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Zur Beurteilung der Situation in der DDR

8. Dezember 1954
Informationsdienst Nr. 2386 zur Beurteilung der Situation in der DDR

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Mittelpunkt der Diskussionen über politische Tagesfragen steht die Moskauer Konferenz.1 Umfangmäßig und inhaltlich haben die Diskussionen gegenüber dem Vortage sich nicht verändert. Über den Verbotsprozess gegen die KPD wird nur vereinzelt diskutiert,2 ausschließlich positiv. Dabei bringt man zum Ausdruck, dass die Adenauer-Regierung3 daran interessiert ist, Arbeiterparteien, die gegen die Wiederaufrüstung sind, mundtot zu machen.

Teilweise diskutiert man über die Auszahlung der Weihnachtsgratifikation. Vielfach wird der Beschluss des Ministerrates begrüßt und besonders von den Kollegen, die im vergangenen Jahr nicht berücksichtigt wurden.4 Verschiedentlich ist man mit der Höhe der Weihnachtsgratifikation nicht einverstanden und zieht Vergleiche zum Vorjahr.5 Vereinzelt wurden negative Diskussionen geführt. Ein Kollege vom Bau 237 der Leuna-Werke brachte zum Ausdruck, dass die Regierung Millionenbeträge zur Verfügung gestellt hat, um den Werktätigen eine Freude zu machen.

Ein Arbeiter vom VEB Stern-Radio in Sonneberg, [Bezirk] Suhl: »Es ist nicht richtig, dass die Kollegen, welche über 500 DM erhalten, ausgeschlossen werden. Man sollte eben für drei Monate keinen FDGB-Beitrag bezahlen, dann kommt dies wieder heraus.«

Eine Kollegin vom VEB Universalwerk in Schmalkalden, [Bezirk] Suhl: »Dieses Jahr hat sich die Regierung der DDR wenig Mühe gegeben in der Frage der Weihnachtszuwendungen. In den vergangenen Jahren hat man den Arbeitern in dieser Beziehung mehr zukommen lassen.«

Ein Arbeiter aus Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »So ein Theater wegen dem lumpigen Geld zu machen. Dabei ziehen sie gegenüber 1953 auch noch DM 5,00 ab. Im Westen bekommen die Arbeiter mehr, Verheiratete 60,00 DM und Ledige 40,00 DM für jedes Kind noch extra.6 Wenn man hier etwas für den Arbeiter übrig hätte, dann würde man mehr zahlen.«

Ein parteiloser Arbeiter von der Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera: »Mit der Weihnachtszuteilung geht es von Jahr zu Jahr zurück. In diesem Jahr hat man den Arbeitern bereits 10,00 DM weniger gegeben als im vorigen Jahr.«

Im VEB Webstuhlbau Großenhain, [Bezirk] Dresden, sind die Arbeiter wegen der Weihnachtsgratifikation verärgert. Der Betrieb war aufgrund von Materialschwierigkeiten mit dem Exportplan im Rückstand. Um den Plan zu erfüllen wurden ab Ende Oktober bis jetzt sonnabends und sonntags Arbeitseinsätze durchgeführt, deshalb kommen die Arbeiter über die 500-DM-Grenze. Die Arbeiter sind deshalb verärgert und bringen zum Ausdruck, wenn es mit dem Material im Quartalsanfang geklappt hätte, wären die Überstunden nicht notwendig gewesen.

Im VEB Turbinenwerk Dresden wurde ein Schreiben in Umlauf gebracht zur Eingabe an das Ministerium für Finanzen. Dieses Schreiben hatten bereits über 100 Kollegen und Genossen unterzeichnet. Es beinhaltet, dass sie mit dem Weihnachtsgeld grundsätzlich nicht einverstanden sind und schlagen vor, für alle Werktätigen das Geld auf DM 50,00 zu erhöhen und die Zahlungsgrenze auf DM 600 zu erweitern.

Im VEB [Elektro-]Gerätebau Leisnig, [Bezirk] Leipzig, ist unter den Kollegen der Abteilung Stanzerei eine schlechte Stimmung, diese wurde hervorgerufen durch Erhöhung der Normen. Eine Stanzerin äußerte: »Die Betriebsleitung braucht sich nicht zu wundern, wenn ein neuer 17.6.1953 kommt, denn die Ursachen dafür sind wiederum vorhanden.«

Im Kraftwerk Plessa, [Bezirk] Cottbus, mussten zwei Maschinen abgeschaltet werden, wegen Kohlenmangel. Ursache: Im Tagebau Plessa fiel ein Schaufelbagger aus, dadurch konnte das Kraftwerk nicht mit Kohle beliefert werden.

Materialschwierigkeiten

Im Bahnbetriebswerk Bautzen besteht ein Mangel an Zughakenfedern.7

Im Teerwerk Erkner, [Bezirk] Frankfurt, besteht ein Mangel an Rohteer. Der Hauptlieferant Magdeburg kam im III. Quartal seinen Verpflichtungen nicht nach. Der Betrieb wandte sich an das zuständige Staatssekretariat, jedoch trat keine Änderung ein.8

Im Kreis Forst, [Bezirk] Cottbus, fehlen für ca. zehn Bauten, die aufgrund des Regierungsbeschlusses vom 10.12.1953 errichtet wurden und im Rohbau fertig sind,9 die Dachgerüste.10

Waggonmangel

Im VEB Sachsenholz Finsterwalde,11 [Bezirk] Cottbus, fehlten im Monat November 20 Waggons. Zurzeit lagern im Betrieb Fertigwaren im Werte von 190 000 DM, die nicht abtransportiert werden können.

Handel und Versorgung

Ein besonderer Mangel ist weiterhin die unzureichende Versorgung mit Weihnachtsbedarf. In verschiedenen Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt z. B. mangelt es immer noch an Rosinen und Mandeln, die für die Weihnachtsbäckerei dringend benötigt werden.

Im Bezirk Rostock kann der Bedarf an Eiern nicht gedeckt werden. Außerdem sind fast keine Südfrüchte (Apfelsinen usw.) besonders in den Landkreisen erhältlich. Ähnliche Mängel zeigen sich auch im Bezirk Halle, die aber darauf zurückzuführen sind, dass Walnüsse, Datteln, Feigen, Mandeln, Sultaninen usw. im Großhandelskontor für Lebensmittel lagern, aber vom VE Kontor Import Halle noch nicht zur Auslieferung gekommen sind.

Sehr häufig wird die ungenügende Belieferung mit Textilien von der Bevölkerung kritisiert. Hauptsächlich fehlt es an Bettwäsche, Handtüchern, Oberhemden und Möbelbezugsstoffen. Diese und ähnliche Mängel zeigen sich zzt. besonders in den Bezirken Cottbus, Potsdam, Dresden und Karl-Marx-Stadt.

Landwirtschaft12

Die Moskauer Konferenz steht weiterhin im Vordergrund der politischen Diskussion.

Zum 21. Plenum des ZK wird nur wenig, hauptsächlich in Versammlungen, diskutiert.13 In den Diskussionen zeigen die Bauern teilweise großes Interesse an der Verbesserung der landwirtschaftlichen Arbeit, was besonders in dem Aufzeigen einer Reihe von Mängeln zum Ausdruck kommt, für deren Beseitigung sie eintreten. So wurde z. B. in Mückendorf, Kreis Zossen, [Bezirk] Potsdam, auf einer Bauernversammlung von einem parteilosen Mittelbauern Folgendes zur Sprache gebracht: »Es wird Zeit, dass einmal alle Missstände aufgezeigt werden. Dies bedeutet gleichzeitig für uns, dass wir gemeinsam die Fehler beseitigen helfen müssen. Davon hängen unsere Erfolge ab. Wir haben z. B. über die VdgB-BHG Roggensaat (Petkuser-Hochzucht) mit einer Garantie 97 Prozent Keimfähigkeit erhalten. Aber wie sieht es damit aus. Diese Aussaat geht nur zur Hälfte auf. Wir geben Geld für besseres Saatgut aus, damit unsere Ernte besser wird und in Wirklichkeit zahlen wir zu.«

Im Bezirk Potsdam wird die Verordnung über die Weihnachtsgratifikation besonders von den Landarbeitern begrüßt. So brachten in Unterhaltungen die Arbeiter des VEG Wendefeld, Kreis Gransee, und des VEG Kaltenhausen, Kreis Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, ihre Freude darüber zum Ausdruck. Ein Traktorist (parteilos) vom VEG Kaltenhausen sagte: »Die 35,00 DM kommen mir wie gerufen. Dafür kann ich meiner Frau ein paar nette Schuhe kaufen.«

Verschiedentlich werden weitere Fälle von einem erhöhten Viehauftrieb gemeldet. Dabei fehlt es teilweise an Unterbringungsmöglichkeiten. Teilweise zeigen sich auch Absatzschwierigkeiten. Im Kreis Hoyerswerda, [Bezirk] Cottbus, ist zzt. ein so starker Viehauftrieb zu verzeichnen, dass der Verkauf in den LPG gestoppt werden musste, um auch die Möglichkeit zu haben, Vieh der Einzelbauern abzunehmen.

Im Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, sind Absatzschwierigkeiten dadurch zu verzeichnen, dass der Handel schon für die nächsten 14 Tage mit Fleisch versorgt wurde und vom Rat des Bezirkes keine Abnehmer genannt werden. Für den weiteren Viehauftrieb sind keine Unterbringungsmöglichkeiten mehr vorhanden. Die verstärkte Viehablieferung hält aber noch an und es kommt vor, dass oft tagelang das Vieh auf der Verladerampe steht.

Bauern aus Usedom, [Kreis] Wolgast, und der umliegenden Ortschaften klagen darüber, dass sie einen großen Teil der am 25. und 28.11.1954 gelieferten Schweine zum freien Aufkauf wieder nach Hause nehmen mussten, da die VEAB Wolgast keine mehr abnahm. Angeblich kann die VEAB nur eine bestimmte Tonnenzahl im freien Aufkauf erfassen. Die betroffenen Bauern sind darüber empört, da auf der anderen Seite vom Staat zur Lieferung des Viehes im freien Aufkauf geworben wird.

Im Kreis Eisleben, [Bezirk] Halle, dagegen wurde in einigen Fällen Vieh verheimlicht, wie von der Kontrolle bei einer Viehzählung am 3.12.1954 festgestellt wurde. Zum Beispiel14 verschiedene Bauern haben unrichtige Angaben gemacht. In der Gemeinde Rottelsdorf, [Bezirk] Halle, haben verschiedene Genossenschaftsbauern 32 Schweine nicht angegeben. In der Gemeinde Klostermansfeld wurden von zwei Bauern 13 Schweine und zwei Schafe verheimlicht.

Unzufriedenheit herrscht unter der Landbevölkerung wegen der ungenügenden Belieferung mit Waren. Zum Beispiel im Bezirk Frankfurt, wo bei den Bauern Unzufriedenheit wegen der ungenügenden Belieferung mit Grütze für Hausschlachtungen, Haferflocken, Süßwaren, Kakao-Erzeugnissen herrscht. Im Kreis Fürstenwalde fehlen besonders Wintermäntel und Trikotagen.

Im Bezirk Rostock ist zu verzeichnen, dass die Belieferung der Landkreise gegenüber den Städten sehr mangelhaft ist. Die Landbevölkerung diskutiert über unsere Handelsorgane entsprechend. Ein parteiloser Neubauer sagte hierzu: »Es wird viel davon gesprochen, dass alles besser werden soll, aber jetzt zu Weihnachten bekommt man nicht viel zu kaufen.«

Eine werktätige Bäuerin aus Kamminke, [Kreis] Wolgast, [Bezirk] Rostock, stellte die Frage, wozu man überhaupt Bezugsscheine für Arbeitskleidung ausgebe, denn man kann hinkommen wo man will und nirgends bekommt man etwas.

Auch über Preise wird gesprochen, wie z. B. im Bezirk Potsdam.

Im gestrigen Informationsbericht wurde bereits gemeldet,15 dass die Bevölkerung davon spricht, dass die Preise von verschiedenen Artikeln nach einer Preissenkung wieder erhöht werden.16 In der MTS Rhinow, Kreis Rathenow, [Bezirk] Potsdam, kam das zum Ausdruck, als man von den ständigen Preiserhöhungen in Westdeutschland sprach. Ein MTS-Arbeiter sagte: »Von meiner Frau habe ich gehört, dass auch bei uns in der DDR der Schmalz um 20 Pfennige teurer geworden ist. Es ist mir unerklärlich, dass nach der Preissenkung das Fett wieder teurer wird. Wenn in Westdeutschland die Preise erhöht wurden, schrieb man das sofort bei uns in der Presse. Werden die Preise aber hier erhöht, so wie jetzt bei Schmalz, wird davon nichts in der Presse erwähnt.«

Einige VEG im Bezirk Frankfurt klagen über den Mangel an Kohlen, wodurch die Erhaltung der Kulturen in den Gärtnereien gefährdet ist. So beklagen sich einige VEG, dass, wenn nicht sofort Abhilfe geschaffen wird, die Kulturen in den Gärtnereien erfrieren.

Gerücht: Unter den LPG-Mitgliedern der LPG Rustenbeck, Kreis Salzwedel, wurde durch ein Mitglied das Gerücht verbreitet, dass im nächsten Jahr alle LPG-Mitglieder enteignet werden. Wer sein Eigentum behalten will, muss aus der LPG austreten. Unter den Mitgliedern ist dadurch eine gewisse Spannung über die zukünftige Entwicklung der LPG eingetreten.

Übrige Bevölkerung

Im Vordergrund der Diskussionen über politische Fragen steht auch bei der übrigen Bevölkerung weiterhin das Ergebnis der Moskauer Konferenz und die dort gemachten Ausführungen. Die Diskussionen zum Prozess gegen die KPD in Karlsruhe haben infolge der Aussetzung desselben zzt. nachgelassen.17

Vorwiegend von Hausfrauen wird vor allem über wirtschaftliche Fragen diskutiert. Zum Beispiel kritisierten im Bezirk Frankfurt die Hausfrauen die ungenügende Auswahl in den HO-Fleischereien und das Fehlen von HO-Dauerwurst. Auch wird bemängelt, dass zzt. noch kein Geflügel in den Geschäften angeboten wird. Gegenstand der Diskussion ist im gleichen Bezirk auch der Abzug bei gewissen Wurstwaren. Dazu wird wie folgt diskutiert: »In der Zeitung steht immer: Die Erzeugung der Lebensmittel steigt. Trotzdem ist noch immer dieser Markenabzug. Wir sehen ein, dass es notwendig ist, Lebensmittelkarten auszugeben, aber es könnte wenigstens die Ware auf die Marken voll beliefert werden.«

In Bad Dürrenberg, [Kreis] Merseburg, [Bezirk] Halle, wird von den Hausfrauen Klage geführt, dass es keinen HO-Speck zu kaufen gibt und dass die Streichhölzer knapp sind. Außerdem kritisiert man, dass es an Einwickelpapier für Fleisch- und Wurstwaren fehlt.

Auch in den HO-Verkaufsstellen für Industriewaren und Lebensmittel in Weißenfels, [Bezirk] Halle, ruft der Mangel an Einpackpapier Verärgerung beim Einkauf hervor.

Aus Anlass der Gründungsversammlung des Konsums Eldena, [Kreis] Ludwigslust, wurde in der Diskussion die schlechte Belieferung mit Unterwäsche für alle Größen kritisiert. Der gleiche Mangel wurde in allen ländlichen Gemeinden des Bezirkes Schwerin festgestellt. Außerdem fehlt es auch an Winterbekleidung für Kleinstkinder.

Die Schwierigkeiten in der Versorgung mit Heizmaterial für die Haushalte geben in einigen Bezirken Anlass zu Diskussionen. Zum Beispiel sagte der Bürgermeister der Gemeinde Blankenfelde, [Kreis] Zossen, [Bezirk] Potsdam: »In den Sommermonaten wurde gesagt, die Leute sollen sich Feuerung besorgen, da in den Wintermonaten nur geringe Mengen angeliefert werden. Die Bestellungen der Bevölkerung erfolgten bis auf einzelne Ausnahmen, die Belieferung war aber im Sommer schon schlecht, sodass ein großer Posten noch offen steht. Seit langer Zeit kommen überhaupt keine Kohlen mehr an. Meiner Meinung nach hat jemand in den höheren Stellen daran gedreht. Schnellste Abhilfe wäre notwendig.«

Im Kreis Fürstenwalde ist die Kohlenversorgung für die örtliche Wirtschaft, für Schulen, Krankenhäuser, Heime und Verwaltungen unzureichend. Vom Rat des Bezirkes Frankfurt wurden 4 340 t Brikett und 4 200 t Rohbraunkohle eingeplant, wovon jedoch nur 2 700 t im 4. Quartal ausgeliefert werden können.

In Handwerkerkreisen bestehen weiterhin Diskussionen über schlechte Warenbelieferung. Zum Beispiel sagte ein Uhrmachermeister aus Frankfurt über die schlechte Qualität des bei uns hergestellten unzerbrechlichen Uhrenglases: »Es widerstrebt mir altem Handwerker, der Kundschaft mit Schund das Geld aus der Tasche zu ziehen.«

Bei Aussprachen mit der Bevölkerung im demokratischen Sektor von Groß-Berlin wird immer wieder festgestellt, dass ein großer Personenkreis nicht damit einverstanden ist, dass der Westberliner Bevölkerung die Möglichkeit gegeben wird, in unseren Gaststätten für billiges Geld zu essen. Feststellung wurde von der VP getroffen.

Aus dem Durchgangslager für Westdeutsche in Magdeburg (Karl-Liebknecht-Straße) wird berichtet, dass dort nicht geheizt wird und die Räume in einem sehr schlechten Zustand sind. Für das Essen der Zuwanderer würde ebenfalls nicht im genügenden Maße gesorgt. Aus diesem Grunde sind schon einige Westdeutsche wieder zurückgefahren.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

SPD-Ostbüro:18 Potsdam, Kreis Jüterbog, 3 000, Karl-Marx-Stadt 300, Halle, Kreis Merseburg, 22, Gera, Kreis Schleiz, 25, Schwerin, Kreis Wittenberge, 200, Neubrandenburg 15, Dresden einige.

FDP: Karl-Marx-Stadt 10, Gera einige.

NTS:19 Frankfurt, Kreis Bernau, 2 000, Karl-Marx-Stadt, Kreis Klingenthal, 6 000, Dresden 17.

»Der Tag«:20 Berlin 20.

UFJ:21 Berlin-Pankow 26, Cottbus einige.

Unbek[annter] Herkunft: Potsdam, Kreis Wittstock, 320 (Hetze gegen Volkskammerwahl),22 Berlin-Pankow 1 200.

»Tribüne«:23 Potsdam, Kreis Gransee, 60 (Hetze gegen die 21. ZK-Tagung).

KgU:24 Karl-Marx-Stadt, Kreis Klingenthal, 800.

In tschechischer Sprache: Dresden, Kreis Dippoldiswalde, 51.

Aus dem Kreis Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin, wird bekannt, dass in letzter Zeit Funktionäre der Massenorganisationen aus Westdeutschland Briefe zugestellt bekommen, mit dem Vermerk, dass für sie ein Paket unterwegs sei. Des Weiteren wird in diesen Briefen darauf hingewiesen, dass sie sich an den zuständigen Pfarrer wenden sollen, der ihnen in allen Fragen helfend zur Seite steht.

Im Kreis Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, werden Einwohner in den späten Abendstunden von unbekannten Personen mit den Worten: »Halt, Staatspolizei« angehalten, welche die Vorzeigung des Personalausweises verlangen.

Gerücht: In Waltersdorf, Kreis Zittau, [Bezirk] Dresden, wird das Gerücht verbreitet, Genosse Otto Grotewohl25 hätte in Moskau bei der Konferenz erklärt, wenn die Pariser Verträge unterzeichnet würden, dann müsste die DDR den Westmächten den Krieg erklären.26

Antidemokratische Tätigkeit

Am 5.12.1954 wurden gegen 13.00 Uhr von unbekannten Tätern in Berlin-Adlershof, Thomas-Müntzer-Straße die Scheiben eines Schaukastens der DSF eingeschlagen und die im Kasten befindlichen Bilder entwendet.

In Teltow, [Kreis] Potsdam, wurde an einen Pfeiler in der Hauptstraße eine Hetzlosung angeschmiert.

In einem Hausflur in Potsdam entwendeten unbekannte Täter eine fortschrittliche Losung, welche auf rotem Fahnentuch angebracht war.

Anlage 1 vom 8. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2386

Stimmen zur Moskauer Konferenz

Aufgrund zahlreich durchgeführter Kurzversammlungen in den Betrieben und Institutionen haben die Diskussionen zur Moskauer Konferenz etwas zugenommen. Im Mittelpunkt der Gespräche über die Deklaration27 steht weiterhin die Frage der Sicherheitsmaßnahmen seitens der DDR im Fall der Ratifizierung der Pariser Verträge. Einen kleinen Umfang nehmen die Stimmen ein – in der Mehrzahl positiv –, in denen dazu Stellung genommen wird, dass jetzt alles getan werden muss, um den Frieden zu erhalten und die Pariser Verträge zu Fall zu bringen. So sagte z. B. ein Arbeiter aus dem VEB Werkzeugmaschinenfabrik Saalfeld, [Bezirk] Gera: »Wir müssen jetzt alles tun, um das, was in der Deklaration zum Ausdruck gebracht wurde, zu verwirklichen. So muss unter allen Umständen die Ratifizierung der Pariser Verträge durch die Geschlossenheit der werktätigen Massen verhindert werden. Denn diese Pläne bedeuten Krieg und somit Vernichtung aller Deutschen.«

Ein Arbeiter aus Worbis: »In erster Linie müssen wir jetzt alles daransetzen, um die Wiederaufrüstung im Westen zu verhindern. Sollte uns das nicht gelingen, so müssen wir auch hier Sicherheitsmaßnahmen ergreifen.«

Der Leiter der MTS Matzin,28 [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Deklaration muss mit allen Bürgern in der Republik diskutiert werden, um ihnen klarzumachen, welche große Gefahr vor uns steht, wenn es den Kriegstreibern gelingen würde, ihre verbrecherischen Pläne durchzusetzen. Es muss allen klargemacht werden, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um einen neuen Krieg zu verhindern.«

In den meisten Fällen spricht man so, als ob die Aufstellung Nationaler Streitkräfte unmittelbar bevorstünde. In diesem Zusammenhang kommen Stimmen aus den verschiedensten Schichten der Bevölkerung, die zum Ausdruck bringen, dass sie mit der Aufstellung der Nationalen Streitkräfte nach Ratifizierung der Pariser Verträge einverstanden sind, da wir unsere Errungenschaften unbedingt schützen müssen.

Mehrere Kollegen von dem VEB Keksfabrik in Bad Liebenstein sagten z. B.: »Es ist eine logische Schlussfolgerung, dass, wenn die Verträge von Paris ratifiziert werden, in der DDR ebenfalls Maßnahmen getroffen werden müssen, die unsere Sicherheit garantieren. Wenn es sich notwendig macht, werden wir auch unsere Errungenschaften mit der Waffe in der Hand schützen und verteidigen.«

Ein Arbeiter (parteilos) aus dem Kabelwerk in Vacha, [Bezirk] Suhl: »Ich bin mit der Deklaration vollkommen einverstanden. Wenn die Pariser Verträge durchkommen, können wir nicht tatenlos zusehen, wie eine westdeutsche Angriffsarmee geschaffen wird. Wir müssen demzufolge auch eine Armee aufstellen in Form von Nationalen Streitkräften, die in der Lage ist, die DDR zu schützen und zu verteidigen.«

Ein Mitglied der LDP in Königsberg, [Bezirk] Potsdam: »Es ist richtig, dass Maßnahmen eingeleitet werden, wenn die Verträge von Paris durchkommen. Dann brauchen wir eine Volksarmee, die unsere Errungenschaften gegen alle Feinde der Demokratie schützt.«

Ein Bauer aus Gräfinau-Angstedt, [Bezirk] Suhl: »Die Erklärung Otto Grotewohls kommt zum richtigen Zeitpunkt. Ich bin der Meinung, wenn die im Westen eine aggressive Armee aufbauen, dann müssen wir zu unserer Verteidigung auch etwas tun.«

Ein Angestellter vom Großhandelskontor Wittstock: »Was wir bisher geschafft und aufgebaut haben, wollen wir nicht der Willkür des amerikanischen Imperialismus überlassen. Wenn im Westen unserer Heimat eine Wehrmacht aufgebaut wird, dann müssen wir dasselbe tun.«

Größeren Umfang haben aber die Diskussionen – meist von Arbeiter und Jugendlichen –, in denen man sich gegen die Aufstellung Nationaler Streitkräfte ausspricht. Dies wird meist damit begründet, dass sie nichts vom Krieg wissen wollen; dass es immer geheißen habe, nie wieder ein Gewehr in die Hand zu nehmen und dass sie nicht auf ihre Brüder und Schwestern in Westdeutschland schießen wollen.

Von Jugendlichen wird immer wieder geäußert, dass sie es so machen wollen, wie es der westdeutschen Jugend von uns geraten wird, nämlich die Gestellungsbefehle zu zerreißen.29 Die ablehnenden Äußerungen lassen immer wieder die bestehenden Unklarheiten erkennen, die in der Frage der gerechten und ungerechten Kriege und in dem Unterschied zwischen Nationalen Streitkräften und den Streitkräften kapitalistischer Länder bestehen. In verschiedenen Betrieben kam es vor, dass gegen die Resolutionen gestimmt wurde, die eine Zustimmung zur Moskauer Konferenz zum Ausdruck brachten. Zum Beispiel wurde im EMW Eisenach,30 in der Abteilung Arbeitsvorbereitung, eine Kurzversammlung durchgeführt, bei der der Referent laufend unterbrochen wurde. Es kam zu Zwischenrufen wie z. B.: »Wir wollen keinen Krieg.« Die Zwischenrufer waren meistens Frauen. Eine zur Abstimmung gebrachte Resolution wurde nicht angenommen. Drei Personen stimmten dagegen und die Mehrheit enthielt sich der Stimme.

Ein Arbeiter (Kandidat der SED) von der Peene-Werft in Wolgast: »Ich bin nicht für die Moskauer Deklaration und nehme auch kein Gewehr in die Hand. Es ist gleich, ob ich in einem Aggressionskrieg oder in einem Verteidigungskrieg kaputtgehe. Mit der Aufstellung Nationaler Streitkräfte bin ich nicht einverstanden. Westdeutschland rüstet auch nur zur Verteidigung.« Dieser Diskussion schlossen sich ca. 15 bis 20 Arbeiter der Klempnerei an. Aus diesem Grunde wurde auch eine Entschließung abgelehnt.

Verschiedentlich zeigt sich, dass auch unter den Mitgliedern unserer Partei Unklarheiten bestehen und es kommt ebenfalls zu ablehnenden Äußerungen. So sagte z. B. ein Genosse aus dem Leuna-Werk »Walter Ulbricht«, dass es der größte Unsinn wäre, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Er würde das nie wieder tun.

Ein Genosse vom Konsum der Stadt Leipzig: »Ich bin ein alter Sozialist und habe bereits im Kapp-Putsch mitgekämpft.31 Damals habe ich gewusst, gegen wen ich schieße und ich bin stolz, dabei gewesen zu sein. Jetzt aber weiß ich, dass ich auf meine Brüder und Schwestern in Westdeutschland schießen muss und vor allem auch auf SPD- und KPD-Genossen. Weiterhin ist es zzt. jetzt so, dass ein neuer 17. Juni [1953] heranreift und man weiß noch nicht, was sich alles ereignen wird.«

Vielfach wird auch unter der Bevölkerung die Meinung vertreten, dass eine kriegerische Auseinandersetzung unausbleiblich sei. Aus diesem Grunde kam es sogar so weit, dass im Bez[irk] Karl-Marx-Stadt ganz vereinzelt Hamstereinkäufe getätigt wurden. Zum Beispiel sagte eine Hausfrau aus Hohenstein-Ernstthal: »Sämtliches Geld, was mir in die Hände kommt, verwende ich zum Einkauf, weil wir bald einen neuen Krieg haben werden.«

Eine Putzfrau aus Saalfeld: »Mein Sohn will, dass ich mit Arbeiten aufhöre, damit wir noch eine Zeit zusammensein können. Da ja die Jugendlichen bald auf dem Schlachtfeld verbluten müssen.«

[In] indirekt feindlichen Äußerungen, die umfangmäßig gering sind, wird vielfach argumentiert, dass bei uns ja in der Form der KVP bereits lange eine Armee bestehen würde.32 Zum Beispiel sagte ein Einwohner aus Borkow,33 [Kreis] Sternberg, [Bezirk] Schwerin: »Westdeutschland ist ja gezwungen, ein 500 000-Mann-Heer aufzustellen, da wir in der DDR schon lange ein Heer haben. Also ist Westdeutschland in seiner Handlungsweise gerechtfertigt.«

Eine Hausfrau aus Klüden, [Bezirk] Magdeburg: »Man spricht immer von der Remilitarisierung in Westdeutschland. Bei uns wird doch auch ständig die Polizei verstärkt. Mein Sohn sollte schon einmal dazugehen, aber wir lehnen das ab.«

Anlage 2 vom 8. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2386

Stimmung aus Berlin über das Wahlergebnis in Westberlin34

Das Wahlergebnis hat in den Betrieben und Verwaltungsstellen eine lebhafte Diskussion hervorgerufen. Ein großer Teil der Kollegen ist über das Ergebnis für die SED enttäuscht. Dies macht sich auch bei einem großen Teil der Wahlhelfer bemerkbar, da sie aufgrund ihrer vielen Einsätze ein besseres Ergebnis erwartet hatten. So sind z. B. die Kollegen der Verwaltung HO Industriewaren Weißensee, die an Einsätzen in Westberlin teilnahmen, über das Ergebnis enttäuscht. Sie rechneten, aufgrund der gesammelten Erfahrungen bei den Diskussionen, damit, dass in den Arbeitervierteln die SED mehr Stimmen erhält.

Verschiedene Genossen vom Rat des Stadtbezirkes Mitte sind durch den Ausgang der Wahlen niedergeschlagen und vertreten die Meinung, dass ihre Arbeit zur Vorbereitung der Wahl umsonst gewesen sei.

Die FDJler im Straßenbahnhof Niederschönhausen sind ebenfalls enttäuscht. Von einigen wird die Ansicht vertreten, dass sie und alle anderen Wahlhelfer durch ihren Einsatz nur der SPD geholfen haben.

In den Diskussionen wird wiederholt geäußert, dass die Westberliner aufgrund des Schwindelkurses an einer Änderung der Verhältnisse nicht interessiert seien. Oft fordert man dabei Maßnahmen, die es den Westberlinern unmöglich machen, sich im demokratischen Sektor für wenig Geld sattzuessen und Einkäufe zu tätigen. So erklärten z. B. einige Kollegen der Verwaltung der Konsum-Genossenschaft in Weißensee: »Die Westberliner haben kein Interesse an der politischen Entwicklung, solange sie sich aufgrund des Schwindelkurses bei uns sattessen können.«

VP-Angehörige verschiedener Reviere des Bezirks Prenzlauer Berg sind der Ansicht, dass eine Verfügung herausgegeben werden sollte, wonach Westberliner in den Gaststätten des demokratischen Sektors keine Waren für wenig Geld erhalten. Außerdem müssten die Personen, die Lebensmittel nach dem Westsektoren verschieben, härter bestraft werden.

Ganz vereinzelt erklärte man, dass die Sektorengrenzen geschlossen werden müssten.

In einigen Betrieben bringen Arbeiter unverholen ihre Freude über das Abschneiden der SED zum Ausdruck. So waren z. B. einige Arbeiter aus der Dreherei des VEB »7. Oktober« erfreut, dass »die SED bei den Wahlen einen Misserfolg erlitt«.

Fünf Maschinenarbeiter des VEB Kabelwerk Oberspree brachten ihre Freude zum Ausdruck, dass die SED die 5-Prozent-Klausel nicht erreicht hat. Zwei Arbeiter erklärten, dass dieses Ergebnis zu erwarten war. Zwei andere Kollegen äußerten in diesem Zusammenhang, dass Adenauer mit der Wiederaufrüstung eine richtige Politik betreibe.

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