Zur Beurteilung der Situation in der DDR
6. Dezember 1954
Informationsdienst Nr. 2384 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Bei den Diskussionen über politische Tagesfragen steht die Moskauer Konferenz im Mittelpunkt.1 Über den Verbotsprozess gegen die KPD wird wenig gesprochen.2 Die Meinungen sind überwiegend positiv, jedoch hat sich inhaltlich gegenüber den Vortagen nichts geändert.
Zur 21. ZK-Tagung wurden uns nur wenige Stimmen bekannt.3 So äußerte z. B. ein Lehrmeister vom Lehrkombinat der Mathias-Thesen-Werft Wismar, [Bezirk] Rostock: »Es wird höchste Zeit, dass in den Betrieben aufgeräumt wird, denn mit dem ›Wasserkopf‹ hier auf der Werft kommen wir nie zu einem besseren Leben.«
Im VEB »Raschufa« Radebeul,4 [Kreis] Dresden, ist zu verzeichnen, dass von ca. 1 000 Beschäftigten 400 ca. 800 DM monatlich verdienen. Der Grund hierfür sind die unrealen Normen. Die Belegschaft hatte vor dem 17.6.1953 ihre Norm um 50 Prozent erhöht und aufgrund des Ministerratsbeschlusses wurden sie auf den alten Stand zurückgesetzt.5 Die Parteileitung sowie die TAN-Abteilung6 des Betriebes sind der Meinung, dass die Normen unbedingt verändert werden müssen, um die Rentabilität des Betriebes herzustellen.7
Im VEB Bastfaser in Rhinow,8 [Kreis] Rathenow, [Bezirk] Potsdam, sind die Kollegen der Transportkolonne unzufrieden. Diese Arbeiter erfüllten bisher ihre Norm mit 250 Prozent.9 Der neue Normensachbearbeiter stellte fest, dass diese Normen nicht technisch überprüft sind. Deshalb wurden Maßnahmen getroffen, um die Norm neu festzulegen. Da die Kollegen voraussehen, dass die technische Überprüfung der Norm eine Erhöhung ergibt und sie befürchten, dass ihr Verdienst vermindert wird, treten negative Diskussionen über den neuen Normensachbearbeiter auf. Des Weiteren lehnten sie jetzt ab, die Entladung der Waggons nach Feierabend durchzuführen, was sie bisher immer getan haben. Dadurch hat der Betrieb einen finanziellen Verlust, weil des Öfteren für die Waggons Standgeld bezahlt werden muss.
Im VEB Stahlwerk Silbitz, [Bezirk] Gera, bestehen zwischen verschiedenen Brigaden Streitigkeiten, die darauf zurückzuführen sind, dass eine Brigade in der Abteilung Stützenrollenproduktion in acht Stunden 110 Stück hergestellt und die anderen Brigaden bewusst nur 90 Stück herstellen, »um die Norm zu halten«. Das führt sogar schon so weit, dass man den Brigadier und den Arbeitern Schläge angeboten [sic!] hat. Ein Kollege aus der Abteilung Putzerei äußerte: »Sollte die Norm bei den Stützrollen erhöht werden, so legen wir die Arbeit nieder, in den Abteilungen ist bereits alles organisiert.«10
Im VEB Feintuch Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, herrscht aufgrund der Auszahlung der letzten Quartalsprämie an das technische und kaufmännische Personal unter den Arbeitern Missstimmung. Folgende Diskussionen werden von den Arbeitern geführt: »Warum zahlt man solche hohen Summen an diese Kollegen. Die Arbeiter haben doch auch zur Planerfüllung beigetragen. Die Kollegen, die schon ein hohes Monatsgehalt haben, bekommen auch noch eine hohe Prämie, während man den Arbeitern auch noch die Weihnachtsgratifikation wegnehmen wollte.«
Ganz vereinzelt wurden uns von verschiedenen Betrieben negative Diskussionen bekannt. Ein Brigadier von der Mathias-Thesen-Werft, der durch eine andere Arbeit jetzt etwas weniger verdient, äußerte: »Mir kommt es so vor, als ob man im Augenblick mit Gewalt auf einen neuen 17. Juni [1953] hinsteuert.«
Eine Fernschreiberin vom Maschinen- und Fahrzeugbau Rostock erklärte, dass man schon wieder zu weit vom 17. Juni 1953 ab sei und die »Kommunisten« wieder dreister würden. Überall ziehe man die Zügel wieder ein wenig an und es wäre ein 17. Juni [1953] fällig, denn so könne es nicht weitergehen.
Unter den Kollegen des RAW Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg, wurde durch das Verhalten des Volkskammerabgeordneten Lucas,11 welcher als Referent in einer Versammlung am 29.11.[1954] über die Auswertung des Wettbewerbes sprach, eine schlechte Stimmung hervorgerufen. L. erklärte vor den Kollegen, dass der Wettbewerb im RAW auf idiotische Weise gewonnen worden sei, da 120 Kollegen zu viel am Wettbewerb beteiligt waren. Daraufhin wollte ein Teil der Kollegen den Versammlungsraum verlassen, was durch Zureden einiger Genossen verhindert wurde. Das Verhalten des Volkskammerabgeordneten steht noch immer im Mittelpunkt der Diskussionen.12
Materialschwierigkeiten
Im VEB Wirkwaren Wernesgrün, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, mangelt es an Perlon- und Kunstseide. Deshalb kann der Produktionsplan nicht erfüllt werden.13
Im VEB Wachstuch Treuen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, mangelt es gegenwärtig an Chemikalien, weil die Zulieferungsbetriebe, VEB Buna14 und Seifenwerk Schkopau,15 [Bezirk] Leipzig,16 ihre Lieferverträge nicht einhalten. Wenn keine Lieferungen eintreffen, muss die Produktion eingestellt werden.17
Im Bezirk Potsdam bestehen Materialschwierigkeiten bei den Bau-Unionen.
Im VEB IFA-Phänomenwerk Kamenz,18 [Bezirk] Dresden, fehlt es an Rohlingen. Dadurch konnte der Plan im November nicht erfüllt werden.19
In den VE Verkehrsbetrieben in Gera bestehen immer noch Schwierigkeiten mit der Beschaffung von Reifen und anderen Ersatzteilen. Wenn in Kürze keine Ersatzteile und Reifen eintreffen, muss der Verkehrsbetrieb in Rudolstadt die ersten Omnibusse stilllegen.20
Im VEB Waggonbau Görlitz, [Bezirk] Dresden, treten Schwierigkeiten in der Produktion auf, da seit dem 2.12.1954 die Elektroden wegen schlechtem Material nicht mehr verwendet werden dürfen.
Produktionsstörung: Im VEB Dampfhammerwerk Großenhain, [Bezirk] Dresden, fiel am 4.12.1954 die 500-Tonnenpresse aus. Ursache: Wasser im Benzinbehälter, Schaden ca. 15 Tonnen.
Handel und Versorgung
Besondere Mängel in der Versorgung und Beschwerden darüber ergeben sich bei der Belieferung mit Waren für den Weihnachtsbedarf. So klagen die Hausfrauen in verschiedenen Kreisen des Bezirkes Halle, dass es Rosinen und Nüsse im genügenden Maße gab, als man sie nicht benötigte und jetzt vor Weihnachten gibt es keine Nüsse und Rosinen. Im Kreis Heiligenstadt, [Bezirk] Erfurt, wird ebenfalls sehr stark über das mangelnde Weihnachtsangebot diskutiert und eine Verkäuferin sagte: »Sie glauben gar nicht, wie wir uns vor den Weihnachtseinkäufern fürchten. Das Weihnachtsangebot im vorigen Jahr ist gegenüber diesem Jahr goldig gewesen.«
Ähnliche Mängel für den Weihnachtsbedarf bestehen im Bezirk Cottbus mit Eiern, Südfrüchten. In den Kreisen Ludwigslust und Perleberg, [Bezirk] Schwerin, Süßwaren, Weihnachtsgebäck und im Bezirk Karl-Marx-Stadt mit Zutaten für die Weihnachtsbäckerei. Außerdem ist in den Kreisen Sebnitz und Zittau, [Bezirk] Dresden, ein großer Mangel an HO-Butter, im Bezirk Cottbus an Frischfleisch und Fischkonserven zu verzeichnen. Im Kreis Langensalza, [Bezirk] Erfurt, fehlt Speck und Schmalz.
Hamstereinkäufe: Von der Bevölkerung in Oschatz, [Bezirk] Leipzig, werden größere Mengen Erbsen, Reis, weiße Bohnen usw. aufgekauft.
Preise
Aus Magdeburg wird berichtet, dass das Ministerium für Finanzen angeordnet hat, ab 2.12.1954 den Sonderverkauf in sowjetischen Fischkonserven abzuschließen und die Preise für Dorschleber in Öl wieder von DM 2,90 auf 4,65 [DM] und für Zander in Tomaten von 1,40 auf 3,65 [DM] heraufzusetzen.21
Der Vorstand des Konsums Zeitz, [Bezirk] Halle, berichtet, dass in Zeitz große Mengen Importfischkonserven liegen, wofür von Halle ein Verkaufsverbot vorliegt, diese erst ab 15.12.1954 in den Handel zu bringen.
Durch eine Direktive der HO-Bezirksverwaltung Lebensmittel Magdeburg wurde dem Leitungskollektiv der HO Lebensmittel Burg-Loburg bekannt gegeben, dass aufgrund der Plankürzungen für das Jahr 1955 Lohnkürzungen vorzunehmen sind. Entlassungen sollen erst nach Weihnachten durchgeführt werden.22
Landwirtschaft
Im Umfang und Inhalt der Stellungnahmen zur Moskauer Konferenz sind keine wesentlichen Veränderungen zu verzeichnen. Zum 21. Plenum des ZK wird nur im geringen Umfang hauptsächlich in den MTS und von Mitgliedern der SED positiv diskutiert.23 So sagte z. B. ein Lehrdreher (parteilos) von der MTS Wismar, [Bezirk] Rostock: »Walter Ulbricht24 und Karl Mewis25 haben mir aus dem Herzen gesprochen.26 Wir können vorwärtskommen, wenn wir unsere Leistungen erhöhen. Dazu ist die Beseitigung eines großen Teiles unproduktiver Kräfte nötig, die sich am Schreibtisch festhalten.«
Ein Statistiker (SED) von der MTS Löwenberg, Kreis Gransee, [Bezirk] Potsdam: »Ich erkenne die Ausführungen auf dem 21. Plenum vollkommen an, weil dort eine weitere Verbesserung in der Arbeit der Landwirtschaft verlangt wurde. Wie sieht es denn in vielen LPG noch aus? Meistenteils werden die Beschlüsse überhaupt nicht durchgeführt und es kommt soweit, dass in einigen LPG Unstimmigkeiten herrschen. Die Vorsitzenden verstehen oft nicht, ihren Mitgliedern in Versammlungen die politischen Ereignisse und die Beschlüsse unserer Partei nahezubringen. Zum anderen sind die Vorsitzenden noch nicht so bewusstseinsstark, sich gegenüber ihren Mitgliedern durchzusetzen. Sie schrecken davor zurück, mit ihnen ernsthaft zu sprechen.«
Verschiedentlich macht sich ein verstärkter Viehauftrieb bemerkbar, der teilweise wegen Mangel an Transportmitteln und der mangelnden Kapazität der Schlachthöfe ins Stocken kommt, was zur Verärgerung führt. Dem Aufkaufkontor des Konsums Gera stehen 500 aufgekaufte Schweine (Freie Spitzen)27 zur Verfügung, die jedoch bei den Bauern nicht abgeholt werden können, weil der Schlachthof in Gera das Vieh nicht annimmt. Das führt zur Verärgerung unter den Bauern, weil diese die Schweine noch weiter füttern müssen und nicht wie geplant zu Weihnachten das Geld dafür bekommen.
Im Kreis Meiningen stehen 500 Schweine, davon 80 Prozent freier Aufkauf, die von der VEAB nicht abgeholt werden können, obwohl sie vor dem 30.11.1954 erfasst wurden. Die Gründe dafür sind, dass eine Ausfuhr an andere Kreise und Bezirke zzt. nicht möglich ist, da in diesen ebenfalls ein Viehstau eingetreten ist.
Ebenfalls besteht in Güstrow, [Bezirk] Schwerin, ein verstärkter Viehauftrieb, da ein großer Teil der Bauern der VEAB Lalendorf Vieh zur Verfügung stellte. Wegen Mangel an Transportraum konnte das Vieh jedoch nicht abgenommen werden. Dadurch wurden ca. 180 Schweine dem Markt nicht zugeführt, worüber die Bevölkerung verärgert ist.
Die Bauern im Kreis Perleberg, [Bezirk] Schwerin, klagen darüber, dass der Schachthof Wittenberge nicht den Anforderungen einer verstärkten Viehzufuhr entspricht. Hinzu kommt, dass die Anfahrtsstraße zum Schlachthof in sehr schlechtem Zustand ist und dadurch Unfälle entstanden, die zu Notschlachtungen führten. Ein Bauer aus Breesen erklärte: »Unter diesen Umständen liefere ich kein Vieh mehr ab.«
Von den Erfassern des Kreises Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg, wurde in einer Erfasserschulung darüber geklagt, dass die Abfuhr des aufgekauften Viehes sehr schlecht sei, da ständig Mangel an Fahrzeugen besteht. Dieser Zustand war auch auf dem Viehmarkt in Völpke, [Kreis] Oschersleben, zu verzeichnen, wo die Abfuhr von Schweinen zum Schlachthof Magdeburg durch das Fehlen von Waggons unnötig verzögert wurde.
Verderb
Der ÖLB Thurow, [Bezirk] Schwerin, hat einen großen Teil Rüben auf dem Felde stehen, die erfroren sind. Durch unsachgemäße Behandlung sind außerdem 1 000 Zentner Kartoffeln erfroren.
Unzufriedenheit herrscht unter den Bauern im Kreis Schleiz, [Bezirk] Gera, über die schlechte Belieferung mit Kohlen. Das benötigte Kontingent der BHG für den Kreis Schleiz beträgt 120 Tonnen, wovon im Monat November nur 1 Tonne geliefert wurde.
Am 1.12.1954 entstand aus bisher noch ungeklärter Ursache in Langwitz, Kreis Malchin, ein Scheunenbrand. Verbrannt sind größere Mengen Heu, Stroh, landwirtschaftliche Geräte und 400 Ztr. Briketts der BHG (Neubrandenburg).
Übrige Bevölkerung
Neben den Stellungnahmen zur Moskauer Konferenz stehen die Äußerungen zum Verbotsprozess gegen die KPD. Dazu wurden nur vereinzelte positive Stellungnahmen bekannt, deren Inhalt gegenüber den Vortagen unverändert ist.
Auf einer Tagung der CDU-Funktionäre des Bezirkes Suhl wurde u. a. zur gegenwärtigen politischen Situation Stellung genommen. Dabei kam es zu einer ablehnenden Haltung gegenüber den Pariser Verträgen.28 Des Weiteren wurde angenommen, dass auf der Moskauer Konferenz Gegenmaßnahmen beschlossen würden, die sich ungünstig auf die innerdeutschen Verhältnisse auswirkten. Zum Beispiel nahm man an, dass der Interzonenverkehr gedrosselt und die Grenzen dicht gemacht würden. Von Unternehmern und Handwerkern wurde die Befürchtung ausgesprochen, dass dann eventuell auch der neue Kurs nicht mehr durchgeführt würde. Ein Beweis dafür sei jetzt darin zu sehen, dass das Finanzamt die Gelder eintreibt.
In der Staatspolitischen Schulung der Berliner Sparkassen wurde bei der Diskussion über das Wahlprogramm der SED von einigen Kollegen gefragt, wann denn ihre Gehälter erhöht würden. Die Westberliner könnten doch für ihr Geld mehr kaufen als sie. Lebensmittel und andere Artikel seien weit billiger als im demokratischen Sektor und bei uns gäbe es auf die Lebensmittelkarten nur zwei Streifen Butter, und den Rest müsste sich jeder, um einigermaßen leben zu können, noch zusätzlich kaufen. Das einzige, was »drüben« teurer sei, seien Gas, Licht und die Verkehrsmittel.
Weiterhin zeigt sich unter der Bevölkerung Verärgerung über das ungenügende Warenangebot jetzt in der Vorweihnachtszeit. Zum Beispiel sagte eine Hausfrau aus Limbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Man muss sich tatsächlich an Bekannte und Verwandte in Westdeutschland wenden, um sich einigermaßen Weihnachten was leisten zu können. In Westdeutschland jedenfalls gibt es alles zu kaufen, was das Herz begehrt. Hier muss man anstehen nach Zitronen oder anderem Zeug und wenn man an der Reihe ist, dann sind die Sachen auch noch ausverkauft.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:29 Schwerin, Kreis Güstrow, 87, Dresden, Rostock, Potsdam und Halle einige, Suhl, Kreis Ilmenau, 250, Karl-Marx-Stadt, Kreis Zschopau, 90.
KgU:30 Gera und Dresden einige, Karl-Marx-Stadt, Kreis Zschopau, 100.
ZOPE:31 Gera einige.
In tschechischer Spr[ache]: Dresden 57, Cottbus, Kreis Weißenfels, 11 000, Karl-Marx-Stadt einige.
NTS:32 Potsdam einige, Karl-Marx-Stadt, Kreis Stollberg, 110.
FDP: Potsdam einige.
Die Flugblätter wurden größtenteils mit Ballons eingeschleust und wurden sichergestellt.
Antidemokratische Tätigkeit
In der Nacht vom 28. zum 29.11.1954 wurde vor dem Bürgermeisteramt in Hauröden, [Kreis] Worbis, [Bezirk] Erfurt, eine schwarz-rot-goldene Fahne vom Mast heruntergerissen und verbrannt.
Gerücht
In der Gemeinde Schmerlitz, [Bezirk] Dresden, wird das Gerücht verbreitet, dass ab 1. Januar 1954 [sic!] das Kartensystem abgeschafft wird.
Am 3.12.1954 fiel im VEB Steinbruch Lüptitz,33 [Bezirk] Leipzig, der Brecher aus. Untersuchungen ergaben, dass zwischen Futter und Backen des Brechers sich ein Stahlbolzen von 25 cm Länge festgeklemmt hatte. Am 9.9.1954 ereignete sich ein gleicher Vorfall an diesem Brecher.
Einer Mittelbäuerin aus Brustorf, [Bezirk] Neubrandenburg, wurden acht Rinder durch Kalarsen vergiftet. (Ein Kalb ist verendet, ein weiteres wurde notgeschlachtet, die anderen sind schwer erkrankt.)34
Anlage vom 6. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2384
Stimmen zur Moskauer Konferenz
Weiterhin steht die Moskauer Konferenz im Mittelpunkt der in verhältnismäßig geringem Maße geführten politischen Gespräche. Dabei wird vorwiegend darüber gesprochen, dass die DDR im Falle der Ratifizierung der Pariser Verträge zu Sicherungsmaßnahmen greift. In den Diskussionen über die Deklaration der Moskauer Konferenz steht ebenfalls diese Frage im Mittelpunkt.35
Von einem Teil der Bevölkerung wird in positiven Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht, dass die Moskauer Konferenz wiederum gezeigt habe, dass von den Ländern, die in Moskau zusammengetroffen waren, alles getan wird, um den Frieden zu erhalten. Zum anderen erklären diese Personen, dass sie es für richtig halten, dass man bei Ratifizierung der Pariser Verträge Sicherheitsmaßnahmen ergreifen muss. Zum Beispiel erklärte ein Meister aus dem VEB EMW Eisenach (SED): »Die Deklaration der Moskauer Konferenz wird den Westmächten schon zeigen, dass die friedliebende Menschheit nicht gewillt ist, ein 3. Mal zuzusehen, wie die Welt in Brand gesteckt wird. Diesmal steht ihnen ein organisiertes Friedenslager gegenüber. Wir können nicht warten, bis man uns mit einem technisch gut ausgerüsteten Heer überfällt. Daher zwingt man uns dazu, Streitkräfte aufzustellen.«
Ein Maschinist aus dem gleichen Betrieb äußerte: »Die Deklaration zeigt auf, wie ernst die Lage ist und fordert von uns den größten Einsatz bei der Sicherung unserer Betriebe und darüber hinaus die Sicherung und Verstärkung unserer Grenzen.«
Mehrere Kollegen der C-Schicht im Bau 105 des Leuna-Werkes »Walter Ulbricht« führten ein Gespräch, in welchem sie die Moskauer Vereinbarungen anerkannten. Sie brachten zum Ausdruck, dass wir uns gegenüber den kapitalistischen Mächten schützen müssten, um die Errungenschaften der Arbeiterklasse zu sichern.
In den Diskussionen, vorwiegend in den Betrieben, in denen man eine ablehnende Haltung in Bezug auf die Aufstellung Nationaler Streitkräfte zum gegebenen Zeitpunkt [einnimmt], kommt es aufgrund der Unklarheiten in dieser Frage immer wieder zu den gleichen Argumenten. Zum Beispiel kam in Gesprächen von Wismut-Kumpel36 zum Ausdruck, dass der größte Teil die Nationalen Streitkräfte mit dem Militarismus gleichsetzt. Aus dem Grunde kam es unter ihnen überwiegend zu einer ablehnenden Haltung.
Etwas stärker tritt jetzt allgemein die Meinung auf, dass durch die Sicherheitsmaßnahmen, die eventuell auf unserer Seite sowie von der SU und den Volksdemokratien ergriffen werden, die Kriegsgefahr akut wird, weil sich dadurch zwei Mächtegruppen gegenüberständen. Zum Beispiel äußerten ein Betriebsschlosser und ein Betriebsberufsschullehrer aus dem VEB Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal, [Kreis] Lobenstein, [Bezirk] Gera: »Wir sind der Meinung, dass das abgeschlossene Abkommen und die Verhandlungen darauf schließen lassen, dass ein neuer Krieg unvermeidlich ist und wir noch viel Schlimmes erleben werden.« Vor allen unter den Frauen dieses Betriebes wird sehr stark über die Frage diskutiert.
Ein Jugendlicher vom Objekt Auerbach (Wismut): »Jetzt geht der Rummel wieder los wie früher. Es hat ja gar keinen Zweck mehr, etwas zu schaffen. Früher oder später kommt doch Krieg und alles geht wieder in Trümmer.«
In einer Gaststätte in Weimar wurde diskutiert, dass es ja überhaupt keinen Zweck habe, dass man sich viel anschafft, letzten Endes käme doch der Krieg und es würde alles vernichtet. Die Arbeiter könnten sich sowieso nicht gegen die Aufrüstung wehren, da doch alles am grünen Tisch beraten würde.
In den nur in geringem Maße bekannt gewordenen feindlichen Stellungnahmen wird immer wieder gegen die DDR sowie die SU gehetzt. Zum Beispiel sagte ein Elektriker aus dem Schacht 235 – Johanngeorgenstadt (Wismut): »Was Moskau bestimmt, müssen unsere durchführen. Genau wie im Westen: Was Amerika befiehlt, muss Adenauer37 machen; aber ohne uns!«
Ein Angestellter der Investbank Rostock sagte, dass ein 500 000-Mann-Heer gar nichts wäre, denn wir in der DDR hätten mehr Volkspolizei. Er erklärte weiter, dass in letzter Zeit sehr viele Verhaftungen vorgenommen worden seien und dass er und seine Kollegen der Meinung sind, dass ein zweiter 17.6.[1953] nottue.
Ein Bauer (DBD) aus Völschow, [Kreis] Demin((Demmin)), [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Amerikaner kommen mit den westlichen Ländern und Russland mit den kommunistischen Ländern zusammen, wo über die jeweilige militärische Stärke gesprochen wird. Einer will immer stärker sein als der andere. Der Amerikaner verfügt über genügend Kapital und wird Russland noch einmal zeigen, worin die Stärke der Amerikaner besteht. Wenn die Amerikaner den Russen im Zweiten Weltkrieg nicht geholfen hätten, wären sie heute nicht mehr da, sondern von Deutschland zerschlagen worden.«
In der Funkschule Königs Wusterhausen sagte ein Schüler: »Sollte ich Soldat werden müssen, haue ich nach dem Westen ab«, wodurch zahlreiche negative Diskussionen hervorgerufen wurden. Andere Schüler schlossen sich dieser Meinung an und am 3.12.1954 ging in den Vormittagsstunden während des Unterrichtes ein Zettel herum, worauf unter der Überschrift »Wer will Soldat werden?« zwei Spalten für »Ja« oder »Nein« waren. Auf diesem Zettel machten die Schüler Vermerke wie z. B.: »Staatlich-preußisch-polnisch-tschechischer Bundes-Rotarmist«.38