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Androhung von Arbeitsniederlegungen auf dem Bahnhof Radeburg (Ergänzung)

5. Juli 1956
Information Nr. 61/56 – Betrifft: Ergänzungsmeldung zur Androhung von Arbeitsniederlegung auf dem Bahnhof Radeburg

Bereits am 19.6.1956 fand auf dem Bahnhof Radeburg eine Versammlung statt zur Vorbereitung der ökonomischen Konferenz des Reichsbahnamtes. Aus dem Protokoll ist zu ersehen, dass sich die Belegschaft Gedanken gemacht hat über die Arbeitsverbesserung und positive Vorschläge dazu brachte. Hier stand ebenfalls schon die Frage der Urlaubsabgeltung für das Jahr 1956. Da sich bis zu diesem Zeitpunkt trotz wiederholter Schreiben und mündlicher Mahnungen, dass sich ein verantwortlicher Funktionär einmal mit dem Problem »Bahnhof Radeburg« beschäftigen soll, niemand einfand, wurde eine nochmalige Versammlung für den 26.6.1956 festgelegt, wozu acht Vertreter aus den verschiedenen Sparten des Reichsbahnamtes eingeladen wurden. Davon erschien niemand: Sechs entschuldigten sich, während der Amtsvorstand und der Gruppenleiter Arbeit gar nichts hören ließen.

Zu dieser Versammlung wurde der ABV von Radeburg, [Name 1], nicht nur als ABV eingeladen, sondern als Mitglied der Ortsleitung der SED von Radeburg. Alle an der Versammlung teilnehmenden Eisenbahner einschließlich des ABV waren über das bürokratische Verhalten und herzlose Verhalten seitens der Funktionäre des Reichsbahnamtes Dresden äußerst empört und brachten ihren berechtigten Unwillen in der Diskussion darüber zum Ausdruck.

Aus der Diskussion ergab sich, dass der Fahrdienstleiter [Name 2] gemeinsam mit dem BGL-Vorsitzenden [Name 3] der Versammlung die Ausarbeitung einer Entschließung vorschlug, in der man die vorhandenen Missstände wahrheitsgemäß aufschreiben sollte. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde in der Versammlung darüber diskutiert, dass man von allen Angehörigen des Bahnhofs ein noch ernsteres Signal an die Vorgesetzten der Reichsbahn geben müsste, um diese zu veranlassen, sich mit den zuständigen Funktionären auf dieser Dienststelle zu beschäftigen. Ohne dass der Dienststellenleiter, der Parteisekretär und der ABV Einspruch erhoben, wurde besprochen, den Funktionären des Reichsbahnamtes Dresden eine Arbeitsniederlegung anzukündigen, falls sie sich nicht endlich zu den vorgebrachten Fragen äußerten.

Nach bisherigen Feststellungen sind in der Versammlung selbst keine provokatorischen Äußerungen gefallen. Mit Zustimmung der anwesenden Funktionäre wurden sechs Personen ausgesucht, die mit der Abfassung der Entschließung im Sinne der Versammlung beauftragt wurden. Diese sechs Personen sind als fortschrittliche und diensteinsatzfreudige Reichsbahnangestellte bekannt. Einer davon ist aktiver Sportfunktionär und zwei weitere sind freiwillige VP-Helfer. Sie haben sich am 17.6.1953 in keiner Weise beteiligt und sind auch nicht in Erscheinung getreten.

Der DV vom Bahnhof Radeburg, [Name 4], verständigte in einem Schreiben den Amtsvorstand von dieser Versammlung und wies daraufhin, dass eine Entschließung ausgearbeitet wurde. Gleichzeitig wurde der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Dresden-Land, Bohn,1 in Kenntnis gesetzt. Dieser erschien auf dem Bahnhof und hatte mit dem Parteisekretär und dem DV, [Name 4], eine Aussprache. Er erkannte die Forderung der Eisenbahner an und gab den Hinweis, sich unbedingt mit der politischen Abteilung in Verbindung zu setzen, um dort die Dinge zu klären. Der Amtsvorstand, der ebenfalls am 26.6.1956 mit Eilpost einen Hinweis des DV erhielt, setzte sich nicht sofort mit dem DV bzw. mit den Bv.2 in Verbindung. Bei ihm blieb das Schreiben bis 3.7.1956 liegen. Seine einzige Maßnahme war, allen zuständigen Abteilungen des Amtes das Schreiben des DV und die vom 30.6.1956 eingetroffene Entschließung zur Kenntnis zu geben. Wenn der Amtsvorstand am 27.6.1956 sich sofort mit dem Bahnhof bzw. den Kollegen auseinandergesetzt hätte, wäre es vermutlich zu keiner Unterschriftensammlung gekommen. Bis zum 4.7.1956 hatte sich trotz dieser Entschließung noch niemand auf dem Bahnhof Radeburg reichsbahnseitig sehen lassen.

Bei der Aussprache am 4.7.1956 mit dem Präsidenten, der ebenfalls erst am 3.7.1956 in den Abendstunden davon erfahren hatte, kam klar zum Ausdruck, dass die Arbeitsweise des Reichsbahnamtes und der Polit-Abteilung ungenügend ist. Es wurde festgelegt, dass am 5.7.1956, 8.45 Uhr, der Präsident zur Belegschaft des Bahnhofs Radeburg spricht. Die in der Entschließung geforderten zwei Brigaden Zugpersonal (4 Personen über 18 Jahre männlich) und ein Fahrdienstleiter männlich, wurden dem Bahnhof Radeburg durch den Präsidenten der Rbd Dresden im Auftrage des Ministers Kramer3 zugesagt.

Die Feststellungen, die bis jetzt getroffen wurden, lassen folgende Schlussfolgerungen zu: Bis jetzt sind keine Anzeichen vorhanden, dass man mit dieser Entschließung unseren Staat schädigen bzw. eine Provokation organisieren wollte. Dieser kleine Bahnhof hat trotz verschiedener Schwierigkeiten 1955 seinen Plan mit 108 % erfüllt, über 2 000 DM Gewinn erzielt und ist der beste Bahnhof der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Der Arbeitseinsatz der dort befindlichen Kollegen ist vorbildlich gegenüber anderen Bahnhöfen. Es sind genügend Beispiele vorhanden, dass Angestellte ihren Urlaub bis zu neunmal unterbrochen haben, wobei die Ursachen hierzu nicht in der mangelhaften Arbeitsorganisation des Bahnhofes oder dem Versagen seiner Funktionäre zu suchen sind. Fest steht auch, dass das Reichsbahnamt Dresden dort Menschen abgezogen und keinen Ersatz gestellt hat. Die abgezogenen Kader waren qualifizierte Kader. Es sind zwar in der Zwischenzeit stellenplanmäßig neue Einstellungen erfolgt, die aber den Fahrdienstleiter oder Zugführer nicht ersetzen können (Lehrlinge/Rentner). Von einer organisierten Krankmeldung zu sprechen ist nach den bisherigen Feststellungen verfehlt. Beispiele sind vorhanden, dass der behandelnde Arzt den DV nach der Arbeitsschutzbestimmung verantwortlich machen wollte, weil verschiedene Kollegen ihre Arbeit ohne ärztliche Genehmigung wieder aufnahmen, wenn Not am Mann war.

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    7. Juli 1956
    Informationsdienst Nr. 13 zur Beurteilung der Situation in der DDR

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