Zur Beurteilung der Situation in der DDR
20. Dezember 1954
Informationsdienst Nr. 2396 zur Beurteilung der Situation in der DDR
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Im Mittelpunkt der Gespräche über politische Tagesfragen steht weiterhin die Moskauer Konferenz1 und die Ratifizierungsdebatte im Bonner Bundestag sowie2 die sich daraus ergebenden Aufgaben.
Vereinzelt werden auch in Versammlungen, die sich mit der Auswertung des 21. Plenums des ZK beschäftigen,3 Verpflichtungen übernommen. So wurde z. B. in einer Parteiversammlung der Verwaltung des »Karl-Liebknecht«-Werkes Magdeburg der Beschluss angenommen, dass monatlich 1 000 DM an Kosten für Porto, Telegramme, Fernschreiben, Telefongespräche, Reisen usw. eingespart werden.
Kohlenmangel
In der Zuckerfabrik Brottewitz, [Bezirk] Cottbus, besteht großer Kohlenmangel. So wurde bereits ein Telegramm zum Ministerium Berlin gesandt, jedoch trat noch keine Änderung ein.
Im VEB IFA-Phänomen Bautzen, [Bezirk] Dresden, wurden zu Beginn des Jahres aufgrund des schlechten Plananlaufes nur 6 bis 8 Lkw täglich produziert. Zurzeit werden 35 bis 40 Lkw täglich, ohne dass die Arbeits- und andere Bedingungen wesentlich verändert worden sind, hergestellt. Jedoch zeigen die Wagen eine bedeutend niedrigere Qualität als bisher. Diese Wagen sind für den Export bestimmt. Dazu äußerte sich ein leitender Funktionär des Betriebes: »Wenn man an höherer Stelle erfährt, was hier gemacht wird, werden ich und der Betriebsleiter eingesperrt.«4
Ein erkrankter Wachmann der Kreisdienststelle Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus, des SfS wurde von drei ehemaligen VP-Angehörigen angesprochen und befragt, ob er noch bei dem »Haufen« (gemeint SfS) wäre. Als der Wachmann dies verneinte, antworteten ihm die drei ehemaligen VP-Angehörigen, die jetzt in dem VEB Schraubenfabrik Finsterwalde beschäftigt sind, Folgendes: »Sei froh, dass du nicht mehr dabei bist. Das Morgenrot des 17. Juni leuchtet schon wieder in der Schraubenfabrik.«5
Im BKW Klingmühl, Grube »Helga«6 äußerte ein Kollege, dass es so aussieht als wenn es dem 17. Juni entgegenginge. Dieser Kollege begründete es damit, dass aufgrund von Überstunden oder sonstigen zusätzlichen Belohnungen die Kollegen nicht in den Genuss der Weihnachtszuwendungen gekommen sind und deswegen stark verärgert wären.7 Sie wollen auch an Feiertagen nicht mehr arbeiten.8
Im Industriewerk »Ludwigsfelde«, [Bezirk] Potsdam, ist unter den Kollegen eine schlechte Stimmung zu verzeichnen, weil die Kollegen der zweiten Schicht wegen der Stromeinsparung oftmals mehrere Stunden die Arbeit einstellen müssen. Um die Unzufriedenheit unter der Belegschaft wieder zu beseitigen, will die Werkleitung innerbetriebliche Maßnahmen festlegen, um den Strom schwerpunktmäßig zu verteilen, mit dem Ziel, dass in Zukunft kein Arbeitsausfall für die Kollegen entsteht.
Im Fischkombinat Saßnitz, [Bezirk] Rostock, wurden in der letzten Zeit viele Personen aus Westdeutschland eingestellt, die nach kurzer Zeit wieder entlassen wurden, da diese in der Mehrzahl Faulenzer sind.
Erkrankungen
Im Elt-Werk Reichenbach,9 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erkrankten am 17.12.1954 50 Kollegen an Durchfall und Erbrechen. Nach bisherigen Feststellungen ist die Ursache der Erkrankungen das verabreichte Mittagessen. Die Kollegen mussten sich in stationäre Behandlung begeben.
Materialschwierigkeiten
Im VEB Kleidermacher »Saxonia« Sebnitz,10 [Bezirk] Dresden, fehlt es an Stoffen, dadurch kann der Plan nicht erfüllt werden. Der Betrieb ist deshalb gezwungen, die Herstellung von Massenbedarfsgütern als Hauptproduktion aufzunehmen, da nur noch Stoffreste im Betrieb vorhanden sind. In diesem Betrieb haben führende Angestellte gekündigt, so z. B. der technische Leiter, der Hauptbuchhalter und die Versandleiter. Der Betrieb ist nicht in der Lage, aus eigenen Kräften diese Lücke zu schließen.
In Auerbach ist unter den [Wismut-]Kumpels11 zum Teil eine schlechte Stimmung zu verzeichnen, da die Belieferung von Ersatzteilen und Verbrauchsmaterial schlecht ist.
Im VEB Gummiwerk Elbe, Kreis Wittenberg, [Bezirk] Halle, fehlt es an Naturkautschuk. Der Betrieb hat noch 7 Tonnen Porokrepp12 für die Schuhfabrik »Banner des Friedens« bis Quartalsende herzustellen, was jedoch unter den jetzigen Verhältnissen unmöglich ist.
Im VEB Farbenglaswerk Weißwasser, [Bezirk] Cottbus, wird dringend schwarzes Eisenoxid benötigt. Bisher wurde das Eisenoxid von der Lack- und Farbenfabrik Narkau13 bezogen. Jedoch soll dieser Betrieb jetzt vom Ministerium die Anweisung erhalten haben, nur gelbes Eisenoxid herzustellen, was jedoch vom Farbglaswerk Weißwasser nicht verarbeitet werden kann.
Im VEB Glashütte Schönborn, [Bezirk] Cottbus, fehlen Entfärbungsmittel. Die Kollegen sind der Meinung, dass die Belieferung mit diesen Materialien im vergangenen Jahr besser gewesen sei.
Produktionsstörungen
Im [Wismut-]Schacht Schmirchau des Objektes 90 Strecke 219, [Bezirk] Gera, musste die Produktion unterbrochen werden, da der Schacht ohne Licht war.
Im [Wismut-]Objekt 9 Schacht 207 Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde am 18.12.1954 die Hauptluftleitung bei der Rekonstruktionsschießung zerschossen, sodass das gesamte Objekt 9 Schacht 13, Schacht 207 und Schacht 66 außer Betrieb sind. Ursache: Es wurde versäumt, die Luftleitung ordnungsgemäß abzusichern.
Am 16.12.1954 musste die Walzstraße im VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg, [Bezirk] Potsdam, aufgrund technischer Störungen stillgelegt werden. Für die Walzstraße war bereits eine Generalreparatur während der Weihnachtsfeiertage festgelegt worden. Produktionsausfall ca. 90 Tonnen Walzmaterial.
Handel und Versorgung
Vereinzelt besteht ein Mangel an Waren, besonders für den Weihnachtsbedarf. So besteht im Bezirk Leipzig ein Engpass an Bohnenkaffee und Sultaninen. Im Bezirk Neubrandenburg ist die Belieferung mit Süßwaren unzureichend.14
Im Bezirk Cottbus bestehen Schwierigkeiten, weil die Betriebe der Süßwarenerzeugung nicht termingemäß liefern, wegen Mangel an Verpackungsmaterial und Rohstoffschwierigkeiten. Außerdem fehlen Eier und Fischkonserven.
Im Kreis Zittau, [Bezirk] Dresden, mangelt es an Apfelsinen, Süßwaren und Fischkonserven. Demgegenüber hat der HO-Kreisbetrieb Leipzig-West von Mecklenburg Sultaninen geholt und dabei festgestellt, dass dort noch 13 t Sultaninen lagern, die nicht abgesetzt werden können. Der Kreis Parchim hat ebenfalls Übermengen an Sultaninen und Bohnenkaffee, ebenfalls der Kreis Ludwigslust.
Im Bezirk Schwerin ist Weizenmehl vom Typ 405 gefragt. Jedoch haben die Mühlen die Anweisung, Mehl in einem Mischverhältnis herzustellen, dessen Qualität geringer ist und nicht den Wünschen der Bevölkerung entspricht.
Auf der Weihnachtsmesse in Riesa, [Bezirk] Dresden, werden Schokoladenartikel der Firma Bodeta Oschersleben15 angeboten, die durchschnittlich DM 25,00 bis DM 45,00 kosten. Diese hohen Preise rufen unter der Bevölkerung negative Äußerungen hervor.
Landwirtschaft
Bei den Diskussionen über politische Tagesfragen stehen die Moskauer Konferenz sowie der Versuch der Ratifizierung der Pariser Verträge im Vordergrund.
Über die III. LPG-Konferenz wird noch wenig gesprochen.16 Oft ist darüber unter der Landbevölkerung nichts bekannt. So ist es z. B. bei Bauern in Berlin-Pankow. Einige erklärten, als man sie über die Konferenz befragte: »Wir haben viel Sorgen bei der Bewältigung unserer Arbeit und können uns daher mit solchen Sachen nicht beschäftigen.«
In den geringen Gesprächen werden die Ausführungen auf der Konferenz meist allgemein begrüßt. Unter den LPG- und werktätigen Einzelbauern von Brachwitz, [Bezirk] Halle, herrscht darüber Freude, dass der Genosse Walter Ulbricht17 die MTS für die Erreichung höchster Erträge mit verantwortlich macht. Somit muss die MTS Qualitätsarbeit leisten.
Genossenschaftsbauern der LPG »Fortschritt«, Kreis Quedlinburg, [Bezirk] Halle, sagten, dass sie die Worte des Ministers Scholz18 für sehr wichtig ansehen und beherzigen wollen.
In der Gemeinde Großbuch, [Kreis] Grimma, [Bezirk] Leipzig, sind besonders Großbauern an den Ausführungen des Genossen Walter Ulbricht interessiert über die Aufnahme von Großbauern in LPG.19 In erster Linie diskutierten hierüber solche Großbauern, die bisher ihren Ablieferungspflichten nicht nachgekommen sind und sich durch die Aufnahme in die LPG eine Sollermäßigung erhoffen. Andererseits sind diejenigen Großbauern still geworden, die bisher erklärten: »Wir wollen ja in die LPG, werden aber aufgrund unserer Hektargröße nicht aufgenommen.«20
Vereinzelt ergeben sich in den MTS Schwierigkeiten bei der Durchführung des Winterreparaturprogramms wegen Mangel an Ersatzteilen. So benötigt z. B. die MTS Neusalza, [Bezirk] Dresden, für Traktoren vom Typ »Aktivist« Getriebeteile sowie Schrauben. Sämtliche Bemühungen des technischen Leiters der MTS zur Beschaffung solcher Teile waren bisher erfolglos.
In verschiedenen MTS des Bezirkes Karl-Marx-Stadt fehlen besonders Schrauben und Muttern in 18, 20 und 22 mm Größe. Außerdem fehlen Federringe aller Größen.
Nach der Einführung des Stellenplanes für VEG haben in VEG des Bezirks Magdeburg größere Diskussionen eingesetzt. Dabei kommt es zum Ausdruck, dass die Struktur der einzelnen Güter zu wenig berücksichtigt sei. Zum Beispiel erhält ein VEG, das nur direkte Landwirtschaft hat, dieselbe Anzahl kaufmännischer Kräfte wie ein VEG, das noch einen Saat- oder Mastbetrieb oder beides besitzt. So diskutieren die Genossen des VEG Jerichow, [Bezirk] Magdeburg, dass sie kaufmännische Kräfte als Produktionsarbeiter führen müssen, um die Verwaltungsarbeit zu bewältigen.
Der Betriebsleiter des VEG Kreis Burg hat eine Schweinemaststation mit 5 000 Schweinen. Die kaufmännischen Kräfte reichen in diesem VEG nicht aus. Deshalb hat er sich schon an das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft gewandt.
Die Mitglieder der LPG Hainichen, [Bezirk] Leipzig, weigern sich, Kandidaten für die Vorstandswahlen der VdgB (BHG) zu benennen. Sie erklären, dass sie als Genossenschaftsbauern keine Bauern mehr seien, sondern Landarbeiter und hätten demzufolge mit der VdgB nichts zu tun. Aus dieser Einstellung heraus zahlt ein Teil der Genossenschaftsbauern keine Mitgliedsbeiträge mehr für die VdgB und nimmt an keinen Versammlungen und Bauernschulungen der VdgB teil.
Um den Mangel an Därmen zu überbrücken, besorgt sich ein Teil der Bauern der Gemeinde Behringen, Kreis Langensalza, [Bezirk] Erfurt (ca. 50 Prozent), diese aus Herleshausen (Westdeutschland). Als Tauschmittel werden Gänse genommen.
Übrige Bevölkerung
Im Mittelpunkt der politischen Gespräche steht weiterhin die internationale Lage. Besonders beachtet werden dabei die Moskauer Deklaration, wobei man hier vor allem über die Aufstellung Nationaler Streitkräfte spricht und die Bundestagsdebatte in Bonn. Zu anderen politischen Problemen wird nicht Stellung genommen, sondern man diskutiert vielmehr – besonders in den Reihen der Hausfrauen – über Mängel in der Versorgung. Dabei kommt in Bezug auf das Warenangebot für Weihnachten oftmals zum Ausdruck, dass es 1953 mehr Waren gegeben habe. Andererseits zieht man auch Vergleiche mit Westdeutschland und hebt die dortige Versorgung hervor. Zum Beispiel sagte die Konsumverkaufsstellenleiterin des Stützpunktes Plöwen,21 Kreis Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Warenzuteilung an Lebensmitteln, besonders an Weihnachtssachen, Süßigkeiten, Schokoladenmännern usw., ist sehr schlecht. Die Bevölkerung äußert sich schon sehr negativ darüber. Sie sagt ganz offen, dass es Weihnachten 1953 viel besser war als in diesem Jahr.«
Im Kreis Saalfeld, [Bezirk] Gera, wird von einem großen Teil der Hausfrauen die Meinung vertreten, dass es zu Weihnachten 1953 mehr Waren gegeben hätte als dieses Jahr. Es gäbe vor allem keine Rosinen, kein gutes Mehl, Käse, Fleischkonserven usw.
Hausfrauen äußerten auf dem Weihnachtsmarkt in Neupetershain, [Kreis] Calau, [Bezirk] Cottbus, über das mangelnde Angebot an Bettwäsche und warmer Unterwäsche, dass es traurig sei, dass noch nicht einmal zehn Jahre nach Kriegsende so etwas in größeren Mengen vorhanden sei, während es sich in Westberlin stapeln würde.
In Betrieben des Kreises Spremberg, [Bezirk] Cottbus, kommt bei Diskussionen zum Ausdruck, »dass man die Einheit Deutschlands nicht nur ideologisch sehen muss, sondern man müsse auch den Menschen in der DDR so viel geben, damit man den anderen im Westen zeigen kann, dass es uns hier besser geht als denen drüben«.
Auch aus dem Kreis Finsterwalde werden Diskussionen gemeldet wie z. B.: »Man kann die Bevölkerung nicht gewinnen, wenn die Warendecke so schwach bleibt.«
Eine Hausfrau aus Klötze,22 [Bezirk] Potsdam, sagte: »Was gibt es schon in diesem Jahr zu kaufen? Es wird von Jahr zu Jahr schlechter. Ihr geht mit eurer Politik doch bald zu Ende. Wenn man da sieht, was es im Westen alles gibt, dann ist hier gar nichts los.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
SPD-Ostbüro:23 Magdeburg, Kreis Klötze, 4 000, Frankfurt/Oder ein Ballon mit 1 000, Kreis Fürstenwalde 3 000, Cottbus, Kreis Spremberg, 1 000, Kreis Finsterwalde 1 100, Kreis Liebenwerda 1 100, Potsdam, Kreis Zossen, 780, Rostock, Kreis Grevesmühlen, 500, Dresden 400, Halle 90, Karl-Marx-Stadt 36. Der Inhalt richtet sich meist gegen Aufstellung Nationaler Streitkräfte und fordert zum Langsamarbeiten auf.
NTS:24 Cottbus, Kreis Herzberg, 3 500, Potsdam einzelne.
»Tarantel«:25 Cottbus, Kreis Herzberg, 500.
Die Mehrzahl der Flugblätter wurde mit Ballons eingeschleust und sichergestellt.
Am 14.12.1954 hatten sich einige Arbeiter der Schiffergrube »Franik« in Reichenbach,26 [Bezirk] Gera, Totenköpfe auf ihre Helme gemalt und sangen beim Ausfahren aus der Grube ein faschistisches Lied.27
In der Warnow-Werft in Warnemünde, [Stadt] Rostock, wurde in der Halle 116 ein größeres Hakenkreuz mit Ölfarbe angeschmiert.
Gefälschte Hausbrandbezugsmarken wurden in Halle fünf Stück und auf der Strecke Neubrandenburg – Pasewalk für 200 kg Kohlen gefunden.
Am 16.12.[1954] wurden in Neustrelitz 30 gefälschte Kraftstoffmarken á 5 Liter gefunden.
Vermutliche Feindtätigkeit
Am 16.12.1954 holte die MTS Elsnig, [Kreis] Torgau, [Bezirk] Leipzig, zwei Fässer Benzin vom Tanklager Minol. Später wurde festgestellt, dass das Benzin wegen zu hohem Wassergehalt für die Fahrzeuge nicht verwendbar ist.
Anlage vom 20. Dezember 1954 zum Informationsdienst Nr. 2396
Stellungnahmen zur Moskauer Deklaration
Im Vordergrund der politischen Gespräche stehen die Probleme, die im Zusammenhang mit der Moskauer Konferenz und dem Kampf gegen die Pariser Verträge von Wichtigkeit sind. Zur ersten Lesung der Pariser Verträge im Bonner Bundestag wird verhältnismäßig wenig Stellung genommen. Im Allgemeinen werden die Ausführungen Adenauers28 verurteilt,29 hingegen die Haltung Olenhauers30 begrüßt,31 jedoch an der konsequenten Haltung der SPD bei der Ratifizierung gezweifelt. Zum Beispiel äußerten sich einige Kollegen im Buna-Werk zur Rede Adenauers: »Jetzt erkennen wir einmal richtig, was Otto Grotewohl32 über die Politik Adenauers gesagt hat und dass dies voll und ganz zutrifft. Es wird wirklich ein Verbrechen, was dieser Mensch vorhat. Was Ollenhauer gesagt hat, ist praktisch dasselbe, was unsere Regierung schon jahrelang aufgezeigt hat.«
Ein Brigadier aus dem VEB Keramische Werke in Hermsdorf, [Bezirk] Gera: »Wenn die SPD diesmal, nachdem Ollenhauer im Sinne aller werktätigen Menschen gesprochen hat, wieder im entscheidenden Moment umkippt, dann sollten alle Arbeiter erkennen, dass die SPD nur die Rolle des Verräters an der Arbeiterklasse spielt.« Über die Ausführungen Adenauers sagte er: »Mich wundert nur noch, mit welcher Dreistigkeit dieser Mann lügt.«
Ein Arbeiter des gleichen Betriebes sagte: »Ich bin über den Wechsel der Ansichten Ollenhauers erfreut, kann aber der Aufrichtigkeit seiner Worte keinen rechten Glauben schenken. Ich bin eher der Meinung, dass die gesamte SPD-Fraktion am Tage der Abstimmung doch wieder mit den Monopolisten geht.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Zinnerz Altenberg, [Bezirk] Dresden: »Der Ollenhauer soll nicht drei Stunden lang sprechen, sondern soll lieber sagen, was zu tun ist, um die Pariser Verträge zu verhindern. Er soll den Arbeitern klare Anweisungen zum Handeln geben.«
Durch die im großen Umfang durchgeführten Versammlungen, besonders in den Betrieben und Institutionen, in denen zur Moskauer Deklaration und zu den Pariser Verträgen Stellung genommen wird, zeigt sich, dass immer mehr Menschen die Gefährlichkeit dieser Kriegsverträge erkennen. Vielfach wird in den Stellungnahmen, die aus den verschiedenen Bevölkerungskreisen kommen, die Moskauer Deklaration begrüßt und es wird zum Ausdruck gebracht, dass es den Kriegstreibern nicht gelingen darf, einen Dritten Weltkrieg auszulösen. Es müsse deshalb alles zur Verhinderung der Pariser Verträge getan werden. In diesem Zusammenhang spricht man aber auch davon, dass es bei Nichtverhinderung der Ratifizierung der Pariser Verträge eine Selbstverständlichkeit sei, dass unsere Regierung Sicherungsmaßnahmen ergreift, da unsere Errungenschaften nicht schutzlos preisgegeben werden dürfen.
Zum anderen werden aber noch immer vorwiegend in den Betrieben besonders unter den Jugendlichen Diskussionen über die Aufstellung Nationaler Streitkräfte geführt. Es zeigen sich trotz der Aufklärung noch immer große Unklarheiten über diese Frage. Von vielen Jugendlichen wird die Ansicht vertreten, dass ein Krieg dadurch verhindert werden könnte, dass sie kein Gewehr in die Hand nehmen.33 Immer wieder kommt man mit dem gleichen Argument, dass man genauso handeln wolle, wie wir es der westdeutschen Jugend raten, nämlich die Gestellungsbefehle zerreißen.
Besonders stark tritt dies im Gebiet von Lauchhammer, [Kreis] Senftenberg, unter den Jugendlichen auf. Ihre Diskussionen bewegen sich auf der Linie einer »Ohne-Uns-Bewegung«. Zum Beispiel wurde auf der Baustelle der Großkokerei von einigen jungen Monteuren zum Ausdruck gebracht: »Na, nächstes Jahr gehen wir jungen Kräfte bestimmt zum Wehrdienst, aber ohne uns! Wenn es soweit ist, kratzen wir die Kurve.« In der Elektrowerkstatt der Großkokerei sagte u. a. ein Jugendlicher: »Ich fasse keine Waffe an, denn ich schieße nicht auf meinen Bruder im Westen.«
Ein Jugendlicher vom BKW »Freundschaft« äußerte: »Wenn alle in Ost- und Westdeutschland die Gestellungsbefehle zerreißen, kommt es auch nicht zu einem Krieg.«
Im BFG-Lauchhammerwerk brachten einige Jugendliche zum Ausdruck, dass sie ihre Friedensliebe am besten unter Beweis stellen könnten, wenn sie nicht mitmachen.
Im BKW Sedlitz, [Kreis] Senftenberg, ist unter den Lehrlingen die Meinung vorherrschend, dass sie im Falle einer Einberufung nach dem Westen »türmen« wollen.
Verschiedentlich kommt es vor, dass man in Versammlungen gegen Resolutionen stimmt und negativ über die Fragen der Nationalen Streitkräfte spricht. Zum Beispiel wurden am 15.12.[1954] in sämtlichen Abteilungen des VEB Jachtwerft Köpenick Versammlungen durchgeführt. Unter anderem wurden Resolutionen zur Abstimmung gebracht, die zum Inhalt hatten, dass man der Regierung das Vertrauen ausspricht und mit den Sicherungsmaßnahmen im Falle der Ratifizierung einverstanden ist. In Halle 2 und 3 kam es aber nicht zu einer Abstimmung, da eine erregte Diskussion besonders von zwei Kollegen geführt wurde. Beide sagten, dass sie unter keinen Umständen bereit sind, jemals wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen. Sie stellten die Frage, was mit jenen wird, die einer Einberufung nicht Folge leisten. Nach einer entsprechenden Aufklärung des Versammlungsleiters diskutierte einer dieser Kollegen trotzdem weiter und sagte: »Warum sollen wir überhaupt Waffen in die Hand nehmen. Es stimmt doch gar nicht, dass wir von Westdeutschland aus bedroht sind. Die westdeutsche Bevölkerung wird nie einen Krieg gegen uns führen.« Unter lebhaftem Beifall der übrigen Anwesenden erklärte er nochmals, dass er von 8 Jahren Soldatenzeit und der anschließenden Gefangenschaft genug hätte und niemals wieder eine Waffe in die Hand nehmen würde.
Im Werk B, Halle 1 brachten mehrere junge Kollegen zum Ausdruck, dass sie nicht bereit sind, ein Gewehr in die Hand zu nehmen. Nach längerer Diskussion musste der Referent den entscheidenden Satz aus der Resolution streichen, damit diese zur Abstimmung gebracht werden konnte.
In der Halle 6 – Schiffsschlosserei – wurde die Resolution mit Mehrheit abgelehnt. Der Parteisekretär des Betriebes äußerte nach Bekanntwerden des Versammlungsverlaufes, dass das schlechte Ergebnis nicht von Bedeutung sei. Es sei eben notwendig, nochmals Versammlungen durchzuführen, bei denen Resolutionen vorgelegt werden, in denen die Fragen der Sicherungsmaßnahmen unserer Regierung nach Ratifizierung der Pariser Verträge »in etwas getarnter Form gebracht werden«. Außerdem äußerte er die Absicht, die Kreisleitung über das Ergebnis der Versammlungen nicht genau zu unterrichten. Er will einen eigenen zusammenfassenden Bericht anfertigen, in dem lediglich die durchschnittliche Meinung der Kollegen zum Ausdruck kommen soll.34
Weiterhin verbreiten feindliche Elemente Gerüchte zur Beunruhigung der Bevölkerung oder sie treten mit offener Hetze gegen die DDR und die SU hervor.35 Zum Beispiel kursiert in der Lehrwerkstatt des Kaliwerkes Roßleben, [Bezirk] Halle, das Gerücht, dass in nächster Zeit die Jahrgänge [19]30 bis [19]35 eingezogen werden, dass die Ausbildung in den Volksdemokratien durchgeführt würde und dass die gleichen Jahrgänge von dort bei uns ihre Ausbildung erhalten.
Unter den Studenten des zweiten Studienjahres an der Hochschule für Ökonomie und Planung in Berlin ist das Gerücht in Umlauf, dass in Kürze alle ehemaligen Angehörigen der VP, die zzt. studieren, eingezogen werden.
Ein Traktorist (ehemaliger SS-Unterscharführer) vom VEG Groß Vielen,36 [Kreis] Neustrelitz: »In der DDR sind mehr Polizisten als drüben in Westdeutschland. Da wird man nicht so kommandiert wie hier. Warum hat die KVP verschiedene Spiegel. Es gibt also schon Panzer, Luftwaffe usw.«37 Zum anderen kursiert in dem VEG das Gerücht, dass das neugeplante Lehrkombinat in ihrem Dorf ein Lazarett wird, und dass alle Jugendlichen von 18 bis 25 Jahren eingezogen werden. Es ist zu verzeichnen, dass auf dem VEG oft der RIAS gehört wird.
Ein ehemaliger Großbauer aus der Gemeinde Grünz, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die westeuropäischen Staaten unter Führung von Amerika sehen sich gezwungen, so schnell wie möglich eine Verteidigungsgemeinschaft aufzubauen, denn die Sowjetunion hat schon lange genug aufgerüstet. Außerdem stehen in der DDR schon lange Streitkräfte bereit, dagegen ist man in Westdeutschland erst dabei, Streitkräfte aufzustellen.«