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Zur Beurteilung der Situation in der DDR

16. Dezember 1954
Informationsdienst Nr. 2393 zur Beurteilung der Situation in der DDR

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Bei den Diskussionen über politische Tagesfragen steht weiterhin die Moskauer Konferenz im Mittelpunkt.1

Zur Frage der Weihnachtsgelder treten immer wieder Unstimmigkeiten besonders unter den Arbeitern auf, die über 500 DM Bruttoeinkommen haben, dies jedoch durch Mehrleistungen erreichten.2 Die Kollegen führen aus, dass die 500-DM-Grenze für die Zahlung von Weihnachtsgeldern ungerechtfertigt sei. Einige wollen deshalb keine Überstunden mehr leisten. In der Karbidfabrik der Chemischen Werke Buna erhalten die Kollegen, die jede Freischicht opferten, um das Soll zu erfüllen, keine Weihnachtsgelder und erklären, dass sie für die freiwillige Mehrarbeit jetzt bestraft werden.3

Unter den Arbeitern der Vereinigten Torgelower Gießereien und der Bau-Union Küste, [Bezirk] Neubrandenburg, die über 500 DM verdienen, besteht ebenfalls Unzufriedenheit wegen der Weihnachtszuwendungen. Verschiedene Arbeiter äußerten: »In jeder Versammlung wird gesagt, je besser und mehr geschafft wird, umso besser werden wir leben. Was nutzt aber die Mehrarbeit, wenn die Überschüsse am Jahresende nur an die Angestellten oder die Leitung des Betriebes in Form von Prämien ausgezahlt werden.«

Im VEB Schuhfabrik Schmölln, [Bezirk] Leipzig, erklärten 30 Kollegen, dass sie es als eine Bestrafung ansehen, weil sie aufgrund ihrer Leistungen 500 DM verdienen und kein Weihnachtsgeld erhalten. Unter einem Teil der Arbeiter der Bau-Union Rostock wird ähnlich diskutiert. Ein Kollege sagte: »Wer anständig und fleißig gearbeitet hat und über 500 DM verdiente, wird jetzt betrogen zugunsten derer, die gebummelt und gefaulenzt haben.«

Ein Bahnarbeiter vom Bahnhof Wustermark, [Bezirk] Potsdam: »Da macht man nun freiwillig Überstunden und wird dann noch dafür bestraft, indem man keine Weihnachtszuwendungen bekommt. Nächstens mache ich ganz pünktlich Feierabend und lasse den Zug da stehen, wo er gerade ist.«

Im Blockwalzwerk des Stahlwerkes Hennigsdorf, [Bezirk] Potsdam, wird zzt. lebhaft über die Einstufung in die Lohngruppen diskutiert. Vor allem sind die Kollegen, die als Springer eingestellt wurden und nach Lohngruppe V bezahlt werden, unzufrieden. Sie protestieren dagegen, dass sie des Öfteren Arbeiten einer niederen Lohngruppe durchführen müssen und nach dieser dann bezahlt werden. Ebenfalls wird über das neue Lohnsystem im Fischkombinat Saßnitz lebhaft diskutiert, wo besonders die Führer der großen Kutter unzufrieden sind, da sich ihr Verdienst verringert hat.

Mangel an Rohbraunkohle besteht im VEB Lederfabrik Hirschberg, [Bezirk] Gera, sodass bereits mit Briketts geheizt wird, die ebenfalls nicht ausreichend vorhanden sind. Auf eine Anfrage beim Ministerium für Leichtindustrie wurde dem Betrieb angeraten, über Weihnachten bis Neujahr die Arbeit einzustellen.

Materialmangel besteht in der Baumwollspinnerei Riesa, wo Papierrichthülsen fehlen. Wenn keine Änderung geschaffen wird, kommt der Betrieb am 16.12.[1954] zum Stillstand. Der Zulieferbetrieb, Papierfabrik Zittau-Eckersberg,4 kann wegen Papiermangel nicht liefern.

Im VEB Kunstseidenweberei Schönbach, Kreis Löbau, [Bezirk] Dresden, fehlen Ersatzröhren für die Neonbeleuchtung. Wenn in nächster Zeit kein Ersatz geliefert wird, muss der Betrieb sich wieder auf Glühbirnenbeleuchtung umstellen. (Die Neonbeleuchtung wurde erst vor kurzer Zeit eingebaut.)

Unter den Angehörigen des Zugbegleitpersonals sowie den Rangierern der Reichsbahn im Bezirk Cottbus wird immer wieder die schlechte Qualität der Karbidlampenbrenner bemängelt. Da gerade bei den Rangierern von einer gut brennenden Lampe die Sicherheit des Betriebsablaufes sowie ihr Leben abhängen, fordern sie, dass das Ministerium für Eisenbahnwesen bessere Brenner aus Westdeutschland besorgt.

Produktionsstörungen

Am 12.12.1954, um 23.00 Uhr fiel in Themar, [Kreis] Hildburghausen, [Bezirk] Suhl, der Transformator für den Ort aus, wodurch 50 Prozent des Kreises ohne Strom waren. Die VEB Kleiderwerk Heubach, Porzellanfabrik Veilsdorf, Porzellanfabrik Eisfeld und Feintechnik Eisfeld hatten bis zum 15.12.1954 keine Energie. Ursache des Trafoausfalls ist nicht bekannt.

Am 14.12.1954, gegen 6.30 Uhr ereignete sich im Erzbergbau [Wismut-]Objekt »13. Oktober« in Pörnitz,5 [Kreis] Schleiz, [Bezirk] Gera, ein Wassereinbruch nach durchgeführten Sprengungen. Der Wasserzufluss pro Minute beträgt 90 cbm. Die vorhandene Pumpe schafft nur 4,5 cbm pro Minute. Ursache des Wassereinbruchs noch nicht bekannt.6

Am 11.12.1954 fand in Wildau, Kreis Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam, eine gesamtdeutsche Beratung der IG-Metall statt. Vor dieser Beratung besichtigten die westdeutschen Kollegen den VEB »Heinrich Rau«7 und sprachen mit den Arbeitern über die Unterschiede der wirtschaftlichen Entwicklung in der DDR und in Westdeutschland. Besonders erstaunt waren die westdeutschen Kollegen über die Verdienstmöglichkeiten in der DDR und über die modernen Maschinen des Betriebes. Lediglich an der Skola-Drehbank treten negative Diskussionen auf. Hier behaupteten einige Kollegen des Betriebes, dass sie Lohnkämpfe führen müssten, um die Löhne zu halten. Die westdeutschen Kollegen glaubten dies nicht, sondern erwiderten den Arbeitern, sie sollten einmal nach Westdeutschland kommen, dort könnten sie Lohnkämpfe sehen.8

Handel und Versorgung

Die Versorgung der Bevölkerung ist besser geworden. Die bestehenden Mängel in der Belieferung mit Weihnachtsbedarf machen sich deshalb weniger bemerkbar. So fehlt es z. B. in den Kreisen Schleiz, Pößneck und Eisenberg, [Bezirk] Gera, noch an Sultaninen, Mandeln und Apfelsinen. Im Bezirk Potsdam an Apfelsinen, im Bezirk Schwerin an Süßwaren.

Landwirtschaft

Weiterhin stehen die Moskauer Deklaration und die damit im Zusammenhang stehenden Fragen im Vordergrund der Diskussionen.

Zur 3. Konferenz der LPG-Vorsitzenden wird noch verhältnismäßig wenig Stellung genommen.9 Zum Teil sind die Beschlüsse dieser Konferenz noch nicht bekannt, wie z. B. bei einzelnen LPG-Mitgliedern des Bezirkes Suhl. Aufgrund dessen fand in Bad Salzungen eine Beiratssitzung der Kreisräte mit den LPG-Vorsitzenden des Kreises statt. Dort wurde die 3. Konferenz ausgewertet und man will erreichen, bis Weihnachten jedes einzelne LPG-Mitglied mit der Rede Walter Ulbrichts10 und den Beschlüssen bekannt zu machen.

Im Allgemeinen werden die Beschlüsse der 3. Konferenz begrüßt und teilweise auch die Aufnahme der loyalen Großbauern in die LPG befürwortet.11 Die Mitglieder der LPG Wangenheim, [Kreis] Gotha, [Bezirk] Erfurt, diskutierten über die 3. LPG-Konferenz und nahmen dazu wie folgt Stellung: »Es ist höchste Zeit, dass neue Anweisungen und Richtlinien durch das Referat Walter Ulbricht gegeben wurden. So wie bisher konnte nicht mehr weitergearbeitet werden, sonst hätten wir uns alle aufgelöst.«

In der Gemeinde Könderitz, [Kreis] Zeitz, [Bezirk] Halle, wurde der Vorschlag des Genossen Walter Ulbricht, dass auch Großbauern in die LPG aufgenommen werden können, von vielen Großbauern sofort erfasst. Sie gingen zum Bürgermeister und fragten ihn, ob sie Mitglied der LPG werden können. Ein werktätiger Bauer aus dem gleichen Ort sagte in einer Parteiversammlung: »Ich begrüße den Vorschlag des Genossen Walter Ulbricht, denn durch die Aufnahme von Großbauern in die LPG bekommen wir erst die richtigen Spezialisten in unsere Wirtschaft.«

In Langhagen, [Kreis] Güstrow, erklärten einige Bauern aus Anlass der 3. LPG-Konferenz, dass sie ab 1.1.1955 eine eigene LPG gründen werden.

Teilweise betrachtet man die Aufnahme der Großbauern in die LPG skeptisch und mahnt zur Vorsicht und Wachsamkeit.12 So brachte der Schweizer13 der LPG Borau, Kreis Weißenfels, zum Ausdruck: »Ich begrüße die Beschlüsse der 3. LPG-Konferenz. Über die Frage der Aufnahme von Großbauern bin ich jedoch sehr skeptisch. Man muss dabei sehr vorsichtig und wachsam sein.«

Der Vorsitzende der LPG Brehna, Kreis Bitterfeld, sagte: »Wenn wir einen Großbauern in die LPG aufnehmen, muss er sein Soll vorfristig abliefern, in der Nationalen Front14 mitarbeiten und positiv zu unserer DDR stehen.« Die werktätigen Bauern sagten hierzu, dass es in Brehna solche Großbauern nicht gibt, also können wir auch keine aufnehmen.

Unzufriedenheit über die Weihnachtsgratifikation wurde nur vereinzelt festgestellt.15 Hauptsächlich diskutieren Traktoristen mit einem Lohn über 500 DM negativ darüber. So sind z. B. die Traktoristen der MTS Gingst, [Bezirk] Rostock, mit dem Weihnachtsgeld nicht einverstanden. Sie erklärten, dass sie durch die schlechten Witterungsverhältnisse gezwungen wurden, bis abends spät und auch jeden Sonntag zu arbeiten. Ihr Lohn überstieg dadurch die 500-DM-Grenze. Die Traktoristen fassen dies als eine Härte und Bestrafung auf. Sie sagen, dass sie mit aller Macht versucht haben, ihre Feldbestellung trotz des schlechten Wetters zu vollenden, wofür sie jetzt bestraft werden.

Eine ablehnende Haltung gegen politische Themen in der bäuerlichen Winterschulung macht sich im Bezirk Karl-Marx-Stadt bemerkbar.16 Dort legen auch einzelne Schulungsbeauftragte und VdgB-Vorsitzende keinen Wert darauf, die Bauern an die politischen Probleme heranzuführen. So erklärte z. B. ein Bauer mit 16 ha aus Niederwiesa, [Kreis] Flöha: »Hoffentlich habt ihr nicht so viele politische Themen mit im Schulungsplan, denn davon wollen wir Bauern nichts wissen.«

Der Ortsvorsitzende der VdgB Hausdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt (parteilos) äußerte: »Politisches brauchen wir in der Winterschulung nicht. Davon haben wir schon genug im Radio und in der Zeitung. Und ob die Pariser Verträge ratifiziert werden oder nicht17 soll nicht unsere Sache sein. Jedenfalls brauchen wir keine Wehrmacht, das haben wir schon einmal mitgemacht.«

Klagen über die mangelhafte Versorgung mit Hausbrand kommen aus den Kreisen Jessen, Calau und Herzberg, [Bezirk] Cottbus. Dort hat die BHG nur wenig Kohlen für die Landbevölkerung erhalten, während die Privathändler zum überwiegenden Teil bereits ihre gesamte Zuteilung haben.

Die Anweisung der Deutschen Notenbank Berlin über die Auszahlung der Einheiten für die Genossenschaftsbauern hat unter ihnen verschiedentlich Diskussionen ausgelöst.18 So erschienen z. B. die LPG-Mitglieder von Dornburg, [Kreis] Zerbst, [Bezirk] Magdeburg, am Freitagnachmittag und am Sonnabend nicht zur Arbeit, sondern diskutierten während dieser Zeit über die ihrer Meinung nach ungerechte Anweisung. Diese LPG hat ihre Mittel bereits überzogen, was auf die schlechte Wirtschaftsführung zurückzuführen ist.

Übrige Bevölkerung

Die Stimmung der übrigen Bevölkerung ist unverändert. Neben den Diskussionen zu wirtschaftlichen Fragen kommt es weiterhin zu Stellungnahmen über die Moskauer Deklaration insbesondere im Zusammenhang mit den Nationalen Streitkräften.

Immer wieder kommt es in Bezug auf unseren Handelsapparat zu heftigen Kritiken über die Preise. Zum Beispiel wird unter breiten Kreisen der Bevölkerung im Kreis Saalfeld, [Bezirk] Gera, darüber diskutiert, dass ein Damenschlüpfer von 6,00 DM auf 12,00 DM und eine Herrenunterhose von 8,00 DM auf 16,00 DM im Preis erhöht wurden. Die Begründung der Verkäuferinnen, dass es sich hierbei um bessere Qualität handelt, wird nicht anerkannt.

Ein Privathändler äußerte bei dem Kauf eines Anzuges in Pößneck, [Bezirk] Gera: »Die Qualität ist ja schon besser geworden, aber 200 DM für einen Anzug ausgeben, ist den Löhnen doch nicht gerecht. So greift bei uns eins ins andere. Bedenken wir, was im nächsten Jahr für Stoff für die Einkleidung der Nationalen Streitkräfte hergestellt werden muss.«

Auch unter den VP-Angehörigen im Bezirk Karl-Marx-Stadt entstand Unzufriedenheit darüber, dass sie bei dem Weihnachtsgeld nicht berücksichtigt wurden. Unter anderem wurde diskutiert: »Nur weil die Offiziere über 500 DM verdienen, brauchen wir als Wachtmeister auch nichts zu bekommen.«19 Die weiblichen VP-Angehörigen der VP-Inspektion Treptow, Berlin äußerten große Unzufriedenheit über den Wegfall des Hausarbeitstages für weibliche VP-Angehörige.20 Zum Beispiel wurde wie folgt diskutiert: »Weil wir Genossinnen der Partei sind, dürfen wir nicht sagen, was wir denken, weil wir VP-Angehörige sind, können unsere Kinder verkommen.« »Jetzt wird uns der [Wa]schtag21 mit der Begründung, wir hätten zu viel Urlaub, genommen. Bisher glaubte ich, dies soll ein Ausgleich für die vielen Sonntags- und Sondereinsätze sein. Wir Frauen bei der VP werden sowieso betrogen. Erst gab man uns keine Uniform und nun nimmt man uns den Hausarbeitstag. Jetzt fehlt nur noch das Gehalt. Das Ganze wird dann Gleichberechtigung genannt. In Zukunft mache ich keinen Sonderdienst mehr. Jede Woche 48 Stunden und nicht mehr.« Zwei Genossinnen sprachen sich bei diesen Unterhaltungen für eine Kündigung aus.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

SPD-Ostbüro:22 Schwerin 5 000, Cottbus 10 000, Dresden 3 300, davon im Kreis Meißen 1 200 (Hetze gegen Nationale Streitkräfte), Potsdam 800, Rostock 30, Magdeburg, Kreis Wernigerode, 4 000, Kreis Klötze 3 000, Gera, Erfurt und Halle einige.

NTS:23 Schwerin, Kreis Bützow, 1 000, Neubrandenburg, Kreis Strasburg, 6 000, Kreis Templin 7 000, Halle und Gera einige.

In tschechischer Sp[rache]: Dresden 500.

»Berliner Montagsecho«:24 Halle 300.

Die Hetzschriften wurden größtenteils mit Ballons eingeschleust und sichergestellt.

Antidemokratische Tätigkeit

An einer Hauswand in der Fernverkehrsstraße Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin, wurde folgender Text angeschmiert: »Es lebe Adenauer«.25

Im »Ernst-Thälmann«-Werk Magdeburg wurden in der Herrentoilette Karikaturen und Hetzlosungen gegen die DDR angeschmiert (mit Kopierstift).

Am Bahnhof Ribnitz, [Bezirk] Rostock, wurde ein Transparent zerschnitten.

In der Nähe der Bahnlinie Schleiz – Gräfenwarth, [Bezirk] Gera, wurden mit Kreide auf einen Felsen von unbekannten Tätern Hakenkreuze gemalt.

Diversion

Bei einem Traktor Typ »Pionier« der MTS Herzberg, [Bezirk] Cottbus, durchschlug während der Fahrt die Ölwanne. Ermittlungen ergaben, dass sich im Getriebegehäuse ein Eisenstück mit 20 cm Länge und 2,5 cm Breite befand. Dieses Fahrzeug ist vor vier Wochen aus der MTS-Leitwerkstatt Jessen von der Reparatur gekommen.

In der Nacht zum 11.12.[1954] wurden von unbekannten Tätern am Vorsignal zwischen den Bahnhöfen Neuruppin und Rheinsberg dreimal die Signallampen geschädigt und in die Böschung geworfen. Außerdem wurden drei Lufthähne eines Personenzuges geschlossen und bei allen abgestellten Güterwagen des Bahnhofes die Wagenzettel entfernt.26

Brandstiftung

Am 13.12.1954, gegen 17.45 [Uhr] brannte in der Gemeinde Kölzin, [Bezirk] Schwerin, eine Scheune des ÖLB ab.27

Gefälschte Anweisung

Der VEB »Heinrich Rau« Wildau, [Bezirk] Potsdam, und der VEB Stahlbau Brandenburg erhielten ein gefälschtes Schreiben mit dem Kopf des Ministeriums für Maschinenbau und der Unterschrift des Genossen Heinrich Rau.28 Inhalt: »Aufgrund der hervorragenden Leistungen der Werktätigen bei der Herstellung von Massenbedarfsgütern werden die mit Anweisung vom 22.9.1954 gegebenen Richtlinien aufgehoben.29 Die gemeldeten Sperrbeträge sind ab sofort frei verfügbar.«30

Gerücht: In Panschwitz, Kreis Kamenz, [Bezirk] Dresden, kursiert das Gerücht, dass die Preise der freien Spitzen für Schweine und Rinder bis zu DM 50,00 pro Zentner herabgesetzt werden.31

Gefälschte Benzinmarken: In Dessau, [Bezirk] Halle, wurden 67 und in Gera 150 gefälschte Benzinmarken gefunden.

Anlage 1 vom 16. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2393

Stellungnahmen zur Moskauer Deklaration

Im Allgemeinen wird unter der Bevölkerung zustimmend über die Moskauer Deklaration gesprochen. Von fortschrittlichen Kräften wird immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass es den Kriegstreibern niemals gelingen darf, ein neues Völkermorden zu entfachen und dass deshalb alles getan werden muss, die Pariser Verträge zu verhindern. In diesem Rahmen kommt es immer wieder zu Äußerungen, die von Arbeitern, Angestellten, Jugendlichen, Hausfrauen und in der Landwirtschaft Beschäftigten, von Einzelbauern u. a. m. stammen, dass es eine Selbstverständlichkeit sei, in der DDR zu Sicherungsmaßnahmen zu greifen, wenn es nicht gelingen sollte, die Ratifizierung der Kriegspläne zu verhindern. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter aus den Leuna-Werken »Walter Ulbricht«: »Ich habe den letzten Krieg mitgemacht und bin restlos bedient. Die Pariser Verträge müssen unbedingt verhindert werden,32 um ein neues Völkermorden nicht aufkommen zu lassen. Wenn uns dies gelingt, brauchen wir keine Nationalen Streitkräfte. Den Pariser Verträgen ist unbedingt der Kampf anzusagen, denn die Wiederaufrüstung Westdeutschlands bedeutet Krieg.«

Ein Angestellter aus dem Kreis Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir in der DDR Maßnahmen ergreifen müssen, wenn es den Kriegstreibern gelingen sollte, ihre verbrecherischen Pläne durchzupeitschen. Dann müssen wir einem Angriff vorbeugen.«

Eine Hausfrau aus Niederwiesa, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich habe die Deklaration gelesen und begrüße diese auch. Es ist ganz klar, dass wir bei zunehmender Kriegsgefahr Maßnahmen treffen müssen, um unsere Errungenschaften zu schützen.«

Ein Traktorist von der MTS Luttowitz,33 [Bezirk] Dresden: »Es ist für mich ganz natürlich, dass wir dann Nationale Streitkräfte aufstellen müssen, wenn in Westdeutschland die Ratifizierung der Pariser Verträge erfolgen sollte.«

Ein werktätiger Bauer aus Zodel,34 [Kreis] Görlitz, [Bezirk] Dresden: »Ich habe vom Barras35 die Schnauze voll. Ich habe den Zweiten Weltkrieg von Anfang mitgemacht und war bis 1948 in französischer Kriegsgefangenschaft. Um zu verhindern, dass bei uns noch einmal solche Zustände wie unter der Naziherrschaft eintreten, greife auch ich, wenn es notwendig sein sollte, noch einmal zur Knarre.«

Zum anderen diskutiert noch immer ein nicht geringer Teil – vorwiegend in den Betrieben und besonders Jugendliche – losgelöst von den übrigen Problemen über die Aufstellung Nationaler Streitkräfte. Aufgrund der bestehenden Unklarheiten entwickeln sich immer wieder ablehnende Diskussionen. Die Jugendlichen argumentieren immer wieder damit, dass wir die westdeutsche Jugend auffordern, den Wehrdienst abzulehnen und dass jetzt bei uns das Gleiche eingeführt werden soll. Sie wollen deshalb ebenso handeln wie die westdeutsche Jugend. Darüber hinaus erklären immer wieder Jugendliche, dass sie im Falle der Einführung der Wehrpflicht nach Westdeutschland gehen wollen. Zum Beispiel wurden in den Grundeinheiten der FDJ der Chemischen Werke Buna Versammlungen durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass die Lehrausbilder es nicht verstanden, den Jugendlichen die Gefährlichkeit der Pariser Verträge aufzuzeigen. Sie führten meist nur Diskussionen über die Nationalen Streitkräfte.36

Dagegen in den Leuna-Werken ist es durch Aufklärung gelungen, die überwiegend negativen Diskussionen unter den Jugendlichen zu beseitigen, was aber nicht ausschließt, dass noch immer, wie z. B. im Bau 15, negativ diskutiert wird, indem man z. B. sagt, dass wir schon eine Wehrmacht in Form der KVP haben.37 Sie sagen weiter, dass sie nicht Soldat werden brauchen, weil auch die westdeutsche Jugend kein Gewehr in die Hand nehmen soll.38

Im Kreis Pößneck, [Bezirk] Gera, ist zu verzeichnen, dass in VEB und Verwaltungen viele Jugendlichen erklären, dass sie kein Gewehr in die Hand nehmen, um auf ihre Brüder im Westen zu schießen. Höchstens dann, wenn sie Gestellungsbefehle erhalten und sie gewissermaßen dazu gezwungen sind. Andere wieder erklärten, dass wir nicht alles nachzuahmen brauchten, was der Westen uns vormacht, da wir ja für den Frieden wären.

In einer Diskussion im VEB Holzbearbeitung in Herrenhaide, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erklärten Jugendliche: »Wenn es mit dem Militär losgeht, dann machen wir nicht mit. Die Gestellungsbefehle zerreißen wir, denn das habt ihr uns ja erst weißgemacht.« Oder: »Wenn es gar nicht geht, dann hauen wir nach dem Westen ab.«

Im VEB Bekleidungswerk Herko in Sonneberg, [Bezirk] Suhl, wurde im FDJ-Schuljahr über die Nationalen Streitkräfte gesprochen. Dabei zeigten sich ebenfalls große Unklarheiten. Zum Beispiel sagte ein Jugendlicher: »In Westdeutschland wird ein Heer aufgestellt, um die Heimat zu verteidigen und bei uns in der DDR aus dem gleichen Grunde. Worin besteht da nun ein Unterschied?«

Feindliche Elemente treten in geringem Maße in Erscheinung und benutzen weiterhin die Situation zur Hetze gegen die DDR und die SU. Zum Beispiel sagte ein Einwohner aus Karl-Marx-Stadt: »Mit mir können sie keinen Blumentopf gewinnen. Und wenn ich Soldat werden muss, dann kann ich auf der anderen Seite genauso schießen lernen wie hier.«

Im Blockwalzwerk des Stahlwerkes Henningsdorf wurden Diskussionen geführt, dass die allgemeine Wehrpflicht bei uns im Januar 1955 eingeführt würde. Dazu erklärte eine Arbeiterin, dass dann 75 Prozent der Nationalen Streitkräfte in der entgegengesetzten Richtung als befohlen marschieren würden.

Ein Arbeiter aus dem Abus-Werk Schwerin: »Molotow39 ist genauso ein Schuft wie Churchill.40 Mit dem EVG-Vertrag hat es nicht geklappt.41 Nun wird das Ding anders gedreht. Das bedeutet weiter nichts, als wie hüben und drüben die Wehrpflicht einzuführen.«

Anlage 2 vom 16. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2393

Auswertung von Hetzschriften

In der Hetzschrift des SPD-Ostbüros »Tribüne« wird in der Nr. 13/5442 zur 21. Tagung des ZK der SED Stellung genommen,43 und es heißt dazu einleitend, dass »ein neuer Abschnitt für den Widerstandskampf der sowjetzonalen Arbeiterschaft gegen das ausbeuterische SED-Regime begonnen habe«. Die weiteren Ausführungen enthalten die bereits bekannte Hetze »von dem restlosen Zusammenbruch des neuen Kurses«,44 der durch die Tagung bewiesen und »zugegeben« worden sei. Der Artikel schließt mit den Worten: »… Die Arbeiterschaft der Sowjetzone hat es nach dem 17. Juni 1953 trotz der Verstärkung des Terrors verstanden, durch neue Formen des Widersandes dem Regime ständig das Bewusstsein zu erhalten, dass es aus dem Bankrott nicht mehr herauskommt. Ulbrichts Eingeständnis vor dem ZK ist ein Beweis dafür. Auch die neue Kampfansage wird die Masse des Volkes in seinem Kampf um die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit nicht einschüchtern können.«

Andere Artikel dieses Hetzblattes dienen dazu, die SED und die Parteiführung zu diffamieren. Behandelt werden u. a. die Fragen der Wachsamkeit und die Aufgaben der BPO bei der Erfüllung des Planes als »Kontrollorgan« in den Betrieben.

Nach einer kurzen lügnerischen Darstellung, dass nur ein geringer Prozentsatz der SED-Mitglieder die Politik unserer führenden Genossen billige und die Mehrheit nicht hinter der Partei stehe, sondern den Willen habe, gegen dieselben zu kämpfen, geht das SPD-Ostbüro auf die Agententätigkeit in der DDR ein und schreibt: »… Das Ostbüro gibt keine Rundschreiben und keine Anleitungen für die Widerstandstätigkeit in der Sowjetzone heraus. Das würde nur zu einer unnötigen Gefährdung der Empfänger führen und der Sache nichts nützen. Wir können von hier aus nicht mehr als Anregungen und die vielseitigen Erfahrungen vermitteln … Aber wir wollen ganz deutlich aussprechen, dass wir als demokratische Sozialisten das Verhalten der großen Massen der Arbeiterschaft und der werktätigen Bevölkerung als entscheidend für die politische Entwicklung ansehen, nicht aber Sabotage und Terrorakte kleiner Verschwörergruppen …«

Unter der Überschrift »Bürgerkriegsarmee gegen Einheit« hetzt das SPD-Ostbüro gegen unsere KVP. Unsere Regierung wird beschuldigt, die Schuld an der Spaltung Deutschlands zu tragen, wobei die Hauptursache in der »bis an die Zähne bewaffneten Nationalarmee« zu suchen sei. Im weiteren Verlauf des Flugblattes werden dann Zahlen über die einzelnen Einheiten der KVP genannt, wobei man sich angeblich auf Listen der Volkswahl stützt. Gleichzeitig wird von einer Anweisung gesprochen, die Stärke der KVP »bis zum Sommer 1955 auf 300 000 Mann zu bringen«. Das Flugblatt schließt mit den Worten: »… Die Forderung der Zonenbevölkerung bleibt: Fort mit der Ulbricht-Armee! Dieser antinationalen Unterdrückungsarmee keinen Freiwilligen und keinen Spendengroschen!«

Vom UFJ45 werden an Eisenbahner in der DDR Hetzbriefe versandt, in denen immer wieder versucht wird, Unzufriedenheit unter denselben zu erzeugen. Das letzte diesbezügliche Hetzschreiben befasst sich mit Vergleichen zwischen der Lage der Eisenbahner in der DDR und in Westdeutschland und soll den Beweis erbringen, dass die Lage der Eisenbahner in der DDR weit schlechter ist als die der westdeutschen Eisenbahner. Beim Lohn werden die Abzüge für Sozialversicherungsbeiträge erwähnt, während die westdeutschen Eisenbahner »als pensionsberechtigte Beamte« von diesen Abzügen frei seien. Als besondere Leistungen werden noch »8 Freifahrscheine und Kindergeld« herausgestellt. Das Ziel des Schreibens wird mit folgenden Worten am Schluss des Briefes ersichtlich: »… Ihr Wunsch, Eisenbahner der Bundesbahn zu werden, wird nicht erst durch dieses Schreiben geweckt worden sein. Als Facheisenbahner, der mit Leib und Seele an seinem Beruf hängt, werden sie sich gewiss schon lange nach geordneten Verhältnissen sehen [sic!]. Wir kennen ihre Nöte. Die Bundesbahn kann aber nicht alle Eisenbahner der Sowjetzone, die nach dem Westen kommen, übernehmen …« Als Voraussetzung für die »Übernahme« ist notwendig: »Ablehnung von Unrechtshandlungen«. Die Eisenbahner sollen sich auf jeden Fall beim UFJ Rat holen und z. B. auch melden, wenn sie »in die unglückliche Lage kommen, in Diskussionen oder als Zirkelleiter kommunistische Phrasen gebrauchen zu müssen«, damit dies bei der späteren »Übernahme« berücksichtigt werden kann.

Ein Artikel der vom UFJ mit der Überschrift »Die Privatwirtschaft« (Nr. 4) herausgegebenen Hetzschrift beschäftigt sich mit der »Rückgabe beschlagnahmter Privatbetriebe«. Es heißt darin, dass infolge hoher Verschuldung der Treuhandbetriebe dieselben an die Eigentümer zur Rücknahme angeboten werden. Die Privatbesitzer werden aufgefordert, »sich vor Rücknahme genau zu überlegen, ob sie einen solchen Betrieb tatsächlich wieder in eigener Regie übernehmen und weiterführen wollen. Es sind dabei die Vorschriften über Konkursanmeldung zu beachten, da oftmals die Höhe der Verbindlichkeiten eine Weitererhaltung des Betriebes verbietet.«

In anderen kurzen Notizen werden nachfolgende Hinweise für die Privatindustrie gegeben:

  • Von Möglichkeit der Preiserhöhungsanträge Gebrauch machen.

  • Keine ungenehmigten Überstunden dulden und die Höchstgrenze beachten, da sonst die Bezahlung aus dem unversteuerten Reingewinn erfolgen muss.

  • »Vertrauenswürdige Käufer« sollen auf die Anweisung aufmerksam gemacht werden, dass die beim Einkauf von Büromaschinen, optischen Geräten usw. auszustellende Rechnung mit der Nr. des Personalausweis des Käufers in dreifacher Ausfertigung geschrieben werden muss und ein Exemplar davon an die VP geht.

  • Bei Versammlungen der Industrie- und Handelskammer und der Massenorganisationen Zurückhaltung üben.

  • Materialabfälle untereinander austauschen, da bei Abgabe an die DHZ nur die volkseigene Wirtschaft damit versorgt würde.

  • Vertragsabschlüsse im Rahmen der Massenbedarfsgüterproduktion sollen grundsätzlich abgelehnt werden, »es sei denn, dass alle günstigen Voraussetzungen (Material, freie Produktionskapazität, Finanzmittel usw.) für die Aufnahme einer neuen Produktion vorliegen«.

  • Da der Materialbedarf infolge einer Anweisung nur zu 65 Prozent gedeckt sei (Rest soll aus örtlichen Reserven kommen), sollen die Privatbetriebe ihren Prod.-Plan auch nur 65 Prozent erfüllen.

  • Der UFJ soll verständigt werden, wenn Angestellte der Industrie- und Handelskammern den Organen der Preisüberwachung Mitteilung über Preisverstöße machen, damit diese zur Rechenschaft gezogen werden können.

In längeren Ausführungen wird gegen die Industrie- und Handelskammern gehetzt, die ihre Rolle als Unterstützung der Privatindustrie und des Handwerks aufgegeben hätten und »zu Handlangern der SED« geworden seien. Den Versammlungen dieser Institutionen soll durch »vorbereitete Diskussionen und entsprechende Fragen« eine von den Privatunternehmern gewünschte Richtung gegeben werden. Dazu werden zahlreiche, oftmals provokatorische Fragen, vorgeschlagen.

Die Hetzschriften der KgU, die mit der Post verbreitet werden, richten sich in der letzten Zeit besonders an die Bevölkerung in Mecklenburg und befassen sich mit örtlichen Problemen. In den Schreiben wird gegen die Sowjetunion gehetzt und versucht, die Deutsch-Sowjetische Freundschaft zu untergraben. Beispiele dazu sind angebliche Überfälle sowjetischer Soldaten und die Arbeit der Werften, »die nur für getarnte Reparationen« durchgeführt würde.

Weitere Ausführungen einer Hetzschrift mit dem Titel »Die unchristliche Seefahrt in der DDR« berichten von einer schlechten Arbeit der Werften und einer »völlig darniederliegenden Hochseeschifffahrt der DDR«. Die Hetzschriften schließen mit der Aufforderung zur Mitarbeit in der KgU und es heißt u. a.: »… Arbeiter und Angestellte der Werften! Wollt ihr weiter eure Sklavenketten für euch schmieden, belohnt mit Undank, Versprechungen, Wartestunden, Material- und Verpflegungsknappheit? Wofür? Schließt euch der Arbeite-Langsam-Bewegung an und steht euren Mann mit uns zusammen im Widerstand, der einmal zur Befreiung unserer Heimat beitragen wird!«

In einer Hetzschrift, in welcher sehr verleumderisch gegen die Familie eines Mitarbeiters des SfS gehetzt wird, treibt man abschließend mit folgenden Worten Mordhetze: »… Im Interesse aller Deutschen wünschen wir aber, dass diese Banditen einmal dorthin kommen, wo sie hingehören, nämlich aufgehängt an den höchsten Ast eines Baumes.«

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