Zur Beurteilung der Situation in der DDR
14. Oktober 1954
Informationsdienst Nr. 2339 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Vordergrund der Diskussionen zu politischen Tagesfragen steht weiterhin die Volkswahl,1 wobei sich in Umfang und Inhalt keine Veränderungen ergeben haben. Zu negativen Meinungen nachfolgend einige typische Beispiele.
Eine Arbeiterin (parteilos) vom VEB Keramische Werke Hermsdorf, [Bezirk] Gera: »Ich gehe nicht zur Wahl und werde auch in Zukunft keine Gewerkschaftsbeiträge mehr bezahlen, da ich sehr schlecht wohne und vom Bürgermeister in dieser Angelegenheit nicht mehr vorgelassen werde.«
Einige Rangierer und Güterbodenarbeiter des Bahnhofs Zossen, [Bezirk] Potsdam, äußerten: »Wozu überhaupt wählen? Es bleibt sich doch gleich, ob wir wählen oder nicht, denn es tut sich ja doch nichts. Das beste Beispiel ist dafür die Volksbefragung.2 Es ist danach auch alles so geblieben wie es vorher war.«
Ein Arbeiter aus den Leipziger Eisen- und Stahlwerken: »Ich gehe nur zur Wahl, wenn ich eine neue Wohnung bekomme, andernfalls kommt dies für mich nicht infrage.«
Als Einzelbeispiel wird aus dem VEB Leipziger Eisen- und Stahlwerken bekannt, dass mehrere ältere Kollegen und Genossen unserer Partei die Meinung vertreten, die bürgerlichen Kandidaten wählen wir nicht. Wir haben das bisher noch nie getan und werden es auch jetzt nicht tun.
Mit den Aktivistenvorschlägen ist ein Teil der Kollegen des VEB Stahlbau Brandenburg nicht einverstanden, da unter den Vorschlägen sich Arbeiter befinden, die am 17.6. provokatorisch in Erscheinung traten.3
Im RAW Brandenburg West wurden am 1.10. und 4.10.[1954] Versammlungen durchgeführt, wo Genossen der VP über die Spionage- und Sabotagetätigkeit der Geheimdienste sprachen.4 Die erste Versammlung hatte einen guten Erfolg, während es bei der zweiten zu folgendem Zwischenfall kam: Ein Kollege vom Gebietsvorstand des FDGB führte in der Diskussion aus, dass in der Bahnmeisterei Treuenbrietzen zwei Agenten seien. Als Begründung erklärte er, dass man ihm dort bei einer Versammlung über die Volkswahl fragte: »Warum ziehen die Russen noch immer Telefonleitungen und warum sind noch die vielen Panzer hier?« und »Warum braucht die LPG nicht so viel abzuliefern wie die werktätigen Bauern?« Diese Beschuldigungen wurden von den Kollegen des RAWs mit Empörung aufgenommen und Kollegen erklärten: »In Zukunft wird keiner mehr euch was fragen, denn wenn es so ausgelegt wird, dann ist man sich ja nicht mehr sicher.«5
Missstimmung trat wegen verschiedener betrieblicher Fragen auf.6 Aufgrund des Zusammenschlusses des Tagebaues Schipkau mit dem Tagebau des BKW »Freundschaft« im Kreis Senftenberg, [Bezirk] Cottbus, können nicht alle Arbeiter in ihrer alten Tätigkeit untergebracht werden, sodass einige eine weniger qualifizierte Arbeit verrichten und trotzdem den früheren höheren Lohn erhalten als die Kollegen im BKW »Freundschaft«. Darüber diskutieren die Kollegen negativ.
Der VEB Stahlbau Brandenburg muss wegen Auftragsmangel im IV. Quartal 65 Arbeiter aus der Werkstatt und 38 Arbeiter aus der Montage kündigen bzw. freistellen. Darüber wird unter den Arbeitern heftig diskutiert und unter anderem geäußert: »Nur immer die Arbeiter entlässt man, vom Verwaltungsapparat wird niemals gesprochen.«
Im IFA Phänomenwerk Zittau sind die Arbeiter sehr verärgert über die täglichen 3- bis 4-stündigen Wartezeiten infolge Stromabschaltungen. Diese Zeit wird nur mit 90 Prozent des Grundlohnes berechnet.
In den Kreisen Bad Salzungen und Neuhaus, [Bezirk] Suhl, wird besonders in den Baubetrieben von den Arbeitern über eine Änderung der Ortsklassen7 diskutiert. Der Betriebsleiter des Kreisbaubetriebes in Neuhaus brachte in einer Versammlung zum Ausdruck, dass die Löhne der Bauarbeiter nur verbessert werden können, wenn sie an die Löhne der Metallindustrie angeglichen werden.
Unter den Arbeitern des Kraftwerkes Peenemünde, [Kreis] Wolgast, besteht eine Verärgerung, weil der Bau ihrer Wohnungen nicht vorangeht. Bei einer Aussprache mit einem Kollegen der Abteilung Aufbau des Rates des Kreises erklärte dieser, dass angeblich keine Wasserrohre vorhanden seien. Eine Frage nach den Toiletten beantwortete er damit, dass die Kollegen sich eben einen Eimer in der Küche aufstellen müssten. Diese Äußerungen riefen unter den Arbeitern eine sehr schlechte Stimmung gegen unsere Verwaltungsorgane hervor.
Im VEB Schlepperwerk Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, wurde bei den Schleppern für die Türkei und Griechenland festgestellt, dass die aufgespritzte Farbe abblättert und sich Blasen bilden. Die Kollegen des Werkes sind der Meinung, dass die Farbe eine falsche Zusammensetzung hat oder zu viel Säure enthält. Untersuchungen werden noch geführt.
Waggonmangel
Im Kalkwerk Hohenerxleben, [Kreis] Staßfurt, [Bezirk] Magdeburg, hat sich infolge Waggonmangel ein so großer Vorrat an Kalk angesammelt, dass der Betrieb in den nächsten Tagen seine Produktion einstellen muss.
Seit dem 9.10.1954 lagern im VEB Roßhaarweberei Coswig, [Bezirk] Dresden, ca. 104 000 m Einlegestoff, wegen schlechter Waggongestellung. Der Betrieb muss dadurch Verzugszinsen und Konventionalstrafen bezahlen.
Das Braunkohlenwerk Knappenrode, [Bezirk] Dresden, hat keine Waggons, wodurch die Kohlenlieferungen für den VEB Sprengstoffwerk Gnaschwitz ausblieben. Dieses Werk reicht mit seinen Kohlen nur noch drei Tage aus. Ähnliche Beispiele über Waggonmangel werden aus den Bezirken Schwerin, Erfurt, Frankfurt gemeldet.
Materialmangel besteht im RAW Cottbus. Besonders fehlt es an 8-mm-Blechen für die Wiederherstellung von Tendern.
Produktionsstörung: Am 13.10.1954 zerplatzte im Kraftwerk Dresden ein Wasserspeicher im Pumpenhaus, vermutlich durch Fahrlässigkeit des Kesselheizers. Dadurch war für zehn Stunden im gesamten Kraftwerk der Betrieb lahmgelegt.8
Handel und Versorgung
Schwierigkeiten in der Versorgung mit Kohlen bestehen im Bezirk Rostock, im Bezirk Frankfurt und im Kreis Lobenstein, [Bezirk] Gera, sowie im Kreis Wurzen, [Bezirk] Leipzig. In Altendorf, [Kreis] Eberswalde, z. B. ist die Belieferung mit Kohlen erst zu 10 Prozent erfolgt.9 Lobenstein hat einen Rückstand von 1 600 Tonnen Kohle und im Bezirk Frankfurt begründet man die schlechte Belieferung mit dem Mangel an Transportraum.
Mängel in der Belieferung mit Kartoffeln sind im Bezirk Rostock zu verzeichnen. In der Belieferung mit Zigaretten ergeben sich Schwierigkeiten in den Bezirken Dresden, Potsdam und Halle. In Halle wird besonders das Fehlen der von den Arbeitern bevorzugten »Turf« kritisiert.
Engpässe in der Fleischversorgung HO und besonders Schweinefleisch hat der Bezirk Potsdam, da dort eine schlechte Belieferung mit Importfleisch erfolgt.
Nährmittel, besonders Kindernährmittel, fehlen in fast allen Kreisen des Bezirkes Magdeburg, worüber besonders die Frauen mit Kleinkindern verärgert sind. Außerdem fehlt es in diesem Bezirk an Kinderbekleidung, Bettwäsche, Frottierhandtüchern und Dekorationsstoffen.
Bei der Handwerksgenossenschaft »OBUS«10 Apolda, [Bezirk] Erfurt, lagern Wirk- und Strickwaren im Werte von 2½ Millionen DM, die aufgrund des Mangels an Verpackungsmaterial nicht zum Versand gelangen können. Das Verpackungsmaterial wurde bisher von der Holzhandwerksgenossenschaft Apolda geliefert, welche jedoch jetzt kein Holzkontingent mehr erhält.
In den Betriebs- und anderen Verkaufsstellen in Potsdam ist ein ziemlicher Rückgang des Umsatzes in Milch und Obst zu verzeichnen, wodurch größere Mengen verderben. Dieser Rückgang ist auf die Typhusgefahr zurückzuführen.11
Im Kreis Pritzwalk ist die Bevölkerung mit der Einkellerungsmenge für Kartoffeln nicht einverstanden. Sie bringen zum Ausdruck, dass ein Arbeiter mit 2,5 Ztrn. Kartoffeln nicht auskommt. Diejenigen, welche 500 bis 700 Mark verdienen, könnten ja im HO etwas zukaufen. Betont wird vor allem, dass es im vorigen Jahr mehr Kartoffeln gab.
Landwirtschaft
Bis auf den Bezirk Karl-Marx-Stadt, der von einer geringen Zunahme der Diskussionen berichtet, ist aus den übrigen Bezirken nichts Neues über die Volkswahl zu berichten. Bezeichnend sind immer noch die zahlreichen Selbstverpflichtungen, an denen sich in letzter Zeit auch einige Groß- und Mittelbauern beteiligen. In den überwiegend positiven Stimmen werden das Vertrauen zu unserer Regierung und die wirtschaftlichen Vorteile dieser Politik zum Ausdruck gebracht. So sagte ein werktätiger Bauer aus Strelow, [Kreis] Grimmen, [Bezirk] Rostock: »Ich bin 66 Jahre alt geworden und habe viel erlebt, aber was unsere Regierung uns heute bietet, das hat mir noch keine Regierung geboten. Aus diesem Grunde müssen wir alle dazu beitragen, am 17.10.1954 denen da drüben zu zeigen, dass wir uns von unserem Ziel nicht abbringen lassen.«
Ein Mittelbauer aus Molchow, [Kreis] Neuruppin: »Ich war kürzlich 14 Tage in der Gegend von Hamburg zu Besuch. Die sogenannte freie Wirtschaft im Westen kann mir gestohlen bleiben, den Kulaken12 geht es wohl gut, aber die anderen Bauern werden ihre Produkte nicht los, weil sie so viel amerikanische Schundware in Westdeutschland einführen. Unsere Existenz dagegen ist gesichert, weil wir unsere Produkte loswerden und die Möglichkeit haben, Höchstpreise für freie Spitzen13 zu erzielen.«
Eine Großbäuerin aus Gölsdorf, Kreis Jüterbog: »Die Volksbefragung ist bei mir schlecht ausgefallen. Ich habe auch die EVG14 gewählt, aber aus Verzweiflung. Durch die Unterstützung bei der Einbringung der Ernte habe ich aber eine ganz andere Meinung gegenüber dem Arbeiter- und Bauernstaat und weiß, dass wir nicht kaputt gemacht werden.«
Nach wie vor sind es hauptsächlich Groß- und Mittelbauern, die eine feindliche Einstellung gegen unsere Regierung einnehmen. Die Meinungen sind jedoch nur vereinzelt. Ein Großbauer aus Rübehorst, [Kreis] Kyritz, [Bezirk] Potsdam: »Ob es diese Wahl ist oder die vergangene,15 uns bleibt es immer dasselbe, das Ergebnis steht vorher fest. Ich habe bei der Volksbefragung im Wahlausschuss gearbeitet, würde es aber ablehnen, noch einmal politisch zu arbeiten, da bei der Volksbefragung von der vorgesetzten Stelle daraufhin gearbeitet wurde, dass kein Ergebnis unter 98,5 Prozent sein soll. Unter solchen Umständen hat es keinen Zweck zur Wahl zu gehen.«
Ein Bauer aus Kleinhartmannsdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Mitglied der CDU: »Das hat doch alles keinen Zweck, das ist doch schon alles fertig. Die Leute sind doch schon bestimmt, die in die Volkskammer einziehen.«
Ein Großbauer aus Oberreichenbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Was hat es für einen Zweck, wenn wir am 17.10.1954 zur Wahl gehen? Anders wird es bei uns erst dann, wenn wir eine westliche Regierung bekommen.«
In einer Bauernversammlung der Gemeinde Neuholland, [Bezirk] Potsdam, wurde der Referent laufend durch Zwischenrufe von drei Großbauern mit dem Ruf: »Wir wollen eine freie Wirtschaft« unterbrochen. Im Anschluss an die Versammlung versuchte der Referent, die Großbauern zu überzeugen, dass ihre Forderung falsch ist und wurde dabei von den anwesenden werktätigen Bauern unterstützt. Die Großbauern ließen sich aber nicht überzeugen, da sie vollkommen vom RIAS beeinflusst sind.
Ein Bauer aus Markersdorf,16 [Bezirk] Gera: »Viele Einwohner sind mit der Regierung nicht einverstanden. So haben z. B. bei der Volksbefragung 40 Prozent der Markersdorfer Einwohner gegen die Regierung der DDR gestimmt.«
Ein 75-jähriger Bauer aus Markersdorf, [Bezirk] Gera: »Ich begrüße den 17.6.1953. Endlich sind einmal Männer aufgestanden und haben die Wahrheit gesagt und die hatten recht. Zu Versammlungen gehe ich gar nicht mehr hin. Man darf ja die Wahrheit doch nicht sagen.«
Ein Großbauer aus Dothen, Kreis Eisenberg, [Bezirk] Gera: »Der Sozialismus ist nicht aufzuhalten. Der Kapitalismus hat verspielt, aber was ist mit den Großbauern? Wir gehen mit Sorgen ins Bett und stehen mit Sorgen wieder auf und haben aufgrund [dessen] noch Zerwürfnisse in der eigenen Familie. Und da sollen wir am 17.10.[1954] zur Wahl gehen und die Kandidaten wählen, die uns Sorgen bereiten?«
Teilweise ist die negative Einstellung auf Verärgerung zurückzuführen bzw. wird die Stimmabgabe von wirtschaftlichen Vorteilen abhängig gemacht. Ein Bauer aus Saatel, [Kreis] Ribnitz, [Bezirk] Rostock, verlangte von der MTS Langenhanshagen ein Fahrzeug zum Rübentransport und als er dieses nicht erhielt, erklärte er, dass er dann auch am 17.10.[1954] nicht zur Wahl gehen wird.
Der Leiter einer Zweigstelle der Kreissparkasse Bautzen sagte zu einem Aufklärer: »Ich gehe am 17.10.[1954] nicht zur Wahl, da meine Eltern als Selbstversorger eingestuft sind.«
Stellenweise werden Gerüchte verbreitet, dass Vorbereitungen für einen Krieg getroffen werden. Im Kreis Burg, [Bezirk] Magdeburg, wurde die Pferdeauflage auf 268 Stück erhöht. Dadurch tritt das Argument auf: »Es gibt wieder Krieg, deshalb die erhöhte Auflage von Pferden auf Kosten der Schweine.«
In der Gemeinde Wohlenberg, Kreis Osterburg, [Bezirk] Magdeburg, wird von einigen Großbauern das Gerücht verbreitet, dass an der Elbe Festungen gebaut werden und es bald losgehen wird. Aus diesem Grunde soll man die Kartoffeln in der Erde lassen.
In der Gemeinde Benndorf,17 Kreis Merseburg, äußerte sich ein werktätiger Bauer: »Die Volkswahl wird ein voller Erfolg werden, aber danach kommt das dicke Ende. Durch die Remilitarisierung wird auch bei uns eine Wehrmacht aufgestellt werden. Ich habe gehört, dass die Frauen der Jahrgänge 1925 bis 1935 und die Männer von 1925 bis 1936 eingezogen werden. Wieweit das der Wahrheit entspricht, kann ich nicht sagen, nach der jetzigen Situation ist es aber durchaus möglich.«
Schwierigkeiten bei der Sollablieferung treten besonders bei den Großbauern im Bezirk Potsdam auf. Die Großbauern bestehen darauf, dass sie ihr Getreide erst nach Beendigung der Kartoffelernte 100-prozentig abliefern. So sagte ein Großbauer aus der Gemeinde Dranse, [Kreis] Wittstock: »Ich werde jetzt nicht dreschen, sondern erst meine Kartoffeln roden.« Zu den Erfassern sagte er, dass er nicht zu Hause anzutreffen sei, wenn man zu ihm eine Druschbrigade schicken sollte. Ähnlich äußerte sich ein anderer Bauer und ein Gemeindevertreter in dieser Gemeinde.
Die schlechtesten Gemeinden des Bez[irkes] Halle in der Ablieferung sind die Ortschaften Mehringen, Westdorf, Thondorf, Winningen und Witzleben.18 In allen diesen Gemeinden sind es Groß- und Mittelbauern, die in der Sollabgabe rückständig sind. In Siersleben, [Kreis] Eisleben, sind es werktätige Bauern, die ständig mit dem Argument kommen, wir haben zu wenig geerntet und können deshalb unser Soll nicht erfüllen.
Verärgerung über Prämien herrscht in der MTS Grimmenthal, [Bezirk] Suhl, unter den Arbeitern, weil sie der Meinung sind, dass sie die Pläne erfüllen und die Angestellten die Prämien erhalten.
Unzufriedenheit herrscht unter den Bauern aus dem Kreis Ribnitz, [Bezirk] Rostock. Zu der am 8.10.1954 organisierten Sternfahrt wurde vom Rat des Kreises angewiesen, dass für die abgelieferte Menge an Getreide und Ölfrüchten 50 Prozent des Gesamtbetrages von der VEAB sofort ausgezahlt werden. Außerdem sollten die HO und der Konsum-Verkaufsstände einrichten, um den Bauern Gelegenheit zum Einkauf zu geben. Den Bauern wurden jedoch weder 50 Prozent ausgezahlt noch Mangelware angeboten, worüber sie sehr verärgert waren.
In der ÖLB Wöbbelin,19 Kreis Ludwigslust, brach am 12.10.1954 ein Brand aus. Die Scheune sowie der Stall brannten vollständig nieder. Die im Stall stehenden Tiere konnten gerettet werden. Es verbrannte aber Heu und etwas Hafer, Schaden 4 000 DM. Die Ursache ist noch nicht festgestellt.
In der MTS Heyda, [Kreis] Wurzen, [Bezirk] Leipzig, können die Verträge mit der LPG und den werktätigen Bauern in der Kartoffelrodung nicht eingehalten werden, da die Zapfwellenroder nicht einsatzfähig sind. Es fehlt an Ersatzteilen, für die der VEB Landwirtschaftsmaschinenwerk »Rotes Banner«20 zuständig ist.
Übrige Bevölkerung
Weiterhin ist zu verzeichnen, dass überwiegend positiv zur Volkswahl Stellung genommen wird. Es wird immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass man mit der Aufstellung der einheitlichen Kandidatenliste einverstanden ist und durch viele Stellungnahmen und Verpflichtungen in den Hausversammlungen zeigt sich, dass sie schon in den Vormittagsstunden zur Wahl gehen und für die Kandidaten der Nationalen Front stimmen werden.
Teilweise kommt es zu negativen Äußerungen aufgrund persönlicher Verärgerung. Das tritt fast in allen Schichten der übrigen Bevölkerung in Erscheinung. Zum Beispiel herrscht in Zwinge, [Kreis] Worbis, [Bezirk] Erfurt, unter den Neubürgern21 durch die schlechten Wohnverhältnisse keine gute Stimmung. Als der Gemeindediener die Wahlplakate herumtrug, äußerte ein Neubürger gegenüber einem anderen: »Lauf Du mal schnell nach Hause, damit der Kerl mir kein Plakat an mein Haus klebt.«
Von einigen Rentnern im Kreis Meiningen, [Bezirk] Suhl, wird zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht zur Wahl gehen, weil ihr Lebensstandard unter dem Existenzminimum liegen würde. Ähnliche Erscheinungen treten auch im Kreis Ilmenau auf.
Im Stadtbezirk Weißensee, Berlin, wurden zwei Geschäftsleute wegen Ausschmückung ihrer Schaufenster zur bevorstehenden Wahl angesprochen. Das wurde von ihnen abgelehnt, mit der Begründung, dass sie erst ausreichend Waren haben müssten, damit sie etwas ins Schaufenster stellen könnten. (Es handelt sich um Haushaltswaren.)
In kirchlichen Kreisen, vorwiegend von Pfarrern sowie von Anhängern der Sekten, wird oftmals geäußert, dass sie nicht zur Wahl gehen werden. Zum Beispiel erklärte der Superintendent aus Gransee, [Bezirk] Potsdam, dass sich kein Pfarrer aus dem Kreisgebiet an der Wahl beteiligen wird.
Der katholische Kaplan aus Eibenstock, Kreis Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich werde als Feind der DDR betrachtet, deshalb gehe ich nicht zur Wahl.«
Eine Hausfrau (Anhängerin einer Sekte) aus Markersdorf (Gera): »Ich werde nicht zur Wahl gehen. Ich habe schon gewählt und zwar Jesus Christus. Auch ist es eine Schande, dass noch 300 von meinen Brüdern und Schwestern hinter Schloss und Riegel sind.«
Bei Aufklärer-Einsätzen sowie in persönlichen Gesprächen zeigen Pfarrer immer wieder eine ablehnende Haltung, was oft darauf zurückzuführen ist, dass sie von ihrer übergeordneten Kirchenbehörde beeinflusst werden. Zum Teil werden sie auch direkt aufgefordert, sich nicht an den Vorbereitungen zur Volkswahl zu beteiligen, sowie Stellungnahmen abzugeben. Zum Beispiel wurde in Eberswalde ein Pfarrer aufgesucht, um mit ihm die Frage der Durchführung der Vorstellung der Kandidaten in kirchlichen Kreisen zu besprechen. Der Geistliche verhielt sich sehr ablehnend. Er brachte zum Ausdruck, dass er nicht befugt ist, in politische Fragen einzugreifen. Weiterhin war er der Meinung, dass er die Volkswahlen persönlich nicht anerkennen kann, weil die CDU ihrer Stärke entsprechend nicht genügend Mandate hätte.
Die evangelische Kirchenleitung Berlin-Brandenburg forderte einen Pfarrer auf, der Kandidat des Bezirkstages Frankfurt ist, und jetzt mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Bronze ausgezeichnet worden ist, den letzten Absatz in seinem Schreiben, welches er an die Amtsbrüder im Bezirk Frankfurt/Oder gerichtet hat, zu widerrufen.22 Das Schreiben enthält eine ernste Mahnung, sich für die Erhaltung des Friedens in der Welt einzusetzen und schließt mit den Worten: »Deshalb denke ich, dass wir am 17. Oktober unsere Stimme den Kandidaten der Nationalen Front geben werden.«23
Bei Agitationseinsätzen im demokratischen Sektor werden von der Bevölkerung häufig die Fragen gestellt, wie die Wahlscheine aussehen und in welcher Art und Weise der Wahlakt erfolgt. Des Weiteren bestehen Unklarheiten, ob auf dem Wahlschein Kandidaten gestrichen oder zugesetzt werden können, und ob hinter jedem Kandidaten oder insgesamt ein Kreuz gemacht werden muss.
Nachstehende Beispiele zeigen negative Erscheinungen, die verschiedentlich an Fach- und Oberschulen in Erscheinung treten. Zum Beispiel wurde in der 12. Klasse der Oberschule Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, unter den Schülern darüber diskutiert, dass die Wahlen am 17.10.[1954] nicht demokratisch seien. Es wurde weiter zum Ausdruck gebracht, dass mit der Wählerversammlung die Wahl schon als abgeschlossen betrachtet werden könnte.
In den Klassen der Oberstufen der Fachschule für Chemie sowie auch in der Fachschule für Schwermaschinenbau in Magdeburg werden Diskussionen geführt, dass die Volkswahl nicht geheim sei und dass das Wahlergebnis von vornherein schon festliegt. Diese Argumente werden damit begründet, dass durch die Verpflichtungen bereits feststeht, wer für die Kandidaten der Nationalen Front stimme und dass dadurch der Charakter der Wahlen verloren geht.
Neben einer Reihe positiver Äußerungen aus den Kreisen der Handwerker und Geschäftsleute kommt es in geringem Maße zu negativen Stellungnahmen. Unter anderem wird auch immer wieder über eine schlechte Material- sowie Warenbelieferung geklagt und von einer Fluktuation der Arbeitskräfte berichtet. Zum Beispiel erklärte ein Geschäftsinhaber aus Schwarzenberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: Es wäre doch viel besser, wenn wir getrennte Listenwahlen durchführten, damit wir die Stärke der einzelnen Parteien erkennen können.
Ein Klempnermeister aus Grünhain, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Im Westen ist die wahre Freiheit und Demokratie. Dort kann ein jeder sagen was er will. Unsere Wahlen sind sowieso nicht demokratisch. Auch die Volksbefragung war ein Betrug. Zum Beispiel sind alle Stimmscheine, auf denen kein Kreuz vermerkt war, für Ja-Stimmen gewertet worden.«
In einem Ausspracheabend mit den Vertretern des privaten Einzelhandels in Zerbst, [Bezirk] Magdeburg, äußerte ein Geschäftsmann: »Ich stelle an sie die Frage, braucht man den privaten Einzelhandel nur noch solange, bis der staatliche und genossenschaftliche Handel in der Lage ist, die Versorgung zu sichern? Zu den Wahlen möchte ich sagen, dass wir kaum an dem Resultat etwas ändern können. Wir sind mit den Maßnahmen der Regierung einverstanden, nur die einzelnen untergeordneten Stellen schikanieren uns. Die Warenbereitstellung ist seit dem Frühjahr schlechter geworden. Wir werden gegenüber der HO und dem Konsum oftmals hinten angestellt, obwohl Walter Ulbricht24 erklärt hat, dass die drei Handelssäulen gleichmäßig beliefert werden sollen.«25
Der Obermeister des Bauhandwerkes im Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, erklärte, dass in der privaten Bauwirtschaft eine Fluktuation der Arbeitskräfte in die volkseigene Bauwirtschaft zu verzeichnen ist. Begründet wird dies, durch die höheren Löhne im volkseigenen Sektor. Ein privater Bauunternehmer im Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, muss wegen Arbeitsmangel in den nächsten Tagen sein Geschäft schließen. Er betonte, dass schon des Öfteren an Minister Dr. Loch26 Eingaben wegen Regelung der Preisverordnungen eingereicht wurden.
In den Kreisen Neuhaus und Sonneberg, [Bezirk] Suhl, fahren die Glasbläser teilweise nach Westberlin und arbeiten dort einige Zeit, um leichter Geld zu verdienen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Betriebe zum Teil in ihrer Kapazität nicht ausgelastet sind.27
Erkrankungen: Der Stand der Typhus-Erkrankungen hat sich im Bezirk Potsdam bis auf 330 Krankheitsfälle erhöht und zwar im Kreis Potsdam-Stadt von 145 auf 161 und in Potsdam-Land von 111 auf 127.28
Im Wismutgebiet29 wird wiederum diskutiert, dass es in der DDR zweierlei Geld gibt. Diese Diskussionen nehmen einen größeren Rahmen ein.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:30
- –
Halle: Bitterfeld 50, Weißenfels, Zeitz und Hohenmölsen 30.
- –
Groß-Berlin: im gesamten Stadtbezirk Treptow größere Mengen.
- –
Gera: Kahla 30 180, Jena 30 000, Kreise Eisenberg und Lobenstein, größere Mengen.
- –
Frankfurt: 8 900.
- –
Suhl: Kreise Meiningen und Suhl größere Mengen.
- –
Dresden: 154.
- –
Rostock: Kreis Greifswald 13, Kreis Wolgast 11.
- –
Cottbus: Finsterwalde 2 000.
- –
Schwerin: 300, Kreis Parchim 3 000.
- –
Karl-Marx-Stadt: 92.
- –
Leipzig: 91.
- –
Neubrandenburg: Kreis Altentreptow 17, Kreis Demmin 46, Sapshagen, [Kreis] Waren, 168, Kreis Malchin 9.
- –
Magdeburg: Kreis Haldensleben 120, Parchau 15.
KgU:31
- –
Halle: Artern, Gräfenhainichen, Nebra, Roßlau, Quedlinburg insges[amt] 3 100, Steig/Belzig32 10 000
- –
Frankfurt: 44 000.
- –
Dresden: 17 625.
- –
Potsdam: 60 000.
NTS:33
- –
Cottbus: Luckau 10 500, Forst 181, Herzberg 10 000.
- –
Dresden: 179.
- –
Karl-Marx-Stadt: 643.
- –
Potsdam: 27.
- –
Neubrandenburg: Dedelow, [Kreis] Prenzlau, 70.
- –
Magdeburg: Nedlitz, [Kreis] Burg, 2 000.
»Der Tag«:34 Halle Gräfenhainichen 430, Bollstedt, [Kreis] Nebra, 120.
Gefälschte »Wochenpost«:35 Potsdam 150.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen mittels Ballons eingeschleust und sichergestellt.
Abreißen bzw. Beschädigen von Plakaten, Transparenten und Fahnen
Frankfurt: Lokstelle des EKS36 eine FDJ- und eine rote Fahne abgerissen und beschmutzt bzw. entwendet.
Erfurt: Wünschendorf, [Kreis] Eisenach,37 vier Plakate abgerissen, drei beschädigt.
Dresden: Lippitsch, [Kreis] Bautzen, ein Plakat, Dresden-Gorbitz sämtliche Plakate, Räckelwitz, [Kreis] Kamenz, ein Plakat mit Kuhmist beschmiert, im Personenzug Zittau – Mittelherwigsdorf ein Plakat.
Potsdam: Friesack, [Kreis] Nauen, zwei Plakate, Herbersdorf, [Kreis] Jüterbog, zwei Plakate, MTS-Dahlewitz, [Kreis] Zossen, drei Plakate, Wutike, [Kreis] Kyritz, zwei Plakate, Merzdorf, [Kreis] Luckenwalde, ein Plakat, Liebenwalde, [Kreis] Oranienburg, acht Plakate, Birkenwerder, [Kreis] Oranienburg, neun Plakate, Potsdam-Babelsberg zwei Fahnen abgerissen und entwendet. Durch den Zirkus Sarani, der zzt. in Teltow, [Kreis] Zossen, gastiert, werden Wahlplakate durch Reklameplakate überklebt.
Karl-Marx-Stadt: Lengenfeld, [Kreis] Auerbach, Wahllosung abgerissen.
Groß-Berlin: Köpenick, Lichtenberg, Weißensee, Prenzlauer Berg je eine Fahne abgerissen, die zum Teil Privatpersonen gehören und an Häuserfronten angebracht waren.
Schwerin: Perleberg drei Plakate, Güstrow ein Transparent, Bentwisch,38 [Kreis] Perleberg, eine Fahne.
Leipzig: Nenkersdorf, [Kreis] Geithain, Plakate abgerissen.
Neubrandenburg: Blankensee, [Kreis] Templin, neun Plakate, Reinberg, [Kreis] Altentreptow, werden laufend Plakate abgerissen.
Magdeburg: Wolmirstedt Plakate, Hohenhenningen,39 [Kreis] Klötze, sämtliche Plakate.
Schmierereien von antidemokratischen Losungen
Dresden: Zellstoffwerk Pirna Hakenkreuze an Klosettanlage, Steinölsa, [Kreis] Niesky, Wahlplakat mit »aber ohne uns« beschmiert, Neustadt, [Kreis] Sebnitz, Wahlplakat mit »wählt die Kandidaten des Krieges« beschmiert. Am Bretterzaun des Stadtkrankenhauses Görlitz handgeschriebene Hetzzettel mit Hetze gegen SU, DDR und Wahl.
Groß-Berlin: Im Bezirk Mitte wurde in den Häusern der Linienstraße 105–108, 154a, 159 und 160 und in der kleinen Hamburger Straße in den Häusern Nr. 2, 3, 24, 25 in Hausfluren die mit Ölfarbe angeschriebene Hetzlosung »Tod der SED – Tod Moskau« festgestellt. Im Bezirk Prenzlauer Berg wurden an einen öffentlichen Briefkasten in [der] Prenzlauer Allee 35 acht Hakenkreuze festgestellt.
Schwerin: MTS Drölitz ein Plakat beschmiert.
Leipzig: In der Kinderstation des Krankenhauses Schmölln wurde ein Hakenkreuz angeschmiert.
Magdeburg: In Klötze wurden vier Plakate mit Hakenkreuzen beschmiert. In Karow, [Kreis] Genthin, wurde auf ein Hinweisschild zum Wahllokal »gefordert wird die Rückgabe der Ostgebiete und die Bismarckpolitik« geschmiert.
Diversion: In der Nacht vom 9. zum 10.10.1954 haben unbekannte Täter im Kreis Seelow, [Kreis] Frankfurt, einen Traktor beschädigt, der von dem Fahrer wegen eines Schadens auf dem Feld stehen gelassen wurde.
Terror: In der Nacht vom 11. zum 12.10.1954 wurde der 2. Kreissekretär der IG Bau-Holz Treptow niedergeschlagen.
Am 12.10.1954 wurde gegen 21.30 Uhr durch ein Fenster in das Objekt Pätz, [Bezirk] Potsdam, der Grenzpolizei geschossen, wodurch ein VP-Angehöriger verletzt wurde.
Am 10.10.1954 wurde nachts ein Stein in das Wohnzimmer des Kreissekretärs von Gräfenhainichen, [Bezirk] Leipzig, geworfen.
Am 12.10.1954, gegen 20.00 Uhr wurde ein Abschnittsbevollmächtigter der VP aus Eilenburg von hinten mit einem Stein beworfen.
Der Schülerchor der 6. Grundschule Friedrichshain, Groß-Berlin, wurde bei der Wahlagitation auf dem Hof des Hauses Marchlewskistraße 109 mit Steinen beworfen.
Gerüchte: Von der Grenzpolizei Dreilinden aus wird das Gerücht verbreitet, dass Kleinmachnow nach den Wahlen zum demokratischen Sektor von Berlin kommt. Weiterhin kursiert das Gerücht, dass Kleinmachnow nach dem 17.10.1954 Westsektor werden soll.
In Gransee, [Bezirk] Potsdam, wird das Gerücht verbreitet, dass nach der Wahl der Rest des Ablieferungssolls gestrichen wird.
In Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, wird diskutiert, dass nach den Wahlen die freien Spitzen wegfallen und die Rentner höhere Renten erhalten.
In der Gemeinde Droßdorf, [Kreis] Zeitz, [Bezirk] Halle, wird unter den Umsiedlern das Gerücht verbreitet, dass sie spätestens im Februar 1955 in ihre Heimat zurückkönnen.
In letzter Zeit kursiert in verschiedenen Ortsteilen Brandenburgs sowie im Kunstseidenwerk Premnitz, [Bezirk] Potsdam, das Gerücht, dass die Altersgrenze für Renten auf 55 Jahre herabgesetzt wird.
Feindabsichten: Durch die Feindzentralen40 wird beabsichtigt, in größerem Umfang aus Pappe gestanzte »W«,41 ca. 2 bis 3 cm groß, zur Verteilung zu bringen.
Für den 5.12.1954 werden für die Westberliner Wahlen Schlägerkolonnen jugendlicher SPD-Mitglieder zusammengestellt.42
Die Kirche in Crottendorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, hat für den 17.10.1954 die Feier des 700-jährigen Bestehens angesetzt, obwohl dieselbe eigentlich erst 14 Tage später sein müsste. Die Organisatoren haben angeblich zum späteren Zeitpunkt keine Zeit, die Weihe vorzunehmen. Zu dem Kirchenfest werden demnach am 17.10.1954 Wanderzüge aus dem gesamten Kirchenkreis Crottendorf nach diesem Ort pilgern.43
Anlage 1 vom 13. Oktober 1954 zum Informationsdienst Nr. 2339
Auswertung von Hetzschriften
Die Feindzentralen versuchten in den letzten Tagen in verstärktem Maße, die Bevölkerung der DDR zur Volkswahl zu beeinflussen. Vor allem auf dem Postwege versuchen sie, die bereits bekannten feindlichen Argumente unter die Bevölkerung zu tragen. Die Hetzschriften enthalten die verschiedensten Variationen der Hetze gegen die DDR, unsere Regierung, die SED und gegen die einzelnen Funktionäre. Zur Beeinflussung der Wahlen werden die Hinweise gegeben, nach Möglichkeit die Wahlkabinen zu benutzen und die Wahlzettel mit einem »nein« ungültig zu machen. Es wird aber davor gewarnt, durch unbedachte Handlungen seine wahre Meinung zu erkennen zu geben. Genannte Hetzbriefe wurden bisher von der KgU an die Bürger in Mecklenburg und Thüringen bekannt. An Bürger im Kreis Straßberg,44 [Bezirk] Halle, wurden Schreiben mit ähnlichem Inhalt gesandt, die u. a. forderten, dass die Referentin Kammrath45 (NDPD) die Forderungen erfüllt, die ihr während ihrer Rechenschaftslegung46 Ende August 1954 von den Einwohnern der Gemeinde Wilsickow genannt wurden. Gemeint sind sanitäre Anlagen für den Kindergarten, Instandsetzung der Dorfbeleuchtung und Reparaturen am Dorfteich.
An Bürger der DDR, die für die Volkskammer bzw. für Bezirkstage als Kandidaten aufgestellt wurden, werden Hetzbriefe gesandt, in denen sie aufgefordert werden, zur Frage der KVP,47 zur Arbeit des SfS, Abschaffung der Lebensmittelkarten u. a. Stellung zu nehmen.48
Gefälschte Schreiben
In einem gefälschten Schreiben mit dem Absender der Handelskammer Groß-Berlin soll das Argument in die Reihen des Handwerks getragen werden, »dass doch noch eine gesonderte Liste des Handwerks bzw. des Mittelstandes aufgestellt wird«.
Der weitere Inhalt ist Hetze gegen die SED. Es wird an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass »jeder von dem Recht der Streichung missliebiger SED-Kandidaten Gebrauch machen wird, wenn er überhaupt zur Wahl geht«.
In gefälschten Schreiben mit dem Absender des Zentralvorstands der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft werden die Bezirksvorstände der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft aufgefordert, »… alle in den Beschlüssen 6/16 der 7. Sitzung des Zentralvorstandes und 48/52 vom 15.9.1954 aktivierten Freunde listenmäßig zu erfassen und noch vor Beendigung der Volkswahl der zuständigen SfS-Kreisdienststelle, Abteilung V zu melden«.49
Anlage 2 vom 14. Oktober 1954 zum Informationsdienst Nr. 2339
Stimmen zum Besuch des sowjetischen Außenministers50
Im Wismutgebiet bildet der Besuch des sowjetischen Außenministers in den Schächten immer noch eine große Diskussionsgrundlage. Die Stellungnahmen dazu sind positiv und es wird immer wieder die Freude und Bewunderung darüber zum Ausdruck gebracht, dass Genosse Molotow51 in den Schacht gegangen ist und mit einzelnen Arbeitern sprach.
Von allen Kumpels wird der Besuch als ein echter Freundschaftsbeweis der Sowjetunion betrachtet sowie als hohe Ehre bezeichnet. Besonders von dem Kumpel des Schachtes S 1 – Johanngeorgenstadt, welcher von den Genossen Molotow und Grotewohl52 besucht wurde und von den Kumpel, die an dem Empfang in Siegmar-Schönau teilnahmen, wird die Begeisterung auch unter die Kumpel getragen, die nicht unmittelbar den Besuch erlebten.
In kleinen Kurzgeschichten werden immer wieder bestimmte Begebenheiten erzählt; alle tragen den Charakter einer herzlichen und freundschaftlichen Atmosphäre. Ein Kollege aus dem Schacht 1 – Johanngeorgenstadt äußerte z. B.: »Als wir den Genossen Molotow im Schacht sahen, merkten wir, dass die Freundschaft zu uns eine wahre und echte ist, und wir waren uns alle einig, dass es gilt, noch größere und weitere Erfolge zu erringen, um uns diesen hohen Besuches würdig zu erweisen.«
Anlässlich des Besuches wurden zahlreichen Verpflichtungen übernommen. In Oberschlema verpflichteten sich 17 Brigaden, den Monatsplan mit 120 Prozent zu erfüllen. 77 Brigaden sowie vier Reviere des Schachtes 4 und ein weiterer ganzer Schacht in Oberschlema fuhren Stoßschichten mit einem Durchschnitt von 165 Prozent. Des Weiteren wurden dort zehn Kollektiv- und 93 Einzelverpflichtungen abgegeben.
Der Besuch des sowjetischen Außenministers in Begleitung des stellvertretenden Ministerpräsidenten, Genossen Walter Ulbricht, in Weimar löste auch dort unter Bevölkerung große Begeisterung aus.53 Obwohl es den breiten Bevölkerungsschichten nicht bekannt war, dass der Besuch zu erwarten war, hatte sich dies sehr schnell herumgesprochen. An sämtlichen Nationalen Gedenkstätten, welche Genosse Molotow besuchte, wurde ihm von der Bevölkerung ein begeisterter Empfang bereitet. Überall wurde die Delegation durch spontane Ovationen geehrt.
Über den Besuch wurde positiv diskutiert. Zum Beispiel standen am Goethehaus in den Nachmittagsstunden Personen, die teils Spaziergänger waren. Auf Befragen erklärten sie, dass der Besuch des Genossen Molotow erwartet wird. Daraufhin vergrößerte sich der wartende Personenkreis immer mehr. Es handelt sich dabei vorwiegend um Personen aus bürgerlichen Kreisen.
Aus den Diskussionen der sich im Nationalmuseum befindlichen wartenden Gruppen konnte entnommen werden, dass die Sprecher den Besuch als ein Symbol der Freundschaft zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Volk bewerteten. Bei dem Gespräch zweier männlicher Personen (davon ein CDU-Mitglied) brachte einer zum Ausdruck: »Ich kann es gar nicht begreifen, dass Molotow noch so viel Ruhe und Zeit hat, sich Weimar anzusehen, wo doch immerhin eine angespannte Zeit ist.« Völlig erstaunt war der Redner, als plötzlich die Delegation ohne Begleitkommando erschien und er sagte, dass er von früher her nur Staatsbesuche kenne, die von 30 bis 40 bewaffneten Kräften begleitet wurden. Daraus sähe man auch die Sicherheit, die Molotow bei seinen Verhandlungen begleite.
Im VEB Mähdrescherwerk Weimar brachten die Arbeiter ihre Verärgerung darüber zum Ausdruck, dass die Delegation das Werk nicht besuchte, da ein solcher Besuch von der BPO am Vortag angesagt worden war und Vorbereitungen dafür getroffen worden waren. Verschiedene Funktionäre diskutierten, dass es wichtiger sei, einen Betrieb zu besichtigen, als die Kulturstätten Weimars.
Anlage 3 (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2339
Stand der Einsichtnahme in die Wählerlisten nach Abschluss der Auslage
Rostock 98,5 %
Schwerin 98,2 %
Neubrandenburg 98,4 %
Potsdam 98,1 %
Frankfurt/Oder 99,7 %
Cottbus 99,1 %
Magdeburg 98,5 %
Halle 98,6 %
Erfurt 98,8 %
Gera 99,0 %
Suhl 97,4 %
Dresden 96,8 %
Leipzig 95,8 %
Karl-Marx-Stadt 94,8 %
Berlin 79,7 %
Durchschnitt:
ohne Berlin 97,6 %
mit Berlin 96,4 %.54