Zur Beurteilung der Situation in der DDR
14. Dezember 1954
Informationsdienst Nr. 2391 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Diskussionen über die Moskauer Konferenz stehen im Vordergrund der Gespräche über politische Tagesfragen.1 Im geringen Umfang wird noch zum Ausgang der Westberliner Wahlen gesprochen.2 Hierbei zeigt sich ein Teil der Arbeiter und Angestellten enttäuscht über das Ergebnis für die SED. Teilweise fordert man, den Westberlinern im demokratischen Sektor nichts mehr zu verkaufen oder sogar die Sektorengrenzen zu schließen.
Vereinzelt wurden negative Meinungen bekannt, in denen eine feindliche Einstellung zur SED und DDR zum Ausdruck kommt. So äußerte z. B. ein Arbeiter vom RFT Elektrotechnik Eisenach: »Endlich hat die SED in Westberlin eine gewaltige Abfuhr erhalten. Nun erzählt man, dass sie an der Wahl gehindert wurden. Das ist und bleibt ein Lügenpack.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Tufa Cottbus:3 »Ich dachte, die SED wollte das Rennen machen. Sie sind doch gehörig reingefallen, wie es überall im Westen passieren würde.« Ein Vorschlosser aus dem gleichen Betrieb: »Die Berliner wussten schon, was sie machen. Denn sie wissen ja, wie es im Ostsektor und in der Zone zugeht.«
Ein Arbeiter vom Kraftwerk Trattendorf: »Da sieht man, welche Schlappe die SED bei wirklich freien Wahlen erleidet.«
Ein Elektriker vom RFT Elektrotechnik Eisenach: »Gegenüber 1946 so viele Stimmen zu verlieren zeigt, wie beliebt sie noch sind.«4
Einen größeren Umfang nehmen weiterhin die Diskussionen über die Weihnachtszuwendungen ein. Dabei zeigt sich eine Unzufriedenheit unter einem großen Teil von Kollegen, die mehr als 500 DM Bruttoeinkommen haben.5 Sie erhalten diesen Lohn meist wegen erhöhter Leistungen und fühlen sich jetzt zurückgesetzt. Ein Teil will deshalb keine Mehrleistungen mehr übernehmen. In den Bezirken Potsdam und Frankfurt/Oder haben die Diskussionen zugenommen.
Im VEB Schamottewerk Thonberg, [Bezirk] Dresden, äußerte ein Arbeiter: »Wir werden keine Sonntagsschichten und freiwilligen Arbeitseinsätze mehr durchführen, wenn wir die Zuwendung nicht erhalten. Nur durch die Mehrarbeit verdienen wir über 500 DM.«
Im Stahl- und Walzwerk Riesa ist ein Teil der Kollegen empört, dass sie keine Zuwendungen erhalten. Ein Arbeiter sagte dazu, dass sie nur durch ihre »Bereitwilligkeit, dem Staat zu helfen, keine Weihnachtszuwendung erhalten.« Ähnlicher Meinung sind die Kollegen aus dem Ziegelwerk Gransee, [Bezirk] Potsdam, sowie ein Teil der Kollegen aus dem Stahlwerk Silbitz und dem VEB Zeiss Jena, [Bezirk] Gera. Ein Kollege aus dem Ziegelwerk Gransee vertritt die Meinung: »Man hätte unter den Arbeitern keine Unterschiede bei der Verteilung machen sollen, sondern allen diese Zuwendung geben. Der Mehrverdienst einiger Arbeiter entspricht doch nur ihren Leistungen.«
Mehrere Kollegen aus dem VEB Waggonbau Dessau, [Bezirk] Halle, äußerten: »In Westdeutschland bekommen die Arbeiter 60,00 und 45,00 DM,6 dagegen bei uns nur 35,00 und weniger.«
Ein Kollege aus der Verkaufsabteilung des Buna-Werkes sagte: »Um 5,00 Mark haben sie uns nun schon wieder betrogen. Da hätten sie die 35,00 DM auch behalten können. Das sind doch alles nur Almosen. Früher haben wir 150 DM bekommen. 35,00 DM hatte ich schon als Lehrling zu Weihnachten.«
Im VEB Aluguss Werk I in Dresden werden unter den Arbeitern heftige Diskussionen über die Quartalsprämie geführt. Bei der Auszahlung erhielt die Verwaltung 30 000 DM und die Arbeiter nur 5 000. Jugendliche erhielten keine Prämien. Deshalb lehnt ein Teil der FDJler ihre weitere Mitarbeit in der FDJ ab. (Der Produktionsplan des Werkes wurde nicht erfüllt.)
Wie vor einiger Zeit berichtet, ist die Stimmung unter den Arbeitern der Thälmann-Werft in Brandenburg, Produktionsbereich Plaue, schlecht, weil wegen Auftragsmangel sehr viele Wartezeiten geschrieben werden müssen.7 Der Auftragsmangel besteht weiterhin, wodurch die Stimmung unter der Belegschaft schlechter geworden ist. Kürzlich wurde in einer Diskussion gefordert, eine Delegation zum Genossen Walter Ulbricht8 zu entsenden, die die Schwierigkeiten in der Werft aufzeigen soll. Die Funktionäre der BPO fordern ebenfalls eine Überprüfung der Lage in der Volkswerft von höherer Stelle aus.
Im Stahlwerk Silbitz, [Bezirk] Gera, besteht unter den Kolleginnen eine Unzufriedenheit, weil die Arbeitszeit wegen der Stromentnahme verlegt wurde und jetzt bis 17.30 Uhr gearbeitet wird. Die Kolleginnen können dann nicht mehr einkaufen, da die Geschäfte nur bis 18.00 Uhr geöffnet sind.
Der VEB Abus-Thartunwerk,9 [Kreis] Staßfurt, [Bezirk] Magdeburg, kann seinen Exportauftrag für die SU (Geräte für die Schädlingsbekämpfung) nicht erfüllen, da die angelieferten Gussgehäuse von der Eisengießerei Senftenberg bis zu 80 Prozent Ausschuss sind. Der Betrieb benötigt noch 400 Gussstücke. Im Abus-Thartunwerk wurden die Fehler in den Gussgehäusen durch die Fahrlässigkeit des Kontrolleurs erst sehr spät bemerkt.
Materialmangel besteht im VEB Hako Dauerbackwaren Großschönau, [Bezirk] Dresden, wo es an Verpackungsmaterial fehlt. Dadurch stauen sich die Produktionserzeugnisse.
Im VEB Dampfhammerwerk Großenhain, [Bezirk] Dresden, mangelt es an Stabmaterial unter 90 mm. Der vorliegende Bedarf ist mit nur ca. 50 Prozent vertragsmäßig gesichert.
Im VEB Möbelindustrie Oelsa und Rabenau, [Bezirk] Dresden, wurde in einer Belegschaftsversammlung kritisiert, dass die Holzlieferungen für die volkseigene Möbelindustrie sehr mangelhaft sind. Dagegen haben sämtliche Privatbetriebe und Handwerkgenossenschaften einen Holzvorrat für mehrere Jahre.
Kohlenmangel besteht im VEB Nährmittel- und Stärkefabrik Golßen, [Bezirk] Cottbus, wodurch Schwierigkeiten in der Dextrinerzeugung entstehen. Außerdem ist die Belieferung mit Gerste sehr mangelhaft, wofür die VEAB verantwortlich ist.
Waggonmangel besteht im VEB Tischfabrik Großröhrsdorf, [Bezirk] Dresden. Von 89 benötigten Waggons für Monat November wurden nur 59 bereitgestellt. Da die Lager überfüllt sind, muss die Produktion eingestellt werden, wenn keine Abhilfe erfolgt.
Produktionsstörungen
In der Nacht vom 12. zum 13.12.1954 fielen in der Grube Turów, [Bezirk] Dresden, zwei Bagger aus.
Am 11.12.[1954] brannte im VEB Stahlwerk Riesa ein Vorwärmer am Ofen I durch, wodurch der Stahl über die Ofenbühne lief (ca. 12 Tonnen).
Im VEB Zellstoffwerk Crossen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fiel ein Antriebsmotor aus, wodurch die Trockenanlage außer Betrieb gesetzt wurde. Produktionsausfall: ca. 60 Tonnen Zellstoff.
Am 11.12.1954, gegen 9.15 Uhr entstand am Hochofen II im EKS,10 [Bezirk] Frankfurt/Oder, am Stichloch ein Durchbruch. Schaden: ca. 60 Tonnen Roheisen. Ursache: Fahrlässigkeit durch die letzte Nachtschicht.
Am 11.12.[1954] kam es in der Zellstoffkocherei der Papier- und Zellstofffabrik Merseburg, [Bezirk] Halle, zu einer Explosion im Igurit-Kühler, da die Ventile und das Zuleitungsrohr nach den Behältern im Kühler mit feinen Sägespänen verstopft waren, die mit den Abgasen in die Ventile gelangten. Sachschaden ca. 6 000 DM, Produktionsausfall entstand nicht.
Handel und Versorgung
Teilweise ist die Belieferung noch unzureichend, besonders mit Weihnachtsbedarf, Kohlen und Winterbekleidung, wie z. B. im Wismutgebiet11 mit Rosinen, Mandeln, Apfelsinen und Schokoladenerzeugnissen. Bezirk Rostock mit Südfrüchten. Bezirk Potsdam Süßwaren, in den Kreisen Jessen und Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus, Zitronen, Schokolade, im Kreis Großenhain, [Bezirk] Dresden, Süßwaren.
An Kohlen fehlt es z. B. im Kreis Lobenstein, [Bezirk] Gera. Dort sind vor allem die Schulen, Ärzte, Tbc-Heime und HO davon betroffen.
Winterbekleidung fehlt zum Teil in den Bezirken Rostock, Potsdam und im Wismutgebiet.
Im VEB Schlachthof Rathenow, [Bezirk] Potsdam, werden jetzt Staatsreserven eingelagert. Der Leiter des Schlachthofes erklärte, dass er hierbei Schwierigkeiten hat, da er die Innereien nicht mehr in den Kühlvorrichtungen unterbringen kann, weil diese bereits überfüllt sind. Der Konsum würde diese Innereien sofort zum Verkauf auf HO-Basis abnehmen. Der Schlachthof darf jedoch die Innereien nicht an den Konsum abgeben, weil dieser sein Kontingent bereits überzogen hat und eine Aufstockung nicht bewilligt wurde. Anfragen beim Bezirksrat über die Verwertung der Innereien blieben unbeantwortet. Nach Angaben des Schlachthofleiters können die Innereien keinen Tag mehr gehalten werden, sondern müssen, wenn kein anderer Bescheid kommt, dem Viehverwertungsbetrieb überführt werden, weil sie in kürzester Zeit verderben.
Landwirtschaft
Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen steht weiterhin die Moskauer Deklaration. Zum geplanten Verbot der KPD wird nur wenig diskutiert,12 woran sich auch einzelne werktätige Bauern positiv beteiligen. Sie sind über das Vorgehen Adenauers13 empört und sehen darin eine neue Faschisierung Westdeutschlands. So sagte z. B. ein Bauer aus Falkenau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Im Westen beschreiten sie den Weg Hitlers. Es wird Zeit, dass dem Volk in ganz Deutschland noch einmal vor Augen gehalten wird, wo dieser Weg hinführt. Es muss mit allen Mitteln erkämpft werden, dieses Verbrechen zu verhindern.«
Ein Kleinbauer (parteilos) aus Ehrenfriedersdorf, Kreis Zschopau: »Im Westen nimmt es den Anfang wie in der Hitlerzeit. Erst wird die KPD verboten, dann wird gerüstet und darauf folgt der Krieg. Von Adenauer haben wir nicht viel zu erhoffen.«
Verschiedentlich wird negativ zu der Weihnachtsgratifikation hauptsächlich in den MTS Stellung genommen. Einzelne MTS-Arbeiter, die über 500 DM verdienen, sind unzufrieden darüber, dass man ihnen die Überstunden und die Leistung anrechnet. Sie sind der Meinung, dass mit der Regelung der 500 DM Grenze nur die Faulen unterstützt werden. Solche und ähnliche Diskussionen wurden z. B. in den MTS Schulzendorf, [Bezirk] Potsdam, MTS [Neu] Poserin, [Bezirk] Schwerin, und MTS Oettersdorf, [Bezirk] Gera, geführt.
Missstimmung über die Jahresendabrechnung herrscht in verschiedenen LPG des Bezirkes Suhl. Auf Anordnung der Bauernbank in Berlin dürfen an die LPG erst dann Vorschüsse ausgezahlt werden, wenn die Jahresabrechnung erfolgt ist. Diese Anordnung hinterlässt bei verschiedenen LPG-Mitgliedern eine gewisse Missstimmung, da diese gern noch zu den Weihnachtstagen Einkäufe machen möchten. Diesbezügliche Diskussionen wurden besonders in der LPG Heßberg, [Kreis] Hildburghausen, [Bezirk] Suhl, geführt, da dort die Endabrechnung in diesem Jahr noch nicht erfolgt ist.
Schwierigkeiten bei der Sollerfassung bestehen im Bezirk Cottbus besonders in den Kreisen Herzberg, Jessen, Calau und Lübben. Im Kreis Luckau besteht die Tendenz der 50 Prozent-Bewegung, wo vor allem die Großbauern mit objektiven Schwierigkeiten argumentieren. Der Erfassungsstand in Getreide beträgt dort 69,2 Prozent. Auf der anderen Seite ist dort die Tatsache zu verzeichnen, dass z. B. eine ganze Reihe werktätiger Bauern in allen Produkten außer Getreide ihr Soll erfüllten. Bemerkenswert dabei ist, dass in der Festlegung des Planes in diesen Wirtschaften beim Getreidesoll verschiedene Härten zu verzeichnen sind. Eine grundlegende Überprüfung der Planauflage ist notwendig.
Weitere Fälle, wo größere Mengen Kartoffeln erfroren sind, werden z. B. aus dem ÖLB Hardenbeck, Kreis Templin, [Bezirk] Neub[randenbur]g, bekannt, wo 5 Tonnen Kartoffeln in der Miete erfroren sind, weil sie nur mangelhaft mit Stroh zugedeckt waren. Im VEG Netzow, [Bezirk] Neubrandenburg, sind ca. 400 Ztr. Kartoffeln in der Miete erfroren.
Übrige Bevölkerung
Zu politischen Tagesfragen wird nach wie vor wenig Stellung genommen. Lediglich die Moskauer Konferenz findet Beachtung, wobei aber fast ausschließlich nur über die Aufstellung Nationaler Streitkräfte diskutiert wird.
Im Vordergrund der Diskussionen – besonders bei den Hausfrauen – stehen wirtschaftliche Fragen und es kommt wiederholt zu heftigen Kritiken infolge eines zu geringen oder mangelhaften Warenangebotes. Zum Beispiel äußerten Käufer zu dem Warenangebot eines Konsumsonderverkaufes in Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam: »Das ist ja lächerlich, was die da machen. Im vergangenen Jahr gab es wenigstens noch etwas. Aber was haben denn die da drinnen? Es gibt keine Weckeruhren, keinerlei Marzipan und andere Süßigkeiten. Mit den Ladenhütern brauchen sie sich nicht hinstellen.«
In Bernburg, [Bezirk] Halle, wird allgemein die Meinung vertreten, dass es im vergangenen Jahr zu Weihnachten mehr zu kaufen gab und auch die Preise bei verschiedenen Artikeln günstiger waren. Dies träfe insbesondere bei warmen Damenstoffen zu, wo es schon seit einer Woche keine mehr unter 30,00 DM gäbe.
In Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wird sehr stark darüber diskutiert, dass die sowjetischen Fischkonserven zu den alten hohen Preisen verkauft werden.
Die Hausfrauen aus Erfurt beklagen sich darüber, dass es in den HO-Gaststätten Gerichte mit Linsen und weißen Bohnen gibt, während solche im Einzelhandel nicht zu erhalten sind. Auch wird darüber geklagt, dass es keinen Speck mehr in der HO gibt, seit er billiger geworden ist.14
Immer wieder kommt es auch in den Kreisen der übrigen Bevölkerung zu Diskussionen über die Weihnachtsgratifikation. Neben der in mehreren Bezirken auftretenden Unzufriedenheit der Rentner darüber, dass sie keine Zuwendungen erhalten, kommt es in einzelnen VP-Dienststellen des Bezirkes Potsdam zu Diskussionen, dass die VP-Angehörigen ebenfalls Weihnachtsgratifikation verlangen. Zum Beispiel sagte ein Rentner aus Gera: »Die Arbeiter in den Betrieben, die unter 500 DM verdienen, haben von unserer Regierung eine Weihnachtszuwendung erhalten. Aber wir alten Rentner, die wir im Monat nicht einmal 100 DM bekommen, sind wieder einmal vergessen worden. Dabei ist unsere Lebenslage noch lange nicht soweit, dass wir auch nur annähernd an den Verdienst eines Durchschnittsarbeiters herankommen. Wir wären sehr erfreut, wenn man doch noch an uns vor Weihnachten denken würde.« Ähnliche Diskussionen werden auch im Kreis Jena geführt.
VP-Angehörige vom VPKA Jüterbog und vom VPKA Pritzwalk erklärten, dass ihnen ebenfalls die Weihnachtsgratifikation zustehen würde. Es wird die Meinung vertreten, dass gerade die VP an vielen Sonn- und Feiertagen arbeiten muss und auch an den Erntearbeiten teilgenommen hat, sodass auch sie das Weihnachtsgeld wie alle andere Angestellten erhalten müssten.
Aus den Kreisen der Handwerker und Gewerbetreibenden nehmen die Klagen über mangelhafte Materialbelieferung oder nachteilige Behandlung durch die Verwaltungsdienststellen nicht ab. Zum Beispiel ist in den Handwerkerkreisen des Kreises Neuhaus, [Bezirk] Suhl, eine Unzufriedenheit über die Belieferung mit Material festzustellen. Dazu sagte ein Sattlermeister aus Cursdorf: »Das Jahr der großen Initiative geht seinem Ende entgegen.15 Wie sieht es aber bei uns Handwerksmeistern aus? Ich habe mehrere Aufträge zur Herstellung von Couch und Sessel, welche ich nicht erfüllen kann, weil ich seit ca. ¼ Jahr keinerlei Möbelbezugsstoffe mehr erhalte. Dies ist bei meinen ganzen Berufskollegen, welche ich kenne, der Fall. Hier kann man nicht mehr von einer Unterstützung des Handwerks reden.«
Der Inhaber eines Lebensmittelgeschäftes in Berlin NO 1816 führte Klage darüber, dass die Aufklärer des Patenbetriebes17 – Ministerium für Maschinenbau – ihre im Wahlkampf gegebenen Versprechen nicht einhalten. Sie versprachen, Ende November eine Versammlung für die Gewerbetreibenden einzuberufen, auf der Rechenschaft über die vorgetragenen Sorgen abgelegt werden sollte. Bis jetzt sei nichts dergleichen geschehen.
Aus den Kreisen der Kirche
Neben den offen feindlichen Worten von Pfarrern während der Predigten richten sich zzt. die Ausführungen im verstärkten Maße noch gegen den Entwurf des neuen Familiengesetzes18 und gegen die geplanten Jugendweihen.19 Gerade in der Vorweihnachtszeit treten aber auch Ausführungen zur Kriegsgefangenenfrage wiederholt in Erscheinung. Zum Beispiel sagte der Pfarrer aus Wildau, [Kreis] Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, u. a. in seiner Predigt: »… Besonders in der gegenwärtigen Situation müsst ihr trotz aller Verleumdungen und Verfolgungen vonseiten der Feinde Christus aushalten. Wir haben gegenwärtig eine große Aufgabe zu vollbringen. Diese besteht darin, dass wir uns der Jugend mehr widmen. Die Feinde Gottes versuchen, der Jugend den Glauben an Gott zu entreißen. Sie sprechen, die Lehre Gottes ist etwas Überholtes aus dem Mittelalter und setzen an deren Stelle den Materialismus als die Sache, die die Welt verändern könnte. Das ist eine große Gefahr, vor der wir die Jugend schützen müssen. Wir wollen all denen gedenken, die unschuldig gefangengehalten und verfolgt werden. Darum haltet aus, trotz aller Verfolgungen!«
Der Pastor des Kreises Pritzwalk verbietet den Jungen Pionieren, während des Religionsunterrichtes das Pioniertuch und das Pionierabzeichen zu tragen.
In Lübben, [Bezirk] Cottbus, wurde unter der Leitung des Superintendenten eine Veranstaltung mit dem Thema »Ehe und Familie« durchgeführt, wobei ein Pfarrer aus Berlin erklärte: »Der Minister der Justiz hat erklärt, dass die Diskussionen über das Familiengesetz abgeschlossen sind.20 Damit kann sich die Kirche nicht begnügen. Sie wird ihre Diskussion fortsetzen, da dieses Gesetz ausschließlich marxistisch-leninistische Tendenzen hat.«
Verschiedene Pfarrer im Bezirk Frankfurt versuchten die Eltern in Aussprachen zu beeinflussen, dass sie ihre Kinder nicht zur Jugendweihe schicken.
Des Weiteren werden im Bezirk Frankfurt besonders Gebetsstunden »für die Gefangenen, welche sich noch in der SU und in den Volksdemokratien befinden« sollen, abgehalten.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:21 Karl-Marx-Stadt 22, Frankfurt 50, Leipzig, Kreis Eilenburg, 5 000 (gebündelt).
NTS:22 Halle 300, Karl-Marx-Stadt 358, Cottbus 500, Potsdam, Kreis Doberan,23 2 000, Berlin-Köpenick 40.
In tschechischer Spr[ache]: Dresden, Kreis Bischofswerda, 2 500, Kreis Görlitz 900, Kreis Löbau 1 000, Kreis Niesky 1 000, Kreis Pirna 500, Kreis Zittau 400.
Unbekannter Herk[unft]: Berlin-Treptow 5 000.
Terror: In Niederschmon,24 [Kreis] Querfurt, [Bezirk] Halle, wurde der Sekretär der BPO der LPG »Neues Deutschland« niedergeschlagen. Täter festgenommen.
Diversion
Im VEB Peniger Maschinenfabrik, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde ein Kolben einer Maschine beschädigt. Durch den Ausfall des Kolbens ist die Herstellung einer Walzmaschine für die Sowjetunion bis zum 21.12.1954 infrage gestellt.
Im VEB Oberlausitzer Baumwollweberei Neusalza, [Bezirk] Dresden, wurden am 11.12.1954 an einem Webstuhl der besten Weberin 25 Kettfäden zerschnitten. Der gleiche Vorfall ereignete sich bereits am 8.12.[1954] auf dem Webstuhl einer Aktivistin.
Gefälschter Anruf
Eine Heldin der Arbeit25 aus Dresden erhielt einen Anruf ohne Namensnennung. Der Anrufer meldete sich unter Ministerium für Schwermaschinenbau Groß-Berlin. Ihr wurde mitgeteilt, dass am 13.12.1954 eine Kommission zum Umtausch ihrer Medaille kommen würde. Die Regierung hätte die alten Medaillen verworfen und bedeutend bessere entwickelt. Zu diesem Zwecke soll sie sämtliche Auszeichnungen bei sich führen.
Antidemokratische Tätigkeit
Im VEB Nähmaschinenwerk Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, wurden in einer Toilette Hetzlosungen angeschmiert wie: »Raus mit der SED und hängt sie auf.«
In das Kaliwerk »Glückauf« Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, sind jetzt fabrikneue Wagen in die Grube gekommen. Diese Wagen werden laufend mit folgenden Texten beschmiert: »Ostzonen Qualitätsarbeit«, »Made in der DDR«, »Russen-karren«, »Ulbrichts Erzeugnisse«.
Gefälschte Kohlenkarten
In Halle wurden vor verschiedenen Haustüren 21 Briefumschläge mit je fünf gefälschten Kohlenkarten gefunden (für Intelligenzler).
In Kreba, [Kreis] Niesky, [Bezirk] Dresden, kursiert das Gerücht, dass in Nochten, Kreis Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, Kasernen gebaut werden. Im Nachbarort Klitten sei zu diesem Zwecke ein Saal beschlagnahmt worden, darin sollen einige Hundert Arbeiter untergebracht werden, die beim Kasernenbau tätig sind.
Vermutliche Feindtätigkeit
Am 11.12.1954 wurde in der Scheune eines Mittelbauern in Calau, [Bezirk] Cottbus, ein Brand festgestellt. Der Brand konnte sofort gelöscht werden, sodass nur geringer Schaden entstand. Zu bemerken ist, dass im Stadtgebiet von Calau seit dem 13.10.1954 fünf vorsätzliche Brandstiftungen kleinerer Art zu verzeichnen sind. Das Brandobjekt beim oben genannten Brand ist eine Scheunenreihe von neun massiven Scheunen.
Anlage vom 14. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2391
Stellungnahmen zur Moskauer Deklaration
In den Gesprächen über die Moskauer Deklaration wird weiterhin vorwiegend zur Frage der Aufstellung Nationaler Streitkräfte im Falle der Ratifizierung der Pariser Verträge Stellung genommen.26 Dabei zeigt sich, dass von einem großen Teil die Notwendigkeit der Sicherheitsmaßnahmen, die dann in der DDR getroffen werden müssten, eingesehen wird. Es kommt immer wieder zu Äußerungen wie z. B., »dass es dem Feind niemals gelingen darf, unsere Errungenschaften zu vernichten, und dass deshalb ein Schutz errichtet werden müsste«. Diese Stellungnahmen kommen aus den verschiedensten Bevölkerungskreisen.
Auch setzt sich die Erkenntnis immer mehr durch, dass jetzt alles getan werden muss, um die Bevölkerung in Ost und West über den aggressiven Charakter der Pariser Verträge aufzuklären, damit es gelingt, die Ratifizierung zu verhindern. Zum Beispiel kamen in einer Kurzversammlung im VEB Teerverarbeitungswerk Rositz, [Bezirk] Leipzig, mehrere Kollegen zum Sekretär der BPO und verlangten Adressen von westdeutschen Bürgern, um mit ihnen in Briefverkehr zu treten und sie über die Gefahr der Pariser Verträge aufzuklären.
Ein Arbeiter aus dem VEB Papierfabrik Golzern, [Bezirk] Leipzig: »Das Kernproblem ist jetzt, den Kampf gegen die Ratifizierung der Pariser Verträge zu verstärken. Diese Aufgabe geht jeden an, da von der Erhaltung des Friedens unsere Weiterentwicklung und die Existenz der DDR abhängen.«
Demgegenüber ist zu verzeichnen, dass noch immer von einem beachtlichen Teil – besonders von Arbeitern, Angestellten und Jugendlichen – pazifistische Auffassungen zur Frage der Aufstellung Nationaler Streitkräfte vorherrschen. Am stärksten tritt das Argument auf, nie wieder ein Gewehr in die Hand zu nehmen. In den Diskussionen wird immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass man noch vom letzten Krieg genug habe, im Frieden leben wolle und deshalb nie wieder eine Uniform anziehen werde.
Man ist vielfach der Meinung, dass es zum Krieg kommen würde, wenn bei uns Nationale Streitkräfte aufgestellt würden. Unter den Jugendlichen im VEB Stahlwerk Silbitz, [Bezirk] Gera, im VEB Lederfabrik Hirschberg, [Bezirk] Gera, im Bau 964 der Leuna-Werke und im Wismut-Schacht 64 in Oberschlema ist stark die Meinung vertreten, dass sie keine Uniform anziehen werden oder dass sie die Gestellungsbefehle zerreißen. Zum Beispiel sagte ein Jugendlicher aus dem VEB Lederfabrik Hirschberg: »Unsere Politik geht in Bezug auf Westdeutschland dahinaus, dass die Gestellungsbefehle zerrissen werden sollen,27 aber bei uns in der DDR soll ja auch die Wehrpflicht eingeführt werden, wenn die Pariser Verträge ratifiziert sind. Ich nehme aber kein Gewehr in die Hand, auch nicht, um meine Angehörigen zu verteidigen.«
Vereinzelt vertreten auch Genossen unserer Partei pazifistische Ansichten und diskutieren demzufolge in ablehnender Form. Während einer Versammlung in Thürkow, [Bezirk] Neubrandenburg, sagte z. B. der Vorsitzende der BGL (SED): »Ich war in sowjetischer Kriegsgefangenschaft und besuchte dort die Antifa-Schule. Wenn es auf die Verteidigung ankommt, werden viele die Waffen wegwerfen. Ich selbst nehme auch keine Waffe wieder in die Hand.« Ein Brigadier der gleichen MTS (Kandidat unserer Partei) äußerte: »Nicht wir dürften uns verteidigen, sondern die SU, die stark genug ist. Dadurch würde ein Bruderkrieg verhindert.«
Ein Genosse aus dem Elektromotorenwerk VEB Oschersleben: »Ich brauche keine Nationalen Streitkräfte. Was soll ich denn verteidigen, etwa die hohen Gehälter unserer Werkleitung?«
Unter einem Teil der Bevölkerung wird weiterhin darüber diskutiert, dass sich bei Aufstellung Nationaler Streitkräfte unsere Lebenslage verschlechtern würde. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter aus dem VEB Zellwollwerk Wittenberge, [Bezirk] Schwerin: »In Westdeutschland wird der Lebensstandard der Werktätigen durch die Rüstung schlechter. Wenn bei uns Nationale Streitkräfte aufgestellt werden, würde dies ebenfalls auf Kosten der Werktätigen geschehen.«
Ein Angestellter aus Dresden: »Durch die Wiederaufrüstung in Westdeutschland wird bei uns auch die Wehrpflicht eingeführt werden müssen, was eine Verschlechterung unserer Lebenslage zur Folge haben wird.«
Unter den Einzelbauern werden in der Form Gespräche geführt, dass es dann noch mehr an Arbeitskräften mangeln wird, wenn es zur Einführung der Wehrpflicht kommen sollte. In der Gemeinde Stüdenitz, [Bezirk] Potsdam, diskutierten einige Groß- und Mittelbauern: »Jetzt werden sie unsere Söhne holen und die anderen jungen Leute aus dem Dorf. Wie sollen wir denn unsere Arbeit schaffen, wo die Arbeitskräfte ohnehin so knapp sind?«
Ein Großbauer aus Kesselsdorf, [Bezirk] Dresden: »Das Beste ist, wir hauen ab, ehe die Grenzen dichtgemacht werden. Wenn dann die Nationalen Streitkräfte aufgestellt werden, ziehen sie uns unsere Arbeitskräfte ab und wir müssen die Arbeit allein machen.«
Zwei Bauern aus Lauterbach, [Kreis] Bischofswerda, [Bezirk] Dresden: »Wenn die Pariser Verträge ratifiziert werden, wird bei uns auch die Wehrpflicht eingeführt. Das bedeutet für uns, dass wir dann die Arbeit allein machen müssen, da unsere Jungen zum Wehrdienst eingezogen werden.«
Feindliche Elemente versuchen weiterhin durch Gerüchteverbreitung, die Bevölkerung zu beunruhigen und zum anderen hetzen sie immer wieder gegen unsere Regierung und gegen die Sowjetunion. Im Kaliwerk »Freundschaft« in Schierstedt,28 [Bezirk] Halle, wurde unter den Kumpels des Schachtes II das Gerücht verbreitet, dass sich die gesamte Volkspolizei aufgrund der Moskauer Deklaration in Alarmbereitschaft befinde.29 Zum Beispiel sagte ein Schlosser von der Peene-Werft Wolgast: »Den Russe seine Klamotten [sic!] ziehe ich nicht an und kämpfe auch nicht gegen den Ami. So etwas kommt für mich nicht infrage. Dann gehe ich lieber nach dem Westen. Wenn ich dort auch Soldat werden muss, dann geschieht das unter anderen Bedingungen.«
Ein Angestellter des Fernmeldeamtes Meißen, [Bezirk] Dresden: »Jetzt soll es also bei uns losgehen. Auf das haben wir gerade noch gewartet. Nie wieder Krieg und jetzt sind wir mitten drin. Die vom Westen lassen sich doch von unseren keine Vorschriften machen. Wenn sie mich holen sollten, werde ich mich in den Straßengraben setzen und warten bis die anderen von drüben kommen.«
Ein Traktorist von der MTS Madelungen, [Kreis] Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Wenn es bei uns mit Militär losgeht, bin ich drüben. Ich mache lieber drüben mit, als hier für die Lumpen.«
Ein Bauer aus Sievertshagen, [Kreis] Ribnitz,30 [Bezirk] Rostock: »Wenn man im Westen eine Wehrmacht aufbaut, so wäre es nicht schlecht, wenn sie uns von der Ausbeutung hier befreien würde. Wir werden ja hier mit der Ablieferung so gezwungen, dass wir nicht ein noch aus wissen.«
Eine Hausfrau (SED) aus Plaue, [Kreis] Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Adenauer will keinen Krieg und wenn jemand meinen Mann holen sollte, dann werde ich denjenigen erschlagen.«