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Gegensätze innerhalb der Berliner SPD

9. Juli 1956
Information Nr. 63/56 – Betrifft: Gegensätze innerhalb der Berliner SPD

Am 22.6.1956 führte die SPD Friedrichshain1 im Haus der Jugend in Kreuzberg, Böckler-Park, eine Kreismitgliederversammlung durch. Auf dieser Versammlung sprach der Direktor der Berliner Bank, Dr. Franz Suchan2 (SPD), zu dem Thema: Die Finanzlage der Bundesrepublik. Suchan machte folgende Ausführungen:

So wie die Bundesrepublik jetzt lebt, kann es auf keinen Fall weitergehen. Die größte Sorge besteht zzt. in der Kreditgewährung an die Geschäfte, die Waren auf Abzahlung verkaufen. Die Bundesrepublik hat im Moment 90 Milliarden verbuchte Kredit-Schulden. Der Zahlungsmittelumlauf, einschließlich Westberlin, ist auf 14 Milliarden angestiegen. Wenn nicht schnell eine Änderung eintritt, wird dies zu einer Inflation führen. Zur Behebung der Schwierigkeiten wurden von Suchan einige Vorschläge gemacht:

  • 1.

    sofortiger Stopp der Kredite für Abzahlungsgeschäfte;

  • 2.

    starke Einschränkung der Rüstungskredite;

  • 3.

    Freigabe der 6 Mrd. DM, welche vom Finanzminister Schäffer3 für besondere Fälle zurückgehalten und nur im Besonderen angegriffen werden dürfen.

Dr. Suchan führte weiter aus: Berlin wird vom Finanzminister Schäffer immer als fünftes Rad am Wagen betrachtet. Man sieht doch jetzt wirklich, wie um jede Mark, die nach Westberlin geht, gefeilscht wird. Im nächsten Jahr haben wir eine Bauausstellung in Westberlin und dafür muss Kredit nach Berlin gegeben werden,4 denn Autos und Motorräder haben wir genug im Augenblick, Häuser aber leider, leider zu wenig. Aber wir haben Arbeiter, die besser leben wollen und die kein Auto reizt, sondern sie wollen eine gemütliche Wohnung ihr eigen nennen und genügend verdienen, um keine Abzahlungsgeschäfte mehr machen zu müssen. »Denn«, so sagte Suchan weiter, »die Geschäftskredite werden von gewissenlosen Subjekten ausgenützt, dass einem die Haare zu Berge stehen könnten. Wenn wir einer Inflation entgehen wollen, müssen wir mit Kreditgebung sehr vorsichtig sein. Die SPD muss doch aus der Zeit der Weimarer Republik in dieser Beziehung gelernt haben.« Diskussionen wurden nicht geführt. Die Versammlung war sehr schwach besucht.

Auf einer Abteilungsversammlung der SPD Kreis Friedrichshain,5 welche am 25.6.1956 stattfand, berichtete der Jungsozialist6 Zock7 vom Landesparteitag der SPD.8 Gleich zu Beginn seiner Ausführungen bezeichnete Zock den Parteitag als Rummel. Auf dem Parteitag wurden zwei Stunden lang schöne Reden gehalten, die aber mit der Zeit langweilig wurden. Von einer sachlichen Arbeit auf dem Parteitag kann keine Rede sein. Zock erklärte: »Man geht doch nicht zum Landesparteitag, um zu feiern, wenn Brandt9 und Neumann10 das Bedürfnis haben, so sollen sie das in der Zietenstraße11 tun und zwar so lange sie wollen.« In seinem Referat teilte Zock mit, dass die SPD dem neuen BVG-Fahrpreis zugestimmt hat.

Alle Anträge wurden aufs schnellste durchgepeitscht. Einige Anträge sozialer Art wurden auf dem Parteitag beraten und teilweise abgelehnt. Ein großer Teil der eingereichten Anträge soll in München auf dem Parteitag beraten werden.12 Der Meinung des Zock, dass die Durchführung des Parteitages nicht richtig war, schlossen sich die auf der Abteilungsversammlung anwesenden Mitglieder an. Die Auffassung eines Mitgliedes war: »Das ist ja alles Theater, was die machen.« Ein anderes Mitglied brachte ebenfalls seine Unzufriedenheit zum Ausdruck und stellte die Frage: »Werden denn so in der SPD die Interessen der Arbeiter vertreten?«

In dieser Abteilungsversammlung konnte festgestellt werden, dass eine Opposition gegen den Landesvorstand vorhanden ist und der Bericht von Zock nicht dazu beigetragen hat, das Vertrauen der Mitgliedschaft zum Landesverband zu stärken. Der Abteilungsvorsitzende, der über das Referat von Zock sehr verärgert war, vertrat dann in seinen Ausführungen die Linie des Landesverbandes. Die Anwesenden waren aber mit seinen Ausführungen nicht einverstanden und ein Mitglied erklärte: »Ihr, die ihr im Westen arbeitet, habt nur Angst, eure Meinung zu sagen, weil ihr sonst eure Posten verliert.« Einige Genossen brachten zum Ausdruck, dass man mit der SPD13 verhandeln soll. Eine ähnliche Stimmung der Mitglieder gegen den Landesverband wurde uns auch aus einer anderen Abteilungsversammlung des Kreises Friedrichshain bekannt.

In einer Versammlung des »Steinkreises« (SPD)14 in der Wirtschaftsschule Steglitz, Florastraße, am 20.6.1956, referierte Dr. Külz.15 Dabei verglich er die Rolle, die jetzt das Abendland spiele, mit der des Katholizismus. Wie es damals zu einer Koexistenz zwischen Katholiken und Reformisten gekommen sei, so müsse auch jetzt eine Möglichkeit gefunden werden zum friedlichen Nebeneinanderleben. Die Regierungen der Bundesrepublik und der DDR müssen miteinander verhandeln. Das bedeutet noch lange keine Anerkennung der DDR. Eisenhower16 hatte 1946/47 Anweisung von Truman,17 nichts zu tun, was zur Wiedervereinigung führen könne. Auch die Franzosen waren damals strikte Gegner der Wiedervereinigung, während die »Russen« dafür waren. Die Politik der Vergangenheit und die Zeit arbeiten gegen die Wiedervereinigung und das Regime im Osten festigt sich immer mehr, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch durch die Beeinflussung der heranwachsenden Generation. In der Diskussion traten drei bis vier Redner auf und begrüßten es, dass endlich mal jemand so offen die Dinge beim Namen nenne. Einer meinte, der Gedankengang von Dr. Külz solle dem »Kuratorium unteilbares Deutschland«18 unterbreitet werden.

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    9. Juli 1956
    Information Nr. 64/56 – Betrifft: Provokationen in Poznan

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    7. Juli 1956
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