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Flugblattverbreitung durch Ballons

23. März 1956
Hetzschriftenverbreitung [Information Nr. M64/56]

In den letzten Tagen ist ein verstärktes Einschleusen von Hetzballons festzustellen. Über die Ballons wurden folgende Maße angegeben: 3,5 × 3 m bis 2 × 3,5 m – 10 bis 12 m Länge, 3 × 1,5 m, 7 × 8 m, 2,5 × 3,5 m bzw. 3, 4, 7, 8, 10 m Durchmesser. Teilweise handelt es sich um beleuchtete Ballons. An einigen war ein Staniolgerät in Pyramidenform befestigt. Einige Ballons, die in der Nähe von Hetzschriften gefunden wurden, trugen die Aufschrift »Meteorologischer Dienst der DDR«. Die Hetzschriften kommen von: KgU,1 SPD,2 NTS,3 Zope,4 »Freies Europa«.5 Seit dem 15.3.1956 wurden folgende größere Hetzschriftenfunde bzw. Ballons gemeldet:

[Bezirk]

Ballonfunde

gesichtete Ballons

festgestellte Hetzschriften

Bemerkungen

Dresden

32

22

700 Stck.

meist Hetzschriften von »Freies Europa«

Erfurt

4

–

2 200 Stck.

–

Frankfurt/O.

2

–

Zahl unbekannt

Hetzschriften in tschechischer Schrift

Gera

3

15

4 600 Stck.

Ballons wurden in Westdeutschland, Untertiefengrün6 aufgelassen. An einem Ballon befand sich ein Luftmessgerät 25 × 25 cm.

Halle

–

2

[leer]

–

Karl-Marx-Stadt

3

80

1 100 Stck.

vorwiegend in Plauen festgestellt

Leipzig

7

–

21 000 Stck.

–

Neubrandenburg

4

–

7 600 Stck.

An Ballons befinden sich mehrere Beutel mit je 25 Hetzschriften in tschechischer Sprache.

Magdeburg

2

–

–

–

Potsdam

13

180

19 200 Stck.

Ballons werden vermutlich in Kladow7 hochgelassen.

Rostock

10

10

3 300 Stck.

vorwiegend in tschechischer Sprache

Suhl

2

48

2 500 Stck.

beleuchtete Ballons gesichtet

Insgesamt

82

357

–

Die Zahl der Hetzschriften liegt noch weit höher. Mehrfach wurde nur von einer »größeren Anzahl Hetzschriften« berichtet.

  1. Zum nächsten Dokument Stimmung zum XX. Parteitag der KPdSU (6)

    23. März 1956
    Stimmung zum XX. Parteitag der KPdSU (6. Bericht) [Information Nr. M65/56]
  2. Zum vorherigen Dokument Kritische Stimmen zu Walter Ulbricht (1)

    23. März 1956
    Hetze gegen den Genossen Walter Ulbricht (1. Bericht) [Information Nr. M63/56]

  1. Die »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« (KgU) war eine u. a. von US-amerikanischen Geheimdienststellen finanzierte und angeleitete antikommunistische Organisation, die von Westberlin aus mittels Propaganda und zeitweise auch mit militanten Aktionen den Widerstand gegen das SED-Regime unterstützte. Sie wurde 1949 u. a. von Rainer Hildebrandt gegründet, 1951 übernahm Ernst Tillich die Leitung. 1959 wurde die KgU aufgelöst. Vgl. Heitzer, Enrico: Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948–1959. Köln 2015.

  2. Gemeint ist vermutlich nicht die Partei selbst, sondern das Ostbüro der SPD, das 1946 zur Unterstützung der von der Zwangsvereinigung betroffenen ostdeutschen Sozialdemokraten gegründet wurde. Zu seinen Aufgaben gehörten die Flüchtlingsbetreuung, die Informationsbeschaffung und das Einschleusen von Informations- und Propagandamaterialien in die SBZ/DDR. Vgl. Buschfort, Wolfgang: Das Ostbüro der SPD. Von der Gründung bis zur Berlin-Krise. München 1991.

  3. Der Narodno-Trudowoj Sojus (NTS), deutsch: Volksarbeitsbund, war eine seit 1930 bestehende russische Emigrantenorganisation, deren »geschlossener Sektor« streng konspirativ organisiert gegen die Sowjetunion arbeitete. Dabei ging es vor allem um die Verbreitung von antikommunistischem Propagandamaterial. Zur Zielgruppe dieser Aktivitäten gehörten in der SBZ/DDR vor allem die Angehörigen der sowjetischen Truppen. Ab Ende der 1940er Jahre wurde der NTS insbesondere von US-amerikanischen Geheimdienststellen unterstützt und angeleitet. Vgl. Stöver, Bernd: Die Befreiung vom Kommunismus: Amerikanische »Liberation Policy« im Kalten Krieg 1947–1991. Köln u. a. 2002, S. 318–331.

  4. Die ZOPE (Zentralnoje Objedinjenije Poslewoennych Emigrantow, deutsch etwa: Zentralverband der Nachkriegsemigranten) war eine im November 1952 in München durch das US-amerikanische Office of Policy Coordination (OPC) gegründete russische Exilgruppe. Die ZOPE unterhielt enge Kontakte zum NTS, zu den Ostbüros der westdeutschen Parteien und zur Vereinigung politischer Ostflüchtlinge (VPO). Hauptaktivität der ZOPE, die u.  a. vom Gesamtdeutschen Ministerium der Bundesrepublik Deutschland finanziert wurde, war die Verbreitung von Flugblättern, die mittels Ballons in die DDR geschickt wurden. Vgl. Stöver, Bernd: Die Befreiung vom Kommunismus. Amerikanische »Liberation Policy« im Kalten Krieg 1947–1991. Köln u. a. 2002, S. 331–334.

  5. Hierbei handelt es sich vermutlich um vom Nationalkomitee Freies Europa herausgegebene Flugschriften. Das Nationalkomitee war eine 1949 in den USA gegründete antikommunistische Organisation, deren Ziel die Befreiung der unter sowjetischem Einfluss stehenden Länder Europas war. Das Komitee betrieb u. a. den Rundfunksender Radio Free Europe mit Sitz in München.

  6. Untertiefengrün ist ein Ortsteil der oberfränkischen Gemeinde Berg und lag unmittelbar an der innerdeutschen Grenze.

  7. Im Original: »Gladow«. Kladow ist ein Ortsteil des Westberliner Bezirks Spandau, der an den Kreis Potsdam-Land grenzte.