Zur Beurteilung der Situation in der DDR
13. Dezember 1954
Informationsdienst Nr. 2390 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Mittelpunkt der Diskussionen über politische Tagesfragen steht weiterhin die Moskauer Konferenz.1
Zur Frage der Weihnachtsgratifikationen diskutiert weiterhin ein größerer Teil der Arbeiter, besonders die Kollegen, die über 500 DM verdienen.2 Sie sind meist unzufrieden, dass sie keine Gelder erhalten. Dazu wird oft angeführt, dass sie die 500-DM-Grenze nur deshalb überschreiten, weil sie Produktionsverpflichtungen übernommen haben. In einigen Betrieben will man deshalb die Verpflichtungen zurückziehen. Im VEB (K) Baubetrieb Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, muss z. B. auf der Baustelle Filmtheater in drei Schichten, auch sonn- und feiertags gearbeitet werden. Dadurch wird die 500-DM-Grenze überschritten. Die Eisenleger dieser Baustelle, die am 10.12.[1954] bei der Auszahlung kein Weihnachtsgeld erhielten, wollten deshalb die Arbeit einstellen.3 Durch Überzeugung von der BPO-Leitung arbeiteten sie weiter, verlangten jedoch eine Regelung durch die Gewerkschaft.
In der Zuckerfabrik Nauen, [Bezirk] Potsdam, beträgt der Verdienst der meisten Arbeiter bei normaler Arbeitszeit weniger als 500 DM. Wegen Arbeitskräftemangel haben sich die Arbeiter verpflichtet, wöchentlich 56 Stunden zu arbeiten. Sie erhalten dadurch über 500 DM und keine Weihnachtsgratifikation. In den lebhaften Diskussionen bezeichnen sie dies als ungerecht und Bestrafung. Der BPO-Leitung erklärten mehrere Arbeiter, dass sie ihre Verpflichtungen zurückziehen und nie wieder Überstunden leisten wollen, wenn die Verordnung nicht geändert wird.4
Die Kollegen der Abteilung Brennerei des VEB Porzellanwerkes in Neuhaus, [Bezirk] Suhl, sind sehr empört, dass sie keine Weihnachtsgratifikationen erhalten. Aufgrund des Kohlenmangels arbeiten sie an Sonn- und Feiertagen. Durch die Zuschläge dafür liegt der Lohn über 500 DM. In den Diskussionen äußern sie: »Wir haben uns eingesetzt, keinen Sonn- und Feiertag gehabt und jetzt bekommen wir nicht einmal etwas zu Weihnachten. Nächstes Jahr kann der Plan hängen, wo er will. Wir werden uns nicht mehr einsetzen.«5
Einige Bauarbeiter der Bau-Union Frankfurt/Oder aus Neuenhagen: »Die 500-DM-Grenze ist nicht richtig. Es gibt einen Grund- und einen Leistungslohn. Wer fleißig ist und seine Norm übererfüllt, wird immer mehr verdienen als ein Faulenzer, der bei der Arbeit bummelt. Für dieses Bummeln erhält er jetzt noch eine Belohnung und das ist nicht richtig.«
Ähnliche Diskussionen werden von den Kollegen des VEB Personenkraftverkehr in Potsdam-Babelsberg, den Kolleginnen der Abteilung Handpresserei des VEB Keramische Werke [Hermsdorf, Bezirk] Gera, und einem großen Teil der Arbeiter des VEB Kodak Berlin bekannt.6
Über die Rentabilität des Betriebes wurde am 10.12.1954 in einer Belegschaftsversammlung des Weichenwerkes Brandenburg-West in Potsdam gesprochen. In der Diskussion meldeten sich 38 Kollegen zu Wort und zeigten Fehler und Mängel in der Produktion auf. Stark wurde die Materialversorgung kritisiert. So führte ein Kollege an, dass das Weichenwerk Schrauben für die Weichenherstellung erhält, die wegen falscher Maße zur Hälfte abgeschnitten werden müssen. Andere Kollegen kritisierten, dass die Verbesserungsvorschläge zu wenig Beachtung finden.
In der Neptunwerft Rostock wurde von einigen Angestellten zu der Frage der Rentabilität der Betriebe feindlich gesprochen. So erklärte z. B. ein Angestellter der Planung der Werft: »Es ist wieder Zeit, dass einige unbeliebte Kollegen gehen müssen, damit man einen neuen Wasserkopf bilden kann. Man soll lieber zugeben, dass der Staat bankrott ist, dann werden die Arbeiter schon eine Antwort finden.« Ein anderer Angestellter der Planung: »Jetzt, wo der Staat pleite ist, müssen die Arbeiter wieder die Suppe auslöffeln. Man soll da oben endlich Leute hinsetzen, die etwas vom Regieren verstehen.«
Unter den Bauarbeitern des Wohnungsbaus Lauchhammer besteht eine Missstimmung, weil verschiedene Wohnblocks, die im Dezember fertiggestellt werden sollen (50 Wohnungseinheiten), nicht mehr beendet werden. Teilweise müssen nur noch Waschbecken, Ofenanschlüsse, Türen und Ähnliches eingebaut werden. Die Bauarbeiter sind der Meinung, dass eine vorläufige Einstellung des Wohnungsbaues mehr Geld erfordert, als wenn man sie fertigstellen wollte. Da hierüber unter den Kollegen im großen Umfang diskutiert wird, wurde der Zentralvorstand der Gewerkschaft unterrichtet, hat jedoch bis heute noch keine Antwort gegeben.
Wie bereits berichtet, besteht unter den Lokfahrern vom Wismut-Schacht 207,7 besonders aber im Schacht 13 in Aue, eine Missstimmung infolge Unstimmigkeiten in der Verrechnung der Arbeitsleistungen. Aufgrund der Beschwerden wurde jetzt in einer Versammlung beschlossen, dass das letzte viertel Jahr mit 111 Prozent bezahlt wird. (Vorher sollten kaum 50 Prozent bezahlt werden.) Darüber wird jetzt von den Kollegen diskutiert und gefordert, dass eine Überprüfung im Schacht 13 vorgenommen wird.
Im VEB Turbinenfabrik Dresden sind Terminverzögerungen im Energiebauprogramm entstanden. Die Ursachen liegen vor allem im Mangel an Hilfsaggregaten und Hilfsmitteln für Erprobungsmöglichkeiten. Mittel zur Beschaffung solcher Geräte werden nicht zur Verfügung gestellt, weil z. B. eine Antriebsturbine 200 [000] bis 300 000 DM kostet. Auf der anderen Seite wurden jedoch für die improvisierte Erprobung einzelner Turbinen in Kraftwerken schon mehrere 100 000 DM verwendet. So hat z. B. die Erprobung der zwei Turbosätze für China im Kraftwerk Espenhain nahezu 1 Million Mark gekostet.8
Im VEB Konservenfabrik Golßen, [Bezirk] Cottbus, kann der Produktionsplan nicht erfüllt werden, da bis heute noch keine realen Planzahlen vorhanden sind.
Kohlenmangel besteht in mehreren Betrieben, wodurch die Planerfüllung gefährdet ist und vereinzelt Betriebe stillgelegt werden müssen.
Im Wismut-Objekt 101 in Crossen wurde die Brikettzufuhr stark herabgemindert, wodurch eine reibungslose Produktion nicht gewährleistet ist. Des Weiteren musste wegen Nichtanlieferung von Rohbraunkohle der auf Rohbraunkohle umgestellte Dampfkessel wieder auf Brikettfeuerung umgestellt werden. Unter den im Kesselhaus Beschäftigten hat dies eine Missstimmung hervorgerufen, da diese Maßnahmen nicht im Einklang stehen mit der Forderung der Partei und Regierung, die Feuerung auf Rohbraunkohle umzustellen.9
Im VEB Lederfabrik Hirschberg, [Bezirk] Gera, müssen wegen Mangel an Rohbraunkohle Briketts verfeuert werden.
Im VEB Kombinat Greizer Kammgarnspinnereien, [Bezirk] Gera, besteht ein Kohlenvorrat für nur noch drei Tage.
Im VEB Plattenwerke Meißen, Jutespinnerei Meißen, Kabelwerk Meißen und Roßhaarweberei Coswig, [Bezirk] Dresden, bestehen große Schwierigkeiten in der Kohlenversorgung.
Im VEB Hausschuhfabrik Hartha, [Bezirk] Leipzig, reicht der Kohlenvorrat nur noch bis zum 13.12.[1954]. Wenn keine neue Lieferung eintrifft, muss der Betrieb die Arbeit einstellen.
Im VEB RFT Bautzen, [Bezirk] Dresden, sind die Herstellungskosten für die Massenbedarfsgüterproduktion (Fahrraddynamos) zu hoch. Ein Dynamo würde 25,00 DM kosten, darf jedoch nach der Preisvorschrift nur für DM 15,00 verkauft werden. Auch die Qualität der Dynamos ist mangelhaft.
Durch die KVP-Werbung im VEB Maxhütte Unterwellenborn war ein Teil der Jugendlichen des Betriebes beunruhigt, da ein Leutnant der Kreisregistrierabteilung Saalfeld den Jugendlichen, die nicht in die KVP eintreten wollten, erklärte: »Wenn ihr nicht geht, dann werdet ihr sowieso in Kürze zur KVP eingezogen.«10
Am 9.12.1954 wurde der Werkleiter des Braunkohlenwerkes Greifenhain, [Kreis] Cottbus, republikflüchtig. Er hat Betriebsunterlagen sowie eine wissenschaftliche Arbeit des Professor Bilkenroth11 über das BKW, die noch nicht veröffentlicht war, mitgenommen.12
Handel und Versorgung
Besondere Mängel bestehen teilweise in der Versorgung mit Weihnachtsbedarf und Kohlen. So fehlt es z. B. in Halle, [Kreis] Wittenberg, und anderen Kreisen des Bezirkes Halle an Rosinen, Mandeln, Zitronen, Zitronat, Apfelsinen, Eiern und Schokoladenerzeugnissen.
Im Bezirk Rostock an HO-Butter, Eiern, Südfrüchten. Im Bezirk Suhl an Eiern, im Bezirk Potsdam an Schokoladenerzeugnissen.
Der Kohlenmangel macht sich besonders in den Bezirken Suhl und Cottbus bemerkbar. Im Bezirk Suhl ist vor allem der Kreis Bad Salzungen davon betroffen, wo einige Orte fast gar nicht beliefert wurden und einzelne Familien ohne Kohlen sind.
Im Kreis Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, haben verschiedene Bäckereien nur noch für kurze Zeit Kohlen, da alle Bemühungen für weitere Lieferungen beim Kreisrat und der DHZ Kohle in Cottbus ohne Erfolg geblieben sind.
Eine große Nachfrage nach Winterkonfektion besteht im Bezirk Schwerin, wo besonders die ländlichen Kreise schlecht beliefert werden bzw. von der Zuteilung ausgeschlossen sind.
Im Kreis Güstrow, [Bezirk] Schwerin, lagern 6 360 Dosen sowjetische Fischkonserven. Diese konnten trotz großer Nachfrage nicht verkauft werden, da die Preise nicht festgelegt waren. Das zentrale Absatzkontor für Fischwirtschaft Schwerin teilte allen Verteilungsstellen der HO und KG mit, dass diese Fischkonserven am 2.1.1955 verkauft werden können. Außerdem steht im Bezirk ein großes Kontingent an Strömlingen in 350-Gramm-Dosen zur Verfügung, die für Weihnachten vorgesehen waren. Auch diese sollen nach den Sonderpreisen vom 4.6.1954 erst ab 2.1.1955 verkauft werden.13
In Wittenberg, [Bezirk] Halle, trafen in zwei Transporten insgesamt 639 Schweine aus Wismar, [Bezirk] Rostock, ein. In jedem Waggon waren statt 60, 90 Schweine verladen. 18 Schweine mussten sofort notgeschlachtet werden und fünf sind verendet. Solche Fälle sind öfter vorgekommen.14
Landwirtschaft
Im Vordergrund der politischen Diskussionen steht weiterhin die Moskauer Deklaration in Bezug auf die nationalen Streitkräfte, zu der hauptsächlich der sozialistische Sektor Stellung nimmt.
Negativ zur Weihnachtsgratifikation verhalten sich besonders die Werkstattarbeiter der MTS im Bezirk Schwerin. Sie fordern, dass man dafür keine Grenzen festlegen solle, da sie dadurch mit einem Bruttogehalt von DM 580 von der Weihnachtsgratifikation ausgeschlossen werden.
Unzufriedenheit herrscht in einigen LPG des Kreises Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, über die Abteilung Erfassung und Aufkauf beim Kreisrat wegen der Jahresendabrechnung. Die Genossenschaftsbauern kritisieren die Arbeitsweise dieser Abteilung wie folgt: »Wir sollen termingemäß unsere Jahresendabrechnung erstellen, können es aber nicht, weil die o. g. Abteilung nicht rechtzeitig unsere Ablieferungsbescheide zuschickt.«
Verschiedentlich werden immer wieder neue Fälle von erfrorenen Kartoffeln bekannt, die durch unsachgemäße Behandlung verursacht wurden. In der LPG Gerswalde, [Kreis] Templin, [Bezirk] Neubrandenburg, sind während der Frostperiode ca. 500 dz Kartoffeln erfroren, da der Vorsitzende keine Anweisung gab, die Kartoffeln zuzudecken. Daraufhin versuchte er die Schuld auf den verantwortlichen Brigadier abzuschieben und drohte ihm mit Anzeige. Aufgrund dessen ist der Brigadier republikflüchtig geworden.
Im ÖLB Kuhz, [Kreis] Templin, [Bezirk] Neub[randenbur]g, sind 400 Ztr. und in der LPG Passin, Kreis Bützow, [Bezirk] Schwerin, ca. 800 Ztr. Kartoffeln auf den Feldern erfroren. Die Kartoffeln waren nur mangelhaft zugedeckt und die LPG Passin begründet es mit dem Mangel an Hilfskräften.
Ersatzteilmangel und andere Mängel in den MTS. In den MTS des Bezirkes Rostock fehlen genauso wie im Vorjahr Ersatzteile zur Reparatur von Traktoren. Besonders wird über das Fehlen von Bremslagern geklagt.
In der MTS Berga, [Bezirk] Gera, konnte das Ziehen der Winterfurche nicht durchgeführt werden, da mehrere Traktoren ausgefallen sind. Es fehlen Ersatzteile für die Reparatur.
In der MTS Steinhagen, [Kreis] Bützow, [Bezirk] Schwerin, fehlen besonders für die Pflüge Ersatzteile, bei der Herbstarbeit. Das Gleiche trifft auch für die MTS Severin und Roggendorf, [Bezirk] Schwerin, zu.
Von den Außenstellen der MTS Kauern, [Kreis] Gera, aus den Orten Raitzhain und Rückersdorf, [Kreis] Gera, wird bekannt, dass die Geräte und Maschinen zum größten Teil im Freien aufbewahrt und der Witterung ausgesetzt werden. Hinzu kommt, dass keine Bewachung vorhanden ist und dadurch der Schädlingsarbeit Vorschub geleistet wird.
In der MTS Süd Magdeburg wurde festgestellt, dass im Laufe des Jahres eine Fluktuation von 40 Kollegen zu verzeichnen ist. Als Begründung wurden teils die schlechte Arbeitsorganisation und das gleichgültige Verhalten des Leiters der MTS angegeben. Ein anderer Teil ging mit der Begründung, dass sie lieber im Betrieb arbeiten wollen, weil dort mehr zu verdienen ist.
Im Kreis Doberan, [Bezirk] Rostock, häufen sich die Fälle, wo Umsiedler ihre Wirtschaft abgeben wollen und dies auch tun, sodass sich die Flächen der ÖLB ständig vergrößern.15 Das Alter der Bauern liegt dort durchschnittlich bei 52 bis 65 Jahren, weil ein großer Teil der Landarbeiter in die Industrie abgezogen ist. Die Bauern begründen die Abgabe ihrer Wirtschaft in den meisten Fällen mit Alter und Krankheit.
In den Orten Kleinoptiz, Tharandt und Pohrsdorf, Kreis Freital, [Bezirk] Dresden, sind Fälle von einer Rinderpest aufgetreten. Bisher konnte jedoch nicht festgestellt werden, um welche Krankheit es sich handelt. Zurzeit beschäftigen sich sowjetische Wissenschaftler mit dieser Angelegenheit.16
Übrige Bevölkerung
Zu politischen Problemen wird wenig Stellung genommen. Es kommt lediglich zu Diskussionen über die Moskauer Deklaration, wobei die Frage der Sicherung nach Ratifizierung der Pariser Verträge17 besondere Beachtung findet.
Unter der übrigen Bevölkerung wird vorwiegend über wirtschaftliche Fragen gesprochen. Eine mangelhafte Kohlenversorgung und das ungenügende Warenangebot vor allem im Weihnachtsgeschäft werden besonders kritisiert. Im Kreis Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, herrscht z. B. eine negative Stimmung, weil große Mängel in der Kohlenversorgung bestehen. Verschiedene Gemeinden wurden überhaupt noch nicht mit Kohle beliefert. Die Bevölkerung ist deshalb empört, weil in der Presse von der Planerfüllung geschrieben wurde und in Wirklichkeit sei nichts davon zu sehen.
Im Kreis Herzberg, [Bezirk] Cottbus, ist die Bevölkerung ebenfalls wegen der Kohlenbelieferung verärgert. Es sind Fälle vorhanden, wo bereits im Frühjahr die Kohlen bei der Konsumgenossenschaft bestellt wurden und bis jetzt noch nicht zur Auslieferung kamen, während die privaten Kohlenhändler bereits zweimal lieferten.
Eine Sekretärin aus dem VEB Chemiewerk Greiz-Dölau, [Bezirk] Gera, sagte zur Versorgung mit Schuhen Folgendes: »In einer Rundfunkreportage aus Leipzig hörte ich einen Bericht aus einem HO-Spezialgeschäft über die vorweihnachtlichen Eingänge von Schuhen aller Sorten und Preislagen, so u. a. von den sehr begehrten gefütterten Stiefeletten. Da ich schon nahezu ein Jahr diese Schuhe suche, fuhr ich nach Leipzig, um mir solche Schuhe zu kaufen. Vergebens! Achselzuckenderweise erwiderten mir die Verkäuferinnen sämtlicher aufgesuchter Verkaufsstellen im Zentrum Leipzigs, dass man mir nicht dienen könne. Wieso bringt man aber über den Rundfunk derartige Veröffentlichungen, wenn man gegebenenfalls nur ein paar Schuhe hat, die unter der nächsten Bekanntschaft aufgeteilt werden. Nachfragen in Gera, Potsdam, Plauen ergaben das gleiche Bild.«
Da die Einwohner von der Gemeinde Löwenberg, [Kreis] Gransee, [Bezirk] Potsdam, mit dem Warenangebot des Weihnachtsmarktes in Gransee nicht zufrieden sind, fahren sie auf den Weihnachtsmarkt im demokr[atischen] Sektor zum Einkauf. Sie sind aber nicht damit einverstanden, dass ihnen die auf dem Weihnachtsmarkt gekauften Waren in Hohen Neuendorf bei der Kontrolle abgenommen werden und schlagen vor, dass die Waren auf dem Weihnachtsmarkt auch mit Kassenzetteln verkauft werden.
Da zurzeit im Kreis Neuruppin ein Mangel an Schlachtfetten in der HO besteht, kommt es zu Diskussionen wie z. B., dass die Fettversorgung schlecht sei, weil wegen der Schaffung einer Armee in der DDR begonnen würde, Staatsreserven zu lagern. In einzelnen Ortschaften des Kreises werden Schlachtfette schon pfundweise gehamstert.
Von den Handwerkern des Kreises Löbau, [Bezirk] Dresden, wird darüber geklagt, dass Gips und Schlemmkreide im Handel sehr schwer erhältlich sind. Zum Beispiel sagte ein Ofensetzer aus Oberoderwitz: »Die Warenexporte sollte man nicht so durchführen, dass im eigenen Lande ein Engpass an diesen Waren entsteht.«
Unter den Rentnern kommt es immer wieder vereinzelt zu Diskussionen darüber, dass sie keine Weihnachtszuwendungen erhalten. Zum Beispiel diskutieren Rentner aus Cottbus, dass man zwar an die Arbeiter und Angestellten in Bezug auf die Weihnachtsgratifikation gedacht habe, aber nicht an sie, wo doch ihr Einkommen an Rente so gering sei. Sie würden bloß immer mit Kaffee und Kuchen zum Weihnachtsfest abgespeist.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:18 Potsdam, Kreis Falkensee,19 5 000, Kreis Brandenburg 1 500, Halle 150, Neubrandenburg, Kreis Templin, 70, Karl-Marx-Stadt, Dresden und Rostock einige.
NTS:20 Schwerin 3 000 (2 Pakete), Frankfurt, Kreis Seelow, 2 000, Cottbus, Kreis Herzberg, 1 400, Magdeburg 400, Halle, Kreis Quedlinburg, 430, Kreis Aschersleben 300, Potsdam einige.
KgU:21 Karl-Marx-Stadt einige.
»Der Tag«:22 Leipzig 2 000.
»Tarantel«:23 Schwerin 50.
In tschechischer Sp[rache]: Dresden, Kreis Bautzen, 11 000.
Die Hetzschriften wurden meist durch Ballons eingeschleust und sichergestellt.
In der Nacht zum 10.12.1954 haben bisher unbekannte Täter in die Wohnung des freiwilligen VP-Helfers und Erfassers bei der Kreis-VEAB in Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, wohnhaft Alt Ruppin, einen faustgroßen Stein geworfen.
Der Vorsitzende der LPG »Otto Grotewohl« in Austerlitz,24 [Bezirk] Leipzig, erhielt einen Brief mit folgendem Inhalt: »So sollst Du elender Lump enden.« Daneben war ein Zeitungsausschnitt mit dem Bild von der Ermordung von Freiheitskämpfern.
Gerücht
Im VEB Sächsisches Kunstseidenwerk Pirna, [Bezirk] Dresden, wird folgendes Gerücht verbreitet: »In Riesa wurden nach Bekanntwerden der Deklaration der Moskauer Konferenz 50 Kollegen verhaftet. Diese hatten sich geweigert, Kartuschen zu drehen. Die Doppelstockwagen der Reichsbahn sind für Militärtransporte und die übrigen neuen Wagen für Lazarettzüge.«
Anlage vom 13. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2390
Stellungnahmen zur Moskauer Deklaration
Im Mittelpunkt der politischen Gespräche steht weiterhin die Moskauer Deklaration in Verbindung mit den Ausführungen der Genossen Grotewohl25 und Ulbricht26 vor der Volkskammer.27 Dabei zeigt sich nach wie vor, dass hauptsächlich über die Frage der Aufstellung Nationaler Streitkräfte gesprochen wird. Die Diskussionen werden immer wieder in der Form geführt, als ob die Einführung der Wehrpflicht in der DDR unmittelbar bevorstünde. Meist wird nur von fortschrittlichen Kräften davon gesprochen, dass alles zur Verhinderung der Ratifizierung der Pariser Verträge getan werden muss und erst dann, wenn dies nicht gelingen sollte, muss unsere Regierung zu Sicherungsmaßnahmen greifen.
Bei einem beachtlichen Teil zeigen sich immer wieder große Unklarheiten über den Charakter Nationaler Streitkräfte, deshalb auch die vielen ablehnenden Stellungnahmen.28 Nach wie vor wird zum Ausdruck gebracht – meist von Arbeitern, Angestellten und Jugendlichen – dass sie für den Frieden sind und in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen wollen. Es dürfte auf keinen Fall zu einem Krieg kommen. Dies würde aber der Fall sein, wenn in der DDR Nationale Streitkräfte aufgestellt würden. Einige sind der Meinung, wenn in der DDR nicht »aufgerüstet«, uns auch der Westen nicht angreifen würde. [sic!]
Unter den Jugendlichen kommt es nach wie vor zu Äußerungen, dass sie, wenn sie einen Gestellungsbefehl erhalten, diesen zerreißen wollen. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter vom VEB Textima Aue: »Ich bin mit der Aufstellung Nationaler Streitkräfte nicht einverstanden. Ich habe den Zweiten Weltkrieg mitgemacht und weiß, was das Soldatenleben zu bedeuten hat. Jetzt habe ich Familie und will nicht wieder eingezogen werden. Ich möchte nicht nochmals in der Ungewissheit leben, als Krüppel oder gar nicht wiederzukommen. Ich gehe auf keinen Fall zu den Nationalen Streitkräften und zerreiße jeden Gestellungsbefehl.«
Ein Arbeiter aus einem Sägewerk in Lübz, [Bezirk] Schwerin: »Wenn die Pariser Verträge ratifiziert werden, dann wird bei uns ebenfalls aufgerüstet, was zwangsläufig zum Krieg führen muss.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Textima Hohenstein-Ernstthal: »Wenn wir keine Nationalen Streitkräfte aufstellen, wenn also bei uns nicht geschossen wird, können die anderen auch nicht schießen. Sie sollen uns in Ruhe und Frieden unserer Arbeit nachgehen lassen. Mit ihren Nationalen Streitkräften sollen sie uns in Ruhe lassen.«
Einige Hausfrauen aus St. Egidien, [Kreis] Glauchau:29 »Wir haben unsere Männer in dem letzten Krieg eingebüßt und haben unsere Kinder unter großen Opfern großgezogen. Nun sollen sie Soldat werden. Die Uniformen werden nicht zum Spaß angezogen, da hat es hinterher immer Krieg gegeben.«
Ein CDU-Mitglied aus Osterfeld, [Kreis] Zeitz, [Bezirk] Halle: »Wir wollen kein Militär, im Osten und im Westen nicht. Es ist genug VP zum Schutze unserer Grenzen da. Ich getraue mir nicht, unter den Leuna-Arbeitern im Bus fortschrittlich zu diskutieren, denn ich muss gewärtig sein, dass diese den Autobus anhalten lassen und ich dann zu Fuß weitergehen muss.«
Verschiedentlich wird auch die Meinung vertreten, dass sich durch die Aufstellung der Nationalen Streitkräften der Lebensstandard verschlechtert und sich die ganze wirtschaftliche Lage keineswegs bessern würde.30 Zum Beispiel sagte ein Angestellter aus dem VEB »Blema« Aue: »Es hat jedoch alles keinen Sinn, da der Westen nicht nachgibt. In der DDR wird aufgerüstet werden, die Lebensmittelkarten bleiben und der Lebensstandard wird nicht mehr steigen.«
Der Verkaufsstellenleiter des Konsums in Putlitz, [Kreis] Pritzwalk: »Ich glaube, im nächsten Jahr werden wir nicht so viele Waren bekommen wie in diesem Jahr. Es werden doch viele Mittel für die Aufstellung unserer Nationalen Streitkräfte benötigt.«
Ein Ingenieur aus dem Funkwerk Köpenick: »Man kann sich vorstellen, was die Schaffung Nationaler Streitkräfte für uns wirtschaftlich bedeuten wird. Unsere Aufbauarbeit wird dadurch gehemmt und der Lebensstandard wird bedeutend sinken.«
Des Weiteren kommt es immer wieder zu Gerüchteverbreitungen, um die Bevölkerung zu beunruhigen. Feindliche Elemente hetzen nach wie vor gegen unsere Regierung und die SU. Zum Beispiel sagten einige Hausfrauen in einem Geschäft in Oschersleben, dass das Brot bald wieder rationiert wird und dass es ab 1.1.1955 teurer werden soll.
Ein Arbeiter von der Baustelle Großkokerei Lauchhammer, [Kreis] Senftenberg: »Ab 1.1.[1954] wird die Wehrpflicht eingeführt. Wir haben aber doch Verwandte im Westen. Sollen wir auf unsere Brüder schießen? Es wird sich ja zeigen, wo die Flinte hinschießt.«
Ein Lokheizer aus dem Bahnwerk Erfurt sagte zu seinen Kollegen: »Habt ihr nicht gehört, am Mittwoch geht’s los. Bis zu 36 Jahren werden sie bei uns eingezogen. Wenn sie wenigstens bei der Wahrheit blieben. Voriges Jahr haben sie etwas anderes gesagt. Jetzt sieht man ja, was los ist, sie haben immer nur die große Klappe.«
In der Lehrwerkstatt des RAW Stendal, [Bezirk] Magdeburg, traten einige negative Meinungen auf und zwar, dass die Amis niemals für den Krieg wären, dass aber am 17. Juni 1953 weibliche Volkspolizisten auf unschuldige Frauen und Kinder geschossen hätten.
Ein Schlosser aus Westhausen, [Kreis] Hildburghausen, [Bezirk] Suhl: »Ein neuer Krieg ist unvermeidbar, wegen dieser paar Großen soll das kleine Volk wieder bluten. Sie sollen sich doch gegenseitig schlagen. Wenn es zu einer Auseinandersetzung kommt, gehen die SED-Leute sowieso nicht mit, nur die anderen müssen dann.«
Ein Angestellter (parteilos) vom Konsum in Meißen, [Bezirk] Dresden: »Die drüben haben schon recht, wenn sie immer sagen, die Ostzone hat so und so viel bereits unter Waffen. Das Pariser Abkommen ist für unsere ein gefundenes Fressen, da brauchen sie wenigstens ihre Absichten nicht mehr verheimlichen. Sie holen uns alle noch einmal. Es ist doch Wahnsinn, was da getrieben wird. Erst quatschen sie: Nie wieder Soldat, und jetzt? Sie sollen sich nur einmal die Stimmung der breiten Masse anhören. Es herrscht keine Begeisterung für die Moskauer Beschlüsse.«
Ein Angehöriger der KVP aus Weißenfels, [Bezirk] Halle: »Man braucht den Jugendlichen nichts von den politischen Ereignissen zu erzählen. Wenn die Gestellungsbefehle verteilt werden, geht die gesamte Jugend geschlossen nach dem Westen. Drüben wissen sie wenigstens, für wen sie kämpfen, hier aber nicht.«
Ein Geschäftsinhaber aus Großenhain: »Im Westen hört man nicht den Rummel von einer drohenden Kriegsgefahr. Nur hier zieht man so ein Palaver auf. Die wollen doch nur ihre eigenen Absichten vertuschen. Was hat denn Russland im letzten Krieg gemacht. Von Amerika mächtige Kriegslieferungen auf Pump empfangen. Sie glauben, stark genug zu sein, um gegen den Westen die Waage halten zu können. Mich bekommen sie nicht wieder in die Uniform.«
Ein Umsiedler aus Lalchow, [Kreis] Lübz, [Bezirk] Schwerin: »Es ist alles Unsinn, was hier im Osten gesagt wird. Der Westen bedroht keinen. Früher waren in jeder Gemeinde drei bis vier Polizisten tätig, heute reichen zehn nicht mehr aus. Lasst erst den Westen hier sein, dann wird auch hier alles anders werden. Mich bringen sie für diesen Dreck hier nicht mehr in Begeisterung.«
Ein Student aus Dresden: »Bis jetzt war mir Grotewohl noch der Sympathischste von den allen. Nachdem er aber so auf die Pauke haut, ist er bei mir durch. Ich sehe nicht die Notwendigkeit ein, unsere Errungenschaften zu verteidigen, da man für mich nicht mehr als 80,00 DM Stipendium übrighat.«