »Nichtvertretung der Interessen der Arbeiter«. Zum Beispiel heißt es im RIAS am 28.11.1954: »… Der Staat, der es soweit brachte, maßt sich auch noch an, Arbeiter- und Bauernstaat zu heißen. Dabei gibt er nicht einmal der einen Arbeiterorganisation, eben dem FDGB, das Recht, als simple Interessenvertretung zu wirken. Im Gegenteil, er nimmt die Gewerkschaften in den Dienst der Regierung, lässt ihre Funktionäre die Redensarten des stellvertretenden Ministerpräsidenten wiederholen, um ihre Leute, von deren Mitgliedsbeitrag sie leben, zu höheren Arbeitsleistung zu ermuntern …«

Die Ausführungen des Staatssekretärs, Genossen Wollweber39 über die Wachsamkeit sind mehrfach Gegenstand der Hetze. RIAS spricht am 27.11.[1954] davon, dass die Ausführungen nur dazu bestimmt wären, die Bevölkerung – vor allem die Hausfrauen – davon zu überzeugen, dass an sämtlichen Mängeln im Handel usw. der Klassenfeind die Schuld trage. Weiterhin diene dieser Artikel im ND dazu, die Menschen zur gegenseitigen Bespitzelung zu erziehen.40

Im Zusammenhang mit der 21. Tagung des ZK wird gehetzt, dass der Aufruf die »Normentreiberei« unterstütze, da Genosse Wollweber aufgefordert habe, besonders auf diejenigen zu achten, die am Arbeitsplatz nichts leisten.

Anlage 2 vom 3. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2382

Stellungnahmen zur Moskauer Konferenz

Im Vordergrund der im verhältnismäßig geringen Maße geführten politischen Diskussionen steht die Moskauer Konferenz. Dabei ist zu verzeichnen, dass besonders in den Betrieben über die Ausführungen des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl in Bezug auf die Notwendigkeit der Schaffung Nationaler Streitkräfte in der DDR bei Ratifizierung der Pariser Verträge gesprochen wird.41 Dabei kommt es zu Stellungnahmen, die zum Ausdruck bringen, dass sie es für richtig halten, dass bei Ratifizierung der Pariser Verträge die DDR zu Sicherungsmaßnahmen greift, da wir nicht gewillt sind, unsere Errungenschaften den Imperialisten schutzlos preiszugeben. Zum Beispiel brachten die Arbeiter in der Braunkohlenverwaltung Bitterfeld zum Ausdruck: »Die Worte, die Genosse Grotewohl in Moskau sagte, dass das deutsche Volk nicht zusehen wird, wie Westdeutschland aufrüstet, sondern auch Gegenmaßnahmen ergreifen wird, sind für uns ganz selbstverständlich. Es geht nicht an, dass wir hier in der DDR zusehen und uns durch diese Kreaturen unsere Arbeit zunichtemachen lassen.«

Ein Kumpel vom Schacht 38 (Wismut) Oberschlema: »Die Westmächte versuchen alles, um ihre Verträge zu ratifizieren. Es kommt aber ganz auf uns an, wir haben doch den EVG zu Fall gebracht,42 warum nicht auch die Londoner und Pariser Verträge.43 Vorläufig können wir noch verhindern, dass es zu einer Ratifizierung kommt. Wir müssen eben auch eine Wehrmacht schaffen, ehe es zu spät ist, wenn sich nichts anderes machen lässt.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Funkwerk Leipzig: »Diesen Schritt zur kollektiven Sicherheit des Friedens begrüße ich, da sich ja klar und deutlich ergeben hat, dass die Westmächte und ihre Satelliten auf einen Krieg hinsteuern. Um dieses zu verhindern, macht es sich tatsächlich notwendig, nun nicht bloß in Noten Versicherungen abzugeben, für den Frieden einzutreten, sondern auch den Frieden durch Schaffung von bewaffneten Kräften in die Tat umzusetzen. Es ist eine unbedingte Notwendigkeit, den Frieden im Kollektiv zu sichern.«

Neben diesen positiven Äußerungen gibt es aber einen ganzen Teil Stimmen, die sich dagegen aussprechen. Dies ist größtenteils darauf zurückzuführen, dass man den Unterschied zwischen Nationalen Streitkräften und den Armeen der kapitalistischen Länder nicht kennt. Zum anderen kommt es auch deshalb zu ablehnenden Äußerungen, weil man keinen Krieg will und auch keinen Unterschied zwischen einem gerechten und einem ungerechten Krieg macht. Von Jugendlichen wird vielfach geäußert, dass sie es so machen wollen, wie die Jugendlichen in Westdeutschland, [die] von uns aufgefordert werden, nämlich die Gestellungsbefehle zerreißen.44 Zum Beispiel sagte ein Student der Chemie, der zzt. im Buna-Werk als Praktikant arbeitet: »Etwas stimmt hier nicht. Man spricht jahrelang für den Frieden und jetzt will man unbedingt ein Heer aufstellen. Man hat uns für den Frieden erzogen, sodass wir uns kaum vorstellen können, wie das werden soll, wenn wir kämpfen müssen.«

Ein Jugendlicher aus Brandenburg, [Bezirk] Potsdam: »Wenn ich jetzt einen Gestellungsbefehl bekommen sollte, würde ich den sofort zerreißen, denn so wurde es ja denen, die im Westen einen Gestellungsbefehl erhalten, geraten. Andere Kollegen sind der gleichen Meinung.«

Ein Agronom aus Schlöben, [Kreis] Stadtroda, [Bezirk] Gera: »Es kann kommen, wie es will, eine Waffe nehme ich nicht wieder in die Hand.«

Ein werktätiger Bauer aus Mentin, [Kreis] Parchim, [Bezirk] Schwerin, erklärte, dass er mit Schrecken Kenntnis genommen hätte, dass wir bei Ratifizierung der Londoner Verträge ebenfalls eine Wehrmacht aufbauen müssten. Er würde niemals wieder ein Gewehr in die Hand nehmen.

Ein Arbeiter aus dem Konsum Döbeln, [Bezirk] Leipzig: »Ich habe noch die Nase vom Zweiten Weltkrieg voll und werde auf keinen Fall wieder zu einer Waffe greifen. Meine Kollegen, mit denen ich zusammenarbeite, sind ebenfalls dieser Meinung. Wenn eine Volksarmee aufgestellt wird, treten wir nicht freiwillig ein.«

Von feindlichen Elementen wurden die Ausführungen des Genossen Grotewohl zur Hetze gegen die DDR und die SU benutzt. Zum Beispiel sagte im Stahlwerk Gröditz, [Kreis] Riesa, [Bezirk] Dresden, ein ehemaliger VP-Angehöriger: »Das habe ich vorausgesehen, dass bei uns wieder Militär kommt. Aus diesem Grund habe ich mich ja auch entpflichten lassen. Bei uns wird immer nur vom Krieg gesprochen. Wir sind ja nur Befehlsempfänger von den Russen.«

Ein Elektriker aus dem VEB RFT-Glühlampen Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Da macht man nun in Moskau eine europäische Konferenz und wer ist dort? Nur die kleinen östlichen Staaten. Auf der einen Seite redet man da von Frieden und gegen Remilitarisierung und schon macht man aber das Gegenteil. Das soll dann etwas anderes sein als im Westen. Hüben und drüben rüstet man, um sich angeblich zu verteidigen. Dabei macht der dumme Deutsche immer wieder mit, weil wir eben so gut bezahlte Polizisten haben, die von unseren Steuergroschen leben.«

Ein Maurer aus dem VEB Werkin Königsee, [Kreis] Rudolstadt, [Bezirk] Gera: »Bald muss ein jeder wieder einrücken. Denn man will bei uns Nationale Streitkräfte schaffen. In Wirklichkeit haben wir aber schon welche, denn bei uns sind heute 125 000 Mann unter den Waffen.45 Mehr brauchten wir eigentlich nicht.«

Ein Straßenkehrer aus dem Demokratischen Sektor: »Das Endergebnis ist, dass wir hier im Osten Deutschlands eine allgemeine Wehrpflicht bekommen und die Spaltung unseres Vaterlandes ein Dauerzustand bleibt. Wir werden genauso unsichere Zustände erhalten, wie sie in Korea herrschen.46 Wehren kann sich ja in der DDR keiner gegen eine Einberufung, da in der Verfassung dieser Punkt überhaupt nicht erwähnt wird. Jedenfalls wird diese Konferenz die Gegensätze zwischen Ost und West nur noch verschärfen.«

Anlage 3 vom 3. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2382

Westberliner Stimmen zu den Wahlen am 5. Dez[ember] [1954] in Westberlin

Aufgrund der bestehenden Unzufriedenheit mit den Verhältnissen in Westberlin kommt es in den verschiedensten Schichten immer wieder zu Äußerungen wie z. B., dass man es begrüßt, dass sich die SED an den Wahlen beteiligt; dass sie nicht schlecht abschneiden wird. Für einige ist es eine »Selbstverständlichkeit«, die SED zu wählen. So erklärte z. B. ein Arbeiter: »Für mich ist es klar, dass ich meine Stimme der SED gebe. Die anderen Parteien haben ja doch nichts für uns übrig. Nur durch eine starke Opposition im Senat kann Berlin wieder auf die Beine kommen.«

Ein Arbeitsloser: »Am 5. Dezember [1954] finden nun die sogenannten freien Wahlen statt. Ich werde die SED wählen, weil ich endlich wieder Arbeit haben will. So denken aber nicht viele bei uns, weil sie durch Presse und Funk so verhetzt sind, dass sie dem Wahlprogramm der SED keinen Glauben schenken. Trotzdem glaube ich aber, dass die SED einige Sitze im Senat erhalten wird.«

Ein Ingenieur: »Die CDU wird bestimmt eine Niederlage erleiden, zugunsten der SED. Die SED wird auf jeden Fall, wenn auch mit keiner großen Fraktion, in das Angeordnetenhaus einziehen. Es ist eine Tatsache, dass ca. 40 Prozent der Intelligenzler hier zwar keine Kommunisten sind, aber mehr mit dem Osten als mit dem Westen sympathisieren.«

Ein Arzt: »Ich nehme an, dass die SED in den Kreisen der unzufriedenen Erwerbslosen zahlreiche Stimmen bekommen wird. Ich bin der Ansicht, dass es im ›Osten‹ unter der Führung der SED geordneter zugeht, als es hier bei uns der Fall ist.«

Bei Gesprächen über die Wahl kommt es vielfach vor, dass man auf die Verhältnisse im Demokratischen Sektor eingeht und sich aufgrund der ständigen Beeinflussung durch die Westpropaganda negativ darüber ausspricht. Zum Beispiel wurde in einem Gespräch zwischen mehreren Arbeitern in der S-Bahn zum Ausdruck gebracht, dass das Wahlprogramm der SED nur Propaganda sei. Es wäre in Westberlin keiner mehr gewillt, Lebensmittelkarten zu beziehen. Das aber würde kommen, wenn die SED gewählt würde. Im Ostsektor seien die HO-Geschäfte nur für die Reichen da und der größte Teil der Ostberliner könnte sich darin nichts kaufen. Dass der Wohlstand nicht groß sei, wäre schon daraus zu ersehen, dass es die Fleischwaren noch immer mit Abzug geben würde.

Bei einem Wahleinsatz im Bezirk Spandau wurde von verschiedenen Personen die Wahlpropaganda der SED kritisiert. Sie wäre viel zu schematisch und oft auf schon abgegriffenen Parolen aufgebaut. Hingegen der Artikel in der Westberliner Illustrierten der »Stern«, der betitelt war »Der Verdacht genügt«, wurde als gut bezeichnet.47

Aus den Reihen der Stummpolizei48

In einer Dienstbesprechung wurde nochmals darauf hingewiesen, dass es schon für ein polizeiliches Eingreifen genüge, wenn ein Mieter an der Wahlagitation der SED Anstoß nimmt. Die Polizei habe in so einem Fall die Aufgabe, die Wahlhelfer erst einmal in Schutzhaft zu nehmen, damit der Hausfrieden nicht gestört wird.

Als in einem Revier eine neue Anweisung Stumms49 in Bezug auf Verhaftung von Wahlhelfern der SED bekannt wurde, brach ein allgemeiner Proteststurm aus. Ein Offizier bemerkte dazu: »Jetzt geht’s ran, meine Herren, ohne Rücksicht auf Verluste.« Darauf bemerkte ein Polizist: »Wir sind doch keine Idioten!« Andere erklärten: »Das machen wir nicht mehr mit! Jeder auf der Straße darf sagen, ›hier, dass ist einer von der SED, nehmen Sie ihn mit‹ und wir laufen dann wie die dummen Jungens hinter diesem her. Bringen wir ihn dann zum Revier, wird er in fünf Minuten wieder freigelassen, weil man ihm nichts anhaben kann. Man hätte es sich vorher überlegen sollen. Jetzt sind sie erlaubt und da können sie auch Propaganda machen. Wir nehmen so schnell nicht wieder einen fest.«

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