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Zur Beurteilung der Situation in der DDR

17. Dezember 1954
Informationsdienst Nr. 2394 zur Beurteilung der Situation in der DDR

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Neben den weiterhin im Vordergrund stehenden Diskussionen zur Moskauer Konferenz1 wird von einem Teil der Arbeiter besonders über die Auszahlung von Weihnachtsgeldern gesprochen.2 Meist handelt es sich hierbei um Kollegen, die aufgrund ihrer Überstunden zur Erfüllung des Planes zeitweilig über 500 DM erhalten und jetzt kein Weihnachtsgeld bekommen. Deshalb empfinden sie die 500-DM-Grenze als ungerecht. Vereinzelt kommt es dabei zu feindlichen Äußerungen. Ein Bergarbeiter aus Hohenstein-Ernstthal sagte z. B.: »Die 500-DM-Grenze ist nicht richtig, da wir bei unserer schweren Arbeit sehr viel leisten müssen und trotzdem keine Weihnachtsgratifikation erhalten.«

Ein Eisenbahner aus Frankfurt/Oder: »So ein Weihnachtsgeschenk ist ja ganz schön. Im kapitalistischen Deutschland haben wir immer einen Wochenlohn zu Weihnachten erhalten. Warum ist dies nicht bei uns möglich, wo wir doch angeblich die Mitbesitzer aller Errungenschaften sind.«

Ein Arbeiter vom VEB Peniger Maschinenfabrik, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Solche Gauner. Wir bekommen kein Weihnachtsgeld und andere, die nichts machen, erhalten welches. Sollen sie doch das Bonzengehalt kürzen und den Hilfsarbeitern den Stundenlohn erhöhen. Aber nächstes Jahr wird es noch besser. Da bekommen wir gar nichts mehr, denn dann brauchen die alles für ihre Armee.«

Zur vorzeitigen Arbeitseinstellung kam es am 11.12.1954, gegen 13.00 Uhr im VEB Glaswerk Döbern, Kreis Forst, [Bezirk] Cottbus, da die Glasmacher mit der Neuregelung der Arbeitszeit nicht einverstanden waren.3 Die Neuregelung der Arbeitszeit machte sich aufgrund der Energieversorgung notwendig. Vor allem wollten die Glasmacher am Sonnabend eher anfangen, um mittags Feierabend zu haben. Da eine solche Regelung nicht erfolgte und die Betriebsleitung die Arbeiter nicht aufklärte, hatten am 11.12.[1954], gegen 13.15 [Uhr] bereits alle Arbeiter ihren Arbeitsplatz verlassen. Am 13.12.[1954] fand eine Versammlung statt, in welcher die Notwendigkeit der neuen Arbeitszeit aufgezeigt wurde. Die Arbeiter ließen sich davon überzeugen.4

Eine größere Missstimmung besteht in sämtlichen Hettstädter Hüttenbetrieben wegen der Reduzierung des Verwaltungsapparats. Die Kündigungen der Arbeitsverhältnisse wurden noch vor Weihnachten ausgesprochen. Zum größten Teil sind keine anderen Arbeitsmöglichkeiten vorhanden.5

Die Kollegen der BVG, Straßenbahnhof Berlin-Lichtenberg sind darüber verärgert, dass die Prämienzahlung für die Linienbrigaden zu niedrig ist. So erhielten z. B. bei der letzten Zahlung die Kollegen der Linie 4 nur 3,00 bis 7,00 DM als Prämie. Auf anderen Bahnhöfen z. B. Treptow, Weißensee, beträgt die Prämie zwischen 20,00 bis 30,00 DM.

Die Kumpels, die mit dem Bus von Annaberg nach Niederschlema fahren müssen, sind darüber verärgert, dass die Busse überfüllt sind. Beschwerden bei der zuständigen Gewerkschaft waren bisher erfolglos.

Unter den Eisenbahnern des Bezirkes Frankfurt/Oder wird viel über die niedrige Bezahlung bei der Reichsbahn diskutiert. So sagte z. B. ein Zugführer aus Gusow: »Für das Geld, was die Reichsbahn für nebensächliche Dinge, wie z. B. Kulturzüge, von denen wir sowieso nichts haben, ausgibt, sollte man lieber die Eisenbahner besser bezahlen. Es ist traurig, dass ein Zugführer, der schon 30 Jahre im Dienst ist, mit 280 DM abgespeist wird.«

Die Arbeiter des VEB [Landmaschinenbau] »Rotes Banner« in Döbeln, [Bezirk] Leipzig, hatten sich zu Ehren des IV. Parteitages verpflichtet,6 20 Kartoffelroder zusätzlich zu produzieren. Diese Kartoffelroder waren zu Beginn der Hackfruchternte fertig, wurden jedoch nicht eingesetzt. Obwohl mehrere Male die Bezirksleitung der SED Leipzig davon unterrichtet wurde, wurden die Maschinen nicht abverfügt.

Die Kollegen der Betriebswerkstatt des VEB Nähmaschinenwerk Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, haben ein Schreiben an die zuständige Dienststelle gesandt mit der Bitte, die inhaftierten Schweißer ihres Betriebes, die wegen verursachten Brandes der Modelltischlerei festgenommen wurden, zu den Weihnachtstagen zu entlassen. In dem Schreiben wird betont, dass es keine Protestresolution sein soll, sondern dass die schlechten Familienverhältnisse der Betreffenden der Anlass für ihre Bitte seien.7

Materialschwierigkeiten bestehen im Wismut-Objekt 101 in Crossen,8 wo es seit Anfang Dezember an Soda fehlt. Sämtliche Reserven wurden aufgebraucht, neue Lieferungen stehen nicht in Aussicht. Es besteht die Gefahr, dass die Produktion eingestellt werden muss. Die Mittagsschicht am 16.12.1954 war bereits gezwungen, nur 50 Prozent der Betriebskapazität auszulasten.

Im Wismut-Schacht 296 in Aue mangelt es an Hunte,9 Bohrstangen und Bohrkronen.

Im VEB Sachsenpelz Naunhof, [Bezirk] Leipzig, kann wegen Materialmangel der Produktionsplan nicht erfüllt werden. So sollten z. B. bis zum 30.9.1954 von der VEAB 128 000 Rohfelle und von dem DIA 170 000 Rohfelle geliefert werden, was jedoch bis jetzt noch nicht erfolgte. Unter der Belegschaft wird diskutiert: »Wir sind bereit, unser Möglichstes zu tun, um den Plan zu erfüllen, aber wenn kein Material vorhanden ist, kann dies nicht geschehen.«

Die VEB Glaswerke Ilmenau, Stützerbach und Schmiedefeld, [Bezirk] Suhl, haben im Monat Dezember bereits einen Arbeitsausfall von 600 bis 800 Stunden infolge Gassperren. In den Diskussionen bringen die Arbeiter zum Ausdruck, dass sie nicht verstehen können, warum den Klein- und Privatbetrieben keine Gassperren auferlegt sind, jedoch den VEB. Dadurch können sie die Produktionspläne, die Exportaufträge und die Massenbedarfsgüterproduktion nicht erfüllen.

Produktionsstörungen

Im VEB Ostdeutsche Tuchfabrik Forst, [Bezirk] Cottbus, fiel die Dampfmaschine I für die Stromerzeugung infolge Wasserschlag im Niederdruckzylinder aus. Der bisher geschätzte Schaden beträgt 50 [000] bis 60 000 DM.

Im BKW »Franz Mehring«, [Bezirk] Cottbus, fiel ein Bagger infolge Seildefekt aus. Produktionsausfall: 550 Tonnen Rohkohle.

Am 14.12.1954 fiel im VEB Gummiwerk Heidenau, [Bezirk] Dresden, eine Walze aus, da sie sich nicht mehr abschalten ließ.

Am 15.12.[1954] ereignete sich im VEB Eisenhüttenwerk Thale ein Mittelwalzenbruch. Produktionsausfall: ca. 250 Tonnen Walzgut.

Am 15.12.1954 brannte von der Turbine im VEB Teigwarenwerk Waren, [Bezirk] Neubrandenburg, ein Lager aus, da die automatische Schmierung aussetzte.

Handel und Versorgung

Infolge der besseren Versorgung mit Weihnachtsbedarf treten Mängel in der Belieferung jetzt weniger in Erscheinung. Sie machen sich nur teilweise wie folgt bemerkbar. Im Bezirk Potsdam fehlt es an Südfrüchten und Süßigkeiten. Im Bezirk Schwerin an Südfrüchten, besonders in den Landgemeinden. Im Bezirk Neubrandenburg an Südfrüchten, durch die unterschiedliche Warenstreuung nur teilweise, wie z. B. im Kreis Ueckermünde.

Verschiedentlich macht sich der Mangel an Textilien, besonders Wäsche, bemerkbar, wie z. B. im Bezirk Potsdam, wo der Weihnachtsmarkt in Putlitz vorzeitig abgebrochen wurde, weil Waren aller Art nicht ausreichend vorhanden sind.10 Ähnliche Mängel in der Versorgung mit Textilien und Industriewaren sind z. B. teilweise in den Bezirken Neubrandenburg, Schwerin, Potsdam und in den ländlichen Gebieten des Bezirkes Rostock zu verzeichnen.

Benzinmangel mit nachteiligen Folgen für den Transport macht sich in den Kreisen Geithain, [Bezirk] Leipzig, und Sangerhausen, [Bezirk] Halle, bemerkbar.

Immer wieder kommen Berichte aus verschiedenen Kreisen, wonach einzelne Waren in den Verkaufsstellen der HO und des Konsums zu erhöhten Preisen verkauft werden. Bei der HO Sportwaren in Rathenow, [Bezirk] Potsdam, sind z. B. die Preise für Trainingsanzüge jetzt vor Weihnachten um 13,00 DM gestiegen.11

Landwirtschaft

Mittelpunkt der politischen Diskussionen ist weiterhin die Moskauer Konferenz.

Verhältnismäßig wenig wird zur 3. LPG-Konferenz Stellung genommen.12 Zum Teil liegt das daran, dass die Rede Walter Ulbrichts13 auf dieser Konferenz stellenweise noch nicht bekannt ist, wie z. B. im Bezirk Cottbus, wo kaum dazu Stellung genommen wird. Dort ist zu verzeichnen, dass das Organ der SED-Bezirksleitung nur einmal eine kurze Zusammenfassung über den Verlauf der Konferenz veröffentlichte. Es brachte aber keine weiteren Auszüge aus dem Referat des Genossen Walter Ulbricht.

In überwiegendem Maße werden die Beschlüsse dieser Konferenz begrüßt und hauptsächlich die bisherigen Fehler und Mängel in der Landwirtschaft einer Kritik unterzogen. In Hohenmölsen, [Bezirk] Halle, fand eine Auswertung dieser Konferenz statt, auf der 300 Delegierte anwesend waren. Die Diskussionsredner zeigten die Fehler auf, die sich innerhalb einzelner LPG und MT-Stationen ergaben.

Ein Genossenschaftsbauer aus Schelkau, [Bezirk] Halle, sagte, dass für 1955 ein Rinderstall geplant war und dieser wieder vom Plan abgesetzt wurde. Ein Sekretär der Landwirtschaft brachte zum Ausdruck, dass der Investplan des Kreises von 2,3 Mio. DM auf 1 Mio. DM herabgesetzt wurde. Er begründete es damit, dass im Kreismaßstab nicht genügend Bauarbeiter vorhanden sind.

In der LPG »Fortschritt« Ditfurt, Kreis Quedlinburg, [Bezirk] Halle, sagten die Genossenschaftsbauern, dass diese Konferenz endlich eine klare Aufgabenstellung für die MTS ergeben hat, wie sie zu arbeiten hat. Bisher hatte es immer den Anschein, als ginge es um etwas Persönliches, wenn uns der Stationsleiter mit einer Maschine mehr bedachte.

In der Gemeinde Heinersdorf, [Kreis] Lobenstein, [Bezirk] Gera, fand eine Aussprache zwischen Genossenschafts- und Einzelbauern statt. Hier wurde allgemein zustimmend zu den Ergebnissen dieser Konferenz diskutiert. Als Erfolg dieser Aussprache ist zu verzeichnen, dass sich drei werktätige Bauern bereiterklärten, in die LPG einzutreten.14

Im Kreis Pößneck, [Bezirk] Gera, wurde das Referat des Genossen W. U.15 von der Mehrheit der ländlichen Bevölkerung gut aufgenommen.16

Einen breiten Raum nehmen auch die Diskussionen über die Aufnahme der loyalen Großbauern in der LPG ein.17 Diese Stellungnahmen sind teils befürwortend, teils ablehnend. So erklärte z. B. ein Meisterbauer aus Ranis, [Kreis] Pößneck: »Es bedeutet einen Schritt vorwärts, wenn auch loyale Großbauern in die LPG aufgenommen werden. Die Genossenschaften werden dadurch bestimmt weitere Zugänge zu verzeichnen haben. Es muss jedoch sofort eine Aufklärung unter allen Genossen über diese Maßnahme vorgenommen werden, nachdem festgestellt wurde, dass dieser Schritt teilweise überhaupt nicht verstanden wird, wie z. B. in der Kreisabendschule und der Kreisaktivtagung in Pößneck.«18

Ein Großbauer aus der Gemeinde Borau: »Es ist nicht schlecht, dass wir Mitglied der LPG werden können, aber so, wie die LPG Borau, [Bezirk] Halle, habe ich wenig Vertrauen.«

Ein werktätiger Bauer aus Schlöben, [Kreis] Stadtroda, [Bezirk] Gera: »Es steht fest, dass die Bauern früher besser lebten. Die LPG werden vom Staat unterstützt und sind doch nicht in der Lage, gut zu arbeiten. Wenn vorgeschlagen wurde, Großbauern in die LPG aufzunehmen, so nur deshalb, weil sie immer dem Staate das Beste einbrachten und somit die LPG unterstützen sollen, ehe diese zusammenbrechen.«

Unter dem Einfluss von Gerüchten über eine neue Verordnung vom 1.1.1954 über die Ablieferungspflicht und darüber, dass Brot wieder rationiert wird,19 ziehen es die Bauern aus Rosenhagen, [Kreis] Perleberg, vor, alle Schweine, die für freie Spitzen vorgesehen waren,20 für den eigenen Bedarf zu füttern. Ein Großbauer aus Boddin, Kreis Hagenow, [Bezirk] Schwerin, sagte: »Ich benötige mein Getreide zu Futterzwecken. Im kommenden Jahr wird das Brot wieder rationiert und dann habe ich keine Möglichkeit, Brot für Futterzwecke zu benutzen.«21

Schwierigkeiten wegen Ersatzteilmangel haben die MTS Puschwitz, Kreis Kamenz,22 [Bezirk] Dresden, und die MTS Putlitz, Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam. Es fehlt besonders an Ersatzteilen für KS 6223 und RS 3024 sowie an Kugellagern, Pflugteilen und Schrauben. Die Raupen in der MTS Putlitz z. B. können nicht eingesetzt werden, weil keine Stützrollen für die Reparatur vorhanden sind. Diese Raupen sind zzt. die einzige Zugkraft der MTS.

Viehverluste

In dem ÖLB Grünz, [Kreis] Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg, ist die Schweinepest ausgebrochen. Es verendeten 116 Schweine und 53 mussten notgeschlachtet werden.

Übrige Bevölkerung

Im Mittelpunkt der politischen Gespräche stehen weiterhin die Moskauer Konferenz und die damit im Zusammenhang stehenden Probleme. Auch unter der übrigen Bevölkerung kommt es teilweise zu unzufriedenen Stimmen über die Weihnachtsgratifikation. Zum Beispiel hat sich in den letzten Tagen die Stimmung unter den Angestellten der HO-Gaststätten in Leipzig wesentlich verschlechtert. Die Gründe dafür sind, dass ein großer Teil der Kellner keine Weihnachtszuwendung aufgrund der während der Messe geleisteten Überstunden erhält, weil sie damals im Durchschnitt mehr als 500 DM verdienten. Darüber hinaus sollten auf der Grundlage des 21. Plenums des ZK einzelne Entlassungen vorgenommen werden, um die Rentabilität des Betriebes zu sichern.25

Im VP-Revier des Betriebsschutzes der Thüringer Öl- und Fettwerke Gotha werden wie folgt Diskussionen geführt: »Durch den demokratischen Rundfunk und die Presse wurde bekanntgegeben, dass bei der Weihnachtszuwendung die staatlichen Organe ebenfalls bedacht werden. Wir als Volkspolizisten zählen auch zu den staatlichen Organen und haben uns bestimmt auch ein Weihnachtsgeld verdient, zumal wir im Gegensatz zu den Arbeitern an den Feiertagen Dienst tun müssen.«26

Eine Angestellte (SED) vom Rat des Kreises Grevesmühlen, [Bezirk] Rostock: »Man macht bei uns den Westen immer so schlecht. Aber da kümmert man sich wenigstens um die Rentner. Diese erhalten 35,00 DM zu Weihnachten.27 Bei uns dagegen sind sie kurz vor dem Verhungern.«

Ein Rentner aus Hohenstein-Ernstthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich möchte auf meine alten Tage lieber im Westen leben, weil man dort drüben als alter Mensch besser unterstützt wird als hier. Und außerdem bin ich davon überzeugt, dass Adenauer den Frieden will.28 Ich kann es nicht verstehen, dass man den Arbeitern alles hinten und vorn reinsteckt – wie man jetzt wieder bei den Weihnachtsgeldern sieht – und wir Rentner müssen fast verhungern.«

Im Studio der DEFA-Wochenschau (Berlin) wird viel über das 21. Plenum des ZK gesprochen. Nach bereits durchgesprochenen Vorschlägen will man am falschen Platz mit der Einsparung beginnen und zwar bei den Spesen, Überstunden, Nachtarbeit usw. Zweckmäßig ist die Einsparung aber nach Meinung einzelner Mitarbeiter bei den Dreharbeiten, wo sehr viel Geld eingespart werden könnte, wenn man die Dreharbeiten an einem Tag nach Möglichkeit beendet, ohne dass am nächsten Tag wieder aufgebaut werden muss.

Angesichts der Notwendigkeit der Senkung der Selbstkosten und der Erhöhung der Arbeitsproduktivität in den Betrieben wird von vielen Angestellten des Verbandes Deutscher Komponisten darauf hingewiesen, dass bei Tagungen, Dienstreisen usw. zu viele Mittel unnütz ausgegeben werden. Das trifft nicht nur beim Verband Deutscher Komponisten zu, sondern bei allen anderen kulturellen Institutionen. Als Beispiel wurde der im Herbst 1954 in Leipzig stattgefundene Kongress deutscher Komponisten angeführt,29 wo große Summen für Unterkunft, Verpflegung, Veranstaltungsbesuch usw. ausgegeben wurden, obwohl nur wenige hervorragende Musikwissenschaftler und Komponisten im Verhältnis zu den übrigen Gästen anwesend waren. Die Erstgenannten sollte man bevorzugen, hingegen könnten die Ausgaben bei den übrigen Gästen stark eingeschränkt werden.

Unter der Bevölkerung im Demokratischen Sektor von Berlin werden immer wieder darüber Diskussionen geführt, dass es nicht richtig sei, dass die Westberliner zum Nachteil der Bevölkerung im Demokratischen Sektor unsere Lokale belegen. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter aus Treptow: »Ich muss den ganzen Tag arbeiten und wenn ich abends mal in das Café30 ›Warschau‹ oder ›Budapest‹ gehen will, winkt der Pförtner mit der Bemerkung ab, ›es ist überfüllt!‹ Vor der Tür sieht man dann nur KB-Wagen parken.31 Man müsste doch eine Ausweiskontrolle durchführen, denn diese Gaststätten sollen doch der Erholung der arbeitenden Menschen und nicht dem Westberliner Schiebern dienen.«32

Auf einer Besprechung der Volksvertreter erklärte ein Teilnehmer vom Wirkungsbereich Grünau, dass die Bevölkerung seines Wirkungsbereiches verlangt, dass in diesem Ortsteil ein Lokal geschaffen wird, in welches kein Westberliner Zutritt haben darf. Das wird damit begründet, dass in den jetzt vorhandenen Lokalen kein Platz zu bekommen ist, weil die durch die Westberliner überfüllt sind.33

Nach wie vor nehmen die Diskussionen über die Mängel im Handelsapparat sowie über andere Unzulänglichkeiten einen größeren Rahmen ein. Zum Beispiel war das Warenangebot in der Gemeinde Lehesten (500-km-Sperrzone),34 [Bezirk] Gera, – besonders die Versorgung mit Textilien – in den letzten Monaten sehr schlecht. Das hat sich jetzt geändert und demzufolge auf die Stimmung eingewirkt. Nur taucht jetzt die Frage auf, woher auf einmal die vielen Waren kommen.

Immer wieder kommt es zu Preissteigerungen, worüber die Bevölkerung verärgert ist.35 Zum Beispiel sagten einige Hausfrauen im Konsum Zeitz, [Bezirk] Halle: »Die Preissenkung hätte gar nicht sein brauchen.36 Um das Geld jetzt wieder hereinzubekommen, wird die Ware wieder teuer verkauft. Zum Beispiel kostete durch die Preissenkung eine Unterhose 11,00 DM und jetzt muss man wieder 16,00 DM bezahlen.«

An der Tankstelle Stollberg, [Kreis] Sangerhausen, [Bezirk] Halle, diskutierten verschiedene Kraftfahrer, dass dies schon die 5. Tankstelle sei, die kein Benzin vorrätig habe. Scheinbar gebe es in der DDR kein Benzin mehr, weil alles für die Nationalen Streitkräfte gebraucht werde.

Im Kleinmachnow, [Kreis] Potsdam, ist noch immer das Gerücht im Umlauf, dass dieser Ort an die Westsektoren angegliedert werden soll. Es wird sogar erzählt, dass einzelne führende Genossen bereits aus dem Grunde aus Kleinmachnow verzogen seien.37

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverbreitung

SPD-Ostbüro:38 Suhl, Kreis Bad-Salzungen, 3 000, Gera 6 000, in Schönow, [Bezirk] Frankfurt, 6 000, Karl-Marx-Stadt einige, Dresden, Kreis Meißen, 1 700, Potsdam, Kreis Zossen, 2 300, Kreis Oranienburg 10 000, Magdeburg-Stadt 300, Rostock einige.

NTS:39 Karl-Marx-Stadt in den Kreisen Plauen und Zwickau 2 300, Halle Stadt 2 300, Neubrandenburg 44, Dresden einige.

In tschechischer Spr[ache]: Karl-Marx-Stadt 53, Dresden 1 200, davon im Kreis Bautzen 1 000, Erfurt einige.

Die Hetzschriften wurden größtenteils mit Ballons eingeschleust und sichergestellt.

Antidemokratische Tätigkeit

In Arnstadt wurden in der Wachsenburgallee und in der Längwitzer Straße Hakenkreuze mit Kreide angemalt.

In Annaberg-Buchholz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurden am 15.12.1954 sechs Hakenkreuze an Telefonmasten und Steinsäulen mit blauer Kreide angeschmiert.

In Baselitz, [Kreis] Großenhain, [Bezirk] Dresden, wurden Plakate abgerissen, die auf eine Veranstaltung der IG Land und Forst hinwiesen.

Gefälschter Auftrag

Der VEB Planeta Radebeul, [Bezirk] Dresden, erhielt am 16.12.1954 einen Anruf von der VEB Bäckerei, dass die 200 Stollen fertig zur Abholung sind. Es handelt sich hier um eine gefälschte Bestellung, die mit Originalbriefkopf vom VEB Planeta angefertigt wurde.

Gefälschte Anweisung

Der VEB Abus Niedersedlitz,40 [Bezirk] Dresden, erhielt ein gefälschtes Schreiben, welches zum Inhalt hatte, dass aufgrund der hervorragenden Leistungen der Werktätigen bei der Herstellung von Massenbedarfsgütern die Anweisung vom 22.9.1954 aufgehoben wurde und die gemeldeten Sperrbeträge ab sofort verfügbar sind.41

Vermutliche Feindtätigkeit

Am 15.12.1954 brach bei einem Altbauern in Sadenbeck, [Bezirk] Potsdam, ein Brand in der an die Scheune grenzenden Schweinebucht aus. Das Vieh konnte bis auf einige Hühner gerettet werden. Schaden ca. 4 500 DM. Der Geschädigte ist seiner Ablieferungspflicht bisher immer nachgekommen.

Im Betrieb FIMAG Finsterwalde,42 [Bezirk] Cottbus, werden für Exportaufträge Dieselmotoren, die vom VEB Fahrzeugbau »Horch« Zwickau geliefert werden, verwendet. In der letzten Zeit sind davon sechs solcher Motoren hintereinander ausgefallen, da das Öl am Kurbelwellenlager ausläuft. Dadurch sind die dringenden Exportaufträge außerordentlich gefährdet.

In der Nacht zum 14.12.1954 wurde der VEB Hartpappenwerk Bad Blankenburg, [Bezirk] Gera, wegen Ausfall der Kraftanlage 1,5 Stunden stillgelegt. Ursache: Unterbrechung eines Stromzuleitungskabels.

Am 12.12.1954 brach in der Scheune eines Mittelbauern in Behrungen, [Bezirk] Suhl, ein Brand aus. Durch rechtzeitiges Bemerken konnte dieser gelöscht werden. Nach den bisherigen Ermittlungen wird vorsätzliche Brandstiftung angenommen.

Anlage vom 17. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2394

Stellungnahmen zur Moskauer Deklaration

Die Stimmung der Bevölkerung wird weiterhin von den Diskussionen zur Moskauer Deklaration und den Ausführungen der Genossen Grotewohl43 und Ulbricht bestimmt.44 Andere Stellungnahmen zu politischen Tagesfragen treten durch dieselben in den Hintergrund.

Der Kampf gegen die Ratifizierung wird nur ganz vereinzelt als Aufgabe gestellt,45 viel mehr diskutiert man über die Aufstellung Nationaler Streitkräfte. Neben den Stimmen, die aus allen Schichten der Bevölkerung – aber in der Mehrzahl aus Arbeiterkreisen – kommen und zum Ausdruck bringen, dass die Verteidigung unserer Errungenschaften nach der eventuellen Ratifizierung der Pariser Verträge unerlässlich sei, beschäftigt man sich in den Gesprächen vorwiegend in ablehnender Form mit der Aufstellung der Nationalen Streitkräfte.

Auch hierzu äußern sich Personen aus sämtlichen Bevölkerungskreisen. Im Vordergrund stehen aber Arbeiter, die im Zweiten Weltkrieg Soldat waren. Jugendliche, die glauben, dass sie zuerst mit einer Einberufung rechnen müssen und die Gestellungsbefehle zerreißen wollen. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter aus dem Bau 216 der Leuna-Werke: »Alle Deutschen müssten die Gestellungsbefehle zerreißen und keiner dürfte mehr ein Gewehr in die Hand nehmen.« Als ihm daraufhin ein Genosse aufzeigte, dass seine Stellungnahme nicht richtig sei, erwiderte er: »Krieg kann kommen, aber ohne uns!«

Ein Arbeiter der Zuckerfabrik Wismar: »Wenn bei uns die Wehrpflicht eingeführt wird, wird mein Sohn sich weigern, Soldat zu werden, denn ich habe ihn so erzogen. Ich selber werde auch kein Gewehr anfassen.«

Ein Jugendlicher vom Möbellager der HO Wismut in Zwickau: »Jetzt sind wir soweit. Die von Westdeutschland werden die Gestellungsbefehle zerreißen und wir auch, dann gibt es keinen neuen Krieg.«

Ein FDJler aus dem VEB Glühlampenwerk Eisenach: »Es ist nicht schön, dass die Jungen wieder Soldaten werden sollen. Wir wollen doch Frieden, keinen Krieg. Es soll doch keine Mutter ihren Sohn beweinen. Was ist denn das, wenn wir jetzt Soldat werden sollen. Vergisst man das, was einst die Regierung darüber gesagt hat?«

Ein Jugendlicher aus dem VEB Gaselan, [Bezirk] Frankfurt: »Wenn der Aufbau der Nationalen Streitkräfte auf freiwilliger Grundlage beruht, werden wir nicht den Soldatenrock anziehen. Wenn wir erst dabei sind, können wir unsere Freizeit nicht mehr so gestalten wie es uns beliebt. Um jeden Ausgang müssen wir dann betteln. Wenn aber eine allgemeine Wehrpflicht eingeführt wird, dann müssen wir wohl oder übel gehen.«

Ein Jugendlicher aus dem VEB Leuchtstoff Bad Liebenstein, [Bezirk] Suhl: »Für solche Interessen nehme ich keine Waffen in die Hand. Ich werde den Gestellungsbefehl zerreißen, wie die Jugend in Westdeutschland.«

Vereinzelt treten negative Diskussionen auf, mit denen auch andere Personen gegen die DDR und eventuellen Maßnahmen zum Schutz unserer Errungenschaften beeinflusst werden sollen, oder es wird in offen feindlichen Stellungnahmen gegen die DDR gehetzt. Zum Beispiel sagte ein Agronom der MTS Schlöben, [Bezirk] Gera, in einer Brigadebesprechung: »Die jetzige Zeit spitzt sich immer wieder auf einen Krieg zu. Ich werde ab sofort mein Federbett von zu Hause mitbringen, damit ich noch ein paar Tage schön schlafen kann, denn wenn es soweit ist, kommt man von dem Holzkasten nicht runter.« Daraufhin wurde von verschiedenen Traktoristen die Meinung vertreten, dass es ja entsprechend der jetzigen Lage zwecklos sei, noch zu arbeiten.46

In der Abteilung Zeichentrick der DEFA in Potsdam-Babelsberg diskutierten ca. 20 Kollegen dahingehend, dass die Schaffung der Nationalen Streitkräfte ebenfalls eine Remilitarisierung sei. Sie sprachen von einer »Ohne-Uns-Bewegung«. Ein Kollege sagte: »Wir sind müde – Brüder, zerbrecht die Waffen!«

Der Leiter der MTS-Werkstatt in Flöha, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Mitglied der SED: »Wir sind kaum aus dem Krieg zurück, da stinkt es schon wieder nach Pulver. Sollen sie dann mit mir machen, was sie wollen, ich habe den Kanal voll und werde nicht mitgehen. Ich glaube auch nicht, dass der Amerikaner einen Krieg anfängt, dass wird nur gesagt, damit wir bei der Aufstellung der Nationalen Streitkräfte ja sagen sollen. Da müssten wir ja dumm sein!«

Ein Einwohner aus Hohenstein-Ernstthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Unsere Jugend ist nicht für Nationale Streitkräfte. Das wird dadurch bewiesen, dass die Stimmung unter ihnen äußerst schlecht ist. Man kann das ja verstehen, da wir gar nicht wissen, was wir verteidigen sollen. Den Lebensstandard, den wir haben, brauchen wir nicht zu verteidigen. Da haben die Westdeutschen eher einen Grund dazu.«

Ein Fuhrunternehmer aus Schwerin erklärte, dass es für den Deutschen eine große Gefahr wäre, dass die Streitkräfte unter russischem Kommando ständen. Man müsse damit rechnen, dass eines Tages deutsche Divisionen nach China verlegt würden.

Die Gerüchteverbreitung durch feindliche Elemente zur Beunruhigung der Bevölkerung hält weiter an. In der Stadt Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg, wird das Gerücht verbreitet, dass ab 1955 eine allgemeine Lohnsenkung durchgeführt werden solle, um den Aufbau der Nationalen Streitkräfte finanzieren zu können.

Im VEB Porzellanwerk Auma, [Kreis] Zeulenroda, [Bezirk] Gera, ist das Gerücht im Umlauf, dass alle Angehörigen der GST bis spätestens im Frühjahr 1955 zum Militär eingezogen würden. Die Ausbildung in der GST sei eine vormilitärische, die von der Regierung geplant sei, um im Falle eines Krieges ausgebildete Leute zur Verfügung zu haben.

In Groß-Radisch, [Kreis] Niesky, [Bezirk] Dresden, wurde das Gerücht verbreitet, dass der Bürgermeister kurzfristig mit einer Namensliste aller Jugendlichen der Jahrgänge [19]34 bis [19]36 nach Niesky kommen musste.

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